Normen
Stichworte
Inhaltsverzeichnis
SCHNELL GENAU UMFASSEND
Kapitel 7
Das Sachenrecht wird zutreffend als das Recht der Sachgüterzuordnung charakterisiert, das Schuldrecht – komplementär dazu – als Recht der Güterbewegung. Dazu wird behauptet, das Sachenrecht sei statisch, während das Schuldrecht dynamisch sei. Allein diese Gegenüberstellung bleibt an der Oberfläche; denn entgegen dieser Aussage tritt die rechtliche Güterbewegung – sei es ein Eigentums- oder ein anderer dinglicher Rechtserwerb – nicht schon durch die schuldrechtliche Verpflichtung, sondern erst durch die sachenrechtliche Verfügung ein; zB Eigentumserwerb durch die Übergabe beweglicher Sachen oder an Liegenschaften durch deren Verbücherung. Gemeint ist mit dieser Charakterisierung wohl der gravierende Unterschied zwischen dem Schuldrecht und Sachenrecht in Bezug auf die in diesen Bereichen geltenden Prinzipien der Vertragsfreiheit auf der einen und des Typenzwangs auf der anderen Seite.
Überblick
Ist es Aufgabe des Sachenrechts für die nötige Rechtssicherheit der Güterzuordnung und damit wichtige Gebrauchs- und Vermögenswerte zu sorgen, verfolgt das Schuldrecht das Ziel, die vielfältigen Interessen der Parteien im Rahmen ihrer rechtsgeschäftlichen Kontakte möglichst effizient und funktional aufeinander abzustimmen. Das dafür nötige Instrumentarium wird durch die Rechtsinstitute des Schuldrechts zur Verfügung gestellt. Diesen unterschiedlichen Zielsetzungen und Aufgaben von Schuld- und Sachenrecht entsprechen die divergierenden, aber jeweils zentralen Prinzipien von Typenzwang und Vertragsfreiheit.
Eingegangen wird idF nach einer Darstellung allgemeiner Fragen des Schuldrechts (A.: zB Schuld und Forderung, Schuldvertrag und Schuldverhältnis, Schuld und Haftung, Leistung / Erfüllung, Novation, Vergleich und Anerkenntnis) auf den praktisch so bedeutenden Bereich der Leistungsstörungen mit seinen zentralen Rechtsinstituten des Verzugs und der Gewährleistung (B.). Dabei wird auch auf die Produkthaftung (B. VI.) und nunmehr in Form eines Links kurz auf die positiven Vertragsverletzungen (B. IX.) eingegangen.
A. Das Schuldrecht
I. Vorbemerkungen
Das ABGB zählt das Schuldrecht (noch) zu den persönlichen Sachenrechten, die zusammen mit den dinglichen Sachenrechten das Vermögensrecht des ABGB bilden. Die moderne pandektistische Stoffeinteilung dagegen weist das Schuldrecht als eigenen Bereich des bürgerlichen Rechts aus und unterteilt ihn in Schuldrecht Allgemeiner Teil / SchRAT und Schuldrecht Besonderer Teil / SchRBesT.
SchRAT und SchRBesT
Die Stoffübersicht (→ KAPITEL 1: Stoffüberblick nach dem Pandektensystem) zeigt, welche Themen im praktisch wie didaktisch wichtigen Schuldrecht behandelt werden.
Das Schuldrecht trägt seinen Namen zurecht. Der Schuldner ist die Hauptperson jedes Schuldvertrags und idF vor allem des Schuldverhältnisses. Auf ihn vertraut der Gläubiger. Der Begriff „Gläubiger” ist eine Übersetzung aus dem Lateinischen: „creditor” (Gläubiger) kommt von credo, glauben, vertrauen. Der Gläubiger vertraut dem Schuldner hinsichtlich dessen Leistungsfähigkeit und -willigkeit. Die Forderung eines Gläubigers ist immer nur so viel „wert”, wie der Schuldner, gegen den sie sich richtet. Will sich ein Gläubiger damit nicht begnügen, muss er zusätzliche „Sicherheiten” für seine Forderung begründen → KAPITEL 15: (Privat)Rechtliche Sicherungsmittel.
Schuldner ist Hauptperson
Sie begründen zwischen Gläubiger und Schuldner (aber nur zwischen ihnen!) ein besonderes Rechts- und Vertrauensverhältnis, das auf ein der Vereinbarung entsprechendes „obligationsmäßiges” Verhalten des Schuldners gerichtet ist. Dritte haben daran grundsätzlich keinen Anteil. Zu den gesetzlichen Schuldverhältnissen → Entstehungsgründe von Schuldverhältnissen Ehe auf die wichtigen Fragen der „Leistung” und die „Leistungsstörungen” eingegangen wird, soll das Schuldrecht kurz skizziert werden.
Vertragliche Schuldverhältnisse
1. Die Forderungsrechte als relative Rechte
Wir haben in Kapitel 1 von der Einteilung der subjektiven Rechte gesprochen und dabei die Forderungsrechte als relative Rechte – dh grundsätzlich nur gegen und zwischen bestimmte/n Personen wirkende Rechte – kennengelernt. Schuldrecht erzeugt relatives Recht und wirkt zwischen den Parteien (inter partes) des Schuldvertrags, der sich häufig zum Schuldverhältnis (aus)weitet → Schuldvertrag und Schuldverhältnis
§ 859 ABGB spricht davon, dass im Schuldrecht „eine Person einer anderen zu einer Leistung verbunden ist” und betont damit ebenfalls die relative Wirkung des Schuldrechts. Konkret bedeutet das, dass zB ein Kaufvertragsgläubiger seine Kaufpreisforderung (und allfällige weitere Ansprüche) nur von seinem Vertragspartner, dem Käufer, verlangen kann (und von niemand anderem); und dem Käufer steht sein Sachleistungsanspruch nur gegen den Verkäufer zu. – Das scheint mehr als selbstverständlich, muss aber zur Betonung des Unterschieds von Schuld- und Sachenrecht gesagt werden.
Wirkung des Schuldrechts
Ganz anders nämlich ist die Wirkung des Sachenrechts und anderer absoluter Rechte, die gegen alle/jedermann, also auch gegen dritte Personen wirken, mit denen vorher keine Rechtsbeziehung bestanden hat. Man kann das auch so ausdrücken, dass die Sachenrechte – verglichen mit den Schuldrechten – eine unvergleichlich stärkere rechtliche Außenwirkung besitzen, während sich Schuldrechte vornehmlich auf die Innenwirkung beschränken.
Wirkung des Sachenrechts
Allein ganz ohne Außenwirkung sind auch relative Rechte nicht. Zur Verletzung / Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte → KAPITEL 11: Verletzung fremder Forderungsrechte.
Absolute Rechte (→ KAPITEL 1: Absolute und relative Rechte) sind bspw gewisse personen- und familienrechtliche Ansprüche (zB die Persönlichkeitsrechte des § 16 ABGB) und vor allem auch die sachenrechtlichen Rechtspositionen, also dingliche Ansprüche. So wird die rechtliche Stellung des Eigentümers gegen jedermann geschützt und nicht nur gegenüber bestimmten Personen; vgl die Formulierungen der §§ 354, 366 ABGB. – Auch die Immaterialgüterrechte sind absolute Rechte ...... Lercher
Das Schuldrecht ist zwar älter als der Allgemeine Teil des bürgerlichen Rechts, aber jünger als das Sachenrecht. Seine Bedeutung im Rechts- und Wirtschaftsleben übertrifft aber alle anderen Teile des bürgerlichen Rechts.
Bedeutung des Schuldrechts
Das Schuldrecht kann als das Recht der Schuldverträge und der – vertraglichen wie gesetzlichen – Schuldverhältnisse umschrieben werden. Im Mittelpunkt des Schuldrechts steht die Lehre von der Leistung, die – wie die von den Leistungsstörungen – traditioneller Weise im „SchRAT” angesiedelt ist und hier – losgelöst vom einzelnen Schuldvertrag und Schuldverhältnis – dargestellt wird. Die Darstellungsweise ist daher notwendigerweise – wie in jedem „Allgemeinen Teil” – abstrakt.
SchR: Recht der Schuldverträge und sonstigen Schuldverhältnisse
Im Rechtsleben begegnen uns diese Fragenbereiche dagegen konkret: Etwa als Schuld oder Forderung des Herrn B aus einem Kaufvertrag mit Frau A. – Oder: Die Leistungspflicht des Schlossers A, der einen Rohrbruch zu reparieren hat. Oder: Das Arbeitsverhältnis zwischen der Krankenschwester M und einem Krankenhaus.
nach oben
2. Entstehungsgründe von Schuldverhältnissen
Literaturquelle
§ 859 ABGB umschreibt – wie wir gehört haben – die persönlichen Sachenrechte (= Schuldrecht) als Rechtsverhältnisse, „vermöge welcher eine Person [= der Schuldner] einer anderen [= dem Gläubiger] zu einer Leistung verbunden ist” und fügt hinzu, dass sich diese Leistungspflicht entweder:
§ 859 ABGB
• „ unmittelbar auf ein Gesetz [zB Unterhaltsansprüche von Kindern gegen ihre Eltern oder vice versa; §§ 140, 166, 143 ABGB];
• oder auf ein Rechtsgeschäft [zB KaufV];
• oder auf eine erlittene Beschädigung” [zB deliktische Schädigung = Schadenersatz: §§ 1293 ff ABGB] gründet; dazu .
Wir unterscheiden daher – vergröbernd:
Schuldverhältnisse aus Vertrag (obligationes ex contractu) und
Schuldverhältnisse aus Delikt (obligationes ex delicto).
Alle entstandenen Schuldverhältnisse – vertragliche wie gesetzliche (also auch Deliktsobligationen) – genießen als rechtliche Sonderbeziehungen einen besonderen (schadenersatz)rechtlichen Schutz. Dieser äußert sich einerseits darin, dass:
Rechtliche Sonderbeziehungen
• die Erfüllungsgehilfenhaftung des § 1313a ABGB zum Tragen kommt (im Gegensatz zur Besorgungsgehilfenhaftung des § 1315 ABGB für den deliktischen Bereich → KAPITEL 10: § 1315 ABGB: Besorgungsgehilfenhaftung) und zudem grundsätzlich
• die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB (im Gegensatz zur normalen Beweislast des § 1296 ABGB) gilt → KAPITEL 10: Beweislast.
Die Römer umschrieben – griechisch und orientalisch vermittelt – die rechtliche Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner bildhaft als rechtliches Band: Obligatio est iuris vinculum, quo necessitate adstringimur alicuius solvendae rei secundum nostrae civitatis iura (Justinian); vgl noch CodTher III 1 Num 3. Sie betonten bereits, dass (bestimmte) schuldrechtliche Verpflichtungen durch bloße Willensübereinstimmung / Konsens entstehen, sei es bei Kauf, Miete, Gesellschaftsvertrag oder Auftrag; Konsensualverträge. Anders die Realverträge! SIEHE Kap 3......
Schuldverhältnisse, die auf Rechtsgeschäft beruhen, gründen in der Vertragsfreiheit (die eigentlich Rechtsgeschäftsfreiheit heißen müsste) und der Privatautonomie → KAPITEL 5: Vertragsfreiheit und Privatautonomie. Wir sprechen dabei vom Prinzip der Selbstgestaltung durch die Parteien des Rechtsgeschäfts; W. Flume, F. Gschnitzer. – Vertragsfreiheit und Privatautonomie werden aus dem verfassungsrechtlich geschützten Prinzip der Selbstbestimmung abgeleitet, was derzeit nur umständlich und nicht ideal möglich ist. Ein neues Verankern dieses Prinzips in der Verfassung wäre daher erstrebenswert.
Privatautonomie als Prinzip der Selbstgestaltung
nach oben
3. Zur Abgrenzung von Schuld- und Sachenrecht
Abzugrenzen gilt es das Schuldrecht – aus praktischen wie didaktischen Gründen – insbesondere vom Sachenrecht, mit dem es aber in vielfältiger Verbindung und Wechselwirkung steht: zB Kauf – Eigentumsübertragung!
Zur Gegenüberstellung der funktionalen und inhaltlichen Unterschiede zwischen Schuld- und Sachenrecht vgl die Folie in → KAPITEL 8: Gegenüberstellung: SachenR ¿ Schuldrecht. – Zur Lehre von Titel und Modus SIEHE Kap 2......


Entstehungsgründe von Schuldverhältnissen
Abbildung 7.1:
Entstehungsgründe von Schuldverhältnissen


Das Schuldrecht
Abbildung 7.2:
Das Schuldrecht
nach oben
II. Schuld und Forderung – Schuldvertrag und Schuldverhältnis – Schuld und Haftung
1. Schuld und Forderung
Gschnitzer formuliert einprägsam: „Schuld ist die Verpflichtung einer Person [des Schuldners] gegenüber einer andern Person [dem Gläubiger] zu einer Leistung; Forderung das entsprechende Recht des Gläubigers gegen den Schuldner auf eine Leistung. Schuld und Forderung sind also dasselbe, von zwei Seiten betrachtet.”
Der Gläubiger besitzt danach ein Recht auf (die) Leistung des Schuldners; wir sagen, er hat ein Forderungsrecht oder einen Anspruch (auf die Leistung); er fordert. – Den Schuldner trifft die Verbindlichkeit /Pflicht zu einer Leistung(an den Gläubiger); er schuldet sie.
nach oben
2. Schuldvertrag und Schuldverhältnis
Der zwischen Gläubiger und Schuldner abgeschlossene Schuldvertrag erzeugt häufig nicht nur eine, sondern mehrere oder sogar viele – uU wiederkehrende – Leistungsansprüche und -pflichten; vgl die folgenden Beispiele. Die Gesamtheit dieser Rechte / Ansprüche und Pflichten zwischen den Parteien eines konkreten Schuldvertrags – also dieses Spektrum von Rechten und Pflichten – wird als Schuldverhältnis bezeichnet.
Schuldverhältnis
Besonders deutlich wird der Unterschied von Schuldvertrag (= Grundgeschäft iSv Grundlage, Basis des Schuldverhältnisses) und Schuldverhältnis bei den Dauerschuldverhältnissen, was die idF angeführten Beispiele von Miete und Arbeitsvertrag deutlich machen sollen.
Dauerschuldverhältnisse
So etwa bei der Miete, wo zB monatlich (immer wieder) Mietzinsansprüche und Mietzinszahlungspflichten entstehen. Dazu treten dauernd auf jeder Seite weitere Pflichten: zB die Pflicht des Mieters auf pflegliche Behandlung des Mietobjekts / Mobiliars und Ausbesserungs- und Reparaturpflichten auf Vermieterseite. Der einzelne Mietzinsanspruch kann verjähren (vgl die Diktion des § 1480 ABGB – „Forderungen … erlöschen in [3 J]; … – und damit dessen 2. HalbS und § 1486 Z 4 ABGB: „Das Recht selbst in 30 Jahren”), zediert oder verpfändet werden. Eine vereinbarte Wertsicherung gibt das Recht, den Mietzins unter bestimmten Voraussetzungen zu valorisieren → KAPITEL 15: Wertsicherung. Insbesondere bestehen aber idR beidseitige Kündigungsmöglichkeiten, also kontinuierliche Gestaltungsrechte hinsichtlich der Beendigung des bestehenden Schuldverhältnisses. Aber auch eine „ganze” Partei des Schuldverhältnisses, zB der Vermieter, kann durch Vertragsübernahme (→ KAPITEL 14: Die Vertragsübernahme) ausgewechselt werden; vgl auch § 1120 ABGB: Veräußerung der Bestandsache. – Neben dem Austausch einer Partei im Schuldverhältnis (mit all ihren Rechten und Pflichten! zB: Eintrittsrecht nach den §§ 12 und 14 MRG → KAPITEL 6: Was regelt das MRG? ¿ Überblick) kennt die Mietrechtspraxis auch das gespaltene Schuld(Miet-)verhältnis, wozu folgendes zu sagen ist: Die Unterscheidung von Schuldvertrag und Schuldverhältnis einerseits und zwischen den daraus entspringenden Rechten und/oder Pflichten andererseits ist für das Verständnis des gespaltenen Mietverhältnisses wichtig. Der typische Sachverhalt für die Entstehung eines gespaltenen Mietverhältnisses ist folgender: Ein eingemietetes Unternehmen wird zB veräußert. Da die Lage – und damit die Mietrechte – für das Unternehmen wesentlich ist, soll auch der Unternehmenskäufer „Mieter” der rechtlich geschützten Unternehmensräumlichkeiten werden. Eine vollständige Überbürdung der Rechtsstellung des Mieters (dh der aus dem Mietvertrag entspringenden Rechte und Pflichten!) ist aber nur mit Zustimmung des Vermieters möglich (zur Vertragsübernahme → KAPITEL 14: Die Vertragsübernahme), die jedoch nicht immer zu erlangen ist. Daher hat sich als Ausweg in der Praxis folgende Vorgangsweise herausgebildet: Der bisherige Mieter (= Verkäufer des Unternehmens) überträgt seine Mietrechte (!), mittels Zession an den Unternehmenskäufer, bleibt aber selbst noch Schuldner / Verpflichteter aus dem ursprünglichen Mietvertrag, denn auch die Schuldübernahme (→ KAPITEL 14: Der eigentliche Schuldnerwechsel) bedarf der Zustimmung des Gläubigers. Dadurch entsteht eine „Spaltung” des (bisher einheitlichen) Mietverhältnisses auf Mieterseite: Die Mietrechte stehen nunmehr dem (Unternehmens)Käufer zu, während für die Verbindlichkeiten (insbesondere den Mietzins) noch der ursprüngliche Mieter, also der (Unternehmens)Verkäufer, einzustehen hat. – § 46a Abs 5 MRG versucht eine Sanierung des gespaltenen Mietverhältnisses: Anerkennung des „neuen” Mieters durch den Vermieter bei gleichzeitiger Anhebung des bisherigen Hauptmietzinses nach § 16 Abs 1 MRG.
Miete
Seit Juli 2000 können im Fall der Neuvermietung alle Geschäftslokale befristet vermietet werden. In diesem Fall kann der Mieter dann sein Unternehmen aber nicht mehr (ohne weiteres) verkaufen, denn er könnte dann nur mehr seine befristete Rechtsstellung in Bezug auf das Mietverhältnis übertragen.
Ein Arbeitsvertrag begründet für beide Parteien, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, eine Reihe grundlegender Rechte und Pflichten; vor allem die Pflicht des Arbeitnehmers zu persönlicher Arbeitsleistung unter Weisung des Arbeitgebers und – korrespondierend dazu – die Pflicht des Arbeitgebers zur Entgeltzahlung. Diese Ansprüche, insbesondere die der Arbeitsleistung und Entgeltzahlung, werden immer wieder fällig; Monat für Monat: Monatslohn. Dazu kommen Ansprüche auf Urlaub, Abfindung oder Pflegefreistellung. Den Arbeitgeber treffen ferner Fürsorgepflichten, Arbeitnehmer sog Treuepflichten, wie die Verschwiegenheitspflicht oder ein Konkurrenzverbot. Für beide Seiten bestehen Kündigungsmöglichkeiten. – All das zusammen genommen macht das Arbeitsverhältnis aus. Zum Arbeitsvertrag → KAPITEL 12: Der Arbeitsvertrag.
Arbeitsvertrag
Kurz: Aus dem Schuldvertrag entsteht das Schuldverhältnis. Das gilt sinngemäß auch für Rechtsgebiete außerhalb des Schuldrechts, etwa das Familienrecht, wo aus dem Ehevertrag das eheliche Verhältnis zwischen den Gatten (mit vielfältigen wechselseitigen Rechten und Pflichten) entsteht. Im Sachenrecht entsteht bspw aus dem Vertrag, mit dem Wohnungseigentum begründet wird, die auf lange Zeit angelegte WE-Gemeinschaft (§ 13c Abs 1 WEG 1975 = § 18 WEG 2002) → KAPITEL 8: Eigentümergemeinschaft, Verwalter, Vorzugspfandrecht.
Beispiele
nach oben
3. Schuld und Haftung – Naturalobligationen
Wer etwas schuldet, haftet heute grundsätzlich auch (elbst) für die korrekte Erfüllung seiner Verbindlichkeit; dh es steht nicht in seinem Belieben, ob er das Geschuldete leistet, also zahlt oder nicht. – Gschnitzer: „Der Schuldner schuldet, soll leisten, ist zu leisten verpflichtet [Leistensollen]. Er haftet aber auch, muss leisten, kann zur Leistung gezwungen werden [Einstehenmüssen].”
Leistensollen und Einstehenmüssen
Zur Durchsetzung von Leistungsansprüchen im Zivilprozess () und mittels Mahnverfahren, als vereinfachter Art Geldansprüche bis 100.000 S (~ 7.265 ı) einzuklagen. – Zum Recht als organisierter Zwang → KAPITEL 1: Frieden und Ordnung als Rechtsfunktionen.
Es war aber nach mancher Meinung nicht immer so, dass der, der schuldete, auch selbst dafür haftete. Die für das moderne (Privat)Recht charakteristische innere Verknüpfung von Schuld und Haftung fehlte mitunter in frühen Recht(sordnung)en. Sollte in ihnen ein Schuldner nicht nur (schuldrechtlich) verpflichtet werden, sondern auch persönlich haften, musste diese Haftung durch einen zusätzlichen Rechtsakt begründet oder doch bestärkt werden. Fraglich bleibt, ob dieser zusätzliche Rechtsakt nicht bloß der konkreten Rechtsdurchsetzung diente und diese absicherte.
Verknüpfung von Schuld und Haftung
Das alte germanische und deutsche Recht baute noch auf der Trennung von Schuld und Haftung auf und kannte bspw die sog Vergeiselung für eigene oder fremde Schuld als persönlichen Haftungsgrund. In alten Recht(sordnung)en bestand nämlich eine persönliche unmittelbare Haftung nur für begangene Delikte.
Die Entdeckung der in alten Rechten bestehenden Unterscheidung von Schuld und Haftung stellt eine Leistung germanistischer Rechtshistorie dar; Karl v. Amira, Otto v. Gierke. Diese Einsicht führte zur Entdeckung der hier aufgezeigten Unterscheidung im altgriechischen, babylonischen und schließlich auch im römischen Recht (R. Hübner).
Leistet der Schuldner das, was er schuldet, nicht, kann der Gläubiger seinen Anspruch zwangsweise durchsetzen. Diese zwangsweise gerichtliche Durchsetzungsmöglichkeit des Gläubigeranspruchs mittels Prozess und Exekution wird Haftung genannt.
Haftung
Selbsthilfe ist in diesem Zusammenhang heute – wie wir wissen – nur mehr ausnahmsweise gestattet; vgl §§ 19, 344 ABGB → KAPITEL 3: Zum Begriff erlaubter Selbsthilfe: § 19 ABGB. Früher, als der Staat und seine Organe noch schwach waren, konnte Selbsthilfe vertraglich vereinbart werden.
Erwirkt der Gläubiger im Prozess gegen seinen Schuldner ein stattgebendes Urteil, stellt dieses für ihn einen Exekutionstitel dar. Die Exekutionstitel sind in § 1 EO aufgezählt → KAPITEL 19: Exekutionstitel. Der Anspruch ist nun gerichtlich festgestellt (sog Judikatschuld) und dient nunmehr dem Gläubiger 30 Jahre (!) lang als rechtliche Basis der Exekution. Dabei haftet dem Gläubiger im Rahmen der Exekutionsführung grundsätzlich das gesamte, also auch das private, Schuldnervermögen. Man spricht deshalb von persönlicher Haftung des Schuldners, im Gegensatz zu bloßer Sachhaftung → KAPITEL 15: Sachhaftung. – Der Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner kann durch dritte Personen „befestigt”, dh zusätzlich gesichert werden; etwa durch Bürgschaft, Pfandbestellung oder Garantieübernahme → KAPITEL 15: Überblick.
Urteil = Exekutionstitel
Gschnitzer weist darauf hin, dass die Termini Schuld und Haftung nicht nur iSv Leistensollen und Leistenmüssen verstanden werden. So bedeutet „Haftung” im Schadenersatzrecht schlechthin die Ersatzpflicht des Schädigers, zB des Tierhalters nach § 1320 ABGB. – Darüber hinaus wird Haftung auch iSv Verantwortlichkeit gebraucht: Haftung für eigenes und fremdes Verschulden (§§ 1313a und 1315 ABGB); Bürge oder Garant haften ebenfalls für eine fremde Schuld. Auch in diesen Fällen kommt es demnach zu einer Trennung von Schuld und Haftung.
Schuld und Haftung treten auch im modernen Recht – wie wir gehört haben – zwar idR, aber nicht immer gemeinsam, dh funktional verschränkt, auf. Neben dem Regelfall gibt es Fälle, in denen etwas zwar geschuldet, nicht jedoch dafür gehaftet wird; Fälle von Schuld ohne Haftung. Die Naturalobligationen oder unvollkommene/natürliche Verbindlichkeiten sind ein solcher Fall. Das Gesetz lässt zwar die Erfüllung des Geschuldeten durch den Schuldner zu, weil dieser die Leistung nach wie vor schuldet, versagt dem Gläubiger aber die gerichtliche Durchsetzung seiner Forderung.
Naturalobligationen
Naturalobligationen sind zwar zahlbar, aber nicht mehr (ein)klagbar und daher auch nicht mittels Exekution durchsetzbar.
Merkformel
Literaturquelle
Woraus entstehen Naturalobligationen?
Beispiele
• Aus verjährten Schulden (§ 1432 ABGB), wobei die Verjährung nach § 1502 ABGB im Prozess eingewendet werden muss und nicht von Amts wegen beachtet wird → KAPITEL 13: Die Verjährung.
Eine versehentlich vom Schuldner bezahlte verjährte Schuld kann daher nicht zurück gefordert werden. Sie wurde ja noch geschuldet!
• Für Schulden, „welche nur aus Mangel der Förmlichkeiten ungültig” sind (formungültige Schulden) statuiert § 1432 ABGB, dass solche Schulden durch Erfüllung geheilt werden. Dazu auch → KAPITEL 15: Die Heilung von Formmängeln: § 1432 ABGB.
• Aus Spiel- und Wettschulden, wenn sie bloß versprochen und nicht auch tatsächlich erbracht oder hinterlegt wurden; §§ 1271, 1272 ABGB → KAPITEL 12: Glücksverträge ¿ Gewagte Geschäfte: Glücksverträge. – Nach § 1174 Abs 2 ABGB (→ KAPITEL 5: Die Kondiktionstypen des ABGB) kann aber ein für ein verbotenes Spiel gewährtes Darlehen nicht zurückverlangt werden.
• Aus Forderungsausfällen von Gläubigern im Ausgleich oder Zwangsausgleich ihres Schuldners; § 53 Abs 1 AO und § 156 Abs 1 KO. Vgl aber → KAPITEL 19: Zwangsausgleich: EvBl 1991/25.


Schuldvertrag und Schuldverhältnis (1)
Abbildung 7.3:
Schuldvertrag und Schuldverhältnis (1)


Schuldvertrag und Schuldverhältnis (2)
Abbildung 7.4:
Schuldvertrag und Schuldverhältnis (2)


Schuld und Forderung
Abbildung 7.5:
Schuld und Forderung


Schuld und Haftung (1)
Abbildung 7.6:
Schuld und Haftung (1)


Schuld und Haftung (2)
Abbildung 7.7:
Schuld und Haftung (2)


Schuld und Haftung (3)
Abbildung 7.8:
Schuld und Haftung (3)


Schuld und Haftung (4)
Abbildung 7.9:
Schuld und Haftung (4)
nach oben
III. Der Inhalt des Schuldverhältnisses: Leistung/Erfüllung/Zahlung
1. Arten der Leistung: Tun und Unterlassen
Schuldinhalt ist die Leistung des Schuldners. Diese „Leistung” kann in einem ganz verschiedenen (äußeren) Verhalten des Schuldners bestehen: – der Kaufmann oder Händler schuldet und liefert die verkaufte Ware (zB einen Pkw); – die Werkstätte repariert eine defekte Stereoanlage; – eine Telefonistin arbeitet in der Vermittlung und erbringt so ihre Leistung usw.
Allgemeiner ausgedrückt lässt sich sagen: Die zu erbringende „Leistung” kann in einem (positiven) Tun oder einem (negativen) Unterlassen bestehen; zB einer Unterlassungspflicht aufgrund einer vereinbarten Konkurrenzklausel oder eines gesetzlichen Konkurrenzverbots → KAPITEL 11: Rspr-Beispiele.
Tun oder Unterlassen
Wichtige Unterlassungspflichten beinhalten zahlreiche gesetzliche Verschwiegenheitspflichten; zB von Ärzten, Psychotherapeuten, Rechtsanwälten und Steuerberatern. – Im Servitutsvertrag (→ KAPITEL 8: Rechtserwerb: § 380 ABGB) räumt der Eigentümer des dienenden Grundstücks dem Eigentümer des herrschenden Grundstücks zB ein Geh- oder Fahrrecht ein. Die „Leistung” des Eigentümers des dienenden Grundstücks besteht hier in einem Unterlassen bestimmter (ihm an und für sich zustehender) Eigentumsausübungsrechte. – Die (negative) „Leistung” beim Unterlassen besteht darin, dass vereinbarungsgemäß auf etwas verzichtet wird, wozu man sonst berechtigt wäre.
Unterlassungspflichten
Zu den wichtigen gesetzlichen Konsequenzen der Übernahme einer vertraglichen Leistungspflicht seitens des Schuldners für seine Beweislast (§ 1298 ABGB) → KAPITEL 10: Konsequenzen.
nach oben
2. Unterlassungspflichten
Der Unterlassungsanspruch ist eine Rechtsfigur des (materiellen) Privatrechts, nicht des (formellen) Prozessrechts.
Als Voraussetzungen der Unterlassungsklage werden heute gefordert:
Unterlassungsklage
• entweder eine anhaltende / fortdauernde Störung oder
• das Vorliegen von Wiederholungsgefahr.
Unterlassungspflichten spielen sowohl aus Vertrag / ex contractu wie ohne einen solchen / ex delicto eine Rolle. Als Beispiel einer vertraglichen Unterlassungspflicht sei eine vereinbarte Konkurrenzklausel erwähnt, als Beispiel einer gesetzlichen Unterlassungspflicht das Konkurrenzverbot des § 112 HGB. Als Beispiel für deliktische Unterlassungspflichten wird auf die Haftung aus einer Garantenstellung (→ KAPITEL 10: Zur Haftung aus einer Garantenstellung) oder bei Verletzung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten (→ KAPITEL 6: Ausdehnung auf Verkehrssicherungspflichten) hingewiesen. – § 364c ABGB regelt ein „vertragsmäßiges oder letztwilliges Veräußerungs- oder Belastungsverbot”.
Zulässig ist nach hM aber auch schon eine vorbeugende Unterlassungsklage, die sich gegen eine drohende Verletzung / Gefährdung dinglicher, absoluter oder obligatorischer Rechte richtet. Gefordert wird dafür eine ernstzunehmende „Begehungsgefahr” (D. Medicus).
Vorbeugende Unterlassungsklage
Einfache oder vorbeugende Unterlassungsklagen spielen bspw im Nachbarrecht eine Rolle (§§ 364, 364a und b ABGB: Immissionen → KAPITEL 8: Die Immissionen ¿ Überblick; § 523 ABGB: Negatorienklage; § 339 ABGB iVm §§ 454 ff ZPO: Besitzstörungsklage → KAPITEL 3: Gerichtlicher Besitzschutz). – Ausdrücklich erwähnt wird der Unterlassungsanspruch in § 43 ABGB (Namensrecht / Persönlichkeitsrecht → KAPITEL 4: Wie werden Persönlichkeitsrechte geschützt?) oder in den §§ 1 und 9 ff UWG. – Dem AHG fehlen Unterlassungsansprüche betroffener Geschädigter. Das haben der Sri Chinmoy-Fall und der Platzbenennungsfall deutlich gemacht. Da sich der OGH weigert, diese gesetzliche Lücke judikativ mittels § 7 ABGB zu schließen, ist der Gesetzgeber aufgerufen → KAPITEL 11: § 7 ABGB: Die Lückenschließung.
Die Unterlassungsklage setzt kein Verschulden voraus; vgl § 43 ABGB. – Liegt aber Verschulden vor, kann neben der Unterlassung auch Schadenersatz begehrt werden. Die Unterlassungsklagen gehören zivilprozessual zu den Leistungsklagen → KAPITEL 19: Rechtsmittelklagen.
Kein Verschulden nötig
Auch die Verletzung von Schutzgesetzen verpflichtet – neben der Leistung von Schadenersatz (bei Verschulden) – zur Unterlassung; vgl EvBl 2002/32: Finanzstrafverfahren.
nach oben
3. Verknüpfung von Leistungspflichten
Beim Kauf (→ KAPITEL 2: Gegenseitige Pflichten aus dem Kaufvertrag ¿ Das Synallagma) wurde kurz auf den Begriff Synallagma eingegangen und zwischen genetischem, konditionalem und funktionellem Synallagma unterschieden. Der Begriff steht heute als Synonym für die bei entgeltlichen Verträgen ausgeprägte und notwendige Verschränkung beider Leistungsverpflichtungen (Gegenseitigkeit); vgl das römische Recht: do ut des.
Synallagma
Vgl dazu auch → KAPITEL 5: Ein-, zwei- und mehrseitige Willenserklärungen: Einteilung der Rechtsgeschäfte. – Der Begriff Synállagma stammt aus dem (Alt)Griechischen und bedeutete zunächst bloß: Geschäft, Vertrag, Übereinkunft; später wurde ihm die Bedeutung „Austausch” beigelegt.
Die Leistungspflichten der Vertragsparteien sind von unterschiedlicher Natur, Haupt- und Nebenpflichten sind zu unterscheiden.
Haupt(leistungs)- und Neben(leistungs) pflichten
Die synallagmatische Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung bei entgeltlichen Verträgen umfasst primär die Haupt(leistungs)pflichten; also bspw beim Kauf, den Austausch von Kaufgegenstand und Kaufpreis. Daneben bestehen immer wieder auch Neben(leistungs)pflichten, die das Erbringen der Hauptleistung ermöglichen, unterstützen, aber auch denkbaren Schaden oder Nachteile von Vertragspartnern abhalten sollen. – Zu erinnern ist daran, dass schon die Aufnahme eines rechtsgeschäftlichen Kontakts von Gesetzes wegen Schutz-, Sorgfalts- und Aufklärungspflichten entstehen lässt, ohne dass die Parteien dies vereinbaren müssen → KAPITEL 6: Cic ¿ culpa in contrahendo.
Zum Sinn von Neben(leistungs)pflichten vgl schon → KAPITEL 2: Haupt- und Nebenpflichten beim Kaufvertrag. Dort wird auf das Entstehen von Neben(leistungs)pflichten durch Treu und Glauben kurz eingegangen.
Sie bestimmen den konkreten Vertragstypus : etwa: Kauf oder Tausch; Darlehen, Schenkung oder Leihe; Dienst- oder Werkvertrag. – Je nach Ausgestaltung der Hauptleistungspflicht wird zwischen einseitig und zwei- oder wechselseitig verpflichtenden Verträgen unterschieden.
Hauptleistungspflichten
Sie können wiederum:
Neben(leistungs)pflichten
gesetzlich festgelegt sein;
so sind Ärzte nach § 51 ÄrzteG zu schriftlichen Behandlungsaufzeichnungen / sog Krankengeschichte verpflichtet und idF zu ihrer Heraus- und/oder Bekanntgabe sowie nach § 54 ÄrzteG zur Wahrung des Berufsgeheimnisses / ärztliche Schweigepflicht → KAPITEL 10: Verschwiegenheits-, Anzeige- und Meldepflichten.
• oder sich aus dem Vertrag ergeben, also konkret vereinbart werden; vertraglich können sie sich auch aus § 914 ABGB ergeben: Übung des redlichen Verkehrs.
Besitzen Neben(leistungs)pflichten Entgeltcharakter (sind sie Teil der Entgeltberechnung) spricht man von äquivalenten oder selbständigen Neben(leistungs)pflichten. Sie sind dann Teil von Leistung und Gegenleistung und ihre Verletzung löst bspw ebenso Schuldnerverzug und damit das Recht auf Rücktritt vom Vertrag aus (§ 918 ABGB), wie die Verletzung von Hauptpflichten.
Äquivalente Neben(leistungs)pflichten
Sie besitzen für den Gläubiger dagegen keinen selbständigen wirtschaftlichen Wert, sondern wollen vornehmlich den Erfolg der Hauptleistung fördern und sichern; zB Gebrauchsanweisung, Reparatur- oder Serviceanleitung oder Versendung der Ware, Vorbereitung der Hauptleistung. Während selbständige Nebenleistungen unabhängig von der Hauptleistung einklagbar sind, gilt das für unselbständige Nebenleistungen nicht, da ihnen nur eine untergeordnete / dienende Aufgabe zukommt. Ihre Verletzung kann aber schadenersatzpflichtig machen.
Unselbständige Nebenleistungen
Die Abgrenzung von Haupt- und Neben(leistungs)pflichten kann bei atypischen Verträgen Schwierigkeiten bereiten (Beweislast!), wozu kommt, dass Neben(leistungs)pflichten in der Form von Aufklärungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten immer wieder erst von der Rspr entwickelt werden müssen.
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
E des dtBGH 3.12.1998, ZR 63/96, Der Betrieb 1999, 1493: Warnpflicht des Autohändlers im Hinblick auf einen bevorstehenden Modellwechsel, der technische Verbesserungen bringt. Solche (von der Rspr entwickelte Nebenpflichten in Form von) Aufklärungspflichten besitzenaber über den Autohandel hinaus Bedeutung; zB im Buch- (Neuauflage!), Elektro-, Maschinen- oder Computerhandel.
SZ 55/7 (1982): Gastwirt verwahrt Kfz seines Gastes; Verwahrung als selbständige Nebenpflicht des Gastaufnahmevertrags → KAPITEL 3: Gesetzliche Gastwirtehaftung. (Diese Pflicht unterliegt nicht den gesetzlichen Haftungshöchstgrenzen!)
Zur Verletzung der Warnpflicht beim Werkvertrag (§ 1168a Satz 3 ABGB) → KAPITEL 12: Verletzung der Warnpflicht: § 1168a und die dort angeführten Beispiele. – Zu den sog positiven Vertragsverletzungen → KAPITEL 7: Zur sog positiven Vertragsverletzung (Link).
nach oben
4. Bestimmtheit der Leistung
Wir haben schon beim Kaufvertrag gehört, dass seine Perfektion Einigung über Kaufgegenstand und Kaufpreis voraussetzt und dass der Kaufpreis bestimmt oder doch bestimmbar sein muss. – Die Forderung nach Bestimmtheit der Leistung gilt aber nicht nur für den Kaufvertrag, sondern für alle Verträge. Nicht hinreichende Leistungsvereinbarung lässt den Vertrag gar nicht gültig entstehen; § 869 ABGB: Wahre Einwilligung.
Leistungsvereinbarungen müssen bestimmt oder doch bestimmbar erfolgen; sonst könnte später nicht auf die jeweilige (konkret geschuldete) Leistung gedrungen, geklagt und die Leistung daher nicht durchgesetzt werden. – Dieser Gedanke findet sich deshalb auch in § 936 ABGB (Vorvertrag → KAPITEL 6: Der Vorvertrag: § 936 ABGB): „ ... wesentliche[n] Stücke des Vertrages bestimmt ...”.
Bestimmt oder doch bestimmbar
Die Kriterien der Bestimmtheit der Leistung gelten für das bürgerliche und das Handelsrecht.
„Bestimmtheit“ gilt für ABGB und HGB
So müssen beim Kauf Gegenstand / Ware und Preis wenigstens objektiv bestimmbar sein. Mangels ausdrücklicher Bestimmung des Preises gilt im praktischen Rechtsleben oft ein Markt- oder Börsenpreis oder der ortsübliche Preis als vereinbart → KAPITEL 2: Preisbestimmungsmodalitäten.
nach oben
5. Leistungszeit und Leistungsort
Die für das Erbringen der Leistung wichtige Leistungs- oder Erfüllungszeit und der Erfüllungs- oder Leistungsort ergeben sich entweder:
• „aus dem Vertrag” (selbst);
• oder doch „aus der Natur und dem Zweck des Geschäfts” (Handkauf beim Bäcker oder Behandlung beim Therapeuten; der Behandlungsvertrag mit Arzt / Ärztin inkludiert uU auch Hausbesuche);
• oder letztlich „aus dem Gesetz”; §§ 904, 905 ABGB.
Zu Begriff und Inhalt der Fälligkeit und ihrer Bestimmung → Fälligkeit, Mahnung, Stundung, Kreditierung
Für jede vereinbarte Leistung müssen Zeit und Ort ihrer Erbringung wenigstens bestimmbar sein. Bei einem Kauf ist zB zu vereinbaren, ob der Verkäufer den Kaufgegenstand (zB Möbel) zu überbringen hat (Bringschuld) oder ob der Käufer die Ware beim Verkäufer abzuholen hat (Holschuld).
Bring- oder Holschhuld
Manche Leistungsangebote sind gerade deshalb günstiger, weil der Käufer die Ware selber abholt und transportiert, also eine Holschuld vereinbart wird; zB IKEA. – Im Rahmen einer Leistungsbeziehung kann eine primär bestehende Holschuld in eine Bringschuld umgewandelt werden.
Kurz: Für Schuldner und Gläubiger ist es wichtig, zu bestimmen, wann und wo die jeweilige Leistung erbracht werden muss, wobei hier auch Verkehrssitte und Handelsbrauch eine wichtige Rolle spielen. Denn danach muss jede Seite ihre Vorkehrungen treffen; zB der (Sach)Schuldner, um die Leistung zu erbringen (zB Möbel bestellen oder herstellen und die Finanzierung und den Transport organisieren); der Gläubiger (zB Käufer), um sie in Empfang zu nehmen (Lagerung etc), zu verwenden und seine Gegenleistung (den Kaufpreis) bereitzustellen.
Hauszustellungen, dh vertraglich vereinbarte Bringschulden, nehmen zu. Vor allem Lebensmittel-Zustelldienste werden von Großverkäufern direkt an Konsumenten geliefert. Es entstehen – zB auch als Dienstleistungen im Rahmen der Altenpflege – eigene oder firmenzugehörige Zustelldienste; zB: Express Mail Service (EMS) oder Merkur – Ihr Zustelldienst. Die Gratishauszustellung hängt idR von einem Mindestbestellwert ab (etwa 35 ı).
Bringschuld und Holschuld sind danach Varianten der Bestimmung des Erfüllungsorts. Bei der Bringschuld trifft den Schuldner die Pflicht, die geschuldete Leistung dem Gläubiger zu überbringen. Erfüllungsort ist hier der Wohnort oder die Niederlassung des Gläubigers. Bei der Holschuld muss sich der Gläubiger seine Leistung dagegen beim Schuldner holen. Erfüllungsort ist hier der Wohnsitz oder die Niederlassung des Schuldners. – Zu beachten ist, dass im Zweifel nach § 905 Abs 1 ABGB eine Holschuld anzunehmen ist.
Beispiel
Leistungszeit und Leistungsort gelten grundsätzlich sowohl für den Schuldner wie den Gläubiger, werden aber nicht selten unterschiedlich für beide Seiten festgelegt.
Bedeutung für Schuldner und Gläubiger
So erbringt beim Leibrentenvertrag (§§ 1284-1286 ABGB) der Verkäufer seine Leistung – etwa eine Eigentumsübertragung an einer Liegenschaft und/oder einem Unternehmen – unmittelbar im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss, während der Käufer seine Gegenleistung (in Geld) vereinbarungsgemäß in zeitlich bestimmten Teilleistungen (etwa monatlich oder halbjährig) erbringt, wozu noch die Besonderheit des Glücksvertragscharakters (→ KAPITEL 12: Glücksverträge ¿ Gewagte Geschäfte) des Leibrentenvertrags kommt. – Vgl auch → KAPITEL 2: Leibrentenvertrag. Natürlich wird es in so einem Fall sinnvoll sein, dass sich der Verkäufer rechtlich zusätzlich absichert; sich etwa eine Restkaufpreishypothek einräumen lässt → KAPITEL 2: Sicherungsmöglichkeiten beim Liegenschaftskauf? und → KAPITEL 15: Das Pfandrecht.
Leibrentenvertrag
Das Handelsrecht bestimmt in § 358 HGB einheitlich für Gläubiger und Schuldner: „Bei Handelsgeschäften kann die Leistung nur während der gewöhnlichen Geschäftszeit bewirkt und gefordert werden.”
Handelsrecht
§ 359 HGB: (1)
(1) „Ist als Zeit der Leistung das Frühjahr oder der Herbst oder ein in ähnlicher Weise bestimmter Zeitpunkt vereinbart, so entscheidet im Zweifel der Handelsgebrauch des Ortes der Leistung.”
(2) „Ist eine Frist von acht Tagen vereinbart, so sind hierunter im Zweifel volle acht Tage zu verstehen.”
Als Leistungszeit wird entweder ein Leistungszeitpunkt (zB der 9. November; allenfalls noch näher bestimmt: wie 12 Uhr) oder ein Leistungszeitraum vereinbart; etwa: Lieferung in der 42. Woche oder im Monat Februar oder noch weiter gefasst: Frühling 2003. In einem solchen Fall ist der konkrete Leistungstermin (also der genaue Lieferzeitpunkt) später erst noch einvernehmlich festzulegen; denn der Schuldner braucht idR den Gläubiger zur Erfüllung.
Leistungszeit
Beispiel
nach oben
6. Nichterfüllung und Schlechterfüllung
Der Schuldner hat seine Leistung erbracht, wenn er alles ihm – nach Vertrag und/oder Gesetz – Obliegende getan hat. Leistet der Schuldner nicht, nicht rechtzeitig odernicht am rechten Ort oder auf die richtige Weise, gerät er in (Schuldner)Verzug / Nichterfüllung; vgl die Legaldefinition des § 918 ABGB. Leistet er zwar, aber zB inhaltlich, dh qualitativ schlecht, hat er dafür einzustehen; Gewährleistung / Schlechterfüllung → Gewährleistung als „Schlecht-Erfüllung“
nach oben
7. §§ 904 und 905 ABGB
Diese Paragraphen treffen subsidiäre Regeln zur Bestimmung von Leistungszeit und Leistungsort. Subsidiär insoferne als sie nur zur Anwendung gelangen, wenn die Parteien keine anderweitige Regelung getroffen haben.
IdR vereinbaren die Vertragsparteien selbst im Vertrag oder in AGB Leistungszeitund -ort. Das Gesetz trifft aber auch Vorsorge dafür, wenn die Parteien das nicht tun. Wir haben gehört, dass es zB für einen gültigen Kaufvertragsabschluss zwar nötig ist, Kaufgegenstand und Kaufpreis zu bestimmen, nicht aber die uns hier interessierenden Punkte der Leistungszeit und des Leistungsortes anzusprechen und festzulegen → KAPITEL 2: Einigung über Nebenpunkte?. Tun die Parteien dies nicht, tritt an die Stelle der fehlenden Partei(en)vereinbarung die gesetzliche Regelung; konkret § 904 (Leistungszeit) oder § 905 ABGB (Leistungsort). Gesetz lesen!
Fehlende Parteivereinbarung
Durch die dispositivrechtliche Ergänzung wird die ansonsten (durch die fehlende Parteiabrede) bestehende Unvollständigkeit und Unsicherheit in Bezug auf Zeit und Ort der Leistung beseitigt; gesetzliche Lückenschließung einer vertraglichen Lücke. Zur Funktion des Dispositiv- oder nachgiebigen Rechts → KAPITEL 1: Nachgiebiges und zwingendes Recht.
Wichtig für die Bestimmung der Leistungszeit nach dem Gesetz ist vor allem der erste Satz des § 904 ABGB, wonach dann, wenn „keine gewisse Zeit für die Erfüllung des Vertrages bestimmt worden [ist]”, diese „sogleich, nämlich ohne unnötigen Aufschub, gefordert werden” kann.
§ 904 Satz1 ABGB
Für den Erfüllungsort bestimmt § 905 Abs 1 ABGB:
§ 905 Abs 1 ABGB
„Kann der Erfüllungsort weder aus der Verabredung [= Vertrag] noch aus der Natur oder dem Zwecke des Geschäftes [= zB Friseur, Baumeister] bestimmt werden, so ist an dem Orte zu leisten, wo der Schuldner zur Zeit des Vertragsabschlusses seinen Wohnsitz hat, oder, wenn die Verbindlichkeit im Betriebe des gewerblichen oder geschäftlichen Unternehmens des Schuldners entstand, am Orte der Niederlassung ....”
Nach § 361 HGB gelten im Zweifel auch für Maß, Gewicht, Währung, Zeitrechnung und Entfernungen die Regeln des Erfüllungsortes. – Zur Bedeutung von Leistungszeit und Leistungsort bei Schickschulden (→ Die Schickschuld) und Geldschulden → Die Geldschuld als qualifizierte Schickschuld
§ 905 Abs 1 ABGB weist uns noch auf etwas anderes hin: Leistungszeit, Leistungsort und Leistungsart können durch die Parteien nicht nur ausdrücklich festgelegt werden, sondern sich auch aus „der Natur oder dem Zwecke des Geschäftes” ergeben.
Bestimmung aus der Natur oder dem Zweck des Geschäfts
So ist die Hochzeitstorte rechtzeitig zum Hochzeitsessen und nicht am Tag danach zu liefern und darüber hinaus muss das uU kunstvolle Gebilde dorthin geliefert werden, wo die Feier stattfindet. Ähnliches gilt für Warenlieferungen für bestimmte Anlässe: Christbaumschmuck, Frühjahrsmode oder ein Kranz für ein Begräbnis.
Eine besonders wichtige Rolle spielt die Frage der Leistungszeit beim Fixgeschäft des § 919 ABGB (→ Das Fixgeschäft: § 919 ABGB und § 376 HGB), das ebenfalls ausdrücklich vereinbart sein muss oder sich aus der Natur oder dem Zwecke des Geschäfts ergeben kann.
Fixgeschäft
nach oben
8. Nachgiebiges und zwingendes Recht
Im Zusammenhang mit dem eben beschriebenen Mechanismus, dass das Gesetz eine fehlende, aber notwendige Parteienvereinbarung ersetzt – hier die Erfüllungszeit oder den Erfüllungsort, ist an einen wichtigen Begriff zu erinnern: den des Dispositiv- oder nachgiebigen Rechts (ius dispositivum). Dispositivrecht gelangt nämlich nur zur Anwendung, wenn die Parteien von ihrer konkreten Gestaltungsmöglichkeit im Vertrag keinen Gebrauch gemacht haben und dadurch eine Regelungslücke im Vertrag entstanden ist. Sie hätten bspw auch vereinbaren können, dass der Leistungsgegenstand am 14. Juli 2004 zu liefern ist und zwar so, dass der Schuldner den Leistungsgegenstand dem Gläubiger an dessen Wohnsitz zu überbringen hat. Dispositivrecht kann also von den Parteien grundsätzlich abgeändert oder ganz abbedungen werden! – Eine Grenze zieht das zwingende Recht; Sittenwidrigkeit; vgl den anschließenden Pkt 3 im Kasten.
Dispositivrecht


Funktionen des Dispositivrechts


• Dispositivrecht bedeutet, dass die Parteien eine vom Gesetz abweichende Regelung treffen können, wenn sie das wollen. – Dadurch kann größte Sach- und Problemnähe erreicht werden; Vertragsfreiheit.
• Es bedeutet aber auch, dass das Gesetz zwecks vertraglicher Lückenfüllung für den Fall, dass die Parteien keine eigene Regelung getroffen haben, eine – subsidiäre und ausgewogene – eigene Lösung bereit hält.
• Schließlich ist auf eine weitere Aufgabe des Dispositivrechts hinzuweisen, nämlich seinen inhaltlichen Modellcharakter, seine Richtigkeitsgewähr und Ausgewogenheit. Es dient daher als Gerechtigkeitsmaßstab. Das Dispositivrecht gilt als „Messlatte” für richtige und ausgewogene – dh die Interessen beider (!) Parteien angemessen berücksichtigende – Lösungen. Ein krasses oder einseitiges (zB Freizeichnung → KAPITEL 9: Verschulden (culpa)) Abweichen vom gesetzlich-dispositivrechtlichen Lösungsmodell ist ein Indiz für Sittenwidrigkeit → KAPITEL 11: Gesetz- und Sittenwidrigkeit. Vgl auch → KAPITEL 5: Das (kaufmännische) Bestätigungsschreiben: Bestätigungsschreiben.
Der Gegensatzbegriff zum Dispositivrecht ist das zwingende Recht (ius cogens), das von den Parteien hingenommen werden muss und grundsätzlich nicht abgeändert werden kann, es sei denn zum Vorteil Betroffener; sog relativ zwingendes Recht: Typisch im Arbeitsrecht, wo ein Kollektivvertrag nicht unter-, wohl aber überschritten, also verbessert werden darf! Dadurch wird ein Mindeststandard gesetzt. – Zwingendes Recht gilt also selbst dann, wenn die Parteien etwas anderes vereinbart haben. Typische Beispiele für absolut zwingendes Recht enthalten das Familien- oder Eherecht, das MRG oder KSchG, das Sachenrecht und vor allem das Arbeitsrecht, überhaupt Schutzgesetze.
Zwingendes Recht
Mitunter ist es aber schwierig festzustellen, ob eine Norm zwingendes oder nachgiebiges Recht enthält; vgl etwa § 1020, Satz 1 ABGB → KAPITEL 12: Beendigung des Auftrags.
Beachte
nach oben
9. Kurzfassung: Bestimmung der Leistungszeit
Fassen wir zusammen: Die von den Parteien selbst vereinbarte Leistungszeit kann:
• ein privatautonom festgelegter Leistungszeitpunkt oder
• ein vereinbarter Leistungszeitraum sein.
• Die Leistungszeit kann aber auch durch „die Natur der Sache”, also den Zweck und die Art der Leistung bestimmt werden; so sind Alimente nach § 1418 ABGB wenigstens einen Monat im Voraus zu bezahlen.
Im Handelsrecht wird die Leistungszeit aus dem Zweck der Leistung auch durch Handelsgewohnheiten / Usancen und Handelsbrauch bestimmt; Weihnachts- oder Osterware etc.
• Schließlich bestimmt § 904 ABGB, dass dann, wenn keine gewisse Zeit für die Erfüllung des Vertrags bestimmt worden ist, die Leistung sogleich, nämlich ohne unnötigen Aufschub, gefordert werden kann. Dieses Fordern iS eines Festsetzens eines konkreten Leistungszeitpunkts heißt auch Herbeiführen der Fälligkeit: Fälligstellung. Sie geschieht durch (Ein)Mahnung und ist im praktischen Rechts- und Wirtschaftsleben von größter Bedeutung.
§ 1417 ABGB bestimmt dazu: „Wenn die Zahlungsfrist auf keine Art bestimmt ist; so tritt die Verbindlichkeit, die Schuld zu zahlen, erst mit dem Tage ein, an welchem die Einmahnung geschehen ist (§ 904 ABGB).”
Die (Ein)Mahnung wirkt mit Zugang (→ KAPITEL 5: Antrag und Annahme als zugangsbedürftige Willenserklärungen ¿ Zugang); damit erfolgt das Fälligstellen der Leistung. Aber auch mit eingetretener Fälligkeit gerät der Schuldner– wie wir sehen werden – noch nicht in Verzug! Dazu → Der Schuldnerverzug
Mahnung
Nach § 1334, 2. HalbS ABGB kann die (Ein) Mahnung, also das Fälligstellen der Leistung, deren „Zahlungszeit nicht bestimmt” ist, auch schon gerichtlich erfolgen. – In diesem Fall riskiert der Kläger aber prozesskostenpflichtig zu werden, denn § 45 ZPO bestimmt: „Hat der Beklagte durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage nicht Veranlassung gegeben und den in der Klage erhobenen Anspruch sofort bei der ersten Tagsatzung anerkannt, so fallen die Prozesskosten dem Kläger zur Last. Er hat auch die dem Beklagten durch das eingeleitete gerichtliche Verfahren verursachten Kosten zu ersetzen.”
nach oben
10. Fälligkeit, Mahnung, Stundung, Kreditierung
Fälligkeit (einer Leistung) bedeutet, dass der Gläubiger die ihm geschuldete Leistung (auch gerichtlich) einfordern, also verlangen darf und der Schuldner sie umgekehrt zu erbringen hat. § 1417 ABGB spricht von der „Verbindlichkeit, die Schuld zu zahlen, ...”.
Was heißt Fälligkeit?
Zur Bestimmung von Leistungszeit und Leistungsort → Leistungszeit und Leistungsort
Der Begriff Fälligkeit besitzt aber auch eine inhaltliche Dimension für den Leistungspflichtigen; dies iSv eigener vollständiger Leistungserbringung durch den Fordernden, also den Gläubiger der Gegenleistung. Fälligkeit setzt nämlich voraus, dass auch der Gläubiger seine (eigene) Leistungspflicht vollständig erbracht hat oder wenigstens dazu bereit war. Fehlt von seiner „Leistungserbringung” noch etwas, wird auch die (Gegen)Leistung des Schuldners noch nicht fällig und der Gläubiger kann sie daher auch nicht erfolgreich einklagen. Das zeigt anschaulich das folgende Urteil.
Fälligkeit setzt vollständiges Erbringen der eigenen Leistung voraus
Die angesprochene inhaltliche Dimension (der Fälligkeit) wird von § 1052 Satz 1 ABGB angesprochen, wenn dort ausgeführt wird: „Wer auf die Übergabe dringen will, muss seine Verbindlichkeit erfüllt haben oder sie zu erfüllen bereit sein.” Daran hat es der Facharzt in der folgenden E fehlen lassen! – Zum Zug-um-Zug-Prinzip → KAPITEL 2: Zug um Zug-Leistung.
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1964/294: Ein Facharzt ist verpflichtet, die von ihm erhobenen Befunde samt allen Unterlagen dem Patienten oder dessen behandelndem Arzt auszufolgen. Vor Erfüllung dieser Pflicht ist sein Honoraranspruch nicht fällig. – Hier hatte sich der Facharzt geweigert, die von ihm angefertigten EKG’s auszufolgen; Argument: Er benötige diese als Beweismittel gegen allfällige Schadenersatzansprüche. Der OGH lehnte den Honoraranspruch des klagenden Arztes mit dem Hinweis ab, dass er sich von den besagten Unterlagen auch Kopien anfertigen könne.
Der Begriff Fälligkeit ist auch prozessual von Bedeutung. § 406 ZPO bestimmt, dass die „Verurteilung zu einer Leistung ... nur zulässig [ist], wenn die Fälligkeit zur Zeit der Urteilsschöpfung bereits eingetreten ist.”
Prozessuale Bedeutung der Fälligkeit
Während im bürgerlichen Recht (Verzugs)Zinsen erst ab Eintritt des objektiven (Schuldner)Verzugs verlangt werden können (und höhere als die gesetzlichen Zinsen, wenn nicht anders vereinbart, nur bei verschuldetem Verzug!), ordnet § 353 HGB für „Kaufleute untereinander” (= zweiseitige Handelsgeschäfte) an, dass sie für ihre Forderungen schon „vom Tage der Fälligkeit an Zinsen zu fordern” berechtigt sind. Das gilt aber nicht für Zinseszinsen!
Zinsen
Die (Ein)Mahnung: Der Begriff Fälligkeit ist nicht identisch mit dem der (Ein)Mahnung! Die (Ein)Mahnung iSd § 1334, 2. HalbS ABGB führt vielmehr die Fälligkeit erst herbei, bewirkt – wie ausgeführt wurde – Fälligstellung, wenn die konkrete Leistungszeit weder durch (Partei)Vereinbarung, noch durch die Natur der Sache bestimmt erscheint.
Fälligkeit und Mahnung
Beispiel
Mit der Kreditierung (§ 1063 ABGB) wird immer wieder die Stundung verwechselt. – Kreditierung bedeutet ein vertragliches (also gemeinsames) Hinausschieben der gesetzlich an und für sich anders festgelegten Leistungspflicht eines Vertragsteils; zB Modifikation der an und für sich bestehenden Zug-um-Zug-Leistungspflicht des Käufers. Beim Kreditkauf wird von Anfang an ein Abgehen vom üblichen Zug um Zug-Leistungsaustausch vereinbart (iSd § 863 ABGB).
Kreditierung und Stundung
Stundung dagegen meint Aufschub des (zB idR bereits vertraglich festgelegten) Fälligkeitszeitpunkts im Nachhinein. So wenn der Schuldner seinen Gläubiger ersucht, nicht am 7. Februar bezahlen zu müssen, sondern erst am 17. April.
Erfolgt die Stundung vor (der vereinbarten) Fälligkeit, wird im Zweifel angenommen, dass der Schuldner (gar) nicht in Verzug gerät; sog verzugshindernde Stundung. Dies im Gegensatz zur verzugsaufhebenden oder -heilenden Stundung nach (bereits) eingetretenem Verzug. – Stundung setzt immer die Zustimmung des Gläubigers voraus.
verzugshinderende und verzugsheilende Stundung


Fälligkeit, Mahnung, Kreditierung …
Abbildung 7.10:
Fälligkeit, Mahnung, Kreditierung …
Mitunter treten diese juristischen Termini gehäuft auf; vgl § 30 ABs 1 Z 1 MRG wo im Rahmen der MRG-Kündigung aus wichtigem Grund auch Fälligkeit, Mahnung und Verzug vorkommen.
nach oben
11. Die Schickschuld
Schick- und Geldschulden stellen Modifikationen der Leistungspflicht des Schuldners dar.
Bei der Schickschuld bleibt der Wohnsitz des Schuldners der Erfüllungsort. Den Schuldner trifft aber die zusätzliche Pflicht, die geschuldete Leistung an den Gläubiger abzusenden. Gefahr und Transportkosten trägt dabei grundsätzlich bereits der Gläubiger (!). Zum abweichenden Versendungskauf: § 429 ABGB → Die Schickschuld
§ 905 Abs 1 ABGB
Beispiel


Versendungskauf: § 429 ABGB
Abbildung 7.11:
Versendungskauf: § 429 ABGB


Versendungskauf. § 429 ABGB (1)
Abbildung 7.12:
Versendungskauf. § 429 ABGB (1)


Versendungskauf. § 429 ABGB (2)
Abbildung 7.13:
Versendungskauf. § 429 ABGB (2)
nach oben
12. Die Geldschuld als qualifizierte Schickschuld
Nach dieser Bestimmung hat der Schuldner „Geldzahlungen im Zweifel auf seine Gefahr und Kosten dem Gläubiger an dessen Wohnsitz (Niederlassung) zu übermachen.” Geldschulden sind demnach qualifizierte Schickschulden. Dies, weil die Gefahr- und (Transport)Kostenregelung gegenüber der normalen Schickschuld gesetzlich erneut modifiziert – nämlich „umgedreht” – wird.
§ 905 Abs 2 ABGB
Beispiel
Erfüllungsort für Geldschulden bleibt aber der Wohnsitz des Schuldners. Den Schuldner trifft aber – wie bei anderen Schickschulden – eine zusätzliche Absendungspflicht. Dies mit folgenden Besonderheiten:
Erfüllungsort
• Der Schuldner trägt zwar nicht das Verspätungsrisiko, wenn seine (wie eben beschrieben) rechtzeitig abgesendete Leistung, bspw durch Säumigkeit oder Fehler der Bank, verspätet zugeht (vgl dazu das unten wiedergegebene Urteil: SZ 25/199);
• er trägt aber die Kosten der Übersendung und (!) die Gefahr des Verlustes, dh also des (Nicht)Ankommens seiner Leistung; zB: Geldsendung geht Gläubiger nicht oder nicht vollständig zu oder ist mit höheren Kosten (als erwartet) verbunden. Der Schuldner muss dann zB nochmals zahlen, unbeschadet seiner allfälligen Ersatzansprüche gegen das Kreditinstitut.
Zur Frage der Kosten von Geldüberweisungen nach § 905 Abs 2 ABGB vgl EvBl 1999/3: Die Kosten von Geldzahlungen, so auch die beim Empfänger einzuhebende Postanweisungszustellgebühr, hat grundsätzlich der Schuldner zu tragen und daher bei der Einzahlung zu berücksichtigen. – Die Kosten von Erlagscheinen und deren Verrechnung gehen aber nach der Verkehrssitte zu Lasten des Gläubigers.
Sie liegt dann vor, wenn der Überweisungsauftrag am Fälligkeitstag noch während der Geschäftsstunden bei der kontoführenden Bank des Schuldners (!) einlangt. Hier kommt es also nicht auf den Eingang der Zahlung / des Buchungsauftrags bei der Zahlstelle des Gläubigers an. Das gilt auch für den elektronischen Zahlungsverkehr. – „Im Zweifel” (§ 905 Abs 2 ABGB) meint: Wenn von den Parteien nicht anders vereinbart.
Rechtzeitige Übermittlung einer Geldschuld
Beispiel
Bei Geldschulden ist zwischen Geldbetrags- und Geldwertschulden zu unterscheiden; eine wichtige, von der Praxis (auch der Rspr!) aber immer wieder vernachlässigte Unterscheidung. – Erstere sind allenfalls vertraglich, nicht aber von Gesetzes wegen aufzuwerten, auch wenn der „innere” Geldwert nachträglich beachtlich gesunken ist; letztere dagegen schon. Eine Ausnahme statuiert SZ 71/4: Beispiele.
Geldbetrags- und Geldwertschulden
Zur Möglichkeit der Wertsicherung → KAPITEL 15: Wertsicherung.
Eine übliche Kaufpreis- oder eine Darlehensschuld ist Geldbetragsschuld; – eine Unterhalts- oder Schadenersatzleistungspflicht dagegen eine Geldwertschuld. Die Rspr lässt hier aber Konsequenz vermissen:
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 24. 2. 2000, 6 Ob 154/99m, JBl 2000, 670: Die Wertminderung des Geldes allein stellt keinen Grund für eine Unterhaltserhöhung dar. Unterhaltsschuld über den Regelbedarf hinaus wird vom OGH nicht als Geldwertschuld gesehen. (?)
SZ 60/37 (1987): Selbst bei erheblicher Geldwertveränderung ist eine nicht ausdrücklich vereinbarte Geldwertanpassung bei Ausübung des Wiederkaufsrechts auszuschließen.
SZ 71/4 (1998) mwH: Bei einer infolge der überlangen Dauer des Entschädigungsverfahrens von rund 11 Jahren exorbitanten Indexsteigerung von 32 Prozent kann der Geldwertverfall nicht mehr allein dem Enteigneten als Sonderopfer auferlegt werden, weshalb es nicht notwendigerweise darauf ankommt, dass die Geldentwertung rasch erfolgte; teilweise Abkehr von SZ 51/175 (1978): Enteignungsentschädigung für eine nach dem BundesstraßenG enteignete Liegenschaft als Geldbetragsschuld.
Zur erleichterten Einklagbarkeit von Geldschulden bis zu 100.000 S (~ 7.265 ı) im Mahnverfahren → KAPITEL 19: Das Verfahren erster Instanz.
Nach Art 8 Nr 8 EVHGB kann eine in ausländischer Währung ausgedrückte Geldschuld, die im Inland zu zahlen ist, in inländischer Währung erfolgen, es sei denn, dass die Zahlung in ausländischer Währung ausdrücklich bedungen ist. Die Umrechnung erfolgt dann nach dem Kurswert, der zur Zeit der Zahlung für den Zahlungsort maßgebend ist.
Neue Regelung für bestimmte Auslandsüberweisungen: Für grenzüberschreitende Überweisungen bis zu 50.000 Euro (= 688.015 S) gilt seit 13. August 1999 das ÜberweisungsG, BGBl I 1999/123. Das neue Gesetz regelt auch die Haftung bei Säumnis oder fehlgeschlagenen Überweisungen, statuiert Informationspflichten und trifft Anordnungen über die Kostentragung und die Dauer von Überweisungen. Die Überweisungen müssen künftig längstens 5 Bankarbeitstage – wenn nicht anders vereinbart – nach dem Tag der Auftragsannahme durch die Überweisungsbank beim Institut des/der Begünstigten einlangen und diesem zur Verfügung stehen.
Auslandsüberweisungen
Der österreichische Gesetzgeber hat die Gelegenheit aber nicht dazu genützt, um auch klarere Regeln für den innerstaatlichen Überweisungsverkehr zu schaffen.
Literaturquelle
Ermittlung des Erfüllungsorts nach Art 5 Z 1 LGVÜ iVm § 905 ABGB: Zum maßgebenden Zeitpunkt für die Bestimmung des Wohnsitzes oder der Niederlassung des Schuldners vgl EvBl 1999/14:
Art 5 Z 1 LGVÜ
„Der Ort, an dem die Verpflichtung in Ermangelung einer Vereinbarung nach dem Gesetz zu erfüllen ist, ist auf Grund des Kollisionsrechts desjenigen Vertragsstaats zu bestimmen, dessen Gerichte mit dem Rechtsstreit befasst wurden. – Geldschulden sind als Schickschulden nach österreichischem Recht am Wohnsitz bzw an der Niederlassung des Schuldners im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu erfüllen; spätere Änderungen dieses Ortes – wie etwa bei Schuldnerwechsel – sind unbeachtlich.”
nach oben
13. Entscheidungsbeispiel zur Frage der korrekten zeitlichen Erfüllung von Geldschulden
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 25/199 (1952): Einzahlung eines geschuldeten Geldbetrages per Postanweisung am letzten Tag der Frist.
Betreibende Partei = Gläubiger und Kläger Verpflichtete (Partei) und Beklagter = Ratenschuldnerin zum 15. eines jeden Monats bei sonstigem Terminsverlust Die Verpflichtete schuldete der betreibenden Partei den Betrag von 1.000 S, zahlbar in am 15. eines jeden Monates fälligen Raten von je 100 S bei Terminsverlust. Die erste Rate, die von der Verpflichteten am 15.9.1951 beim Postamt M. zur Einzahlung gebracht wurde, ging erst am 19.9.1951 der betreibenden Partei zu. Da diese inzwischen unter Geltendmachung des Terminsverlustes Exekution auf den ganzen Betrag geführt hatte, beantragte die Verpflichtete die Einstellung [der Exekution] gemäß § 40 EO. Das Erstgerichtwies den (Einstellungs)Antrag ab. – Das Rekursgerichtgab ihm statt. – Der OGH bestätigte den Beschluss des RekursG. Aus der Begründung: Die Rechtsausführungen des Revisionsrekurses [der betreibenden Partei] verkennen die entscheidende Rechtsfrage, die nicht darin zu erblicken ist, ob die Übergabe des Geldbetrages an die Post bereits als Übermachung der Geldzahlung an den Gläubiger iSd § 905 Abs 2 ABGB zu gelten hat, sondern darin, ob durch Einzahlung der 1. Rate von 100 S am Fälligkeitstage beim Postamt M. mittels Postanweisung die Verpflichtete im Hinblick darauf in Verzug geraten ist, dass der Betrag bei der betreibenden Partei erst am 19.9.1951 eingegangen ist. Die modernen Formen des Zahlungsverkehrs bringen es mit sich, dass Schulden, wenn sie nicht zweckmäßig durch bargeldlosen Zahlungsverkehr im Wege des Clearing oder wenigstens durch Einzahlung auf ein Bank- oder Postsparkassenscheckkonto des Gläubigers erfolgen, in welchem Fall die Bank oder Postsparkasse als Zahlungsstelle des Gläubigers fungiert, im Wege des Geldbriefes oder Postanweisungsverkehrs oder der Postsparkassenzahlungsanweisung oder Postzahlungsanweisung getilgt werden. Wenn der Gläubiger nicht bestimmte Zahlungsformen ausdrücklich vorgeschrieben hat (§ 429 ABGB), kann der Schuldner jede dieser verkehrsüblichen Zahlungs- und Übersendungsarten wählen und muss angenommen werden, dass der Gläubiger damit einverstanden ist. [Vgl dazu die Ausführungen in der anschließenden Rubrik "Beachte".] Die Übermachung der Geldschuld an den Gläubiger gilt allerdings erst dann als bewirkt, wenn die Postanstalt den ihr durch Postanweisung oder Postsparkassenzahlungsanweisung übergebenen Betrag dem Gläubiger auszahlt. Unabhängig davon ist jedoch die Frage zu beurteilen, ob der Schuldner, wenn er bspw die verkehrsübliche Zahlungs- und Übersendungsart des Postanweisungsverkehrs gewählt hat, durch Einzahlung des Betrages beim Postamt am Fälligkeitstag von allen vertraglichen oder gesetzlichen Verzugsformen befreit wird. Diese Frage wurde vom OGH ... ausdrücklich bejaht. Geldzahlungen sind nach § 905 ABGB vom Schuldner auf seine Gefahr und Kosten dem Gläubiger zu übermachen. Dadurch werden sie jedoch nicht zu Bring-, sondern sie bleiben Schickschulden. Am gesetzlichen Erfüllungsorte (Wohnsitz oder Niederlassung des Schuldners) ändert sich dadurch nichts. Es genügt daher, wenn der Schuldner innerhalb der Zahlungsfrist an seinem Wohnorte (Niederlassung), indem er von einer der verkehrsüblichen Zahlungs- und Übersendungsarten Gebrauch machte, eine Handlung setzt, welche in ihrer Wirkung zur Befriedigung des Gläubigers und speziell bei einer Geldforderung dazu führen muss, dass der geschuldete Geldbetrag in die Hand des Gläubigers gelangt. Damit hat der Schuldner die Zahlungshandlung bereits begonnen und die Tilgung seiner Verbindlichkeit hängt nur mehr von der Bedingung ab, ob der Betrag tatsächlich in die Hand seines Gläubigers gelangt ist oder nicht, da der Schuldner das Risiko der von ihm gewählten Zahlungsart zu tragen hat. Mit Übergabe des Geldbetrags an das Postamt trägt sohin der Schuldner nur mehr die Gefahr des Verlustes, nicht aber der Verspätung der Geldübersendung. Da die am Fälligkeitstag mittels Postanweisung beim Postamt M. zur Einzahlung gebrachte Rate von 100 S der betreibenden Partei am 19.9.1951 tatsächlich zugegangen ist, erscheint auch die Bedingung der tatsächlichen Übermachung des Geldbetrages an den Gläubiger erfüllt. Der Ansicht des RekursG, wonach die Verpflichtete nicht in Verzug geraten und somit auch der vereinbarte Terminsverlust nicht eingetreten ist, haftet daher kein Rechtsirrtum an.
Beachte


Schuldinhalt: Leistung / Erfüllung / Zahlung
Abbildung 7.14:
Schuldinhalt: Leistung / Erfüllung / Zahlung


Unterlassung als Leistung (1)
Abbildung 7.15:
Unterlassung als Leistung (1)


Unterlassung als Leistung (2)
Abbildung 7.16:
Unterlassung als Leistung (2)


Bestimmtheit der Leistung
Abbildung 7.17:
Bestimmtheit der Leistung


Haupt- und Neben(leistungs)pflichten (1)
Abbildung 7.18:
Haupt- und Neben(leistungs)pflichten (1)


Haupt- und Neben(leistungs)pflichten (2)
Abbildung 7.19:
Haupt- und Neben(leistungs)pflichten (2)


Leistungszeit und Leistungsort (1)
Abbildung 7.20:
Leistungszeit und Leistungsort (1)


Leistungszeit und Leistungsort (2)
Abbildung 7.21:
Leistungszeit und Leistungsort (2)


Leistungszeit und Leistungsort (3)
Abbildung 7.22:
Leistungszeit und Leistungsort (3)


Leistungszeit: § 904 ABGB
Abbildung 7.23:
Leistungszeit: § 904 ABGB


Leistungsort: § 905 ABGB
Abbildung 7.24:
Leistungsort: § 905 ABGB


Varianten des Erfüllungsorts (1)
Abbildung 7.25:
Varianten des Erfüllungsorts (1)


Varianten des Erfüllungsorts (2)
Abbildung 7.26:
Varianten des Erfüllungsorts (2)


Schickschuld
Abbildung 7.27:
Schickschuld


Schickschuld und Geldschuld
Abbildung 7.28:
Schickschuld und Geldschuld


Geldschuld als qualifizierte Schickschuld
Abbildung 7.29:
Geldschuld als qualifizierte Schickschuld
nach oben
14. Die Wahlschuld oder Alternativobligation
Das ABGB regelt sie in den §§ 906 und 907 in unmittelbarem Anschluss an die §§ 904 und 905, welche Zeit und Ort der Leistung bestimmen helfen. – Die Wahlschuld, als Möglichkeit zwischen mehreren Leistungen wählen zu können, betrifft dagegen die inhaltliche Ausgestaltung einer Schuld. – Geschuldet werden danach – von Anfang an – zwei oder mehrere Leistungen, von denen aber nur eine zu erbringen ist.
§§ 906, 907 ABGB
Beispiel
Abzugrenzen ist die Wahlschuld von der Gattungsschuld, bei der nicht zwei oder mehrere Leistungen, sondern nur eine, wenn auch eine gattungsmäßig bestimmte, Leistung geschuldet wird. – Auch bei der Wahlschuld kann aber das Geschuldete wieder nach Stück/en (Wahl zwischen zwei Kunstwerken) oder der Gattung nach (Wahl zwischen Äpfeln und Birnen) bestimmt sein. – Im jüngeren Schrifttum glauben manche, diesen Unterschied nicht mehr beachten zu müssen.
Abgrenzung von der Gattungsschuld
Beispiel
§ 906 ABGB stellt klar, dass das Wahlrecht nach dem Gesetz dem Verpflichteten zusteht, der aber von der „einmal getroffenen Wahl für sich allein nicht abgehen” kann. – Häufig wird aber das Wahlrecht dem Gläubiger eingeräumt (HS 229) und es kann auch einem Dritten überlassen werden.
Wahlrecht
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 5. 5. 1933, SZ 15/119: Hat der Gläubiger die Wahl zwischen mehreren Leistungen, muß er sein Wahlrecht schon in der Klage ausüben.
WBl 1987, 165 =DRdA 1990, 60: Die Bindung des Berechtigten an seine einmal getroffene Wahl gilt auch bei Dauerschuldverhältnissen, es sei denn, die Parteien haben etwas anderes vereinbart.
ZAS 1985, 20: Wurde dem Arbeitnehmer ein Wahlrecht zwischen der Inanspruchnahme von Überstundenvergütung und Zeitausgleich eingeräumt, ist er an die (im Einzelfall) getroffene Wahl gebunden.
GlUNF 7691 (1915): Wahlrecht eines Ausgedingsberechtigten zwischen Naturalverköstigung und Ersatzleistung in Geld.
Verzögert der Schuldner die ihm zustehende Wahl, gerät er in Schuldnerverzug, wählt der Gläubiger nicht, hat dies seinen Annahmeverzug zur Folge. – Klagt bspw der Gläubiger den in Verzug geratenen Schuldner auf Leistung, hat er alternativ (iSd Inhalts der Wahlschuld) zu klagen. Eine sich allenfalls daran anschliessende Exekution ist aber bloss auf eine Leistung zu richten.
Verzögerung und Vereitelung der Wahl
Bei Vereitelung des Wahlrechts – bspw bei Untergang eines Wahlgegenstandes, sie mag verschuldet sein oder nicht (Zufall), ist zu unterscheiden:
Vereitelung des Wahlrechts
Reine Auswahlschuld: Hier überwiegt das Interesse des Wahlberechtigten an der Wahl, das bspw durch den Untergang beschränkt wurde oder ganz weggefallen ist. Das ABGB spricht davon (§ 907), dass ein solcher Vertrag „mit Vorbehalt der Wahl geschlossen” werde, was als Bedingung der freien Wahlmöglichkeit zu verstehen ist; § 901 ABGB: Die Wahl wurde iS dieser Bestimmung „ausdrücklich [oder schlüssig] zur Bedingung gemacht”. Der Vertrag muss daher vom Wahlberechtigten nicht zugehalten werden, er kann zurücktreten. – Es kommt in diesem Fall also nicht etwa zur Konzentration auf die verbleibenden (Wahl)Möglichkeiten.
reine Auswahlschuld
Nichtreine oder unbedingte Wahlschuld: Hier steht das Sicherungsintersse an der Leistungserbringung im Vordergrund, weshalb es zur Konzentration auf die verbleibende/n Möglichkeit/en kommt. Für eine verschuldete Vereitelung ist einzustehen und der Wahlberechtigte ist so zu stellen wie er stünde, wäre die Vereitelung nicht erfolgt. Es kann aber auch Schadenersatz für das untergegangene Stück gewählt werden.
nichtreine Auswahlschuld
• Rspr und ein wohl überwiegender Teil des Schrifttums (Reischauer, Koziol) gewähren dem Geschädigten nach § 1323 ABGB ein Wahlrecht zwischen Naturalherstellung und Geldersatz, was nicht dem ABGB entspricht. Das Argument, dass die Naturalrestitution schon dann „untunlich” sei, wenn sie nicht gewünscht werde, überzeugt nicht. – Das Gesetz legt die Latte höher. Damit wird ein signifikantes Charakteristikum des ABGB gegenüber dem römischen Recht aufgeweicht.
Abzugrenzen ist die Wahlschuld von der Ersetzungsbefugnis / facultas alternativa, bei der nur eine Leistung in obligatione geschuldet wird und der Gläubiger auch nur diese Leistung fordern kann, während der Schuldner sich auch durch das Erbringen einer Ersatzleistung von seiner Schuld befreien kann.
Ersetzungsbefugnis
Beispiel
Beachte
nach oben
IV. Trade Terms und Incoterms
1. Überlegungen zur Sicherheit der Leistung
Im Zusammenhang mit dem Festlegen der konkreten Leistung zwischen Gläubiger und Schuldner, gilt es weiteres zu bedenken; insbesondere die Sicherheit, dass der Gläubiger die vereinbarte Leistung auch tatsächlich (rechtzeitig) erhält und dabei ist zu überlegen, wann gewisse Risiken im Rahmen der Leistungserbringung / Erfüllung vom Schuldner auf den Gläubiger übergehen (sollen). Denn neben der dispositivgesetzlichen Regelung besteht im Schuldrecht immer auch die Möglichkeit, vom Gesetz abweichende vertragliche Regeln zu vereinbaren, um ein optimales Anpassen an die Regelungsbedürfnisse des Einzelfalls und dadurch größte Sach- und Lebensnähe zu erreichen.
Vgl schon die Regelungen der Schickschuld (→ Die Schickschuld) und des Versendungskaufs: § 429 ABGB → KAPITEL 2: Versendungskauf.
Hier haben sich folgende rechtliche Fragen (weltweit) als bedeutsam erwiesen:
Wichtige Fragen
• Wann soll das Eigentum übergehen?;
• wann die Gefahr ? Wobei Gefahr hier bedeutet, wer (Gläubiger oder Schuldner) den Nachteil des zufälligen (!) Untergangs oder der zufälligen Beschädigung / Verschlechterung der Ware / Leistung (zwischen Vertragsschluss und Übergabe) zu tragen hat.
• Wer hat die – oft beträchtlichen – (Transport)Kosten zu tragen?
• Und wer hat für eine allfällige Versicherung des Leistungsgegenstandes vorzusorgen und aufzukommen?
• Auch die Fragen von Export- und Importabfertigung spielen (bei internationalen Warenkäufen außerhalb der EU) eine Rolle, zumal sie Zeit braucht und Kosten verursacht.
Zu weiteren Sicherungsmöglichkeiten grundsätzlich → KAPITEL 15: Überblick.
nach oben
2. Internationaler Warenkauf
Der sich in unserem Jahrhundert rasch ausbreitende internationale Warenkauf hat früh im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Warenlieferungen Regeln und Bezeichnungen entwickelt, auf die idF kurz eingegangen werden soll:
• die Trade Terms (= nationale Handelsbräuche) und
• die Incoterms (= International Commercial Terms).
Die Internationale Handelskammer (ICC) in Paris veröffentlichte erstmals 1953 je einen Klauselkatalog für Trade- und Incoterms. Ihre Kenntnis ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil insbesondere Käufer wissen müssen, ab wann sie zB für die „reisende” Ware selber vorsorgen müssen. – Wie das Handelsrecht überhaupt, ist auch der internationale Warenverkehr auf rasche und sichere Geschäftsabwicklung angewiesen, wozu (kurze) Käuferklauseln beitragen können.
Trade Terms = Länderweise, also nationale Sammlung von Handelsbräuchen, ohne inhaltliche Abstimmung (der Länder) untereinander; wohl aber begrifflich.
Beispiel
Die TRADE- und INCOTERMS müssen, um Vertragsbestandteil zu werden, wie AGB oder ein Eigentumsvorbehalt, von beiden Parteien vereinbart werden. – Funktional sollen sie auch dazu beitragen, Rechtsstreitigkeiten und Missverständnisse auszuräumen, weil auch gleiche Klauselbezeichnungen in den einzelnen Ländern (Trade Terms) doch verschiedene inhaltliche Bedeutung besitzen können.
Incoterms-Klauseln 1990 (= International Commercial Terms) – Beispiele
EXW – Ex Works: Abnahmeklausel, die Verkäufer nur verpflichtet, die Ware in seinem Werk zur Verfügung zustellen. Käufer muss Ware dort abholen und trägt allein Transportkosten und Transportrisiko.
FCA – Free Carrier: Verkäufer muss die zur Ausfuhr freigemachte Ware einem von Käufer benannten Frachtführer übergeben; erst hier geht Risiko auf Käufer über.
FAS – Free Alongside Ship: Verkäufer muss Ware zu einem bestimmten Ladeplatz in einem Verschiffungshafen bringen und diese an der Längsseite des Schiffs übergeben. Ware muss aber von Verkäufer exportfrei gemacht werden.
FOB – Free on Board: Zusätzlich zu den Verpflichtungen aus der FAS-Klausel muss Verkäufer hier das Schiff noch beladen. Gefahrübergang erfolgt, wenn die Ware die Reling überschreitet.
CFR – Cost and Freight: Verkäufer hat für die Fracht der Ware bis in den Bestimmungshafen zu sorgen und dafür alle Kosten zu tragen.
CIF – Cost, Insurance and Freight: Zusätzlich zur CFR-Klausel ist Verkäufer verpflichtet, eine TransportVers abzuschließen und dafür die Kosten zu tragen. (Das Transportrisiko trägt hier aber bereits Käufer.)
CPT – Carrige paid to (named place): Verkäufer hat Frachtkosten bis zu einem namentlich anzuführenden Bestimmungsort zu tragen. Gefahrübergang erfolgt (aber bereits) mit der Warenübergabe an Frachtführer.
CIP – Carriage and Insurance paid to (named place): Verkäufer muss zusätzlich zur CPT-Klausel auf seine Kosten eine TransportVers abschließen.
DAF – Delivered at Frontier: Ware muss von Verkäufer zur Ausfuhr freigemacht und an einer benannten Stelle des Grenzortes zur Verfügung gestellt werden.
DDU – Delivered duty unpaid: Ware muss an einem bestimmten Ort des Importlandes zur Verfügung gestellt werden. Alle Kosten – mit Ausnahme der Zölle Steuern und sonstigen Abgaben – und die Gefahr trägt bis dorthin Verkäufer.
DDP – Delivered duty paid: Zusätzlich zur DDU-Klausel sind hier auch noch alle Zölle und Abgaben vom Verkäufer zu tragen. Diese Klausel beinhaltet die umfangreichsten Verkäuferverpflichtungen.


Trade Terms und Incoterms (1)
Abbildung 7.30:
Trade Terms und Incoterms (1)


Trade Terms und Incoterms (2)
Abbildung 7.31:
Trade Terms und Incoterms (2)


Incoterms-Klauseln 1990: Beispiele
Abbildung 7.32:
Incoterms-Klauseln 1990: Beispiele
nach oben
V. Erlöschen der Schuld: Zahlung / Erfüllung und andere Endigungsgründe
1. § 1412 ABGB – Zahlung
Das ABGB spricht von „Zahlung” (als Oberbegriff) und meint damit ganz allgemein: Leistung, Erfüllung. – Am Beginn des Dritten Hauptstücks des ABGB, das „Von der Aufhebung der Rechte und Verbindlichkeiten” handelt, führt § 1412 ABGB aus:
„Die Verbindlichkeit wird vorzüglich durch die Zahlung, das ist: durch die Leistung dessen, was man zu leisten schuldig ist, aufgelöst (§ 469 ABGB).”
Der in § 1412 ABGB zitierte § 469 Satz 1 ABGB drückt dies beispielhaft für das Pfandrecht aus: „Durch Tilgung der Schuld hört das Pfandrecht auf. …” → KAPITEL 15: Das Pfandrecht als Recht an fremder Sache: Pfandrecht als Recht an fremder Sache.
Durch Zahlung / Erfüllung endet also idR ein bestehendes Schuldverhältnis. Der Leistungsaustausch wird damit abgeschlossen. Von diesem Regelfall geht das ABGB in § 1412 aus. – Aber es gibt neben der Erfüllung / Leistung ieS weitere Endigungsgründe von Schuldverhältnissen, bspw den (Schuld)Erlass oder einen Rücktritt vom Vertrag. Vgl die folgende Darstellung:
• Gerichtliche Hinterlegung (als Erfüllungssurrogat) bei Gläubigerverzug: § 1425 ABGB → Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Gläubigerverzugs: §§ 1419 und 1425 ABGB
Endigungsgründe neben der Erfüllung
• Rücktritt vom Vertrag: gesetzlich (§ 918 ABGB) und vertraglich
• Leistung an Zahlungs Statt; § 1414 ABGB → Leistung an Zahlungs Statt
Einvernehmliche Beendigung; römR: contrarius actus
Zeitablauf und außerordentliche Kündigung → KAPITEL 6: Bedeutung der Unterscheidung.
Aufrechnung / Kompensation; §§ 1438 ff ABGB → KAPITEL 15: Aufrechnung / Kompensation.
• Vereinigung von Schuldner- und Gläubiger-Stellung; sog Konfusion: §§ 1445 f ABGB
• Verzicht/Entsagung: § 1444 ABGB (Das Gesetz spricht für die Annahme eines einseitigen Rechtsgeschäftes!)
• Tod
• Bedingungseintritt: auflösende Bedingung → KAPITEL 13: Aufschiebende und auflösende Bedingung.
Zur Erfüllung von Geldschulden sowie der Unterscheidung in Geldbetrags- und Geldwertschulden → Geldbetrags- und Geldwertschulden Zur vertraglichen Valorisierung → KAPITEL 15: Wertsicherung: Wertsicherung.
Die Zahlungsmoral ist, zumal in Krisenzeiten, nicht die beste. Österreich liegt allerdings diesbezüglich im europäischen Mittelfeld. – Zur neuen Verzugszinsenregelung (EU) → Verzugsfolgen
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 21. 12. 2000, 8 Ob 325/99y, SZ 73/207 = EvBl 2001/99: Als Sicherstellung für ein Darlehen akzeptieren die solidarisch haftenden Darlehensschuldner je einen Wechsel in der Höhe der Darlehenssumme. Ein Schuldner zahlt bei Fälligkeit und lässt sich die Darlehensforderung abtreten. Anschließend erhebt er gegen seinen Mitschuldner die Wechselzahlungsklage. – OGH: Ist bei nach außen solidarisch haftenden Schuldnern im Innenverhältnis letztlich nur einer zur Abdeckung der Schuld verpflichtet, führt die Legalzession (vom Darlehensgläubiger an den im Innenverhältnis nicht haftenden, aber die Schuld begleichenden, Schuldner) nicht zum Erlöschen der Forderung nach § 1445 ABGB (Vereinigung/Konfusion).
nach oben
2. Dogmatisches Verständnis der „Zahlung”
Die Erfüllung oder Zahlung ist nach hA kein eigenes Rechtsgeschäft, insbesondere liegt darin kein Erfüllungsvertrag.
Zur Frage: Was gilt heute als Geld? → KAPITEL 2: Geld und Geldsurrogate.


Erlöschen der Schuld – Zahlung
Abbildung 7.33:
Erlöschen der Schuld – Zahlung
nach oben
3. „Wie” ist zu zahlen?: § 1413 ABGB
Das Gesetz bestimmt, dass der Gläubiger gegen seinen Willen weder gezwungen werden kann, „etwas anderes anzunehmen, als dieser zu fordern hat, noch der Schuldner etwas anderes zu leisten, als er zu leisten verbunden ist.” – Das gilt für Zeit, Ort und Art der Leistung.


Mögliche Zahlungsarten – Wie wird heute gezahlt?
Abbildung 7.34:
Mögliche Zahlungsarten – Wie wird heute gezahlt?
§ 1414 ABGB: „Wird, weil der Gläubiger und der Schuldner einverstanden sind, oder weil die Zahlung selbst unmöglich ist, etwas anderes [als das Geschuldete] an Zahlungs Statt gegeben; so ist die Handlung als ein entgeltliches Geschäft zu betrachten.”
Leistung an Zahlungs Statt
Die Leistung an Zahlungs Statt ist Novation / Neuerungsvertrag → Novation oder Neuerungsvertrag Sie kann nicht einseitig erfolgen. Es liegt eine Änderung des Hauptgegenstandes einer Forderung – eben der geschuldeten Leistung – vor.
Durch die Leistung an Zahlungs Statt wird aber rechtswirksam erfüllt! Gläubiger und Schuldner kommen überein, statt der ursprünglichen Leistung – zB weil diese unmöglich geworden ist – „etwas anderes an Zahlungs Statt” zu leisten/anzunehmen. Dem Gläubiger kann aber rechtswirksam nur mit seiner Zustimmung etwas anderes als das ursprünglich Vereinbarte geleistet werden. – An Zahlungs Statt wird heute auch durch sog Buchgeld, dh sofort verfügbares Geld auf Konten bei Kreditinstituten, geleistet; aber auch durch eine im Rahmen einer Forderungspfändung erfolgende Überweisung zur Einziehung iSd §§ 308 ff, 322 f und 347 f EO.
Buchgeld
Von der Leistung an Zahlungs Statt ist die Leistung zahlungshalber zu unterscheiden.
Leistung zahlungshalber
Beispiel
Die Leistung zahlungshalber bewirkt daher für sich noch keine Erfüllung. Durch die Hingabe von etwas anderem erfolgt keine unmittelbare Schuldtilgung; vielmehr nur unter der Bedingung der tatsächlich erfolgten Befriedigung des Gläubigers. So auch, wenn der Schuldner an den Gläubiger zwecks Zahlung eine Forderung abtritt; Zession. Die Tilgung erfolgt erst dann, wenn der Gläubiger aus der abgetretenen Forderung tatsächlich bezahlt wird. Dasselbe gilt für die Begebung eines Wechsels zur Deckung oder die Zahlung mittels Scheck. Sie erfolgen im Zweifel nicht an Zahlungs Statt sondern bloß zahlungshalber. Die Schuld wird erst getilgt, wenn der Scheck von der bezogenen Bank eingelöst oder der Betrag dem Gläubiger gutgeschrieben wird.


Leistung an Zahlungs Statt
Abbildung 7.35:
Leistung an Zahlungs Statt


Leistung zahlungshalber
Abbildung 7.36:
Leistung zahlungshalber
nach oben
4. Abtragung der Schuld: §§ 1415 und 1416 ABGB
Nach § 1415 ABGB ist der Gläubiger nicht verpflichtet, „die Zahlung einer Schuldpost teilweise, oder auf Abschlag anzunehmen. Sind aber verschiedene Posten zu zahlen; so wird diejenige für abgetragen gehalten, welche der Schuldner mit Einwilligung des Gläubigers tilgen zu wollen, sich ausdrücklich erklärt hat.”
§ 1416 ABGB: „Wird die Willensmeinung des Schuldners bezweifelt, oder von dem Gläubiger widersprochen; so sollen zuerst die Zinsen, dann das Kapital, von mehreren Kapitalien aber dasjenige, welches schon eingefordert, oder wenigstens fällig ist, und nach diesem dasjenige, welches schuldig zu bleiben dem Schuldner am meisten beschwerlich fällt, abgerechnet werden.”
§ 1416 ABGB enthält nach hA Dispositivrecht (→ Nachgiebiges und zwingendes Recht) und wird daher in Verträgen und AGB häufig abbedungen.
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 2000/103 (§ 1416 ABGB – Widmung von Zahlungen ): Der Gläubiger bestimmt grundsätzlich die Widmung durch die Einforderung und kann darüber hinaus nicht einseitig Widmungsänderungen vornehmen. Nach der Übung des redlichen Verkehrs ist nicht einmal der Schuldner berechtigt, nach Zahlung eine bestimmte Widmung derselben zu verfügen. Innerhalb einer Geschäftsverbindung bilden mehrere Schuldposten insofern ein Ganzes, als die einzelnen Teilzahlungen nicht auf bestimmte Posten, sondern auf das Ganze geleistet werden.
nach oben
5. „Von wem” ist zu leisten? – §§ 1421 ff ABGB
Frage: Was meinen Sie nach der Lektüre der §§ 1422, 1423 ABGB: Kann ein Dritter ohne oder sogar gegen die Einwilligung des Schuldners dessen Schuld bezahlen? – Antwort: Gegen den Willen des Schuldners ist es möglich, nicht aber gegen den Willen des Gläubigers!
Zum Sonderfall des Streckengeschäfts → Das Streckengeschäft als Sonderfall des § 1423 ABGB
• § 1421 ABGB: „Auch eine Person, die sonst unfähig ist, ihr Vermögen zu verwalten [dh ganz oder beschränkt Geschäftsunfähige; vgl auch § 1424 ABGB], kann eine richtige und verfallene Schuld rechtmäßig abgetragen, und sich ihrer Verbindlichkeit entledigen. Hätte sie aber eine noch ungewisse, oder nicht verfallene Schuld abgetragen; so ist ihr Vormund oder Kurator berechtigt, das Bezahlte zurückzufordern.” Zu Satz 2 vgl § 1434 ABGB → KAPITEL 5: Leistungskondiktionen ¿ Überblick.
• § 1422 ABGB: „Wer die Schuld eines anderen, für die er nicht haftet (§ 1358 ABGB) [dazu → KAPITEL 15: Legalzession des § 1358 ABGB], bezahlt, kann vor oder bei der Zahlung vom Gläubiger die Abtretung seiner Rechte verlangen; hat er dies getan, so wirkt die Zahlung als Einlösung der Forderung.”
• § 1423 ABGB: „Wird die Einlösung [dem Gläubiger von einem Dritten] mit Einverständnis des Schuldners angeboten, so muss [!] der Gläubiger die Zahlung annehmen; doch hat er außer dem Falle des Betruges für die Einbringlichkeit und Richtigkeit der Forderung nicht zu haften. Ohne Einwilligung des Schuldners kann dem Gläubiger von einem Dritten idR (§ 462 ABGB) die Zahlung nicht aufgedrängt werden.” – Zur Erfüllungsübernahme → KAPITEL 14: Die Erfüllungs- oder Belastungsübernahme.
nach oben
6. „An wen” ist zu leisten?
Wie die folgenden Rspr-Beispiele zeigen, kann es durchaus zweifelhaft sein, an wen zu zahlen ist. – Vorsicht ist auch hier besser als „Nachsicht”.
”Der Schuldbetrag muss dem Gläubiger oder dessen zum Empfange geeigneten Machthaber, oder demjenigen geleistet werden, den das Gericht als Eigentümer der Forderung [Zu dieser bildhaften Ausdrucksweise des ABGB → KAPITEL 8: Zu weite Fassung des § 353 ABGB] erkannt hat. Was jemand an eine Person bezahlt hat, die ihr Vermögen nicht selbst verwalten darf [Vgl § 1421 ABGB], ist er insoweit wieder zu zahlen verbunden, als das Bezahlte nicht wirklich vorhanden, oder zum Nutzen des Empfängers verwendet worden ist.”
§ 1424 ABGB
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 28. 1. 2002, 2Ob 13/02d, JBl 2002, 590: Einem Ehepaar wird ein hypothekarisch sichergestellter Kredit gewährt; der Kreditgeber beauftragt zwei Jahre später einen Rechtsanwalt mit der Eintreibung der offenen Kreditforderung. Der Anwalt stirbt und ein Stellvertreter wird von der RA-Kammer bestellt; an diesen zahlt das Ehepaar. Die Erben des Rechtsanwaltes leugnen die schuldbefreihende Wirkung einer Zahlung an den Substituten und verweigern daher die Löschung der Hypothek. – OGH: Die Bestimmungen der RAO über die Amtsfortführung durch den Stellvertreter eines verstorbenen Anwalts stellen einen gesetzlichen Auftrag zur Fortführung des Unternehmens des verstorbenen Rechtsanwalts dar. Der Umfang der Vollmacht des mittlerweiligen Stellvertreters umfasst all das, was die Führung des Unternehmens selbst erfordert und was damit gewöhnlich verbunden ist (§ 1029 ABGB), somit auch die schuldbefreihende Entgegennahme von geschuldeten Geldern.
OGH 10. 7. 2001, 4 Ob 66/01m, EvBl 2002/3: Das Theater in der Josefstadt führt das Stück „1000 Clowns” auf. Verschiedene Verlage behaupten, sie seien die richtigen Gläubiger für die Tantiemenzahlungen. Die Theaterbetreiberin zahlt an einen der Verlage anstatt die Aufführungstantiemen gerichtlich zu hinterlegen. Der leer ausgegangene Verlag klagt idF den anderen. – OGH erklärt § 1041 ABGB – aufgrund des weiten Verständnisses von „Sache” im ABGB – als taugliche Anspruchsgrundlage.
§ 1425 ABGB regelt die gerichtliche Hinterlegung der Schuld bei Gläubigerverzug → Gläubiger- oder Annahmeverzug und anderen Zweifelsfällen.
§ 1425 ABGB
§§ 1426-1430 ABGB
nach oben
7. Das Streckengeschäft als Sonderfall des § 1423 ABGB
Es kommt immer wieder vor, dass ein Verkäufer / VK (zB ein Großhändler) Waren verkauft (zB an einen Kleinhändler), die er selber gar nicht hat und die er sich daher erst „besorgen”, dh sie selber zukaufen muss; sei es bei einem Produzenten oder einem (General)Importeur. In solchen oder ähnlich gelagerten Fällen kann es einfacher sein, dass der Großhändler seinen Lieferanten – zB den Produzenten – ersucht, die von ihm bestellte und gekaufte Ware – zB Elektrogeräte – gleich an seine Kundschaft zu liefern. Das erspart Zeit und Geld.
Beim Streckengeschäft sind zwei Rechtsgeschäfte (häufig sind es Kaufverträge, es kann sich aber auch um Werkverträge oder andere Rechtsbeziehungen handeln) zu unterscheiden:
Zwei Kaufverträge – ein Erfüllungsakt
• Einerseits (nach unserem Beispiel) der Kaufvertrag des Großhändlers (G = VK1) mit dem Klein- oder Vertragshändler (K= K1) und
• andrerseits der Kaufvertrag zwischen dem Großhändler (= K2) und dem Produzenten (P = VK2).
Durch die Leistung des Produzenten (P = VK2) an den Klein- oder Einzelhändler (= K1) erfüllt der Produzent sowohl seine eigene Kaufvertragsverpflichtung gegenüber dem Großhändler, als auch die des Großhändlers – als dessen Erfüllungsgehilfe (§ 1313a ABGB; vgl HS 26.613 und SZ 55/31: Ankauf von Weinbergschnecken) er tätig wird – gegenüber K1.
Beim Streckengeschäft werden also zwei Kaufverträge über dieselbe/n Sache/n geschlossen, die – durch den rechtlichen Rationalisierungsakt des Streckengeschäfts – bloß durch einen Erfüllungs- und Übergabeakt erfüllt werden; HS 26.613 (1995) mwH.
Das Streckengeschäft ist eine Dreiparteienbeziehung, was zu verschiedenen Konstruktionen seiner Erklärung geführt hat: Rechtliche Lösungen (des Streckengeschäfts).
Dreiparteienbeziehung


Rechtliche Lösungen
Abbildung .37:
Rechtliche Lösungen


Streckengeschäft als Dreipersonenverhältnis
Abbildung 7.38:
Streckengeschäft als Dreipersonenverhältnis
Die einfachste und die dem ABGB wohl entsprechendste Lösung ist die über § 1423 ABGB; vgl Gschnitzer, SchRAT 220 f (19912). Diese Bestimmung handelt davon, dass die Erfüllung der Schuld (das ABGB spricht von „Zahlung”) – mit Einverständnis des Schuldners (!) – dem Gläubiger von einem Dritten angeboten wird. In diesem Fall bestimmt das ABGB „dass der Gläubiger die Zahlung [= Erfüllung] annehmen” muss. Das bedeutet für das Streckengeschäft, dass K1 die ihm von P mit Einverständnis des G angebotene Erfüllung nicht ablehnen kann.
Rechtliche Lösung
Rechtliche Lösungen des Streckengeschäfts werden aber auch auf andere Weise versucht, nämlich:
Andere Lösungsansätze
• Über die Zession: G (= Zedent) zediert dem K (= Zessionar), die ihm aus seinem Kaufvertrag mit P (= Zessus) zustehende Forderung auf Lieferung (der Elektrogeräte). Hier erfüllt P an seinen neuen Gläubiger K.
Beachte
• Über die Schuldübernahme (→ KAPITEL 14: Der eigentliche Schuldnerwechsel): Hier übernimmt und erfüllt P die Schuld des G gegenüber K, der zustimmen muss, durch privative oder kumulative Schuldübernahme.
• Über die Annahme eines Vertrags zu Gunsten Dritter (→ KAPITEL 15: Verträge zugunsten Dritter) abgeschlossen zwischen G und P zugunsten von K.
• Schließlich über die Rechtsfigur der Anweisung → KAPITEL 15: Die Anweisung: §§ 1400 ff ABGB: Hier des G (= Anweisender) an P (= Angewiesener), dass dieser an K (= Anweisungsempfänger) leisten soll. – Dieser Lösungsansatz will die in § 1400 Satz 1 ABGB enthaltene doppelte Ermächtigung und die damit verbundene doppelte Erfüllungswirkung nützen. § 1404 Abs 1 Satz 1 ABGB kann direkt angewandt werden, weil P „das zu Leistende dem Anweisenden [= G] bereits schuldet”. P ist als Angewiesener G gegenüber „verpflichtet, der Anweisung Folge zu leisten”. Auch § 1401 Abs 1 Satz 2 ABGB ist anzuwenden. Die „Tilgung der Schuld [des G gegenüber K und des P gegenüber G] erfolgt, ..., ...durch die Leistung”. Möglich erscheint sowohl eine Anweisung auf Schuld wie eine auf Kredit. Eine Rolle spielen kann auch § 1403 Abs 1 Satz 2 ABGB: Danach gelten für das Rechtsverhältnis Anweisender und Angewiesener dann, wenn „kein anderer Rechtsgrund” besteht, „die Vorschriften über den Bevollmächtigungsvertrag”, also Auftragsrecht.
Beachte
Weitere Fragen sind zu beantworten, wenn beim Streckengeschäft unter Eigentumsvorbehalt geliefert wird oder bei Schlechterfüllung die Mängelrüge erhoben werden muss:
ETV und Mängelrüge
• Für die Mängelrüge (§ 377 HGB) wird es als ausreichend erachtet, wenn nicht G, sonder K1 den Mangel bei P rügt, was oft auch vereinbart wird; vgl insbesondere SZ 55/31 (1982, dazu eingehend → Kaufmännische Rügepflicht) oder SZ 33/146 (1960). – Zu beachten ist, dass die strengen Regeln des Handelsrechts auch dann gelten, wenn der Letzterwerber nicht Kaufmann ist. In diesem Fall trifft den Vertragspartner des Letzterwerbers die Obliegenheit, dafür zu sorgen, dass der Rügepflicht ordnungsgemäß nachgekommen wird.
Literaturquelle
• Gschnitzer, SchRAT 221 (19912): Wird unter Eigentumsvorbehalt (→ KAPITEL 8: Eigentumsvorbehalt als Warensicherungsmittel) geliefert, besteht die Möglichkeit, dass P den Eigentumsvorbehalt gegenüber G auf K offen weiterleitet und K nur unter der Voraussetzung Eigentümer wird, dass P bezahlt wird. Anders liegt der Fall, wenn zusätzlich zum offen weitergeleiteten noch zwischen G und K ein nachgeschalteter Eigentumsvorbehalt vereinbart wird. In diesem Fall verbleibt, trotz voller Zahlung des K an G, wenn dieser P nicht bezahlt, das Eigentum noch bei P. Umgekehrt erlischt der Eigentumsvorbehalt des P, wenn er von G bezahlt wird, der gegenüber K aber noch Vorbehaltseigner sein kann. K erwirbt durch die direkte Übergabe an ihn von P ein bedingtes Anwartschaftsrecht auf sein Volleigentum und zugleich als Machthaber nach § 1424 ABGB ein Anwartschaftsrecht auf bedingtes Vorbehaltseigentum für G. K kann allerdings mit Einwilligung des P auch ohne Einverständnis des G die Kaufpreisforderung des P gegen G einlösen (Umkehrschluss aus § 1423 ABGB);
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1984, 671: Fliesenlieferung, Konkurs des G. Zu einem Streckengeschäft bei einem Werkvertrag HS 5376/11.
nach oben
VI. „Von Umänderung der Rechte und Verbindlichkeiten”: Novation, Vergleich, Anerkenntnis
Erinnern wir uns: Das ABGB gliedert sich in eine Einleitung (§§ 1-14) und drei Teile (§§ 15-283: Personenrecht, §§ 285-1341: Sachenrecht und §§ 1342-1502 von den gemeinschaftlichen Bestimmungen der Personen- und Sachenrechte). – Das 1. Hauptstück des 3. Teils handelt „Von Befestigung der Rechte und Verbindlichkeiten” (§§ 1342-1374) und regelt Bürgschaft (§§ 1344-1367) und Pfandvertrag (§§ 1368-1374). Das 2. Hauptstück des 3. Teils (§§ 1375-1410) trägt die Überschrift: „Von Umänderung der Rechte und Verbindlichkeiten”. Damit wollen wir uns idF auseinandersetzen.
1. Allgemeines
§ 1342 ABGB (als gemeinsame programmatische Bestimmung für das 1. und 2. Hauptstück des 3. Teils) erklärt:
„Sowohl Personenrechte als Sachenrechte, und daraus entspringende Verbindlichkeiten können gleichförmig befestigt, umgeändert und aufgelassen werden.”
Wir wollen uns hier die „Umänderung der Rechte und Verbindlichkeiten” näher ansehen, zumal eine solche „Umänderung” oft die geschuldete Leistung / Erfüllung und immer das Schuldverhältnis und seine Parteien betrifft.
Was wird geändert?
Beispiele zur Änderung des Rechtsgrundes oder des Hauptgegenstandes von Leistung oder Schuldverhältnis → Novation oder Neuerungsvertrag
§ 1375 ABGB umschreibt: „Es hängt
Voraussetzungen
• von dem Willen des Gläubigers und des Schuldners ab, ihre gegenseitigen willkürlichen Rechte und Verbindlichkeiten umzuändern.
• Die Umänderung kann ohne, oder mit Hinzukunft einer dritten Person, und zwar entweder
Der erste Satz dieser Umschreibung drückt aus, dass einverständliche rechtsgeschäftliche Änderungen der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Vertragsparteien grundsätzlich unbeschränkt möglich sind, zumal ein solches Vorgehen Konsens verlangt und damit den Grundsatz des pacta sunt servanda (Verträge sind einzuhalten) achtet.
Dazu kommt: Nicht alles, was sich in einem Schuldverhältnis ändert, ist Novation. – Stundet bspw der Gläubiger seine Kaufpreisforderung, ändert dies zwar die Fälligkeit der Forderung, die Schuld bleibt aber die gleiche. Daher keine Novation! – Wird dagegen über die Kaufpreisforderung ein Wechsel (→ KAPITEL 15: Der Wechsel) ausgestellt, bedeutet das Novation; denn dadurch entsteht ein neues, vom ursprünglichen unabhängiges, nämlich abstraktes Schuldverhältnis. Ein neuer Rechtsgrund (die Wechselverpflichtung) tritt an die Stelle des alten; zB Kaufvertrag.
Nicht jede Änderung im Schuldverhältnis ist Novation
§ 1379 ABGB stellt zudem klar, dass ein Verändern von Nebenbestimmungen – wie Bedingung, Befristung, Zinsenhöhe, Fälligkeit, Darlehenslaufzeit – keine Novation darstellt. Dasselbe gilt für Lohnerhöhungen oder die Lieferung von mangelfreier statt mangelhafter Ware (im Rahmen von Gewährleistungsansprüchen); vgl SZ 43/24 (1972): Tiefkühltruhe.
Was ist als „Umänderung“ von Rechten und Verbindlichkeiten anzusehen?
Novation : §§ 1376-1379 ABGB → Novation oder Neuerungsvertrag
Vergleich : §§ 1380-1391 ABGB → Der Vergleich: §§ 1380-1390 ABGB
Zession : §§ 1392-1399 ABGB → KAPITEL 14: Zession, Gläubigerwechsel, Forderungsübergang.
Anweisung / Assignation: §§ 1400-1403 ABGB → KAPITEL 15: Die Anweisung: §§ 1400 ff ABGB.
Schuldübernahme : §§ 1404-1410 ABGB → KAPITEL 14: Der eigentliche Schuldnerwechsel.
• Dazu kommt das Anerkenntnis (→ Das Anerkenntnis), das vom ABGB hier zwar nicht angeführt, aber andernorts behandelt wird; vgl zB § 1497 ABGB: Anerkenntnis der Unterbrechung der Ersitzung oder Verjährung; oder §§ 163b ff ABGB: Vaterschaftsanerkenntnis.
nach oben
2. Novation oder Neuerungsvertrag
Novation (§§ 1376-1379 ABGB) ist nach § 1376 ABGB die Umänderung von Rechten oder Pflichten (im Schuldverhältnis) „ohne Hinzutritt einer dritten Person” [wie bei der Bürgschaft] und beinhaltet entweder:
• die Änderung des Rechtsgrundes / Titels oder
• die Änderung des Hauptgegenstandes einer Forderung.
In diesen Fällen geht „die alte Verbindlichkeit in eine neue über”.
Beispiel
§ 1377 ABGB bestimmt, dass durch Novation „die vorige” [= alte] Hauptverbindlichkeit auf[hört], und die neue ... zugleich ihren Anfang” nimmt. – Das hat Konsequenzen!
Wirkungen der Novation
Die alte Verbindlichkeit erlischt und wird durch eine neue ersetzt, wobei das Entstehen der neuen Verbindlichkeit davon abhängt, dass die alte tatsächlich gültig bestanden hat; Abhängigkeit oder Akzessorietät der Novation. War die alte Schuld ungültig, entsteht auch keine neue. – Grundgedanke: Die neue Schuld entsteht aus der alten, ist aber doch eine neue. Das zeigt sich am Schicksal der Nebenrechte.
Akzessorietät der Novation
Eine Naturalobligation kann aber noviert werden! Denn die (alte) Schuld besteht (noch) gültig, mag sie auch rechtlich nicht mehr durchsetzbar sein → Naturalobligationen
§ 1378 ABGB handelt von den Wirkungen der Novation auf Nebenrechte wie „Bürgschafts-, Pfand- oder andere Rechte” (etwa Sicherungsrechte wie eine Konventionalstrafe) und bestimmt für sie, dass diese Nebenrechte grundsätzlicherlöschen”, es sei denn, die Vertragspartner des Neuerungsvertrags hätten „hierüber etwas anderes festgesetzt”.
Wirkungen auf Nebenrechte
§ 1379 ABGB erklärt, was nicht unter den Begriff der Novation fällt (und nennt dabei „die bloße Ausstellung eines neuen Schuldscheines, oder einer anderen dahin gehörigen Urkunde) und betont im letzten Satz:
Zweifelsregel
Im Zweifel wird die alte Verbindlichkeit nicht für aufgelöst gehalten, solange sie mit [also neben] der neuen noch wohl bestehen kann.”
Diese Zweifelsregel ist insofern von Bedeutung, als nicht immer klar ist, ob etwas Haupt- oder bloße Nebenbestimmung ist und ob die Parteien wirklich eine Novation wollten.
Wo spielt neben § 1379 letzter Satz ABGB das „Wohl-Bestehen-Können” noch eine Rolle? → KAPITEL 17: Das bäuerliche Erbrecht als Anerbenrecht: Bäuerliches Erbrecht.
nach oben
3. Der Vergleich: §§ 1380-1390 ABGB
Der Vergleich ist seinem Wesen nach Novation, genauer: er ist (entgeltlicher) Neuerungsvertrag; § 1380 Satz 2 ABGB. – Das ABGB umschreibt den Vergleich als Neuerungsvertrag, „durch welchen streitige, oder zweifelhafte Rechte dergestalt bestimmt werden, dass jede Partei sich wechselseitig etwas zu geben, zu tun, oder zu unterlassen verbindet”.
Neuerungsvertrag
Der – wie er auch genannt wird – außergerichtliche oder bürgerliche Vergleich schafft also einen neuen Rechtsgrund; GlU 9840 (1884) uam. – Aber nicht alles, was als Vergleich bezeichnet wird, ist ein Neuerungsvertrag. Die Rspr betont, dass der Vergleich nur dann Neuerungsvertrag ist, wenn damit eine neue Rechtsgrundlage geschaffen und ein Zurückgreifen auf das ursprüngliche Rechtsverhältnis ausgeschlossen werden soll; EvBl 1975/240 = JBl 1976, 148.
Schafft neue Rechtsgrundlage
Anders als die bloße Novation setzt die Gültigkeit eines Vergleichs nicht voraus, dass ein gültiges Grundgeschäft vorgelegen hat. Der Vergleich ist demnach nicht akzessorisch. Der Vergleich geht eben oft geradezu davon aus, dass das Grundgeschäft – oder doch Teile davon – unsicher oder zweifelhaft ist. Bestand kein (gültiges) Grundgeschäft, behält der Vergleich daher dennoch seine Wirkung; sog rechtsgestaltende Wirkung des aussergerichtlichen Vergleichs: EvBl 1955/379 (strittige Forderung).
Nicht akzessorisch
Inhaltlich werden mit dem Vergleich „streitige, oder zweifelhafte Rechte dergestalt bestimmt.., dass jede Partei sich wechselseitig etwas geben, zu tun, oder zu unterlassen verbindet” (= verpflichtet); man spricht von Bereinigungs- oder Klarstellungswirkung des Vergleichs. Es geht dabei immer um ein wechselseitiges Nachgeben beider (!) Vertragsteile. Anders ist das beim Anerkenntnis → Das Anerkenntnis – Nach der Rspr liegt das Wesen des Vergleichs darin, „dass die Parteien an die Stelle einer streitigen oder zweifelhaften Verbindlichkeit eine feststehende setzen”; MietSlg 35.262 (1983).
Bereinigungs- oder Klarstellungswirkung
Der Vergleich – zum Teil gilt dies auch für das Anerkenntnis – stellt ein hervorragendes Rechtsinstrument der außergerichtlichen Streitbereinigung dar. Nur muss es adäquat eingesetzt werden, was psychologisches Einfühlungsvermögen voraussetzt. Mediationsergebnisse können auf diese Weise rechtlich abgesichert werden.
Instrument außergerichtlicher Streitbereinigung
Nicht alle rechtlichen Zweifelsfragen können aber durch Vergleich bereinigt werden. Das Gesetz selbst bringt Beispiele, worüber kein gültiger Vergleich geschlossen werden kann. Wie die folgenden Beispiele zeigen, handelt es sich um „Fälle” an deren Gestaltung ein öffentliches Interesse besteht, weshalb der privatautonomen Gestaltung Grenzen gesetzt werden, nämlich:
Grenzen privatautonomer Gestaltung
• § 1382 ABGB: Streit über die Gültigkeit einer Ehe;
• § 1383 ABGB: oder „über den Inhalt einer letzten Anordnung ... vor deren Bekanntmachung”;
• § 1384 ABGB: oder über strafbare Handlungen; vgl aber § 167 Abs 2 Z 2 StGB: tätige Reue und sog Privatanklagedelikte.
• Auch zwingende gesetzliche Vorschriften wie der Kündigungsschutz nach dem MRG können durch Vergleich nicht umgangen werden; MietSlg 30.253 (1978).
Zum Räumungsvergleich im Bereich des MRG → KAPITEL 6: Anwendungsbereich des MRG.
§ 1381 ABGB grenzt den Vergleich vom (Schuld)Erlass ab. Beim Erlass wird ein unstreitiges (Vergleich = streitig!) und unzweifelhaft (Vergleich = zweifelhaft!) bestehendes Recht unentgeltlich (Vergleich = entgeltlich!) erlassen.
Abgrenzung des Vergleichs vom (Schuld)Erlass
Die Rechtsnatur des (Schuld)Erlasses ist aber selbst strittig. Für manche ist er Vertrag, nämlich Schenkung (vgl § 939 ABGB), für andere (als Verzicht) bloß ein einseitiges Rechtsgeschäft. Der Streit ist überflüssig: Schenkung braucht Annahme, einseitiger Erlass (als Verzicht dagegen) nicht; § 939 ABGB.
Als Neuerungsvertrag wirkt der Vergleich konstitutiv, dh er schafft eine neue Rechts(grund)lage, ein neues Titelgeschäft / causa. – Anders als bei der Novation bleiben aber beim Vergleich Bürgen und Pfänder (also Nebenrechte und Sicherungen) grundsätzlich aufrecht, soweit dadurch keine Haftungserweiterung eintritt. Dem Schuldner bleiben auch alle Einwendungen gegen den Gläubiger erhalten; § 1390 ABGB.
Wirkungen des Vergleichs
Als Vertrag wird der Vergleich formlos, also auch bloß mündlich, geschlossen. Ist aber das, worüber verglichen werden soll formbedürftig (zB die Verpflichtungserklärung des Bürgen nach § 1346 Abs 2 ABGB), unterliegt auch der Vergleich insofern der Formpflicht.
Nicht formbedürftig
Ein Vergleich will „streitige oder zweifelhafte Rechte” klären und soll daher nicht wieder ohne weiteres, insbesondere nicht im selben Ausmaß angefochten werden können wie andere Verträge; zB wegen Irrtums. – § 1385 ABGB bestimmt daher, dass ein (unterlaufener) Irrtum einen geschlossenen Vergleich „nur insoweit ungültig machen” kann, als er die „Wesenheit der Person, oder des Gegenstandes”, also der Vergleichsbasis (Gschnitzer) betrifft; dh jene Punkte, die die Parteien als feststehend und gerade nicht als strittig oder zweifelhaft betrachtet haben. (Zum Wegfall / Störung der Geschäftsgrundlage → KAPITEL 5: Störung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage.) Das Gesetz selbst (§ 1385 ABGB) nennt dafür Beispiele:
Anfechtbarkeit?
• Irrtum in der Person (des Vergleichspartners) oder
• Irrtum im Vergleichsgegenstand.
Ein Vergleich kann daher nicht wegen einer Verletzung über die Hälfte angefochten werden (§ 1386 ABGB) → Verkürzung über die Hälfte – „Ebenso wenig können neu gefundene Urkunden, wenn sie auch den gänzlichen Mangel eines Rechtes auf Seite einer Partei entdecken, einen redlich eingegangenen Vergleich entkräften”; § 1387 ABGB. Betrug und Täuschung können aber immer geltend gemacht werden; § 1389 iVm §§ 1386, 1387 ABGB: „redlich errichtet” oder „eingegangen”. Rechenfehler schaden nach § 1388 ABGB aber niemanden.
Die Regelung des § 1388 ABGB stützt Gschnitzers Meinung zum Kalkulationsirrtum → KAPITEL 5: Der Kalkulationsirrtum.
Typische Anwendungsfälle des außergerichtlichen Vergleichs
Rechtssprechungsbeispiel
DRdA 1991, 470: Bereinigung offener, strittiger Punkte bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
EvBl 1993/24: Eine sog Generalbereinigung ist ein Vergleich;. Hier ging es um die Bereinigung von Differenzen zwischen einer GmbH und ihrem Geschäftsführer. – Die Entlastung nach § 35 Abs 1 GmbHG ist eine einseitige Erklärung der GmbH, mit der diese ihre/n Geschäftsführer von Schadenersatzansprüchen befreit, die aus Verstößen derselben erwachsen können. Die Entlastung ähnelt in ihrer Wirkung dem Verzicht auf Ersatzansprüche oder dem Anerkenntnis des Nichtbestehens solcher Ansprüche. – Die Generalbereinigung, als Vergleich, geht aber darüber hinaus und enthält auch den Verzicht auf bislang nicht erkennbare Ersatzansprüche. Aber auch eine Generalbereinigung erstreckt sich nicht, wie jeder andere Vergleich, auf Rechte, die verheimlicht worden sind oder an welche die Parteien nicht denken konnten; also einen Irrtum über die Vergleichsbasis!
RZ 1979/89 = EFSlg 33.839 oder EvBl 2000/68: Dem Unterhaltsvergleich wohnt die Umstandsklausel inne → KAPITEL 6: Vorvertrag und Umstandsklausel: Vergleichsweise Regelung einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung (Unterhaltsvergleich).
Bedeutsam ist der (außergerichtliche) Vergleich im Versicherungsrecht. – Um Zivilprozesse zu vermeiden, schließen Versicherungen mit Geschädigten sog Abfindungsvereinbarungen mit denen bestehende Ansprüche generell und endgültig geklärt – eben abgefunden – werden sollen. Dabei besteht – wie die Praxis zeigt – die Gefahr, dass Versicherer anspruchsberechtigte Personen übervorteilen, indem sie versuchen, in Abfindungserklärungen gegenwärtig noch gar nicht absehbare, also unvorhersehbare und später eintretende Schäden selbst von außergewöhnlichem Umfang miteinzubeziehen, was ein späteres Geltendmachen dieser Ansprüche vereiteln soll. Das spielt im Kfz-Schadensrecht ebenso eine Rolle wie bei Personenschäden aus Verkehrsunfällen oder medizinischen Behandlungsfehlern. Der OGH (bspw 2 Ob 130/97z: E 10.7.1997) hält derartige Vergleiche dann für sittenwidrig, wenn Abfindungsklauseln unvorhersehbare Schäden von außergewöhnlichem Umfang erfassen und die Abfindungssumme nur auf der Basis der bekannten Schäden berechnet wurde; vgl ecolex 1997, 917 = RZ 1998/27 = ZVR 1998/8 = JBl 1998, 38.
EvBl 1991/25: Auch der außergerichtliche Ausgleich ist Vergleich. Bei ihm verzichten die Gläubiger auf den die Ausgleichsquote übersteigenden Schuldrest. Im Gegensatz zum gesetzlichen / gerichtlichen Ausgleich (→ KAPITEL 19: Das Ausgleichsverfahren) entsteht für die Restschuld keine Naturalobligation → Schuld und Haftung – Naturalobligationen
OGH 23. 11. 2000, 6 Ob 271/00t, EvBl 2001/78:Der Kläger vermietet an den Beklagten ein Forsthaus, benützt es aber weiter. Das Bestandobjekt war in mehrfacher Hinsicht mangelhaft. Zwischen den Parteien waren im Zusammenhang mit dem Bestandverhältnis zahlreiche Prozesse anhängig, welche durch einen Generalvergleich beigelegt werden sollten. Dabei ist eine Partei durch einen Sachwalter vertreten. Diese ficht den Vergleich später wegen Irrtums mit dem Argument an sie habe auf Grund extremen psychischen Stresses den Vergleich nicht richtig verstanden. – OGH zur Irrtumsanfechtung bei Geschäften, bei denen ein Stellvertreter tätig wird: Grundsätzlich ist ein Irrtum des Vertretenen nicht kausal; es sei denn dieser Irrtum hätte sich in einer Weisung an den Stellvertreter ausgewirkt.
OGH 26. 7. 2000, 7 Ob 165/00s, JBl 2001, 179: Schriftlicher Kaufvertrag enthält Schiedgerichtsklausel. Ein Vertragspartner beruft sich darauf auch nach abgeschlossenem Vergleich. – OGH: Novationswirkung des Vergleichs besteht nur bei Änderung des Rechtsgrundes oder des Hauptgegenstandes. Da im konkreten Fall eine solche Änderung nicht vorlag, blieb das alte Schuldverhältnis bestehen; der Einwand der Unzuständigkeit des ordentlichen Gerichtes wegen Weiterbestand der Schiedsgerichtsklausel besteht daher zurecht.
Ein weiterer praktisch wichtiger Anwendungsbereich des Vergleichs ist der sog Räumungsvergleich des Mietrechts → KAPITEL 6: Anwendungsbereich des MRG.
Räumungsvergleich
Das Verfahrensrecht kennt den gerichtlichen Vergleich; § 204 ZPO. Er wird von der Rspr als prozessrechtlicher Vertrag verstanden, der ein Verfahren bedingt oder unbedingt beendet oder doch Streitpunkte klärt. Der gerichtliche Vergleich ersetzt das streitige Urteil und ist als sog Urteilssurrogat nach § 1 Z 5, 11 und 16 EO Exekutionstitel. – Die Praxis erblickt im gerichtlichen Vergleich sowohl eine (verfahrensbeendende) Prozesshandlung, als auch einen zivilrechtlichen Vertrag; sog Doppelnatur des gerichtlichen Vergleichs.
Gerichtlicher Vergleich
Der gerichtliche Vergleich stellt (gleichsam) die letzte Chance für die Streitparteien dar, den Streit durch privatautonome Vereinbarung zu beenden, das heißt ohne richterliches Urteil. – Der gerichtliche Vergleich ist in der Praxis beliebt und beendet viele streitige Zivilverfahren. Parteien schließen Vergleiche auch oft (bloß) deshalb, um einer nach außen imageschädigenden Verurteilung zu entgehen, die mit langen Prozessen verbunden sein kann.
nach oben
4. Das Anerkenntnis
Auch das Anerkenntnis ist ein Fall der Novation. Es ist dem Vergleich verwandt, zumal es ebenfalls dazu dient, streitige oder unklare Rechte oder Tatsachen zu bereinigen. Anders als beim Vergleich kommt es zum Anerkenntnis aber nicht durch beiderseitiges Nachgeben, sondern bloß durch einseitiges; EvBl 1974/4: Zum Begriff des echten oder konstitutiven Anerkenntnisses. Sinnvollerweise könnte daher einseitige (zugangsbedürftige) Erklärung hinreichen; str (Gschnitzer!). Die Rspr erblickt im Anerkenntnis aber einen Feststellungsvertrag.
Wesen und Wirkung
Das Anerkenntnis besitzt rechtsgestaltende Wirkung und schafft einen neuen Rechtsgrund. – Das echte Anerkenntnis stellt ein vom Gläubiger behauptetes und bislang vom Schuldner angezweifeltes Recht außer Streit und schafft dadurch eine neue selbständige Verpflichtung; SZ 51/176 (1978): Abgrenzung von Schuldbekenntnis und konstitutivem Anerkenntnis. Der Gläubiger kann sich daher künftig auf das Anerkenntnis stützen und muss nicht auf den früheren (strittigen) Rechts- oder Schuldgrund zurückgreifen.
Neuer Rechtsgrund
In Bezug auf Nebenrechte (Sicherungen) lässt man diese, anders als bei der Novation, aber wie beim Vergleich, grundsätzlich weiterbestehen. – Auch für die Anfechtung von Anerkenntnissen gelten die Voraussetzungen des Vergleichs; also nur erschwerte Anfechtungsmöglichkeit.
Nebenrechte
Auch Anerkenntnisse können iSd § 863 ABGB konkludent / stillschweigend erfolgen, was aber – wie das Gesetz ausführt – nicht leichtfertig angenommen werden darf.
Die Hauptbedeutung des Anerkenntnisses liegt:
Vorkommen
• im Familienrecht (Vaterschaftsanerkenntnis; §§ 163b ff ABGB) und
Erbrecht; vgl § 665 ABGB (Schuldvermächtnis);
• aber es kommt auch im Schuldrecht vor, ist hier aber gesetzlich nicht geregelt.
Das Prozessrecht kennt das Anerkenntnisurteil; § 395 und § 45 ZPO.
„Anerkenntnis”
Echtes oder konstitutives AnerkenntnisGeständnis oder deklaratives Anerkenntnis
= Willenserklärung (enthält zB ein Zahlungsversprechen)
- bezieht sich nach hA auf: Rechtsgeschäfte, Verträge, Rechte oder Pflichten
= nicht widerlegbar und widerrufbar
- aber (wenn auch wie derVergleich erschwert) anfechtbar
- schafft einen neuen Rechtsgrund / causa
- nach der Rspr: Feststellungsvertrag; aber auch Deutung als einseitige Erklärung möglich (Gschnitzer)
= Willenserklärung; bloße Aussage
- bezieht sich in der Regel auf Tatsachen*; aber auch Rechtsgeständnisse
= widerlegbar und widerrufbar
- /
- schafft keinen neuen Rechtsgrund, bewirkt aber ~ Beweislastverschiebung im Prozess; Schuldner hat Nichtbestand der Forderung durch Widerlegung des Anerkenntnisses zu beweisen
- ist einseitige (Wissens)Erklärung
* Das Geständnis kann wiederum Tatsachen- (Geständnis ieS) oder Rechts geständnis (auch unechtes Anerkenntnis genannt) sein. – Im Ausstellen eines Schuldscheines, einer Quittung oder in der Bitte um Stundung wird gleichzeitig ein (einseitiges) Rechtsgeständnis erblickt, weil damit mittelbar auch der Bestand des Rechtsverhältnisses bestätigt / anerkannt wird.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 27. 4. 2001, 1 Ob 27/01d (verst Senat), JBl 2001, 593: Verbraucher erhebt keine Einsprüche gegen vierteljährliche Kontoauszüge samt Rechtsbelehrung. – OGH: Das Saldoanerkenntnis nach AGBKr hat im Regelfall nur deklarative Wirkung. Konstitutiv wirkt es nur bei konkreter Streitbereinigungsabsicht, dh wenn im konkreten Fall ein ernstlicher Streit oder Zweifel beigelegt werden soll.
Das Geständnis ist deklaratorisches Anerkenntnis: Vom echten oder konstitutiven Anerkenntnis, das einen neuen und selbständigen Rechtsgrund schafft, ist das bloß deklaratorische Anerkenntnis oder Geständnis zu unterscheiden. – Nicht immer ist einfach festzustellen, ob ein konstitutives oder bloß deklaratorisches Anerkenntnis vorliegt. Dies ist durch rechtsgeschäftliche Auslegung zu ermitteln; §§ 914, 915 ABGB.
Geständnis
Beispiel
nach oben
VII. Teilbarkeit oder Unteilbarkeit der Leistung: Teil- oder Gesamtschuldverhältnis
1. Mehrheit von Berechtigten und Verpflichteten
Auf beiden Seiten einesSchuldverhältnisses, also auf Gläubiger- und Schuldnerseite, können mehrere Personen stehen. Je nachdem liegt Gläubiger- oder Schuldnermehrheit vor; vgl § 888 ABGB:
„Wenn zwei oder mehrere Personen jemanden eben dasselbe Recht zu einer Sache versprechen, oder es von ihm annehmen; so wird sowohl die Forderung, als die Schuld nach den Grundsätzen der Gemeinschaft des Eigentumes [§§ 825 ff ABGB] geteilt.”
Für die rechtliche Behandlung dieser Konstellation macht es einen Unterschied, ob die Leistung der einen oder/und der anderen Seite teilbar ist oder nicht. – Die Frage der Teilbarkeit oder Unteilbarkeit einer Leistung kommt im praktischen Rechtsleben häufig vor und stellt sich nicht nur für körperliche, sondern auch für unkörperliche Sachen insbesondere auch Dienstleistungen und Rechte.
Teilbarkeit der Leistung?
Beispiel
nach oben
2. Teilbare Leistung
Eine teilbare Leistung (zB Geld), die mehreren geschuldet wird (Gläubigermehrheit), gilt grundsätzlich als geteilt; dh jeder (Mit)Gläubiger kann vom Schuldner nur seinen (An)Teil fordern. – Entsprechendes gilt, wenn bei teilbarer Leistung mehrere (Mit)Schuldner vorhanden sind (Schuldnermehrheit); hier schuldet jeder (Mit)Schuldner dem Gläubiger nur seinen (An)Teil; vgl §§ 888, 889 ABGB.
Diese Unterscheidung, ob nämlich bei mehreren Schuldnern jeder nur für seinen Teil haftet oder – wie idF ausgeführt – ein Gesamtschuldverhältnis mit sog Solidarhaftung (dh: „einer [haftet] für alle, alle [haften] für einen”) anzunehmen ist, ist von praktischer Bedeutung.
Solidarhaftung
Die Solidarhaftung besitzt auch im bürgerlichen Recht in allen möglichen Zusammenhangen Bedeutung, wie das Beispiel der folgenden E verdeutlichen mag.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 5. 7. 2001, 6 Ob 315/00t, JBl 202, 40: Ein Mann trennt sich von seiner Frau und nimmt eine außereheliche Beziehung zu einer anderen Frau auf. Ehefrau wusste von ehewidrigem Verhältnis und beauftragte Detektivbüro zur Beweissicherung. Die Detektivkosten will sie von der Freundin des Mannes einklagen. – OGH: Die sonst von der Rspr bejahte solidarische Haftung des Ehestörers mit dem Ehepartner für Detektivkosten scheidet aus, wenn der betrogene Ehegatte mit der Überwachung nur das Interesse an der Beweissicherung für ein Ehescheidungsverfahren verfolgt; dh wenn keine Unsicherheit über die Tatsache der außerehelichen Beziehung selbst besteht.
Im Zweifel wird im bürgerlichen Recht Teilbarkeit angenommen; „im Zweifel” meint: wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben (EvBl 1961/305) oder sich aus der Natur der Leistung nichts anderes ergibt. – Teilbar sind etwa Schadenersatzansprüche in Geld; SZ 41/82 (1968) oder JBl 1979, 88.
Bürgerliches Recht nimmt im Zweifel Teilbarkeit an
Diese Lösung ist für Schuldner wesentlich günstiger, weil das Haftungsrisiko deutlich geringer ist. Die unterschiedlichen Lösungen des bürgerlichen und Handelsrechts offenbaren die größere Strenge des Handelsrechts, was sich nicht nur in dieser Frage zeigt.
Beispiel
Gegenteilig die Regelung des Handelsrechts (Art 8 Nr 1 EVHGB): „Verpflichten sich mehrere [Kaufleute] durch Vertrag gemeinschaftlich zu einer teilbaren Leistung, so haften sie im Zweifel als Gesamtschuldner.”
Anders das Handelsrecht
nach oben
3. Unteilbare Leistung: §§ 890 ff ABGB
Genau umgekehrt verhält es sich bei einer unteilbaren Leistung, wenn auf Schuldner- oder Gläubigerseite mehre Parteien stehen.
Beispiel
Das Schuldverhältnis kann also auch so ausgestaltet sein, dass jeder einzelne Gläubiger die ganze Leistung zu fordern berechtigt ist oder jeder einzelne Schuldner die ganze Leistung schuldet. In einem solchen Fall sind alle Gläubiger befriedigt, wenn einer von ihnen die (ganze) Leistung erhalten hat und auf der anderen Seite werden alle Schuldner von ihrer Leistungspflicht befreit, wenn (auch nur) ein Schuldner vollständig geleistet hat. – Man spricht in diesem Fall von Gesamt- oder Solidarschuld und Gesamtforderung. Vgl aber die Kautelen des § 890 ABGB.
Solidarschuld und Gesamtforderung
nach oben
4. Gesamtschuld- und Gesamtforderung
§ 891 ABGBumschreibt die Gesamt- oder Solidarschuld, auch Korrealität (vgl die Überschrift von § 891 ABGB) genannt:
„Versprechen mehrere Personen ein und dasselbe Ganze zur ungeteilten Hand dergestalt, dass sich einer für alle, und alle für einen ausdrücklich verbinden; so haftet jede einzelne Person für das Ganze. Es hängt dann von dem Gläubiger ab, ob er von allen, oder von einigen Mitschuldnern das Ganze, oder nach von ihm gewählten Anteilen; oder ob er es von einem einzigen fordern wolle.”
Neben der vertraglichen Entstehung einer Solidar- oder Gesamtschuld (zB im Falle eines Schuldbeitritts: § 1347 ABGB → KAPITEL 14: Der Schuldbeitritt) gibt es auch zahlreiche gesetzliche Entstehungsgründe.
Vertragliche und gesetzliche Entstehungsgründe
ZB nach den §§ 1301, 1302 ABGB: Zufügen eines Schadens durch mehrere Teilnehmer; etwa der Mitglieder des Vorstands oder Aufsichtsrats einer AktGes nach § 100 AktG oder einer GmbH nach §§ 10 Abs 4, § 25 Abs 2, § 33 Abs 2, § 56 Abs 3 etc GmbHG; oder nach § 17 UWG bei unlauterem Wettbewerb, Eingriffen in ein Patentrecht (§ 153 PatG), ins Urheberrecht (§ 89 UrhG), aber auch insbesondere nach § 5 Abs 2, 8 und 11 EKHG (mehrere Kfz-Halter) → KAPITEL 9: Halterbegriff oder § 128 HGB (Verbindlichkeiten der OHG) oder nach §§ 28 Abs 6 und 30 GebG für Gebühren von Rechtsgeschäften; so haften Vermieter und Mieter solidarisch (gegenüber dem Finanzamt) für zu entrichtende Gebühren.
Hat bei einer Gesamt- oder Solidarschuld ein Schuldner die gesamte Leistung erbracht oder doch mehr als seinem Anteil entspricht geleistet, so steht ihm gegen seine Mitschuldner nach § 896 ABGB ein entsprechendes Rückgriffs- oder Regressrecht zu.
Rückgriffsrecht von Mitschuldnern
Zur damit einhergehenden Legalzession nach dem Modell des § 1358 ABGB → KAPITEL 15: Legalzession des § 1358 ABGB. – Zum Sukzessivlieferungsvertrag (bei dem der Leistungsinhalt von vornherein vertraglich festgelegt wird) → KAPITEL 2: Sukzessivlieferungs- und Bezugsverträge.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 14.. 1999, 4 Ob 306/99z, EvBl 2000/105: Einer von mehreren Solidarschuldnern bringt Garantie bei; der Interzedent wird bei Fälligkeit in Anspruch genommen. – OGH lässt Garantie eines Solidarschuldners iSd hM für alle wirken. Daraus ergibt sich nach Inanspruchnahme des Garanten ein Regressanspruch nach § 1358 ABGB gegen die übrigen Solidarschuldner.
nach oben
5. Gesamthandschuld
Zu den genannten kommt eine weitere Gestaltungsmöglichkeit des Schuldverhältnisses hinzu: Bei der Gesamthandschuld oder Gesamthandforderung können überhaupt nur alle Schuldner gemeinsam leisten und nur alle Gläubiger gemeinsam die Leistung / Erfüllung fordern; vgl § 890 ABGB.
Zum Gesamt(hand)eigentum → KAPITEL 8: Gesamt(hand)eigentum.
Literaturquelle
Zur Wiederholung:


Teil- oder Gesamtschuldverhältnis
Abbildung 7.39:
Teil- oder Gesamtschuldverhältnis


Gläubiger- oder Schuldnermehrheit (1)
Abbildung 7.40:
Gläubiger- oder Schuldnermehrheit (1)


Gläubiger- oder Schuldnermehrheit (2)
Abbildung 7.41:
Gläubiger- oder Schuldnermehrheit (2)


Gläubiger- oder Schuldnermehrheit (3)
Abbildung 7.42:
Gläubiger- oder Schuldnermehrheit (3)


§§ 890 ff ABGB
Abbildung 7.43:
§§ 890 ff ABGB
nach oben
B. Die Leistungsstörungen
Wurde die Leistung (sowie Zeit und Ort ihrer Erbringung – wie auch immer) bestimmt und erbringt die leistungspflichtige Partei (Schuldner) die so bestimmte Leistung dennoch nicht oder nicht korrekt, liegt eine Leistungs-Störung vor. Die Leistung wird dabei entweder überhaupt nicht oder doch nicht so wie vereinbart oder üblich erbracht; je nachdem spricht man von Nichterfüllung / Verzug oder Schlechterfüllung / Gewährleistung.
Gschnitzer (SchRAT 2 79) formuliert daher: „Unter Leistungsstörung versteht man Mängel in der Abwicklung des richtig zustande gekommenen Schuldverhältnisses – zum Unterschied von Mängeln im Entstehungsakt, also in der Wurzel, zB Wucher, Irrtum; sie scheiden hier aus und gehören in die Lehre vom Rechtsgeschäft.”
Das kommt immer wieder vor, unverschuldet oder verschuldet, wenngleich die Leistungsstörungen grundsätzlich kein Verschulden voraussetzen, sondern – wie man sagt – objektiv konzipiert sind; mehr dazu bei den einzelnen Leistungsstörungen.
Leistungsstörungen setzen kein Verschulden voraus
Der Problemkreis der Leistungsstörungen ist von größter praktischer Bedeutung. Täglich geraten tausende Schuldner und Gläubiger in Verzug oder erfüllen mangelhaft / schlecht. – Leistungsstörungen spielen für Kaufleute wie Konsumenten / Verbraucher eine wichtige Rolle. Rechtliche Regeln für diese Lebenssachverhalte sind daher nötig.
Praktische Bedeutung
Die folgenden Folien grenzen einerseits die Leistungsstörungen, auch Mängel in der Abwicklung genannt, von den Mängeln in der Wurzel, also solchen bei der Entstehung von Rechtsgeschäften, ab und geben einen ersten Überblick über die Arten der Leistungsstörungen.


Mängel von Rechtsgeschäften
Abbildung 7.44:
Mängel von Rechtsgeschäften


Leistungsstörungen: Überblick
Abbildung 7.45:
Leistungsstörungen: Überblick
I. Der Schuldnerverzug
Als praktisch bedeutsamere Verzugsvariante wird der Schuldnerverzug zuerst behandelt.
1. Objektiver (dh nicht verschuldeter) Verzug
Eine Legaldefinition bringt § 918 Abs 1 ABGB: „Wenn ein entgeltlicher Vertrag von einem Teil entweder nicht
zur gehörigen Zeit,
am gehörigen Ort oder
auf die bedungene Weise erfüllt wird”,
§ 918 ABGB
gerät dieser Vertragsteil in (Schuldner)Verzug. – Der Verkäufer liefert zB nicht wie versprochen am 9. November; oder: die Käuferin zahlt nicht wie gesetzlich vorgesehen oder vertraglich versprochen bei Übergabe der Ware. – Es genügt, um Verzug eintreten zu lassen, dass die Leistung objektiv nicht korrekt iSd § 918 ABGB erbracht wird; mag das deshalb sein, weil der Schuldner vergessen hat oder weil er die Leistung nicht erbringen kann, weil er zB die nötigen Vorbereitungen nicht getroffen hat oder weil er selbst von seinen Zulieferern im Stich gelassen wurde; so der instruktive Sachverhalt von SZ 22/6: Küchenmesser → Entscheidungsbeispiele zum Verzug Aber auch wer die Leistung nicht erbringt, weil er (als Schuldner) krank war oder weil ihn ein Unwetter oder sogar eine Naturkatastrophe (zB Hochwasser) daran gehindert hat, gerät in Verzug! – Das erscheint auf den ersten Blick ungerecht und unannehmbar. Eine nähere Betrachtung zeigt uns jedoch, dass auch diese Regelung (gerade im Hinblick auf Praktikabilität und Gerechtigkeitsüberlegungen) ihren Sinn hat. Dazu gleich mehr.
Vorbild für die Legaldefinition des Schuldnerverzugs in § 918 ABGB, der durch die III. TN neu gefasst wurde, war der zum Urbestand des ABGB gehörende § 1047 (Tausch), wo es heißt: „… zur rechten Zeit, am gehörigen Ort und in eben dem Zustand, in welchem sie sich bei Schließung des Vertrages befunden haben, …”
Die §§ 1333, 1334 +aF ABGB fassten die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs objektiv als „Verzögerung der bedungenen Zahlung” (§ 1333 ABGB); und § 1334 ABGB formulierte in derselben Richtung:
Voraussetzungen des Schuldnerverzugs
„Eine Verzögerung fällt einem Schuldner überhaupt [! = objektive Umschreibung] zur Last, ...”.
Das österreichische Privatrecht setzt also für den Eintritt des Verzugs kein Verschulden (iSv persönlich vorwerfbarem Verhalten) des Schuldners für die Nichterfüllung voraus! – Ein Schuldner gerät vielmehr auch dann in Verzug, wenn ihn persönlich kein Vorwurf am Nichterbringen der Leistung trifft.
Die Situierung der §§ 1333, 1334 aF ABGB (durch Zeiller) im Schadenersatzrecht hat die Akzeptanz eines objektiven (Schuldner)Verzugs verzögert und unsicher gemacht;
Die Situierung dieser Regeln im ABGB macht aber auch deutlich, dass die Schuldnerverzugsregeln der §§ 1333, 1334 aF ABGB für alle Arten von Verträgen – also auch unentgeltliche und entgeltfremde – gelten, während § 918 ABGB nur auf entgeltliche Verträge Anwendung findet.
Das dtBGB trifft auch nach der Schuldrechtsreform eine andere Lösung und bestimmt in seinem § 286: „Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.” – Die österreichische Lösung verdient als einfachere und praktikablere den Vorzug. Ob sich unser Verständnis europäisieren lässt, erscheint aber fraglich.
Literaturquelle
Die gemeinsame Marginalrubrik der durch BGBl I 2002/118 (in Geltung ab 1.8.2002) geänderten Bestimmungen lautet nunmehr:
Neufassung der §§ 1333-1335 ABGB
„Besonders durch die Verzögerung der Zahlung. – Gesetzliche Zinsen und weitere Schäden”.
Dadurch wird kaum (mehr) Klarheit geschaffen. Zunächst ist in der Marginalrubrik und in § 1333 ABGB von „Schaden” die Rede und Schaden setzt grundsätzlich Verschulden voraus. Auf der anderen Seite wird im Text das Verschulden als Zurechnungsvoraussetzung von Verzugsschäden nicht erwähnt. – Auszugehen ist deshalb davon, dass die bisherige objektive Fassung des Verzugs durch die Neuregelung nicht geändert werden sollte; arg § 1333 Abs 1 ABGB: „Verzögerung der Zahlung” iVm Abs 3, der den Ersatz „verschuldeter … Schäden” gesondert regelt.
Weiterhin objektive Fassung des Verzugs
• Rechtsfolgen des § 1333 ABGBNach § 1333 Abs 1 ABGB ist der Schaden „den der Schuldner seinem Gläubiger durch die Verzögerung der Zahlung seiner Geldforderung zugefügt [! nicht verschuldet] hat, ... durch die gesetzlichen Zinsen ... vergütet“. Die gesetzlichen (Verzugs)Zinsen nach § 1333 Abs 1 ABGB betragen für Nicht-Kaufleute gemäß § 1000 Abs 1 ABGB 4% jährlich. – Nach § 1333 Abs 2 ABGB betragen die gesetzlichen Verzugszinsen „zwischen Unternehmern aus unternehmerischen Geschäften” (= zweiseitige Handelsgeschäfte) 8% „über dem Basiszinssatz” (d.s. dzt insgesamt: 10,2 %); dazu Abs 2 Satz 2 leg cit.
• § 1333 Abs 3 ABGB bestimmt, dass der Gläubiger „außer den gesetzlichen Zinsen auch den Ersatz anderer, vom Schuldner verschuldeter” Schäden geltend machen kann; insbesondere die notwendigen Kosten zweckentsprechender außergerichtlicher Betreibungs- oder Einbringungsmaßnahmen können verlangt werden „soweit diese in einem angemessenen Verhältnis zur betriebenen Forderung stehen”.
Ersatz verschuldeter Schäden
Die Höhe der Verzugszinsen nach § 1333 Abs 2 ABGB beinhalten nunmehr für Kaufleute eine Pönalisierung und bedeuten eine Verteuerung, was schon in der RL-Vorgabe beabsichtigt war. Durch Abs 3 werden nunmehr Inkassobüros gefördert.
Die Abfolge der §§ 1333, 1334 ABGB stellt die „Lehre vom Rechtssatz“ (Kap 11......) auf den Kopf: § 1333 stellt die Rechtsfolge voran und lässt mit § 1334 ABGB die Tatbestandsvoraussetzungen folgen.
Tatbestandsvoraussetzungen des Schuldnerverzugs: § 1334 ABGB
§ 1334 ABGB nF hat das „überhaupt” der Vorfassung gestrichen, womit nichts gewonnen, allenfalls aber Unklarheit gefördert wurde. Unsere Bestimmung lautet nunmehr:
„Eine Verzögerung fällt einem Schuldner zur Last, wenn er den durch Gesetz oder Vertrag bestimmten Zahlungstag nicht einhält. Sofern die Parteien nicht anderes vereinbart haben, hat der Schuldner seine Leistung bei vertragsgemäßer Erbringung der Gegenleistung ohne unnötigen Aufschub nach der Erfüllung durch den Gläubiger oder, wenn die Parteien ein solches Verfahren vereinbart haben, nach der Abnahme oder Überprüfung der Leistung des Gläubigers oder, wenn die Forderung der Höhe nach noch nicht feststeht, nach dem Eingang der Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung zu erbringen. Ist die Zahlungszeit sonst nicht bestimmt, so trägt der Schuldner die Folgen der Zahlungsverzögerung, wenn er sich nach dem Tag der gerichtlichen oder außergerichtlichen Einmahnung nicht mit dem Gläubiger abgefunden hat.”
Der Schuldner hat seine Leistung nunmehr (bei vertragsgemässer Erbringung der Gegenleistung), sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, zu erbringen:
Wann hat der Schuldner seine Leistung zu erbringen?
• „ohne unnötigen Aufschub nach der Erfüllung durch den Gläubiger” oder
• nach der Abnahme oder Überprüfung der Leistung des Gläubigers oder,
• wenn die Forderung der Höhe nach noch nicht feststeht, nach dem Eingang der Rechnung oder
• einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung.
• Als letzte Möglichkeit sieht § 1334 ABGB die schon bisher hier geregelte (Ein)Mahnung vor; vgl auch § 1417 ABGB.
Wie bisher kann zum objektiven Verzug Verschulden (= subjektiver Verzug) hinzutreten, dann treffen den Schuldner neben den objektiven Verzugsfolgen des § 1333 Abs 1 und 2 ABGB auch noch die Schadenersatzpflichten des § 1333 Abs 3 ABGB. Schadenersatz setzt grundsätzlich Verschulden voraus → KAPITEL 9: Die Schadenersatzvoraussetzungen.
Verschuldeter Verzug
Rechtssprechungsbeispiel
Beispiele für subjektiven Verzug:
EvBl 1993/15 – Prozessführung als Verschulden: „Die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts bezüglich der Schadenersatzpflicht des säumigen Vertragspartners sind grundsätzlich richtig. Den Ersatz eines über die gesetzlichen Zinsen hinausgehenden Nachteils der nicht rechtzeitigen Zahlung setzt auf jeden Fall einen schuldhaften Zahlungsverzug voraus; hiebei hat der säumige Schuldner nach § 1298 [ABGB] den Beweis zu erbringen, dass ihn kein Verschulden trifft .... Im Hinblick auf die schuldhafte Nichtzahlung des Kaufpreises haftet der Beklagte dem Kläger für alle durch ihre Unterlassung verursachten adäquaten Schäden. Richtig hat das Berufungsgericht erkannt, dass es sich bei der Geltendmachung der Kreditzinsen um einen Verzögerungsschaden handelt. Ein solcher Schaden wird im allgemeinen durch die gesetzlichen Verzugszinsen vergütet; bei schuldhaftem Verzug ist jedoch die Geltendmachung höherer Ansprüche möglich. [!] Über die gesetzlichen oder vertraglichen Verzugszinsen hinausgehende Zinsennachteile sind [wirklicher oder] positiver Schaden, daher auch bei Verschulden zu ersetzen .... Es ist ... von einem grob fahrlässigen Verzug der Beklagten auszugehen. Die Beklagte hat daher dem Kläger die Zinsen für einen Kredit zu ersetzen, der zur Abwendung der durch die Nichtzahlung des Kaufpreises drohenden Schäden aufgenommen worden ist.”
JBl 1999, 470: Verzinsung des Schadenersatzanspruchs (§ 1333 aF ABGB): Ein die gesetzlichen Zinsen übersteigender Ersatz von Kreditzinsen gebührt dem Geschädigten bei verschuldetem Verzug des Schädigers mit der Ersatzleistung auch dann, wenn der Geschädigte den Schaden noch nicht behoben hat. (Das gilt wegen des Ausschlusses fiktiver Reparaturkosten [→ KAPITEL 9: Fiktive Reparaturkosten] nur dann nicht, wenn feststeht, dass eine Schadensbehebung überhaupt unterbleiben wird.)
Objektiv wurde der Verzug (im Rahmen der III. TN 1916) deshalb ausgestaltet, weil andernfalls Ausreden und dadurch Unsicherheiten des Geschäftsverkehrs Tür und Tor geöffnet würde. Verkehrssicherheit – also Sicherheit des rechtsgeschäftlichen Verkehrs – ist aber ein hoher Rechtswert. – Der eine Schuldner würde vorgeben, er habe deshalb nicht geleistet, weil er krank gewesen sei (das ärztliche Attest ist leicht zu beschaffen!), ein anderer würde das oder jenes anführen. Die Gerichte hätten diese Einwände zu prüfen! Um solchen Versuchen von vornherein den Boden zu entziehen, lässt man unabhängig vom Grund der Verzögerung Verzug eintreten, weil dadurch die Rechtssicherheit erhöht und der Rechtsverkehr auf eine sichere Grundlage gestellt wird. – Das sieht zunächst unbillig und hart aus, erweist sich aber bei näherem Hinsehen als durchaus zweckmäßig und gerecht; und andrerseits sind die Rechtsfolgen des objektiven Schuldnerverzugs (wenigstens für Nichtkaufleute) moderat → Weitere Rechtsfolgen des objektiven Schuldnerverzugs
Objektiver Verzug dient der „Verkehrssicherheit“
Ein Beurteilen dieser scheinbar unbilligen gesetzlichen Lösung des Schuldnerverzugs darf nicht bei der Betrachtung der Situation und Interessen eines Vertragsteils verharren, sondern hat die Interessen beider Vertragsteile in die Beurteilung einzubeziehen. Dann sieht „die Sache” eben anders aus!
Literaturquelle


Neufassung der §§ 1333-1335 ABGB (1)
Abbildung 7.46:
Neufassung der §§ 1333-1335 ABGB (1)


Neufassung der §§ 1333-1335 ABGB (2)
Abbildung 7.47:
Neufassung der §§ 1333-1335 ABGB (2)


Neufassung der §§ 1333-1335 ABGB (3)
Abbildung 7.48:
Neufassung der §§ 1333-1335 ABGB (3)
nach oben
2. Fälligkeit, (Ein)Mahnung, Verzug
Die Termini Fälligkeit und (Ein)Mahnung sind uns bereits geläufig. Dazu gesellt sich nunmehr der Verzug. – Die Unterscheidung ist praktisch wichtig, weil die Begriffe funktional miteinander verzahnt sind.
Nach dem bisherigen Text des § 1334 aF ABGB „fällt einem Schuldner eine Verzögerung überhaupt zur Last”, wenn er:
Alte Fassung des § 1334 ABGB
• „den durch Gesetz oder Vertrag bestimmten Zahlungstag nicht zuhält” (römisches Recht: dies interpellat pro homine) oder
• „in dem Falle, dass die Zahlungszeit nicht bestimmt ist, nach dem Tage [= am Tag nach Zugang der Mahnung!] der geschehenen gerichtlichen oder außergerichtlichen Einmahnung sich nicht mit dem Gläubiger abgefunden hat.”
Auf die Textänderungen der §§ 1333 und 1334 ABGB (ab 1.8.2002) wurde eben eingegangen. Die weitschweifige neue Textierung hat aber an der hier dargestellten grundsätzlichen Regel nichts geändert, sie wurde nur komplizierter.
Immer dann, wenn die Leistungszeit nicht (genau) bestimmt wurde, was nunmehr in § 1334 ABGB ausführlicher geregelt wird (zB Abnahme oder Überprüfung der Leistung, Eingang der Rechnung), bedarf es der (Ein)Mahnung.
Funktion der Mahnung
Die Mahnung geht – wie wir schon wissen – vom Gläubiger aus und richtet sich an den Schuldner. Eine besondere Form ist dafür nicht vorgesehen; dh sie kann mündlich oder schriftlich, mittels Fax, e-mail oder telefonisch erfolgen. Sie muss aber ein klares Leistungsbegehren beinhalten (Gschnitzer). Die Mahnung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung; sie muss daher dem Schuldner zugehen, dh sie muss so in seinen Machtbereich gelangen, dass er sich von ihr Kenntnis verschaffen kann.
Was ist die (Ein)Mahnung?
Mahnung bewirkt FälligstellungMit Zugang der Mahnung wird die Leistung fällig (gestellt); dh es entsteht die „Verbindlichkeit, die Schuld zu zahlen”; § 1417 ABGB. – Man kann daher sagen: (Ein)Mahnung bewirkt Fälligstellung.
Verzug tritt nach der Lösung des ABGB dagegen erst ein, wenn der Schuldner sich auch am Tag nach (Zugang) der Mahnung nicht mit dem Gläubiger abgefunden hat; dh gezahlt oder eine andere Zahlungsvereinbarung getroffen – etwa eine Stundung erwirkt – hat. Das zeigt: (Ein)Mahnung, Fälligkeit und Verzug sind also zu unterscheiden!
Verzug tritt erst ein, …
Sind mehrere Personen gemeinsam eine schuldvertragliche Verpflichtung eingegangen – zB Freund und Freundin mieten eine Wohnung – verlangt die Rspr, dass bspw nicht nur ein Mitmieter gemahnt wird, sondern alle beide ! – Und: Einmahnung (iSv Fälligstellung) spielt keineswegs nur im Schuldrecht eine Rolle, sondern zB auch im Familienrecht; vgl JBl 1991, 589: Einmahnung der Unterhaltspflicht nach Beendigung einer Lebensgemeinschaft → KAPITEL 16: Persönliche Rechtswirkungen der Ehe.
Anders wird der Begriff „ Einmahnung” im dtBGB verwendet; vgl dessen § 286: „Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.” – Abs 2 legt fest, wann es der Mahnung nicht bedarf: zB wenn „für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist” (dies interpellat pro homine) oder wenn die Leistungszeit wenigestens bestimmbar ist oder der „Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert”. Die österr Lösung verdient, weil einfacher und praktikabler den Vorzug. Bedenkenswert erscheint aber die gesetzliche Regelung des § 286 Abs 3 dtBGB: „Der Schuldner kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Forderungsaufstellung leistet. Das gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Forderungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist.”
Anderes Verständnis des dtBGB


Zahlungszeitpunkt oder Fälligkeit
Abbildung 7.49:
Zahlungszeitpunkt oder Fälligkeit


Fälligkeit und Verzug
Abbildung 7.50:
Fälligkeit und Verzug
Im Hinblick auf die Fälligstellung / Einmahnung sind zwei Zeitpunkte zu unterscheiden:
Legende
• der Eintritt der Fälligkeit und der
Eintritt des Verzugs, §§ 1334, 1417 iVm § 904 ABGB.
Die Einmahnung oder Fälligstellung führt die Fälligkeit herbei, wenn diese nicht bereits anderweitig bestimmt wurde. Die Einmahnung kann auch formfrei und befristet erfolgen, hat aber ein klares Leistungsbegehren zu enthalten. – Der Beginn des Verzugs dagegen tritt erst mit Ablauf des dem Zugang der Einmahnung folgenden Tages ein; § 1334 letzter Satz ABGB. – Die Unterscheidung besitzt Bedeutung, kann doch der Gläubiger erst ab Eintritt des Verzugs vom Vertrag zurücktreten; verlangen – auch gerichtlich (dh einklagen) – kann der Gläubiger die Leistung aber schon ab Eintritt der Fälligkeit!.
nach oben
3. Weitere Rechtsfolgen des objektiven Schuldnerverzugs
Auch bei bloß objektivem Schuldnerverzug entsteht dem Gläubiger ein Wahlrecht:
Wahlrecht des Gläubigers
• Er kann den Vertrag aufrechterhalten (und sich mit den dafür vorgesehenen Rechtsfolgen begnügen) oder er kann
• den Rücktritt vom Vertrag für den Fall erklären, dass der Schuldner auch in der gesetzten Nachfrist den Vertrag nicht korrekt erfüllt; dazu gleich mehr.
Die Verzugsfolgen bei Schuldnerverzug betreffen:
Verzugsfolgen
• Primär hat der Schuldner bei Geldschulden – und die sind häufig – mit deren Entrichtung er in Verzug geraten ist, die gesetzlichen Verzugszinsen zu zahlen → Objektiver (dh nicht verschuldeter) Verzug
Wegen der niedrigen gesetzlichen Verzugszinsen (für Nicht-Kaufleute) werden in der Praxis häufig höhere vertragliche, sog bankmäßige Verzugszinsen vereinbart und idF verrechnet → Vertragliche Verzugsfolgen
Gesetzliche und vertragliche Verzugszinsen
• Nach § 918 ABGB besteht (bei entgeltlichen Verträgen) schon bei bloß objektivem Verzug ein gesetzliches Rücktrittsrecht des Gläubigers; dh der Gläubiger kann sich unter (gleichzeitiger!) Setzung einer angemessenen Nachfrist vom Vertrag lösen → Zum gesetzlichen Rücktrittsrecht des § 918 ABGB Das bedeutet einen Wink mit dem „Zaunpfahl“.
Rücktrittsrecht
• Auch die Gefahrtragung des Schuldners wird – schon bei bloß objektivem Verzug – verlängert. Der Schuldner trägt also – solange er in Verzug ist – weiterhin die Gefahr; dh das Risiko für den Nachteil aus dem zufälligen Untergang der Sache / des Leistungsgegenstandes und für deren zufällige Verschlechterung / Beschädigung.
Gefahrtragung des Schuldners
Vgl dazu auch die Ausführungen in der (→ KAPITEL 8: Vertretbare und unvertretbare Sachen: vertretbare / unvertretbare Sachen) Lehre von der Stück- und Gattungsschuld.
nach oben
4. Rechtsfolgen des subjektiven Schuldnerverzugs
Nur bei subjektivem, also verschuldetem (= vor­werf­ba­rem) Verzug kann der Gläubiger über die (genannten) objektiven gesetzlichen Verzugsfolgen hinaus Schadenersatzansprüche erheben. Und zwar entweder:
Schadenersatzansprüche des Gläubigers
• bei Aufrechterhaltung des Vertrags und damit einhergehendem Festhalten an der Erfüllung– den sog Verspätungsschaden (§ 918 iVm § 1333 ABGB) oder
• im Falle des Rücktritts und der damit verbundenen Vertragsaufhebung – den sog Nichterfüllungsschaden.
§ 921 ABGB stellt klar, dass der Rücktritt vom Vertrag den Ersatzanspruch des durch verschuldete Nichterfüllung verursachten Schadens unberührt lässt; § 1333 ABGB. – Dazu tritt die kondiktionenrechtliche Rückstellungsanordnung von § 921 Satz 2 ABGB:
§ 921 ABGB
„Das bereits empfangene Entgelt ist auf solche Art zurückzustellen oder zu vergüten, dass kein Teil aus dem Schaden des anderen Gewinn zieht.”
nach oben
5. Vertragliche Verzugsfolgen
Erwähnt werden soll, dass die – eben geschilderten – gesetzlichen Verzugsfolgen, oft durch vertragliche Vereinbarungen ergänzt und erweitert werden; zB um höhere (vertragliche, sog bankmäßige) Verzugszinsen (die gesetzlichen für Nichtkaufleute 4% sind sehr nieder!) oder ein (vom gesetzlichen abweichendes) vertragliches Rücktrittsrecht (→ Das vertragliche Rücktrittsrecht), einen Terminsverlust oder eine Konventionalstrafe: § 1336 ABGB → KAPITEL 15: Die Konventionalstrafe des § 1336 ABGB.


Schuldnerverzug: §§ 918 ff, 1333 ff ABGB
Abbildung 7.51:
Schuldnerverzug: §§ 918 ff, 1333 ff ABGB


Rechtsfolgen des Schuldnerverzugs
Abbildung 7.52:
Rechtsfolgen des Schuldnerverzugs
nach oben
6. Das vertragliche Rücktrittsrecht
Das vertragliche Rücktrittsrecht spielt ua beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt (→ KAPITEL 8: Eigentumsvorbehalt als Warensicherungsmittel) eine wichtige Rolle, denn der Verkäufer behält es sich für den Fall vor, dass der Käufer mit der Kaufpreiszahlung in Verzug gerät. Die Vereinbarung eines vertraglichen Rücktrittsrechts beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt ist deshalb nötig, weil dem Verkäufer ansonsten kein Rücktrittsrecht zustünde, da das gesetzliche Rücktrittsrecht des ABGB durch die Regel des Art 8 Nr 21 EVHGB ausgeschlossen ist; abgedruckt im HGB bei § 373 HGB.
Wichtig beim ETV
Art 8 Nr 21 EVHGB
„Hat der Verkäufer dem Käufer die Ware übergeben und den Kaufpreis gestundet [richtig müsste es nach österreichsicher Terminologie heißen: „kreditiert” (!)], so steht ihm ein Rücktrittsrecht nach § 918 ABGB ... nicht zu.”
Das fehlende gesetzliche Rücktrittsrecht wird daher beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt durch Vereinbarung eines vertraglichen ersetzt.
Rechtssprechungsbeispiel
Vgl etwa HS 4301 (1964): „(Rücktrittsrecht des Vorbehaltsverkäufers) Die Vereinbarung des Eigentumsvorbehalts schließt im Zweifel die Vereinbarung eines [vertraglichen] Rücktrittsrechts unter Abdingung der nicht zwingenden Vorschrift des Art 8 Nr 21 EVHGB in sich ...”
OGH 24. 5. 2000, 3 Ob 290/99i, JBl 2000, 727 = EvBl 2000/209: OGH wendet die für bewegliche Sachen konzipierte Regel des Art 8 Nr 21 EVHGB (Rücktrittsausschluss wenn Sache übergeben und Kaufpreis kreditiert wurde) auch auf den Kauf von Liegenschaften an. Klargestellt wird: „Übergabebei Liegenschaften bedeutet nicht Verbücherung, sondern bloß Leistung aller Voraussetzungen, um ins Grundbuch zu kommen (insbesondere Aufsandungserklärung und Übergabe der entsprechenden Urkunde). Gschnitzer hat diese Analogie schon 1967/68 vorgeschlagen; vgl seinen Beitrag in der GS F. Gschnitzer. – OGH unterscheidet nicht korrekt zwischen Stundung und Kreditierung.
nach oben
7. Die Leistung muss nachholbar sein
Klarzustellen ist, dass von Verzug nur gesprochen werden kann, wenn die Leistung (vom Schuldner) noch erbracht, dh nachgeholt werden kann; andernfalls liegt bereits nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung vor → Nachträgliche Unmöglichkeit Der Gläubiger kann und wird daher im Normalfall, obwohl sein Schuldner in Verzug geraten ist, weiter auf Erfüllung (der Leistung) bestehen! – Auch das Rücktrittsrecht des § 918 ABGB – dessen Formulierung mit Vorsicht zu lesen ist – ist so gestaltet, dass die Rücktrittserklärung des Gläubigers erst dann ihre (volle) Wirkung entfaltet, nämlich den Vertrag auflöst, wenn der Schuldner auch in der – gleichzeitig mit der Rücktrittserklärung – zu setzenden angemessenen Nachfrist nicht geleistet hat → Zum gesetzlichen Rücktrittsrecht des § 918 ABGB
nach oben
8. Zum gesetzlichen Rücktrittsrecht des § 918 ABGB
Das ABGB von 1811 kannte die Rücktrittsmöglichkeit des Gläubigers bei Schuldnerverzug noch nicht. Das Rücktrittsrecht des § 918 ABGB wurde erst durch die III. TN zum ABGB (1916) eingeführt. Der Gläubiger konnte nach dem ABGB von 1811 grundsätzlich nur auf Erfüllung bestehen. Die Bestandskraft von Verträgen (Vertragstreue) war damals noch größer, die Möglichkeit sachgerechter Lösungen aber deutlich geringer. Nur in wenigen Fällen sah das Gesetz schon damals die Möglichkeit eines „völligen” Abgehens vom Vertrag vor; so bei der Wandlung (§ 932 ABGB → § 932 ABGB ) und bei vertraglich vereinbarter Rücktrittsmöglichkeit; § 908 ABGB: sog Reugeld → KAPITEL 15: Reugeld: §§ 909 ff ABGB und § 7 KSchG. – Zum wesentlichen Irrtum → KAPITEL 5: Wesentlicher Irrtum: § 871 ABGB.
Historische Entwicklung
Ausgehend vom Rücktrittsrecht des Gläubigers nach § 918 ABGB bei Schuldnerverzug, erlangte das Rücktrittsrecht seit der III. TN über das ABGB Schritt für Schritt hinaus einen immer weiteren Anwendungsbereich. Insbesondere für Konsumenten (KSchG) erwies es sich als effizientes Mittel der Interessenwahrung; vgl etwa:
• §§ 3, 4 KSchG: Rücktritt von sog Haustürgeschäften
• §§ 5e-g KSchG: Verbraucherrücktritt von „im Fernabsatz” geschlossenen Verträgen; BGBl I 1999/185
• § 15 KSchG: Verträge über wiederkehrende Leistungen – getarnt als Kündigungsrecht! → KAPITEL 6: Sonderregelung des § 15 KSchG
• § 30a KSchG: Rücktritt von Immobiliengeschäften; Änderung durch Art II MaklerG, BGBl 262/1996
• § 5 BTVG 1997: gesetzliches Rücktrittsrecht des Erwerbs → KAPITEL 15: Das Bauträgervertragsgesetz / BTVG
• §§ 31c und d KSchG: Rücktritt vom Reiseveranstaltungsvertrag (BGBl 1993, 247)
• § 17 ÜbernahmeG
• § 50 Abs 1 ÄrzteG 1998 statuiert für den Rücktritt des Arztes vom Behandlungsvertrag eine rechtzeitige Anzeigepflicht, trifft aber sonst keine vom allgemeinen Zivilrecht abweichende Sonderregelung.
Eine wichtige rechtspolitische Aufgabe der Zukunft bestünde darin, den bereits merklichen „Wildwuchs” von Sonderrücktrittsrechten wiederum ins ABGB zu integrieren und dabei möglichst zu vereinheitlichen.
Literaturquelle
Nach § 918 ABGB kann der Gläubiger – wie erwähnt – bei Verzug des Schuldners entweder:
§ 918 ABGB
• weiterhin Erfüllung verlangen (und bei Verschulden zusätzlich Schadenersatz „wegen Verspätung”; sog Verspätungsschaden) oder
• vom Vertrag zurücktreten (und bei Verschulden zusätzlich Schadenersatz wegen Nichterfüllung verlangen; sog Nichterfüllungsschaden: § 921 Satz 1 ABGB).
Rechtssprechungsbeispiel
Durch die Klage auf Erfüllung nach § 918 ABGB verliert der vertragstreue Teil nicht das Recht, vom Vertrag zurückzutreten, wenn der Schuldner weiterhin säumig ist und zu erkennen gibt, dass er den Vertrag nicht zu erfüllen bereit ist; EvBl 1964/293.
Nach § 1298 ABGB trifft den Schuldner die Beweislast für seine Verschuldensfreiheit; Beweislastumkehr.
§ 1298 ABGB
Das Rücktrittsrecht des Gläubigers besteht auch bei bloß objektivem Schuldnerverzug; es besteht während der gesamten Verzugsdauer. – Die Rücktrittserklärung ist formfrei und muss auch (bei Nichteinigung) nicht gerichtlich erklärt werden, was einen Unterschied zur Gewährleistung (§ 933 ABGB) bedeutet. – Zu beachten ist, dass der Schuldner bei Gläubigerverzug kein Rücktrittsrecht besitzt; vgl jedoch § 1425 ABGB.
Rücktrittsrecht auch bei bloß objektivem Schuldnerverzug
Soll der Rücktritt gültig erklärt werden, muss mit der Rücktrittserkärung eine Nachfristsetzung verbunden werden. Es stellt einen häufigen Fehler dar, dass dies nicht geschieht. Die Nachfrist muss zudem angemessen sein; dh lange genug sein, um die bereits vorbereitete Leistung erbringen zu können.
Rücktrittserklärung braucht Nachfristsetzung
Der Sinn der Nachfristsetzung liegt darin, dass damit dem Schuldner nochmals eine Chance eröffnet wird, den Vertrag (und seine Erfüllung) zu retten; favor contractus. – Eine zu kurz bemessene Nachfrist wirkt mit Verlängerung. Der Rücktritt bleibt aber gültig.
favor contractus
Es empfiehlt sich bei der Nachfristsetzung nicht kleinlich zu sein, um die Erfüllung des Vertrags nicht unnötig zu gefährden. Der Grund des Rücktritts sollte zudem genannt werden.
Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Nachfristsetzung entfallen, nämlich:
Nachfristsetzungkann entfallen
• bei Leistungsverweigerung des Schuldners, oder
• wenn die Leistung mittlerweile unmöglich geworden ist,
• oder wenn die Leistung auch trotz angemessener Nachfristsetzung nicht mehr zeitgerecht nachgeholt werden kann.
Beachte
Erfüllt der Schuldner auch in der angemessen gesetzten Nachfrist nicht oder hat er erklärt nicht mehr erfüllen zu wollen, bewirkt die Rücktrittserklärung des Gläubigers die Vertragsauflösung ex tunc, also rückwirkend. Und zwar rückbezogen auf den Zugang der Rücktrittserklärung; sog schuldrechtliche ex tunc-Wirkung → Wirkungen der Ausübung des gesetzlichen Rücktrittsrechts Dies aber nur für den Fall, dass der Schuldner die ihm gleichzeitig gesetzte Nachfrist nicht nützt! – Nützt der Schuldner die ihm gesetzte Nachfrist durch – wenn auch verspätete – Erfüllung, bleibt der Vertrag aufrecht. (Der Schuldner hat aber allenfalls bereits entstandene Verzugsfolgen zusätzlich zur vereinbarten Leistung zu ersetzen.) Wird die Vertragsauflösung dagegen wirksam, weil der Schuldner auch in der Nachfrist nicht leistet, wird das bisher aus dem Vertrag Geschuldete nicht mehr geschuldet.
Wirkungen der Ausübung des gesetzlichen Rücktrittsrechts
Die Parteien trifft nunmehr die gesetzliche Pflicht zur Rückabwicklung; § 921 Satz 2 ABGB. Und zwar zur Rückabwicklung Zug um Zug. Es handelt sich dabei – wie erwähnt – um eine obligatorische, also schuldrechtliche Rückwirkung. Der Gläubigerrücktritt bewirkt also nicht automatisch die Rückübertragung des allenfalls bereits übertragenen Eigentums. Das Eigentum am zB bereits teilweise übertragenen Leistungsgegenstand muss vielmehr erneut durch Übergabe erlangt, also rückübertragen werden.
Pflicht zur Rückabwicklung
• Bei der sog dinglichen / sachenrechtlichen Rückwirkung fällt dagegen das Eigentum durch den Titelverlust von selbst zurück → KAPITEL 5: Dingliche oder obligatorische Rückwirkung?.
• Gesetzlich-kondiktionenrechtliche Rückabwicklungsanordnungen kennen neben § 921 Satz 2 ABGB, § 1447 Satz 3 ABGB auch § 877 ABGB und § 1435 ABGB → KAPITEL 5: Ungerechtfertigte Bereicherung.
• Wenigstens erwähnt werden soll die unterschiedliche Wirkung des „Rücktritts” bei Dauerschuldverhältnissen: Hier wandelt sich das gesetzliche Rücktrittsrecht (bei Zielschuldverhältnissen) in ein außerordentliches Kündigungsrecht um, wobei dieses – den Regeln der Dauerschuldverhältnisse entsprechend – nicht ex tunc, sondern ex nunc, also bloß für die Zukunft, wirkt. – So gewährt § 1118 ABGB dem Bestandgeber das Recht früherer Vertragsaufkündigung, wenn der Bestandnehmer „nach geschehener Einmahnung mit der Bezahlung des Zinses dergestalt säumig ist, dass er mit Ablauf des Termins den rückständigen Bestandzins nicht vollständig entrichtet hat; vgl nunmehr auch § 30 Abs 2 Z 1 MRG.


Rücktritt vom Vertrag: § 918 ABGB (1)
Abbildung 7.53:
Rücktritt vom Vertrag: § 918 ABGB (1)


Rücktritt vom Vertrag: § 918 ABGB (2)
Abbildung 7.54:
Rücktritt vom Vertrag: § 918 ABGB (2)


Rücktritt vom Vertrag: § 918 ABGB (3)
Abbildung 7.55:
Rücktritt vom Vertrag: § 918 ABGB (3)


Rücktritt vom Vertrag: § 918 ABGB (4)
Abbildung 7.56:
Rücktritt vom Vertrag: § 918 ABGB (4)


Rücktritt vom Vertrag: § 918 ABGB (5)
Abbildung 7.57:
Rücktritt vom Vertrag: § 918 ABGB (5)


Rücktritt vom Vertrag: § 918 ABGB (6)
Abbildung 7.58:
Rücktritt vom Vertrag: § 918 ABGB (6)


Rücktritt vom Vertrag: § 918 ABGB (7)
Abbildung 7.59:
Rücktritt vom Vertrag: § 918 ABGB (7)
Effizienter Konsumentenschutz verlangt für die Ausübung des Rücktrittsrechts durch Konsumenten (gegenüber Unternehmern) eine gewisse Modifikation des Rücktritts(rechts). Die Rspr verlangt vom Unternehmer, dass er rechtsunkundige Kunden über die richtige Ausübung ihres gesetzlichen Rücktrittsrechts aufklärt. – Das gilt insbesondere auch dafür, dass eine angemessene Nachfrist gesetzt werden muss und Rücktrittserklärung und Nachfristsetzung miteinander zu verbinden sind.
Verbraucherrücktritt
Das hat der sog Markisenfall gezeigt; JBl 1988, 317:
Markisenfall
Eine Frau hatte eine Markise als Maßanfertigung (Werkvertrag) bestellt. Der vereinbarte Liefertermin betrug drei Wochen. Nach zwei Monaten fruchtlosen Wartens „stornierte” die Bestellerin ihren „Auftrag”. Die Antwort der Firma lautete: „Bei einer Maßanfertigung ist ein Rücktritt nicht möglich!” Ein bestimmter Liefertermin wurde seitens der Firma nicht angeboten. Erst einen weiteren Monat später wird die Markise samt Rechnung über 17.500 S geliefert. Die Bestellerin wollte den Vertrag nicht mehr zuhalten. Der OGH erklärte: „Das Erfüllungsangebot der Klägerin war ... verspätet. Der Vertrag war zu diesem Zeitpunkt bereits aufgelöst. Das Begehren auf Erfüllung des Vertrags durch die Klägerin ist demnach unberechtigt.”


Verbraucherrücktritt – Angemessene Nachfrist?
Abbildung 7.60:
Verbraucherrücktritt – Angemessene Nachfrist?
nach oben
9. Das Fixgeschäft: § 919 ABGB und § 376 HGB
In der geschäftlichen Praxis spielt das Fixgeschäft eine wichtige Rolle. Es bringt rechtlich die erhöhte Bedeutung einer zeitgerechten Erfüllung für den Gläubiger zum Ausdruck; Lieferung just in time. – Zu achten ist aber darauf, dass nicht jede zeitliche Terminisierung ein Geschäft schon zum Fixgeschäft macht. Vielmehr muss – ausdrücklich, nach der Verkehrssitte / Handelsbrauch oder schlüssig (nach der Natur des Geschäfts) – dazukommen, dass für den Fall der nicht zeitgerechten Erfüllung von vornherein der Rücktritt bedungen wurde. – Damit wird klargestellt, dass die Erfüllung pünktlich oder gar nicht erfolgen soll.
Zwei Kriterien machen demnach ein Geschäft zum Fixgeschäft:
Zwei Kriterien
• Die Leistungszeit (ein Zeitpunkt oder Zeitraum) muss klar oder doch bestimmbar festgelegt sein; und
• die Rücktrittserklärung muss schon im Vorhinein für den Fall nicht rechtzeitiger Erfüllung abgegeben werden, was nicht nur ausdrücklich erfolgen kann. Damit wird die erhöhte Bedeutung zeitgerechter Erfüllung zum Ausdruck gebracht. – In der Praxis werden dafür „Kürzel” verwendet: fix, prompt, präzise, genau, ultimo, just in time etc; vgl HS 1755 (1952) = EvBl 1953/161. – Diese Kürzel müssen aber nicht gebraucht werden!
Die Beweislast für das Vorliegen eines Fixgeschäfts trägt derjenige, der aus dem Geschäft Rechte für sich herleiten will; SZ 54/3 (1981).
Beweislast
Zu beachten ist, dass sich ein Fixgeschäft auch aus der „Natur der Leistung” ergeben kann. Bestellt ein Unternehmer für ein Waldfest 500 Paar Würstel, ist ihm nicht damit gedient, wenn diese am Tag danach geliefert werden. Eine derart vereinbarte Leistung stellt vielmehr schon nach der Verkehrsauffassung ein Fixgeschäft dar. – Ähnliches gilt für ein vereinbartes Hochzeitsfoto, eine anzufertigende Muttertagstorte oder den Kranz für das Begräbnis.
„Natur der Leistung”
Zu unterscheiden sind absolute von relativen Fixgeschäften. – Beim absoluten Fixgeschäft hat eine verspätete Leistung für den Gläubiger keine Bedeutung mehr; vgl SZ 54/186 (1981): Würstelstand. Hat ein Reisebüro für eine Europarundreise in verschiedenen Hauptstädten Zimmer gemietet und klappt bspw die Buchung in London zum vereinbarten Termin nicht, nützt es nichts, wenn die Zimmer einen Tag später zur Verfügung stehen. – Beim relativen Fixgeschäft ist die Leistung uU sowohl noch möglich, als auch für den Gläubiger uU noch sinnvoll. Der Gläubiger (!) kann daher weiterhin auf Erfüllung bestehen, muss dies jedoch dem Schuldner unverzüglich anzeigen. Durch diese Anzeige wandelt sich das Fixgeschäft zu einem normalen Termingeschäft. Der Schuldner kann dem Gläubiger die verspätete (Fixgeschäft)Leistung aber nicht aufdrängen!
Arten von Fixgeschäften
Das ABGB besitzt die modernere Regelung. Die Praxis wendet daher die umständlichere HGB-Regelung nicht an und übernimmt inhaltlich auch für den Bereich des HGB (§ 376) die modernere Regel des § 919 ABGB. – Daher ist auch bei Handelsgeschäften kein Rücktritt erforderlich.
ABGB und HGB
Diese Gesetzesanalogie ist mittlerweile gewohnheitsrechtlich verankert und Beispiel dafür, dass Gewohnheitsrecht heute vornehmlich als Richterrecht geschaffen wird → KAPITEL 11: Richterrecht.
§ 376 Abs 1 HGB
„Ist bedungen, dass die Leistung des einen Teiles genau zu einer festbestimmten Zeit oder innerhalb einer festbestimmten Frist bewirkt werden soll, so kann der andere Teil, wenn die Leistung nicht zu der bestimmten Zeit oder nicht innerhalb der bestimmten Frist erfolgt, von dem Vertrag zurücktreten oder, falls der Schuldner im Verzug ist, statt der Erfüllung Schadenersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Erfüllung kann er nur beanspruchen, wenn er sofort nach dem Ablaufe der Zeit oder der Frist dem Gegner anzeigt, dass er auf Erfüllung bestehe.”
Eine Sonderregelung für Fixgeschäfte enthält § 22 Abs 1 KO:
§ 22 Abs 1 KO
„War die Ablieferung von Waren, die einen Markt- oder Börsenpreis haben, genau zu einer festbestimmten Zeit oder binnen einer fest bestimmten Frist bedungen und tritt die Zeit oder der Ablauf der Frist erst nach der Konkurseröffnung ein, so kann nicht Erfüllung verlangt, sondern nur Schadenersatz wegen Nichterfüllung gefordert werden.”
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 27/212 (1954): § 919 Satz 2 ABGB ist auch auf ein nicht rechtzeitiges Erbringen von Naturalleistungen im Rahmen eines Ausgedinges (→ KAPITEL 8: Das Ausgedinge) und → KAPITEL 12: Glücksverträge ¿ Gewagte Geschäfte (Glücksverträge) anwendbar.
EvBl 1990/63: Kein absolutes, aber ein relatives Fixgeschäft ist bei einem Personenbeförderungsvertrag mit Luftfahrzeugen mit bestimmten Hin- und Rückflugterminen im Linienverkehr anzunehmen.
ÖBA 1996, 69: Gerät der Schuldner bei einem Fixgeschäft in Verzug, so „zerfällt” der Vertrag, ohne dass der Gläubiger eine Nachfrist setzen oder den Rücktritt erklären muss.
Rspr 1928/312: Ein Fixgeschäft liegt auch vor, wenn sich die Fixgeschäftklausel auf die Abnahme der Ware und deren Bezahlung bezieht; ebenso SZ 54/186 (1981).


Fixgeschäft: § 919 ABGB
Abbildung 7.61:
Fixgeschäft: § 919 ABGB


Relatives Fixgeschäft
Abbildung .62:
Relatives Fixgeschäft
nach oben
II. Gläubiger- oder Annahmeverzug
1. Voraussetzungen des Gläubigerverzugs
§ 1419 ABGB formuliert knapp: „Hat der Gläubiger gezögert, die Zahlung [= Erfüllung] anzunehmen; so fallen die widrigen Folgen auf ihn.”
§ 1419 ABGB
In Annahmeverzug gerät danach jener Gläubiger, der die vom Schuldner ordnungsgemäß – verbal oder real – angebotene Leistung, aus welchem Grund auch immer, nicht annimmt. Der Verzug endet, wenn der Gläubiger die Leistung abnimmt und zusätzlich den allenfalls entstandenen Aufwand ersetzt. Auch eine allfällige Stundung (→ Fälligkeit, Mahnung, Stundung, Kreditierung) beendet den Gläubigerverzug.
In Annahmeverzug geraten kann man grundsätzlich bei Kaufverträgen ebenso, wie bei Arbeits-, Werk- oder Mietverträgen; so gerät der Vermieter in Annahmeverzug, wenn er die vom Mieter korrekt angebotenen Wohnungsschlüssel nicht abnimmt.
nach oben
2. Keine rechtlich durchsetzbare Abnahmepflicht
Nach hA hat der Gläubiger zwar ein Recht auf Leistung, nicht aber die Pflicht, die ihm vom Schuldner – wenn auch korrekt! – angebotene Leistung abzunehmen; dies in dem Sinne, dass sie ihm nicht aufgedrängt, insbesondere die Abnahme nicht klagsweise erzwungen werden kann; vgl schon → KAPITEL 2: Gegenseitige Pflichten aus dem Kaufvertrag ¿ Das Synallagma.
Keine Abnahmepflicht
Ausnahmen macht die Rspr aber dann, wenn der Schuldner an der Abnahme (seiner Leistung) ein besonderes Interesse hat. – Aber auch bei entsprechender Vereinbarung (!) besteht ein Anspruch auf Übernahme des Kaufgegenstands; MietSlg 32.113 (1980).
Ausnahmsweise besteht Abnahmepflicht
Beispiele für ein von der Rspr angenommenes besonderes Interesse des Schuldners an der Abnahme seiner Leistung durch den Gläubiger:
Beispiel
Diese Judikaturhaltung – wohl ein Beispiel für Gewohnheitsrecht (contra legem) – wirkt zunächst befremdend und widerspricht dem klaren Wortlaut des Gesetzes; vgl § 1047 ABGB („… sind … verpflichtet … zu übernehmen”) und § 1062 ABGB: „Der Käufer ... ist verbunden, die Sache ... zu übernehmen ...” – Die erzielten Ergebnisse sind zwar akzeptabel, sollten aber überdacht werden.
Gewohnheitsrecht contra legem
Diese Lösung gilt vornehmlich für den Erwerb beweglicher Sachen, denn der Liegenschaftskäufer kann zB nach abgeschlossenem Kaufvertrag auch ohne Mitwirkung des Käufers, den Käufer verbüchern lassen; vgl JBl 1984, 380: Anm Hoyer. Darüber hinaus kann er den Käufer auf Mitwirkung an der Verbücherung klagen. Nach der Rspr gilt das Judikat 179 aber auch beim Verkauf unbeweglicher Sachen; JBl 1929, 418 und EvBl 1959/402. – Zum Liegenschaftskauf → KAPITEL 2: Besonderheiten des Liegenschaftskaufs.
nach oben
3. Objektiver Gläubigerverzug
Auch für den Gläubigerverzug gilt, dass er vom Gesetz objektiv ausgestaltet wurde, also wie der Schuldnerverzug nicht verschuldet sein muss. Auch schuldlose Nichtannahme der Leistung begründet Gläubigerverzug; SZ 34/4: Weigerung der Rücknahme des Bestandgegenstands. – Hinzukommendes Verschulden berechtigt aber auch hier zu Schadenersatz.
nach oben
4. Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Gläubigerverzugs: §§ 1419 und 1425 ABGB
§ 1419 ABGB enthält eine sehr „großzügige” Rechtsfolgenanordnung und überlässt sie der näheren Ausformung durch die Rspr. Allein § 1425 ABGB statuiert das Recht des Schuldners, seine Schuld gerichtlich zu hinterlegen; oder „wenn sie dazu nicht geeignet ist, die gerichtliche Einleitung zu deren Verwahrung anzusuchen.”
§ 1425 ABGB
Ein häufiger Fehler ist der, dem Schuldner beim Gläubigerverzug – wie dem Gläubiger beim Schuldnerverzug – ein Rücktrittsrecht zu gewähren. Allein dem Schuldner steht ein solches Rücktrittsrecht nicht zu. Das Gesetz verweist ihn auf die gerichtliche Hinterlegung iSd § 1425 ABGB, versagt ihm aber ein (außergerichtliches!) Rücktrittsrecht. – Weiter geht das Handelsrecht → Befreiungshandlungen des Schuldners nach bürgerlichem und Handelsrecht
Diese Befreiungshandlungen des Schuldners sind nötig, um sich vom vertragsbrüchigen Gläubiger lösen zu können. § 1425 Satz 2 ABGB bestimmt ferner:
Gefahrübergang
„Jede dieser Handlungen, wenn sie rechtmäßig geschehen und dem Gläubiger bekannt gemacht worden ist, befreit den Schuldner von seiner Verbindlichkeit, und wälzt die Gefahr der geleisteten Sache auf den Gläubiger.”
§ 1425 Satz 2 ABGB regelt also den Gefahrübergang bei gerichtlicher Hinterlegung. – Zur Gefahrverlagerung vom Schuldner auf den Gläubiger kommt es aber nach hA nicht erst durch die gerichtliche Hinterlegung. Sie tritt vielmehr bereits mit dem Eintritt des objektiven Gläubigerverzugs ein; insbesondere wenn die Fälligkeit bestimmt war. Die Anordnung des § 1425 ABGB gilt daher nur für den Fall, dass bis zur gerichtlichen Hinterlegung ein Gefahrübergang noch nicht stattgefunden hat. – Darin liegt eine Korrektur des § 1425 ABGB, die aber um angemessener Ergebnisse willen sinnvoll erscheint.
Die Praxis hat für den Eintritt des Gläubigerverzugs Konsequenzen „entwickelt”, zumal es nicht anginge, diesen Vertragsbruch einfach hinnehmen zu müssen:
Obligationsmildernde Wirkungen
• Der Schuldner haftet nur mehr für vorsätzliche und grob fahrlässige Beschädigung der geschuldeten Leistung / Sache;
• die Preisgefahr geht auf den Gläubiger über: §§ 1048, 1049 ABGB → KAPITEL 8: Preisgefahr;
• der Gläubiger hat allfälligen Aufwand (zB Transport- oder Lagerungskosten) zu ersetzen; und
• der Schuldner muss nur mehr den tatsächlich gezogenen Nutzen herausgeben, nicht auch den zu ziehen verabsäumten; das spielt bei Zivil- und Naturalfrüchten eine Rolle.
Beispiel
Die Schwäche dieser Regelung liegt darin, dass die gerichtliche Hinterlegung des Leistungsgegenstands durch den Schuldner, diesem noch nicht das Entgelt sichert oder bringt. Rechtspolitisch sollte daher daran gedacht werden, um unnötige Prozesse zu vermeiden und dadurch die Gerichte zu entlasten, in diesem Fall (mit der Hinterlegung) eine gerichtliche Zahlungsaufforderung mit dem Hinweis zu verbinden, entweder binnen eines Monats zu zahlen oder seine Einwendungen – bei sonstiger Präklusion – vorzubringen. Das könnte in einem § 1425 Abs 2 ABGB formuliert werden. IdF wäre für eine erleichterte Anspruchsdurchsetzung zu sorgen. – Zu den handelsrechtlichen Rechstfolgen → Befreiungshandlungen des Schuldners nach bürgerlichem und Handelsrecht
Schwäche der Gläubigerverzugsregelung
nach oben
5. Befreiungshandlungen des Schuldners nach bürgerlichem und Handelsrecht
Nach bürgerlichem Recht kann der Schuldner die geschuldete Leistung gerichtlich hinterlegen oder deren gerichtliche Verwahrung veranlassen; § 1425 ABGB.
Das Handelsrecht kennt darüber hinaus für den Handelskauf in § 373 HGB gegenüber § 1425 ABGB:
Vorbildliche Regelung des Handelsrechts
• ein erweitertes Hinterlegungsrecht des Schuldners (vgl SZ 54/90 [1981]: Hinterlegung einer Schrankwand im Lagerhaus des Spediteurs)
• und § 373 Abs 2 Satz 1 HGB gewährt dem Schuldner darüber hinaus das dem ABGB unbekannte Recht des Selbsthilfeverkaufs. Danach wird dem Schuldner gestattet, „nach vorgängiger Androhung die Ware öffentlich versteigern zu lassen oder, wenn die Ware einen Börsen- oder Marktpreis hat, nach vorgängiger Androhung den Verkauf auch aus freier Hand ... zum laufenden Preis [zu] bewirken”.
• § 373 Abs 2 Satz 2 HGB steigert das Recht des Selbsthilfeverkaufs zum Notverkaufsrecht des Verkäufers / Schuldners, wenn die Ware „dem Verderb ausgesetzt und Gefahr im Verzuge” ist. Hier bedarf es der vorgängigen Androhung nicht mehr. Der letzte Halbsatz des Abs 2 des § 373 HGB erweitert den Anwendungsbereich auf jene Fälle, „wenn die Androhung aus anderen Gründen untunlich ist”.
Ein Selbsthilfeverkauf erfolgt nach § 373 Abs 3 HGB immer „für Rechnung des säumigen Käufers”. Das bedeutet für die bestehende Schuld: Ein Mehrerlös ist dem Gläubiger herauszugeben, ein Mindererlös tilgt die Schuld nicht vollständig.
Diese Befreiungsmöglichkeiten des HGB werden über eine Analogie zaghaft und partiell auch im bürgerlichen Recht angewandt; vgl SZ 23/95 (1950): Verkauf verderblicher Mostbirnen. Dabei wird der (umständliche) Weg über die Geschäftsführung ohne Auftrag gegangen; GoA im Notfall oder GoA zum Nutzen des anderen → KAPITEL 12: Geschäftsführung ohne Auftrag.
nach oben
6. Zur Verwertung gerichtlich hinterlegter Gegenstände
Vgl dazu EvBl 1999/137 (§ 1425 ABGB, § 377 StPO, § 90 Abs 2 FinStrG): Das Gericht, bei dem eine Sache gemäß § 1425 ABGB hinterlegt wurde, hat bei drohendem Verderb oder der Gefahr einer krassen Wertminderung der Sache, aber auch beim Auflaufen unverhältnismäßiger Kosten in Analogie zu den genannten Bestimmungen nach angemessener Frist für eine Verwertung (Versteigerung) dieser Sachen zu sorgen, um dem Ausfolgungsberechtigten zumindest den Erlös aus der Verwertung zu sichern.
Das entspricht inhaltlich den geschildeten handelsrechtlichen Grundsätzen. – Ein rechtspolitischer Vorschlag zu den ganz normalen § 1425 ABGB-Fällen wurde oben gemacht. Eine klare und einfache Lösung wäre wünschenswert.


Gläubigerverzug: § 1419 ABGB (1)
Abbildung 7.63:
Gläubigerverzug: § 1419 ABGB (1)


Gläubigerverzug: § 1419 ABGB (2)
Abbildung 7.64:
Gläubigerverzug: § 1419 ABGB (2)


Gläubigerverzug: § 1419 ABGB (3)
Abbildung 7.65:
Gläubigerverzug: § 1419 ABGB (3)


Gläubigerverzug: § 1419 ABGB (4)
Abbildung 7.66:
Gläubigerverzug: § 1419 ABGB (4)
nach oben
III. Entscheidungsbeispiele zum Verzug
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 22/6 (1949): Küchenmesserfall – Objektiver Schuldnerverzug – Bestellung von 30.000 Küchenmessern, die nicht geliefert werden können. – Leitsatz: Rücktritt nach § 918 ABGB setzt nicht schuldhaften Leistungsverzug voraus. Kläger = Bestellerin der Messer; Beklagter = Lieferant. Der OGH bestätigte die E des Berufungsgerichts, womit das erstgerichtliche Urteil bestätigt wurde. Entscheidungsgründe: Die Klägerin hat bei der Beklagten 30.000 Stück Küchenmesser, lieferbar ab September 1947, wöchentlich mindestens 5000 Stück, bestellt und eine Anzahlung von 50.000 S geleistet. Da die Beklagte trotz wiederholter Mahnung nicht zeitgerecht mit der Lieferung begann, ist die Klägerin nach Nachfristsetzung im Dezember 1947 vom Vertrag zurückgetreten. Sie begehrt Rückzahlung der Anzahlung. Die Beklagte wendete ein, dass sie an der Verzögerung kein Verschulden treffe. Der Erstrichter hat der Klage Folge gegeben, das Berufungsgericht bestätigte. Diese E wird von der beklagten Partei mit Revision angefochten .... Mit der Rechtsrüge bekämpft die Revision die Rechtsanschauung der Untergerichte, dass wegen Leistungsverzuges zurückgetreten werden könne, auch wenn dem Leistungspflichtigen kein Verschulden zur Last fällt. Die Rüge ist nicht begründet.
SZ 55/102 (1982): Gläubiger- oder Schuldnerverzug? – Leitsatz: Bei vereinbarter Zulieferung von Baumaterial an einen Privaten „frei Haus” / „frei Baustelle” ist der Käufer im Zweifel nicht zur Mithilfe beim Abladen verpflichtet. Kläger = Verkäuferin / Lieferantin des Baumaterials. Beklagter = Käufer / Besteller des Baumaterials).
Beachte
Rechtssprechungsbeispiel
HS 4304 (22) (1963): § 919 ABGB; § 376 HGB: Voraussetzungen für die Annahme eines Fixgeschäfts. Fixgeschäft beim Kauf eines Zigarettenautomaten? (Zum Wesen des Fixgeschäftes.) Ein Fixgeschäft liegt nicht schon dann vor, wenn die Leistung zu einer festbestimmten Zeit oder innerhalb einer festbestimmten Frist bewirkt werden soll, sondern zu der Vereinbarung einer festbestimmten Zeit oder Frist der Erfüllung muss der ausdrücklich erklärte oder aus den Umständen ersichtliche Parteiwille hinzutreten, dass nur eine zeitgerechte Leistung als Erfüllung gelten soll [ ...]. Auch die einer Zeitbestimmung hinzugefügten Worte ‘fix’, ‘prompt’, ‘genau’, ‘präzise’ können als Ausdruck des Willens, ein Fixgeschäft zu beabsichtigen, gelten. OGH 5.9.1963, 5 Ob 239/63 (22). Kläger = Lieferant des Automaten bzw Zessionar; Beklagter = Bestellerin.
Beachte
nach oben
IV. Gewährleistung als „Schlecht-Erfüllung“
Beispiel
Literaturquelle
1. Allgemeines
Das Gewährleistungsrecht regelt die Folgen mangelhafter, also schlechter Erfüllung/Leistung. Vertragspartner sind gesetzlich dazu verpflichtet, vereinbarte Leistungen ordnungsgemäß, dh mangelfrei zu erbringen. Der Verkäufer ist bspw dem Käufer gegenüber zu mangelfreier Lieferung des Kaufgegenstandes verpflichtet und haftet ihm nach den Gewährleistungsregeln auch dann für Mängel – zB Fabrikationsfehler, wenn ihn am Vorliegen des Mangels kein Verschulden trifft. Wie wir sehen werden, ist diese Haftung aber zeitlich beschränkt.
Einzustehen ist aber nur für solche Mängel, die bereits im Zeitpunkt der Übergabe (der Leistung) vorhanden waren; § 924 ABGB. – Der neu gefasste § 924 ABGB enthält nunmehr eine Rechtsvermutung der Mangelhaftigkeit (bei Übergabe) bis zum Beweis des Gegenteils, „wenn der Mangel innerhalb von sechs Monaten nach der Übergabe hervorkommt”.
Mängel im Zeitpunkt der Übergabe
Unser Rechtsinstitut dient dazu, um bei entgeltlichen Geschäften Äquivalenzstörungen, die durch den (bereits erfolgten) Leistungsaustausch entstanden sind, zu beseitigen oder doch zu mildern. Dem dienen die gestaffelten Rechtsmittel, die § 932 ABGB bereithält → Arten von Gewährleistungsansprüchen – Die Gewährleistung bildet zusammen mit dem Verzug den Kernbereich der Leistungsstörungen.
nach oben
2. Definition
Gewährleistung bedeutet:
• das gesetzliche Einstehenmüssen (= Haftung) für Sach- und Rechtsmängel; und zwar (nur)
• bei entgeltlichen Geschäften.
Pfusch” und „Ausverkauf”: Gewährleistungsansprüche bestehen auch gegenüber „Pfuschern”, wenn diese „schlecht arbeiten”, zB Fliesen unsachgemäß verlegen oder schlampig ausmalen. Es empfiehlt sich hier – wie bei anderen Professionisten – aus Gründen der eigenen Rechtsdurchsetzung bis zur endgültigen Abnahme der Leistung (wenigstens) einen Teilbetrag des Entgelts zurückzubehalten, also besser nicht schon im Voraus zu zahlen. – Zu allfälligen Schadenersatzansprüchen gegen Pfuscher im Rahmen des § 1299 ABGB → KAPITEL 10: Die Sachverständigenhaftung: Motto. – Gleiches gilt für im „Ausverkauf” erworbene Ware, für die nur deshalb, weil sie billiger ist, nicht auf Gewährleistung verzichtet wird. Der Entgeltcharakter bleibt erhalten. So wenn ein Mädchen 1 Paar hohe Schnürschuhe im Ausverkauf kauft, deren Nähte immer wieder aufgehen!
nach oben
3. Reform des Gewährleistungsrechts
Die EU-RL über den Verbrauchsgüterkauf (und Garantien für Verbrauchsgüter – 1999/44/EG) verlangte eine Reform des österreichischen Gewährleistungsrechts. Die neuen Regeln sind am 1.1. 2002 in Kraft getreten. – Ziel der Reform war es, die Rechtsstellung von Verbrauchern zu verbessern. Gleichzeitig sollten übermäßige Belastungen von Handel und Wirtschaft vermieden werden. Darüber hinaus sollten durch die RL die Vorteile des europäischen Binnenmarktes für Verbraucher gesichert und europaweit einheitliche Standards geschaffen werden. – Der Gesetzgeber nahm die EU-Vorgaben zum Anlaß einer Reform des ABGB-Gewährleistungsrechts. Es blieb also nicht nur bei einer Novellierung des KSchG. – Die EU-RL regelt das Gewährleistungsrecht ieS und das Garantierecht. Dazu kommt die Regelung von Schadenersatzansprüchen im Kontext der Gewährleistung.
Ziel der Reform
Die allgemeinen Gewährleistungsregeln der §§ 922 ff ABGB gelten für sehr unterschiedliche Sachverhalte: einerseits den Konsumgüter kauf (bei dem Mängel an der Sache auftreten können) und den Liegenschafts kauf (zB Rechtsmängel, Baumängel), andrerseits auch den Unternehmenskauf (zB falsche Bilanzen) und nunmehr auch für Werkverträge (zB Reparaturgewerbe, Hoch- und Tiefbau, gewerblicher Dienstleistungssektor).
§§ 922 ff ABGB


Gewährleistung „neu” (1)
Abbildung 7.67:
Gewährleistung „neu” (1)


Gewährleistung „neu” (2)
Abbildung 7.68:
Gewährleistung „neu” (2)


Gewährleistung „neu” (3)
Abbildung 7.69:
Gewährleistung „neu” (3)


Gewährleistung und Schadenersatz (1)
Abbildung 7.70:
Gewährleistung und Schadenersatz (1)


Gewährleistung und Schadenersatz (2)
Abbildung 7.71:
Gewährleistung und Schadenersatz (2)


§ 933b ABGB: Besonderer Rückgriff
Abbildung 7.72:
§ 933b ABGB: Besonderer Rückgriff
nach oben
4. Rechtsquellen
Geregelt ist das Rechtsinstitut der Gewährleistung insbesondere in den §§ 922 ff ABGB. – Daneben existieren gesetzliche Sonderregeln inner- und außerhalb des ABGB; zB für die Zession in § 1397 ABGB, den Bestandvertrag in § 1096 ABGB und für das Handelsrecht in § 377 HGB: Kaufmännische Rügepflicht / Mängelrüge → Kaufmännische Rügepflicht – Durch die Reform beseitigt wurde die Sonderregel für den Werkvertrag in § 1167 ABGB.
Auch Sonderregeln
§ 1167 neu ABGB bestimmt nunmehr: „Bei Mängeln des Werkes kommen die für entgeltliche Verträge überhaupt geltenden Bestimmungen (§§ 922 bis 933b) zur Anwendung.”
Die genannten Sonderregeln weisen größere oder geringere Selbständigkeit gegnüber den §§ 922 ff ABGB auf. So ist der Anspruch auf Zinsminderung gemäß § 1096 ABGB nach der Rspr kein Gewährleistungsanspruch iSd § 932 ABGB und daher auch nicht gemäß § 933 ABGB befristet; SZ 18/188 (1936). Der Anspruch auf Zinsminderung hängt aber ebenfalls nicht von einem Verschulden des Bestandgebers am Eintritt des Mangels ab; SZ 63/20 (1990).


Schuldnerverzug – Gewährleistung
Abbildung 7.73:
Schuldnerverzug – Gewährleistung
nach oben
5. Grenze zum Schuldnerverzug
Innerhalb der Leistungsstörungen müssen die Gewährleistungs- von den Verzugsregeln abgegrenzt werden. Diese Abgrenzung war lange umstritten, wird aber seit geraumer Zeit folgendermaßen vorgenommen:
• Bis zur Übergabe des Leistungsgegenstandes (§ 924 ABGB) gelten nach wie vor die Verzugsregeln,
• ab Übergabe/Ablieferung jedoch jene der Gewährleistung.
• Ein Mangel muss also, um einen Gewährleistungsanspruch erheben zu können, schon bei Übergabe vorliegen, was bislang immer der Käufer zu beweisen hatte. Das hat sich durch die Neufassung des § 924 ABGB geändert → Sachmängel und Rechtsmängel
Zur unechten oder Herstellergarantie → Vertragliche Garantie, wo auch auf die neue Vermutung der Mangelhaftigkeit eingegangen wird.
nach oben
6. Voraussetzungen eines Gewährleistungsanspruchs
Voraussetzung eines Gewährleistungsanspruchs nach § 922 ABGB ist es – das gilt nunmehr für Kauf- und Werkverträge gleichermaßen, dass bspw der Verkäufer:
• die mangelhafte „Sache” / das Werk „einem andern überlässt” (zB Verkäufer leistet / erfüllt also den Vertrag, wenn auch – wissentlich oder unwissentlich – „schlecht”) und
• der andere Teil diese (wenn auch nicht korrekte) Leistung als Erfüllung annimmt; freilich idR in Unkenntnis der Schlechterfüllung / des Mangels.
Eine Ausnahme bildet die Annahme unter Vorbehalt (der Richtigkeit der Leistung); sie wahrt die (Schuldner)Verzugsfolgen. Erweist sich in solch einem Fall die Ware als mangelhaft, kann daher noch der Rücktritt vom Vertrag erklärt werden; § 918 ABGB. Das hat den Vorteil, dass der Rücktritt vom Vertrag auch außergerichtlich erklärt werden kann, während Gewährleistungsansprüche im Falle der Nichteinigung nur gerichtlich geltend gemacht werden können. Es gibt auch – anders als bei der Gewährleistung (→ Gewährleistungsfristen – Geltendmachung) – keine gesetzlichen Rücktrittsfristen. Der Rücktritt kann vielmehr solange erklärt werden, als der Verzug andauert.
Annahme unter Vorbehalt
Hier wird bestimmt, dass derjenige, der „einem anderen eine Sache gegen Entgelt überläßt”, Gewähr dafür leistet, „dass sie dem Vertrag entspricht”. Er haftet dann dafür,
§ 922 Abs 1 ABGB
• „dass die Sache die bedungenen oder
gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften hat,
• dass sie einer Beschreibung, einer Probe oder einem Muster entspricht und
• dass sie der Natur des Geschäftes oder
• der getroffenen Verabredung gemäß verwendet werden kann.”
Abs 2 präzisiert die grundsätzliche Aussage des Abs 1:
§ 922 Abs 2 ABGB
„(2) Ob die Sache dem Vertrag entspricht, ist auch danach zu beurteilen, was der Übernehmer auf Grund der über sie gemachten öffentlichen Äußerungen des Übergebers oder des Herstellers, vor allem in der Werbung und in den der Sache beigefügten Angaben, erwarten kann; das gilt auch für öffentliche Äußerungen einer Person, die die Sache in den Europäischen Wirtschaftsraum eingeführt hat oder die sich durch die Anbringung ihres Namens, ihrer Marke oder eines anderen Kennzeichens an der Sache als Hersteller bezeichnet. Solche öffentlichen Äußerungen binden den Übergeber jedoch nicht, wenn er sie weder kannte noch kennen konnte, wenn sie beim Abschluss des Vertrags berichtigt waren oder wenn sie den Vertragsabschluss nicht beeinflusst haben konnten.”
Diese von der Reform unberührt gebliebene Bestimmung zählt anschaulich „Fälle“ der Gewährleistung auf:
§ 923 ABGB
„Wer also der Sache Eigenschaften beilegt, die sie nicht hat, und die ausdrücklich oder vermöge der Natur des Geschäftes stillschweigend bedungen worden sind; wer ungewöhnliche Mängel, oder Lasten derselben verschweigt; wer eine nicht mehr vorhandene, oder eine fremde Sache als die seinige veräußert; wer fälschlich vorgibt, daß die Sache zu einem bestimmten Gebrauche tauglich; oder daß sie auch von den gewöhnlichen Mängeln und Lasten frei sei; der hat, wenn das Widerspiel hervorkommt, dafür zu haften.”
nach oben
7. Entgeltlichkeit
Für Gewährleistung einzustehen ist – wie erwähnt – nur bei entgeltlichen Geschäften; vgl § 922 ABGB:
”Wer einem anderen eine Sache gegen Entgelt überlässt, leistet Gewähr ...”
Zur Haftung des Schenkers → KAPITEL 3: Haftung des Schenkers?.
nach oben
8. Kein Verschulden – Abdingbarkeit der Gewährleistungsvorschriften
Gewährleistung setzt – wie der Verzug – kein Verschulden an der Mangelhaftigkeit der Leistung voraus. Daran hat sich durch die Reform nichts geändert. Auch die Gewährleistung ist objektiv gefasst und bedeutet ein Einstehen müssen auch für nichtverschuldete Mängel; Erfolgshaftung → KAPITEL 9: Erfolgs- oder Kausalhaftung .
Zum Verhältnis von Gewährleistung und Schadenersatz → Gewährleistung und Schadenersatz
Die bürgerlichrechtlichen Gewährleistungsvorschriften sind aber nicht zwingendrechtlicher Natur und können daher grundsätzlich abbedungen oder modifiziert werden, was in der Praxis auch immer wieder ( in AGB, Formular- und Rahmenverträgen etc) geschieht. Allerdings setzt dabei das KSchG (§ 9 → Gewährleistung und KSchG) und andere Gesetze Grenzen.
Unwirksam nach § 9 Abs 1 KSchG ist insbesondere ein Verkürzen der gesetzlichen Gewährleistungsfrist. Zulässig ist es dagegen nach der neuen Regelung, „bei der Veräußerung gebrauchter beweglicher Sachen die Gewährleistungsfrist auf ein Jahr” zu verkürzen, sofern dies „im Einzelnen ausgehandelt” wird. – Bei Kfz ist ein Verkürzen der Frist nur dann wirksam, „wenn seit dem Tag der ersten Zulassung mehr als ein Jahr verstrichen ist”.
Grundsätzliches Verbot der Fristverkürzung nach KSchG
Zur Rechtsnatur des Dispositivrechts → KAPITEL 1: Nachgiebiges und zwingendes Recht.
nach oben
9. Sachmängel und Rechtsmängel
Wir haben gehört, dass Gewährleistung das Einstehenmüssen für Sach- und Rechtsmängel bedeutet. Damit sind die zwei Arten von Mängeln benannt. Die Reform hat diese Unterscheidung nicht berührt. Auch die grundsätzliche Gleichbehandlung von Sach- und Rechtsmängeln – den Beginn der Frist ausgenommen – hat sich nicht geändert.
Daneben werden noch:
Arten von Mängeln
wesentliche oder Hauptmängel und
unwesentliche oder Nebenmängel sowie
behebbare und unbehebbare Mängel unterschieden.
Die richtige Qualifikation eines Mangels ist wichtig, weil sich danach auch die Einordnung der unterschiedlichen Rechtsfolgen bestimmt; vgl § 932 ABGB.
Ein Sachmangel liegt vor, wenn einer Sache:
Sachmängel
• gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaften oder
• bedungene, d.s. zugesicherte Eigenschaften fehlen; § 922 ABGB.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 24. 10. 2000, 1 Ob 140/00w – „ Fleischschmalzkonserven für das BMfV”, SZ 73/159 = EvBl 2001/55: Das Verteidigungsministerium erteilte einem Unternehmen den Zuschlag, 150.000 Dosen Fleischschmalz zu liefern. Als sich herausstellt, dass die Innendosenbeschichtung toxinhältig ist, verteidigt sich das Unternehmen: es sei keine „BADGE”-freie Lieferung vereinbart worden und eine Gesundheitsbeeinträchtigung könne nicht bewiesen werden. – OGH: Eine schon ihrem Wesen nach ausschließlich für den Verzehr bestimmte Ware ist schon dann als mangelhaft zu beurteilen, wenn die Gefahr einer gesundheitlichen Beeinträchtigung der darauf angewiesenen Personen nicht ausgeschlossen werden kann.
Die „Zusicherung” von Eigenschaften erfolgt ausdrücklich, schlüssig oder stillschweigend; § 863 ABGB → KAPITEL 5: Arten von Willenserklärungen: § 863 ABGB. § 923 ABGB stellt klar, dass die Zusicherung auch bloß durch die „Natur des Geschäftes” erfolgen kann. – „Ungewöhnliche Mängel” oder „Lasten” dürfen nach § 923 ABGB nicht verschwiegen werden.
Zusicherung von Eigenschaften
Für zugesicherte Eigenschaften galt bisher folgende Beweislastmodifikation: Der Käufer hatte die Zusicherung zu beweisen, die Verkäuferseite idF die Mangelfreiheit. Darin lag für die Verkäuferseite eine teilweise Beweislastumkehr! – Auch künftig trifft bspw den Käufer die Beweislast für das Vorliegen einer „Zusage”. – Die Vermutung der Mangelhaftigkeit nach § 924 ABGB gilt aber nunmehr auch für zugesicherte Eigenschaften.
Beweislast für „zugesicherte Eigenschaften”
Beispiel
Die Beweislast für das Vorliegen einfacher Mängel traf nach der Rspr bisher den Käufer, was häufig kritisiert wurde, weil dieser Beweis oft schwer zu erbringen war. Änderungen wurden daher rechtspolitisch immer wieder gefordert und sind nunmehr im Rahmen der Umsetzung besagter EU-RL in § 924 ABGB geregelt worden.
Beweislast für das Vorliegen „einfacher Mängel“
Es kam zu einer Beweiserleichterung für Käufer: Tritt ein Mangel innerhalb der ersten 6 Monate ab Übergabe auf, so wird nunmehr nach § 924 ABGB widerlegbar vermutet, dass der Mangel schon bei Übergabe vorhanden war. Die Vermutung tritt nach § 924 Satz 3 ABGB nicht ein, „wenn sie mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar ist.” – Die Beweislast für die Mangelhaftigkeit einer Ware liegt demnach nunmehr innerhalb dieser Frist beim Verkäufer.
Beweiserleichterung
Eine Ausnahme von dieser Regel besteht aber dann, wenn der Kaufgegenstand eine äußere Beschädigung aufweist, die eine unsachgemäße Behandlung nahe legt. Hier hat erneut der Käufer die Mangelhaftigkeit der gekauften Ware im Zeitpunkt der Übergabe zu beweisen.
Sachmängel müssen, damit sie rechtlich geltend gemacht werden können, schon bei Übergabe vorliegen → Grenze zum Schuldnerverzug – Mit der Übergabe beginnt für Sachmängel auch der Lauf der Gewährleistungsfrist, die jetzt als „Verjährung” bezeichnet wird; § 933 ABGB → Gewährleistungsfristen – Geltendmachung
Von einem Rechtsmangel spricht man, wenn der Verkäufer dem Erwerber nicht jene rechtliche Stellung überträgt oder verschafft, zu welcher er vertraglich verpflichtet war. – Die Frist beginnt hier nicht schon mit Übergabe zu laufen, sondern erst ab Erkennbarkeit des Mangels; zB eine andere Person (Dritter) erhebt rechtlich Anspruch (Klage!) auf die Sache.
Rechtsmängel
Zu unterscheiden sind:
privatrechtliche – so wenn ein Grundstück mit einer Servitut belastet ist oder im Rahmen der Veräußerung von Musikkassetten festgestellt wird, dass das Urheberrecht / Werknutzungsrecht fehlt,
• von öffentlichrechtlichen Mängeln; etwa fehlende gewerberechtliche Anlagengenehmigung oder eine fehlende Baugenehmigung.
nach oben
10. Arten von Gewährleistungsansprüchen
Welche Gewährleistungsansprüche stehen nach dem Gesetz zu? § 932 ABGB kennt mehrere Möglichkeiten, die allerdings von bestimmten Voraussetzungen abhängen und nicht beliebig gewählt werden können. – Die Wertigkeit der einzelnen Gewährleistungsansprüche wurde durch die Reform zugunsten der Wirtschaft verschoben.
§ 932 ABGB
Wandlung, das ist die gänzliche Aufhebung des Vertrags, das Abstehen vom Vertrag. Sie stand bei wesentlichen und unbehebbaren Mängeln immer zu.
Bisher folgende Reihung
Preisminderung und
Verbesserung : Diese beiden Möglichkeiten konkurrierten weithin bei den verbleibenden Fällen; sowie
Nachtrag des Fehlenden (bei Quantitätsmängeln).
Die Reform entschied sich für folgende komplizierte und wenig praxisfreundliche Lösung:
Reform: § 932 ABGB neu
• Nach § 932 Abs 1 ABGB kann ein Übernehmer wegen eines Mangels:
• § 932 Abs 2 ABGB führt dann näher aus, dass der Übernehmer zunächst nur :
Dies richtet sich nach dem „Wert der mangelfreien Sache, der Schwere des Mangels” und den damit für den Unternehmer (!) verbundenen Unannehmlichkeiten.
• § 932 Abs 3 ABGB bestimmt, dass Verbesserung oder Austausch innerhalb angemessener Frist und mit möglichst geringen Unannehmlichkeiten für den Übernehmer zu bewirken sind (wobei Sache und Zweck zu berücksichtigen sind).
• § 932 Abs 4 ABGB: Nur wenn Verbesserung und Austausch unmöglich oder für den Übergeber mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden sind, kann der Übernehmer Preisminderung und – wenn der Mangel nicht geringfügig ist, Wandlung begehren. – Dasselbe gilt bei Verweigerung der Verbesserung oder des Austauschs oder bei Nichtvornahme innerhalb angemessener Frist.
Die weiteren Einschränkungen im Gesetz erscheinen, weil zu kompliziert, legistisch verfehlt. (Gesetz lesen!)
Wie die anderen Rechtsmittel des Gewährleistungsrechts kann auch die Wandlung einvernehmlich (= außergerichtlich) oder – wenn kein Einvernehmen erreicht wird – gerichtlich geltend gemacht werden. Sie wirkt wie der Rücktritt vom Vertrag (§ 918 ABGB) und die Vertragsaufhebung wegen Verkürzung über die Hälfte (§ 934 ABGB); sog schuldrechtliche ex-tunc-(Rück)Wirkung. Dh: Durch eine erfolgreiche Wandlung wird die schuldrechtliche Verpflichtung begründet, den früheren Rechtszustand wiederherzustellen; Rückabwicklung. – Ihre Wirkung ist also eine andere als bspw die der Irrtumsanfechtung (§ 871 ABGB), wo es zur dinglichen eo ipso ex tunc-(Rück)Wirkung kommt → KAPITEL 5: Dingliche oder obligatorische Rückwirkung?.
Wie wirkt Wandlung?
In Bezug auf den Eigentumsübergang zeigt sich der Unterschied: Bei der Wandlung war – zB durch die erfolgte Übergabe des Kaufgegenstands – Eigentum bereits übergegangen und muss nun rückübertragen werden. Bei erfolgreicher Irrtumsanfechtung dagegen wird angenommen, dass das Eigentum – mangels eines schon bei Übergabe ungültigen Titels – gar nicht übergegangen ist und daher auch rechtlich nicht rückübertragen werden muss. Die erfolgreiche Anfechtung bewirkt ohne weiteres Zutun den Eigentumsübergang an den Verkäufer, dem idF die Eigentumsklage des § 366 ABGB und nicht nur ein schuldrechtlicher Anspruch auf Rückübertragung oder Übereignung/ Herausgabe der Sache gegen den Vertragspartner (Käufer) zusteht.
Zur Frage der Vorteilsausgleichung bei der Gewährleistung : B. Jud, JBl 2000, 1.
Beispiel
nach oben
11. Vertragliche Garantie
Von den gesetzlich festgelegten Gewährleistungsregeln ist die vertraglich vereinbarte – auch unechte oder Herstellergarantie genannt – zu unterscheiden. Sie erstreckt die Haftung auch auf Mängel, die erst nach Übergabe, aber doch innerhalb der Garantiefrist auftreten; zB beim Autokauf: „Garantie für 10.000 km oder 1 Jahr”. Die Fristen vertraglich vereinbarter Garantien sind üblicherweise länger als die gesetzliche Frist des § 933 ABGB; Konkurrenzdruck.
Die unechte oder Herstellergarantie war bisher gesetzlich nicht geregelt. § 9 b KSchG – eingeführt durch den letzten Reformschritt – bezeichnet sie nunmehr als „vertragliche Garantie” und regelt sie folgendermaßen:
Herstellergarantie
• Im Falle einer vertraglichen Garantiezusage eines Unternehmers gegenüber einem Verbraucher (beinhaltend Verbesserung, Austausch, Kaufpreisrückerstattung oder sonstige Abhilfe) hat der Unternehmer „auch auf die gesetzliche Gewährleistungspflicht des Übergebers” und zudem „darauf hinzuweisen, dass sie [sc: die Gewährleistungspflicht] durch die Garantie nicht eingeschränkt wird.”
• Der letzte Satz des § 9 b Abs 1 KSchG betont, dass der „Unternehmer … an die Zusagen in der Garantieerklärung und an den in der Werbung bekannt gemachten Inhalt der Garantie gebunden” ist. – Die Abs 2 und 3 des § 9 b KSchG regeln den Inhalt der Garantieerklärung; Name und Anschrift des Garanten, Dauer und räumliche Geltung der Garantie sind anzuführen. – Abs 3 statuiert das Recht des Verbrauchers, die Garantie schriftlich oder auf einem Datenträger zu erhalten.
nach oben
12. Gewährleistung und KSchG
Oben wurde festgestellt, dass die bürgerlichrechtlichen Gewährleistungsvorschriften dispositivrechtlicher Natur sind. Die Praxis zeigte, dass dabei die Gefahr eines unvorteilhaften Abdingens zu Lasten von Verbrauchern besteht. Dem schob das KSchG insofern einen Riegel vor, als es zwar gewisse Modifikationen des Dispositivrechts zulässt, aber dennoch einen Standard setzt, der nicht unterschritten werden darf.
Die Gewährleistungsvorschriften gelten – auch nach der Reform – für Stück- und Gattungsschulden; dazu → KAPITEL 8: Vertretbare und unvertretbare Sachen. Bei Gattungsschulden (zB Kauf eines CD-Players oder Wein) wird in der Praxis im Gewährleistungsfall gerne der mangelhafte Leistungsgegenstand gegen einen mangelfreien ausgetauscht; das ist – wie wir sehen werden – KSchG-konform.
Im Gewährleistungsbereich bestehen auch weit verbreitete (Rechts)Übungen oder Usancen, die keinesfalls nur zwischen Kaufleuten gelten; § 928 ABGB analog. Man denke etwa an die Übung beim Kauf von besseren Flaschenweinen im Hotel etc, den Wein sogleich – also während Kellner oder Kellnerin warten – zu verkosten und diesen für gut oder schlecht zu befinden. Rechtlich bedeutet das meist, das bestehende Austauschrecht auszuüben oder darauf zu verzichten.
Die KSchG-Regelung ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen Konsumentenschutz und Wirtschaft. Nach dem KSchG konnten schon bisher die Vorschriften des ABGB nur in bestimmter Hinsicht abgeändert werden, nämlich:
§§ 8 und 9 KSchG
• Gestattet war ein Austausch der mangelbehafteten Ware gegen eine mangelfreie. Dadurch sollte Wandlung und Preisminderung vermieden werden;
• erlaubt war es auch, statt der Preisminderung nur einen Verbesserungsanspruch einzuräumen.
• Im Falle eines Abzahlungsgeschäftes läuft zudem die Gewährleistungsfrist bis zur letzten Rate; § 23 KSchG: Das wurde durch die Reform nicht geändert.
• Eine allfällige Verbesserung hatte grundsätzlich am Wohnort des Verbrauchers zu erfolgen; eine Versendung auf Kosten des Unternehmers war aber möglich. – Näheres bestimmen nun §§ 8 ff KSchG.
Auch die neue Regelung des § 8 KSchG räumt der unentgeltlichen Verbesserung und dem Austausch Vorrang gegenüber der Preisminderung und der Wandlung (also der Vertragsauflösung) ein; vgl § 932 ABGB → Arten von Gewährleistungsansprüchen Damit wird der vom KSchG eingeschlagene Weg im ABGB fortgesetzt und ausgebaut. (?) Der Vorrang der Verbesserung soll aber dann ausgeschlossen sein, wenn diese dem Verbraucher erhebliche Unannehmlichkeiten bereiten würde; zB Zahnarzt verpfuscht eine Zahnspange. Hier soll der Patient gleich Preisminderung verlangen können.
Vorrang für Verbesserung und Austausch
§ 9a KSchG bestimmt nunmehr eine neue Haftung des Unternehmers für unsachgemäße Montage – und bei Montage durch den Verbraucher – für eine fehlerhafte Montageanleitung; sog IKEA-Klausel.
Fehlerhafte Montageanleitung
• § 9b KSchG: Vertragliche Garantie → Vertragliche Garantie
§ 9 Abs 2 KSchG erklärt die §§ 925-927 und § 933 Abs 2 ABGB über Viehmängel auf Verbrauchergeschäfte für unanwendbar.
• § 13a KSchG regelt Verbraucherverträge mit Auslandsbezug → KAPITEL 1: Internationales Privatrecht.
nach oben
13. Gewährleistungsfristen – Geltendmachung
Gewährleistungsansprüche müssen im bürgerlichen Recht innerhalb bestimmter Fristen geltend gemacht werden; § 933 ABGB.
§ 933 ABGB
§ 933 ABGB trägt nun die Überschrift: „Verjährung”, was zum Ausdruck bringen soll, dass die Gewährleistungsfristen nicht wie bisher als Präklusivfristen zu verstehen sind.
Gewährleistungsansprüche müssen aber nicht nur innerhalb bestimmter Fristen, sondern – im Falle der Nichteinigung mit dem Vertragspartner – auch gerichtlich geltend gemacht werden; was (immer noch) einen Unterschied zum Rücktritt vom Vertrag darstellt, der auch außergerichtlich erklärt werden kann. – Das bedeutet, dass der Anspruch, wenn er nicht innerhalb offener Frist gerichtlich geltend gemacht wird, verjährt.
Gerichtliche Geltendmachung
Eine Ausnahme von der eben erwähnten grundsätzlichen klagsweisen Geltendmachung macht § 933 Abs 3 ABGB: Danach bleibt dem Erwerber die Geltendmachung seiner Gewährleistungsansprüche im Prozess durch Einrede „in jedem Fall vorbehalten, wenn er innerhalb der Frist dem Übergeber den Mangel [wenn auch bloß außergerichtlich!] an[ge]zeigt hat.”
Einredeweise Geltendmachung
Einrede bedeutet das Geltendmachen eines Gegenrechtes im Prozess.
Beispiel
Die Gewährleistungsfrist beträgt für:
Gewährleistungsfristen – neu: § 933 ABGB
• bewegliche Sachen: 2 Jahre (bisher 6 Monate)
• für unbewegliche Sachen (wie bisher): 3 Jahre
• und für Tiermängel (wie bisher): 6 Wochen; § 933 Abs 2 ABGB.
Der Fristenlauf beginnt bei:
Beginn des Fristenlaufs
Sachmängeln mit Übergabe,
• bei Rechtsmängeln erst ab Erkennbarkeit des Mangels;
• bei geheimen Sachmängeln und zugesicherten Eigenschaften ab Erkennbarkeit des Mangels;
• bei Liegenschaften immer mit der Übergabe, die auch eine außerbücherliche sein kann; das bedeutet, dass die Frist hier (durch Unkenntnis) nicht verlängert wird. Zu rechtfertigen ist das nur durch Verkehrsschutz- und Rechtssicherheitsüberlegungen.
Beispiel
Beispiel
Beispiel
Ein Verzicht auf das Geltendmachen von Gewährleistungsansprüchen ist nach den Grundsätzen des § 863 ABGB zu beurteilen; SZ 48/103 → Entscheidungsbeispiele – Leistungsstörungen – Ein Gewährleistungsanspruch kann aber nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der Erwerber gegen die Klage des Veräußerers auf Leistung des vertraglichen Entgelts für die Lieferung der mangelhaften Sache das Bestehen des Mangels trotz Kenntnis nicht eingewendet hat; SZ 24/120 (1951).
Verzicht
nach oben
14. Kaufmännische Rügepflicht
Abweichend vom bürgerlichen Recht ist die handelsrechtliche Gewährleistung, die sogenannte Mängelrüge für Kaufleute, geregelt. Es gelten dafür nicht die Regeln und Fristen des bürgerlichen Rechts und auch die Rechtsfolgen sind andere, strengere, weshalb sie Verbrauchern als Nichtkaufleuten nicht zugemutet werden können. – Die Mängelrüge ist im Wirtschaftsleben von größter Bedeutung, gilt allerdings nur „unter” Kaufleuten, also beim zweiseitigen Handelskauf!
§ 377 HGB
(1) Ist der Kauf für beide Teile ein Handelsgeschäft, so hat der Käufer die Ware unverzüglich nach der Ablieferung durch den Verkäufer, soweit dies nach ordnungsmäßigem Geschäftsgange tunlich ist, zu untersuchen, und wenn sich ein Mangel zeigt, dem Verkäufer unverzüglich Anzeige zu machen.
(2) Unterlässt der Käufer die Anzeige, so gilt die Ware als genehmigt, es sei denn, dass es sich um einen Mangel handelt, der bei der Untersuchung nicht erkennbar war.
(3) Zeigt sich später ein solcher Mangel, so muss die Anzeige unverzüglich nach der Entdeckung gemacht werden; andernfalls gilt die Ware auch in Ansehung dieses Mangels als genehmigt.
(4) Zur Erhaltung der Rechte des Käufers genügt die rechtzeitige Absendung der Anzeige.
(5) Hat der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen, so kann er sich auf diese Vorschriften nicht berufen.”
Unverzüglich“ bedeutet im Privatrecht „ohne schuldhaftes Zögern”, was nicht mit „sofort” oder „sogleich” verwechselt werden darf. „Unverzüglich” nimmt Rücksicht auf konkrete Umstände (=subjektive Bedeutung), während „sofort” dies nicht tut (objektiver Gehalt). „Sofort” gewährt keinerlei Aufschub, sondern meint juristisch wirklich „sofort”! – Der Sinn der unverzüglichen Rügepflicht liegt darin, dass der Verkäufer möglichst rasch wissen soll, woran er ist; ob er mit Gewährleistungsansprüchen zu rechnen hat, um die Wahrung seiner Interessen und nötige Maßnahmen möglichst rasch ergreifen zu können; SZ 63/197 uam.
„Unverzüglich“
Zur Wahrung der Gewährleistungsansprüche genügt nach § 377 Abs 4 HGB die rechtzeitige Absendung der Mängelrüge. Es bedarf also für die Wirksamkeit der Mängelrüge nicht ihres Zugangs. Die Absendung muss jedoch bewiesen werden.
Sie besteht aus zwei Teilen, nämlich:
Aufbau der Mängelrüge
• der unverzüglichen Untersuchungspflicht
Beispiel
• und der unverzüglichen Anzeigepflicht des Käufers.
Dabei sind Art und Umfang des Mangels möglichst klar und detailliert auszuführen.
Die Beweislast für die Rechtzeitigkeit der Mängelrüge trifft, wird sie vom Verkäufer bestritten, den Käufer. Die Rechtzeitigkeit wird aber nicht von Amts wegen geprüft und muss daher eingewendet werden. – Die Rspr befürwortet aber eine Protestpflicht des Verkäufers bei verspätet erhobener Mängelrüge (durch den Käufer).
Beweislast
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1981/125: Umfang der Untersuchungspflicht des Käufers – Schlüssiger Verzicht des Verkäufers auf seine Einwendungen bei verspätet erhobener Mängelrüge durch Unterlassung der Zurückweisung der Mängelrüge?
Streitig ist, ob die Rügepflicht auch für Rechtsmängel gilt; bejahend Gschnitzer, SchRAT 140 (19912).
Rügepflicht für Rechtsmängel?
Die Mängelrüge des HGB enthält Dispositivrecht, ist also abdingbar und durch die Vertragsparteien modifizierbar. Das geschieht immer wieder in Einzelverträgen, AGB oder Rahmenverträgen.
Dispositivrecht
Beispiel
Die Rügepflicht des HGB gilt für den Platz- und den Distanzkauf; anders noch Art 347 AHGB. – § 379 HGB statuiert für den Distanzkauf eine Aufbewahrungspflicht und bei Verderb und Gefahr für die Ware die Pflicht sie freihändig verkaufen zu lassen; vgl damit nunmehr § 864 Abs 2 ABGB.
Platz- und den Distanzkauf
Zur Rügepflicht beim Streckengeschäft → Das Streckengeschäft als Sonderfall des § 1423 ABGB und gleich unten: SZ 55/31.
Sie sind hart und wären Verbrauchern nicht zumutbar. Werden nämlich die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, wird die Mängelanzeige versäumt oder nicht korrekt durchgeführt, „so gilt die Ware als genehmigt”. Das ist eine gesetzliche Fiktion, die – anders als eine bloße Rechtsvermutung – nicht widerlegbar ist! Dh: Der Käufer verliert alle seine Ersatzansprüche, also Gewährleistungs-, Irrtumsanfechtungs- und allfällige Schadenersatzansprüche; ecolex 1991, 316. – Auf Grund der harten Sanktion ist daher größte betriebliche Sorgfalt geboten, sonst bleibt man auf der mangelhaften Ware sitzen!
Rechtsfolgen des § 377 Abs 2 HGB?
Rechtssprechungsbeispiel
RdW 1985, 337 (Kosmetiksalon): Die Versäumung der Rüge iSd § 377 HGB führt dazu, dass die Ware als genehmigt gilt, und zwar unabhängig davon, ob behauptete Mängel auf Planungsfehlern oder unsachgemäßer Arbeit beruhen. – Da die nicht fristgerechte Rüge iSd § 377 HGB auch zum Verlust des Anspruches auf Ersatz der angeblich durch die behaupteten, aber nicht fristgerecht gerügten Mängel verursachten Schäden führt (HS 5353 ua), kann insoweit auch von einer Ersatzpflicht keine Rede sein.
JBl 1999, 252: Frist für Mängelrüge im Obsthandel – Risiko einer Telefaxstörung: Hat der Käufer ein Telefax mit der Mängelrüge fristgerecht abgesandt und lag es im Bereich des Verkäufers, dass dieses Fax nicht oder nicht fristgerecht bei ihm einlangte, dann wäre die Mängelrüge als rechtzeitig anzusehen; vgl § 377 Abs 4 HGB. – Bei hochverderblicher oder sehr verderblicher Ware muss die Rüge binnen 6 Stunden, bei anderer Ware (dieser Art) binnen 12 Stunden erfolgen. Verdeckte / geheime Mängel sind auch hier unverzüglich nach Feststellung zu rügen.
Keine Rügepflicht besteht beim arglistigen Verschweigen von Mängeln. So die Regelung des § 377 Abs 5 HGB. – Es hieße unlautere Praktiken fördern, käme das Versäumen der (kurzen) Rügefrist auch dem Täuschenden zugute. Daher die Anordnung des § 377 Abs 5 HGB: „Hat der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen, so kann er sich auf diese Vorschriften nicht berufen.” – Bloßes Wissen/Kenntnis des Mangels seitens des Verkäufers bedeutet aber noch keine Arglist; vgl SZ 41/174: Nicht farbechte Campingmöbel.
Rügepflicht bei arglistigem Verschweigen von Mängeln
Rechtssprechungsbeispiel
HS 8320/3 (1972): Angeblich neuer LKW wurde aus gestohlenen Fahrzeugen zusammengebaut – verkürztes Fahrgestell;
EvBl 1967/239: Weinlieferung ist gepantscht – „Kalterer Hügel”;
SZ 42/60 (1969): Verkauf eines Ansichtskartenautomaten – Arglist;
SZ 55/31 (1982): Zweiseitiger Handelskauf von „unterkalibrierten” (= kleingewachsenen und untergewichtigen) und zum Teil verdorbenen Weinbergschnecken. – Diese E behandelt zwei Problemkreise: 1) Die kaufmännische Mängelrüge und dabei vor allem die Fragen: – Wurde ordnungsgemäß gerügt? – Und: „Liegt ein Fall des § 377 Abs 5 HGB, also arglistiges Verschweigen von Mängeln durch den Verkäufer, vor? Und 2) Das sog Streckengeschäft → Das Streckengeschäft als Sonderfall des § 1423 ABGB
Roh-Sachverhalt: Der Kläger handelte mit rohen Lebensmitteln (ua mit Schnecken), der Beklagte war im Ein- und Verkauf von Waldprodukten tätig. Der Prozess betraf den Kauf von ca 18.000 kg Weinbergschnecken; Kaufpreis 414.874 S. Das Geschäft wurde – vereinbarungsgemäß – so abgewickelt, dass der Kläger die Schnecken bei einer jugoslawischen Lieferfirma kaufte, der Beklagte aber selbst die Ware übernehmen und bei Übernahme sowohl deren Quantität, als auch deren Qualität prüfen sollte. Alle späteren Reklamationen sollten ausgeschlossen sein. Der Beklagte hatte auch für die von ihm übernommene Ware den Abtransport übernommen; dabei war seitens des Beklagten nicht mit wünschenswerter Sorgfalt vorgegangen worden (verspätete Abholung; nicht im Kühlwagen etc). Bei Übernahme der Ware untersuchte der Beklagte die Ware nur oberflächlich, weshalb ihm entging, dass in den einzelnen Steigen (vertragswidrig) ein Großteil unterkalibrierter Schnecken enthalten war. Bei der Untersuchung durch die Firma E, welcher der Beklagte die Schnecken verkaufen wollte, wurde festgestellt, dass”unter der Oberschicht der Kisten kleinere und zum Teil tote Schnecken” lagen. Eine weitere und nähere Untersuchung ergab, dass 75 Prozent der Schnecken bereits tot und insgesamt 60 Prozent der Gesamtmenge unterkalibriert waren. Die Firma E lehnte daher die Übernahme der Ware ab. Hätte der Beklagte bei Übernahme der Schnecken diese ordentlich untersucht, wäre deren Unterkalibrierung unschwer festzustellen gewesen. – Der Beklagte zeigte idF dem Kläger die Mängel an. Dieser war jedoch nicht bereit, die Ware zurückzunehmen.
Ver/Kauf von Weinbergschnecken
Zur Mängelrügeproblematik : Zu Recht wurde es abgelehnt, hier einen Fall des § 377 Abs 5 HGB (arglistiges Verschweigen von Mängeln) anzunehmen. Hatte doch der Beklagte selbst, die ihm obliegende Rügepflicht nicht sorgfältig genug wahrgenommen. Dazu kommt, wie eben ausgeführt, dass nach hA die bloße Kenntnis des Mangels seitens des Verkäufers keine Arglist bedeutet.
Im „Hineinschmuggeln” unterkalibrierter Schnecken liegt zweifellos eine Irreführung des Beklagten (zum Irrtum → KAPITEL 5: Willensmängel ¿ Irrtum), den sich der Kläger an und für sich zurechnen lassen müsste. – Hier zeigt sich jedoch anschaulich die „Schärfe” der Sanktion des § 377 HGB! Wurde nämlich nicht ordnungsgemäß gerügt, „gilt die Ware als genehmigt”, was nichts anderes heißt, und das ist hier von Bedeutung: Alle sonst bestehenden Ansprüche – sei es Schadenersatz oder eine Irrtumsanfechtung – sind ausgeschlossen. Da auch der „letzte Rettungsanker” für den Beklagten (§ 377 Abs 5 HGB) versagt, bleibt er auf dem Schaden sitzen, zumal er diesen der eigenen Sorglosigkeit verdankt.
Zum Streckengeschäft: Dieser Sachverhalt zeigt, dass bei Streckengeschäften bspw die Kaufverträge in unterschiedlicher Reihenfolge geschlossen werden können. Während beim Streckengeschäft im Eingangsbeispiel zuerst der Kaufvertrag zwischen Großhändler und Einzelhändler (das entspricht hier der Beziehung Kläger und Beklagter) abgeschlossen wurde, wurde er hier zuerst zwischen Kläger und Lieferant geschlossen und erst danach zwischen Kläger und Beklagten. – Das ändert aber nichts am Vorliegen eines Streckengeschäfts, mag auch diese Sachverhalts- „Verschiebung” in anderer Hinsicht von Bedeutung sein; zB kann im vorliegenden Sachverhalt angenommen werden, dass der Kläger bereits Eigentümer geworden ist und sich des Lieferanten als Erfüllungsgehilfen bediente. Dies unter gleichzeitigem Heranziehen des Beklagten als seines (Stell)Vertreters beim Wahrnehmen der an und für sich ihm obliegenden Rügepflicht. (Darin kann Vertrauen des Klägers gegenüber dem Beklagten erblickt werden!)
Literaturquelle
nach oben
15. Die Aliud-Lieferung
Von aliud-Lieferung wird gesprochen, wenn der Unterschied zwischen bestellter und gelieferter Ware so groß ist, dass ein vernünftiger Kaufmann damit keinen Erfüllungsversuch unternehmen würde und vom Käufer ein Behalten der Ware als Vertragserfüllung nicht erwartet werden kann; HS 4288 (1964) oder RZ 1973/151. Anders SZ 70/15 (1997), wo ein Gewährleistungsanspruch aber angenommen wird.
Auf die aliud-Lieferung sind auch künftig die Regeln über die Nichterfüllung anzuwenden; Welser/Jud, Die neue Gewährleistung 30.
§ 378 HGB
Die Vorschriften des § 377 finden auch dann Anwendung, wenn eine andere als die bedungene Ware oder eine andere als die bedungene Menge von Waren geliefert ist, sofern die gelieferte Ware nicht offensichtlich von der Bestellung so erheblich abweicht, daß der Verkäufer die Genehmigung des Käufers als ausgeschlossen betrachten mußte.
Literaturquelle


Kaufmännische Mängelrüge (1)
Abbildung 7.74:
Kaufmännische Mängelrüge (1)
nach oben
16. Entscheidungsbeispiele – Leistungsstörungen
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 28/69 (1955): Durch die Fälschung der Inventur und Bilanz bei Veräußerung eines Unternehmens wird dem Unternehmen eine nicht vorhandene Eigenschaft beigelegt. Es liegt ein Qualitätsmangel vor. – Hat einer der die Gesellschaft vertretenden, persönlich haftenden Gesellschafter bei Veräußerung des Unternehmens der OHG [§§ 105 ff HGB] eine Betrugshandlung begangen, so wird diese der Gesellschaft zugerechnet.
JBl 1989, 381: Minderung des Bestandzinses (§ 1096 ABGB) wegen Umsatzrückgangs einer Parkgarage durch Eröffnung eines Konkurrenunternehmens durch den Bestandgeber wird verneint. (?) – Zur Abgrenzung der Zusicherung der Ertragsfähigkeit eines verpachteten Unternehmens vom bloßen Inaussichtstellen einer bestimmten Umsatzentwicklung.
Zur Frage, ob die [früher] kurze (6-monatige) oder lange (3-jährige) Gewährleistungsfristzur Anwendung gelangt: SZ 47/118 (1974) und SZ 39/7 (1969): Hauseigentümer kauft selbst und verlegt selbständig eine Dichtungsfolie für das Dach. Die Folie erweist sich idF als mangelhaft. – OGH: Die 6-monatige Frist zur Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen gilt für die Lieferung beweglicher Sachen auch dann, wenn diese dazu bestimmt sind, durch nicht mehr dem Lieferanten / Verkäufer obliegende Tätigkeiten Bestandteile einer unbeweglichen Sache zu werden. – Anders läge der Fall, wenn zB ein Baumeister eine Garage mit Flachdach errichtet und dieses mit einer undichten Folie abdichtet. Dann wird die Folie unselbständiger Bestandteil des von ihm errichteten Bauwerks (= unbewegliche Sache) und für das ganze Bauwerk gilt dann die lange Gewährleistungsfrist. – Vgl nunmehr die Haftung nach dem PHG → Produkthaftung – PHG 1988: Entscheidungen.
SZ 48/103 (1975): Kauf eines Opel Admiral, Baujahr 1970: Die Beurteilung, ob durch Benützung der mangelhaften Sache auf Wandlung verzichtet wurde, hat nach den Grundsätzen des § 863 ABGB zu erfolgen. – Im konkreten Fall wurde dies verneint.
SZ 49/56 (1976): Lieferung eines reparierten Unfallwagens als neuwertigen Pkw: Die Regeln über Gewährleistung einerseits und über Irrtum andererseits bestehen nebeneinander; sog Anspruchskumulierung. – Dh man kann in einer Klage auch beide Ansprüche (parallel) geltend machen. – Konsequenz: Ist zB die kurze Gewährleistungsfrist schon verstrichen (6 Monate), besteht immer noch das Recht auf Geltendmachung des Irrtums, das erst nach 3 Jahren verjährt. – Zur nunmehr bestehenden Möglichkeit Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche nebeneinander geltend zu machen sowie die Möglichkeit Schäden nach dem PHG 1988 ersetzt zu bekommen.
SZ 39/8 (1966): Kauf eines Mercedes-Zylinderdruckautomaten – Leitsatz: Anspruch auf Wandlung, wenn der Veräußerer zunächst vergeblich versucht hat, die Sache zu verbessern, und sich idF weigert, Maßnahmen zu treffen, die zur Herstellung eines einwandfreien Zustandes erforderlich sind.
SZ 39/34 (1966): Kauf von Heißgetränkeautomaten – Leitsatz: Der Käufer kann behebbare, aber trotz Aufforderung vom Verkäufer nicht behobene Mängel als unbehebbar behandeln. (Dh: Käufer kann idF „wandeln”!)


Gewährleistung (1)
Abbildung 7.75:
Gewährleistung (1)


Gewährleistung (2)
Abbildung 7.76:
Gewährleistung (2)


Gewährleistung (3)
Abbildung 7.77:
Gewährleistung (3)


Sachmängelhaftung: §§ 922 ff ABGB
Abbildung 7.78:
Sachmängelhaftung: §§ 922 ff ABGB


Rechtsmängelhaftung: § 923 ABGB ua
Abbildung 7.79:
Rechtsmängelhaftung: § 923 ABGB ua


Gewährleistung – Verjährung: § 933 ABGB
Abbildung 7.80:
Gewährleistung – Verjährung: § 933 ABGB
nach oben
V. Gewährleistung und Schadenersatz
Literaturquelle
1. Konkurrenz: Gewährleistung <-> Schadenersatz
Wir wissen, dass die Gewährleistung – wie der Verzug – objektiv gefasst ist; dh: kein Verschulden (des Vertragspartners) voraussetzt. Wie beim Verzug kann jedoch auch bei der Gewährleistung dann, wenn zu den objektiven Voraussetzungen ein Verschulden (am Vorliegen des Mangels) hinzutritt – auch – Schadenersatz verlangt werden.
Mangelschaden - MangelfolgeschadenNach der Rspr konnten Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche lange nicht ohne weiteres neben- oder nacheinander geltend gemacht werden. Neben Gewährleistungsansprüchen wurden bis 1990 nur sog Mangelfolgeschäden ersetzt. Erst dann wurde die Anspruchskonkurrenz akzeptiert.
Ein Mangelschaden betrifft den Mangel der veräußerten Sache selbst; zB kann dann eine Wertminderung oder Reparaturkosten verlangt werden. – Ein Mangelfolgeschaden betrifft dagegen Nachteile am sonstigen Vermögen des Erwerbers, die durch die Mangelhaftigkeit der Sache entstehen. Der Mangelfolgeschaden überschneidet sich uU mit dem PHG.
Rechtssprechungsbeispiel
Im Anlassfall (JBl 1990, 648) ging es um eine falsch installierte Wasserleitung (Werkvertrag) in der Außenwand eines Ferienhauses, in welchem Sanitär- und Heizungsinstallationen im November 1981 technisch falsch verlegt worden waren; und zwar nicht korrekt an den Innnen-, sondern an den Außenwänden. Die Folge der falschen Verlegung der Rohre war die, dass die Wasserleitung mehrfach, erstmals im Winter 1981/82 und erneut im Winter 1984/85 einfror. Die Klägerin klagte darauf den Installateur auf Deckung der Behebungskosten. Ein begutachtender Architekt meinte 1982 unzutreffender Weise, dass mangelhafte Isolierungsarbeiten für das Abfrieren verantwortlich seien. Es ging hier um die (Anspruchs)Konkurrenz zwischen § 932 Abs 1 Satz 1 ABGB aF (Gewährleistung) und § 932 Abs 1 Satz 2 ABGB aF (Schadenersatz). Gewährleistungsansprüche an Liegenschaften bestehen 3 Jahre lang, was auch für verborgene Mängel gilt. Diese Frist war inzwischen abgelaufen. Schadenersatzansprüche verjähren aber nach § 1489 ABGB; dh innerhalb von drei Jahren ab Kenntnis des Schadens (Winter 1982) und des Schädigers (Gutachten Frühjar 1985). Diese Frist war bei Klagserhebung am 21.3.1986 noch nicht abgelaufen (keine Verjährung). Mit dieser E akzeptierte die Rspr erstmals parallel zur Gewährleistung auch konkurrierende Schadenersatzansprüche, die allerdings im Gegensatz zur Gewährleistung Verschulden voraussetzen.
nach oben
2. Rspr-Wandel
Seither besteht uneingeschränkte Konkurrenz zwischen Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüchen, also die Möglichkeit voller paralleler oder nacheinander geschalteter Anspruchsgeltendmachung. Dies ist von praktischer Bedeutung, weil – wie erwähnt – für die beiden Anspruchstypen (Gewährleistung und Schadenersatz) ua verschiedene Anspruchs(durchsetzungs)voraussetzungen, insbesondere andere Verjährungsregelungen gelten. Das zeigt der Anlassfall, der zur Judikaturänderung des OGH führte; JBl 1990, 648.
Die zuerst im Werkvertragsrecht ansetzende Judikaturänderung wurde idF auf Kaufverträge erstreckt. Die Konsequenzen dieses Rspr-Wandels sind insgesamt tiefgreifend: Konnten Mängel bisher nur innerhalb der kurzen Gewährleistungsfristen geltend gemacht werden, ist dies nunmehr uU nach Schadenersatzrecht (§ 1489 ABGB) auch noch nach langer Zeit möglich; die absolute Verjährungszeit des § 1489 beträgt nämlich 30 Jahre. Wird – wie im Anlassfall – die wahre Schadensursache erst später festgestellt, beginnt der Lauf der Schadenersatzverjährung erst mit diesem Zeitpunkt und verlängert sich dadurch im Vergleich zur Gewährleistung uU beträchtlich.
Dazu kommt, dass der durch einen Mangel Geschädigte nunmehr nicht mehr bloß auf den Mangelfolgeschaden verwiesen wird, sondern auch den Ersatz des Erfüllungsschadens beanspruchen kann, also so gestellt wird, wie er bei mangelfreier Erfüllung stünde.
Ersatz des Erfüllungsschadens
§ 933 Abs 3 ABGB neu bestimmt nunmehr, dass nach 10 Jahren ab Übergabe der Sache, der Beweis des Verschuldens des Übergebers dem Übernehmer obliegt; dies gilt sowohl für Mangelschäden wie für Mangelfolgeschäden.
Umkehr der Beweislast
§ 933 a Abs 2 ABGB neu schreibt nunmehr die – freilich ebenfalls stark eingeschränkte – Anspruchskonkurrenz zwischen Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüchen fest:
Anspruchskonkurrenz
„Wegen des Mangels selbst kann der Übernehmer auch als Schadenersatz zunächst nur die Verbesserung oder den Austausch verlangen. Er kann jedoch Geldersatz verlangen, wenn sowohl die Verbesserung als auch der Austausch unmöglich ist oder für den Übergeber mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand verbunden wäre. Dasselbe gilt, wenn der Übergeber die Verbesserung oder den Austausch verweigert oder nicht in angemessener Frist vornimmt, wenn diese Abhilfen für den Übernehmer mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden wäre oder wenn sie ihm aus triftigen, in der Person des Übergebers liegenden Gründen unzumutbar sind.”
Die Sorge um das Unternehmerwohl ist nicht zu übersehen.
Neu ist auch die Bestimmung des § 933 b ABGB, der den Unternehmerrückgriff nunmehr ausdrücklich regelt. Gedacht ist an Fälle, dass ein Unternehmer einem Verbraucher Gewähr geleistet hat und nunmehr selbst von seinem „Vormann” Gewährleistung fordern will. Er kann dies nunmehr gemäß Abs 1 „auch nach Ablauf der Fristen des § 933” ABGB tun. Derartige Ansprüche sind aber „innerhalb von [2] Monaten ab Erfüllung der eigenen Gewährleistungspflicht gerichtlich geltend zu machen. Die Haftung eines Rückgriffspflichtigen verjährt jedenfalls in [5] Jahren nach Erbringung seiner Leistung. Die Frist wird durch eine Streitverkündigung für die Dauer des Rechtsstreits gehemmt.”
Unternehmerrückgriff
Satz 2 des Abs 1 unserer Bestimmung ordnet dies auch „für frühere Übergeber im Verhältnis zu ihren Vormännern” an. – Diese Ansprüche sind aber „mit der Höhe des eigenen Aufwandes beschränkt”.
nach oben
VI. Produkthaftung – PHG 1988
Literaturquelle
1. Eingangsbeispiel
Beispiel
nach oben
2. Definition und Anwendungsbereich
Produkthaftung ist die schadenersatzrechtliche, also deliktische Verantwortung des Herstellers für sein Produkt. – Zur Abgrenzung von der Gewährleistung → Abgrenzung zur Gewährleistung
Dem PHG kommt über seinen unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus auch insoferne Bedeutung zu, weil es auch für andere (bereits gesetzlich geregelte) Bereiche gilt. So überlagert das PHG das ArzneimittelG (AMG 1983, BGBl 185), weil auch Arzneimittel Produkte iSd PHG sind, und ändert dadurch die Verschuldenshaftung des AMG in eine Nichtverschuldenshaftung, wie sie das PHG statuiert → Verschuldensunabhängige Haftung Dasselbe gilt nunmehr für die Produkthaftung nach dem MedizinprodukteG (MPG) 1996, BGBl 657 → Produktbegriff – Medizinproduktegesetz
Bedeutung für AMG und MPG
nach oben
3. Abgrenzung zur Gewährleistung
Zum Unterschied von der Gewährleistung, die eine Mängelhaftung für Schlechterfüllung ist (es geht bei der Gewährleistung um die Mangelhaftigkeit der Sache selbst!), regelt die Produkthaftung Fälle, wenn:
• „durch den Fehler eines Produktes ein Mensch getötet, am Körper verletzt oder an der Gesundheit geschädigt oder
• eine von dem Produkt verschiedene körperliche Sache beschädigt” wird; § 1 PHG.
Zur Unterscheidung körperliche und unkörperliche Sachen → KAPITEL 8: Körperliche und unkörperliche Sachen.
nach oben
4. Wer haftet?
In solchen Fällen haftet für den Ersatz des Schadens nach § 1 Abs 1 PHG:
• nach Z 1: „der Unternehmer, der es hergestellt und in den Verkehr gebracht hat” (= zB ausländischer Hersteller / Produzent );
Hersteller
• nach Z 2: „der Unternehmer, der es zum Vertrieb in den Europäischen Wirtschaftsraum eingeführt und hier in den Verkehr gebracht hat (Importeur)”;
Importeur
• nach Z 3: „Kann der Hersteller oder – bei eingeführten Produkten – der Importeur ... nicht festgestellt werden, so haftet jeder Unternehmer [= Händler / Lieferant / Verkäufer ], der das Produkt in den Verkehr gebracht hat,.., wenn er nicht dem Geschädigten in angemessener Frist den Hersteller bzw – bei eingeführten Produkten – den Importeur oder denjenigen nennt, der ihm das Produkt geliefert hat”; § 1 Abs 2 PHG.
Händler
Die Tatsache, dass neben dem Hersteller / Produzenten (, der häufig sein Unternehmen im Ausland betreibt, was zur Anwendung ausländischen Rechts führte,) auch der inländische Importeur oder Händlerzur Haftung herangezogen werden können, hat für Konsumenten auch den angenehmen Nebeneffekt, dass dadurch österreichisches Recht zur Anwendung gelangt; zum IPR: → KAPITEL 1: Internationales Privatrecht. Zudem besteht ein Gerichtsstand in Österreich.
§ 3 PHG ergänzt den Herstellerbegriff um den des Scheinherstellers. Das ist derjenige, „der das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt erzeugt hat, sowie jeder, der als Hersteller auftritt, indem er seinen Namen, seine Marke oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt.”
Scheinhersteller
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 30. 3. 2001, 7 Ob 49/01h, EvBl 2001/145: Hobbytaucher kauft einen Unterziehanzug und ein Auslassventil, die aber nicht harmonieren, weshalb es zu einem Tauchunfall kommt. Er klagt das Unternehmen, dessen Firmenname auf dem Anzug aufgedruckt war wegen Verletzung der Warnpflicht; § 5 PHG. – OGH bejaht die Haftung des Scheinherstellers (§ 3 PHG), da auch für „generell-abstrakt” fehlerfreie Produkte gehaftet werden muss, wenn ihre „individuell-konkrete” Verwendung, mit der gerechnet werden musste, zu einer Schädigung führt, und dennoch auf drohende Gefahren nicht hingewiesen wurde.
nach oben
5. Verschuldensunabhängige Haftung
Das PHG statuiert eine verschuldensunabhängige (§ 8 PHG: Haftungsausschlüsse → Haftungsausschluss), deliktischeund gegenüber Letztverbrauchern im Voraus unabdingbare und nicht beschränkbare Haftung; § 9 PHG. – Das PHG enthält weithin zwingendes Recht.
nach oben
6. Selbstbehalt
Nach § 2 PHG besteht „bei Beschädigung einer Sache” ein Selbstbehalt des Geschädigten von 500 ı (7.900 S); überdies können Sachschäden nach § 2 Z 1 PHG nur von Verbrauchern – also nicht von Unternehmern – geltend gemacht werden.
nach oben
7. Was wird ersetzt?
Nach § 1 PHG werden Personen- und Sach schäden ersetzt, nicht dagegen reine Vermögensschäden.
nach oben
8. Verjährung
Nach § 13 PHG erlöschen (!) Ersatzansprüche grundsätzlich 10 Jahre nach Inverkehrbringen (§ 6 PHG) des schädigenden Produkts.
nach oben
9. Geschützter Personenkreis
Geschützt ist nicht nur der Vertragspartner, also etwa der Käufer, sondern zB auch Familienangehörige oder Dritte, die durch das fehlerhafte Produkt verletzt oder deren körperliche Sachen beschädigt werden; § 1 Abs 1 PHG.
Beispiel
nach oben
10. Produktbegriff – Medizinproduktegesetz
§ 4 PHG definiert den Begriff des Produkts als „bewegliche körperliche Sache, auch wenn sie ein Teil einer anderen beweglichen Sache oder mit einer unbeweglichen Sache verbunden worden ist, einschließlich Energie.” Vgl auch → KAPITEL 8: Körperliche und unkörperliche Sachen.
§ 4 PHG weicht vom weiten Sachbegriff des § 285 ABGB ab. Darin liegt eine Einengung iSd Sachbegriffs des dtBGB; vgl § 90 dtBGB: Sachen sind danach nur körperliche Sachen. – Nicht unter den Sachbegriff des § 4 PHG fallen daher (bisher) zB Dienstleistungen (vgl dagegen § 303 ABGB) oder Rechte (§ 292 ABGB).
Nur körperliche Sachen
Manche Zweifel, ob eine körperliche Sache vorliegt oder nicht haben ihre Gründe darin, dass das ABGB (§ 292) offenbar nicht mehr beachtet wird; dort heißt es ausdrücklich, dass körperliche Sachen „in die Sinne fallen”. Das gilt sowohl für Elektrizität, Gas, Wasserdampf und Fernwärme. – Streitig ist aber bspw, ob der Produktbegriff auch Computer-Software erfasst oder nicht;
Computer-Software
Literaturquelle
Richtig ist Computer-Software als körperliche Sache anzusehen, sie fällt daher unter den Produktbegriff.
Dem Produktbegriff unterliegen auch Tiere (trotz § 285a ABGB) sowie menschliche Organe und Blut nach ihrer Trennung vom Spender bis zu ihrer Verwertung (zB Implantation). Sie werden heute als (transitorische) körperliche Sachen betrachtet und unterliegen daher dem PHG.
Tiere etc
Durch die Formulierung des § 4 PHG wird der zunächst enge Begriff, „bewegliche körperliche Sache”, wesentlich erweitert! Denn an und für sich verliert eine bewegliche körperliche Sache, wenn sie zB mit einer unbeweglichen Sache (in bestimmter Weise) verbunden wird, ihre sachenrechtliche Selbständigkeit und wird zum Bestandteil oder Zubehör der Liegenschaft, was oft zur Folge hätte, dass das PHG keine Anwendung fände. – Zu Sachverbindungen → KAPITEL 8: Zugehör ¿ Rechtliche Zusammengehörigkeit von Sachen; sog Sachverbindungen.
Vom Gesetz ausgenommen sind aber land- und forstwirtschaftliche Naturprodukte und Wild, solange diese „noch keiner ersten Verarbeitung unterzogen worden sind.”
Land- und forstwirtschaftliche Naturprodukte
Beispiel
Eine neue und spezielle Produktregelung trifft das MPG 1996 für Medizinprodukte, die im Gesetz umschrieben werden. Die nationale Umsetzung des MPG erfolgte – wie schon beim PHG – aufgrund einer EU-RL. Zur Haftung auch → Definition und Anwendungsbereich
Medizinprodukte
Beispiel
Literaturquelle
ProduktpiraterieG 2001, BGBl I 65 (PPG). – Es sollte nicht mit dem PHG oder MPG verwechselt werden. Mit dem PPG werden (auf Grund von EU-Vorschriften) Schutzlücken im Verkehr mit Waren geschlossen werden, die ein Recht am geistigen Eigentum (der Hersteller) verletzen.
ProduktpiraterieG
Beispiel
nach oben
11. Fehlerhaftigkeit eines Produkts
Ein Produkt ist fehlerhaft, wenn es nicht jene Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände (zB Darbietung, bestimmungsmäßiger Gebrauch, Zeitpunkt des Inverkehrbringens) erwartet werden darf; § 5 PHG. – Die Art des Mangels (Konstruktions-, Herstellungs- oder Instruktionsfehler) ist dabei unerheblich.
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1996, 188: Auf einem Lastwagen aufgebaute hydraulische Hubarbeitsbühne, die aus Finnland importiert worden war, stürzt beim Beschneiden größerer Bäume um, weil eine der beiden hinteren Schrägstützen wegen eines Mangels nachgegeben hatte. – Der OGH stellt klar, dass auch Produktionsfehler, Produktfehler iSd Gesetzes sind.
ZVR 1998/19: Eine Mineralwasserflasche, bei der die Verschlusskappe beim Öffnen wie ein Sektkorken wegschießt, weist einen Produktionsfehler auf. – Der Hersteller der Flasche muss damit rechnen, dass der Verbraucher beim Öffnen der Flasche sorglos und ohne besondere Vorsicht vorgeht. – Den Verbraucher trifft kein Mitverschulden (§ 1304 ABGB), wenn er die Flasche an einem heißen Tag mehr als 20 Stunden ungekühlt im Auto lässt und dann ohne besondere Vorsichtsmaßnahmen öffnet. – Der Überdruck in der Mineralwasserflasche kann nicht als typisches Entwicklungsrisiko (§ 8 PHG) angesehen werden, das die Produkthaftung des Herstellers ausschließt.
OGH 11. 5. 2000, 8 Ob 192/99i, SZ 73/78: Kläger kauft sich einen Häcksler, der auch feuchtes Material verarbeiten kann. Dabei sammeln sich in der Auswurföffnung Reste, die regelmäßig entfernt werden müssen. Zwar sind am Gerät Warnhinweise angebracht, aber es ist keine Vorrichtung vorhanden, um beim Griff in die Öffnung nicht an die Schlägel zu geraten. Dem Kläger werden 3 Finger abgetrennt. Er klagt auf Schadenersatz nach § 5 PHG: Fehlerhaftigkeit des Produktes. – OGH: Der Hersteller kann sich der Pflicht zu einer möglichst ungefährlichen Konstruktionsweise nicht dadurch entziehen, dass er eine technisch mögliche und zumutbare Maßnahme durch Warnungen ersetzt.
OGH 9. 7. 2002, 2 Ob 253/01x, JBl 2003, 249: Gatte einer Unternehmerin, die (Körper)Abwehrspray Marke „Bodyguard” vertreibt, erleidet dadurch einen Schaden, dass ein ihm geschenkter Spray in seinem Auto explodiert und dessen Innenausstattung stark verschmutzt. Der Geschädigte klagt nach § 5 PHG den Produkthersteller. – OGH: Ein dem PHG zu unterstellender Fehler einer Spraydose läge dann vor, wenn dem Kläger der Nachweis gelänge, dass die gegenständliche Dose bei einer Temperatur von unter 50 Grad Celsius geborsten sei, weil nach dem Sicherheitshinweis auf der Dose vor einer Lagerung über dieser Temperatur gewarnt wird. Nach Meinung des OGH reicht es für die Erbringung des Beweises aber nicht aus, dass eine Tatsache nur wahrscheinlich ist; aus § 272 ZPO sei vielmehr abzuleiten, dass das Regelbeweismaß der ZPO die hohe Wahrscheinlichkeit ist. (? – Dazu → KAPITEL 9: Kausalität / Verursachung, Folie: Kausalitätsspektrum) – Vorzuziehen wäre es, scharf zwischen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit zu unterscheiden, es aber bei bloßer Wahrscheinlichkeit bewenden zu lassen, zumal die Abgrenzungen innerhalb des Wahrscheinlichkeitsbereiches weithin unsicher bleiben.
OHG 30. 9. 2002, 1 Ob 169/02p, JBl 2003, 247: Gemeinde vermietet Festsaal für Konzerte an Kultur- und Turismusverein. Im Saal befinden sich von einem Gemeindebediensteten hergestellte Raumteiler. Der Veranstalter will im Zuge letzter Vorbereitungen einen dieser Raumteiler verschieben, wobei dieser umkippt und ihn schwer am Bein verletzt. Er klagt auf Schadenersatz wegen Verletzung der Instruktionspflicht nach § 5 PHG. – OGH prüft vorbildlich: Inverkehrbringen, Produktfehler, Instruktionspflicht, Mitverschulden und bejaht den Schadenersatzanpruch gegen die Gemeinde, da nur vor gefahrbringenden Eigenschaften eines Produkts, die dem Erfahrungswissen auch der am wenigsten informierten Gruppe von Benutzern entsprechen, nicht gewarnt werden müsse. OGH bejaht jedoch Mitverschulden; § 11 PHG iVm § 1304 ABGB. – Beachte: Das PHG gelangt nicht nur auf Veräußerungsverträge, sondern – wie der Fall zeigt – auch auf Gebrauchsüberlassungsverträge wie Miete, Pacht etc zur Anwendung.
OGH 6. 10. 2000, 1 Ob 62/00z („ Betonterrassen-Fall” ), SZ 73/151 = JBl 2001, 177 = EvBl 2001/50: Aus § 5 PHG ergibt sich auch eine Instruktionspflicht des Herstellers; hier: Warnung vor ätzender Wirkung von Beton. Diese Pflicht besteht auch dann, wenn sich erst bei Lieferung herausstellt, dass der Käufer mit der Gefährlichkeit der Ware nicht vertraut ist. (Arbeit im frisch gelieferten Beton ohne Schuhwerk.) – OGH: § 1313a ABGB gelangt auch dann zur Anwendung, wenn der PHG-Gehilfe Schutz-, Sorgfalts- oder Aufklärungspflichten vernachlässigt.
nach oben
12. „Inverkehrbringen”
§ 6 PHG definiert den Begriff des Inverkehrbringens und versteht darunter die Übergabe zum Gebrauch oder das Einräumen von Verfügungsmacht; Versendung (§ 429 ABGB) genügt.
nach oben
13. Beweislastumkehr
§ 7 PHG statuiert eine Beweislastumkehrzulasten von Hersteller oder Importeur, die behaupten, die Sache nicht in Verkehr gebracht oder gehandelt zu haben. – Beachte die beweisrelevante Unterscheidung von: „ ... so obliegt ihm der Beweis” (Abs 1) und „ ... wahrscheinlich darzutun” (Abs 2).
nach oben
14. Haftungsausschluss
Ein Haftungsausschluss (§ 8 PHG) kann nicht durch fehlendes Verschulden, sondern nur durch den Nachweis erreicht werden, dass:
• der Fehler zB „auf eine Rechtsvorschrift oder behördliche Anordnung zurückzuführen ist” (§ 8 Z 1 PHG) oder
• wenn die schädlichen „Eigenschaften des Produkts nach dem Stand der Wissenschaft und Technik ... nicht als Fehler erkannt werden konnten” (§ 8 Z 2 PHG) usw.
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1996, 188 → Fehlerhaftigkeit eines Produkts: OGH wendet auf den aufgetretenen Produktionsfehler der hydraulischen Hubarbeitsbühne § 8 Z 2 PHG an.
nach oben
15. Solidarhaftung
„Trifft die Hauptpflicht mehrere, so haften sie zur ungeteilten Hand ....”; § 10 PHG.
nach oben
16. Mitverschulden
Für ein Mitverschuldendes Geschädigten gilt § 1304 ABGB „sinngemäß”; § 11 PHG.
nach oben
17. Rückgriff: § 12 PHG
Das PHG statuiert ein Rückgriffsrecht dessen, der für den Schaden aufgekommen ist, und zwar beim Hersteller; zB Letztverkäufer. Gesetz lesen!
nach oben
18. Weitere Entscheidungen zur Produkthaftung
Rechtssprechungsbeispiel
NJW 1985, 194 – BGH (Deliktische Haftung des Warenherstellers wegen eines Produktfehlers bei einer Dachabdeckfolie): Dem Eigentümer eines Hauses können gegen den Hersteller einer Dachabdeckfolie deliktische Schadenersatzansprüche aus Eigentumsverletzung zustehen, wenn diese Folie nach ihrer Anbringung infolge eines Produktfehlers ihre wasserabweisende Wirkung verliert und durch eindringende Feuchtigkeit Schäden an den unteren Schichten des Dachaufbaus entstehen.
JBl 1993, 524 (Fischerhüttenfall – gekürzt): Fehlerhaftigkeit eines Produkts wegen unzureichender Instruktion – Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs”berechtigte Sicherheitserwartung des durchschnittlichen Produktbenützers „in § 5 PHG. Kläger = Ehegatte der der Gattin gehörenden Fischerhütte Beklagter = Erzeuger des gekauften Produkts / ungelöschten Kalks Schaden = Zerstörung der Fischerhütte samt Einrichtungsgegenständen, weil ein 50 kg-Sack ungelöschten Kalkes feucht geworden war und einen Brand ausgelöst hatte. Der Fehler eines Produkts kann [auch] in seiner Darbietung gelegen sein, worunter die Art und Weise der Produktpräsentation in der Öffentlichkeit verstanden wird. Zu den Instruktionspflichten des Herstellers gehört es, den Benützer auf gefährliche Eigenschaften des Produkts hinzuweisen und uU vor widmungswidrigem Gebrauch zu warnen. Was im Bereich allgemeiner Erfahrung der in Betracht kommenden Abnehmer und Benutzer liegt, braucht nicht zum Inhalt einer Warnung gemacht werden. Entscheidend sind die berechtigten Sicherheitserwartungen eines durchschnittlichen Produktbenützers. Da deren Inhalt nur durch Zuhilfenahme außerrechtlicher Begriffsinhalte und Wertmaßstäbe ausgefüllt werden kann, liegt ein unbestimmter Rechtsbegriff vor. Bei der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe ist ein normativer Maßstab anzulegen, der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung vom Revisionsgericht überprüft werden kann. Neben gesetzlichen Wertungen und allgemein anerkannten Maximen und Standards sind vor allem die Rechtsüberzeugung und die Verkehrssitte der beteiligten Kreise heranzuziehen. – Der Richter darf zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „berechtigte Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Benützers” zwar seine allgemeine Lebenserfahrung einsetzen, ist aber insofern nicht Repräsentant dieser Verkehrskreise. Auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung jener Tatsachen, die zur Konkretisierung der „berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Benützers” erforderlich sind, kann nicht verzichtet werden.
EvBl 1999/126: Zur Produkthaftung des „ Anscheinsherstellers”.


PHG (1)
Abbildung 7.81:
PHG (1)


PHG (2)
Abbildung 7.82:
PHG (2)


PHG (3)
Abbildung 7.83:
PHG (3)


PHG (4)
Abbildung 7.84:
PHG (4)


PHG (5)
Abbildung 7.85:
PHG (5)
nach oben
VII. Verkürzung über die Hälfte
1. Zweck der Regelung
Die Verkürzung über die Hälfte bekämpft schwere (objektive) Äquivalenzstörungen, dh Situationen bei entgeltlichen Verträgen, bei denen Leistung und Gegenleistung in grobem Missverhältnis zueinander stehen. Die gesetzliche Regelung entspringt einer Situation, die der Gesetzgeber nicht zu tolerieren bereit ist, obwohl er weiß, dass Leistung und Gegenleistung längst nicht immer objektiv gleichen Wert haben. Zuviel ist es jedoch, wenn die Äquivalenzstörung mehr als die Hälfte des gemeinen (= objektiven) Wertes ausmacht; § 305 ABGB.
Äquivalenzstörungen
Historisch spielte die laesio enormis (= enorme Verletzung) als Wucherbekämpfungsmitteleine Rolle. Die rechtshistorische Entwicklung verlief vom nachklassisch-römischen (Diokletian: zunächst nur für die Verkäuferseite, weil die Käuferseite damals durch Preisregulierung ohnehin geschützt war!) zum kanonischen Recht und fand von hier Eingang ins Gemeine Recht von wo es das ABGB übernahm. Zur Geschichte H. Kalb, ArchKirchR 1985, H. 4.
Rechtsgeschichte
Zum Wucher (§ 879 Abs 2 Z 4 ABGB) → KAPITEL 11: Die Beispiele des § 879 Abs 2 ABGB. Was unterscheidet unser Rechtsinstitut vom Wucher? Welche Unterschiede bestehen bei der Geltendmachung hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen?
Die Bedeutung unseres Rechtsinstituts hält sich in Grenzen. Ein europäisches ZGB wird es wohl nicht mehr aufnehmen.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 12. 9. 2001, 4 Ob 159/01p, JBl 2002, 243 = EvBl 2002/42: Eine Option zum Kauf einer Liegenschaft wird nach über 20 Jahren ausgeübt; das ursprünglich landwirtschaftlich genutzte Grundstück war inzwischen ein Vielfaches Wert (Umwidmung in Bauland). – OGH: Für die Bewertung der beiden Leistungen iSd § 934 ABGB (laesio enormis ) ist auf den objektiven Wert im Zeitpunkt der Ausübung des Optionsrechts abzustellen (und nicht auf den Abschluss des Optionsvertrags ?). Hinzuzufügen ist: Wenn nichts anderes vereinbart wurde.
OGH 7. 8. 2001, 1 Ob 161/01k, EvBl 2002/1: Ein Fruchtnießer an einem Mietshaus schließt mehrere Mietverträge. Nach seinem Tod will der Erbe einen dieser Mietverträge wegen laesio enormis (§ 934 ABGB) anfechten. – OGH: Für den Ausschluss der Anfechtung wegen laesio enormis genügt es nicht, dass dem Vermieter bewusst ist, einen wesentlich geringeren als den tatsächlich erzielbaren Mietzins zu verlangen, vielmehr könnte nur die positive Kenntnis des Verkürzten vom wahren Wert die Anfechtung wegen laesio enormis ausschließen. (§ 1487 ABGB ist zu beachten.)
Unser Rechtsmittel kommt zum Tragen, wenn bei entgeltlichen Geschäften der gemeine Wert (§ 305 ABGB) der Leistung nicht einmal die Hälfte des gemeinen Werts der Gegenleistung erreicht.
Voraussetzungen
In diesem Fall kann der (objektiv) verkürzte Vertragspartner:
Rechtsfolgen
Aufhebung des Vertrags und Rückstellung der Leistung gerichtlich verlangen (nicht aber Preisminderung!);
• der verkürzende Teil kann aber durch Aufzahlung auf den gemeinen Wert das Geschäft aufrechterhalten. Das stellt eine sog facultas alternativa dar. Die Aufzahlung muss den vollen Marktpreis erreichen und nicht nur die Hälfte!
nach oben
2. Zeitpunkt der Berechnung – Ius cogens
Nach § 934 Satz 3 ABGB wird das „Missverhältnis des Wertes ... nach dem Zeitpunkte des geschlossenen Geschäftes bestimmt”.
Nach § 935, erster HalbS ABGB handelt es sich bei § 934 ABGB um zwingendes Recht. § 935 Satz 2 ABGB statuiert jedoch Ausnahmen; zB wenn jemand die Sache „aus besonderer Vorliebe um einen außerordentlichen Wert” zu übernehmen erklärt oder die Sache in einer gerichtlichen Versteigerung erwirbt. Vgl die weiteren Beispiele im Gesetz.
Handelsgeschäfte können nach Art 8 Nr 6 EVzHGB nicht nach § 934 ABGB angefochten werden. – Ausnahmen gelten auch für Vergleiche (§ 1386 ABGB → Der Vergleich: §§ 1380-1390 ABGB) und Glücksverträge (§ 1268 ABGB) → KAPITEL 12: Glücksverträge ¿ Gewagte Geschäfte.


Verkürzung über die Hälfte (1)
Abbildung 7.86:
Verkürzung über die Hälfte (1)


Verkürzung über die Hälfte (2)
Abbildung 7.87:
Verkürzung über die Hälfte (2)
nach oben
VIII. Nachträgliche Unmöglichkeit
1. Anfängliche und nachträgliche Unmöglichkeit
Ist die vereinbarte Leistung schon bei Vertragsschluss unmöglich, liegt anfängliche Unmöglichkeit vor; war die Leistung bei Vertragsschluss aber möglich und wird sie erst später, genauer: zwischen Vertragsschluss und Erfüllung unmöglich, liegt nachträgliche Unmöglichkeit vor. Das kann auf unterschiedliche Weise eintreten, nämlich durch tatsächliches – zB verkauftes Auto wird bei Unfall zerstört – oder rechtliches Unmöglichwerden; diesen Fall regelt § 880 ABGB: sog Außerverkehrsetzen einer Sache. – Nur die nachfolgende Unmöglichkeit ist Leistungsstörung, die anfängliche dagegen ein Mangel in der Wurzel des Rechtsgeschäfts.
Die nachfolgende Unmöglichkeit konkurriert nicht selten mit den Rechtsinstituten der Gewährleistung und/oder des Verzugs, also anderen Leistungsstörungen.
nach oben
2. Verschuldete und nicht verschuldete Unmöglichkeit
Diese Leistungsstörung kann – vergröbert gesagt – ihren Grund in einem Verschulden des Vertragspartners haben (§ 920 ABGB) oder ohne Verschulden des Vertragspartners eingetreten sein (§ 1447 ABGB). Danach unterscheiden sich auch die Rechtsfolgen; Gesetz lesen.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 25. 9. 2001, 1 Ob 164/01a, EvBl 2002/40: Eine slowenische Bank übernahm für einen slowenischen Unternehmer eine Bankgarantie für die Rückerstattung einer Anzahlung. Begünstigter begehrt Zahlung des Garanten, was dieser verweigert, da auf Grund einer Einstweiligen Verfügung eines slowenischen Gerichts Unmöglichkeit vorliege. – OGH: Bei einer bloßen Provisorialmaßnahme liegt keine Unmöglichkeit vor, da das Kriterium des „dauernden Hindernisses” nicht erfüllt ist.
Vgl dazu auch das Beispiel → KAPITEL 8: Der sog Doppelverkauf: Doppelverkauf. – Zur Bedeutung dieser Unterscheidung bei beschränkten Gattungsschulden → KAPITEL 8: Gefahrtragungsregeln für Stück- und Gattungsschulden .
nach oben
3. Unzumutbarkeit und Unerschwinglichkeit der Leistung
Das römische Recht kannte das dem Celsus (D. 50, 17, 185) zugeschriebene Rechtssprichtwort: ultra posse nemo tenetur – Mehr zu tun, als man kann, ist niemand verpflichtet. Dieser Rechtssatz stammt aber schon aus dem antiken Griechenland und findet sich nachweislich schon bei Demosthenes. – Diese Formel besitzt sowohl für das subjektive Unvermögen wie die objektive Unmöglichkeit Bedeutung, tendiert aber bereits in Richtung Unzumutbarkeit und Unerschwinglichkeit der Leistung.
Der Unmöglichkeit der Leistung gleichgestellt werden heute die (individuelle) Unzumutbarkeit und die sog Unerschwinglichkeit der Leistung. – Unzumutbar ist bspw ein Gefühls- oder Gewissenskonflikt des Schuldners; zB Künstler soll am Todestag eines nahen Angehörigen auftreten. – Unerschwinglichkeit (als Unterfall der Unzumutbarkeit) dagegen wäre anzunehmen, wenn der für die Erbringung der Leistung nötige Aufwand in keiner vertretbaren Relation zum Wert der Leistung steht; vgl MietSlg 37.179 oder SZ 26/194.
Beispiele
Keine Unzumutbarkeit / Unerschwinglichkeit der Leistung ist aber anzunehmen, wenn der Leistungspflichtige bewusst ein bestimmtes Risiko übernommen hat.
Literaturquelle
nach oben
4. Anspruchskonkurrenz und iura novit curia
Von Anspruchs- Konkurrenz spricht man dann, wenn ein Rechtsanspruch nicht nur auf einem (einzigen) Weg geltend gemacht werden kann, sondern der Anspruchsteller über mehrere Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung verfügt. So kann es sein, dass ein Anspruchswerber gleichzeitig in seiner Klage sowohl Gewährleistung, Verzug, nachfolgende Unmöglichkeit, Irrtum und Schadenersatzansprüche erhebt. Das ist grundsätzlich zulässig.
Es liegt dann zugleich eine Anspruchskumulierung vor. Der Anspruchswerber kann sich aber auch nur auf eine Anspruchsgrundlage stützen. Die Leistung kann aber selbstverständlich nur einmal (v)erlangt werden. – Aber parallele / kumulierte Anspruchsgeltendmachung erhöht die Sicherheit / Wahrscheinlichkeit erfolgreicher Anspruchsdurchsetzung! Irgendetwas wird ja wohl „klappen”! Vgl aber gleich: Iura novit curia.
Anspruchskumulierung
Anspruchskonkurrenz kann aber auch sukzessiv zur Anwendung gelangen; so schließt bspw das Erlöschen des Gewährleistungsanspruchs durch Zeitablauf die Irrtumsanfechtung nicht aus; Rspr 1932/309.
In diesem Zusammenhang kann ein zivilprozessualer Merksatz kurz erläutert werden: Iura novit curia. Dieser gemeinrechtliche Grundsatz meint, dass es nicht Aufgabe der Parteien, sondern des Gerichts ist, ein dem Gericht unterbreitetes Parteivorbringen (einen Sachverhalt) bezüglich seiner rechtlichen Konsequenzen (im Detail) zu beurteilen. „Das Gericht hat die Kenntnis des anwendbaren Rechts zu besitzen oder sich zu verschaffen”; Fasching, Zivilprozeßrecht, 19902. (Das war nicht immer so in der Rechtsgeschichte.) – Die Parteien trifft also nicht die Pflicht, ihr rechtliches Vorbringen (zB in einem Schriftsatz oder einer Klage) unter bestimmte Rechtssätze / Tatbestände (verbindlich) zu subsumieren. Und auf der anderen Seite ist das Gericht auf keinen Fall an allfällige Parteisubsumtionen – die natürlich in der Praxis vorkommen – gebunden. Es genügt, wenn der Anspruch / das Begehren so gestellt wird, dass das Gericht daraus zB einen Gewährleistungs- oder Schadenersatzanspruch abzuleiten vermag. – In diesem Sinne sind auch die eben gemachten Aussagen zur Anspruchskonkurrenz zu verstehen und zu relativieren.
Iura novit curia
nach oben
IX. Zur sog positiven Vertragsverletzung
Im Zusammenhang mit den vertraglichen Haupt- und Neben(leistungs)pflichten und den Leistungsstörungen soll auch die sog positive Vertragsverletzung (pVV) kurz behandelt werden, zumal sie im österreichischen Schrifttum eine gewisse, wenngleich wenig glückliche, Rolle spielt. – Vgl auch → KAPITEL 9: Vertrags- und Deliktshaftung: Vertrags- und Deliktshaftung. Der Text wird nunmehr in der Form eines Links angeboten.
1. Die pVV als Auffangtatbestand – Was ist ihr Anwendungsbereich?
Die pVV – ein "Import" aus Deutschland – ist (den Kondiktionen / dem Bereicherungsrecht vergleichbar) als Lückenbüßer gedacht, ist Auffangtatbestand, dem in Deutschland nach dem dtBGB die Aufgabe zukommt, das zu erledigen, was andere Rechtsinstitute nicht oder doch nicht zufriedenstellend leisten können. Zum Unterschied vom Bereicherungsrecht umfasst das Einzugsgebiet der pVV aber nicht das gesamte Privatrecht, sondern nur den Bereich der Leistungsstörungen. Zu betonen ist ferner, dass es sich bei der pVV um die Antwort einer ganz bestimmten nationalen Privatrechtsordnung auf ihre spezifischen (hausgemachten) Probleme handelte – nämlich des dtBGB –, und nicht um eine generelle oder gar universelle privatrechtliche Fragestellung. Wir sind daher gut beraten, uns in Österreich von vornherein mit Vorsicht diesem Thema zu nähern, zumal das ABGB, wenn auch deutlich älter als das dtBGB, das Auslöser- oder Kernproblem für die Entstehung der pVV gar nicht kennt und daher das Rechtsinstitut nicht benötigt wird. Im dtBGB fehlte nämlich (bis zur Schuldrechtsreform 2002) eine dem ABGB vergleichbare allgemeine Regelung für die Schlechterfüllung und dieser Mangel wurde erst nach Inkrafttreten des dtBGB deutlich; vgl etwa Enneccerus (Recht der Schuldverhältnisse 225, 195414): "Die Verfasser des deutschen BGB haben, wie es scheint, geglaubt, durch die Vorschriften über das Unmöglichwerden der Leistung und den Verzug, alle schuldhaften Verletzungen von Forderungsrechten geregelt zu haben. Diese Annahme ist aber nicht zutreffend. Es gibt vielmehr zahlreiche Forderungsverletzungen, die weder Unmöglichkeit der Leistung noch eine Verzögerung bewirken, und ferner andere, die zwar eine solche Folge haben, aber dem Gläubiger daneben einen über das Erfüllungsinteresse [-schaden] weit hinausreichenden Schaden zufügen."
Als Beispiele nennt Enneccerus:
nach oben
2. Rechtsfolgen
Die Rechtsfolgen für die pVV wurden in Deutschland in (Rechts)Analogie zu den Unmöglichkeits- und Verzugsregeln gewonnen, wobei zu betonen ist, dass es sich dabei ausschließlich um auf Verschulden (!) beruhende Schadenersatzansprüche handelt (und nicht etwa um objektive Verzugs- oder Gewährleistungsansprüche wie nach dem ABGB). Genauer geht es um über den Erfüllungsschaden hinausgehende schädigende Folgen von Schlechterfüllung. Gerade dafür hatte das ABGB in § 932 Abs 1 letzter Satz ABGB aF aber vorgesorgt:
"In allen Fällen haftet der Übergeber für den verschuldeten Schaden." - Vgl dazu nunmehr auch → Gewährleistung und Schadenersatz: Gewährleistung und Schadenersatz.
nach oben
3. Kritik
Es ist daher nicht verwunderlich und soll erneut in Erinnerung gerufen werden, dass in Österreich schon früh Kritik gegen eine Übernahme dieser BGB-Rechtsfortbildung geäußert wurde. Schon die Redaktoren der III. TN zum ABGB lehnten dieses Rechtsinstitut ab; Materialien 285. Vgl ferner Ehrenzweig II/12, S. 209 und 292 (1928) und insbesondere Gschnitzer in Klang2 IV/1, 471 ff (1955; dort lesen wir: "Somit ist der Begriff der p.V. systematisch wertlos.") und SCHRAT1 71 (1965). In der 2. Auflage des Gschnitzerlehrbuchs taucht der Begriff der pVV allerdings auf, wenngleich beschränkt auf Nebenpflichten. Vgl auch Reischauers Ablehnung in: Entlastungsbeweis im Schuldverhältnis, insbesondere 148 (1975) und derselbe, in Rummel, ABGB I2 Vor §§ 918-933 ABGB Rz 4. Reischauer spricht zutreffend vom "missglückten Leistungsstörungsrecht" des dtBGB. – Kritisch auch Mayrhofer, SchRAT (Ehrenzweig, Neubearbeitung) 352. – Koziol / Welser dagegen verwenden den Begriff unkritisch ohne Vorbehalt und ohne historische Hintergrundinformation; Bd I10 267 und auch noch II12. Das gleiche gilt für P. Bydlinski, Grundzüge des Privatrechts 152 (1994 2).
Dazu kommt, was häufig übersehen wird, dass das dtBGB seine Schadenersatzlehre, anders als das ABGB, ausschließlich deliktisch konzipiert hat und Schäden aus Vertrag (Schuld- oder Forderungsverletzungen) in antiquierter Weise grundsätzlich nicht seinem Schadenersatzrecht unterstellt; vgl für Deutschland etwa M. Fuchs, Deliktsrecht (20034) und für Österreich Ehrenzweig2 II/1, S. 49. Der Passus des § 823 Abs 1 dtBGB " ... oder ein sonstiges Recht ..." wird sehr eng verstanden und schützt nach hA nur absolute, nicht dagegen Forderungsrechte. "Die Verletzung eines Forderungsrechts macht daher [nach dtBGB] nicht schadenersatzpflichtig." (Fuchs aaO). Ganz anders zB das ABGB (§ 1295 Abs 1): " ... der Schade mag durch Übertretung einer Vertragspflicht oder ohne Beziehung auf einen Vertrag verursacht worden sein." (Die österr Kodifikationsarbeiten schließen – wie die preußischen – angefangen vom Codex Theresianus, über die Entwürfe Hortens und Martinis bis zum WGGB die Kluft zwischen Schadenersatz aus Vertrag und Delikt konsequent.) – Es brauchte daher in Deutschland für Schäden aus Vertragsverletzungen, die gesetzlich nicht geregelt waren, einen dogmatischen Aufhänger. (Das betrifft typischerweise Nebenpflichten eines Vertragspartners; etwa wenn ein Elektriker unachtsam eine teure Vase des Werkbestellers beschädigt.) Und dieser Aufhänger wurde in mehreren Teilschritten mit der dogmatischen Figur der pVV extra legem geschaffen und soll jenen Schutzpflichtenkanon (für bestehende Verträge) schadenersatzrechtlich sanktionieren, den die Rechtsfigur der cic für den vorvertraglichen Bereich erfasst; also insbesondere die Verletzung von Schutz-, Sorgfalts- und Aufklärungspflichten (als Nebenpflichten neben der bestehenden vertraglichen Hauptleistungspflicht).
Positiv ist anzumerken, dass die Auseinandersetzungen um die pVV zu einem schärferen dogmatischen Erfassen vertraglicher Neben(leistungs)pflichten geführt hat und wohl auch mitursächlich dafür war, dass die österreichische Rspr vor wenigen Jahren den Schritt zur (alternativen) Anspruchskonkurrenz von Schadenersatz und Gewährleistung getan hat, mag er im ABGB auch seit der 3. TN (§ 932 Abs 1 letzter Satz) angelegt gewesen sein. – Gegen eine unkritische Rezeption des Rechtsinstituts des pVV (als Auffangtatbestand für Schlechterfüllung) spricht aber ferner der bekannte Umstand, dass die österreichische Rspr die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB nur für den Bereich der Nichterfüllung, nicht aber auf die Schlechterfüllung oder Schädigungen anlässlich der Erfüllung anwenden will. Der Anwendungsbereich der dtpVV musste für Österreich daher "geteilt" werden, in einen solchen auf den § 1298 ABGB Anwendung findet – denn die Rspr rechnet die Verletzung vertraglicher Nebenpflichten zur Nichterfüllung –, und einen anderen Bereich, dem die Rechtswohltat der Beweislastumkehr nicht zugute kommt. (Ganz abgesehen davon, dass auch in Deutschland die Frage der Beweislast für das Verschulden seit jeher umstritten war; vgl nur Enneccerus!)
nach oben
4. Ergebnis
All das zusammengenommen lässt es ratsam erscheinen, in Österreich auf die in Deutschland entwickelte dogmatische (Rezeptions)Figur der pVV zu verzichten. Der jüngste dt Reformschritt legt dies zusätzlich nahe. Denn: Die §§ 918, 921 ABGB erfassen explizit den Verspätungs- und Nichterfüllungsschaden bei Verzug (§ 918 Abs 2 ABGB: Teilverzug), § 920 ABGB regelt die Erfüllungsvereitelung (Unmöglichkeit) und § 932 Abs 1 ABGB trifft eine Regelung für die Schlechterfüllung. Und § 1298 ABGB sanktioniert jedenfalls für den Bereich der Nichterfüllung die Verletzung der "vertragsmäßigen oder gesetzlichen [= deliktisch!] Verbindlichkeit[en]". – Dazu kommt, dass wir in Österreich weder für das Unzumutbarwerden von Dauerschuldverhältnissen, noch den offenen Vertragsbruch des Schuldners einen eigenen Auffangtatbestand benötigen; vgl dagegen oben Pkt 1 die Aufzählung von Enneccerus. Darüber hinaus erfasst die pVV weder vorvertragliche (cic), noch nachvertragliche Schutz-, Sorgfalts- oder Aufklärungspflichten (g Kapitel 6.B., S. 369); und die bei bestimmten Verträgen nicht geregelte Gewährleistung ist besser durch Analogie oder Kreation (g Kapitel 5.C.III.3., S. 314) zu schließen als durch ein eigenes Rechtsinstitut. Auch Schutz- und Sorgfaltspflichten außerhalb von Verträgen werden von pVV nicht erfasst; zur Haftung aus einer Garantenstellung g Kapitel 10.A.II.3., S. 660.
Beachte
nach oben