Suche:

19.05.1947, Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Dr. Erhard Hübener, zur gescheiterten Ministerpräsidentenkonferenz in München


19.05.1947, Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Dr. Erhard Hübener, zur gescheiterten Ministerpräsidentenkonferenz in München

Am Spätnachmittag des 17. Mai traf bei mir der Generalsekretär des Länderrats der amerikanisch besetzten Zone Herr Roßmann aus Stuttgart, zu einem Besuche ein, der sich bis in die späten Abendstunden ausdehnte. Herr Roßmann kam aus Weimar und beabsichtigte, in den nächsten Tagen auch nach Potsdam, Dresden und wohl auch nach Schwerin zu fahren. Der offenbare Zweck seiner Reise war es, etwaige Bedenken gegen die Teilnahme der Ministerpräsidenten der sowjetisch besetzten Zone an der Münchener Konferenz auszuräumen. Herr Roßmann stammt aus Pößneck in Thüringen, wohnt auch jetzt dort und macht von dort aus seine Fahrten zu den verschiedenen Ministerpräsidenten. Durch seine thüringische Abstammung und seine alten Beziehungen ist er in der Lage, über die gegenwärtigen Verhältnisse in der sowjetischen Zone sich ein Bild zu machen.
Herr Roßmann schien Wert auf die Feststellung zu legen, daß die Initiative zur Münchener Konferenz ausschließlich von der bayerischen Regierung ausgehe. Erst nachträglich habe sie die Zustimmung der amerikanischen Besatzungsmacht eingeholt. General Clay sei anfänglich überrascht gewesen und habe mit seiner Zustimmung gezögert, weil er ursprünglich der Ansicht war, daß die Regelung der deutschen Dinge Sache der Besatzungsmächte und nicht Sache der Deutschen sei. Erst nachdem er seine Bedenken zurückgestellt hatte, sei auch der Stuttgarter Länderrat informiert worden. Dieser habe das bayerische Vorgehen begrüßt und unterstützt.
Der Grund für das bayerische Vorgehen sei die schwere Enttäuschung gewesen, die der Ausgang der Moskauer Verhandlungen vielleicht nicht den eingeweihten Politikern, aber doch der großen Masse des Volkes bereitet habe. Es herrsche allgemeine Angst vor dem nächsten Winter. Man sei überzeugt, das deutsche Volk habe nicht die Kraft, noch einen Winter wie den letzten mit Hunger und Kälte zu ertragen. Jede gepeinigte Kreatur habe das Recht zur Klage. Das Volk verlange von seinen Regierungen, daß sie diesen Gefühlen Ausdruck gäben. Die große Resonanz, die die Münchener Einladung gefunden habe, zeige, wie richtig diese Erwägungen der bayerischen Regierung gewesen seien.
Natürlich hätten auch die Parteien sich zu Wortführern der deutschen Not machen können. Wir könnten aber nicht darauf warten, bis sie sich hierüber untereinander verständigten. Außerdem handele es sich bei den Vorkehrungen für den nächsten Winter zum großen Teil um unmittelbarste Staatsaufgaben, deren Durchführung Sache der staatlichen Behörden sei. Die Münchener Konferenz solle aber in keiner Weise eine parallele Arbeit der Parteien ausschließen oder behindern.
Für die Zustimmung der amerikanischen und der englischen Besatzungsmacht dürften folgende Erwägungen maßgeblich sein: Die Westmächte seien gewillt, aus ihrer bisherigen Reserve herauszutreten. Der Sieg über Deutschland werde den Westmächten allmählich ganz einfach zu teuer. Nachdem alle Zwangsgewalt in ihre Hände gekommen sei, hielten sie sich für das Wohl des besetzten Gebietes für verantwortlich. Sie handelten auch danach. Die USA entnehme dem Lande für ihre Besatzungsmacht nichts anderes als nur frisches Obst und Eier, und auch diese würden nur im Austausch gegen andere Lebensmittel bezogen. Die amerikanische Zone habe schon für fast 1/2 Milliarde Dollars Lebensmittel bewilligt. Die Rückflüsse aus diesem Kredite würden nicht etwa zur Abdeckung der Lebensmittelschulden benutzt, sondern würden in die deutsche Wirtschaft hineingepumpt. Durch alle diese Maßnahmen seien die Vereinigten Staaten an der Prosperität Deutschlands unmittelbar interessiert. Aus diesem Grunde nähmen sie jetzt Interesse an einer politischen Aktivierung Deutschlands. Die Vereinigten Staaten brauchen offenbar – so hat es freilich Herr Roßmann nicht formuliert – einen leistungsfähigen Schuldner.
Die gegenwärtige Zweizonenverwaltung stelle keinen Ersatz für das angestrebte neue Deutschland dar. Die Zweizonenverwaltung sei im Grund nur ein bürokratischer Faktor, aus dem das erforderliche politische und wirtschaftliche Leben nicht kommen könne. Die Verhältnisse drängten zu einer Neugestaltung. Nun sähen die Deutschen des Westens die Gefahr, daß die Fortbildung der bestehenden Ansätze dazu führen könnte, daß sich nur der Westen konsolidiere. Das wollen sie nicht. Sie möchten mit den Deutschen des Ostens zusammengehen. Dies gälte auch für die Bayern, von denen immer angenommen werde, daß sie am wenigsten Verständnis für die gemeinsamen Interessen Deutschlands hätten. Es ist dem Westen Ernst mit der Schaffung einer Einheit. Und deshalb muß die Münchener Anregung angesehen werden als ein letztes Mittel, die Deutschen des Ostens wieder mit den Deutschen des Westens organisch und organisatorisch in Verbindung zu bringen. Aus diesem Grund ist die Teilnahme und Mitarbeit der ostdeutschen Ministerpräsidenten an der Münchener Tagung von allergrößter Bedeutung.
Die in den letzten Sätzen von mir verkürzt wiedergegebenen Gedanken bildeten den Gegenstand einer sehr langen Aussprache, die von Seiten des Herrn Roßmann behutsam geführt wurde. Die von mir formulierten Sätze stellen notwendigerweise eine Vergröberung des Gesprächsinhalts dar. Aber auch wenn ich nachträglich die Unterhaltung überdenke und mir vor Augen führe, daß Herr Roßmann jede Wendung vermieden hat, die als Drohung oder Nötigung aufgefaßt werden könnte, so gewinne ich doch den Eindruck, als ob wenigstens Herr Roßmann für den Fall der Nichtbeteiligung der Ministerpräsidenten die Gefahr der deutschen Spaltung als ganz akut ansieht.
Herr Roßmann besprach sodann mit mir die Frage, wie das Programm der Verhandlungen zu gestalten sei. Er betonte, daß er die gleiche Frage auch den übrigen Ministerpräsidenten des Ostens vorlegen wolle. Man sei bereit, unseren Wünschen weitgehendst entgegenzukommen, alles wegzulassen, was uns bedenklich erscheine, und zur Verhandlung zu bringen, was wir für richtig hielten. Er bat mich um meine Meinungsäußerung über die nachfolgenden Punkte.
1) Erörterung der rein wirtschaftlichen Fragen; Rohstoffe, Demontagen, Interzonen- und Außenhandel. Es bestand kein Zweifel, daß diese Fragen zur Erörterung drängen.
2) Erörterung der Fragen der künftigen Reichskonstruktion. Ich empfahl, diese Fragen nicht zu sehr zu vertiefen, bei der unvermeidbaren Festlegung eines Grundprogramms aber von den Vorschlägen Molotows auszugehen. Dieser Gedanke schien Herrn Roßmann neu und erwägenswert zu sein.
3) Entnazifizierung. Der Westen hat das dringende Bedürfnis, die Angelegenheit im Einklang mit den Besatzungsmächten zum schnellen Ende zu führen. Auch ich habe dies für notwendig erklärt.
4) Klarlegung der gesundheitlichen Verhältnisse in Deutschland vor den Augen der Welt. Auch ich bekannte mich zu der Ansicht, daß einerseits das deutsche Volk von uns verlangt, daß wir nicht schönfärben, daß andererseits im Auslande der Ernst der Lage nicht genügend bekannt ist. Übrigens gewann ich den Eindruck, als ob in dieser Hinsicht die Verhältnisse im Westen noch trostloser liegen als bei uns.
5) Reparationen. Ich habe empfohlen, diese Frage mit äußerster Zurückhaltung zu behandeln. Am besten ganz zu streichen. Wird das Schwergewicht auf diese Frage gelegt, verliert m. E. die ganze Konferenz die an sich bestehenden Möglichkeiten, auf die Besatzungsmächte zu wirken.
6) Flüchtlingsfrage. Hier liegt es m. E. wie bei der Frage der Volksgesundheit.
7) Man beabsichtigt, auf der Tagung ein Bild davon zu geben, daß es neben dem Deutschland des Faschismus jederzeit auch ein ganz anderes Deutschland gegeben habe und daß die schwersten Opfer, die der Nationalsozialismus der Welt aufgelegt hat, in Deutschland selbst gebracht worden sind. Wenn ich mir auch von der Darlegung dieser Tatsachen für den Augenblick keine allzu große Wirkung verspreche, habe ich doch dagegen keine Einwendungen erhoben.
8) Grenzfragen. Ich habe größte Zurückhaltung, am besten Vermeidung der Aufwerfung dieser Frage empfohlen. Es ist wichtiger, was aus dem Deutschland zwischen der Oder und der Maas wird, als die Frage der Zugehörigkeit einiger Kreise östlich der Oder zu erörtern. Deutschland hat auch nicht das mindeste Interesse daran, die Konflikte zwischen den Besatzungsmächten zu verschärfen, und man soll deshalb Themen vermeiden, die in dieser Richtung wirken könnten.
9) Herr Roßmann warf die Frage auf, ein Besatzungsstatut zu fordern. Ich habe davor dringend gewarnt. Es kommt für uns alles darauf an, aus der gegenwärtigen Rolle der Passivität herauszukommen und wieder völkerrechtlich existent zu werden. Gewiß werden wir noch lange nicht gleichberechtigtes Mitglied der Völkerfamilie sein. Aber wir müssen wieder völkerrechtliches Subjekt sein. Das muß die wichtigste Forderung der ganzen Konferenz werden. Hiermit ist der Gedanke eines Besatzungsstatuts nicht vereinbar, das vielleicht Deutschland im einzelnen lediglich als Gegenstand und nicht als Vertragspartner behandeln würde.
[gez.] Hübener