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Wahre Freundschaft
(Gedanken zum 6. Sonntag der Osterzeit (Lesejahr B))

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:Ist es nicht höchst problematisch, wenn jemand sagt: "Ihr seid meine Freude, wenn ihr tut, was ich euch auftrage"? Jesus sagt dies aber im heutigen Evangelium. Warum ist es bei anderen Leuten gefährlich, wenn man sich auf diese Form der Freundschaft einlässt, und bei Jesus soll es heilsam und gut sein?
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2006-07-21

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: (Apg 10,25 -26.34-35.44-48;) 1 Joh4,7-10; Joh 15,9-17

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 Liebe Gläubige,

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lassen Sie sich von mir in einen Film entführen. Stellen Sie sich vor, wir sehen eine Gruppe Jugendlicher. Einer ist schon etwas älter, hat das größte Motorrad und zeigt durch seine ganze Körperhaltung und Ausstrahlung, wie cool er ist. Offensichtlich ist er hier der Boss. Die anderen scharen sich um ihn, sie bewundern ihn, schauen zu ihm auf, wollen, dass er sie akzeptiert und für voll nimmt. Was kann es Tolleres geben für diese Jungs, als Freunde dieses coolen Typen zu sein. Einer, offensichtlich der Jüngste, ist noch nicht wirklich Mitglied der Gang, aber er will es werden. Es gilt, eine Mutprobe zu bestehen, um ganz dazuzugehören. Um in die verschworene Gemeinschaft einzutreten, muss man etwas tun, was man sonst nicht tut, was gefährlich und unerlaubt ist: Wenn die Ampel an der Kreuzung in 100 m Entfernung von grün auf gelb schaltet, gilt es mit dem Motorrad auf sie zuzurasen und voll zu beschleunigen, um noch bei gelb über die Kreuzung zu donnern. Ist man nicht schnell genug, wird man entweder vorher abbremsen müssen, dann ist man ein Versager; oder man wird stur weiterbeschleunigen und bei rot in die Kreuzung rasen. Dann ist man ein Held, aber möglicher Weise ein toter.

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Wir sehen, wie der Junge zögert. Er möchte dazugehören, er will dabei sein; aber er sieht auch die Gefahr für sein Leben und für das Leben anderer. Er hat Angst – und möchte doch so gerne dazugehören. Der coole Anführer der Gruppe spürt das Zögern, instinktiv bemerkt er den Konflikt in dem Jungen. Jetzt braucht es noch ein paar geschickt platzierte Worte, um das Zaudern zu überwinden und dem Jungen den letzten Schubs zu geben. „Wie war das, du möchtest mein Freund sein?“ – „Ja, das möchte ich.“ „Das kannst du ganz leicht werden. Du bist mein Freund – ihr alle seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch sage.“

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 Liebe Gläubige,

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mich reißt es an dieser Stelle aus dem Film. Ich stutze, denke nach, bin ganz erschrocken: da sagt doch unser Gangleader im Prinzip das gleiche wie Jesus im heutigen Evangelium, nur nicht ganz so gestelzt: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage.“ Ja, bei Licht betrachtet: sagen nicht alle Anführer und „Führer“, große Diktatoren und kleine Mafiabosse letztlich das selbe: Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch anschaffe – und unausgesprochen schwingt mit: wenn ihr es mal nicht mehr tut, dann ist es aus mit der Freundschaft, dann könnt ihr euch auf was gefasst machen. Und so möchte man fragen: Wo ist denn der Unterschied zwischen Jesus und diesen Leuten? Warum ist es bei ihnen gefährlich, wenn man sich auf diese Form der Freundschaft einlässt, und bei Jesus soll es heilsam und gut sein?

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Wenn wir in die heutigen Texte genauer hineinschauen, können wir sehen, was die wichtigsten Unterschiede sind:

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„Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“: bei unseren Idolen aller Art, ist es umgekehrt. Menschen, die wir bewundern, haben nicht uns als ihre Bewunderer erwählt, sondern wir haben uns ein Idol ausgesucht, das wir bewundern und dessen Anerkennung uns wichtig ist. Man sieht das gut daran, dass ja Idole auch Menschen sein können, die uns gar nicht kennen: Filmstars, Fußballhelden usw. Sie haben uns nie gesehen, nur wir kennen sie und bewundern sie: wir haben sie erwählt, nicht sie uns. Christus aber hebt sich davon ab: Die Beziehung zu ihm ist eine, zu der er jede und jeden einlädt, persönlich, uns erwählt und beruft. Diese scheinbare Nebensächlichkeit, wer jetzt wen „erwählt“, ist letztlich zentral: nur wenn ich erwählt werde und mir mein Idol nicht selber wähle, kann ich mir wirklich sicher sein, dass seine Zuwendung echt ist und nicht gespielt; und ich kann mir sicher sein, dass ich hier nicht eine Projektionsfläche vor mir habe, in die ich meine Sehnsüchte wie in einer große Illusion versenke. Er hat uns erwählt – nicht, weil er etwas von uns will, nicht damit wir ihn anhimmeln, sondern „dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt“. Wir dürfen unsere eigene Frucht bringen. An einer anderen Stelle drückt Jesus dasselbe mit anderen Worten aus: „ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Nicht er gewinnt etwas aus unserer Bewunderung, sondern er will uns alles schenken durch seine Erwählung.

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„Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut.“ Unsere Bandenmitglieder aus dem Film wissen nicht, was ihr Boss tut. Sie sind darauf angewiesen, das, was er von ihnen will, in Einzelanweisungen entgegenzunehmen. Und er ist der feine Macker, der die anderen rödeln lässt. So eine Art von Freundschaft, ist keine; sie ist ein Knechtsverhältnis. Der Boss befiehlt, was ihm einfällt – auch bei rot über die Kreuzung zu fahren – und die Knechte haben zu spuren. Nicht so bei Jesus. Er will keinen Blankoscheck für Gehorsam, sondern er sagt uns offen, was sein Anliegen ist, und er begründet es mit dem, was er getan hat:

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„Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ Nicht die anderen bei rot auf die Kreuzung schicken, um ihnen einen Freundschaftsbeweis abzuringen, sondern selber auf die Kreuzung laufen und sich überfahren lassen, wenn man anders die Freunde nicht retten kann – das war sein Verhalten. Und er rettete ja nicht nur die, die auf der Kreuzung in Lebensgefahr waren, sondern auch jene, die sie überfahren hätten. Man könnte also sogar zuspitzen und sagen: Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Feinde hingibt und sie dadurch zu Freunden macht (vgl. Röm 5,10). Jesu Mutprobe war genau anders herum als die in unserem Film: er selber hat sein Leben riskiert und verloren für seine Freunde – nicht umgekehrt.

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Und schließlich: Was ist es denn, das Jesus uns aufträgt? Eine asketische Fastendisziplin oder moralische Höchstleistungen? Unterwerfung und Ehrerbietung? „Dies trage ich euch auf: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe.“ – Nicht mehr und nicht weniger, als was er selbst für uns getan hat: sich mit seiner ganzen Existenz dafür einzusetzen, dass Menschen (wir und andere) das Leben in Fülle haben, das ist sein Gebot an uns.

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Was dafür jeweils nötig ist, das ist in der Tat abhängig von vielen Einzelheiten. Das kann eine liebevolle Umarmung ebenso sein, wie ein kritisch-konfrontatives Wort oder – im Extremfall – der Einsatz des eigenen Lebens. Aber all diese Dinge sind nicht Einzelbefehle, die ein Big Boss nach Lust und Laune willkürlich erteilen würde. Es sind die Konkretisierungen einer einzigen Lebenshaltung, der Haltung der Liebe für die Menschen und ihr Leben. Die heutigen Texte fordern uns auf, doch ganz ernst zu nehmen, dass Gott die Liebe ist; und dass diese Liebe uns erwählt hat, auf sie mit Liebe zu antworten. Diese göttliche Liebe gibt uns die Garantie dafür, dass wir mit unserer Liebe nicht uns selber verlieren, sondern im Gegenteil immer mehr wir selbst werden in der Liebe Gottes.

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Papst Benedikt hat diese göttliche Liebe zum Thema seiner ersten Enzyklika gemacht und damit das Zentrum unseres Glaubens an den Anfang seines Pontifikats gestellt. Ich möchte daher mit einem Satz aus dieser Enzyklika schließen. Der Papst schreibt: „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.“ (1) Ich wünsche uns, dass wir dieser Person, Jesus Christus, immer tiefer begegnen, so dass der neue Horizont und die entscheidende Richtung in unserem Leben immer deutlicher werden.

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Anmerkungen:  

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 1.

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1 http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/encyclicals/documents/hf_b en-xvi_enc_20051225_deus-caritas-est_ge.html

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