oster_autorenfoto

Das Autorenfoto in Buch und Buchwerbung

Sandra Osters Studie zu einem wichtigen Medium der Literaturvermittlung. Von Marc Reichwein


Sandra Oster: Das Autorenfoto in Buch und Buchwerbung. Autorinszenierung und Kanonisierung mit Bildern. Berlin u.a.: de Gruyter, 2014. IX, 310 S. (Archiv für Geschichte des Buchwesens / Studien, Bd. 11). ISBN: 978-3-11-034613-8. Preis [A]: € 102,80.


Lieber Literaturbetrieb, wir haben kein anatomisches, aber sehr wohl ein fotografisches Problem: Es gibt zu viele „Hände an Schriftstellerköpfen“. Wer die Pose, mit der Schriftsteller auf Autorenfotos gern Hand an ihr Schriftstellerkinn legen, genauso anstrengend findet wie die Kritikerin Johanna Adorjan, die diese Masche vor Jahren monierte, der kann sich nun von einer formidablen Studie von Sandra Oster zum Autorenfoto in Buch und Buchwerbung aufklären lassen. Die Pose geht auf die Melancholie-Formel zurück, ist populär seit Walther von der Vogelweide („ich het in mine hand gesmogen / min kinne und ein min wange“), und ikonisch seit 1514: Albrecht Dürer hat die Leidpose des einsamen Denkers, der im Dienste der Mitwelt steht, in seinem Kupferstich „Melencolia I“ festgehalten – sie scheint als visueller Topos bis heute nicht verbraucht.

Osters Arbeit zur Funktion des Autorenfotos im 20. Jahrhundert ist, soviel vorweg, eine hervorragende Studie zur visuellen Vermittlung und Wahrnehmung von Literatur. Die Verfasserin ist Absolventin der Mainzer Buchwissenschaft, sie vereint den Pragmatismus ihres Fachs mit Bourdieu- und Genette-geschulten Theorie-Zugängen. Die Dissertation, die sich qua Untertitel auch der „Autorinszenierung und Kanonisierung mit Bildern“ verschreibt, erschließt ein Themenfeld, das die literaturwissenschaftliche Forschung lange nur „verhalten bis borniert“ (Oster) beachtet hat.


Das Bild des Autors

Autorenfotos? Das roch nach Biografismus, wo man den Autor als literaturwissenschaftliche Kategorie doch entsorgt bzw. zur schieren Diskurs-Funktion degradiert hatte. Nur: Parallel zu aller Theorie war die Praxis des Literaturbetriebs stets eine ganz andere. Es brauchte anscheinend erst Phänomene wie die Popliteratur oder das „literarische Fräuleinwunder“, ehe die Frage „Was ist ein Autor?“ neu gestellt werden konnte. 40 Jahre nach Foucault will man die Frage jedenfalls mehr denn je auch mit Paratexten beantwortet wissen. Es sei, so Oster,  an der Zeit, die „Fotografierbarkeit des Autors“ als Teil der Autorfunktion anzuerkennen. So wenig neu dieser Befund als solcher ja ist, so rar wurde er über einzelne Essays hinaus (einschlägig Wilhelm Genazino: „Das Bild des Autors ist der Roman des Lesers“) gewürdigt. Oder um mit einer 20 Jahre alten Diagnose von Hubert Winkels zu sprechen: „Das große Buch über den Autor und sein Photo […] muss so oder so noch geschrieben (und sorgfältig mit Bildern versehen gedruckt) werden.“

Osters Arbeit leistet hierfür einen substanziellen Beitrag, gerade auch in diachroner Hinsicht. Die Studie beleuchtet die Entstehung und Verbreitung des modernen Autorenfotos im 19. Jahrhundert und weiß: Die Geschichte des Autorenporträts (in nicht-fotografischer Form) ist natürlich viel älter; sie beginnt in der Antike und reicht über Oswald von Wolkenstein,  die Erfindung des Frontispizporträts in der Renaissance, Lavaters Physiognomie und Tischbeins Gemälde „Goethe in der Campagna“ bis hin zur eigentlichen Erfindung der Porträtfotografie im 19. Jahrhundert (eine sehr gelungene Schlüsselszene dazu birgt übrigens das aktuelle William-Turner-Biopic im Kino).

Aus dem Visit(karten)porträt und Prominentenporträt geht dann auch das Autorenporträt hervor, das im 19. Jahrhundert meist als „Bruststück“ funktioniert, wobei der selbstbewusste Blick des Autors Werkherrschaft demonstriert, die sich nun also auch über fotografisches Beiwerk definiert. Autorschaft als Herrschaft über Werk und Beiwerk – dem Paratext der Fotografierbarkeit wird der Schriftsteller im 20. und 21. Jahrhundert selbst in seiner Negation (Thomas Pynchon) nicht mehr entkommen. Oster bespricht – auf Basis der einschlägigen Publikation von Walter Scheffler – einige frühe Beispiele (Mörike, Nestroy, Stifter), um alsbald pointenreich bei Karl May („Meine Leser drängen nach Fotografien“) zu landen, der einen paratextellen Sonderfall darstellt, insofern er die Inszenierung seiner selbst („Ich bin wirklich Old Shatterhand und habe erlebt, was ich erzähle“) durch Bildbeweise mit Kostüm-Optik beglaubigt.

Um 1900, argumentiert Oster mit Paul Virilio, löst das öffentliche Bild in den Medien zunehmend den öffentlichen Raum als solchen ab. Namentlich in der illustrierten  Massenpresse und Plakatwerbung werden Fotos, und mit ihnen abermals Autorenfotos, zum Bestandteil einer visuellen Kultur, die durch technische Reproduzierbarkeit (Walter Benjamin) und Inszenierungsmechanismen der Prominenz gekennzeichnet ist. Ob Klabund mit Ehefrau beim Frühstück oder der junge Upton Sinclair auf seiner Farm – der Komplex der modernen Ikonografie, ja fast schon Homestory-Ästhetik, ist in den 1920er Jahren weit entwickelt. Eine solche Medienkultur beeinflusst naturgemäß auch die Verwendung von Autorenfotos in der Buchgestaltung und den Werbemitteln der Verlage.

 

Buchumschläge und Prospekte als Basis

Oster fasst diesen Bereich mit Genette als Paratexte und interessiert sich hier – auf Basis der Buchumschlagsammlung des Deutschen Literaturarchivs Marbach – zunächst für den Paradigmenwechsel, mit dem die Autorenfotos vom Frontispiz in den Bereich des Buchumschlags wandern, weil die werbende Funktion des Autorenfotos schon ab den 1920er Jahren zunimmt. Zu einer festen Größe der Umschlaggestaltung wird das Autorenfoto ab den 1950er Jahren, wo die Erfindung des Taschenbuchs und namentlich die des Suhrkamp Taschenbuchs à la Willy Fleckhaus ab 1971 ganze Erstleser-Generationen mit dem Vermittlungselement Autorenfoto sozialisierte.

Ausführlich streift Oster im diachronen Teil ihrer Arbeit auch das Autorenfoto im verlegerischen Epitext, also Katalogen, Almanachen, Plakaten und Programmvorschauen. Gerade weil Werbemittel zu den am schlechtesten archivierten Quellen der Literaturvermittlung zählen, erschließt ihre Tour d’horizon durch die fotografische Inszenierung von Autoren – basierend auf der Verlagsprospekt-Sammlung des Deutschen Literaturarchivs – visuelle Aspekte von literarischer Öffentlichkeit, die seitens der Literaturwissenschaft jahrzehntelang vernachlässigt wurden.

Eine Besonderheit im Portfolio werblicher Autorenfoto-Inszenierung stellen die Porträtsammelbände dar, die – ob im Fall des Dichterbilder-Buchs von Langen/Müller 1937 oder der Rowohlt-Anthologie Was sie schreiben. Wie sie aussehen von 1954 – eine Praxis von Literaturvermittlung kultivieren, die „über den Text hinaus geht“ und ganz gezielt „die Person bzw. Figur des Autors zum Angelpunkt der Wahrnehmung literarischer Texte erhebt“.


Kanonisierung durch fotografische Inszenierung

Das Autorenfoto als Medium der Literaturvermittlung hat auch kanonisierende Funktionen; auf sie geht Oster in einem zweiten, sehr gelungenen Schwerpunkt ihrer Untersuchung ein. Wiederum notiert sie Erkenntnisse von einschlägigem Wert, etwa zum Genre der Bildbiografie, die bislang weder als Buchgattung noch als Kanonisierungspraxis ausreichend gewürdigt scheint. Hermann Hesse und Franz Kafka sind gut gewählte, weil kontrastierende Beispiele für fotografische Kanonisierung bei guter und schlechter Autorenfoto-Materialbasis. Sie zeigen auch, wie Verlage das Image von Klassikern durch Bildbiografien zur visuellen Marke erheben können. Kanonisierung durch Ikonisierung, wobei das Genre der Bildbiografie die manchmal geringe Verfügbarkeit von Fotografien des Autors meisterhaft kompensiert, indem es sich um die opulente „Aneignung der (optisch fassbaren) Einzelheiten“ aus einem Schriftstellerleben bemüht, von dem selbst visuell verschwindend wenig überliefert ist. Man sieht dann statt Kafka eine zeitgenössische Ansicht des Bahnhofs, an dem Kafka am 26. April 1915 einen Zug besteigt, um über Budapest nach  Prag zu reisen. Gerade auch solcherlei Visualisierung trägt zur Präsenz von „Biographemen“ (also biografischen Splittern, wie Roland Barthes sie nannte) bei.

Im Aufmerksamkeitsmarketing für Klassiker und Gedenktage kommt optischen Paratexten laut Oster ein mittlerweile erhebliches „Aktivierungspotenzial“ zu. Mit fotografischen Inszenierungen knüpft man dabei an Traditionen einer visuellen Literaturvermittlung wie das Goethe-Bilderbuch für das deutsche Volk von 1900 an. Und erreicht Leute, die an den Schriftstellerpersonen und -posen womöglich mehr interessiert sind als am Lesen. Hier können Autorenfotos wie Buchtitel und andere Paratexte lektüresubstituierende Funktionen übernehmen und suggerieren, einen Autor auch ohne Rezeption seines Werkes zu kennen. Insofern ließen sich Osters Schlussfolgerungen zur Funktion von Autorenfotos (Aufmerksamkeitsbindung, Bildprägung und die Inszenierung von Nähe) perfekt an Heinz Schlaffers Überlegungen zur Paralektüre anschließen.


Fazit

Fotos sind für Oster auch deshalb so wirkmächtig wie kein zweites Medium der Literaturvermittlung, weil ihre „Reproduzierbarkeit in variablen Kontexten“ gegeben ist. In der Tat können Autorenfotos, mit denen Journalisten ihre Berichterstattung illustrieren, durch die Massenmedien zirkulieren, die Wahrnehmung und Herausbildung von paratextuell kuratierten Autoren-Images noch einmal eminent steigern, man denke nur an Judith Hermann oder „Diese Locken!“ (Joachim Lottmann über Alexa Hennig von Lange).

Am Ende hat natürlich auch Sandra Oster noch nicht die umfassende Kulturgeschichte des Autorenfotos geschrieben, aber ihre Studie macht sich theoretisch, diachron und exemplarisch so systematisch Gedanken über visuelle Paratexte in der Literaturvermittlung, dass man ihr zu dieser Synopse nur gratulieren kann. Nur beim Abbildungsverzeichnis hätte man bei einem de-Gruyter-typischen Kaufpreis in dieser Dimension und zumal bei diesem Thema mehr Perfektion erwartet. Hier ballen sich falsche Seitenangaben. Ein formaler Einwand, der das inhaltliche Fazit nicht beschädigt:

Autorenfotos, das macht diese Studie klar, sind ein Medium des kulturellen Gedächtnisses, sie dürften in Zukunft eher noch mehr Bedeutung erfahren als im 20. Jahrhundert, für das wir (mit Oster) gleichwohl ein paar feste Inszenierungs-Topoi festhalten können: Melancholie-Gesten (Hände) bleiben, aber „Rauchen als eine das Denken stimulierende Kulturtechnik und ‚Arbeitsdroge’“ befindet sich im Zuge seiner gesellschaftlichen Stigmatisierung auf einem massiven paratextuellen Rückzug, Schreibwerkzeuge womöglich bald auch. Und Hermann Hesse entscheidet die Kanonisierung als Klassiker durch Bilder – ob beim Katze-Streicheln, Tomatenanbinden oder Nacktklettern – vorerst für sich.


Marc Reichwein, 03.01.2015

marc.reichwein@gmail.com