Kapitel 5 | |
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D.
Steuern |
F. Ungerechtfertigte
Bereicherung |
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E. Willensmängel
– Irrtum |
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Die
§§ 869–875 ABGB handeln laut Überschrift / Marginalrubrik vor §
869 ABGB von der „wahren Einwilligung” in einen Vertrag → Allgemeine
Voraussetzungen gültiger Vertragsschlüsse §
876 ABGB stellt klar, dass diese Regeln nicht nur auf vertragliche,
sondern auch „auf sonstige Willenserklärungen, welche einer anderen
Person gegenüber abzugeben sind” entsprechende Anwendung finden.
Das kann zB eine einseitige rechtsgeschäftliche Erklärung wie eine
Kündigung oder eine Vollmachtserteilung sein; vgl JBl 1953, 576:
Entlassung. | |
1. Wann unterlaufen
Willensmängel? | |
Willensmängel unterlaufen
idR im Vorfeld von Vertragsschlüssen. Man meint „A” und sagt „B” oder
hat als Käufer vom Leistungsgegenstand andere Vorstellungen als
der Verkäufer; vielleicht deshalb, weil der Verhandlungspartner
sich nicht klar genug ausgedrückt hat oder dies gar nicht wollte.
– Willensmängel spielen nicht nur im Schuldrecht, sondern auch im
Familien-, Ehe- oder Erbrecht eine Rolle. Daher werden die Willensmängel
im „Allgemeinen Teil” behandelt. – Aus dem weiten Kreis der Willensmängel
wird idF der Irrtum als wichtigster Teilbereich umfassender dargestellt. | |
 | Abbildung 5.33: Willensmängel – Überblick |
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 | Abbildung 5.34: Willensmängel (1) |
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 | Abbildung 5.35: Willensmängel (2) |
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2. §§
870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung | |
Das bedeutet natürlich nicht, dass bspw § 870
ABGB, der die vorsätzliche Täuschung und Drohung behandelt,
unwichtig wäre. Vielmehr kommen immer wieder auch derart schwerwiegende
Eingriffe in die Willensbildung anderer Vertragspartner vor. – In
der Praxis sind aber absichtliche Täuschungen oder Drohungen schwerer
zu beweisen, als bloßer Irrtum iSv objektiver Irreführung, weshalb
häufig – auch bei „Vorliegen” einer Täuschung – auf den Irrtum ausgewichen
wird, zumal dessen Tatbestandsvoraussetzungen nicht einmal ein Verschulden
des in die Irre Führenden voraussetzen → Wesentlicher
Irrtum: § 871 ABGB
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JBl 1989, 657: Ein sog Partnerschaftsvermittlungsinstitut verleitet
einen Interessenten arglistig dadurch zum Abschluss eines Partnervermittlungsvertrags,
weil es mit Fotos gar nicht vermittelbarer Fotomodelle warb. Ein
solcher Vertrag ist, da List vorliegt, nichtig und den vom Interessenten
gezahlten Betrag hatte das Institut zurückzuzahlen. | |
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JBl
1999, 49 (Anm Apathy): Haftung des Drohenden
für Vorsorgemaßnahmen des Bedrohten? – Aufwendungen für die Sicherung
einer Wohnung durch eine Alarmanlage, ein Balkenschloss
und eine Geheimnummer kann der telefonisch mit dem Umbringen bedrohte
Wohnungseigentümer vom Drohenden, der sich der Wohnung nicht genähert
und auch seine Drohung nicht wiederholt hat, nicht als Schadenersatz begehren.
(?) – Diese E des OGH ist ein Beispiel dafür, wie anfechtbar Urteile
praktisch und theoretisch sein können. Vgl dazu die Ausführungen
zum sog Rettungsaufwand bei Vermögensschaden → KAPITEL 9: Vermögensschäden. | |
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DRdA 2000/30: Erzwingung einer Arbeitnehmer-Eigenkündigung durch
Drohung (Anm Rummel). | |
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Die Rechtsfolge von
Täuschung oder Drohung ist Nichtigkeit → Wie
wirkt Nichtigkeit? Die
Rspr lässt aber auch im Falle des § 870 ABGB die Rechtsfolge des
§ 872 ABGB – nämlich Vertragsanpassung – zu; vgl JBl 1991, 584. | Rechtsfolge |
Drohung, Täuschung und Gewalt werden auch sonst
von der Rechtsordnung nicht toleriert. So können Leistungen, die
durch Drohung und/oder Anwendung von Gewalt bewirkt wurden und auf
die der Empfänger keinen Rechtsanspruch hat – zB Zahlung einer Prostituierten
an ihren Zuhälter – trotz § 1432 ABGB ( → Leistungskondiktionen
– Überblick)
zurückverlangt werden; RZ 1983/71 = HS 14.987. | |
3. Wille, Vorstellung
und Erklärung | |
Das Problem bei Willensmängeln liegt häufig
darin, dass beim Abschluss von Rechtsgeschäften, Verträgen oder
überhaupt bei der Abgabe von Willenserklärungen Vorstellung, Wille
und Erklärung nicht oder doch nicht vollständig übereinstimmen.
– Wie wir schon wissen, kommt ein Vertrag durch korrespondierende
Willenserklärungen, also Konsens der Vertragsparteien zustande; Antrag
und Annahme. § 869 ABGB verlangt zudem, dass die Einwilligung in
einen Vertrag eine „wahre” sein muss und meint damit, dass die Willenserklärungen
der Vertragsparteien frei von Fehlern sein müssen, insbesondere
auch frei von Irrtum (§§ 871 ff ABGB) oder noch schwerwiegenderen
Beeinträchtigungen der Willensbildung, wie Täuschung, Drohung oder
Zwang → §§
870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung
| Wahre
Einwilligung |
4.
Willens-, Erklärungs- und Vertrauenstheorie | |
Die gesetzlichen Regeln
über Willensmängel benennen die Voraussetzungen, unter denen solche Fehler
– zB ein bei Vertragsabschluss unterlaufener Irrtum – auch noch
nachträglich korrigiert werden können. Dabei kann – wie auch bei
der Rechtsgeschäftslehre – die Rechtsordnung nicht nur vom Willen
des Irrenden ausgehen (sog Willenstheorie; §§ 565, 570–572 ABGB;
§ 901 Satz 3 ABGB), sondern hat auch auf die Rechtssicherheit des
Rechtsverkehrs und die „andere” Seite des Vertragsschlusses zu achten.
Das bedeutet, dass die Rechtsordnung auch der abgegebenen Erklärung
selbst, wie immer sie gemacht wurde (sog Erklärungstheorie) und
dem Verständnis des Publikums (allgemein: des Erklärungsempfängers)
Beachtung schenken muss; sog Vertrauenstheorie: Vgl auch → Zur
Rechtsgeschäftslehre des ABGB
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•
Die Willenstheorie gilt
nicht überall, sondern nur bei den unentgeltlichen Geschäften und
letztwilligen Verfügungen; denn der Wille von Schenkenden oder Testierenden
verdient umfassenden Schutz. | |
•
Die Erklärungstheorie gelangt
bspw bei Wechsel und Scheck, überhaupt Wertpapieren zur Anwendung,
weil deren Umlauffähigkeit ausschließlich vom Erklärten abhängt
und auf andere Gründe keine Rücksicht genommen werden kann. | |
•
Bei
den praktisch so wichtigen entgeltlichen Geschäften schließlich
gilt ausschließlich die sog Vertrauenstheorie: Dh
das Gewollte und Erklärte ist (verbindlich) nur so zu verstehen,
wie es ein redlicher und verständiger Erklärungsempfänger nach der
Verkehrsauffassung verstehen durfte: dies aus Rücksichtnahme auf
die Verkehrssicherheit und den allgemeinen Verkehrsschutz: § 914
ABGB – „Übung des redlichen Verkehrs” → KAPITEL 11: Verkehrssitte. | |
Die Erklärung ist also nicht immer so
auszulegen, wie der Erklärende meint oder es wollte, dass die Erklärung
zu verstehen sei. Die Anwendung der Vertrauenstheorie führt zur
Feststellung der dem Vertrag zugrundeliegenden Absicht „der” Parteien
(§ 914 ABGB), also dem (hypothetischen) Willen beider Parteien
und nicht nur der Absicht einer, der erklärenden
Partei. – Kann durch die Anwendung der Vertrauenstheorie im Rahmen
der konkreten Vertragsauslegung die Absicht der Parteien iSd § 914
ABGB festgestellt werden, kommt die Unklarheitenregel (§ 915, 2.
HalbS iVm § 869 ABGB) nicht mehr zur Anwendung. Zu den sich oft
überschneidenden Vertragsauslegungsregeln → KAPITEL 11: Auslegung
von Rechtsgeschäften und Verträgen: §§ 914, 915 ABGB. | Absicht
„der” Parteien
iSd § 914 ABGB |
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JBl
1987, 521: Matrose schließt
Fernlehrvertrag mit
Fernlehrinstitut über „Radio- und Fernsehtechnik” und fühlt sich
idF überfordert. Fernlehrinstitut will „Rücktritt” (Ausstieg aus
dem Vertrag) des Matrosen nicht gelten lassen. Leitsatz: „§ 871
ABGB: Im Rahmen seiner vorvertraglichen Aufklärungs- und Informationspflichten
[cic!] darf sich das Fernlehrinstitut nicht mit der Selbsteinschätzung
des Kursinteressenten begnügen, sondern hat durch geeignete Pädagogen
zu prüfen, ob jener die Voraussetzungen für eine erfolgverheißende
Teilnahme an dem Ausbildungskurs besitzt und dementsprechend aufzuklären.
Wer in Verletzung seiner Aufklärungspflicht in contrahendo [ → KAPITEL 6: Cic
¿ culpa in contrahendo]
den Gegner irreführt, muss beweisen, dass der Irrtum nicht wesentlich
oder nicht einmal kausal war. Vgl die Rspr zur Beweislast bei Verletzung
der ärztlichen Aufklärungspflicht → KAPITEL 10: Zur
ärztlichen Aufklärungspflicht.
Kein schlüssiger Verzicht auf die Irrtumsanfechtung, wenn der Irrende,
der zunächst vom Vertrag loskommen wollte, an diesem doch festzuhalten
erklärt, wenn er dabei noch in demselben Geschäftsirrtum wie bei
Vertragsschluss befangen war.” | |
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RG 5.3.1941, DR (A) 1941, 1753:
Das ABGB steht hinsichtlich der Wirkung von Willenserklärungen nicht
auf dem Boden der Willens-, sondern der Vertrauenstheorie. | |
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Eine gemischte
Schenkung ( → KAPITEL 3: Arten
der Schenkung)
kann wegen Irrtums zur Gänze angefochten werden; EvBl 1961/479. | |
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Die Unterscheidung
in wesentlichen und unwesentlichen Irrtum kannte schon das ABGB
von 1811. Die „3 Fälle” des § 871 ABGB stammen allerdings von der
III. TN (1916). § 871 Abs 2 ABGB wurde erst 1979 angefügt. § 872 ABGB
gilt aber noch heute in seiner ursprünglichen Fassung. – Die „Urfassung”
des § 871 ABGB lautete: „Wenn ein Teil von dem andern Teile durch
falsche Angaben irregeführt worden, und der Irrtum die Hauptsache,
oder eine wesentliche Beschaffenheit derselben betrifft, worauf
die Absicht vorzüglich gerichtet und erklärt worden; so entsteht
für den Irregeführten keine Verbindlichkeit.” | |
Irrtum bedeutet falsche
Vorstellung oder Unkenntnis der Wirklichkeit. – Unterlief
bei Vertragsschluss der einen oder andern Vertragspartei ein Willensmangel
/ Irrtum, so ist dieser unter gewissen, gesetzlich umschriebenen,
Voraussetzungen korrigierbar; und zwar entweder so: | Was ist Irrtum? |
• dass
die irrende Partei schließlich überhaupt nicht an den Vertrag
gebunden bleibt, also vom Vertrag (nach erfolgreicher Anfechtung)
abgehen kann; zB bei wesentlichem Irrtum (§ 871 ABGB) oder bei Täuschung
(§ 870 ABGB) → §§
870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung; | |
• oder so, dass die Partei doch nicht
„so” an den Vertrag gebunden sein, wie er geschlossen wurde
(Vertragskorrektur oder -anpassung); § 872 ABGB, unwesentlicher
Irrtum. | |
Die vom Gesetz her bestehende klare Unterscheidung
in den Rechtsfolgen zwischen Täuschung und Drohung auf der einen
sowie wesentlichem und unwesentlichem Irrtum auf der anderen Seite,
wird von der Praxis / Rspr verwischt; zB wird die Vertragskorrektur
sowohl bei Täuschung und Drohung, als auch beim wesentlichen Irrtum angewandt → Wesentlicher
Irrtum: § 871 ABGB
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Willensmängel –
und daher auch der Irrtum – wirken nicht von selbst (eo ipso), sondern
müssen geltend gemacht werden, was durch Anfechtung geschieht. Anfechtbarkeit ( → Was
heißt Anfechtung?)
bedeutet, dass der Vertrag bis zur rechtskräftigen Nichtigerklärung
gültig bleibt; JBl 1957, 240. – Natürlich kann eine irrende Partei
auf das Geltendmachen ihres Irrtums auch verzichten. Dann bleibt
der Vertrag (gültig) bestehen. | Anfechtbarkeit |
 | Abbildung 5.36: Irrtumsarten – Überblick |
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1. Wesentlicher
Irrtum: § 871 ABGB | |
Zur Abgrenzung
vom unwesentlichen Irrtum: | |
•
Ein Irrtum
ist wesentlich, wenn der Vertrag ohne ihn „gar nicht”
geschlossen (!) worden wäre
(§ 873 ABGB); und zwar: überhaupt nicht geschlossen worden wäre. | |
•
Unwesentlich ist ein Irrtum dann, wenn der Vertrag
zwar geschlossen, aber bei richtiger Kenntnis der Umstände „doch
nicht auf solche Art errichtet worden
wäre” (§ 873 ABGB), vielmehr mit anderem Inhalt; zB mit anderer
Menge, insbesondere anderem Preis, anderen Konditionen. – Dementsprechend
variieren die Rechtsfolgen. | |
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GlUNF 109
(1898): Wesentlich ist der Irrtum über das ausdrücklich
zur Bedingung erhobene Motiv iSd § 901 ABGB (zum Motivirrtum → Der
Motivirrtum); | |
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GlUNF 42 (1898)
oder über die Echtheit einer Briefmarke (GlUNF
388) oder eines Bildes (ZBl 1916 Nr 3) oder über
das Eigentum des Verkäufers (ZBl 1933 Nr 145):
Ebenso wesentlich der Irrtum über den Preis eines Kaufobjekts. | |
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•
Der wesentliche Irrtum
ermöglicht die Anfechtung und Beseitigung des Gesamtvertrags.
Ist die Anfechtung erfolgreich, fällt der Gesamtvertrag und damit
das Titelgeschäft dahin → „Wie
wirkt” die Vertragsanfechtung?
| |
•
Beim unwesentlichem Irrtum nach § 872 ABGB dagegen,
kommt es bloß zu einer Vertragskorrektur / -anpassung
oder wie das Gesetz sich ausdrückt, zu einer „angemessenen Vergütung”.
Der Vertrag bleibt hier aber aufrecht. | |
Die
folgenden Beispiele zeigen, dass die Meinungen, ob der Irrtum wesentlich
oder unwesentlich war, leicht auseinandergehen und dass es – so
etwa SZ 54/88 – jeweils auf den festzustellenden Willen der konkreten
Parteien ankommt und nur dann, wenn sich dieser nicht (mehr) feststellen
lässt, gemäß § 914 ABGB, auf den sog hypothetischen Parteiwillen
abzustellen ist. | |
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JBl 1956, 365 (Irrtum über
Grundstücksgröße: zB statt 1500 m2 nur
1450 m2) abgedruckt im Franz Gschnitzer
Lesebuch 754. Dieser Irrtum wird vom OGH als wesentlich, von Gschnitzer
– zutreffender – als unwesentlich angesehen. (Am Meinungsunterschied
zeigt sich, dass diese Grenze eine fließende ist!). Auch ein Personenirrtum (§
873 ABGB) kann unwesentlich sein; so, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer
(in bestimmter Hinsicht) für besonders qualifiziert hielt und ihm
daher einen höheren Lohn bewilligte, sich dies aber als falsch herausstellt. | |
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SZ 53/108
(1980) – Kauf einer Kleinwohnung:
Verkäuferseite teilte Käufer mit, die Wohnung sei 50 m2 groß,
sie hatte aber tatsächlich nur 40 m2.
(Hier ist eher wesentlicher Irrtum anzunehmen! – Warum?) | |
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SZ 54/88 (1981) –
Pächter irrt über die Erträge der gepachteten Frühstückspension –
Aus den Entscheidungsgründen des OGH: „Unzweifelhaft handelt es
sich nämlich bei der zugesagten Eigenschaft des verpachteten Unternehmens
um eine, die im abgeschlossenen Geschäft wertbildend, also für die
Bestimmung der Gegenleistung (Pachtzins) maßgebend war und deshalb
zum Inhalt des Geschäfts gehört, weshalb der beim Kläger dadurch
– die Unrichtigkeit der Zusicherung einmal vorausgesetzt – ausgelöste
Irrtum als Geschäftsirrtum anzusehen ist. In diesem Falle müsste
allerdings geprüft werden, ob der Geschäftsirrtum des Klägers ungeachtet
seiner Wesentlichkeit ein unwesentlicher in dem Sinne war, dass
beide Vertragsparteien den Vertrag ohne Irrtum ebenfalls, wenngleich
mit einem anderen Inhalt, nämlich einem niedrigeren Pachtzins, geschlossen
hätten, wozu in erster Linie der hypothetische Wille der Parteien
ermittelt und, wenn auf diese Weise kein Ergebnis erzielt werden
könnte, die Frage beantwortet werden müsste, wie normale Parteien
redlicherweise gehandelt hätten.” | |
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Für die Anfechtung eines Vertrags
wegen Irrtums genügt es aber nicht, dass der Irrtum wesentlich war.
Nach § 871 ABGB muss zusätzlich einer der folgenden „drei
Fälle” alternativ dazukommen. Diese sind: | Die
„3 Fälle” des
§ 871 Abs 1 ABGB |
• ,,falls der Irrtum
durch den anderen veranlasst war; oder | |
• diesem aus den Umständen offenbar auffallen musste;
oder | |
• noch rechtzeitig aufgeklärt wurde”. | |
Zu den ,,3 Fällen”
des § 871 ABGB kommen noch zwei weitere, von der Praxis entwickelte
„Fälle” dazu, die im Gesetz aber nicht aufscheinen und die sowohl
Tatbestands- wie Rechtsfolgevoraussetzungen betreffen. Man kann
daher heute von den ,,5 Fällen” des § 871 ABGB sprechen. – Die neu entwickelten
Fälle sind: | Zwei weitere Fälle |
•
Gemeinsamer Irrtum der
Vertragsparteien. Hier steht das Anfechtungsrecht beiden Vertragsteilen
zu; und zwar auch ohne das Vorliegen eines der „3 Fälle” des § 871
ABGB. Der Irrtum muss für den Anfechtenden aber „wesentlich” sein. | |
• Dass es auch beim wesentlichen Irrtum nach
der Rspr uU zur Vertragsanpassung nach § 872 ABGB
kommen kann. | |
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SZ 26/71 (1953):
Im Falle eines nach § 871 ABGB beachtlichen wesentlichen Irrtums
hat der Irregeführte die Wahl, an Stelle der Aufhebung des Vertrages
(nach § 871 ABGB) nach § 872 ABGB vom Urheber des Irrtums eine angemessene
Vergütung zu verlangen. | |
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§ 871, Fall 1 ABGB
– ,,durch den anderen veranlasst ...”, dh nicht: „verschuldet” (!)
wurde! Die Tatbestandsvoraussetzungen der Irrtumsanfechtung – das
gilt für den wesentlichen wie den unwesentlichen Irrtum – setzten
demnach prinzipiell kein Verschulden – auch nicht leichte Fahrlässigkeit
– voraus, sondern begnügen sich mit einem objektiven Verursachungsnachweis.
Eine (Verständnis)Grenze zieht aber die Vertrauenstheorie → Zur
Rechtsgeschäftslehre des ABGB
| Zum
ersten Fall des § 871 |
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SZ 28/103
(1955) Hotelverkauf: Die Verkäufer verschweigen den Käufern, die
große Umbaupläne für das Hotel haben, dass das Gebäude nicht in
sog Massivbauweise, sondern nur in sog Holzriegelbaukonstruktion
errichtet wurde. OGH: Veranlassen iSd § 871 ABGB setzt weder absichtliche
noch fahrlässige Irreführung voraus. Es genügt jedes für die Entstehung
des Irrtums ursächliche Verhalten. Kann ein Kontrahent nach der
Verkehrsauffassung mit dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein
gewisser den Geschäftsinhalt betreffender Umstände rechnen, solange
ihm nicht das Gegenteil vom anderen Vertragsteil mitgeteilt wird,
begründet schon das Unterlassen dieser Mitteilung ein Veranlassen
des Irrtums. | |
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JBl 1971, 258 (Verkauf
eines Kraftfahrzeugs Marke R.): Verkäufer behauptet wahrheitswidrig,
das Fahrzeug sei unfallfrei (sog Havariefreiheit) und weise einen
bestimmten Kilometerstand auf, was ebenfalls unrichtig war. | |
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Zur sog Anspruchskonkurrenz und Anspruchskumulierung im
Rahmen der gerichtlichen Anspruchsdurchsetzung (zB zum gleichzeitigen
Geltendmachen eines Willensmangels und/oder einer Leistungsstörung) → KAPITEL 7: Die
Leistungsstörungen. | |
,,offenbar
auffallen musste” – dh dass ,,der andere“ (= der Geschäftspartner
des Irrenden) den Irrtum (des andern) hätte erkennen können / müssen. | Zum zweiten Fall des § 871 |
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Es muss dem Verkäufer
auffallen, wenn der Käufer das Bild / Schmuckstück aufgrund des
hohen Preises für echt hält. – Oder: JBl 1965, 318 (Eismaschinenreparatur) → Erklärungs-
und Geschäftsirrtum
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SZ 51/144 (Insektizidkauf) → Der
Kalkulationsirrtum
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§ 871, Fall 3 ABGB
– ,, ... rechtzeitig aufgeklärt wurde”; sog „res integra”-Aufklärung.
– Kurz: Der andere Vertragsteil darf (seit Vertragsschluss bis zur
Anfechtung) noch keine wesentlichen rechtlichen oder wirtschaftlichen
Dispositionen (über den Vertragsgegenstand) getroffen haben; zB kein
Bauansuchen gestellt haben oder eine Weiterveräußerung des Kaufgegenstands
oder Investitionen getätigt haben. | Zum
dritten Fall des § 871 |
Im 3. Fall des § 871 ABGB steckt eine objektive
vertrauenstheoretische Verkehrsschutzüberlegung. Das Recht des Irrenden,
seinen Irrtum geltend zu machen, reicht nur bis zu einem gewissen
Punkt, nämlich dorthin, wo sein Geschäftspartner irreversible Dispositionen
getroffen hat, nicht weiter. Der zB durch eine getroffene Investition geschaffene
rechtliche oder wirtschaftliche Wert soll nicht gefährdet werden. | |
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SZ 24/288 (1951):
„Rechtzeitig aufgeklärt” ist der Irrtum nur, wenn der Gegner noch
nicht im Vertrauen auf die Erklärung des Irrenden gehandelt hat;
insbesondere, wenn der Gegner (des Irrenden) anlässlich eines abgeschlossenen
Vertrags noch keine rechtliche oder wirtschaftliche Verfügung getroffen
und auch nicht die Gelegenheit zu einer solchen Verfügung infolge
des geschlossenen Vertrags versäumt hat; SZ 26/129 (1953). | |
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SZ 14/40 (1932): Eine infolge
Irrtums des Gläubigers unrichtig ausgestellte Quittung hindert nicht
das Geltendmachen des Forderungsrechts, wenn der Irrtum aufgeklärt
wurde, bevor der Schuldner im Vertrauen auf die Erklärung gehandelt
und sich eingerichtet hat. | |
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Als nicht mehr rechtzeitig
aufgeklärt wurde folgender Fall angesehen (JBl 1963, 439): Irrtum
über die Höhe einer dem Dienstnehmer zustehenden Abfertigung. –
Der Direktor einer Raiffeisenkasse wurde gekündigt und die Kasse
zahlte ihm irrtümlich 12 statt der ihm zustehenden 9 Monatsgehälter
als Abfertigung. Der Geltendmachung dieses Irrtums im darauf von
der Raiffeisenkasse geführten Prozess wurde als verspätet angesehen. | |
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SZ 42/121 (1969):
Rechtzeitiges Aufklären eines bei einer Abfindungserklärung nach
einem Verkehrsunfall unterlaufenen Irrtums. | |
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 | Abbildung 5.37: Wesentlicher Irrtum – § 871 ABGB |
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 | Abbildung 5.38: Gemeinsamer Irrtum |
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Dieser Absatz wurde erst 1979 durch das
KSchG ins ABGB eingefügt; vgl auch § 873 Satz 2 ABGB. Diese Neuregelung
sollte der Pfuscherbekämpfung dienen; Nichtaufklärung über die fehlende
Gewerbeberechtigung gilt stets als „Irrtum über den Inhalt des Vertrages
und nicht bloß als solcher über den Beweggrund oder den Endzweck
(§ 901)”. – In der Praxis findet diese Bestimmung kaum Anwendung. | 871
Abs 2 ABGB |
2. Unwesentlicher
Irrtum; § 872 ABGB | |
Zur Unterscheidung:
„wesentlicher – unwesentlicher” → Wesentlicher
Irrtum: § 871 ABGB Die
Rechtsfolge des § 872 ABGB liegt – wie erwähnt – in einer Vertragsanpassung / Vertragskorrektur;
das Gesetz spricht von „angemessener Vergütung”, weil eine solche
Anpassung häufig zu einer Preisreduktion führt. – Der Vertrag bleibt
bestehen, wird aber kraft richterlicher Gestaltung inhaltlich modifiziert. | |
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 | Abbildung 5.39: Unwesentlicher Irrtum: § 872 ABGB |
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§ 873 ABGB stellt
klar, dass die „Grundsätze” des wesentlichen und unwesentlichen
Irrtums auch für den „Irrtum in der Person desjenigen [gelten],
welchem ein Versprechen gemacht worden ist”. Gemeint ist damit: | |
• ein Irrtum über
die Person (iSd Identität des Geschäftspartners), oder | |
• über eine wesentliche (dh
insbesondere eine geschäftsrelevante) Eigenschaft dieser
Person. | |
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EvBl 1956/269: Irrtum über die Person des Geschäftspartners bei
einem Holzgeschäft; | |
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GlUNF
1911 (1902): Irrtum über bestehende Vorstrafen; | |
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EvBl 1951/109: Nachträglich hervorgekommene Vertrauensunwürdigkeit eines
Vertragsteils berechtigt zur Anfechtung. Besonders wichtig ist das
bei Kreditgeschäften (Kreditwürdigkeit) oder bei Dienst- oder Pachtverträgen,
wo auch der Irrtum über das Vorliegen von Fähigkeiten –
zB eines Pächters oder Arbeitnehmers – zur Anfechtung berechtigen
kann. | |
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Eine Sonderregelung betreffend den Irrtum über
die Eigenschaften einer Person findet sich in
§ 37 EheG; vgl JBl 2003, 50 = EvBl 2002/133: Geisteskrankheit der
Ehefrau. | §
37 EheG |
§ 873 Satz 2 ABGB wurde – ebenso wie
§ 871 Abs 2 ABGB – erst 1979 (BGBl 140) durch das KSchG ins ABGB
eingefügt und richtet sich gegen gewerberechtliche Pfuscher: Der
„Irrtum über das Vorhandensein einer erforderlichen verwaltungsrechtlichen
Befugnis zur Erbringung der Leistung” ist ein Irrtum in der Person.
– Üblicherweise besteht darüber aber keine Unklarheit. | §
873 Satz 2 ABGB |
4. §
875 ABGB: Veranlassung durch einen Dritten | |
Veranlasst ein Dritter
den Irrtum eines der Vertragspartner berechtigt das grundsätzlich
nicht zur Irrtumsanfechtung. Der Vertrag bleibt vielmehr gültig.
– „Nur in dem Falle, dass der andere [Vertrags]Teil an der Handlung
des Dritten teilnahm oder von derselben offenbar wissen musste, kommen
die §§ 870-874 ABGB zur Anwendung.” | |
Zu beachten ist
die Sphärenzurechnung, die der gesetzlichen Lösung
zugrunde liegt: Sphäre des einen + des andern Vertragspartners +
Sphäre des Dritten als neutrale Sphäre. Allenfalls wird der Dritte
der Sphäre des nicht irrenden Vertragspartners zugerechnet. | Sphärenzurechnung |
Mit der „Dritte”
ist an Außenstehende gedacht, die nicht wie Bevollmächtigte, überhaupt
als direkte oder indirekte Stellvertreter, Vermittler, Hilfsorgane
bei der Vorbereitung (EvBl 1954/131) oder als Boten dem anderen
Vertragsteil sphärenmäßig zuzurechnen sind; EvBl 1939/134. | Dritte |
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JBl 1991, 584: Eine Person, die
maßgeblich auf der Seite des Vertragspartners am Zustandekommen
des Geschäfts mitgewirkt hat, ist kein Dritter iSd§
875 ABGB. Der Verkäufer muss eine von einem mit der Vermittlung
des Verkaufs einer Liegenschaft beauftragten Immobilienmakler in
dieser Eigenschaft begangene Täuschung des Kaufinteressenten gegen
sich gelten lassen. | |
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Das gilt insbesondere
auch für die Einschaltung „Dritter” beim Kreditkauf (SZ 33/123) oder beim Leasing:
SZ 58/183 = ÖBA 1986, 356 (finanzierende Bank bedient sich des Leasinggebers
als Verhandlungsgehilfen). | |
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5. Rechtsvergleich
mit dem dtBGB | |
Im dtBGB ist der Irrtum ganz anders – für uns sehr fremd
– gelöst als im ABGB. – Irrt jemand und will er deshalb den geschlossenen
Vertrag nicht zuhalten, kann er seine (eigene) Erklärung wegen Irrtums
nach § 119 Abs 1 dtBGB anfechten. Dabei hat der Anfechtende seinen
Irrtum zu beweisen. Anfechten kann ein Irrender aber stets, und
nicht nur – wie nach ABGB – zB in den drei Fällen des § 871. Nach
§ 122 dtBGB ist jedoch der Anfechtende (!) grundsätzlich zu Schadenersatz verpflichtet
(Ausnahme: § 122 Abs 2 dtBGB), weil sich der Fehler in seiner Sphäre
ereignete. Der Schadenersatzanspruch des Kontrahenten des Irrenden
richtet sich auf das negative (Vertrags)Interesse, womit der Vertrauensschaden gemeint
ist. Zu ersetzen sind dem Vertragspartner (des Irrenden) also vor
allem Aufwendungen, die er im Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrags gemacht
hat. – Zum Vertrauensschaden → KAPITEL 6: Wofür
wird bei cic gehaftet?.
– Kein Schadenersatzanspruch des Vertragspartners des Irrenden besteht
in den von § 122 Abs 2 dtBGB genannten Gründen; kennen oder kennen
müssen des Irrtums. | |
§ 119 dtBGB [Anfechtbarkeit
wegen Irrtums] | |
Abs 1: Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren
Inhalt im Irrtume war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt
nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen
ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger
Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. | |
Abs 2: Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch
der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache,
die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. | |
§ 122 dtBGB [Schadenersatzpflicht des Anfechtenden] | |
Abs 1: Ist eine Willenserklärung nach § 118 nichtig oder
auf Grund der §§ 119, 120 angefochten, so hat der Erklärende, wenn
die Erklärung einem anderen gegenüber abzugeben war, diesem, andernfalls
jedem Dritten den Schaden zu ersetzen, den der andere oder der Dritte
dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut,
jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches der
andere oder der Dritte an der Gültigkeit der Erklärung hat. | |
Abs 2: Die Schadenersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der
Beschädigte den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit kannte
oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste). | |
Die Irrtumsanfechtung nach ABGB setzt kein
Verschulden voraus und Irrtum und Schadenersatz, die zwar zusammenfallen
können, aber nicht müssen, sind zwei Paar Schuhe. Außerdem wird
nach ABGB nicht die eigene Erklärung angefochten, sondern die Gültigkeit
des Vertrags. Die österreichische Lösung, die naturrechtlich fundiert ist
und auf K. A. v. Martini zurückgeht, erscheint nicht nur einfacher,
sondern auch klarer und überzeugender an Gerechtigkeits- und Praktikabilitätserwägungen
orientiert. Sie empfiehlt sich daher für ein europäisches Privatrecht. | |
 | Abbildung 5.40: Erklärungs-, Geschäfts- und Motivirrtum |
|
III. Erklärungs-,
Geschäfts- und Motivirrtum | |
Wir unterscheiden im Bereich des Irrtums ferner zwischen
Erklärungs-, Geschäfts- und Motivirrtum. – Während der Erklärungs-
und der Geschäftsirrtum – praktisch vor allem im zentralen Bereich
der entgeltlichen Geschäfte – anfechtbar sind, trifft das auf den
Motivirrtum nicht zu. Von Bedeutung ist daher die Grenzziehung zwischen
Erklärungs- und Geschäftsirrtum auf der einen und dem Motivirrtum
auf der anderen Seite. | |
Die Rspr (SZ
42/155 [1969]) hat dafür folgende Merkregeln entwickelt: | Merkregeln |
• Beim Geschäftsirrtum bezieht
sich die unrichtige Vorstellung des/der Irrenden auf Punkte, die innerhalb des
Geschäfts liegen, | |
• beim Motivirrtum auf solche außerhalb des
Geschäfts. | |
1. Erklärungs-
und Geschäftsirrtum | |
Erklärungsirrtum liegt
zB vor, wenn sich der / die Erklärende verspricht oder verschreibt
– jedenfalls etwas anderes erklärt, als eigentlich gewollt ist.
– Geschäftsirrtum liegt vor, wenn über den Gegenstand,
also über das abzuschließende Geschäft oder auch über den Geschäftspartner
geirrt wird; jemand nimmt etwa Schenkung oder Leihe statt Darlehen
an oder Verlobung statt Ehe; § 36 Abs 1 EheG. Hierher gehört auch
der Irrtum über die Eigenschaften einer Person; § 37 EheG → KAPITEL 16: Die
Auflösung der Ehe. | |
|
JBl 1965, 318 (Eismaschinenreparatur):
Berechnet ein Vertragspartner dem anderen für eine Reparatur einen
günstigen Sonderpreis in der irrigen Annahme, dass der andere das
reparierte Gerät bei ihm gekauft habe, so liegt Geschäftsirrtum
vor, der unter den weiteren gesetzlichen Voraussetzungen (der §§
871, 872 ABGB) zur Anfechtung berechtigt. | |
|
|
SZ 47/148 (1974, Kauf einer
Eigentumswohnung in Badgastein – Geschäftsirrtum): Die
Beklagte will von der Klägerin eine Eigentumswohnung kaufen und
entschließt sich deshalb zum Kauf, weil in den Plänen (der Wohnanlage)
eine Badeanlage vorgesehen ist. Unmittelbar nach
Unterzeichnung des Kaufanbots (!) erklärt ihr ein Angestellter des
WE-Organisator, dass die Bäder nicht gebaut werden. Es wird idF
von Grünanlagen gesprochen und die Beklagte ist
der Meinung, dass nunmehr im Innenhof der Anlage statt der ursprünglich
geplanten Autoabstellplätze eine Grünanlage vorgesehen sei, was
aber nicht zutrifft. Erst viel später (bei der Baustellenbesichtigung)
erfährt die Klägerin, dass im Anlagenhof Autoabstellplätze errichtet
werden. – Der WE-Organisator klagt idF den Kaufpreis ein, wogegen
die Beklagte (erfolgreich) Irrtum einwendet. – OGH: Dass ein Irrtum
der [Beklagten] über die Verwendung der unmittelbar vor ihrer ebenerdigen
Wohnung gelegenen Fläche als Abstellplatz für etwa 12 Pkws als Geschäftsirrtum
über wesentliche Umstände anzusehen wäre, ist entgegen der Meinung
des Erstrichters nicht zu bezweifeln. Wenn auch die Lage einer Wohnung
zur Umwelt nicht in jedem Fall und nicht hinsichtlich jedes Details
ein wesentlicher Inhalt des Geschäftes ist, sondern im Einzelfall
bloßes Motiv zum Kauf darstellen oder unwesentliche Nebenumstände
betreffen kann, so liegt doch offenkundig eine ungewöhnliche Belästigung
des Eigentümer einer Wohnung in einem Neubau eines Kurortes vor,
wenn unmittelbar vor seinem zu einem Innenhof gelegenen Balkon fast
in gleicher Höhe eine größere Anzahl von Autos abgestellt wird.
Ein solcher Umstand verändert die Beschaffenheit des Kaufgegenstandes
selbst ... und stellt nach objektiver Verkehrsanschauung ... eine
wesentliche Abweichung vom Normalfall dar. Anders wäre es bloß,
wenn schon der Kaufpreis auf diesen Nachteil abgestellt worden wäre. | |
|
|
Vgl auch ecolex 1998, 197: Wertirrtum
beim Teppichkauf. – Beruht der Wertirrtum eines Käufers
auf Umständen, die im redlichen Geschäftsverkehr eine Aufklärung
durch den Verkäufer erwarten lassen, liegt nicht bloß Motiv-, sondern
Geschäftsirrtum vor. | |
|
| |
Beim Motivirrtum handelt
es sich um einen Irrtum im Beweggrund, eben im Motiv eines Vertragsschließenden;
zB „warum” er eine bestimmte Sache kauft oder verkauft; vgl → Erklärungs-,
Geschäfts- und Motivirrtum Kauft
jemand Blumen in der Meinung, X habe heute Geburtstag und ist das
falsch, kann er die Blumen nicht wieder zurückgeben, denn ein Motivirrtum ist grundsätzlich
unbeachtlich; dh wegen eines Motivirrtums können Verkehrsgeschäfte
– also entgeltliche Verträge – nicht angefochten werden. Und zwar
weder nach § 871, noch nach § 872 ABGB. | |
Zur Relevanz der Arglist auch
beim Motivirrtum vgl gleich unten: EvBl 1975/205: Dienstvertrag. | |
Will man ein
bloßes Motiv aber zum Geschäftsinhalt (und damit den Irrtum anfechtbar)
machen, muss das Motiv ausdrücklich zur Bedingung erhoben werden;
vgl § 901 ABGB: Gesetz lesen! Relevant ist der Motivirrtum aber
auch im Bereich letztwilliger (Erbrecht) und unentgeltlicher Geschäfte,
also vor allem bei Schenkungen, aber auch der Leihe; vgl § 901 Satz
3 ABGB. Nicht aber – wie erwähnt – im Bereich entgeltlicher Verkehrsgeschäfte.
Eine unbedingt abgegebene Erbserklärung ( → KAPITEL 17: Die
unbedingte Erbserklärung)
kann aber nicht wegen Motivirrtums angefochten werden; EvBl 1969/424. | „Motiv“
kann zum Geschäftsinhalt erhoben werden |
|
SZ 23/272 (1950): Warenlager: unabsetzbare
Nachkriegsware. Motivirrtum ist der Irrtum (zB des Käufers) über
die Absatzfähigkeit und den gemeinen Wert von Waren.
Anfechtung wegen listiger Irreführung wäre jedoch möglich. | |
|
|
SZ 48/9 (1975): Beispiel für die Beachtlichkeit
eines Motivirrtums bei unentgeltlichen Geschäften (Schenkung!)
– Frau schenkte ihrem Gatten die Hälfte eines Grundstücks,
weil sie voraussetzte, dass die Ehe aufrecht bleiben würde und weil
sie hoffte, ebenfalls Hälfteeigentümerin einer Liegenschaft ihres Mannes
zu werden. Die Ehe wird jedoch idF geschieden. – Aus den Entscheidungsgründen
des OGH: Nach dem vorliegenden Sachverhalt sind die Streitteile
bei Übereignung des Liegenschaftsanteils übereinstimmend davon ausgegangen,
dass ihre Ehe Bestand haben werde ... Durch die rechtskräftige Scheidung der
Ehe ist diese von beiden Parteien bei Abschluss des Schenkungsvertrags
zugrunde gelegte Voraussetzung weggefallen. (Vgl dazu auch →
Störung
oder Wegfall
der Geschäftsgrundlage:
Wegfall der Geschäftsgrundlage) ... Der ohne Verschulden oder aus
gleichteiligem Verschulden geschiedene Ehegatte hat Anspruch auf
Rückstellung dessen, was er in die Ehe einbrachte. – Machte der
andere (als der anfechtende) Gatte auf eine rückzustellende Liegenschaft
Aufwendungen, steht ihm ein Anspruch auf Ersatz dieser Aufwendungen
zu, der durch Zurück(be)haltung ( → KAPITEL 15: Das
Zurückbehaltungsrecht: § 471 ABGB)
der herauszugebenden Liegenschaft gesichert werden kann. | |
|
|
§ 901 ABGB stellt klar, dass
der Beweggrund bei entgeltlichen Geschäften unbeachtlich ist (Satz
2), wenn er nicht ausdrücklich zur Bedingung erhoben wurde (Satz
1). Die hA versteht dieses „ausdrücklich” aber nicht so, dass dadurch
einer schlüssigen / konkludenten oder stillschweigenden Erhebung
einer Bedingung zum Motiv der Boden entzogen wäre. – Vgl in diesem
Sinne neben der eben erwähnten E SZ 48/9 auch etwa
HS 6450/35 (1968), wo bei einem Kaufvertrag über einen Lkw,
die Möglichkeit einer Kreditfinanzierung – zu recht
– als stillschweigend vereinbarte Bedingung angesehen wurde. | |
|
|
SZ 39/206 (1966): Unbeachtlicher
Motivirrtum, wenn ein Kunstliebhaber das Bild eines unbekannten Künstlers
(„Argo 1945”) gegen einen Brillantring eintauscht
und sich die Hoffnungen des Bilderwerbers, der Wert des Bildes würde
steigen, zerschlagen. | |
|
|
EvBl 1975/205: Der Motivirrtum
ist bei entgeltlichen Geschäften (wie einem Dienstvertrag)
unbeachtlich; ausgenommen ist Arglist und ausdrückliches
Vereinbaren des Beweggrundes / Motivs als Bedingung. | |
|
IV. Der
Kalkulationsirrtum | |
| |
,,Unter
Kalkulationsirrtum wird Verschiedenes verstanden und danach ist
auch die Beurteilung verschieden. Man kann daher ebenso wenig allgemein
sagen, der Kalkulationsirrtum sei wesentlich, wie, er sei bloßer
Motivirrtum. – Ein [beachtlicher ] Geschäftsirrtum liegt
vor, wenn ein Teil sich im Preis verschreibt, verspricht,
einen Rechenfehler oder dgl begeht oder bspw den
Vierteljahreszins entgegen der Ortsüblichkeit und Angemessenheit
für einen Jahreszins hält. Die Anfechtung ist in solchen Fällen
natürlich ... an die weiteren Voraussetzungen der §§ 871 ff ABGB
geknüpft, insbesondere [aber] dann zulässig, wenn der Irrtum dem
Gegner offenbar auffallen musste. – Nicht zum Geschäfts- sondern
zum (bei entgeltlichen Geschäften unbeachtlichen) Motivirrtum gehört aber
jener Kalkulationsirrtum, bei dem der Verkäufer oder Unternehmer
die Kosten der Erzeugung, Beschaffung, der ihm obliegenden Versendung
usw zu niedrig berechnet, also im eigentlichen Sinne falsch kalkuliert”;
Gschnitzer in Klang2 IV/1, 127 mwH. | |
Vgl auch die folgenden Beispiele. – Der Kalkulationsirrtum
kann also wesentlich oder unwesentlich sein, ebenso bloßer Motivirrtum. | |
2. Rspr-Beispiele
zum Kalkulationsirrtum | |
|
SZ
51/144 (1978)
Kauf von 25 Tonnen
eines Insektizides: Ein Irrtum bei der Preiskalkulation
im Ausmaß von drei Dezimalstellen muss dem Großeinkäufer einer Ware
selbst dann auffallen, wenn er sonst nicht damit handelt: Kilopreis
von 1,90 S statt richtig 265,– S. – OGH nimmt ohne weitere Erörterung (wesentlichen)
Geschäftsirrtum an. – Hier wurde also nicht wirtschaftlich falsch
kalkuliert, sondern es liegt ein Rechen- und/oder Schreibfehler
vor. | |
|
|
EvBl 1983/100: Tischlermeister
kalkuliert (wirtschaftlich) falsch – „Kalkulationsirrtum
ieS” eines Gewerbetreibenden; Bedeutung der nach einem Leistungsverzeichnis
aufgeschlüsselten Preisansätze; Kläger = (ausschreibender) Hotelier;
Beklagter = Tischlermeister, der inhaltlich / fachlich falsch kalkuliert. | |
|
|
WBl 1987, 62:
Gemeinde schreibt öffentlich Kanalbauarbeiten aus
– Firma irrt über von ihr zu erbringende Leistungen. – OGH: ,,Der
sog Kalkulationsirrtum betrifft idR nicht die rechtsgeschäftliche Erklärung
selbst, sondern nur Umstände, die dieser vorangegangen sind und
damit nur den Beweggrund. Wenn jedoch die Kalkulation zum Gegenstand
der entscheidenden Vertragsverhandlungen gemacht wurde und der geforderte
Preis erkennbar als ein auf dieser Kalkulation beruhender bezeichnet
worden ist, liegt ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung vor.
Ein Motivirrtum ist hingegen anzunehmen, wenn ein Vertragsteil die
Höhe der von ihm zu tragenden Kosten oder der von ihm zu tätigenden
Aufwendungen falsch einschätzt (EvBl 1983/100 [Tischler]; Gschnitzer
in Klang2 IV/1, 127). Im vorliegenden
Fall wurden die Kalkulationsgrundlagen in der Ausschreibung eindeutig
dargelegt. Nach der Ausschreibung war klar, dass die Fertigteilschächte
aus Stahlbetonringen mit zugfester Schraubverbindung und eingelegtem
Rollring auszuführen sind. Die Beklagte hat bei Erstellung des Anbots
nicht etwa die Kosten für die Erbringung derartiger Leistungen falsch
eingeschätzt, sondern hat ein Anbot erstellt, das in diesem Punkt
von der Ausschreibung abwich. Dem Anbot lag demnach nicht ein bloß
unbeachtlicher Kalkulationsirrtum, sondern ein [beachtlicher und
wesentlicher] Geschäftsirrtum zugrunde. Ein solcher Irrtum berechtigt
aber grundsätzlich zu einer Anfechtung nach § 871 ABGB.” | |
|
|
SZ 70/133: Beidseitiger
Kalkulationsirrtum, wobei der Irrtum für einen Vertragsteil
bei enstsprechender Sorgfalt erkennbar gewesen wäre; vgl die berechtigte
Kritik Kramers, in: AcP 200 (2000) 395. – Unsere Rspr sollte „stolz”
auf unsere fortschrittlichen naturrechtlichen Irrtumsregeln sein
und nicht unnötig deutsches Recht übernehmen. | |
|
 | |
 | Abbildung 5.41: Kalkulationsirrtum (1) |
|
 | Abbildung 5.42: Kalkulationsirrtum (2) |
|
V. Tatsachen-
und Rechtsirrtum | |
Ein weiteres Irrtums(begriffs)paar
ist der Tatsachen- und Rechtsirrtum: das ist der Irrtum über angenommene
Fakten oder tatsächliche Verhältnisse oder über die bestehende Rechtslage
oder die Rechtsfolgen; vgl § 326 Satz 3 ABGB: | |
„ ... Aus Irrtum in Tatsachen oder aus Unwissenheit der
gesetzlichen Vorschriften kann man ein unrechtmäßiger (§ 316) und
doch ein redlicher Besitzer sein.” | |
Beide Irrtumsarten
folgen den Regeln der §§ 871, 872 ABGB, können also sowohl wesentlich
wie unwesentlich sein. Tatsachen- oder Rechtsirrtum können aber
auch bloß unbeachtlicher Motivirrtum sein, ebenso wie beachtlicher
Geschäfts- oder Erklärungsirrtum. – Rechtlich relevant können demnach
(in den vom ABGB anerkannten Fällen) beide Irrtumsarten sein. | |
§ 2 ABGB beruht zwar scheinbar auf dem Grundgedanken
des error iuris nocet (also darauf, dass ein Rechtsirrtum dem Irrenden
stets schadet), doch modifiziert das ABGB diesen Grundsatz sowohl
in § 326 (wonach der über Tatsachen oder gesetzliche Vorschriften
Irrende dennoch ein redlicher Besitzer sein kann), als auch § 1431
(Anspruchsvoraussetzungen bei Zahlung einer Nichtschuld / condictio
indebiti → Leistungskondiktionen
– Überblick) ins Gegenteil und stellt den Rechts-,
dem (immer beachtlichen) Tatsachenirrtum gleich! – Diese Einteilung
überschneidet sich also mit anderen Irrtumsarten. | §
2 ABGB |
Bloße Rechtsunkenntnis
stellt aber noch keinen Rechtsirrtum dar. Es gilt vielmehr
§ 2 ABGB: „Sobald ein Gesetz gehörig kundgemacht worden ist, kann
sich niemand damit entschuldigen, dass ihm dasselbe nicht bekannt
geworden ist.” – Die Rspr zieht daraus aber nicht immer zutreffende Schlüsse;
so in MietSlg 38.069 (1986): Beispiele. | Rechtsunkenntnis
ist noch kein Rechtsirrtum |
Mayer-Maly, Rechtskenntnis
und Gesetzesflut (1969). | |
|
Irrtum über die Echtheit
eines gekauften Bildes oder einer Briefmarke (=
Tatsachenirrtum); ZBl 1916 Nr 3 und GlUNF 388 (1898). | |
|
|
EvBl 1969/423: Gutgläubiger
Pkw-Käufer gibt (von der Polizei dazu aufgefordert) gestohlenes
Auto zurück, weil er (wie diese) § 367 ABGB nicht kennt. Beachtlicher
Rechtsirrtum! | |
|
|
MietSlg 38.069 (1986): Als unerheblichen
Rechtsfolgenirrtum betrachtet die Rspr den Irrtum der Parteien beim
Abschluss eines Bestandvertrags darüber, ob der Bestandgegenstand
den Bestimmungen der Mieterschutzgesetzgebung unterliegt
(?); vgl schon EvBl 1960/222. | |
|
Das
Strafrecht regelt in § 9 StGB den Rechtsirrtum: | Auch das Strafrecht kennt den Rechtsirrtum |
(1) Wer das Unrecht der Tat wegen eines Rechtsirrtums nicht
erkennt, handelt nicht schuldhaft, wenn ihm der Irrtum nicht vorzuwerfen
ist. | |
(2) Der Rechtsirrtum ist dann vorzuwerfen,
wenn das Unrecht für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war
oder wenn sich der Täter mit den einschlägigen Vorschriften nicht
bekannt gemacht hat, obwohl er seinem Beruf, seiner Beschäftigung
oder sonst den Umständen nach dazu verpflichtet gewesen wäre. | |
(3) Ist der Irrtum vorzuwerfen, so ist, wenn der Täter vorsätzlich
handelt, die für die vorsätzliche Tat vorgesehene Strafdrohung anzuwenden,
wenn er fahrlässig handelt, die für die fahrlässige Tat. | |
Beachte: Im Strafrecht spielt vornehmlich der verschuldete
/ vorwerfbare Rechtsirrtum eine Rolle; vgl leg cit. – Im Zivilrecht
dagegen ist Verschulden grundsätzlich keine Tatbestandsvoraussetzung,
wenngleich auch hier Verschulden dazutreten kann. | |
VI. Rechtsfolgen
von Willensmängeln: Anfechtung, Nichtigkeit und
Rückabwicklung | |
| |
Wir haben von den Willensmängeln allgemein,
insbesondere dem Irrtum gehört und mehrfach vernommen, dass ein
etwa bei einem Vertragsschluss unterlaufener Irrtum (unter gewissen
Voraussetzungen) geltend gemacht werden kann, genauer: zur Anfechtung
berechtigt. – Aber was ist damit gemeint? Werfen wir einen Blick
ins Gesetz: | |
•
§ 871 ABGB trifft die Rechtsfolge: „So entsteht...
für ihn [gemeint ist der Irrende] keine Verbindlichkei t”
und | §
871 ABGB |
•
§ 870 ABGB
formuliert ähnlich: Ein Bedrohter oder Getäuschter ist den Vertrag
„zu halten nicht verbunden”. – Anders freilich § 872 ABGB,
der – wie wir gehört haben – nur ein Recht auf Vertragsanpassung
/ -korrektur gewährt und nicht ein Recht darauf, den ganzen Vertrag
aus den Angeln zu heben. | § 870 ABGB |
•
§ 877 ABGB
schließlich, der die sog Rückabwicklung bei Willensmängeln
regelt, ordnet an, dass derjenige, der „die Aufhebung eines Vertrages
aus mangelnder Einwilligung verlangt” (= Anfechtung iwS) selbst
„auch alles zurückstellen [muss], was er aus einem solchen Vertrage
zu seinem Vorteil erhalten hat.” – Denn niemand soll aus dem fehlgeschlagenen
Leistungsaustausch Vorteile ziehen, also bereichert werden → Ungerechtfertigte
Bereicherung
| § 877 ABGB |
Der
Anfechtung unterliegen Rechtsgeschäfte und Willenserklärungen ( → Einteilung
und Abgrenzung),
nicht aber zB Prozesshandlungen (SZ 23/237 [1950]) oder bloße Beweisurkunden
wie eine Rechnung oder eine Quittung; EvBl 1966/300. | Was kann angefochten werden? |
| |
Anfechten kann (nach österreichischem Privatrecht) immer
nur der Vertragsteil, dem der Willensmangel
unterlaufen ist; also zB der Irrende oder Getäuschte, nicht
aber ein Dritter: GH 1878, 329. – Anfechten kann aber auch der (Gesamt)Rechtsnachfolger des
Irrenden, zB ein Zessionar (SZ 41/33 [1968]), zumal dadurch die
gesamte Rechtsstellung oder doch die Berechtigungsposition übergeht. | |
Wie steht es um die Anfechtung von unterlaufenen
Willensmängeln bei der Stellvertretung? – Um bspw
einen Irrtum geltend zu machen genügt es, dass entweder der Vertretene
oder der Stellvertreter geirrt hat. Geltend zu machen ist der Irrtum
aber stets durch den Vertretenen, der ja letztlich hinter dem Geschäft
steht. | |
Gschnitzer (AT2 776)
hat folgende Grundregel aufgestellt: | Gschnitzers Grundregel |
„Nach dem Einfluß, den jeder von beiden auf den Abschluß
des Geschäftes genommen, ist auf beide oder auf den Vertreter oder
auf den Vertretenen abzustellen. – Konkret: | |
a) Irrt der Vertragspartner, wurde er getäuscht oder bedroht,
kann er anfechten, wenn für die Anfechtung notwendigen Umstände entweder beim
Vertreter oder beim Vertretenen vorliegen. Sie bilden zusammen den andern
Teil iS der §§ 870 ff. | |
b) Irrt der Vertreter, kann der Vertretene
anfechten, außer die Umstände waren ihm schon bei Erteilung der Vollmacht
bekannt. | |
c) Irrt der Vertreter nicht, ist Irrtum
des Vertretenen belanglos.” | |
• Irrtum oder Täuschung
verpflichten aber nicht zur Anfechtung. Die Anfechtung ist ein Recht, keine
Pflicht. Man kann, muss aber nicht anfechten; kann vielmehr
das Geschäft auch so bestehen lassen wie es ist, weil man zB keinen
Ärger haben will. | |
|
OGH 23. 11. 2000, 6 Ob 271/00t, EvBl 2001/78:
Der Kläger vermietet an den Beklagten ein Forsthaus, benützt
es aber weiter. Das Bestandobjekt war in mehrfacher Hinsicht mangelhaft.
Zwischen den Parteien waren im Zusammenhang mit dem Bestandverhältnis
zahlreiche Prozesse anhängig, welche durch einen Generalvergleich beigelegt
werden sollten. Dabei ist eine Partei durch einen Sachwalter vertreten.
Diese ficht den Vergleich später wegen Irrtums mit dem Argument
an sie habe auf Grund extremen psychischen Stresses den Vergleich
nicht richtig verstanden. – OGH zur Irrtumsanfechtung bei Geschäften,
bei denen ein Stellvertreter tätig wird: Grundsätzlich ist ein Irrtum
des Vertretenen nicht kausal; es sei denn dieser Irrtum hätte sich
in einer Weisung an den Stellvertreter ausgewirkt. – Für die Fälle
der gesetzlichen oder richterlichen Vertretung gilt demnach anderes,
als im Normalfall. | |
|
Bisher nicht judiziert erscheint die Frage
des Irrtums beim Falsus. Ist es doch denkbar, dass ein
Vertreter über Art und Umfang seiner Vertragsschlussvollmacht irrt
und erst dadurch zum Falsus wird. – Ist dieser Irrtum entschuldbar, bestehen
jedenfalls keine Schadenersatzansprüche; weder aus Vertrag, noch
aus Delikt. Andernfalls gelangen die allgemeinen Regeln für den
Falsus zur Anwendung. | |
3. Gegen „wen”
richtet sich die Anfechtung? | |
Grundsätzlich
gegen den „anderen Teil”, den Vertragspartner,
also zB denjenigen, der getäuscht oder in Irrtum geführt hat. –
Vgl jedoch § 875 ABGB, der die Bedeutung der Einwirkung „Dritter” auf
den Vertragsschluss behandelt. | |
| |
4. „Wie” ist anzufechten? | |
Wirksame Anfechtung erfolgt durch gerichtliche Klage oder
– falls der Irrende zB schon auf Zahlung geklagt wurde – durch Einrede (=
prozessuales Geltendmachen eines Gegenrechts) im Prozess. Der Irrende,
bspw auf Leistung geklagt, muss den unterlaufenen Irrtum mittels
Einrede einwenden, weil das Gericht den Irrtum nicht von
Amtswegen berücksichtigt; EvBl 1958/160 oder SZ 46/84 (1973). | |
|
SZ 54/7 (1981): Auch ein (bei unentgeltlichen
Rechtsgeschäften unter Lebenden beachtlicher) Motivirrtum darf
mangels Anfechtung nicht von Amts wegen aufgegriffen werden. | |
|
|
SZ 46/84 (1973): Anfechtung eines
Gebrauchtwagenkaufs wegen Irrtums über die Verkehrstüchtigkeit des gekauften
Fahrzeugs – Die Anfechtung eines Vertrags wegen arglistiger
Irreführung schließt die Irrtumsanfechtung ein. | |
|
§ 933 ABGB Es erfolgt durch den Irrenden
wie das Geltendmachen von Gewährleistungsansprüchen (§ 933 ABGB)
und der Verkürzung über die Hälfte (§ 934 ABGB) durch Klage oder Einrede
im Prozess! | Geltendmachen
des Irrtums |
Der Rücktritt (des Gläubigers) vom Vertrag
(bei Schuldnerverzug) kann dagegen auch außergerichtlich gültig
erklärt / geltend gemacht werden; und zwar so lange, als Schuldnerverzug
besteht, während das Geltendmachen von Gewährleistungsansprüchen
zeitlich befristet ist. – Zur Verjährung des Anspruchs auf Irrtumsanfechtung → Verjährung
| |
Möglich ist
auch ein kumuliertes Geltendmachen – sog Anspruchskumulierung –
von Willensmängeln; also zB gleichzeitig wegen Irrtums, List und
mangelnder (Willens)Freiheit (Alkohol!) oder Ernstlichkeit. | Anspruchskumulierung |
| |
| |
Gesetz und Rspr verlangen für die Anfechtung keine
besondere Form. | |
|
JBl
1982, 36 (Kauf von Baugrund in
einem Naturschutzgebiet): Die Anfechtung eines Vertrags
hat gerichtlich zu erfolgen. Eine förmliche Anfechtungserklärung
ist aber nicht notwendig. Es genügt, wenn aus dem Parteivorbringen
des Anfechtenden hervorgeht, dass er den Vertrag nicht oder – bei
Vertragsanpassung – nur mit einer Korrektur gelten lassen will. | |
|
| |
| |
7. „Wie
wirkt” die Vertragsanfechtung? | |
Ist die gerichtliche Anfechtung erfolgreich,
führt dies zur „Aufhebung” (§ 877 ABGB) des Vertrags, dh des Titelgeschäfts! | Aufhebung
des Vertrags |
Da ein gültiger
Eigentumserwerb nach der Lehre von Titel und Modus ( → KAPITEL 2: Die
Lehre von Titel und Modus) sowohl
einen gültigen Titel, als auch einen gültigen Modus voraussetzt,
wird bei erfolgreicher Anfechtung (= Vernichtung des Titelgeschäfts!)
der Veräußerer wieder Eigentümer; und zwar ohne weiteres eigenes
oder fremdes Zutun: sog dingliche Rückwirkung.
Dies im Gegensatz zur schuldrechtlichen / obligatorischen
Rückwirkung (zB beim Rücktritt nach § 918 ABGB oder bei
der Wandlung nach § 932 ABGB), wo bereits übertragenes Eigentum
erneut rückübertragen werden muss, also keine vergleichbare „Automatik”
besteht → KAPITEL 7: Wirkungen
der Ausübung des gesetzlichen Rücktrittsrechts: Gewährleistung. Aber auch eine erfolgreiche
Wandlung oder ein wirksam erklärter Rücktritt vom Vertrag nach §
918 ABGB beseitigen das Titelgeschäft; die Rückwirkung hinsichtlich
bereits geänderter dinglicher Rechtspositionen (zB Eigentumsübertragung)
ist aber – wie erwähnt – eine andere, umständlichere. | Dingliche
oder obligatorische Rückwirkung? |
Dh sie wirkt zurück auf den Vertragsschluss
und lässt vom abgeschlossenen Geschäft / Vertrag nichts bestehen.
– Zu unterscheiden davon ist die sog ex nunc-Wirkung:
Hier bleibt das Geschäft bis zu einem gewissen Zeitpunkt – der zB
durch Kündigung bestimmt wird – aufrecht und erst ab diesem Zeitpunkt,
also für die Zukunft, zeitigt es keine Wirkungen
mehr. | |
| Anders bei Dauerschuldverhältnissen |
 | |
8. Wie
wirkt Nichtigkeit? | |
Anders als die Anfechtung, die (von der anfechtenden Partei)
immer gerichtlich geltend gemacht werden muss um Rechtswirkungen
auszulösen, bedeutet das Vorliegen der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts
seine vollkommene Rechtsunwirksamkeit / Unverbindlichkeit
und zwar von Anfang an; zur Restwirkung (zB Auskunftspflicht) nichtiger
Verträge vgl idF SZ 24/304. Der Vertrag kommt also von vornherein
nicht, auch nicht scheinbar, gültig zustande. Es liegt gar kein gültiges
Rechtsgeschäft vor. Es bedarf daher auch keiner gerichtlichen Geltendmachung,
um die Ungültigkeit des Geschäfts zu bewirken. – Eine gerichtliche
Feststellung ist aber uU doch nötig, wenn der Geschäftspartner die
Nichtigkeit bestreitet. Etwa bei mangelnder Geschäftsfähigkeit → KAPITEL 4: Die
Handlungsfähigkeit . | |
|
Auch ein nichtiger
Vertrag begründet aber zwischen den Parteien gewisse Verbindlichkeiten,
wie die Pflicht zur Auskunftserteilung; SZ 24/304 (1951). | |
|
Wir unterscheiden die absolute
(dh eine für alle Personen bestehende) von der relativen Nichtigkeit;
hier kann sich nur eine bestimmte (Vertrags)Partei auf die Unwirksamkeit
des Rechtsgeschäfts berufen. Das ist sinnvoll, wenn das Gesetz nur
den Schutz eines Vertragsteils bezweckt. Relative Nichtigkeit muss
– wie die Anfechtung – (gerichtlich) geltend gemacht werden. Beruft sich
aber der benachteiligte Vertragspartner nicht auf die für ihn bestehende
relative Nichtigkeit / Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts, wird das
Rechtsgeschäft als wirksam betrachtet, da auch relative Nichtigkeit
(wie die Anfechtbarkeit) im Verfahren nicht von Amts wegen beachtet
wird. | Absolute
und relative Nichtigkeit |
Absolut
nichtige Geschäfte verstoßen gegen fundamentale Interessen
der Rechtsordnung. Es kann sich daher nicht nur jedermann auf
ihre Nichtigkeit berufen, sondern diese Nichtigkeit kann auch ohne
zeitliche Begrenzung geltend gemacht werden. Für diese
Form der Nichtigkeit gelten demnach auch keine Verjährungsgrenzen !
Das wird immer wieder verkannt. – Rückforderungsansprüche aus solchen
Verträgen, die auf Kondiktionsrecht beruhen, verjähren aber in 30
Jahren → Verschulden?
– Verjährung
| Starke Wirkung absoluter Nichtigkeit |
Beispiele relativer Nichtigkeit: | |
• Allgemeine Sittenwidrigkeit nach
§ 879 Abs 1 ABGB; | |
• § 879 Abs 2 Z 4 ABGB: Wucher;
vgl Gschnitzer in Klang2 IV/1 207 f; | |
• § 879 Abs 3 ABGB: gröbliche Benachteiligung durch
AGB; | |
•
§
24 WEG 1975 = § 38 WEG 2002: Rechtsunwirksame Vorbehalte oder
Vereinbarungen zwischen WE-Werber / Wohnungseigentümer und WE-Organisator;
so OGH 1 Ob 784/79. | |
Neben
der Voll- oder Total-Nichtigkeit kennen
wir auch die Teil-Nichtigkeit / Restgültigkeit,
bei der nicht das Ganze, sondern nur ein Teil des Rechtsgeschäfts
ungültig ist. – Das spielt bei AGB eine praktische Rolle: Die gesetz-
oder sittenwidrige Klausel wird als nichtig aus dem Vertrag herausgenommen,
der Rest des Vertrags bleibt bestehen. | Teil-Nichtigkeit |
Vgl § 6 Abs 1 KSchG: „… sind besonders solche
Vertragsbestimmungen … nicht verbindlich, …” | |
|
SZ 24/170 (1951): Sind in einem
Vertrag verbotene und erlaubte Leistungen vereinbart,
so ist bei Absonderungsmöglichkeit der Vertrag nur hinsichtlich
des Verbotenen nichtig. Der Schuldner muss dem Gläubiger die ihm
durch das Entfallen der verbotenen Leistungen entstandene Bereicherung
herausgeben; § 877 ABGB → Die
Kondiktionstypen des ABGB und
ebendort → Entscheidungsbeispiele
| |
|
 | Abbildung 5.43: Rechtsfolgen bei Willensmängeln |
|
 | Abbildung 5.44: Anfechtung und Rückabwicklung von/bei Willensmängeln: Voraussetzungen |
|
 | Abbildung 5.45: Wie wirkt die „(Vertrags)Anfechtung”? |
|
 | Abbildung 5.46: Willensmängel (1) |
|
 | Abbildung 5.47: Willensmängel (2) |
|
9. Rückstellungspflichten
– Rückabwicklung | |
Es wurde schon erwähnt, dass § 877 ABGB eine
Rückstellungspflicht Zug um Zug anordnet. Diese Rückabwicklung ist
aber nicht immer einfach und betrifft grundsätzlich beide Seiten.
Daher muss auch der Anfechtende uU – zB für die Benützung einer
Maschine oder eines Kraftfahrzeugs – ein Benützungsentgelt für die
Zwischenzeit entrichten; Rspr-Beispiele: SZ 26/195. | §
877 ABGB |
Zur Rückabwicklung kann es nicht nur in
Zwei-, sondern auch in Dreipersonenverhältnissen kommen; Anweisung, Bürgschaft,
Streckengeschäft etc. | |
 | |
§ 877 ABGB gilt für alle nichtigen Verträge;
also bei fehlender Geschäftsfähigkeit ebenso, wie bei Ungültigkeit
wegen Zwangs, Irrtums oder eines Dissenses sowie beim Scheingeschäft, Formmängeln
oder Wucher. – Stehen beiden Vertragsteilen Rückforderungsansprüche
zu, sind diese wiederum Zug um Zug zu erfüllen. | Weiter
Geltungsbereich
des § 877 ABGB |
Der
Rückstellungsanspruch des § 877 ABGB ist ein Kondiktionsanspruch ( → Die
Kondiktionstypen des ABGB),
dem der Empfang einer Leistung zugrunde liegt, die eines rechtlichen
Grundes entbehrt; SZ 54/156 (1981). – Die Kondiktion richtet sich
bei Unmöglichkeit der Rückstellung (zB infolge Verschuldens des Beklagten)
auf Schadenersatz; GlU 11.890 (1887) oder GlUNF 5600 (1911). Sonst
auf die Herausgabe der Bereicherung; GlUNF 3246 (1905). | Kondiktionsanspruch |
|
ZVR 1989/169: Rückabwicklung eines Pauschalreisevertrags.
Hier muss sich der Kunde die Lebenshaltungskosten für sich uns seine
Familie für die Zeit der Reisedauer anrechnen lassen. | |
|
|
SZ
26/195 (1953): Wer eine fremde Sache ohne
Rechtsgrund benützt hat, muss ein Benützungsentgelt entrichten.
Das gilt auch für den Käufer, der den Vertrag nach Empfang der Kaufsache
gewandelt hat; JBl 1992, 456. | |
|
Die
Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit der Rückabwicklung ist letztlich
– wie schon ausgeführt – der Grund dafür, dass bei Dauerschuldverhältnissen keine
ex tunc wirkende, sondern bloß eine ex nunc-Rückabwicklung erfolgt. | Ex nunc-Wirkung der Rückabwicklung bei DSchV |
10. Verzicht auf
das Anfechtungsrecht? | |
Auf das
Recht, einen Vertrag wegen Irrtums anzufechten,
kann gültig (!) verzichtet werden: | |
• und
zwar sowohl im vorhinein (= vor/bei Vertragsschluss),
wie auch | |
•
nachträglich (zB auch schlüssig). | |
• Zu Recht zurückhaltend ist die Rspr aber bei
der Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf
das Anfechtungsrecht; vgl zB ZVR 1989/169: Beispiele. | |
Überhaupt nicht
gültig verzichtet werden kann im Vorhinein auf die Willensmängel
des § 870 ABGB, also Täuschung und Drohung.
Trotzdem geschieht dies immer wieder auch in von Rechtsanwälten
verfassten Verträgen. | Keine
Verzichtsmöglichkeit im Vorhinein nach § 870 ABGB |
„Im vorhinein” verzichtet
wird idR im Rahmen von Vertragsschlüssen, indem zB in einem eigenen
Vertragspunkt oder in AGB das Recht der Irrtumsanfechtung ausgeschlossen
wird. – „Im nachhinein” dadurch, dass vom bestehenden
Anfechtungsrecht nicht Gebrauch gemacht wird. | „Im vorhinein” … |
|
HS 7335/13 (1969): Kauf einer Eiscremerzeugungsmaschine: Einen schlüssigen (§
863 ABGB) Verzicht hat der OGH angenommen, weil
der Käufer in Kenntnis des Irrtums die Maschine die ganze Saison benützt
und nichts unternommen hat. | |
|
|
SZ 55/21 (1982): Nach der Rspr
ist bei Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf
das Anfechtungsrecht aber immer besondere Vorsicht geboten. Er darf
nicht zu „leicht” angenommen werden; zB nicht, wenn ein gebrauchter
Pkw, der mit schweren Mängeln gekauft wurde (ua schwere Rostschäden
an der Bodenplatte) idF rasch weiterverkauft wird. | |
|
|
ZVR 1989/169 (OLG Wien): Ein stillschweigender
Verzicht auf Anfechtung eines Pauschalreisevertrags kann
nicht im Unterlassen des Urlaubsabbruchs erblickt werden, wenn dies
aus wirtschaftlichen Gründen geboten oder nicht möglich war; hier
wegen eines fix vereinbarten Charterrückflugs. | |
|
| |
Das Recht der Irrtumsanfechtung verjährtnach
§ 1487 ABGB in 3 Jahren; das Recht einen Vertrag nach
§ 870 ABGB anzufechten in 30 Jahren.
– Die Verjährungsfrist läuft in beiden Fällen ab Vertragsschluss. | §
1487 ABGB |
|
SZ 54/71 (1981): Kauf eines
Halbrohbaus – 3-Jahresfrist wurde hier versäumt! | |
|
|
RSpr 1932 Nr 309: Das Erlöschen
des Gewährleistungsanspruchs durch Zeitablauf schließt die Anfechtung
wegen Irrtums nicht aus (!). – Freilich muss die Anfechtung innerhalb
der Irrtumsverjährungszeit erfolgen → Verjährung
| |
|
VII. Sogenannte Willensvorbehalte | |
Eine andere Gruppe
von Willensmängeln wird auch unter dem Begriff der „Willensvorbehalte “ unter
ein gemeinsames dogmatisches Dach zu bringen versucht. Die Abgrenzung
zwischen relevanten Beeinträchtigungen der Geschäftsfähigkeit und
einem unbeachtlichen Willensvorbehalt ist aber nicht immer leicht.
– Hierher gehören: | |
1. Geheimer
Vorbehalt oder Mentalreservation | |
Geregelt in § 869 Satz 3 ABGB: Wer sich,
„um einen andern zu bevorteilen, undeutlicher Ausdrücke bedient
oder eine Scheinhandlung unternimmt, leistet Genugtuung”. – Die
Rechtsordnung toleriert solche Vorbehalte nicht und „hält den Erklärenden
an seiner Erklärung fest”; Gschnitzer: Das Geschäft ist von Anfang
an gültig und bleibt es auch. | §
869 Satz 3 ABGB |
|
EvBl 1968/234: Mann wollte
eine Ehe auf Zeit schließen, um ein gemeinsames Kind zu legitimieren. Geschlossene
Ehe ist gültig, der geheime (Zeit)Vorbehalt des Mannes unbeachtlich.
– Darin liegt eine berechtigte Einschränkung des Willensprinzips. | |
|
2. Fehlende
Ernstlichkeit | |
Bedeutung für
die Qualität der Willenserklärung und damit uU auch für die Frage
der Geschäftsfähigkeit (!) besitzt dagegen die fehlende Ernstlichkeit,
die auch „Scherzerklärung” genannt wird. Sie spielt
praktisch insbesondere bei Rechtsgeschäften von und mit Alkoholisierten oder
unter Drogeneinfluss stehenden eine wichtige Rolle.
Der OGH wendet hier ebenfalls § 869 ABGB an; arg: Dem Vertragspartner
hätte die mangelnde Ernstlichkeit – iS einer willensmäßigen Beeinträchtigung
– auffallen müssen. Wichtig ist das für „Wirtshausgeschäfte”!
Eine Rolle spielen kann das Kriterium der Ernstlichkeit aber auch
bei Rechtsgeschäften mit alten Menschen / Demenz etc. – Beweisfragen
in diesem Zusammenhang sind oft schwierig. | |
|
Die Rspr unterscheidet
– angeheitert, ist nicht berauscht und alkoholisiert nicht
volltrunken. – Unterscheidung scheint in der Tat nötig; vgl GlU 3672 (1870): Der im
Rausche, wenn gleich nicht in Volltrunkenheit geschlossene
Vertrag kann mangels Ernstlichkeit des Willens ungültig sein. | |
|
|
SZ 39/191 (1966): Verlöbnis
als Scherz führt zu Schadenersatz; einfältiger Mann suchte
Frau für das von ihm zu eröffnende Gasthaus: Er bezahlte eine Verlöbnisfeier
– und die Frau nahm von ihm einen Pelzmantel als Geschenk an. | |
|
|
GlU 3672: Eine Erklärung, deren mangelnde
Ernstlichkeit sich aus der Art der Äußerung und aus den Begleitumständen objektiv (!)
ergibt und dem Erklärungsempfänger erkennbar ist, ist ungültig. | |
|
|
SZ
39/191 (1966): Dagegen sind Scherzerklärungen,
deren mangelnde Ernstlichkeit dem anderen Teil nicht erkennbar war,
gültig; dazu treffend Gschnitzer, AllgT1 167
f. | |
|
|
JBl
1960, 445: Auch eine Gemütsaufregung kann
die Ernstlichkeit einer Erklärung ausschliessen. | |
|
3. Scheingeschäft
/ Simulation: § 916 ABGB | |
Praktisch wichtig ist
§ 916 Abs 1 Satz 2ABGB; sog Dissimulation.
Mittels eines Scheingeschäfts soll das wahre, eigentlich gewollte
Geschäft verdeckt werden. | |
Zu unterscheiden ist dabei das: | |
• vorgeschobene
oder simulierte Geschäft vom | |
• verdeckten oder dissimulierten. | |
Das simulierte Geschäft wird,
als bloß vorgetäuscht und nicht gewollt, „weggeräumt”.
Das dissimulierte / verdeckte Geschäft dagegen
bleibt – weil gewollt – gültig bestehen; es ist
„nach seiner wahren Beschaffenheit zu beurteilen”: also zB als Kauf
und nicht – wie vorgetäuscht – als Schenkung oder Miete. | Rechtsfolgen für das simulierte und das dissimulierte
Geschäft |
§ 916 Abs 2 ABGB legt
noch fest, dass einem „Dritten, der im Vertrauen auf die [simulierte] Erklärung
Rechte erworben hat, ... die Einrede des Scheingeschäftes nicht
entgegengesetzt werden” kann. – Das sind häufig Behörden, insbesondere
das Finanzamt; vgl auch § 23 Abs 1 BAO 1961, BGBl 194: | Wirkung
des Scheingeschäfts auf „Dritte“ |
„§ 23.
[BAO] (1) Scheingeschäfte und andere Scheinhandlungen sind für die
Erhebung von Abgaben ohne Bedeutung. Wird durch ein Scheingeschäft
ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt, so ist das verdeckte Rechtsgeschäft für
die Abgabenerhebung maßgebend. | § 23 BAO |
(2) Die Erhebung einer Abgabe wird nicht dadurch ausgeschlossen,
daß ein Verhalten (ein Handeln oder ein Unterlassen), das den abgabepflichtigen
Tatbestand erfüllt oder einen Teil des abgabepflichtigen Tatbestandes
bildet, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die
guten Sitten verstößt. | |
(3) Ist ein Rechtsgeschäft wegen eines Formmangels oder
wegen des Mangels der Rechts- oder Handlungsfähigkeit nichtig, so
ist dies für die Erhebung der Abgaben insoweit und so lange ohne
Bedeutung, als die am Rechtsgeschäft beteiligten Personen dessen
wirtschaftliches Ergebnis eintreten und bestehen lassen. | |
(4) Die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäftes ist für die
Erhebung von Abgaben insoweit und so lange ohne Bedeutung, als nicht
die Anfechtung mit Erfolg durchgeführt ist. | |
(5) Von den Anordnungen der Abs. 2 bis 4 abweichende Grundsätze
der Abgabenvorschriften bleiben unberührt.” | |
 | |
|
wobl 1995, 90/39:
Haftung (eines Rechtsanwalts) für die Kosten der Errichtung eines
Kaufvertrags – Zum Verhältnis und zur Tragweite von Scheingeschäften
und verdecktem Geschäft. | |
|
4. Umgehungs- und
Umweggeschäfte | |
Abzugrenzen
vom Scheingeschäft sind: | |
• Umgehungs- und | |
• Umweggeschäfte. | |
Sie sind grundsätzlich gültig,
weil der Gesetzgeber nur einen bestimmten Weg verbietet,
nicht aber andere oder alle Wege zu einem (an sich) erlaubten Ziel. | |
 | |
Sie sind
dagegen immer unzulässig und von Anfang
an nichtig. – Das Umgehungsgeschäft will grundlegende Zielsetzungen
des Gesetzgebers – insbesondere Verbote oder eine Genehmigungspflicht
– unterlaufen, verstößt also gegen Ziel und Zweck einer gesetzlichen
Vorschrift. Das spielt(e) bspw im Grundverkehrsrecht eine bedeutende,
aber unrühmliche Rolle. Auf das Umgehungsgeschäft wird bei § 879
ABGB eingegangen → KAPITEL 11: Die
(Gesetzes)Umgehung. | |
VIII.
Störung
oder Wegfall
der Geschäftsgrundlage | |
 | |
1. Ein (weiterer)
Auffangtatbestand | |
Die Judikatur versteht die St/WdGG richtig als
Wegfall/Störung der verkehrstypischen Voraussetzungen eines
Geschäfts – nicht nur der individuellen Voraussetzungen
einer Partei, eben seiner geschäftlichen Grundlage für beide
Seiten und betont: | |
„Da die Lehre von der Geschäftsgrundlage
als Ergebnis einer Lückenfüllung zu verstehen ist.., muss ein Rückgriff auf
sie dort unterbleiben, wo ein Sachverhalt durch das Gesetz [ohnehin]
geregelt ist”; SZ 54/71 (1981). | |
Das heißt: Dieses Rechtsinstitut dient – neben den Willensmängeln
und den Kondiktionen – als Auffangtatbestand der
Lückenfüllung und soll helfen, unangemessene und ungerechte Ergebnisse zu
vermeiden; vielleicht auch dazu, Ergebnisse leichter gewinnen und
besser begründen zu können. | |
|
SZ
48/9
→ Der
Motivirrtum,
wo statt eines Motivirrtums auch eine StdGG angenommen werden könnte.
– Zur Bewertung des Rechtsinstituts → Sparsamer
Umgang erscheint angezeigt
| |
|
| Entstehung |
Grundgedanken in diese Richtung
gibt es in und außerhalb des ABGB: Abgesehen von § 901 Satz 2 ABGB
(= ausdrücklich zur Bedingung erhobener Beweggrund / Endzweck) sind
vor allem zu nennen: – die Umstandsklausel des § 936 ABGB; – § 1052
Satz 2 ABGB (sog Unsicherheitseinrede); – § 1435 ABGB (condictio
causa finita und condictio causa data, causa non secuta); –
§§ 947 ff und § 1247 ABGB (Schenkungswiderruf); – Unterhaltsvereinbarungen
unterliegen nach der Rspr grundsätzlich der clausula rebus sic stantibus
(Umstandsklausel) und überhaupt – die Kündbarkeit von DSchVn. | |
| |
Abzugrenzen
gilt es unser Rechtsinstitut vom Irrtum und hier
wiederum vor allem vom gemeinsamen Irrtum. Der
für die Praxis nicht unwichtige Unterschied liegt dabei darin, dass
der gemeinsame Irrtum schon bei Vertragsschluss vorliegen
muss (!), während es die St/WdGG ermöglicht, auch noch nachträgliche
Veränderungen, die den vereinbarten Leistungsaustausch (also
das Schuldverhältnis) betreffen – etwa solche, die zwischen Vertragsschluss
und Erfüllung oder bei aufrechter Leistungsbeziehung eines DSchV
entstehen – so sie ein gewisses Maß übersteigen, zu berücksichtigen.
Das rückt die Lehre von der St/WdGG in die Nähe der Lehre von den Dauerrechts-
und Dauerschuldverhältnissen, wo aber die Kündigung(smöglichkeit)
dafür sorgt, dass unzumutbare Entwicklungen nicht eintreten, weil
(nachträglichen) Veränderungen durch Kündigung begegnet werden kann.
– Für den Bereich der DSchVe erscheint die Lehre von der St/WdGG
daher überflüssig; vgl aber →
Störung
oder Wegfall
der Geschäftsgrundlage:
Anpassungskündigung. | Unterschiede zwischen Irrtum und StdGG |
Als
um 1900 die Elektrizität die bisherige kommunale Gas(straßen)beleuchtung ablöste,
wollten viele Städte auf die neue Energie umsteigen. Beim Abschluss
der oft langfristigen (Gas)Energiebezugsverträge hatte niemand daran gedacht
(Unvorhersehbarkeit!), dass das Gas einmal durch Strom abgelöst
werden könnte. (Aus heutiger Sicht lässt sich sagen, dass dazu wohl
auch die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen ausgereicht hätte.
Allein auch das Recht der Dauerschuldverhältnisse war damals noch
unentwickelt! Vgl F. Gschnitzer, Die Kündigung nach deutschem und
österreichischem Recht, in: FGL 129 ff.) – Ein vergleichbarer Fall
liegt vor, wenn ein Unternehmer biologische oder doch schonende
und unschädliche Düngemittel beziehen will und
sich erst später – nämlich nach Vertragsschluss und nach zwischenzeitig
begonnener Erfüllung – herausstellt, dass ausgerechnet „sein” Düngemittel umweltschädigende
Substanzen enthält. Natürlich muss er künftig „dieses Mittel” nicht
weiter beziehen! Selbst wenn er sich dazu vertraglich verpflichtet
hätte. (Auch eine aktuelle Lieferung kann rückabgewickelt werden!)
Hier kann es auch zur Aufkündigung langfristiger Lieferverträge
kommen; und zwar aus wichtigem Grund, also ohne Einhaltung allenfalls
bestehender Kündigungstermine oder -fristen. | Historische Entwicklung |
Unser Rechtsinstitut vermag aber nicht dingliche oder verdinglichte
Rechtsbeziehungen”leichter” aushebeln zu helfen. Mag auch
die Auflösbarkeit dinglicher Rechtsbeziehung „modern” geworden sein;
dazu → KAPITEL 6: Was
ist und wie wirkt die Kündigung?. | |
3. Sparsamer
Umgang erscheint angezeigt | |
Diese Überlegungen
zeigen, dass auf der einen Seite das Rechtsinstitut der St/WdGG
gar nicht gebraucht wird, weil oft auch der (gemeinsame) Irrtum
weiterhilft – auch der Bundesligaskandalfall ( → Rspr-Beispiele:
Rspr-Beispiele) wäre so zu lösen gewesen! – und auf der andern Seite
die Anwendung der Regeln der Dauerschuldverhältnisse ein über die
Möglichkeit der (insbesondere ao) Kündigung hinausgehendes Rechtsmittel
erübrigt! Ein „wichtiger Grund” berechtigt dann eben zur ao Kündigung!
– Das soll aufzeigen, dass mit der Anwendung unseres Rechtsinstituts
sparsam umgegangen und seine Funktion als „Auffangtatbestand” ernstgenommen
werden muss. | |
4. §
313 dtBGB neu: Störung der Geschäftsgrundlage | |
§ 313 dtBGB – eingeführt durch die am 1.1.2002 in Kraft
getretene sog Schuldrechtsreform – regelt nunmehr ausdrücklich die
„Störung” und nicht nur den „Wegfall”
der (gesamten) Geschäftsgrundlage. Dadurch wurde das bislang auch
in Deutschland nur von der Rspr anerkannte, nicht aber gesetzlich
geregelte, Rechtsinstitut vom Gesetzgeber „eingefangen”. Der flexibel
gestaltete Tatbestand ermöglicht nunmehr nicht nur – parallel zu
unseren §§ 871, 872 ABGB (die wohl als Vorbild dienten) – eine Anfechtung
des Gesamtvertrags, sondern auch eine Vertragsanpassung (wie beim
unwesentlichen Irrtum). | |
Neben
dem erwähnten Lösungspotential des | Vorbildliche deutsche Lösung |
• Irrtums berücksichtigt
die vorbildliche deutsche Lösung auch jenes der | |
• Dauerschuldverhältnisse (Kündigung)
und darüber hinaus der | |
• Zielschuldverhältnisse (Rücktritt). | |
In Bezug auf eine Vertragsanpassung bei Dauerschuldverhältnissen
könnte dies nach den neuen BGB-Regeln auch zu einer Änderungs-
oder Anpassungskündigung führen. | |
„Störung
der Geschäftsgrundlage
| Text des § 313 dtBGB neu |
(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags
geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und
hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen,
wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung
des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen
Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht
zugemutet werden kann. | |
(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn
wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden
sind, sich als falsch herausstellen. | |
(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem
Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag
zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse
das Recht zur Kündigung.” | |
Eine allfällige neue österreichische
Regelung könnte legistisch in den Kontext der Irrtumsregeln gestellt
werden; zB als neuer § 877 a ABGB (allenfalls noch
§ 877 b). – Die neue deutsche Regelung wird aber wohl schon vor
einer gesetzlichen Regelung in Österreich als Analogiebasis (§
7 ABGB) für die Rspr Bedeutung gewinnen und verdiente dies auch. | Neue
österreichische Regelung? |
§ 313 dtBGB kombiniert demnach Irrtumsanfechtung (Anpassung
nach Abs 1) mit dem Rücktritt vom Vertrag (Abs
3) und der Kündigung (Abs 3). – Abs
2 stellt der „Veränderung der Umstände” nach Vertragsschluß
den Fall gleich, dass die Geschäftsgrundlage von vorneherein”falsch”
war, wodurch die neue bestimmung in Konkurrenz zu anderen
Willensmängeln – insbesondere den Irrtum – tritt. | |
Die Verjährung ( → KAPITEL 13: Die
Verjährung)
wäre de lege ferenda durch Aufnahme des neuen Tatbestands in § 1487 ABGB
zu regeln, wodurch – anders als dzt ( → Verjährung)
– eine einheitliche 3-jährige Verjährungsfrist geschaffen werden
könnte. Sie sollte mit Kenntnis oder Kennenmüssen der Störung zu
laufen beginnen. | |
5. Geltendmachen
durch Anfechtung | |
Wie beim Irrtum lässt die Rspr auch beim W/StdGG die Anfechtung zu.
Auch die Wirkung ist dieselbe: ex tunc bei Ziel-, ex
nunc bei Dauerschuldverhältnissen. | |
| |
Die vom OGH dzt unterschiedlich angenommene Verjährungsfrist
unseres Rechtsinstituts – nämlich 3 oder 30
Jahre – macht deutlich, dass der OGH unser Rechtsinstitut
das eine Mal zur Ergänzung des gemeinsamen Irrtums, ein andres Mal
(mehr) als Facette eines Bereicherungsausgleichs betrachtet → Ungerechtfertigte
Bereicherung –
Auch das offenbart das dogmatische Zwitterdasein des Rechtsinstituts
W/StdGG. | |
| |
| |
|
JBl 1954, 396: Schenkung
von Liegenschaften der Gauhauptstadt K(lagenfurt) an die NSV [Nationalsozialistische
Volkswohlfahrt] im Jahre 1942. – Nach Kriegsende verlangt die Geschenkgeberin,
also die Stadt Klagenfurt, die Grundstücke, die mittlerweile in
das Eigentum der Republik übergegangen sind, zurück, da „sie bei
Kenntnis des Umstandes, dass dem Wirkungskreis der NSV nur eine
kurze Dauer beschieden sein werde”, der NSV die beiden Liegenschaften
nicht geschenkt hätte. [!] – Der OGH lehnte aber das Begehren der
Stadt Klagenfurt ab und führt aus: „Die Möglichkeit der Änderung
eines politischen Systems ist, wie die geschichtlichen Erfahrungen
der letzten Jahrhunderte zeigen, keine bloß akademische oder entfernte.
Eine unbeschränkte Fortdauer des NS-Staates, der im wesentlichen
auf Furcht und Zwang gegründet und in einem Kampf auf Leben und
Tod mit den wirtschaftlich und militärisch mächtigsten Staaten der
Erde verstrickt war, musste mit Rücksicht auf die Erfahrungen des
1. Weltkrieges zumindest als zweifelhaft erscheinen. Daran ändert
auch nichts, dass die Machthaber des nationalsozialistischen Staates
eine solche Möglichkeit einer Änderung des politischen Systems als
ein strafwürdiges Verhalten erblickten.” | |
|
|
SZ 37/8 (1964)
Kauf einer
Waschmaschine ohne geeigneten Stromanschluss: Das Vorhandensein
einer ausreichenden elektrischen Stromstärke stellt in einem solchen
Fall eine Geschäftsgrundlage dar, und nicht, wie der Erstrichter
meint, einen nur in die persönliche Sphäre der Beklagten fallenden
Umstand. Denn es hat der Verkäufer ohne weiteres erkennen können,
dass der Ankauf der für den Haushalt bestimmten Waschmaschine nur
dann für die Beklagte von Wert ist, wenn diese die Waschmaschine
mit dem in ihrem Haushalt zur Verfügung stehenden elektrischen Strom
auch betreiben kann. Sollte das Geschäft nur infolge Unkenntnis
vom Nichtvorhandensein dieser Voraussetzung zustande gekommen sein,
dann wäre die Beklagte in der Tat nicht an den Vertrag gebunden
.... Darauf, ob für die Prüfung des Vorliegens dieser Voraussetzung
die Kenntnisse der Vertragspartner ausreichten oder ob besondere
Fachkenntnisse erforderlich gewesen wären, kommt es in diesem Zusammenhang
nicht an. Das Fehlen dieser Geschäftsgrundlage hätte auch dann die
Unverbindlichkeit des Vertrages für die Beklagte zur Folge, wenn der
Verkäufer nicht über die erforderlichen Kenntnisse verfügt haben
sollte, um das Fehlen dieser Voraussetzung selbst feststellen zu
können. – Die Irrtumsregeln hätten ausgereicht. | |
|
|
EvBl 1972/126: Der Vertrag
über die Ausbildung zum Programmierer kann nicht eindeutig
einer der im ABGB geregelten Vertragstypen zugeordnet werden; er
ist ein Vertrag sui generis. Grundlage eines solchen
Vertrag ist die Eignung des Schülers für diesen Beruf. Stellt sich
später heraus, dass sie fehlt und jede Schulung zwecklos ist, dann
ist damit eine von beiden Parteien dem Vertragsabschluss unterstellte Voraussetzung
nicht gegeben und infolgedessen die Geschäftsgrundlage weggefallen.
– Das Lehrinstitut hat dann keinen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten
Entgelts. ( Vgl die E JBl 1987, 521: Fernlehrvertragsabschluß durch
einen Matrosen, wo bei gleicher Argumentation unser Rechtsinstitut
nicht herangezogen wird. – Anwendung der Irrtumsregeln hätte genügt.) | |
|
|
EvBl
1974, 29: Mann schenkt seiner Freundin
150.000,– S, damit sie ihn heirate, und beruft sich nach dem Scheitern
der Ehe auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, was der
OGH ablehnt, weil ihn selbst Mitverschulden an der Scheidung traf. | |
|
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JBl 1979, 652: Tischler
inseriert in Stadtplan, weil er der Meinung war, es handle
sich um eine politisch neutrale Publikation, was seines Erachtens
aber durch eine ÖVP-Werbeeinschaltung nicht mehr gewährleistet war:
„Wer einen Auftrag zur Einschaltung eines kommerziellen Inserats
in eine Broschüre (Stadtplan) erteilt, der erkennbarerweise durch
verschiedenste Inseratenaufträge finanziert wird, kann nicht erwarten,
dass sich unter den Inseraten nicht auch eines einer politischen
Partei befindet, weil das allein dem Druckwerk noch nicht den Charakter
einer parteipolitischen Propagandaschrift gibt. Bei Aufnahme einer
solchen Anzeige liegt daher weder Geschäftsirrtum, noch Wegfall
der Geschäftsgrundlage, noch ein zur Gewährleistung verpflichtender
Mangel vor.” | |
|
|
NZ 1980, 37 (1976): Verkauf
geplanter Eigentumswohnungen an deutsche Staatsbürger (Hotelappartements!),
ohne diese aufzuklären, dass die Grundverkehrsbehörde in gleichgelagerten
früheren Fällen die Genehmigung verweigert hatte. – OGH trägt dem
Argument der Käufer (= Kläger), die Geschäftsgrundlage sei weggefallen,
Rechnung. (Irrtum hätte ausgereicht.) | |
|
|
NJW 1976, 565: Bundesligaskandalfall.
– Zwei deutsche Bundesligavereine schlossen einen sog Spieler(kauf)vertrag.
Beide Vereine wussten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht,
dass der Spieler in eine Bestechungsaffäre verwickelt war, deretwegen
er idF für lange Zeit „gesperrt” wurde, also nicht spielen konnte.
Der erwerbende Verein machte erfolgreich WdGG geltend, weil er davon
ausgegangen war, dass der Spieler in der neuen Saison spielberechtigt
sei. – Nach ABGB hätte ebenso wesentlicher (gemeinsamer) Irrtum
nach § 871 ABGB angenommen werden können! | |
|
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D.
Steuern |
F. Ungerechtfertigte
Bereicherung |
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