Pazifismus, Leierkästen und Politik

Vergangenen Freitag war auf Einladung interdisziplinären Frankreich-Schwerpunkts der französische Drehorgelspieler „Riton la Manivelle“ zu Gast in Innsbruck. Monsieur „La chanson“, Heinz-Christian Sauer, moderierte den Abend.
v.l.n.r.: Riton la Manivelle, Eva Lavric, Heinz Christian Sauer
v.l.n.r.: Riton la Manivelle, Eva Lavric, Heinz Christian Sauer

Das Ergebnis war die Erkenntnis, dass man mit dem Leierkasten ganz ordentlich Stimmung machen kann – im harmlosen wie auch im politischen Sinn –, dass man aber all die mehr oder weniger revolutionären, mehr oder weniger anarchistischen, mehr oder weniger pazifistischen Lieder erst so richtig versteht, wenn sie in ihren historischen und künstlerischen Kontext gestellt werden. Vom Liebeslied aus der Zeit der Pariser „Commune“, über das Anti-Deutschen-Hetzlied aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, bis zur Hymne auf das 17. Infanterieregiment, das sich weigerte, auf das demonstrierende Landvolk zu schießen, erwies sich, dass sich das Chanson als wirkungsvolles Propagandamittel vor so ziemlich jeden politischen Karren spannen lässt.

 

Neben dem sozialen Engagement und der Kritik der herrschenden Klasse zog sich vor allem das Antikriegs-Motiv durch den gesamten Abend: In einem Lied über die Kämpfe Garibaldis in Sizilien erkennt ein Soldat in dem von ihm getöteten „Feind“ einen Bruder, den er nie vergessen wird können; in der „chanson de Craonne“ lehnen sich die als Kanonenfutter verheizten Soldaten in den Schützengräben des ersten Weltkriegs gegen ihr Schicksal auf; und schließlich, als Abschluss des Abends, schreibt Boris Vian in seinem berühmten Chanson „le déserteur“ (aus der Zeit des Indochina- und des Algerienkrieges) dem Präsidenten einen Brief, in dem er in naivem Ton erklärt, warum er dem soeben erhaltenen Stellungsbefehl nicht Folge leisten wird.

 

Die Drehorgel, auch Leierkasten genannt, wäre unter der französischen Revolution beinahe verboten worden, da die Straßensänger damit, wie in allen Zeiten und Ländern, den Mächtigen unbequeme – in dem Fall anti-revolutionäre – Lieder verbreiteten. Kein geringerer als Danton hielt in der konstituierenden Volksversammlung eine Rede zu ihrer Verteidigung, nur eine Woche, bevor er selbst unter der Guillotine zum Opfer der Revolution wurde.

 

Die Zeit nach den napoleonischen Kriegen brachte in Europa einen Aufschwung des populären Instruments, da sowohl Frankreich als auch Preußen den Kriegsversehrten anboten, zwischen einer (lächerlich geringen) Rente und einer Lizenz zum Drehorgelspielen samt dazugehörigem Instrument zu wählen.

 

Die beiden Stars des Abends, die vom zahlreich erschienenen Publikum heftig beklatscht wurden, haben – das verriet Frankreich-Schwerpunkt-Leiterin Eva Lavric in ihrer Einleitung – eine unerwartete Eigenschaft gemeinsam: Beide sind sie Präsidenten. Heinz-Christian Sauer, der als Manager gearbeitet und daneben dreißig Jahre lang die Radiosendung „La chanson“ gestaltet hat, ist heute Präsident der österreichisch-französischen Vereinigung; und Riton la Manivelle, der von Tallin bis Tokyo in allen großen Städten gespielt hat, ist Präsident des französischen Verbands der Straßenmusikanten.

(ip)

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