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GUARINONI, Hippolyt

 

1. GUARINONI, Hippolyt (Hippolyus)
Guarinonius

2. BERUFSBEZEICHNUNG

Baumeister, Arzt und Hygieniker, Schriftsteller und Universalgelehrter

3. BIOGRAPHIE

Hippolyt Guarinoni wurde am 18.11.1571 in Trient geboren und verstarb am 31.5. 1654 in Hall in Tirol. Die Familie Guarinoni stammte urspr. aus Italien und zog im 15. Jh. in die Umgebung von Trient. Vater Bartolomeo Guarinoni war Leibarzt von Maximilian II. und Rudolf II. und wurde am 10.1.1582 gemeinsam mit seinem Bruder Baptist Guarinoni in den Adelsstand mit dem Prädikat „von Hoffberg“ erhoben. Hippolyt stammt aus einer außerehelichen Beziehung des Vaters mit Catharina Pellegrini. Seine Kindheit verlebte er in Trient bis ihn der Vater 1580 zuerst nach Wien und schließlich nach dem Tod von Maximilian II. 1582 nach Prag holte. Von 1583 bis 1593 besuchte Guarinoni die Jesuitenschule in Prag. Ab 1594 studierte er in Padua und wurde dort zum Doctor artium und Doctor medicinae promoviert. Ab 1598 hatte er mehrere ärztliche Funktionen in Tirol: ab 1598 Stiftsarzt des königlichen Damenstiftes in Hall in Tirol, ab 1601 Stadtphysikus und Salinenarzt in Hall in Tirol und ab 1604 Arzt der Gewerken in Schwaz. Heirat mit Charitas Thaler. Acht Kinder, davon einmal Drillinge (geboren am 4.3.1604), die bald nach der Geburt verstarben. 1612 Heirat mit Helena von Spieß, zwei Söhne. Beide Ehefrauen stammten aus angesehen und katholischen Familien. Während der Pest in Tirol 1611/12 (vermutl. Flecktyphus) wurde Guarinoni als Arzt an der Seite des Innsbrucker Hofarztes Paul Weinhart bekannt. 1613 Reise nach Rom. Hier besucht er u.a. das Grab der Francesca Romana. Guarinoni war ein vehementer Verfechter der Gegenreformation. Neben seiner Tätigkeit als Arzt übersetzte bzw. verfasste er  zahlreiche Heiligenviten (hl. Francesca Romana, hl. Karl Borromäus u.a.) und entdeckte die Hl. Notburga aus Rattenberg als Heilige wieder, die seither in Tirol zu den beliebtesten Heiligengestalten zählt. Seine katholische Moral ist auch in seinen medizinischen Schriften präsent. Sein bekanntestes Schriftstück „Die Grewel der Verwüstung menschlichen Geschlechts“ erschien 1610 in Ingolstadt. Zu seinen religiös-literarischen Schriften zählt auch die Legende des Anderl von Rinn, in der er den Mord an einem Kind als jüdischen Ritualmord, vergleichbar der Legende des Simon von Trient, schildert. Diese Erzählung gilt als Manifestation eines religiös motivierten Antisemitismus in Tirol. Lateinische Schriften sind die Vita des Thomas von Bergamo und fachmedizinische Arbeiten.

Schriften:
Die Grewel der Verwüstung Menschlichen Geschlechts. Ingolstadt 1610 (Teil 1, Teil 2 nur handschriftlich); Pestilenz Guardien. Für allerley Stands Personen mit Säuberung der inficierten Häuser, Beth-, Leingewandt, Kleider etc., Ingolstadt 1612; Spiegel Christlicher Eheleut in dem verwunderlichen Leben der hl. Römischen edlen Frauen Franziska, Ingolstadt 1613; Prälaten Cron Lebens und Der Gewaltigen Thaten deß H. Caroli Borromaei, Freiburg i. Br. 1618;  (Übersetzung der ital. Vita des Hl. Karl Borromäus, verfasst von Giovanni Pietro Giussano); Hydroenogamia triumphans, seu aquae vinique connubium vetustum. Heillig und heilsamber Wasser und Wein Heurath, Innsbruck 1640; Triumph Cron Marter Und Grabschrifft deß Heilig-Unschuldigen Kindts Andreae von Rinn, Innsbruck 1642; Leben der hl. Notburga, 1648 (nicht mehr erhalten, Teil in lat. Übersetzung durch Roschmann erhalten, Abdruck in: Iohannes Perierus: Acta s. Notburgae ancillae virginis, Antwerpen 1753, 65-83 (siehe W. Neuhauser in: Amann/Siller 2008, 211); Chylosophiae academicae artis Aesculapiae novis astris illustratae tomi duo, Innsbruck 1648 (nur Bd. 1 erschienen);

Eine Übersicht aller Schriften, der handschriftlichen Überlieferung sowie neuerer Drucke findet sich bei W. Neuhauser, in: Amann/Siller 2008, 185 ff.

 

4. FAMILIEN-, FREUNDES- UND AUFTRAGGEBERKREIS

Der Vater H. Guarinonis war ein bekannter Arzt, der als Leibarzt von Maximilian II. und Rudolf II. tätig war. Guarinoni wurde als uneheliches Kind der Catharina Pellegrini, einer aus Trient, geboren.
H. Guarinoni war unter anderem Arzt von Erzherzogin Maria Christierna (1574-1621), die seit 1612 dem königlichen Damenstift vorstand. Ihrer Intervention ist es zu verdanken, dass Leopold V. in Vertretung von Kaiser Ferdinand II. den Bau der Karlskirche in Volders unterstützte.
Paul Weinhart zählt als Hofarzt zu den einflussreichsten Persönlichkeiten im Umfeld von Guarinoni.
Guarinoni war zudem mit Thomas von Bergamo befreundet, der ab 1619 im Kapuzinerkloster in Innsbruck lebte und 1631 verstarb. Dieser hatte großen Einfluss auf die Realisierung der Karlskirche, indem er Guarinoni in einer prophetischen Schau den Platz für den Bau der Kirche wies. (vgl. Neuwirth/Witting 2008, 219) Guarinoni verfasste zudem eine eigene Schrift über den Kapuzinerbruder.

 

5. WERKE

(TIROL)

5.1. VOLDERS/Tirol: Kirche Hl. Karl Borromäus, 1620 begonnen, geweiht 1654
Als Reaktion auf den Bau der Dreiheiligenkirche in Innsbruck als Grablege der Arztfamilie Weinhart stiftete Guarinoni 1620 eine von ihm geplante Kirche in Volders. Obwohl er ein Vermögen in den Bau der Kirche investierte musste er dennoch um Unterstützung bitten, wobei ihm seine Stellung als Arzt des Damenstiftes in Hall durchaus hilfreich war. Erzherzogin Maria Christierna (1574-1621) war seit 1612 Vorsteherin des Stiftes und intervenierte direkt bei Kaiser Ferdinand II., der wiederum seinen Bruder Leopold V. (Regent von Tirol und zu dieser Zeit noch Bischof von Passau und Straßburg) um Hilfe ersuchte. (Vgl. Neuwirth/Witting, S.223). Guarinoni lieferte jedoch nicht nur den Bauplan  sondern war auch direkt am Bau beteiligt, u.a. als Maurer. Eine Legende berichtet, er habe sich auf Nachfrage „Meister Pölten“ genannt. Die Kirche wurde 1654 der Hl. Dreifaltigkeit, der Unbefleckten Empfängnis sowie der Hl. Geburt Marias und den Heiligen Karl Borromäus (1610 hl. gesprochen), Ignatius von Loyola (1610 hl. gesprochen) und Franziska Romana (1608 hl. gesprochen) geweiht. Das spätmanieristische Bauwerk ist der erste barocke Zentralbau in Nordtirol. Guarinoni arbeitete mit stark emblematischen Bezügen. Vorherrschendes Motiv ist die Dreizahl. Sabine Petersohn (geb. Hohmann) hat eine Herleitung verschiedener Bauformen für den Bau der Karlskirche unternommen. Sie betont vor allem die Funktion des Zentralbaus als Marienheiligtum und hier vor allem den Einfluss lombardischer Marienheiligtümer der Renaissance. Charakteristisch dafür sind vor allem  „zusammengesetzte“ Baukörpergefüge (vgl. Petersohn 1999, 43)
Der Bau wurde als Dreikonchenanlage mit Vestibül ausgeführt. „Sie [Anm. die Dreikonchenanlage] setzt sich aus einem annährend quadratischen Kern mit abgerundeten Ecken und vier in Kreuzform angefügten Anräumen in Form von drei leicht eingezogenen gestelzten Apsiden und einem rechteckigen Saal zusammen.“ (S. Petersohn 1999, S.43)
Die kunsthistorische Bedeutung des Baus wird von Erika Frodl-Kraft so beschrieben: „In dem nicht nur geistesgeschichtlich, sondern auch als architektonische Schöpfung bedeutsamen Bau mischen sich geniale und abstruse, rückständige und in die Zukunft weisende Züge, wie es dem Wesen begabten Dilletantentums entspricht“ (E. Frodl-Kraft, Tiroler Barockkirchen, Innsbruck 1955, 11.)
Wichtig ist die Karlskirche auch in ihrer entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung, u.a. für den Bau der Mariahilf-Kirche in Innsbruck (errichtet von 1647-1649).

5.2. BAUMKIRCHEN/Tirol: Kapelle hl. Anna, erbaut 1645/50 vermutlich nach den Plänen von G., gew. 1658; (Zuschreibung)

5.3. TULFES/Volderwald, Tirol: Kapelle Hl. Borgias, erbaut 1677, vermutlichen nach Plänen oder unter dem Einfluss von G., geweiht 1678; (Zuschreibung)

5.4. VOLDERS/Volderwildbad, Tirol: Kirche Hll. Kosmas und Damian, erbaut 1625, vermutlich nach Plänen von G., geweiht 1660; (Zuschreibung)

 

6. ABBILDUNGEN

(TIROL)

6.1. Kirche Hl. Karl Borromäus, Volders
6.2. Kirche Hl. Karl Borromäus, Volders
6.3. Kirche Hl. Karl Borromäus, Volders

 

6.4. Kapelle Hl. Borgias, Volderwald, Tulfes

6.5. Kapelle St. Anna, Baumkirchen

Fotos: © Verena Konrad

7. BIBLIOGRAPHIE

K. AMANN/M. SILLER (Hrsg.), Hippolytus Guarinonius. Akten des 5. Symposiums der Sterzinger Osterfestspiele (5.-7.4.2004), Innsbruck 2008
R. BODNER/ Gemeinschaft “Rettet die Karlskirche Volders” (Hrsg.), Die Karlskirche in Volders, Volders 1988
J. BÜCKING, Kultur und Gesellschaft in Tirol um 1600. Guarinonius’ „Grewel der Verwüstung Menschlichen Geschlechts“ (1610) als kulturgeschichtliche Quelle des frühen 17. Jahrhunderts, Lübeck/Hamburg 1968
J. BÜCKING, Hippolytus Guarinonius (1571-1654), Pfalzgraf zu Hoffberg und Volderthurn. Eine kritische Würdigung. In: Österreich in Geschichte und Literatur, o.O. 1968, 65-80
G. BRUCHER, Barockarchitektur in Österreich, Köln 1983, S. 78ff
E. CARAMELLE, Die Stifte und Klöster Tirols, Innsbruck-Wien-Bozen 1975, S. 175ff
DEHIO-Tirol, 1980, 128 et passim
J. DOLLINGER, Zentralbauten in Tirol, Innsbruck 1975
A. DÖRRER u.a. (Hrsg.), Hippolytus Guarinonius (1571-1654). Zur 300. Wiederkehr seines Todestages, Innsbruck 1954
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E. FRODL-KRAFT, Tiroler Barockkirchen, Innsbruck 1955
S. HOHMANN (nunmehr Petersohn), Die Karlskirche in Volders bei Hall in Tirol, Phil. Dipl. Würzburg 1991
K. KLAAR, Dr. Hippolytus Guarinoni und die Bürger-Kongregation in Hall, Innsbruck 1903
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E. LOCHER (Hrsg.), Hippolytus Guarinonius im interkulturellen Kontext seiner Zeit. Acta der Tagung Neustift 1993, Innsbruck 1995
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R. WAHLER, Die Karlskirche in Volders, Volders [1995]

 
©Dr. Verena Konrad, März 2009

 

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