Hartmann

Fernsehen als "literaturfernes Medium" betrachtet

Rainer Hartmann lässt das "Literarische Quartett" kurz und bündig Revue passieren. Von Daniela Kahler


Rainer Hartmann: Literaturkritik im literaturfernen Medium Fernsehen. Literaturvermittlung im Spannungsfeld zwischen kritischem Anspruch und TV-Realität am Beispiel des „Literarischen Quartetts“ mit Marcel Reich-Ranicki. Marburg/Lahn: Verl. LiteraturWissenschaft.de, 2011. 102 S. ISBN: 978-3-936134-27-8. Preis [A]: € 14,80.


Auch mehr als ein Jahrzehnt, nachdem die letzte Folge des Literarischen Quartetts über die damals noch weniger flachen Bildschirme flimmerte, gilt dieses Programm im deutschsprachigen Raum vielen als der Inbegriff einer Literatursendung. Keine andere hat es geschafft, sich so nachhaltig ins Bewusstsein der Publikums einzuprägen. Unter den regelmäßigen Teilnehmern nahm dabei Marcel Reich-Ranicki eine herausragende Stellung ein, die zu seiner (für einen Literaturkritiker) bemerkenswerten Bekanntheit beitrug.

Rainer Hartmann, der Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert hat und als Journalist und Hörfunkmoderator beim SWR arbeitet, veröffentlichte im Jahr 2011 die vorliegende Monografie. In diesem nur hundert Seiten umfassenden und also recht kurzen Buch geht er auf die grundsätzliche Beschaffenheit der Sendung ein, auf die Rezeption und auf die Diskutanten Reich-Ranicki, Hellmuth Karasek, Sigrid Löffler und Iris Radisch, die Löffler ab 2000 als regelmäßige Teilnehmerin ersetzte.

Hartmann baut seine Analyse auf Franz Loquais 1995 erschienenem Buch Das literarische Schafott: Über Literaturkritik im Fernsehen auf und definiert zunächst die grundlegenden Eigenschaften der Sendung. Dazu zählen technische Details, wie die Beschaffenheit des Vorspanns und die Kamerabewegung, sowie organisatorische, wie der Sendeplatz am Freitagabend und die Auswahl der zu besprechenden Werke, die den ständigen Mitgliedern oblag. Des weiteren werden in diesem Abschnitt die Rollen der Diskutanten und jene des Publikums umrissen sowie Vergleiche zu anderen Literatursendungen angestellt, die oft mit Bildeinblendungen arbeiten, einer Technik, auf die das Literarische Quartett komplett verzichtete, um sich im Allgemeinen mehr mit dem Inhalt der besprochenen Texte zu beschäftigen. Die Art der Literatur (keine Lyrik, keine Sachbücher) und die Rolle des Buches (es bleibt bewusst im Hintergrund, Zitate sind nicht zugelassen) werden spezifiziert. Im folgenden Kapitel geht es um den Ablauf der Sendung; dabei sucht Hartmann nach Ritualen und wiederkehrenden Mustern im Verhalten und in der Argumentationsweise der Diskussionsteilnehmer. Es folgt eine genauere Analyse der Literaturbegriffe der Diskutanten und ein eigenes Kapitel über das Leben und Wirken Reich-Ranickis. Den Animositäten zwischen Reich-Ranicki und Löffler, die über Haruki Murakamis Gefährliche Geliebte schließlich zum endgültigen Bruch führten, wird ein eigenes, wenn auch kurzes Kapitel gewidmet. Abschließend beschäftigt sich Hartmann mit der Rezeption der Literaturkritiksendung. Die (überwiegend negative) Meinung des Feuilletons findet ebenso Erwähnung wie der Standpunkt der Literaturwissenschaft und die Kalkulation der Verantwortlichen beim ZDF. Schließlich wird auch spekuliert, dass den Reiz der Sendung für das Fernsehpublikum, und daher ihren Erfolg, vor allem der hohe Unterhaltungswert der Streitgespräche zwischen den Mitgliedern des Quartetts ausmachte.

In seine Untersuchung schließt Hartmann neben den Sendungen auch Sekundärliteratur und Zeitungsartikel zum Thema ein. Er bleibt aber immer nahe an der Sendung und benutzt, um seine Argumentation zu stützen, umfangreiche Transkripte der einzelnen Folgen. Dabei verfährt er in gewisser Weise gegensätzlich zu den Kritikern im Literarischen Quartett, die den besprochenen Text nie direkt zitierten. Vor allem in jenen Kapiteln, die sich mit den persönlichen Meinungen und Literaturbegriffen der Diskutanten beschäftigen, stützt sich Hartmann auf die Originalzitate.

Diese Transkripte tragen viel dazu bei, dass Literaturkritik im literaturfernen Medium Fernsehen tatsächlich recht unterhaltsam zu lesen ist, wie es der Klappentext behauptet. Unterhaltsam schließlich war auch das Literarische Quartett selbst, was laut Hartmann den Publikumserfolg der Sendung ausmachte, dazu kam die Aufmerksamkeit, die ihr in anderen Medien geschenkt wurde. Wichtiger für den langen Bestand der Sendung im Fernsehprogramm war aber der Prestigegewinn, der „Teil einer Legitimationsstrategie“ (S. 85) war, durch den sich das ZDF von den privaten Sendern abzugrenzen suchte. Die trockene Diagnose, dass „das Fernsehen ausschließlich an sich selbst interessiert“ (S. 94) sei, ist besonders ernüchternd, weil Hartmann selbst beim Rundfunk arbeitet und spekuliert werden kann, dass er bei dieser Einschätzung aus seinen eigenen Erfahrungen schöpft.


Daniela Kahler, 14.12.2012

Daniela.Kahler@student.uibk.ac.at