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Fundgrube der Feuilletonforschung

Ein Schwerpunktheft der "Zeitschrift für Germanistik" zur "Poetik und Medialität des Feuilletons". Von Marc Reichwein


Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge, Jg. XXII (2012), Nr. 3. Hrsg. von Erhard Schütz, Alexander Košenina, Steffen Martus, Ulrike Vedder. Bern: Peter Lang, 2012. 274 S. ISSN: 0323-7982. Preis [A]: € 51,50.

Feuilletonforschung jenseits aktueller Debatten muss man normalerweise suchen. Umso mehr freut es, dass die Herausgeber der Zeitschrift für Germanistik (ZfG) sich für dieses Schwerpunktheft entschieden haben: „Zur Poetik und Medialität des Feuilletons“.[1] Sieben Aufsätze, 18 Berichte über laufende Forschungsprojekte und ein Dutzend Buchbesprechungen illustrieren ein Interessengebiet, das unter Zeitungs- wie Literaturwissenschaftlern zwar eine lange Tradition,[2] aber leider so gar keine feste institutionelle Heimat hat. Ja, noch nicht einmal ein eigenes Journal für Forschungsmitteilungen. Immerhin: Die ZfG bemüht sich – namentlich in Person ihres Mitherausgebers Erhard Schütz – seit  Jahren, wenigstens sporadisch Schlaglichter auf die Feuilletonforschung zu werfen.

Der vorliegende Band informiert gebündelt über disperse Forschungsaktivitäten, zum ersten Mal übrigens seit einer einschlägigen Publikation[3] zum Thema – und das ist definitiv im Sinne einer fortgesetzten Vernetzung des Fachs.

Ein instruktives Vorwort führt in die Materie ein. Es deutet über den aktuellen Stand der Feuilletonforschung hinaus auch an, wohin die Reise gehen kann und gehen soll: Diachron sind vor allem NS- und DDR-Feuilletonistik „noch weithin terra incognita“. Synchron stehen Blogs und Kolumnen für beispielhafte Formate zeitgemäßen Feuilletons.

Die ans Vorwort anschließende Auswahlbibliografie bietet jedem, der sich für das Feuilleton als Rubrik (Zeitungsressort), Genre (Kleine Form) oder Stil (Feuilletonismus) interessiert, eine wertvolle Fundgrube. Regelmäßig vergessen wird nur immer die Hildesheimer Schule. Dabei passen Stephan Porombkas Überlegungen zum Kulturjournalismus[4] im Grunde perfekt zu Hildegard Kernmayer, die in der ZfG auf „feuilletonistische Vertextungsregeln“ zu sprechen kommt. Genauer gesagt jene Schreibhaltung, die mit der „spielerischen Inszenierung“ bestimmter Sprechmodi einhergeht und zu der dann eben genau jene Verfahren gehören, die Porombka als Polemisierung, Symptomatisierung und Kontextualisierung beschreibt. Überhaupt deutet sich vage an, dass die Forschung, wo sie dem Phänomen Feuilleton definitorisch nur bedingt beikommen kann, sich zukünftig mehr auf Typologisches spezialisieren könnte.

Beispiele dafür liefern die weiteren Aufsätze. Gustav Frank und Stefan Scherer stellen Überlegungen zum generischen Ort des Feuilletons an. Ein interessanter Ansatz, gerade auch in Abgrenzung zum Essay, der sich als Gattung historisch parallel entwickelt. Der Beitrag wartet mit ein paar schönen Arbeitsthesen zur Funktion von Feuilleton im Mediengefüge auf: Feuilleton als Ort, an dem sich Medienkommunikation „durch Gesten der Sprachmächtigkeit anreichert“ (S. 524). Oder: Feuilletonismus als Komplementärfunktion zur Informationsfunktion der Medien, die die reinen Nachrichten „im Wissensgefüge des kulturellen Gedächtnisses verhandelt“ und „auf Interessantes, Brauchbares, Typisches oder Haltbares abtastet“ (528). Viel von dem, was Kritik, auch Literaturkritik, implizit definiert, ist hier angesprochen.

Claudia Öhlschläger widmet sich unter Rückgriff auf Roland Barthes dem „punctum“, also dem Detail, dem sprichwörtlich Nebensächlichen, das fürs feuilletonistische Abbilden von Wirklichkeit so konstitutiv zu sein scheint. An fotografischen Städtebildern und feuilletonistischen von Größen wie Walter Benjamin oder Siegfried Kracauer zeigt sie auf, wie ein Modus der Stadtlektüre entsteht. Von hier aus wäre es übrigens – weitergehend – lohnend, Vergleiche zur Gegenwart zu ziehen: Wie machen es Kritiker mit Schwerpunkt Städtebau und Architektur heute? Und wo finden wir den Flaneur? Es nicht notwendig, aber wäre manchmal schon ergiebig, wenn LiteraturwissenschaftlerInnen, die zum Feuilleton forschen, auch Kenntnis vom heutigen Ressort haben.

Aus der Phalanx der Projektberichte zeichnet sich ab, welche Perlen der Feuilletonforschung zurzeit oder demnächst gehoben werden: Kerr, Fontane oder Robert Walser erscheinen da schon fast als übliche Verdächtige. Studien zu Feuilletonschreiberinnen wie Emmy Hennings oder Annemarie Schwarzenbach bedienen Desiderate; gleiches gilt für Feuilletonisten aus der zweiten Reihe wie Hermann Bahr.

Weiters laufen Untersuchungen zu spezifischen Presseorganen. Ein Projekt zum Feuilleton im Exil fokussiert zum Beispiel auf die Basler National-Zeitung mit ihrem rührigen Feuilletonredakteur Otto Kleiber. Das wird eine jüngst erschienene Studie über „Die Schweiz und die literarischen Flüchtlinge (1933-1945)“ sinnvoll ergänzen und macht darüber hinaus deutlich, dass auch Redakteure, die dem Feuilleton ‚nur’ als Blattmacher dienten, in den Fokus der Forschung gehören.

Jutta Bendts Aufsatz zur bibliothekarischen Archivierung von Zeitungsausschnitten und verwandten Materialien des literarischen Lebens im DLA Marbach dürfte vor allem im Abgleich mit dem Angebot des Innsbrucker Zeitungsarchivs interessant sein. Laurence van Nuijs berichtet von der neuen Dynamik der Feuilletonforschung in der französischen Literaturwissenschaft. Akteure der Wissenschaftsorganisation hierzulande, bitte nacheifern!

Von den rezensierten Feuilleton-Publikationen lassen namentlich eine Biografie über Benno Reifenberg und eine Studie über das „Feuilleton zwischen den Kriegen“ aufhorchen. Wie weit es das Feuilleton und die Zeitungswelt ihrerseits zum literarisches Sujet gebracht haben, bezeugen die Hinweise auf Bücher zur „Pressekritik in der Literatur des 19. und frühen 20. Jahrunderts“ und zur „Zeitung in der Lyrik“: Goethes „Schlagt ihn tot, den Hund! Er ist ein Rezensent“ ist demnach nur die Spitze eines Eisberges an Gedichten, in denen Literaten mit fiesen Feuilletonschreibern abrechnen.

Fazit

Den Herausgebern der Zeitschrift für Germanistik ist für diesen unverhofft großen Findling der Feuilletonforschung zu danken. Der Forschung selbst möchte man mehr Vernetzung und gegenseitige Kenntnisnahme (warum nicht über eine gemeinsame Plattform im Internet?) wünschen. Dem Gegenstand, für den das hier alles stattfindet, kann man nur sagen: „Run, Feuilleton, Run!“


Marc Reichwein, 14.12.2012

marc_reichwein@yahoo.de

 



[1] Als Gastherausgeberinnen fungierten Hildegard Kernmayer (Graz) und Barbara von Reibnitz (Basel).

[2] Der Auftakt erfolgt durch: Ernst Eckstein: Beiträge zur Geschichte des Feuilletons. Leipzig: Johann Friedrich Hartknoch, 1876.

[3] Kai Kauffmann, Erhard Schütz (Hrsg.): Die lange Geschichte der Kleinen Form. Beiträge zur Feuilletonforschung. Berlin: Weidler 2000.

[4] Vgl. Stephan Porombka: Kulturjournalismus. In: Thomas Anz (Hrsg.): Handbuch Literaturwissenschaft. Bd. 3: Institutionen und Praxisfelder. Stuttgart: Metzler, 2007, S. 270-283, hier 275 ff.