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Inhaltsverzeichnis
SCHNELL GENAU UMFASSEND
Kapitel 5
Wir haben im vorangegangenen Kapitel die Rechtsfähigkeit und – von ihr abgeleitet – die Handlungsfähigkeit behandelt. Zentraler Inhalt der aus der Handlungsfähigkeit abgeleiteten Geschäftsfähigkeit ist – wie schon der Name sagt – die Vornahme von Rechtsgeschäften. In der Rechtsgeschäftslehre wird der Frage nachgegangen, was ein Rechtsgeschäft ist, welche Arten von Rechtsgeschäften es gibt und was vom Rechtsgeschäft unterschieden werden muss (A.). – Punkt B. geht darauf ein, wie dieses praktisch so wichtige Rechtsgebilde gültig entsteht, wobei insbesondere der Vertrag als zwei- und mehrseitiges Rechtsgeschäft behandelt wird. Darauf folgen in den Punkten C. (Dissens) und F. (Willensmängel) praktisch wichtige Teile einer Rechtsgeschäftspathologie. Dazwischen liegt die für das Verständnis wichtige Lehre von der Vertragsfreiheit und Privatautonomie – eine Rechtsschöpfung der griechischen Antike und in der Moderne des Naturrechtsdenkens (D.), gefolgt von Ausführungen über die Bedeutung von Steuern, Abgaben und Gebühren für den Vertragsschluss (E.) und das der ausgleichenden Gerechtigkeit zuzurechnende Korrektiv der Kondiktionen – sog ungerechtfertigte Bereicherung (G.), die idR am „fehlgeschlagenen” Rechtsgeschäft ansetzt.
Überblick
A. Das Rechtsgeschäft
Literaturquelle
I. Was will die Rechtsgeschäftslehre?
Die Lehre vom Rechtsgeschäft hat ihren Sitz nicht zufällig im „Allgemeinen Teil” des bürgerlichen Rechts. Sie ist sein Herzstück. Ihr sollte beim Studium besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden! – Der „Allgemeine Teil” des bürgerlichen Rechts behandelt Rechtsgeschäfte schlechthin, also abstrakt. Im Gesetzbuch sind sie dagegen in konkreter Form als Kauf-, Werkvertrag, Schenkung oder Ehevertrag in den verschiedenen besonderen Teilen des bürgerlichen Rechts – also dem Schuld-, Sachen-, Familien- oder Erbrecht – geregelt. – Die Lehre vom Rechtsgeschäft gilt für alle Arten von Rechtsgeschäften: unentgeltliche und entgeltliche, solche von Todes wegen und unter Lebenden, einseitige, zweiseitige und mehrseitige; personen-, familien- und erbrechtliche, insbesondere aber schuldrechtliche.
In den „besonderen Teilen” des bürgerlichen Rechts, vor allem im Schuldrecht, finden wir konkret ausgeformte Rechtsgeschäftstypen, insbesondere Verträge wie: Kauf, Tausch, Schenkung, Darlehen, Verwahrung, Werk- und Arbeitsvertrag, Vereinsgründung, Ehe(schließung), Verlobung, Testament und Erbvertrag. – Die Rechtsgeschäftslehre des „Allgemeinen Teils” hebt das all diesen konkreten Rechtsgeschäftstypen Gemeinsame heraus, abstrahiert vom Besonderen und schafft so – zum besseren Verständnis – den Idealtypus „Rechtsgeschäft”, der in der juristischen Wirklichkeit in dieser Form gar nicht existiert. Dieser IdealtypusRechtsgeschäft” dient didaktisch-dogmatischen Zielen und verfolgt ein besseres Verständnis der Vorgänge im und um das Rechtsgeschäft. – Es ist wie beim Mechaniker, der, um einen Fehler zu finden, die möglichen Fehlerquellen einzeln und nacheinander durchgeht, was aber deren Kenntnis voraussetzt.
Idealtypus „Rechtsgeschäft”
Neben der Vertragsfreiheit und der Privatautonomie als Rahmenbedingungen, gehört auch die Willenserklärung zum Fundament der Lehre vom Rechtsgeschäft. Daneben spielt im Rechtsgeschäftskonzept des ABGB aber auch der Verkehrsschutzgedanke eine wichtige Rolle → Zur Rechtsgeschäftslehre des ABGB
Willenserklärung: Fundament der Lehre vom Rechtsgeschäft
Gleich hier soll angemerkt werden, dass mit der Willenserklärung – die eine spätgriechisch-byzantinische Entwicklung darstellt – mitunter ein rechtsdogmatischer Kult betrieben wird. Rechtsgeschäft und Willenserklärung wurden als Allheil- und Erklärungsmittel für zu viele privatrechtliche Fragen betrachtet. Auf der anderen Seite hat die Privatrechtsdogmatik über ein vertieftes Verständnis der Willenserklärung wichtige Einsichten gewonnen. Aber nicht alle (privat)rechtlich relevanten Erklärungen / Äußerungen sind Rechtsgeschäfte oder rechtsgeschäftliche Willenserklärungen; vgl dazu → Arten von Willenserklärungen: § 863 ABGB Es ist darauf zu achten, dass der Begriff Rechtsgeschäft und rechtsgeschäftliche Willenserklärung nicht über Gebühr strapaziert wird. Dabei existieren Grauzonen, die zu Zweifeln Anlass geben: So werden Patientenverfügungen (→ KAPITEL 17: Exkurs: Die Patientenverfügung), die Widerspruchserklärung nach § 62a Abs 1 KAKuG (→ KAPITEL 18: Weltbild, Menschenbild und Menschenwürde ¿ Zur Rolle der Medizin in modernen Gesellschaften) oder die Zustimmung zu einem medizinischen Eingriff (→ KAPITEL 10: Die ¿Einwilligung¿ in die medizinische Behandlung) mitunter irrigerweise als Rechtsgeschäft qualifiziert, was besser vermieden wird und mittlerweile auch vom Gesetzgeber erkannt und abgelehnt wurde; vgl § 146c ABGB → KAPITEL 10: Die ¿Einwilligung¿ in die medizinische Behandlung.
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II. Begriff und Erklärung
1. DtBGB und „moderne” Rechtsgeschäftslehre
Die Rechtsgeschäftslehre orientiert sich in Bezug auf das Verständnis des Rechtsgeschäfts an den Motiven / Materialien, also den Entstehungsprotokollen zum dtBGB: Motive I 126 (= Mugdan I 421); so auch Gschnitzer (AllgT1+2). – Die Lehre vom Rechtsgeschäft ist eine bedeutende Leistung der deutschen Pandektistik des 19. Jhd.
Der Terminus „Rechtsgeschäft” stellt eine Übersetzung der gemeinrechtlichen Termini „actus juridicus” und „negotium juridicum” dar.
Terminus
Literaturquelle
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2. Willenserklärung und Rechtsgeschäft
Die Willenserklärung/en der Partei/en ist / sind der wesentliche Teil des Rechtsgeschäfts, denn Rechtsgeschäfte bestehen aus Willenserklärungen; wenigstens einer oder häufig aus zwei oder mehreren → Ein-, zwei- und mehrseitige Willenserklärungen – Der Parteiwille ist die treibende Kraft für den Abschluss von Rechtsgeschäften.
Parteiwille
Willenserklärung meint privatrechtlich: Willensäußerung mit rechtsgeschäftlichem Kundgebungszweck (Gschnitzer).
Die rg Willenserklärung
Nicht immer gelingt es der oder den Partei/en ihren rechtsgeschäftlichen Willen richtig zu bilden oder zu äußern; sei es, dass sie sich versprechen, im Wort vergreifen, verhören oder einfach – auf Grund von Unwissen oder unrichtigen Schlussfolgerungen – von falschen Vorstellungen ausgehen. Unter bestimmten Voraussetzungen – etwa nach den §§ 871 ff ABGB (Irrtumsregeln → Willensmängel – Irrtum) – kann eine misslungene Willensbildung oder Willenserklärung „korrigiert” werden. Allein: Immer ist das nicht möglich. Die Auslegung und Korrektur von Willenserklärungen orientiert sich nämlich nicht nur am Willen des oder der Erklärenden (sog Willenstheorie), sondern mitunter auch an der abgegebenen Erklärung (sog Erklärungstheorie) und – bei den wichtigen entgeltlichen Rechtsgeschäften – auch nach dem Verständnis des Publikums, der sog Verkehrssitte oder Verkehrsauffassung iSd § 914 ABGB (sog Vertrauenstheorie). Mehr dazu → Zur Rechtsgeschäftslehre des ABGB
Willens-, Erklärungs- und Vertrauenstheorie


Das Rechtsgeschäft
Abbildung 5.1:
Das Rechtsgeschäft
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3. Begriff des Rechtsgeschäfts
Das Rechtsgeschäft ist (in einer ersten Annäherung; vgl auch → Einteilung und Abgrenzung) Privat-Willenserklärung, gerichtet auf Rechtswirkung, die willensgemäß eintritt, weil sie rechtmäßig ist: Gschnitzer + Motive zum dtBGB. – Betrachten wir idF die einzelnen „Elemente” des Rechtsgeschäfts:
Elemente des Rechtsgeschäftsbegriffs
• Privat-WillenserklärungDas Element „Privat-Willenserklärung” will von öffentlichrechtlichen Willenserklärungen abgrenzen (<->); zB der Ausübung des Wahlrechts in der Wahlzelle oder einem Richterspruch.
• „ ... gerichtet auf Rechtswirkung”: also Hervorbringung eines rechtlichen Erfolgs. Die Rechtswirkungen bestehen danach in der Begründung, Aufhebung oder Abänderung von Rechten und/oder Pflichten. Dieses Begriffselement ist abzugrenzen (<->) von unverbindlichen Willensäußerungen iSv nicht einklagbaren (!), etwa bloß gesellschaftlichen Verabredungen; zB gemeinsam ins Kino oder Essen zu gehen oder einem Rendezvous.
• „ ... die [gemeint ist: die Rechtswirkung] willensgemäß eintritt”: Der Erfolg tritt nach der Rechtsordnung deswegen ein, weil er [vom / von den Erklärenden] gewollt ist; das heißt, der Erfolg / das Ziel des Rechtsgeschäfts wird vom Parteiwillen getragen. Dabei muss der Wille nicht alle rechtsdogmatischen Details, insbesondere nicht sämtliche Tatbestandselemente und Rechtsfolgen eines Rechtsgeschäfts umfassen. Es genügt vielmehr das Bewusstsein der Parteien, ein Rechtsgeschäft abschließen, also einen Rechtsakt setzen zu wollen! Man verlangt demnach nur das Vorliegen einer Rahmenvorstellung. – Der (Rechts)Geschäftswille richtet sich – nach W. Flume – auf einen weitgefassten Rechtsfolgewillen, der häufig einen rechtlichen und/oder wirtschaftlichen Erfolg auf rechtlich gesicherte Weise herbeiführen will; sog gemäßigte Rechtsfolgenlehre.
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1977/68: Danach kommt ein Vertrag zustande, wenn nicht „den Parteien erkennbar das Bewusstsein fehlt, mit ihrer Vereinbarung Rechtsfolgen auszulösen”.
Abzugrenzen sind rechtsgeschäftliche Willenserklärungen von <-> Rechtshandlungen, Wissenserklärungen und Realakten; dazu → Exkurs: Rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen .
• „ ... weil sie [sc: die Rechtswirkung] rechtmäßig ist”: Der rechtsgeschäftliche Erfolg tritt, wie gewünscht, ein, wenn das (vom / von den Erklärenden) Gewollte rechtmäßig ist, also der Rechtsordnung nicht widerspricht. – Rechtsgeschäftliches Handeln ist also nur innerhalb der Grenzen des rechtlich Erlaubten / Zulässigen möglich. Diese Grenzen müssen von den Parteien eingehalten werden; wollen sie ihre Erklärung oder Vereinbarung mit Rechtsfolgen ausstatten. Nur in dem von ihr vorgegebenen – freilich weiten – Rahmen gewährt die Rechtsordnung Rechtsschutz/Rechtssicherheit und verleiht dem Geschäfts- oder Parteiwillen rechtliche Wirksamkeit. – Daher führt gesetz- oder sittenwidriges (rechtsgeschäftliches) Handeln nicht zum gewünschten rechtsgeschäftlichen Erfolg; vgl § 879 ABGB.
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4. Zur Rechtsgeschäftslehre des ABGB
Aufmerksam gemacht werden muss darauf, dass die Rechtsgeschäftslehre des dtBGB (und dabei auch das Verständnis der Willenserklärung) nicht ohne Einschränkung auf das ABGB übertragen werden darf, was aber immer wieder geschieht. Das ABGB stellt nämlich, obwohl wesentlich älter, aufgrund seiner naturrechtlichen Wurzeln (K.A.v. Martini), stärker – und aus heutiger Sicht: moderner – auf Vertrauens- und Verkehrs(schutz)überlegungen ab, als das jüngere dtBGB, das vornehmlich willenstheoretisch ausgerichtet ist.
Vertrauens- und Verkehrsschutzüberlegungen
Als zurechenbare Willenserklärung iSd ABGB gilt nämlich nicht nur eine gewollte Erklärung, sondern – darüber hinaus – auch jedes menschliche Verhalten, das nach den Erfahrungen des rechtsgeschäftlichen Verkehrs die Annahme rechtfertigt, dass damit die Begründung, Abänderung oder Aufhebung von Rechten oder Rechtsverhältnissen angestrebt wird und dies der Erklärende durch sein Verhalten (als ein Tun oder Unterlassen) kundtut; dies auch unabhängig davon, ob tatsächlich ein innerer Wille beim Erklärenden vorhanden ist, dass er eine (derartige) Erklärung abgibt oder nicht. Vgl auch → Arten von Willenserklärungen: § 863 ABGB – Im Regelfall stimmen aber Wille, Erklärung und Verhalten überein.
In diesem Sinne schon Gschnitzer in Klang2 IV/1, 72 und idF auch Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung 171 und derselbe im: Münchner-Kommentar, BGB3, Vor § 116 Rz 17. – Versteht man die Willenserklärung in diesem Sinne und hält man sie von psychologischen Elementen frei, führt das auch zu einem besseren Verständnis automatisierter „Willens”-Erklärungen (Computererklärungen). Es macht dann keine Probleme, solche Erklärungen als zurechenbare (Willens)Erklärungen zu verstehen.
Computererklärungen


Das Rechtsgeschäft/RG
Abbildung 5.2:
Das Rechtsgeschäft/RG


Ausdrückliche und schlüssige Willenserklärung
Abbildung 5.3:
Ausdrückliche und schlüssige Willenserklärung
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III. Einteilung und Abgrenzung
1. Ein-, zwei- und mehrseitige Willenserklärungen
Rechtsgeschäfte bestehen entweder aus der Willenserklärung einer (zB Testament, Auslobung oder Kündigung) oder von zwei (zB Vertrag) oder mehreren Parteien (zB Vereins- oder Gesellschaftsgründung) → Einteilung nach ihrer Entstehung Danach unterscheiden wir ein-, zwei- und mehrseitige Rechtsgeschäfte.
Die Begriffe Person und Partei sind rechtlich nicht identisch. Eine Partei kann wiederum aus mehreren Personen bestehen, also mehrgliedrig sein. So, wenn Geschwister ein Auto kaufen. – Besteht das Rechtsgeschäft nur aus einer Willenserklärung, decken sich die Begriffe Rechtsgeschäft und Willenserklärung (zB Testament), mag auch ersterer Begriff das Ergebnis, letzterer das Mittel, um dorthin zu gelangen, betonen. Andernfalls – etwa beim Vertrag – ist die Willenserklärung nur ein Teil des (Gesamt)Rechtsgeschäfts, das bei zweiseitigen Rechtsgeschäften, den Verträgen, aus Antrag und korrespondierender Annahme besteht.
Person und Partei


Einteilung der Rechtsgeschäfte: Entstehung
Abbildung 5.4:
Einteilung der Rechtsgeschäfte: Entstehung


Einteilung der Rechtsgeschäfte: Wirkungen
Abbildung 5.5:
Einteilung der Rechtsgeschäfte: Wirkungen
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2. Arten von Willenserklärungen: § 863 ABGB
Der rechtsgeschäftliche Wille kann nach § 863 ABGB (Gesetz lesen!) entweder:
ausdrücklich oder
schlüssig / konkludent oder
stillschweigend erklärt werden.
Jedenfalls muss ein rechtsgeschäftlicher Wille erklärt, dh erkennbar geäußert werden, weil sonst kein Rechtsgeschäft zustande kommt. Zu einem gültigen Testament braucht es daher mehr, als eine bloße gedankliche Überlegung, wer, was bekommen soll. – Zur Bedeutung des Stillschweigens im rechtsgeschäftlichen Verkehr → Schlüssiger und stillschweigender Vertragsschluss
Von einer rechtlich beachtlichen Willenserklärung sprechen wir idR – daran sei erinnnert – aber nur dann, wenn der jeweilige Wille in rechtsgeschäftlicher Erklärungs- oder Kundgebungsabsicht (gültig) geäußert wird.
Kundgebungsabsicht
Rechtsgeschäftliche oder rechtsgeschäftsähnliche Willenserklärungen spielen neben dem Privatrecht auch im öffentlichen Recht eine Rolle. Auch dort werden Verträge geschlossen und verbindliche Erklärungen abgegeben. Rechtsträger begeben sich dabei aber regelmäßig auf das Gebiet des Privatrechts (Privatwirtschaftsverwaltung). Abgrenzungen können sich dabei aber als schwierig erweisen, zumal Erklärungen auch sowohl dem privaten wie dem öffentlichen Recht angehören können; Mischerklärungen. Als eine solche rechtsgeschäftliche Mischerklärung könnte bspw auch die Patientenverfügung (→ KAPITEL 17: Exkurs: Die Patientenverfügung) verstanden werden. Auch Hoheitsträger können Willenserklärungen nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent abgeben. Die Rspr zieht dabei aber realistische Grenzen. So wird es abgelehnt, Beamten ohne ausdrückliche Zustimmung des zuständigen Organs ein Zusatzentgelt gewähren zu können; ZAS 2001, 51 (5).
Privatrecht und öffentliches Recht
Zur Problematik des § 867 ABGB → KAPITEL 4: Geschäftsfähigkeit von Gemeinden. – Zur Bedeutung von Formvorschriften → KAPITEL 15: Die Form (im Privatrecht).
Literaturquelle
Zwischen ausdrücklichen sowie schlüssigen und stillschweigenden Willenserklärungen gibt es Übergänge. Wichtig ist vorerst, dass verstanden wird, dass Rechtsgeschäfte und Verträge nicht nur durch ausdrückliche Willenserklärungen geschlossen werden können, sondern auch dadurch, dass Parteien ein Verhalten an den Tag legen, das objektiv – also nach der Verkehrsauffassung – als Zustimmung oder Ablehnung gedeutet werden kann.
Die Bedeutung der Verkehrsauffassung
Wir sind bereits auf solche Situationen gestoßen; vgl etwa den Abschluss eines schlüssigen Verwahrungs- oder Leihvertrags. – Im gesetzlichen Anerkennen von Konkludenz liegt ein Schutz anderer Verkehrsteilnehmer, die auf einen äußeren „Tatbestand” (iSv Verhalten) vertrauen.
Konkludenz, schlüssiges Verhalten scheidet daher aus, wenn für einen Vertragsabschluss die Schriftform vorgeschrieben ist. Andernfalls könnte diese Formvorschrift umgangen werden; vgl SZ 61/241 (1988).
Konkludenz/Schlüssigkeit
Zu Vertrag und Form → Vertrag und Form sowie → KAPITEL 15: Die Form (im Privatrecht). Das spielt auch im öffentlichen Recht eine Rolle; vgl die eben erwähnte E, ZAS 2001, 51/5.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 17. 8. 2001, 1 Ob 83/01i, EvBl 2001/14: Hausverwalter eines Mietwohnhauses klagt den Dritteleigentümer auf Zahlung der von ihm vorgestreckten Auslagen, wogegen der Miteigentümer Verjährung einwendet. – OGH wendet § 355 HGB (Kontokorrent) analog an, obwohl eine Kaufmannseigenschaft des Hausverwalters nicht festgestellt wurde. Ein solches „uneigentlichesKontokorrentverhältnis kann auch schlüssig zustande kommen. Die Verjährung beginnt in diesem Fall erst mit Beendigung der Kontokorrentperiode.
Stillschweigen iSd § 863 ABGB gilt in der Rechtsgeschäftslehre grundsätzlich nicht als Zustimmung. Bloßes Schweigen besitzt nämlich grundsätzlich keinen (positiven) Erklärungswert; SZ 64/185 (1991). – Anders liegt der Fall aber, wenn der Stillschweigende nach dem Gesetz oder dem Vertrag oder nach der Verkehrssitte (→ KAPITEL 11: Verkehrssitte) oder nach Treu und Glauben (→ KAPITEL 11: Treu und Glauben) hätte reden müssen oder wenn dem Stillschweigen schlechterdings keine andere Bedeutung (als Zustimmung) beigelegt werden kann. – Zur Bedeutung des Stillschweigens im Rahmen von Vertragsschlüssen → Schlüssiger und stillschweigender Vertragsschluss – Vgl ferner die folgenden Beispiele.
Stillschweigen
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
Zum schlüssigen Widerruf eines Testaments: EvBl 1999/195.
Reden hätte der Stillschweigende nach Treu und Glauben bspw müssen (insbesondere bei bestehender Rechtsbeziehung), wenn wichtige Interessen des Erklärenden (Vorschlagenden) dies verlangen und dies ohne ernstliche Behelligung des schweigenden Partners möglich war. Das gilt auch für jene Fälle, wenn ein Vorschlagender mit Antwort rechnen und bei deren Ausbleiben mit gutem Grund annehmen durfte, dass alles in Ordnung sei; HS 6227 (1968).
HS 4220/26 (1963): In der unbeanstandeten Annahme einer Faktura / Rechnung über nicht bestellte Ware liegt keine schlüssige oder stillschweigende Zustimmung zum Abschluss eines Kaufvertrags; es besteht auch kein derartiger Handelsbrauch. Vgl schon ACl 2122 (1900).
HS 4213 (1964): Das österreichische Recht kennt kein allgemeines Rechtsinstitut der Verwirkung (→ KAPITEL 6: Verwirkung ) im Sinne eines schlüssigen oder stillschweigenden Anspruchsverzichts durch bloßen Zeitablauf. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzukommen, die ein späteres Geltendmachen des Anspruchs als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen.
HS 4216: Bei Dauerschuldverhältnissen darf aus der Nichtausübung eines Rechts im Einzelfall oder aus der Unterlassung des Widerspruchs gegen vereinzelte Eingriffe noch nicht auf einen Verzicht geschlossen werden.
EvBl 1951/485: Keine Zustimmung liegt im Stillschweigen auf eine in die Faktura oder den Lieferschein aufgenommene Eigentumsvorbehaltsklausel.
SZ 38/112 (1965): Auch bei der Annahme eines stillschweigenden Haftungsverzichts erscheint Vorsicht geboten. Ein „Handeln auf eigene Gefahr” ist nur dann anzunehmen, wenn der später Verletzte erkannt hat, dass er sich in eine besondere Gefahrenlage begibt. Ein anzunehmender Verzicht bezieht sich zudem idR nur auf den Eintritt eines unverschuldeten Erfolges oder einer solchen Gefahr, und im Bereich der Verschuldenshaftung nur auf die Haftung für leichte Fahrlässigkeit. Auch Unentgeltlichkeit befreit nicht von der Verschuldenshaftung.
OGH 5. 4. 2000, 9 Ob A 40/00y, JBl 2001, 192: Gewährt der Arbeitgeber regelmäßig und vorbehaltslos bestimmte Leistungen an seine Arbeitnehmer, gilt dies als schlüssiges Anbot (§§ 863, 914 ABGB), dies auch künftig zu tun. Nehmen die Arbeitnehmer diese Zahlungen entgegen, so liegt darin eine schlüssige Annahme. So werden die Leistungen (dieser Betriebsübung) Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge.
Das Privatrecht orientiert sich in § 863 ABGB an den allgemeinen Grundregeln der Kommunikation, wo zwischen verbalen und non-verbalen Botschaften / Äußerungen / Mitteilungen unterschieden wird. Über Mimik, Gestik, überhaupt Körpersprache verständigt sich schon die höhere Tierwelt, insbesondere die Primaten. Mitgeteilt werden Informationen, Gefühle, Gemütszustände oder Triebregungen, die alle auch rechtlich eine Rolle spielen können. – § 863 ABGB trägt auch insofern der allgemeinen Kommunikationstheorie Rechnung, als er nicht nur auf die Absicht der Botschaft, sondern vor allem auch auf die erzielte (soziale) Wirkung achtet → Arten von Willenserklärungen: § 863 ABGB: Wie war das, wie konnte und durfte das verstanden werden? Auch das Rechtsdenken hat sich demnach mit der Vielschichtigkeit und Komplexität von Kommunikation / Verhalten auseinander zu setzen, in die das Rechts- und Wirtschaftsleben nolens-volens eingebettet ist.
Grundregeln der Kommunikation
Beispiel: So kann bspw ein zunächst (objektiv) mehrdeutiger Inhalt einer Botschaft uU erst im Zusammenhang / Kontext mit der konkreten (Parteien)Beziehung eindeutig verstanden werden; so muss, was unter Kaufleuten klar ist, nicht auch für Verbraucher / Konsumenten verständlich sein.
Die Auslegung von Rechtsgeschäften (§§ 914, 915 ABGB → KAPITEL 11: Auslegung von Rechtsgeschäften und Verträgen: §§ 914, 915 ABGB) stützt sich ebenfalls auf diese Kommunikationsregeln.
Bedeutung für die Auslegung
Literaturquelle
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3. Einteilung nach ihrer Entstehung
Nach Ihrer Entstehung werden einseitige, zweiseitige und mehrseitige Rechtsgeschäfte unterschieden: Einseitige Rechtsgeschäfte entstehen durch die Willenserklärung nur einer Partei; die zweiseitigen entstehen durch die (korrespondierenden) Willenserklärungen zweier Parteien (Verträge) und die mehrseitigen Rechtsgeschäfte entstehen durch die Willenserklärungen mehrerer Parteien. – Zuerst wird auf die einseitigen Rechtsgeschäfte eingegangen und dabei die Auslobung näher behandelt.
Einseitige Rechtsgeschäfte
Zu den mehrseitigen Rechtsgeschäften sei angemerkt:
Bei ihnen haben wir es nicht nur mit zwei, sondern mit mehreren (auch vielen) auf ein gemeinsames Ziel gerichteten Willenserklärungen zu tun. – Typische Beispiele: Vereins- oder Gesellschaftsgründung.
Auch mehrseitige Rechtsgeschäfte sind Verträge. Wie jeder Vertragsschluss, kommen auch diese Verträge (nur) durch die Willenseinigung aller Parteien zustande. Daher ist Einstimmigkeit bei der Vereins- oder Gesellschaftsgründung nötig. – Später, wenn Gesellschaft oder Verein einmal entstanden sind, genügt idR auch eine mehrheitliche Entscheidung / Beschlussfassung; Mehrheitsbeschluss. – Auch das Völkerrecht unterscheidet zwischen bilateralen und multilateralen Verträgen.
Einseitige Rechtsgeschäfte gründen – wie erwähnt – auf der Willenserklärung einer Partei. – Beispiele: Testament (→ KAPITEL 17: Das Testament: §§ 552 ff ABGB ), Auslobung (→ Die Auslobung: §§ 860, 860a, 860b ABGB ) oder Kündigung (→ KAPITEL 6: Bedeutung der Unterscheidung).
Die Willenserklärung bei einseitigen Rechtsgeschäften wirkt aber verschieden:
Wirkung einseitiger Willenserklärungen
• Bestimmte einseitige Rechtsgeschäfte kommen schon durch Abgabe der Willenserklärung zustande; zB das Testament, das mit Niederschrift gültig wird (etwa § 578 ABGB: eigenhändiges Testament), oder die Dereliktion (§§ 362, 386 f ABGB) wirkt mit Ausführung der Handlung. – Man kann sagen, die Willenserklärung ist hier nur abgabebedürftig (ohne dass sie zunächst nach außen dringen oder jemandem zugehen muss).
• Eine andere Gruppe einseitiger Rechtsgeschäfte / Willenserklärungen wird (nicht schon durch Abgabe, sondern) erst dann wirksam, wenn die Willenserklärung dem Rechtsgeschäftspartner / Adressaten zugeht; so Kündigung oder Auslobung. Wir nennen diese Gruppe zugangs- oder empfangsbedürftige Willenserklärungen. Empfangsbedürftig sind vor allem auch die einander entsprechenden Willenserklärungen, aus denen der Vertrag entsteht: Antrag und Annahme.
Beispiel
Die Begriffe Willenserklärung und Rechtsgeschäft werden oft synonym verwendet, sind aber nicht identisch; synonym sind sie beim einseitigen Rechtsgeschäft, das nur aus einer Willenserklärung ent- und besteht; zwei- und mehrseitige Rechtsgeschäfte dagegen bestehen aus zwei oder mehreren Willenserklärungen. Hier ist das „Ganze” (= Rechtsgeschäft / Vertrag) mehr als seine beiden Teile (= Willenserklärungen) aus denen es sich zusammensetzt. – Zu beachten ist ferner, dass beim Rechtsgeschäft für seine Gültigkeit neben der Willenserklärung oft noch etwas dazukommen muss; etwa eine behördliche Genehmigung udgl, also die Willenserklärung allein gar nicht das gesamte Rechtsgeschäft ausmacht.
Willenserklärung und Rechtsgeschäft
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4. Die Auslobung: §§ 860, 860a, 860b ABGB
Beispiel
Was macht eine Willenserklärung zu einer Auslobung?
• Die Auslobung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, kein Vertrag! Das Besondere daran: Die in der Auslobung steckende Verpflichtungserklärung wird bereits durch ihren Zugang an die Öffentlichkeit wirksam; zB durch das Anschlagen des Zettels.
• Die Auslobung richtet sich an einen unbestimmten Personenkreis und verspricht eine Belohnung, wenn ein bestimmter Erfolg /Leistung erbracht wird. – Hier bspw das Zurückbringen der entlaufenen Katze oder allfällige zielführende Hinweise darauf. Verbindlich wird die Auslobung also durch ihre öffentliche Bekanntmachung, die sehr unterschiedlich erfolgen kann; § 860 Satz 1 ABGB.
• Eine Auslobung kann bis zur tatsächlichen Erbringung der ausgelobten Leistung widerrufen werden. Der Widerruf hat nach § 860a ABGB „in derselben [oder einer gleich wirksamen] Form” zu erfolgen. – Worin liegt der Unterschied zur Offerte?
• Man könnte sagen, dass in der Widerrufsmöglichkeit trotz Zugangs bei der Auslobung noch der letzte Rest der alten Vertragsschlusslehre vor der wichtigen Entdeckung der Antragsbindung durch das ABGB liegt. – Martinis Entwurf (1796) und das ALR (1794) kannten die Antragsbindung noch nicht → Antragsbindung
• § 860 b ABGB regelt den Sonderfall, dass die Leistung von mehreren Personen erbracht wird.
Diese Bestimmuung stellt klar, dass auch eine „Preisbewertung” in Form der Auslobung erfolgen kann, verlangt für deren Gültigkeit aber, dass „in der Bekanntmachung eine Frist für die Bewerbung bestimmt sein muss”. – Während bei der normalen Auslobung die Leistung / der Erfolg grundsätzlich nur einmal erbracht werden kann, gilt das für ein Preisausschreiben nicht. Innerhalb der „Frist” kann der Erfolg beliebig oft erbracht werden. – Die korrekte Abwicklung eines Preisausschreibens (Ermittlung der Gewinner) verlangt idR eine Jury / Preisgericht.
Preisausschreiben: § 860 Satz 2 ABGB
Weitere praktische (Auslobungs)Beispiele: – VerbrechensopferschutzG; – Wiener Mietermitbestimmung; – Schönheitskonkurrenz.
Die öffentliche Ausschreibung zur Errichtung eines Bauwerks ist nicht Auslobung, sondern Einladung zur Offertstellung. Der Ausschreibende kann eines der eingelangten Anbote annehmen und dadurch den Vertrag zustande bringen. – Werden jedoch im Rahmen eines Architektenwettbewerbs (zB für den Neubau des Innsbrucker Rathauses) Preise ausgeschrieben, liegt wieder Auslobung vor und die Auswahl des oder der Preisträger/innen bedarf fachlicher Qualifikation und die (möglichst an Kriterien zu bindende) Beurteilung darf nicht beliebig erfolgen (cic):
Architektenwettbewerb
„Das Recht an preisgekrönten Entwürfen geht dadurch aber noch nicht [auf den Auslobenden] über; ihr Ankauf ist davon unabhängig”; Gschnitzer, SchRAT2.
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5. Zweiseitige Rechtsgeschäfte – Verträge
Der Vertrag entsteht aus zwei einander entsprechenden – sog korrespondierenden – Willenserklärungen. Diese Willenserklärungen heißen Antrag (Anbot, Offert/e) und Annahme. Dazu gleich mehr. – Antrag und Annahme sind empfangsbedürftige Willenserklärungen; dh ihre Wirksamkeit ist vom Zugang abhängig. Der Antrag kann von jeder Vertragspartei ausgehen; also zB beim Kauf vom Verkäufer oder Käufer. Eine Vertragspartei kann wiederum aus zwei oder mehreren Personen bestehen; zB Freundin und Freund kaufen gemeinsam ein Auto oder Grundstück.
Beim Vertrag(sschluss) spricht man (nach griechischem Vorbild) auch von lex contractus und meint damit das individuelle „Gesetz”, das sich die Parteien im Vertrag selbst geben. Im Gegensatz zum „richtigen” Gesetz gilt dieses vertragliche Gesetz aber nur inter partes.
lex contractus
Der Vertrag ist ein Akt rechtlicher Selbstverpflichtung und Selbstbestimmung. Er setzt ein unwiderruflich freies Individuum voraus, das in der Rechtsgeschichte erstmals durch Solons Gesetzgebung geschaffen wurde. – In der persönlichen Freiheit des Einzelnen wurzelt die Vertragsfreiheit, als Freiheit Verträge zu schliessen. Die Privatautonomie braucht diesen Freiraum, um sich entwickeln zu können.
Vertrag als Akt rechtlicher „Selbstverpflichtung“
Wurde ein Vertrag geschlossen, sind beide Parteien an ihn gebunden; römisch-gemeines und Kirchenrecht: pacta sunt servanda –Verträge sind zu- oder einzuhalten. Kein (Vertrags)Teil kann einseitig vom Vereinbarten abgehen oder (auch nur kleine) Abänderungen vornehmen. Daher: Vor Vertragsschluss alles gut überlegen und rechtzeitig Rat einholen! Das erspart nachträglichen Katzenjammer. Geschlossene Verträge können also grundsätzlich nicht rückgängig gemacht oder abgeändert werden. Käufern steht (ohne diesbezügliche Vereinbarung) auch nicht das Recht zu, einseitig gegen Bezahlung eines bestimmten Betrags (etwa eines bestimmten Prozentsatzes des Kaufpreises → KAPITEL 15: Reugeld: §§ 909 ff ABGB und § 7 KSchG: Stornogebühr) vom Vertrag abzugehen / zurückzutreten. Der Vertragspartner kann diesen Wunsch akzeptieren, muss das aber nicht.
pacta sunt servanda
Davon zu unterscheiden sind jene Fälle, in denen jemand ein gesetzlich (oder auch vertraglich) festgelegtes Recht hat, aus dem Vertrag „auszusteigen”; zB nach § 3 KSchG: gesetzliches Rücktrittsrecht von sog Haustürgeschäften oder nach § 918 ABGB: gesetzliches Rücktrittsrecht des Gläubigers bei Schuldnerverzug → KAPITEL 7: Zum gesetzlichen Rücktrittsrecht des § 918 ABGB oder nach § 932 Abs 1 ABGB: Geltendmachen eines Wandlungsanspruchs im Rahmen der Gewährleistung → KAPITEL 7: Wie wirkt Wandlung? oder bei unterlaufenem Irrtum (§ 871 ABGB → Arten des Irrtums) usw. – Das Gesetz formuliert hier jeweils die Voraussetzungen unter denen eine Partei sich vom geschlossenen Vertrag „lösen” kann. – Zum vertraglichen Rücktrittsrecht → KAPITEL 7: Das vertragliche Rücktrittsrecht.
Die zweiseitigen Rechtsgeschäfte (= Verträge) werden wiederum unterteilt in:
Unterteilung der zweiseitigen Rechtsgeschäfte
Einseitig verpflichtende Verträge: Hier wird nur ein Vertragsteil aus dem Vertrag (zu einer Leistung) verpflichtet; zB bei der Schenkung der Schenkende, während der andere Vertragsteil aus dem Vertrag nur Rechte erlangt.
• Und zweiseitig verpflichtende / verbindliche Verträge: Hier werden beide Vertragsteile gegenseitig berechtigt und verpflichtet. Hier wird wechselseitig jeder Vertragsteil Gläubiger und Schuldner des anderen und zwar:
Beispiel
Eine eigene Untergruppe der Verträge stellen die Verträge zugunsten Dritter (§§ 881, 882 ABGB) dar; dazu → KAPITEL 15: Verträge zugunsten Dritter.
Verträge zugunsten Dritter
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6. Einteilung nach der Wirkung des Rechtsgeschäfts
Schuldrechtliche: zB Kauf, Miete;
sachenrechtliche: zB WE-Begründung, Servitutsvertrag;
personenrechtliche: zB Verlöbnis;
familienrechtliche: zB Ehe;
erbrechtliche: zB Testament oder Erbvertrag.
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7. Weitere Einteilungsgesichtspunkte
Entgeltliche (§§ 917 ff ABGB), unentgeltliche (zB Schenkung: §§ 938 ff ABGB) oder
entgeltfremde Geschäfte.
Die Kategorie der entgeltfremden Geschäfte geht auf Franz Gschnitzer zurück; vgl seinen Aufsatz, JBl 1935, 122 ff: Entgeltlich – unentgeltlich; abgedruckt auch im FGL 325. Zur Kategorie der entgeltfremden Geschäfte zählen zB: gesetzliche Unterhaltsleistungen, Verfügungen von Todes wegen, Ausgedingsleistungen, aber auch die Erfüllung und bestimmte Sicherungsgeschäfte oder eine Abfertigung für ein nicht eingelöstes Eheversprechen / Verlobung → KAPITEL 16: Das Verlöbnis: GlU 12.111.
Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäfte → KAPITEL 2: Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft;
abstrakte und kausale Rechtsgeschäfte → KAPITEL 2: Kausale und abstrakte Rechtsgeschäfte;
formfreie und formgebundene Rechtsgeschäfte → KAPITEL 15: Die Form (im Privatrecht);
privatrechtliche und öffentlichrechtliche Rechtsgeschäfte.
Es gibt auch ganz unterschiedliche öffentlichrechtliche Verträge: zB völkerrechtliche, Verträge zwischen Bund und Ländern oder solche zwischen Bundesländern untereinander.
Literaturquelle


Rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen
Abbildung 5.6:
Rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen
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8. Exkurs: Rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen
IdF wird kurz auf die Abgrenzung von Willenserklärungen, Rechtsgeschäften, Rechtshandlungen, Wissenserklärungen und Realakten eingegangen.
Abgrenzung
Nicht jede rechtlich beachtliche Erklärung, Äußerung oder Handlung ist nämlich Willenserklärung oder Rechtsgeschäft im technischen Sinn. Es gibt vielmehr auch solche, die gleichsam sub limine von Rechtsgeschäft und Willenserklärung liegen. Rechtsnatur und Zuordnung solcher Handlungen und Erklärungen sind freilich nicht immer klar, vielmehr umstritten. – Hierher gehören insbesondere die Rechtshandlungen, Wissenserklärungen und Realakte.
Nicht jede rechtlich beachtliche Erklärung/Handlung ist rechtsgeschäftliche Willenserklärung oder Rechtsgeschäft
Der Unterschied zu den Rechtsgeschäften soll darin bestehen, dass bei Rechtsgeschäften der Parteiwille bewusst und unmittelbar (wenigstens iSd gemäßigten Rechtsfolgenlehre!) auf Rechtswirkungen gerichtet ist, während das bei Rechtshandlungen und Realakten nicht gefordert wird; die Rechtswirkungen treten hier vielmehr ex lege, also von Gesetzes wegen, und nicht wie bei Rechtsgeschäften ex voluntate, also willensgemäß ein. – Rechtshandlungen richten sich aber ebenso wie Rechtsgeschäfte und Willenserklärungen, an andere Personen, erfolgen also in Erklärungsabsicht.
Zum Unterschied vom Rechtsgeschäft kann ihnen aber jeder auf bewusste Gestaltung bedachte Rechtsfolgewillen fehlen. – IdF wird auf einige solcher Fälle eingegangen
Die Mahnung wird häufig zu den Rechtshandlungen gezählt, die den Rechtsgeschäften (insbesondere den einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärungen, wie Antrag, Annahme, Vollmachterteilung, Kündigung) sehr nahe stehen (Enneccerus), sodass deren Regeln analog angewendet werden können. Das relativiert die Bedeutung des Streits. Auch Rechtshandlungen lösen demnach Rechtswirkungen / Rechtsfolgen aus; freilich – wie erwähnt – ex lege und nicht ex voluntate (?).
„Mahnung“Die Rechtshandlungen
Wie theoretisch dieser Streit ist, zeigt aber der Umstand, dass es schwer vorstellbar ist, dass ein Gläubiger auch hier ohne jeden Rechtsfolgewillen handelt, wenn er bspw mahnt! Gschnitzer zählt (daher) die Mahnung – was für das ABGB (§ 1334) richtiger erscheint – „eher zu den Rechtsgeschäften”, weil ihr Zugang (beim Adressaten) auch Geschäftsfähigkeit voraussetzt.
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1985, 235: Kündigung wegen Mietzinsrückständen – Beklagter war wegen Schizophrenie geschäfts- und prozessunfähig – OGH verlangt daher Mahnung an den gesetzlichen Vertreter.
Zu den Rechtshandlungen zählen auch die denuntiatio, also die Verständigung des Schuldners von der Zession (§ 1396 ABGB → KAPITEL 14: Schuldnerverständigung?), die Zustimmung zum Schuldnerwechsel (§ 1405 ABGB → KAPITEL 14: Der Schuldnerwechsel), die Nachfristsetzung im Rahmen des Rücktritts nach § 918 ABGB (→ KAPITEL 7: Zum gesetzlichen Rücktrittsrecht des § 918 ABGB) und die Mängelrüge nach § 377 HGB (→ KAPITEL 7: Kaufmännische Rügepflicht), weil für diese cum grano salis dasselbe zu gelten hat wie für die Mahnung. Denuntiatio und Mängelrüge werden aber auch als bloße Wissenserklärung angesehen; so Frotz, F. Bydlinski, Kramer, Krejci und die Rspr. Geht es doch bspw bei der Mängelrüge stets um das (mehr oder weniger) bewusste – gegenüber dem ABGB modifizierte – außergerichtliche Geltendmachen und Sichern von Gewährleistungsansprüchen gegenüber dem Vertragspartner, die typischerweise in Kenntnis eines andernfalls drohenden Rechtsverlustes getätigt wird; wobei es sich noch dazu um ein sehr hartes „Rechtsmittel” unter Kaufleuten handelt. Ein einheitliches Verständnis ihres Rechtscharakters mit der Geltendmachung bürgerlichrechtlicher Gewährleistungsansprüche erscheint daher angezeigt. Die Mängelrüge ist daher zutreffenderweise zwar keine Willenserklärung, wohl aber wie Wandlung, Preisminderung und Verbesserung etc (§ 932 ABGB) als Rechtshandlung und nicht bloß als Wissenserklärung anzusehen. All diese Rechtsakte sind auch gesetzlich determiniert.
Weitere Beispiele für Rechtshandlungen
Die Grenze zwischen Rechtshandlungen und Rechtsgeschäften ist auch deshalb unscharf, weil auch bei rechtsgeschäftlichen Erklärungen die Vorstellungen der beteiligten Parteien in Bezug auf den angestrebten rechtlich-wirtschaftlichen Erfolg oft vage bleiben und iSd gemäßigten Rechtsfolgenlehre nicht zuviel verlangt werden darf.
Unscharfe Grenze
Umstritten, ob Rechtsgeschäft oder bloß Rechtshandlung, war auch die Rechtsnatur der Einwilligung / Zustimmung in die ärztliche Heilbehandlung (→ KAPITEL 10: Die ¿Einwilligung¿ in die medizinische Behandlung. Exkurs: Behandlungsvertrag), die von manchen (zB Koziol) als Rechtsgeschäft, von anderen und insbesondere der Rspr zutreffend aber als bloße Rechtshandlung verstanden wird; nur dieses letztere Verständnis unterscheidet klar zwischen Vertragsschluss (Behandlungsvertrag) und Einwilligung in eine bestimmte Behandlung (zB Operationsmethode), was nicht dasselbe ist. § 146c ABGB (idFd KindRÄG 2001 → KAPITEL 10: Der minderjährige Patient) hat dies nunmehr im hier vertretenen Sinne entschieden. – Hierher gehört auch die Widerspruchserklärung nach § 62a Abs 1 KAKuG, mit der jemand untersagt, dass seine Organe für Organtransplantationen verwendet werden dürfen; Totenspende. Auch die Widerspruchserklärung ist – wie die Einwilligung in eine konkrete ärztliche Heilbehandlung – kein Rechtsgeschäft, vielmehr bloße Rechtshandlung. Sie ist zwar auf Rechtswirkung gerichtet, ohne dass dabei aber ein privatautonom zu nutzender Raum verbliebe. – Entsprechend ist die Erklärung des Organspenders für eine Lebendspende (zB eine Niere) zu bewerten.
Einwilligung in die ärztliche Heilbehandlung + Widerspruchserklärung nach § 62a Abs 1 KAKuG
Dasselbe muss für die Anordnung eines sog Patiententestaments / -verfügung iSv § 10 Abs 1 Z 7 KAKuG gelten → KAPITEL 17: Exkurs: Die Patientenverfügung:
Patientenverfügung
Diese Vorausverfügung eines Patienten, wie er künftig idR medizinisch behandelt werden will, ist eine einseitige Willenserklärung, die allerdings nicht – wie immer wieder behauptet – zugangs- oder empfangsbedürftig ist, sondern vielmehr schon mit (Ent)Äußerung wirksam wird. Sie richtet sich nicht an einen bestimmten Behandler, sondern „to whom it may concern”. Das Patiententestament (Patientenverfügung, Letztverfügung, Patientenbrief oder living will) ist kein Rechtsgeschäft, wohl aber Rechtshandlung.
Alle diese medizinisch relevanten Erklärungen sind Ausdrucksmittel des Selbstbestimmungsrechts von Patienten, nicht aber auf rechtsgeschäftliche Folgewirkungen bedacht. (Auch bei positiver Spendererklärung kann die Patientenverfügung nicht etwa als Offerte zum Vertragsschluss odgl verstanden werden.) In diesen Fällen wird durch autonome Erklärung ein Persönlichkeitsrecht – als Ausdruck der individuellen Selbstbestimmung des Patienten – realisiert und konkretisiert. Bei allen Unterschieden im Detail handelt es sich also in all diesen Fällen um Rechtshandlungen.
Auch die Wissens- und Gefühlsäußerungen oder -erklärungen sind von Rechtsgeschäften und Willenserklärungen (= Willensäußerungen) zu unterscheiden. – Wissenserklärungen geben nach hA die Meinung des Erklärenden über bestimmte Fakten / Tatsachen wieder, was schriftlich oder mündlich geschehen kann.
Wissens- und Gefühlsäußerungen
Beispiel
Gute Beispiele für Realakte oder Tathandlungen bei Gschnitzer (AT2) – Musiker/in komponiert, Dichter/in schreibt, Maler/in malt und erlangt, auch ohne es zu wissen und zu wollen, Urheberrechte am jeweiligen Produkt. Auch mit dem Finden verbindet das Gesetz (unabhängig vom Willen des Finders) bestimmte Rechtsfolgen; §§ 388 ff ABGB. – Realakte wollen im Gegensatz zu Rechtsgeschäften, Willenserklärungen und Rechtshandlungen anderen nichts kundtun, erfolgen also ohne Erklärungs- oder Kundgebungsabsicht und zielen nicht auf Rechtswirkung, obwohl sie solche nach sich ziehen (können). – Hierher gehören auch die Erfüllungshandlungen und der Spezialfall der „stillen Annahme” nach § 864 Abs 1 ABGB → Die Sonderfälle des § 864 ABGB
Realakte oder Tathandlungen
Rechtssprechungsbeispiel
Der OGH erblickt im Sri Chinmoy-Fall in der staatlichen Information und Warnung der Öffentlichkeit vor bestimmten „Sekten” einen öffentlichrechtlichen Realakt, der in engem inneren und äußeren Zusammenhang mit der Pflicht des Staates steht, die persönliche Freiheit seiner Bürger zu schützen; JBl 2000, 179. – Korrekt wäre hier eine Wissenserklärung anzunehmen.
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B. Der Vertragsschluss
Im Rahmen der Rechtsfigur cic wird auf Probleme im „Vorfeld” des Vertragsschlusses eingegangen → KAPITEL 6: Cic ¿ culpa in contrahendo. – Zur Vertragsfreiheit und Privatautonomie → Vertragsfreiheit und Privatautonomie Dort wird auch die in Österreich fehlende ausdrückliche verfassungsrechtliche Absicherung des „Grundrechts” Verträge zu schließen kurz behandelt. Zu Funktion und Wandel des Vertrags → Zu Funktion und Wandel des Vertrags
I. Allgemeines zum Vertragsschluss: § 861 ff ABGB
Literaturquelle
1. Idealtypische und realistische Sicht des Vertrags
Die Vertragsparteien streben im Rechts- und Wirtschaftsleben mit rechtlichen Mitteln einen wirtschaftlichen (sie wollen zB kaufen oder verkaufen), familienrechtlichen (zB Eheschließung) oder erbrechtlichen (zB Erbschaftskauf) Erfolg / Zweck an und verfolgen dabei ihre – uU ganz verschieden gelagerten – Interessen und bedienen sich dafür des Vertrags als eines flexiblen Gestaltungsmittels. In ihren Willenserklärungen äußern sie, was ihrer Absicht nach geschehen oder nicht geschehen soll. – Die (beiden) Willenserklärungen der Vertragsparteien verdichten sich durch ihre Übereinstimmung / Korrespondenz zum Vertrag, der eine wechselseitige Selbstverpflichtung der Vertragsparteien darstellt; lex contractus.
durch VertragDer Vertrag gewährt den Parteien Raum zur rechtlich-konkreten Gestaltung ihrer Interessen innerhalb des weiten Rahmens des nach der Rechtsordnung Erlaubten und sichert den durch ihre übereinstimmenden Willenserklärungen angestrebten Erfolg rechtlich ab; Rechtssicherheit durch Vertragsschluss. – Der Vertrag gewährt also Spielraum für Selbstbestimmung (→ Vertragsfreiheit und Privatautonomie). Er schafft jene Möglichkeiten, um die konkrete Situation der Vertragsschließenden so zu gestalten, wie sie es haben wollen. Und dies unter Zuhilfenahme aller Mittel, die von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellt werden: Das beginnt bei der Möglichkeit aus den gesetzlich vorgegebenen Vertragstypen einen gewünschten Typus auszuwählen oder bestehende Typen zu modifizieren, mit anderen zu kombinieren oder neue Typen zu schaffen (→ Gemischte und atypische Verträge: Mischverträge) und setzt sich bspw darin fort, zusätzliche – dh das Gesetz ergänzende – Sicherheiten in Verträge aufzunehmen oder für besondere (Auf)Lösungsmöglichkeiten des Vertrags zu sorgen. Zu all dem reicht die Rechtsordnung „ihren starken Arm”. So wie die Parteien es selbst vereinbart haben, soll es gelten und die Rechtsordnung schützt den privat-autonom geschlossenen Vertrag.
Rechtssicherheit
Thomas Hobbes hat den Grundsatz des pacta sunt servanda im Hinblick auf den staatlichen Rechtsschutz realistisch vertieft und erweitert, wenngleich er die Bedeutung der Selbstverpflichtung der handelnden Parteien noch unterschätzt. Im „Leviathan” (XVII 131) führt er aus: „Verträge ohne das Schwert sind bloße Worte und besitzen nicht die Kraft, einen Menschen auch nur die geringste Sicherheit zu bieten.”
pacta sunt servanda
Der Vertrag ist somit ein genialer rechtlicher Transmissionsriemen, der die Interessen der am Abschluss beteiligten Parteien funktional verbindet und gestaltend festschreibt. – Ein gültiger Vertragsschluss setzt aber, was § 861 ABGB zu entnehmen ist, wenigstens zwei Parteien /Rechtssubjekte voraus, woran es im folgenden Beispiel fehlte.
Zwei Rechtssubjekte
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 17. 12. 2001, 4 Ob 204/01f, EvBl 2002/73: Die ÖBB schlossen mit dem Finanzminister eine Vereinbarung über die Benützung von Räumlichkeiten und klagten die Republik Österreich aus diesem Übereinkommen aus dem Jahre 1961 (Mietvertrag) auf Bezahlung der Heizungskosten. – OGH: Da das Übereinkommen zwischen Finanz- und Verkehrsministerium von zwei Behörden desselben Rechtsträgers (Republik Österreich) geschlossen wurde, liegt kein wirksamer bürgerlichrechtlicher Vertrag vor; dieser setzt nämlich zwei Rechtssubjekte voraus. OGH deutet aber die Möglichkeit einer relocatio tacita (stillschweigende „Vertrags”-Verlängerung) nach Ausgliederung der ÖBB an.
Es wäre aber unrealistisch, nicht auch die Schattenseiten des rechtlichen Instruments Vertrag sehen zu wollen, denn Verträge sind nicht immer nur Mittel wahrer Selbstbestimmung und Freiheit, sondern auch von Machterwerb, Machtausübung und Unterdrückung / Knebelung und zudem effizientes Mittel, den eigenen Vorteil auf Kosten anderer zu suchen. – Deshalb bedarf es immer wieder des rechtlichen Korrektivs durch den Gesetzgeber und die Rechtsprechung.
Schattenseiten des Instruments „Vertrag“
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2. Allgemeine Voraussetzungen gültiger Vertragsschlüsse
Das Erfüllen der formalen Vertragsschlussregeln, die idF dargestellt werden sollen, allein reicht aber nicht aus, um gültige Verträge zu schließen! Dazu braucht es mehr (vgl die Überschrift vor § 865 ABGB: „Erfordernisse eines gültigen Vertrages” und insbesondere § 869 ABGB), nämlich:
§§ 865, 869 ABGB
• die Geschäftsfähigkeit der vertragsschließenden Parteien;
• Zur Beeinträchtigung der Geschäftsfähigkeit durch Alkohol, Drogen oder andere Gebrechen → Fehlende Ernstlichkeit
• die Möglichkeit (§ 878 ABGB) und Erlaubtheit (§ 879 ABGB) des Vertragsinhalts;
• das Fehlen von Irrtum, Zwang oder Täuschung (Willensmängel: §§ 870 ff ABGB → Willensmängel – Irrtum)
• sowie das Einhalten allfälliger Formvorschriften; §§ 883 ff ABGB.


Vertragsschluss: Allgemeine Voraussetzungen
Abbildung 5.7:
Vertragsschluss: Allgemeine Voraussetzungen
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3. Konsens: Korrespondierende Willenserklärungen
Zum Abschluss eines Vertrags sind gegenseitig übereinstimmende oder – wie man sie auch nennt – korrespondierende Willenserklärungen der (Vertrags)Parteien erforderlich. Liegen diese vor, besteht Konsens und der Vertrag kommt zustande. – Die beiden einseitigen Willenserklärungen aus denen der Vertrag entsteht heißen: Antrag / Anbot / Offerte und Annahme.
Eine Partei, der Offerent, Anbot- oder Antragsteller schlägt idR vor, einen Vertrag eines bestimmten Inhalts zu schließen und der andere Teil (der Anerklärte oder Oblat) nimmt den gemachten Vorschlag (vollinhaltlich!) an. – Ein Antrag kann von beiden (potentiellen) Vertragsparteien gestellt werden.
Nicht immer läuft (in der Praxis) der Vorgang des Vertragsschlusses so einfach und „modellhaft” ab, wie hier geschildert. Nicht selten kommt es zu einem längeren hin und her – sog Vorverhandlungen (vgl § 861 Satz 2 ABGB), ehe ein endgültiger Antrag und eine endgültige Annahme erfolgen. Antrag, Antragsablehnung und Gegenantrag gehen oft nur schwer unterscheidbar ineinander über. – Schon während der Dauer der Vorverhandlungen sind die verhandelnden Parteien aber zu gegenseitiger Sorgfalt verpflichtet und haften für verschuldete Schädigung des Verhandlungspartners; mehr zum Vorfeld vertraglicher Einigung im Rahmen der Haftung für cic → KAPITEL 6: Cic ¿ culpa in contrahendo.
Vorverhandlungen
Im Wirtschaftsleben werden Anträge / Offerte häufig (unrichtig!) als „Aufträge” bezeichnet. Der „Auftrag” ist aber ein eigener Vertragstypus. Dazu und zu weiteren terminologischen Verwirrungen → KAPITEL 12: Zum Begriff. – Zu vermeiden ist auch der Begriff Angebot, weil es sich dabei um einen ökonomischen Terminus handelt. Korrekt sollte von Offerte, Anbot oder Antrag gesprochen werden. Der alte Begriff für Antrag, nämlich „Versprechen” – vgl noch § 861 ABGB und schon Martinis Entwurf (1796) und WGGB (1797) – ist heute nicht mehr üblich. – Zum Dissens → Der Dissens
Schlampige Terminologie
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4. Vertrag und Form
Verträge werden grundsätzlich formfrei – dh mündlich oder schriftlich – gültig geschlossen. Nicht selten vereinbaren aber Parteien, ohne dazu gesetzlich gezwungen zu sein, eine sog gewillkürte – dh eine sich selbst auferlegte – (Schrift)Form. Gerade bei umfangreichen, wichtigen und schwierigen Vertragswerken ist dies sinnvoll; sei es als Gedächtnisstütze, zur besseren Beweisbarkeit oder überhaupt zur Abschlussklarheit etc. Damit werden auch allfällige Unklarheiten darüber ausgeräumt, ob überhaupt (schon) ein Vertrag geschlossen wurde oder nicht, denn auch das kann strittig sein.
Mit der Unterfertigung eines schriftlichen Vertrags durch beide Vertragsparteien wird der Vertrag perfekt, also gültig geschlossen. – Dasselbe gilt natürlich für die mündliche Einigung der Parteien, die durch den Zugang der beiden korrespondierenden Willenserklärungen erfolgt.
Vom gültigen, perfekten Vertragsschluss ist – wie wir schon wissen – die Vertragserfüllung zu unterscheiden. Mehr zur Form → KAPITEL 15: Die Form (im Privatrecht).
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5. Schlüssiger und stillschweigender Vertragsschluss
Verträge können aber auch – wie wir gehört haben – schlüssig und sogar stillschweigend geschlossen werden, ohne dass auch nur ein Wort gesprochen wird: So beim Kauf im SB-Laden, wo sie ihre ausgewählten Waren auf das Kassenförderband legen und der Kassier wortlos die Preise eintippt / -scannt und sie wortlos zahlen; § 863 ABGB.
Beispiel
• Zu § 863 ABGB → Arten von Willenserklärungen: § 863 ABGB
• Zur Punktation (§ 885 ABGB) → KAPITEL 15: Punktation und → KAPITEL 6: Vorvertrag <-> Punktation.
• Zu Vertragsfreiheit und Privatautonomie → Vertragsfreiheit und Privatautonomie
• Zum Vertragsschluss unter Zugrundelegung von AGB → KAPITEL 6: Allgemeine Geschäftsbedingungen.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 5. 4. 2000, 9 Ob A 40/00y, JBl 2001, 192: Gewährt der Arbeitgeber regelmäßig und vorbehaltslos bestimmte Leistungen an seine Arbeitnehmer, gilt dies als schlüssiges Anbot (§§ 863, 914 ABGB), dies auch künftig zu tun. Nehmen die Arbeitnehmer diese Zahlungen entgegen, so liegt darin eine schlüssige Annahme. So werden die Leistungen (dieser Betriebsübung) Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge.


Vertragsschluss: §§ 861 ff ABGB
Abbildung 5.8:
Vertragsschluss: §§ 861 ff ABGB
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6. Vorbild deutsches BGB
Der Bereich der Rechtsgeschäfts- und Vertragslehre wurde durch die III. TN (1916) zum Teil neu gefasst, wofür das dtBGB (von 1900) als Vorbild diente. Manches wurde zwar nicht übernommen, stellt aber dennoch eine wichtige Argumentationshilfe für die österreichische Rspr und das Schrifttum dar. Auch auf die dtRspr (BGH) wird immer wieder – offen oder verdeckt – zurückgegriffen. Vgl nur in Bezug auf den Vertragsschluss die §§ 130, 131, 147 ff dtBGB oder die Rspr: etwa EvBl 1983/12 → KAPITEL 6: Rechtsprechungsbeispiele .
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II. Antrag und Annahme
1. Voraussetzungen einer gültigen Offerte
Eine Offerte muss zwei Voraussetzungen erfüllen, um gültig zu sein. Sie muss:
inhaltlich bestimmt sein; dh, sie muss bereits die wesentlichen Vertragspunkte enthalten (beim Kauf etwa: Kaufgegenstand und Kaufpreis) und
Bestimmtheit
• einen endgültigen Bindungswillen erkennen lassen; dh die Offerte muss so gestaltet sein, dass der darin vorgeschlagene Vertrag durch ein einfaches „Einverstanden” oder „Ja” des anderen Vertragsteils zustande kommen kann. Ein endgültiger Bindungswille ist anzunehmen, wenn der Antragsteller dem Anerklärten / Oblaten das Gestaltungsrecht einräumt, den Vertrag mit dem von ihm vorgeschlagenen Inhalt (ohne weiteres eigenes Zutun) zustandezubringen. Diese Frage ist nicht immer einfach zu beantworten. – Wir merken uns: Der Bindungswille muss sich bereits in der Offerte manifestieren, wozu auch die Übung des redlichen Verkehrs (§ 914 ABGB) heranzuziehen ist.
Bindungswille
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1999, 602: Angenommener Bindungswille bei Abschluss eines Mietvertrags trotz Vorbehalts eines noch zu formulierenden Räumungsvergleichs (→ KAPITEL 6: Anwendungsbereich des MRG): Die Abrede anlässlich der Verlängerung eines Mietvertrags, demnächst einen neuen Räumungsvergleich mit dem schon bisher üblichen Inhalt abzuschließen, schließt den Bindungswillen bezüglich der Vertragsverlängerung nicht notwendig aus. Kommt dann wegen Änderungswünschen des Vermieters der Räumungsvergleich nicht zustande, ist der vollstreckbare Räumungsanspruch aus dem früheren Vergleich erloschen, aber das Mietverhältnis (dennoch) verlängert.
OGH 14.9.1999, 4 Ob 238/99z, EvBl 2000/42: Zur Bestimmtheitheit einer Untermietvereinbarung.


Erfordernisse einer gültigen Offerte
Abbildung 5.9:
Erfordernisse einer gültigen Offerte
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2. Gestaltungsrecht des Anerklärten /Oblaten
Diese Kriterien einer gültigen Offerte müssen deshalb erfüllt werden, weil der Anerklärte / Oblat ab Zugang der Offerte ein einseitiges Gestaltungsrecht erlangt, den Vertrag zustande zu bringen oder nicht und der Antragsteller gar keinen Einfluss mehr darauf hat, ob ein Vertrag zustande kommt oder nicht. Daher muss die Offerte alles beinhalten, was der Offertsteller im Vertrag geregelt wissen will. – Fehlt eines der beiden (in Pkt 1 genannten) Kriterien liegt bloß eine Einladung zur Offerte vor. – Mit dem Zugang der Offerte ist – um einen Begriff des Kartenspiels zu verwenden – „ausgespielt” und ab diesem Zeitpunkt gilt: „Was liegt, das pickt!”
Beispiel
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3. An wen richtet sich eine Offerte?
Offertstellungen / Anträge richten sich üblicherweise an bestimmte Personen. Aber dies ist nicht unbedingt nötig. Offertstellungen sind nämlich heute auch an einen unbestimmten Personenkreis zulässig; zB beim Automatenkauf oder einem Versandhauskatalog → Beispiele: Automatenkauf, Kauf im SB-Laden etc
Offertstellungen der öffentlichen Hand sind mittlerweile gesetzlich geregelt und folgen eigenen Regeln. Für den Bereich des Bundes wurde ein BundesvergabeG / BVergG 1993, BGBl 462 beschlossen, womit das Vergabewesen auf eine gesetzliche Grundlage gestellt wurde. Daneben existieren einschlägige Landesgesetze. – Öffentliche Aufträge spielen zB im Bauwesen eine wichtige Rolle.
Offertstellungen der öffentlichen Hand: Vergaberecht
Die §§ 29 ff BVergG behandeln das „Angebot”, die §§ 32-43 leg cit das Zuschlagsverfahren und die Prüfung der „Angebote”; § 40 BVergG enthält das sog Bestbieterprinzip. – Daneben bestehen landesrechtliche Vergabevorschriften.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 28. 3. 2000, 1 Ob 201/99m, JBl 2000, 519 = EvBl 2000/166: Überträgt eine Gemeinde die Durchführung eines Bauvorhabens einem Privaten, so haftet sie dennoch selbst für die Einhaltung der Vergabenormen; va Gleichbehandlungsgebot und Diskriminierungsverbot.
Sonderregeln über die Behandlung von Offerten / Anträgen enthält auch die KO; § 26 Abs 2: Anträge, die vor der Konkurseröffnung vom Gemeinschuldner noch nicht angenommen worden sind, bleiben aufrecht, sofern nicht ein anderer Wille des Antragstellers aus den Umständen hervorgeht. – § 26 Abs 3 KO: An Anträge des Gemeinschuldners, die vor der Konkurseröffnung noch nicht angenommen worden sind, ist der Masseverwalter nicht gebunden.
Sonderregeln der KO
Literaturquelle
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4. Antrag und Annahme als zugangsbedürftige Willenserklärungen – Zugang
Antrag und Annahme sind einseitige, empfangs- oder zugangsbedürftige Willenserklärungen. – Empfangsbedürftig ist eine Willenserklärung dann, wenn sie erst mit Zugang wirksam wird. – Zugegangen ist eine Willenserklärung, wenn sie so in den Machtbereich des Geschäftspartners (Anerklärten / Adressaten) gelangt ist, dass dieser sich von ihr Kenntnis verschaffen kann (!). Es kommt also nicht darauf an, dass sich der Anerklärte tatsächlich Kenntnis verschafft hat! Es muss nur nach der Verkehrsanschauung die Möglichkeit dazu bestehen. – Gültiger Zugang setzt auch voraus, dass die jeweilige Erklärung mit Willen des Erklärenden seinen Machtbereich verlassen und den des Anerklärten (Oblaten / Adressaten) erreicht hat. Daher ist kein Zugang anzunehmen, wenn sich der Adressat selbst Kenntnis von ihrem Inhalt (zB noch im Machtbereich des Erklärenden) verschafft hat; vgl das Beispiel oben → Einteilung nach ihrer Entstehung: Zimmerkündigung.
Der wirksame Zugang einer empfangsbedürftigen Willlenserklärung setzt (zumindest dann, wenn die Erklärung für den Erklärungsempfänger nicht nur Vorteile mit sich bringt,) auch die Geschäftsfähigkeit des Erklärungsempfängers voraus; SZ 54/72, SZ 57/52; JBl 1991, 113; DRdA 1996/18 (Anm Dullinger). – Dieser Grundsatz gilt auch für die Kündigung (als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung) im Arbeitsrecht; EvBl 2000/96: Unwirksame Entlassungserklärung, weil der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Zustellung der Entlassungserklärung geschäftsunfähig war.
Geschäftsfähigkeit des Erklärungsempfängers
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1999/156: Ein/e Versicherungsantrag / -Polizze ist dem Versicherer zugegangen, wenn er/sie beim Versicherungsagenten eingelangt ist. Das Risiko unrichtiger Übermittlung des Antrags trägt der Versicherer; (vertrauenstheoretisches) Sphärendenken.
Wer sich auf den Zugang einer Willenserklärung beruft, hat dies zu beweisen, ihn trifft die Beweislast. Der Beweis des Absendens der Erklärung reicht aber nicht aus und bildet keinen Prima facie-Beweis / Anscheinsbeweis für den Zugang; vgl JBl 1984, 487.
Beweislast


Empfangsbedürftigkeit und Zugang
Abbildung 5.10:
Empfangsbedürftigkeit und Zugang
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5. Antragsbindung
Mit Zugang der Offerte beim Anerklärten / Oblaten /Erklärungsempfänger entsteht die sog Antragsbindung. Sie ist eine grossartige Schöpfung der Redaktoren des ABGB, wahrscheinlich Zeillers; § 862 letzter Satz (alt).
Literaturquelle
Das (W)GGB 1797 (III 1 § 6) kennt die Antragsbindung noch ebenso wenig wie das ALR (I 5 §§ 90 ff insbesondere 103 ff) und gewährt dem Gegner des Antragstellers bei vorzeitiger Antragsrücknahme durch den Offertsteller nur einen Entschädigungsanspruch. Unrichtig Flume (Das Rechtsgeschäft 640 [1965]), der die Entdeckung der Antragsbindung bereits dem ALR zuschreibt. Spätere Kodifikationen und Entwürfe (vgl insbesondere Art 319 ADHGB, § 145 dtBGB und Art 3 Schweizer OR) folgen der Lösung des ABGB, das demnach wichtige legistische Pionierarbeit leistete. Dem gemeinen Recht war die Antragsbindung noch fremd. – Europäisierung und Internationalisierung des Privatrechts drohen diese Errungenschaft wieder zu verlieren; vgl Wiener Kaufrecht !
Rechtsgeschichte
Antragsbindung meint, dass der Antragsteller ab Zugang seiner Offerte beim Oblaten, die Offerte nicht mehr (einseitig) zurücknehmen / widerrufen oder auch nur inhaltlich abändern / modifizieren kann; § 862 Satz 3 ABGB: „Vor Ablauf der Annahmefrist kann der Antrag nicht zurückgenommen werden”. – Dazu → Antragsbindung Vgl auch § 145 dtBGB.
Was bedeutet Antragsbindung?
Mit Zugang der Offerte (Eintritt der Antragsbindung) erlangt der Geschäftspartner / Anerklärte/Adressat ein (einseitiges) Gestaltungsrecht dahingehend, den Vertrag zustande zu bringen oder den gemachten Vorschlag abzulehnen, was auch stillschweigend erfolgen kann. Ohne weiteres Zutun des Antragstellers kommt es idF zum Vertragsschluss, wenn der Anerklärte annimmt und seine (gültige) Annahmeerklärung dem Offerenten zugeht. – Mit Vertragsschluss entstehen dann die vereinbarten Rechte und Pflichten; vor allem beidseitige Erfüllungsansprüche. Kein Vertragsteil kann nunmehr einseitig vom Vereinbarten abgehen; pacta sunt servanda: lex contractus.
Gestaltungsrecht des Anerklärten


Antragsbindung
Abbildung 5.11:
Antragsbindung
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6. Widerruf und Existentwerden der Offerte
Bis zum Zugang der Offerte, also spätestens gleichzeitig mit deren Zugang, kann die Offerte aber noch zurückgenommen / widerrufen oder inhaltlich abgeändert werden. – Eine solche Offerte gilt dann (allenfalls) als neue Offerte.
Mit Einwurf des Briefes (der die Offerte enthält) in den Postkasten (Absendung / Entäußerung der Offerte; Verlassen der Sphäre des Anstragstellers) durch den Offerenten wird die Offerte zwar noch nicht (rechts)wirksam, aber doch „existent”; dh sie zeitigt bereits gewisse rechtliche Wirkungen, führt aber noch nicht zur Antragsbindung: vgl etwa § 862 letzter Satz ABGB.
Existentwerden einer Willenserklärung meint nicht Zugang
Beispiel
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7. Anträge unter Anwesenden und Abwesenden
Grundsätzlich müssen Anträge unter Anwesenden sogleich / sofort angenommen werden (§ 862 Satz 2 ABGB), sonst erlischt der Antrag und der Antragsteller ist nicht weiter gebunden. – Es bestehen aber Ausnahmen zu diesem Grundsatz:
• Bedient sich ein Antragsteller des Telefons (telefonischer Antrag), gilt dies als Antrag unter Anwesenden und ist daher sogleich anzunehmen; § 862 Satz 2 ABGB. Vgl auch Art 4 Abs 2 SchwOR. – (Tele)Fax und e-mail sind dagegen Anträge unter Abwesenden. Ein Telefax erfüllt grundsätzlich auch nicht das Formgebot der Schriftlichkeit; JBl 1994, 119.
telefonischer Antrag
• Umgekehrt werden auf übergebene schriftliche Offertstellungen – trotz Übergabe unter Anwesenden – die Regeln der Offerte unter Abwesenden angewandt; Grund: Eine schriftliche Offerte (zB ein Vertragsentwurf) muss erst gelesen und studiert werden!
schriftliche Offerte
Für Anträge unter Abwesenden gilt nach § 862 Satz 2 ABGB ferner folgendes: Nach Zugang der Offerte steht dem Geschäftspartner / Anerklärten eine angemessene Überlegungsfrist zu, innerhalb der er annehmen oder ablehnen kann. Dazu kommt bspw der Postweg retour. Verstreicht diese Frist ungenützt, erlischt die Offerte von selbst, also ohne weiteres Zutun. Andernfalls kommt der Vertrag mit Zugang der Annahmeerklärung beim Offertsteller / Offerenten zustande.
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8. Unbefristete und befristete Anträge
Anträge können befristet oder unbefristet gestellt werden:
Sie müssen nach § 862 Satz 1 ABGB „innerhalb der vom Antragsteller bestimmten Frist angenommen werden”; dh der Zugang (!) der Annahme muss spätestens am letzten Tag der Frist erfolgen. Es genügt daher nicht, wenn die Annahmeerklärung am letzten Tag der Frist erst zur Post gegeben wird.
Befristete Anträge
In der kaufmännischen Praxis werden befristete Offertstellungen vor allem deshalb abgegeben, weil ein/e OfferentIn die gemachten Konditionen (Preis-Leistungsverhältnis) idR nur für eine bestimmte überschaubare Zeit garantieren kann und will; zB Offerte für den Druck eines Buches. – Zusätzlich wird mit einer Befristung / Terminisierung kaufmännisch ein gewisser Entscheidungsdruck ausgeübt. Etwa: Eine Druckerei wird von einem Verlag aufgefordert eine Offerte für ein bestimmtes Publikationsprojekt zu legen und bietet ihre Leistungen konkret aufgeschlüsselt nach einzelnen Positionen bis zu einem Endtermin an. Danach erlischt die Offerte ohne weiteres zutun.
Kaufmännische Praxis


Offerte: Dauer der Antragsbindung
Abbildung 5.12:
Offerte: Dauer der Antragsbindung
Unterscheide folgende – in der Graphik ausgewiesene – Stadien der Willenserklärung: Willensbildung, Willensäußerung, Übermittlung, Zugang, Kenntnisnahme (jeweils der Willenserklärung).
Für unbefristete Anträge gilt die gesetzliche Regelung; dh: dem Geschäftspartner steht eine angemessene, sich nach den jeweiligen Umständen richtende, Überlegungsfrist zur Verfügung. Dazu kommt der Postlauf für die Annahmeerklärung. – Will man die Unsicherheit in Bezug auf die konkrete Dauer der „angemessenen” Überlegungsfrist vermeiden, empfiehlt es sich, befristet zu offerieren. Denn die Dauer der Überlegungsfrist ist gesetzlich nicht festgelegt und hängt vom konkreten Geschäft ab; insbesondere von dessen Größe und Bedeutung für den Annehmenden. – Faustregel: Fax kann mit Fax, Telegramm mit Telegramm, e-mail mit e-mail rechnen. Das Beförderungsmittel der Offerte sollte daher grundsätzlich auch für die Annahme gewählt werden.
Unbefristete Anträge
Die gesetzliche Gesamtfrist bei unbefristeten Offertstellungen setzt sich daher zusammen aus: Postlauf / iSv Beförderung hin + angemessene Überlegungsfrist + Postlauf / iSv Beförderung retour.
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1977/81: § 862 ABGB (§ 862a ABGB): Die Annahmeerklärung ist eine dem Offerenten (gegenüber) zugangsbedürftige Willenserklärung. – Es trifft zu, dass die §§ 862, 862a ABGB nicht zwingendes Recht sind. Die (Sachverhalts)Feststellungen bieten aber keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Parteien von der in diesen Bestimmungen getroffenen Regelung einverständlich abgegangen wären. Es ist daher nicht zielführend, wenn die Klägerin argumentiert, die Frage, ob sich die Beklagte auch nach dem 30.11.1970 an ihr Anbot gebunden erachtet hätte, müsse nach dem Inhalt ihrer Revisionsausführungen bejaht werden; hiezu komme, dass aus dem Anbotstext der Beklagten vom 11.11.1970 „nicht zwingend” abgeleitet werden könne, die schriftliche Annahmeerklärung hätte bereits am 30.11.1970 in Händen der Beklagten gewesen sein müssen. Wie schon das Berufungsgericht uH auf die Lehre zutreffend dargelegt hat, ist die Annahmeerklärung nach der aus § 862a ABGB abgeleiteten und herrschenden Zugangstheorie eine dem Offerenten zugangsbedürftige Willenserklärung. War daher, wie im vorliegenden Fall, im Anbot selbst eine Annahmefrist und eine bestimmte Form der Annahmeerklärung vorgesehen, dann konnte diese Annahmeerklärung nur dann rechtswirksam erfolgen, wenn sie in der bedungenen Form und vor Ablauf der gesetzten Annahmefrist dem Offerenten zugegangen war, so dass er sich unter normalen Verhältnissen vom Inhalt der Annahmeerklärung in der vorgesehenen Form Kenntnis verschaffen konnte; dazu Gschnitzer, AllgT1 145. Da dies nicht der Fall war, haben die Vorinstanzen mit Recht das Erlöschen des Anbots vom 11.11.1970 zufolge Ablaufs der Annahmefrist angenommen.
Beispiel


Vertragsschluss: Vorgänge und Sphären
Abbildung .12:
Vertragsschluss: Vorgänge und Sphären
Gschnitzers Skizze zeigt sehr schön die drei Sphären beim Vertragsschluss – die Sphäre des Antragstellers, die neutrale Sphäre (im Rahmen der Beförderung von Antrag und Annahme) sowie die Sphäre des Empfängers / Oblaten. – Dieses Sphärendenken ist nicht ohne Bedeutung, zumal dadurch Übermittlungsfehler rechtlich zugerechnet werden können. So ist ein Fehler in der neutralen Sphäre entweder dem Offerenten oder für die Beförderung der Annahmeerklärung dem Oblaten / Empfänger zuzurechnen, nicht dagegen dem jeweils Anerklärten. Es wäre denn etwas anderes vereinbart worden. – Ein anderer wichtiger Bereich für das Sphärendenken ist bspw der Werkvertrag → KAPITEL 12: Gefahrtragung beim Werkvertrag.
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III. Sonderfälle des Vertragsschlusses
1. Einladung zur Offerte
invitatio ad offerendumVon einer gültigen und verbindlichen Offerte zu unterscheiden ist die bloße Einladung zur Offerte / invitatio ad offerendum; zB ein Zeitungsinserat oder Waren im Schaufenster. – Für den privaten (zB: Sie wollen in ihrer Wohnung neue Jalousien montieren lassen und laden mehrere Firmen ein, verbindliche Offerten zu legen) und geschäftlichen Gebrauch dient die Einladung zur Offerte dazu, um sich über die vertragliche Leistung und insbesondere ihren Preis einen (Markt)Überblick zu verschaffen; Ermitteln des Bestbieters und des konkreten Leistungsinhalts. – Einladungen zur Offerte dienen aber auch dazu (vgl Zeitungsinserat!), um sich aus den einlangenden Offerten, das einem am besten Zusagende auszusuchen. Beim Vermieten einer Wohnung ist auch die Persönlichkeit des Mieters / der Mieterin von Bedeutung.
Zur Abgrenzung von Auslobung und Einladung zur Offerte → Die Auslobung: §§ 860, 860a, 860b ABGB
Neben der „Einladung zur Offerte“ hat sich in der Rechts- und Wirtschaftspraxis als Instrument zur Geschäftsanbahnung die Einladung zur „Abgabe einer Interessenbekundung“ entwickelt. Die Republik Österreich (vertreten durch Lehmann Brothers Bankhaus AG, Frankfurt/Main) fordert bspw im Rahmen ihrer politisch fragwürdigen Privatisierung von fünf Bundeswohnbaugesellschaften allfällige Interessenten auf, eine „Interessenbekundung abzugeben, die als Grundlage weiterer Schritte dienen soll“.


Besonderheiten beim Vertragsschluss
Abbildung 5.13:
Besonderheiten beim Vertragsschluss


Sonderfälle des Vertragsschlusses
Abbildung 5.14:
Sonderfälle des Vertragsschlusses
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2. Offerte solange der Vorrat reicht
Von der bloßen Einladung zur Offerte zu unterscheiden ist die Offerte solange der Vorrat reicht; dazu zählen zB Speisekarten und häufig Versandhauskataloge. Sie ist bereits gültige Offerte, wenngleich – und das lässt den Unterschied wiederum unsicher werden – eingeschränkt durch den begrenzten Vorrat des Offerenten, den eigentlich nur er selber kennt. Allein das Geschäftsinteresse ist im Normalfall ein hinreichendes Korrektiv. – Im Geschäftsleben ist sie für Massengeschäfte nötig; zB Bestellungen nach Versandhauskatalogen, Prospekten, Presseaussendungen udglm. Der Offerent sichert sich (für alle Fälle) gegen eine unbekannte – allenfalls zu große – Nachfrage ab. Andernfalls könnten so viele Bestellungen eingehen, dass sie nicht erfüllt werden können.
Sowohl Speisekarte, als auch Versandhauskataloge könn(t)en daher auch als bloße Einladung zur Offerte zu deuten sein. – Definitive Antworten können nur nach einer Beurteilung im konkreten Einzelfall gegeben werden.
Beispiel
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3. Beispiele: Automatenkauf, Kauf im SB-Laden etc
Zu prüfen ist jeweils: Worin liegen Antrag und Annahme ?


Worin liegen Antrag und Annahme?
Abbildung 5.15:
Worin liegen Antrag und Annahme?
Der Folie ist zu entnehmen, dass auch zwei (unterschiedliche) Lösungen möglich sind oder dass im Laufe der Zeit unterschiedliche Lösungen favorisiert wurden. – Zum Vertragsschluss durch öffentliche Verkehrsmittel ist anzumerken: Für bestimmte Verkehrsmittel – etwa die U-Bahn in Wien – sind zum Teil andere Lösungen als für Standardfälle (Bus oder Strassenbahn) angezeigt. – Etwa: Im Regelfall wird der Beförderungsvertrag am Schalter oder am Automaten geschlossen. Durch die Entwertung der Karte wird bloß der Erfüllungszeitraum der Verkehrsbetriebe festgelegt. Das Vorfahren des Zuges und Einsteigen sind bloße Vollzugsakte. Schwarzfahrer schließen den Vertrag durch die oben erwähnte Art: Vorfahren des Zuges (Antrag an einen unbestimmten Personenkreis), Einsteigen (Annahme). Die zu bezahlende „Strafe” ist wohl Konventionalstrafe; § 1336 ABGB.
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4. Veränderte Annahme – Sich kreuzende Offerte
Was ist die Konsequenz einer veränderten „Annahme”? – Es kommt zunächst (überhaupt) kein Vertrag zustande. Es fehlt am nötigen Konsens. – Jedoch: die modifizierende „Annahme” ist als neue Offerte zu deuten. – Nur eine unveränderte Annahme führt zum Vertragsschluss. Das gilt auch für Kleinigkeiten! Konsens bedeutet eben 100%ige Übereinstimmung und nicht nur 99%ige.
Vgl § 150 dtBGB: „(1) Die verspätete Annahme eines Antrags gilt als neuer Antrag.
§ 150 dtBGB
(2) Eine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrage.”
Beispiel
Im Geschäftsleben kann es aber vorkommen, dass Geschäftspartner unabhängig voneinander der anderen Partei eine Offerte (zB auf Verkauf und Kauf zu identen Bedingungen) zusenden; sog Kreuzofferte. Man lässt in einem solchen Fall den Vertrag mit dem Zugang beider Anträge zustande kommen.
Sog Kreuzofferte
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5. Verspätete Annahme?
Was bewirkt eine verspätet zugehende Annahme? – Gesetz lesen: § 862a Satz 1 ABGB. Überlegen Sie, warum der Gesetzgeber diese und keine andere Regelung getroffen hat. – Vgl auch gleich unten → Annahme durch Stillschweigen?: Annahme durch Stillschweigen!
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6. Die Sonderfälle des § 864 ABGB
Die Erfüllung bedeutet einen Verzicht auf eine ausdrückliche Annahmeerklärung. Man spricht hier auch von einem Vertragsschluss ohne (ausdrückliche) Annahmeerklärung oder von „stiller” Annahme, weil dem Antrag (ohne „formelle” Annahmeerklärung) bloß durch tatsächliche Ausführung entsprochen wird; vgl JBl 1969, 337. Das Gesetz trifft diese Regelung aus Gründen der Vereinfachung des Vertragsschlusses und kaufmännischer Rationalisierung. Deshalb verzichtet es auf eine mündliche oder schriftliche Annahmeerklärung der Offerte. – Das Kaufhaus sendet bspw die bestellte Ware innerhalb angemessener Frist (!) zu, ohne vorher (separat) schriftlich angenommen zu haben. Im Absenden der bestellten Ware liegt das tatsächliche Entsprechen iSd Gesetzes.
Annahme durch tatsächliches Entsprechen: § 864 Abs 1 ABGB
Um eine willkürliche Anwendung dieser gesetzlichen Ausnahmeregel auszuschalten, schränkt das Gesetz selbst ihre Anwendung durch den Hinweis auf die Natur des Geschäfts und die Verkehrssitte ein.
Beispiel
Das Gesetz stellt nunmehr (ab 1.1.1997, BGBl I 6) ausdrücklich klar, dass unbestellte Ware weder bezahlt, noch aufbewahrt oder zurückgesandt werden muss, sondern sogar weggeworfen / entsorgt werden kann. Ausnahme: Die zugesandte Sache ist – den Umständen nach erkennbar – irrtümlich an den Empfänger gelangt; zB Postbote legt Päckchen (der Nachbarin) ins falsche Hausbrieffach ein. – Das Behalten, Verwenden (zB Notizenmachen in einem Buch) oder Verbrauchen solcher Sachen gilt daher bei unbestellter Ware nicht mehr als (Real)Annahme einer (Real)Offerte!
Zusendung unbestellter Waren: § 864 Abs 2 ABGB
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7. Annahme durch Stillschweigen?
Wie steht es um die rechtsgeschäftliche Bedeutung des Stillschweigens? Gibt es auch eine Annahme durch (Still)Schweigen des Vertragspartners? – Grundsätzlich nicht! Denn Schweigen gilt rechtlich – und zwar sowohl im bürgerlichen wie im Handelsrecht (vgl HS 6227 [1968]) – als Ablehnung und nicht als Zustimmung zum Vertragsschluss. Daher keine Geltung des Satzes: Qui tacet consentire videtur; vgl etwa SZ 55/106 (1982) oder JBl 1974, 373. Nur unter besonderen Umständen kann Stillschweigen als Annahme gewertet werden, nämlich dann, wenn der sich nicht Äußernde nach Vertrag, Gesetz, nach der Verkehrssitte oder nach Treu und Glauben hätte reden/sich äussern müssen.
Stillschweigen bedeutet grundsätzlich Ablehnung
Hier geht es um die Bedeutung schlichten Stillschweigens, nicht um ein sonstiges Verhalten iSd § 863 ABGB, wo zwar auch das Stillschweigen eine Rolle spielen kann, aber häufig zusätzlich Handlungen gesetzt werden, die objektiv einen bestimmten Erklärungswert besitzen, weshalb der Rechtsgeschäftspartner Vertrauensschutz verdient.
Das Gesetz selbst macht aber wichtige Ausnahmen:
Ausnahmen
§ 862a Satz 2 ABGB: Rechtzeitige Absendung – verspäteter Zugang – „Trotz ... Verspätung [der Annahme] kommt jedoch der Vertrag zustande, wenn der Antragsteller erkennen musste [zB durch den Poststempel oder das Maildatum!], dass die Annahmeerklärung rechtzeitig abgesendet wurde, und gleichwohl seinen Rücktritt dem andern nicht unverzüglich anzeigt.” – Regeln wie diese sorgen für einen klaglosen und effizienten Ablauf des rechtsgeschäftlichen Verkehrs, was zentraler Gedanke des Vertrauensschutzes ist.
Diese Lösung des Gesetzes trägt den Interessen beider Verhandlungspartner Rechnung: Denen des Offerenten, der schon anders disponiert haben kann, und denen des Annahmenden, der korrekt gehandelt hat. Dem Offerenten gebührt aber ein vorrangiger (Verkehrs)Schutz; daher sein Rücktrittsrecht.
• Bei der Freibleibend-Offerte muss der Offerent unverzüglich nach dem Zugang der Annahmeerklärung ablehnen. Sein Stillschweigen oder zu langes Zögern gilt als (fingierte) Zustimmung → Die (allgemeine) Freibleibend-Offerte;
• § 1081 ABGB: Kauf auf Probe (Gesetz lesen) → KAPITEL 2: Nebenabreden beim Kauf, S. 66;
• § 362 HGB: sog Antrag zur Geschäftsbesorgung. Vgl damit § 1003 ABGB, dessen Rechtsfolge weniger weit geht: bloße Haftung für Vertrauensschaden → KAPITEL 6: Wofür wird bei cic gehaftet?.
Zum Auftrag als Vertragstypus der Geschäftsbesorgung → KAPITEL 12: Der Auftrag.


§ 362 HGB – § 1003 ABGB
Abbildung 5.16:
§ 362 HGB – § 1003 ABGB
• Im Mietrecht spielt das Stillschweigen bei Vertragsverlängerungen eine Rolle; vgl § 1114 ABGB: „Der Bestandvertrag kann aber nicht nur ausdrücklich; sondern auch stillschweigend erneuert werden ....” ZB dann, wenn das zeitlich befristete Bestandverhältnis nach Ablauf der Bestandzeit fortgesetzt wird, „und der Bestandgeber es dabei bewenden lässt.” – § 1115 ABGB bestimmt, dass die „stillschweigende Erneuerung des Bestandvertrages ... unter den nämlichen Bedingungen [geschieht] unter welchen er vorher geschlossen war.” Dort wird auch geregelt für wie lange die stillschweigende Vertragsverlängerung gilt. – Vgl zB auch § 29 Abs 3 MRG.
Mietrecht
Schweigen wird von der Rspr auch dann rechtlich als Zustimmung gewertet, wenn eine Pflicht zur Äußerung bestanden hat. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Schweigende nach Gesetz oder redlicher Verkehrsübung (Treu und Glauben → KAPITEL 11: Treu und Glauben) hätte reden müssen.
Beispiel
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8. Realofferte und Realannahme
Man versteht darunter eine Offerte mit gleichzeitiger Übersendung der angebotenen Ware; zB Bücher, Zeitschriften. Dafür trifft nunmehr § 864 Abs 2 ABGB (ab 1.1.1997, BGBl I 1997/6 → Die Sonderfälle des § 864 ABGB) eine neue Regelung für das bürgerliche Recht, während für das Handelsrecht weiterhin § 362 Abs 2 HGB (Aufbewahrungspflicht) gilt.
Realofferte
Auch Real-Annahme ist möglich; zB durch Gebrauch / Benützung: Ins Buch werden Anmerkungen geschrieben! – Oder: Sie beißen bereits im SB-Laden vor Hunger vom Brotwecken ein Stück ab oder trinken aus der Milchflasche. – Zu beachten ist aber auch hier nunmehr § 864 Abs 2 ABGB.
Real-Annahme
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9. Die (allgemeine) Freibleibend-Offerte
Bei normaler Offertstellung tritt die Antragsbindung des Offerenten mit dem Zugang seiner Offerte beim Anerklärten ein. Der Offertsteller muss ab diesem Zeitpunkt – der Partner erlangt ein einseitiges Gestaltungsrecht! – damit rechnen, dass sein Geschäftspartner die Offerte annimmt, wodurch der Vertrag zustande kommt. Der Antragsteller muss daher leistungsbereit sein – dh zB: die Ware vorrätig halten, um den (von ihm angeregten) Vertrag erfüllen zu können. Das zeitigt die Konsequenz, dass der Antragsteller nur ganz bestimmte Anbote stellen kann, wenn sein Warenvorrat begrenzt ist. – Diese oft unerwünschte Konsequenz will die Freibleibend-Offerte ausräumen. Sie ermöglicht es, auch bei einer bloß geringen Anzahl vorhandener Waren, einem viel größeren Interessentenkreis zu offerieren und dadurch die Verkaufschancen zu erhöhen. Im kaufmännischen Geschäftsleben ist die Freibleibend-Offerte deshalb beliebt, weil sie es zulässt, betriebswirtschaftlich flexibler anzubieten, ohne sich zu binden und die Entscheidung über den Vertragsschluss schon zu früh aus der Hand zu geben.
Rasche Antragsbindung soll vermieden werden
Offeriert jemand „freibleibend”, „ohne obligo”, „unverbindlich” udgl, will er als Antragsteller die übliche Antragsbindung vermeiden. – Im Zweifel gilt: Der „Antragsteller” kann hier auch noch die zugegangene „Annahme” ablehnen. Seine „Offerte” wird dadurch zur bloßen Aufforderung / Einladung einen Antrag zu stellen. Die „Annahme” ist dann eigentlich nur der Antrag, der wiederum angenommen oder abgelehnt werden kann.
Zweifelsregel
Offeriert jemand „freibleibend”, muss er aber nach Zugang der „Annahme” seitens des Geschäftspartners nach hA unverzüglich ablehnen, sonst gilt sein Stillschweigen ausnahmsweise als Annahme und der Vertrag kommt zustande; § 862a ABGB iVm § 362 Satz 1 HGB analog. Es handelt sich hier um einen jener Ausnahmefälle, bei denen Stillschweigen als Zustimmung gilt → Annahme durch Stillschweigen?
„Unverzüglich“ ablehnen
Vgl auch oben → Willenserklärung und Rechtsgeschäft – Die Deutung des Stillschweigens als Zustimmung ist rechtstechnisch eine Fiktion; und zwar aus Verkehrsschutzüberlegungen → KAPITEL 13: Erfüllungsfiktion.
Beispiel


Freibleibend-Offerte/FO
Abbildung 5.17:
Freibleibend-Offerte/FO
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10. Klausel „Preise freibleibend”, sog Zirkaklausel
Hier wird ein gültiger und unbedingter Vertrag geschlossen, freilich mit der Nebenabrede, dass der Offertsteller nicht endgültig an den im Vertrag genannten Preis gebunden sein soll, sondern diesen nachträglich auch einseitig (angemessen oder nach im Vertrag festgelegten Kriterien) noch ändern kann. Der vereinbarte Preis ist eben bloß ein vorläufiger, ein Zirkapreis. – Bspw der Verkäufer kann den vereinbarten Preis zwar einseitig, aber nicht willkürlich (!) bis zur Lieferung erhöhen.
Keine Willkür
Mit der Klausel „Preise freibleibend” überbürdet der Verkäufer die sonst von ihm zu tragende Gefahr einer allfälligen Preiserhöhung (zwischen Vertragsschluss und Lieferung) auf den Käufer.
Gefahrüberbürdung
In der Praxis wird eine Zirkaklausel vor allem beim Abschluss von Lieferverträgen (mit Lieferterminen, die zB wenigstens einige Monate nach dem Vertragsschluss liegen oder bei Dauervereinbarungen) über Güter / Waren vereinbart, die am (Welt)Markt größeren und häufigeren Preisschwankungen unterliegen und die – ohne Zusatzvereinbarung – der Verkäufer zu tragen hätte; zB bei Erdöl und seinen Derivaten, Tee, Kaffee, Kakao, Gold udgl.
Bedeutsam für mittel- bis langfristige Lieferverträge
Anders als bei der Freibleibend-Offerte geht es bei der Klausel „Preise freibleibend” nicht darum, ob überhaupt ein Vertrag geschlossen wird oder nicht, sondern nur um die Möglichkeit, auch noch nachträglich den vereinbarten Preis verändern – dh idR erhöhen – zu können. Der Verkäufer kann aber – wie angedeutet – keine Phantasiepreise verlangen. In der Praxis empfiehlt sich das Vereinbaren einer Obergrenze (zB: „maximal 10 %”) oder eines Kriteriums, wonach der Preis erhöht werden kann; zB: „ ... vorbehaltlich einer Erhöhung durch Preisänderungen im Sektor Druck und Papier.” – Oder: Praktisch häufig ist eine Koppelung an den jeweiligen Markt- oder Börsenpreis zum Lieferzeitpunkt. – Bei unbilliger einseitiger Preiserhöhung kann der Richter angerufen werden, der nachträglich korrigierend eingreifen kann. Vgl dazu → KAPITEL 2: Preisbestimmungsmodalitäten; § 1056 ABGB.
Vereinbaren einer Obergrenze ratsam – Überprüfbarkeit durch den Richter


Klausel: „Preise freibleibend”
Abbildung 5.18:
Klausel: „Preise freibleibend”
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11. Das (kaufmännische) Bestätigungsschreiben
Auch wichtige Verträge werden im Rechts- und Wirtschaftsleben oft nur mündlich ausgehandelt: „Einverstanden?” – (vielleicht mit Handschlag) „Einverstanden!” Dennoch besteht im Nachhinein oft das Bedürfnis, den Inhalt des bloß mündlich geschlossenen Vertrags auch schriftlich – wenigstens in seinen Hauptpunkten – niederzulegen.
Beachte
Das Bestätigungsschreiben kommt diesem praktischen Bedürfnis entgegen und legt eine vorangegangene mündliche Vereinbarung nachträglich einseitig schriftlich nieder. Dieses nachträgliche einseitige schriftliche Niederlegen des mündlich Vereinbarten – das jeder Vertragsteil vornehmen kann – dient vor allem der Beweissicherung, aber auch als Gedächtnisstütze. Denn oft wird mündlich keineswegs alles besprochen, Details werden – bewusst oder unbewusst – offengelassen, was Unsicherheit nach sich ziehen kann und die Gefahr birgt, das Versäumte nachzuholen.
Beweissicherung und Gedächtnisstütze
Zur Bedeutung der Form überhaupt → KAPITEL 15: Die Form (im Privatrecht).
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1970, 478: Das kaufmännische Bestätigungsschreiben verfolgt den Zweck, den Inhalt eines mündlich, telefonisch, telegraphisch oder durch Vertreter abgeschlossenen Vertrags zu wiederholen, um etwaige Missverständnisse, Unklarheiten oder sonstige Unstimmigkeiten hintanzuhalten und den Abschluss der Nachprüfung des anderen Teiles zu unterbreiten. – Sachverhalt: Bestellung von Werbeprospekten für ein InfragrillgerätIrrtum im Format: A 4 statt A 3: Ein Angestellter einer Druckerei füllt etwa eine halbe Stunde nach geschlossenem mündlichen Vertrag, um den „Auftrag” festzuhalten, ein betriebsinternes Formular aus, in das er irrtümlich ein falsches Druckformat einträgt: nämlich A 4 statt A 3. Eine Kopie des (falsch!) ausgefüllten Formulars übermittelt er dem Besteller des Druckauftrags, der den Fehler nicht bemerkt, weil er das Formular gar nicht mehr liest; er meinte ohnehin zu wissen, was es enthält. Erst bei Lieferung der gedruckten Prospekte wird der Fehler entdeckt. – Da eine gütliche Einigung misslang und der Besteller die Druckkostenzahlung verweigerte, klagte die Druckerei ihre Werklohnforderung ein. Wie würden Sie entscheiden?
Diese vor allem – aber nicht nur – im kaufmännischen Bereich vorkommende „Übung” soll also eilige, bloß mündlich getroffene Vereinbarungen schriftlich festhalten, um mögliche Unklarheiten und unterschiedliches Verständnis ebenso auszuräumen, wie ein späteres Vergessen oder Abändern des Vereinbarten verhindern. – Kein Problem entsteht, wenn das Bestätigungsschreiben vollständig mit dem mündlich Vereinbarten übereinstimmt. Probleme entstehen dagegen, wenn Bestätigungsschreiben und mündliche Vereinbarung nicht übereinstimmen – sei es unbeabsichtigt oder beabsichtigt – und dem Vertragspartner dies (zunächst vielleicht gar) nicht auffällt, weil er zB das Bestätigungsschreiben nicht mehr liest; vgl den Sachverhalt von JBl 1970, 478. – Ein Problem entsteht uU aber auch dann, wenn die Vertragsparteien zwar eine grundsätzliche Einigung erzielt haben, Details aber entweder gar nicht oder doch nur ‘grob’ erörtert haben und das ‘Fehlende’ nun von einem Vertragsteil in seinem Bestätigungsschreiben (nach seinem Verständnis) schriftlich ergänzt wird.
Worin liegt das Problem?
Zu beachten ist hier grundsätzlich, dass fehlende Parteivereinbarungen durch das Dispositivrecht zu ergänzen sind, keinesfalls aber einseitig durch eine der Vertragsparteien vorgenommen werden darf, sofern dies vom Dispositivrecht abweicht. – Zum Dispositivrecht überhaupt und zu dessen Gerechtigkeitsgewähr → KAPITEL 7: Nachgiebiges und zwingendes Recht.
Bedeutung des Dispositivrechts
Beispiel
Das (kaufmännische) Bestätigungsschreiben ist gesetzlich nicht geregelt, vielmehr ein Geschöpf der (Rechts)Praxis. – Die Rspr hat unser Problem im Laufe der Zeit unterschiedlich behandelt, was zeigt, dass sich die Judikaturmeinung von Höchstgerichten (hier des OGH) ebenso ändern kann, wie die Ansichten im Schrifttum.
Gesetzlich nicht geregelt
Nach älterer Lehre und Rspr (vgl neben JBl 1970, 478 etwa HS 6228)– etwa bis zur Mitte der 70er Jahre – galt Schweigen auf ein zugegangenes Bestätigungsschreiben, außer bei Arglist (, die aber immer schwer zu beweisen ist!), als stillschweigende Zustimmung zur Änderung. Das ist heute noch die deutsche Lösung (vgl etwa BGH NJW 1994, 1288), die jedoch nur für Kaufleute und andere geschäftsgewandte Personen des Wirtschaftsverkehrs gilt, was wohl auch für Österreich sachgerechter wäre, zumal das ABGB den Verkehrsschutz in den Vordergrund stellt → Zur Rechtsgeschäftslehre des ABGB
Heute wird weitgehend die Meinung vertreten, dass grundsätzlich – und zwar ohne Unterscheidung für das bürgerliche und Handelsrecht – am mündlich Vereinbarten festzuhalten ist und dass dem Schweigen (auf ein vom mündlich Vereinbarten abweichendes Bestätigungsschreiben) keine zustimmende Bedeutung gegenüber der mündlichen Vereinbarung zukommt. – Abweichungen davon werden nur ausnahmsweise zugelassen und dies vor allem im kaufmännischen Bereich; zB wenn Änderungen oder Ergänzungen im Bestätigungsschreiben klar als solche gekennzeichnet sind oder nach Treu und Glauben eine Äußerungspflicht desjenigen anzunehmen ist, dem das Bestätigungsschreiben zugeht → Das (kaufmännische) Bestätigungsschreiben und → Arten von Willenserklärungen: § 863 ABGB: § 863 ABGB.
Lösung – Heute
Eingehende Bestätigungsschreiben sind aufmerksam zu lesen! Und zwar von dem, der „dabei” war. Wenn nötig, muss unverzüglich richtiggestellt werden!
Faustregel für die Praxis
Der OGH änderte seine Meinung wegen grundsätzlicher Kritik seitens des Schrifttums; so Wahle in Klang2, IV/2, 37, insbesondere 39 und idF auch F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes 194 (1967), sowie derselbe, Zur Entmythologisierung des „kaufmännischen Bestätigungsschreibens” im österreichischen Recht, in: FS Flume 335 (1978); vgl auch Gschnitzer, AllgT 523 (19922).
Vgl nunmehr etwa SZ 47/83 (1974), SZ 50/112 (1977) oder SZ 55/106 (1982): Das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, das vom wirklich Vereinbarten abweicht, vermag den Vertrag also nicht nachträglich zu ändern, wenn nicht besondere Ausnahmefälle vorliegen. – Diese Position gewichtet eigentlich nur den Grundsatz des pacta sunt servanda.


Das (kaufmännische) Bestätigungsschreiben
Abbildung 5.19:
Das (kaufmännische) Bestätigungsschreiben
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12. § 867 ABGB: Vertragsschlüsse mit der öffentlichen Hand – Zur Geschäftsfähigkeit von Gemeinden
Schließt eine juristische Person des öffentlichen Rechts – die Gemeinde steht im Gesetz dafür als Beispiel – ein (privatrechtliches) Rechtsgeschäft, so ist es ihren Vertragspartnern nicht immer einsichtig, ob auch die (internen) Voraussetzungen für die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts, insbesondere die Abschlussberechtigung, Zuständigkeits- und Formvorschriften, vorliegen. Es gilt daher der Grundsatz: Sich erkundigen oder – noch besser – selbst zB in die Gemeindeordnung Einsicht nehmen, wer abschlussberechtigt ist; der Bürgermeister oder der Gemeinderat oder beide zusammen.
Gemeinde als Beispiel
„Was zur Gültigkeit eines Vertrages mit einer unter der besondern Vorsorge der öffentlichen Verwaltung stehenden Gemeinde (§ 27 ABGB), oder ihren einzelnen Gliedern und Stellvertretern erfordert werde, ist aus der Verfassung derselben und den politischen Gesetzen zu entnehmen (§ 290 ABGB).”
§ 867 ABGB
Wird daher zB mit dem Bürgermeister (allein) ein Vertrag geschlossen, der auch der Zustimmung des Gemeinderats bedarf, ist der Vertrag nach hA – für die es nachhaltig einzutreten gilt – ungültig! Man kann sich also rechtlich nicht darauf verlassen, wenn ein Gemeindeorgan behauptet, für den Abschluss zuständig zu sein. Ungültig ist das Rechtsgeschäft deshalb, weil die nötige Geschäftsfähigkeit (!) der handelnden öffentlichen Körperschaft nur dann vorliegt, wenn diese Körperschaft korrekt, also „statutengemäß”, dh unter Einhaltung bestehender Zuständigkeits- und Formvorschriften – vom richtigen Organ – vertreten wird.
Bürgermeister versprechen immer wieder zuviel
Ein den Vertrag fälschlicherweise abschließendes Organ kann aber eine Haftung der jeweiligen Körperschaft des öffentlichen Rechts – zB für cic – begründen, wobei der haftenden Körperschaft uU wiederum Rückgriffsansprüche zustehen; JBl 1995, 522.
Cic-Haftung
Beachte
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 54/11 (1981): Bestimmungen einer GemeindeO (hier: NÖ), die den Abschluss bestimmter Rechtsgeschäfte dem Gemeinderat vorbehalten, stellen nicht bloß interne Organisationsvorschriften dar, sondern beinhalten eine Beschränkung der allgemeinen Vertretungsbefugnis (richtig: der Geschäftsfähigkeit) des Bürgermeisters.
ZAS 2001, 51/5: Kollidieren die Interessen eines gutgläubigen Dritten an der Gültigkeit seiner mit der öffentlichen Hand geschlossenen Verträge mit dem Interesse der öffentlichen Hand an der Einhaltung ihrer Zuständigkeits- und Formvorschriften, ist bei der eindeutigen Vorschrift einer bestimmten Form des Abschlusses dieser der Vorrang einzuräumen.
SZ 61/241 (1988) – Errichtung eines Abwasserkanals durch eine BauGmbH für eine Salzburger Gemeinde: § 39 der Slbg Gemeindeordnung, wonach mit einer Gemeinde abgeschlossene Verträge zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedürfen, begrenzt in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die Vollmacht der Gemeindeorgane und schließt das konkludente Zustandekommen eines Vertrags aus, nicht aber Bereicherungsansprüche; hier nach § 1042 ABGB → Verwendungsansprüche – Sachverhalt: Die beklagte Gemeinde beauftragte eine BauGmbH, einen Abwasserkanal zu errichten. Im Zuge der Bauarbeiten traten Risse in den Außenwänden des im Eigentum der Republik Österreich stehenden Flussbauhofs auf. Der Auftrag zur Errichtung des Kanals wurde entgegen den Bestimmungen der Slbg Gemeindeordnung bloß mündlich (telefonisch) erteilt. Aus den Entscheidungsgründen des OGH: „ ... Geht man also davon aus, dass jener Werkvertrag, aus dem die Klägerin in erster Linie ihren Anspruch ableitet, mangels Einhaltung der vorgeschriebenen Schriftform nicht rechtswirksam zustande gekommen ist, so scheidet ein vertraglicher Entgeltanspruch der Klägerin aus. Selbstverständlich kann dort, wo die Wirksamkeit eines Vertrages von der Einhaltung bestimmter Formvorschriften abhängig gemacht wird, das konkludente Zustandekommen eines Vertrages nach § 863 ABGB bei Verletzung der Formvorschriften nicht in Frage kommen. Wer mit einer Gemeinde einen Vertrag schließt, muss die für ihre Willensbildung geltenden öffentlichrechtlichen Bestimmungen beachten und sie auch dann gegen sich gelten lassen, wenn er sie nicht gekannt hat ( ...). Der Schutz des Vertrauens auf einen äußeren Tatbestand kommt insoweit nicht in Betracht ( ...).” – Wie die BauGmbH dennoch zu ihrem Geld kam erfahren Sie unter → Ungerechtfertigte Bereicherung
OGH 22. 2. 2000, 1 Ob 14/00s, SZ 73/34: Die Kläger erwerben eine Liegenschaft in Kärnten, zu deren Gutsbestand eine Baufläche mit Haus gehörte; dieses befand sich innerhalb der „roten Zone” des Gefahrenzonenplans, die für Siedlungszwecke ungeeignet ist. Dies war jedoch im Flächenwidmungsplan der beklagten Gemeinde nicht ersichtlich gemacht. Auch der Gemeindesekretär erklärte dem Käufer auf dessen Rückfrage, es liege „alles in der ‚gelben Zone’” und es seien keine „Auflagen zu befürchten”. Als sich der tatsächliche Sachverhalt herausstellt, klagt der Käufer die Gemeinde auf Schadenersatz. – OGH: Behördliche Auskünfte bezwecken den Schutz wirtschaftlicher Dispositionen des Auskunftswerbers (OGH bejaht somit Rechtswidrigkeitszusammenhang); dieser hat daher ein subjektives öffentliches Recht (führt zur Anwendbarkeit des § 1298 ABGB) auf Erteilung einer der Sache nach richtigen Auskunft. Bezieht sich die Auskunft auf eine hoheitlich zu vollziehende Verwaltungsmaterie, ist auch der Realakt der Auskunft selbst eine Maßnahme hoheitlicher Verwaltung; daher Anwendbarkeit des AHG. – OGH ging nicht den einfacheren Weg über die auch für den Bereich des öffentlichen Rechts anerkannte cic-Haftung der Gemeinde nach dem Muster des Golf-Hotel-Falls, der die Probleme fasslicher gelöst hätte; cic iVm § 867 ABGB.


Geschäftsfähigkeit von Gemeinden: § 867 ABGB
Abbildung 5.20:
Geschäftsfähigkeit von Gemeinden: § 867 ABGB
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13. Elektronischer Vertragsschluss – E-Commerce
Immer mehr Menschen haben Zugang zum Internet, immer mehr Verkäufer (zB Versandhäuser) bieten ihre neuen Waren/Kollektionen etc im Medium Internet an (= Einladung zur Offerte).
Die Umsetzung der E-Commerce-RL der EU erfolgte durch das E-Commerce-Gesetz /ECG 2001, BGBl I 152. Das Ziel der RL bestand darin, die kommerziellen Online Angebote und Online Dienste einer vereinheitlichten (Gemeinschafts)Regelung zuzuführen. Damit wird der Rechtsrahmen für Dienstleistungen in der Informationsgesellschaft national und EU-weit ausgebaut.
Nach der Fernabsatz-RL (1997/7/EG) über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, mit der für den Versandhandel und das Verbrauchergeschäft im Internet ein Mindeststandard geschaffen wurde – umgesetzt durch das FernabsatzG, BGBl I 185/1999 – und der Signatur-RL (1999/93/EG) über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen – umgesetzt durch das SignaturG, BGBl I 190/1999 (→ KAPITEL 15: Bundesgesetz über elektronische Signaturen) – folgte nun ein weiterer legistischer Schritt.
Näheres zum ECG und seinen Anwendungsbereich und überhaupt zu „Internet und Recht” → KAPITEL 2: Internet und Recht.
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IV. Der Dissens
Literaturquelle
1. Konsens und Dissens
Wir wissen bereits, dass der Vertragsschluss Konsens voraussetzt. Aber nicht immer gelingt er. Mitunter besteht, ohne dass es den verhandelnden Parteien oder einer von ihnen aufgefallen ist, Dissens; eine Rolle spielt das auch bei sich widersprechenden AGB. Das passiert – bspw in der Eile des Geschäftslebens – leichter als man glaubt. – Dissens, der – wie das AGB-Beispiel zeigt – auch bloß ein Teil-Dissens sein kann, ist anzunehmen, wenn sich die (Willens)Erklärungen beider Parteien – objektiv (!) – nicht decken, obwohl die Parteien (subjektiv) meinen, einig zu sein.
Beim Konsens wird zwischen natürlichem und normativem unterschieden. Jener liegt vor, wenn die Willenserklärungen inhaltlich tatsächlich übereinstimmen; dieser, wenn die Erklärung einer Partei zwar etwas anderes wollte, aber nach der bei entgeltlichen Verträgen anzuwendenden Vertrauenstheorie zugunsten der anderen Partei ausgelegt wird, weil diese nach der Verkehrsauffassung zu schützen war. In beiden Fällen kommt aber ein Vertrag zustande. – Die üblichen (Lehr)Beispiele betreffen den Währungs-”Dissens” (Franken- oder Dollar-Fälle); etwa:
Natürlicher und normativer Konsens
Der eine Teil meinte beim Vertragsschluss Schweizer Franken, der andere französische. Wird der Vertrag in der Schweiz geschlossen oder ist Schweizer Recht anzuwenden, ergibt die Auslegung nach der Verkehrsauffassung, dass Schweizer Franken als vereinbart gelten. Mag das auch nicht dem Willen der einen Partei entsprechen; normativer Konsens. Der Vertrag ist zuzuhalten.
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2. Offener und versteckter Dissens
Innerhalb des Dissenses wird zwischen offenem (er ist den Parteien bewusst und daher unproblematisch) und verstecktem Dissens unterschieden.
• Bei offenem Dissens wissen die Parteien, dass sie noch keinen Konsens erzielt haben. – Auf den offenen Dissens gelangt die gemeinrechtliche Regel: falsa demonstratio non nocet (= Falschbezeichnung schadet nicht) zur Anwendung. Das heißt: Vertragsinhalt wird (nur) das, was die Parteien wirklich wollten (und nicht das anders oder falsch Bezeichnete)! Vgl RGZ 99/147: Haakjöringsköd.
falsa demonstratio ...
Beispiel
Versteckter Dissens liegt vor, wenn beide Parteien meinen oder wenigstens eine meint, Konsens sei erzielt worden, dies aber nicht zutrifft.
Rechtssprechungsbeispiel
Berühmte RGZ-Urteile: – Einen klassischen Fall einer unbewussten Falschbezeichnung / Falsa demonstratio hatte das deutsche Reichsgericht 1920 zu entscheiden; RGZ 99/147: Haakjöringsköd (= norwegisch: Haifischfleisch). Beide Kaufvertragsparteien meinten, es handle sich dabei um Walfischfleisch. Das Reichsgericht betrachtete den Kauf über Walfischfleisch als gültig zustande gekommen.
Ein anderes berühmtes Beispiel des Reichsgerichts betrifft den Kauf von Weinsteinsäure (RGZ 104, 265): Beide Parteien wollten ver kaufen. Da die Erklärungen beider Parteien hier aber objektiv zweideutig waren, war Dissens anzunehmen und die Klage der einen Partei auf Abnahme einer bestimmten Menge wurde abgewiesen. – In diesem Fall wurde also wegen unterlaufenen (versteckten) Dissenses kein gültiger Vertragsschluss angenommen → § 869 Satz 2 ABGB als gesetzliche Dissensregel
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3. § 869 Satz 2 ABGB als gesetzliche Dissensregel
Das ABGB trifft für den (versteckten) Dissens keine detailierte Regelung. § 869 Satz 2 ABGB bestimmt aber, und damit wird der Dissens wenigstens angesprochen:
„ ... oder erfolgt die Annahme unter anderen Bestimmungen, als unter welchen das Versprechen [sc die Offerte] geschehen ist; so entsteht kein Vertrag.”
Rspr und Schrifttum nehmen auf Grund dieser unvollständigen gesetzlichen Regelung in § 869 ABGB häufig stille Anleihen beim dtBGB, das in § 154 den „offenen Einigungsmangel” und in § 155, den „versteckten Einigungsmangel” behandelt. – Die Rechtsfolgen bei unterlaufenem Dissens sind nämlich unterschiedlich und nicht nur iSv § 869 Satz 2 ABGB zu ziehen.
Offener und versteckter Einigungsmangel des dtBGB
Am brauchbarsten erscheinen die Ausführungen Gschnitzers (AllgT1 186), der für die Entstehung von verstecktem Dissens drei Gruppen unterscheidet, die vom Schrifttum gerne „stillschweigend” übernommen werden:
Gschnitzers Lösung für den versteckten Dissens
(1) Die Parteieneinigung ist unvollständig:
Betrifft die Unvollständigkeit einen Hauptpunkt des Vertrags, kommt kein Vertrag zustande; betrifft sie einen Nebenpunkt, lässt Gschnitzer den Vertrag zustande kommen; arg § 885 ABGB (Punktation) iVm mit Ergänzung durch Dispositivrecht. „War freilich die Vereinbarung über die offen gebliebenen Punkte – auch unwesentliche (!) – vorbehalten, ist der Vertrag noch nicht geschlossen”; Gschnitzer aaO.
(2) Die Erklärungen der Parteien stimmen (schon!) dem Wortlaut nach nicht überein und Auslegung vermag diese Kluft nicht zu überbrücken. – Hier besteht die Möglichkeit der Irrtumsanfechtung → Rechtsfolgen von Willensmängeln: Anfechtung, Nichtigkeit und Rückabwicklung
(3) Die Erklärungen stimmen zwar dem Wortlaut nach überein, sind aber objektiv zwei- oder mehrdeutig, und jede Partei versteht sie anders; so etwa im Weinsteinsäurefall des Reichsgerichts. – Hier liegt versteckter Dissens vor und als Rechtsfolge gelangt § 869 Satz 2 ABGB zur Anwendung: „ ...[es] entsteht kein Vertrag.”
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4. Abgrenzung von Dissens und Irrtum
Die Abgrenzung von Dissens und Irrtum bereitet immer wieder Schwierigkeiten. – Als Zusammenfassung und Faustregel mag gelten:
• Missversteht eine Partei eine objektiv (also eindeutig) in bestimmter Weise zu verstehende Erklärung, liegt Irrtum vor;
• ist eine Erklärung dagegen objektiv zweideutig, Dissens.
Dissens berechtigt jeden (!) Vertragsteil, sich iSd § 869 ABGB darauf zu berufen, der Vertrag sei nicht zustande gekommen; beim Irrtum kann nur der Irrende das Geschäft anfechten (§ 871 ABGB), der Vertrag ist aber zunächst als zustande gekommen anzusehen.
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C. Vertragsfreiheit und Privatautonomie
Literaturquelle
I. Allgemeines zur Vertragsfreiheit
1. Freiheit des Vertragsschlusses
Freiheit ist nach den Institutionen Justinians (1, 3) die „natürliche Fähigkeit, das zu tun, was einem jeden zu tun beliebt, sofern es nicht durch Gewalt oder Recht verhindert wird”. Es steht daher auch jedermann frei, Verträge zu schließen oder darauf zu verzichten. Genauer: Wir können selbst bestimmen „ob”, „wie” und „wann” ein Vertrag geschlossen wird und wie lange er gelten soll. Wo kämen wir auch hin, wenn andere einen dazu zwingen oder verpflichten könnten. – Diese Freiheit autonomer rechtsgeschäftlicher, insbesondere aber vertraglicher Betätigung ist ein fundamentales Recht in freien Gesellschaften. Man spricht von Privatautonomie und meint damit, dass die Rechtsordnung es den Parteien des Rechts- und Wirtschaftslebens überantwortet, ihre rechtlichen Fragen und Beziehungen zueinander selbst(verantwortet) zu regeln; Selbstgestaltungsfreiheit von Rechtsverhältnissen.
Die Wirtschaft benötigt rechtliche Rahmenbedingungen. Der Vertrag ist häufig das Mittel, um wirtschaftliches Handeln, ökonomische Zielsetzungen unter den Schutz staatlich-rechtlicher Rahmenbedingungen zu stellen. Im Vertrag begegnen sich gleichsam der Staat und sein Recht und die Parteien des Wirtschaftslebens. Ökonomisches Vertrauen braucht eine rechtliche Basis, die im Ernstfall jene „Gerechtigkeit” (wieder)herstellen soll, welche die Marktwirtschaft alleine nicht zu schaffen vermag; Rechtssicherheit. – Privatautonomie und Vertragsfreiheit sind demnach (privat)rechtliche Entsprechungen und unverzichtbare Ergänzungen jedes marktwirtschaftlichen Systems.
Rechtssicherheit
Zum historischen Entstehen von Vertragsfreiheit, Privatautonomie und überhaupt von Rechtssubjektivität und subjektiven Rechten: Barta, „Graeca non leguntur?” – Zum Ursprung des europäischen Rechtsdenkens im antiken Griechenland (in Vorbereitung: 2005).
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2. Vertragsfreiheit und Verfassung
Im Privatrecht gilt Vertragsfreiheit. Aber nicht in allen Bereichen des Privatrechts tritt sie gleichermaßen stark in Erscheinung. Besonders umfassend wird sie im Schuldrecht gewährt, was einen wichtigen Unterschied zum Sachenrecht (Typenzwang → KAPITEL 8: Typenzwang) oder Familienrecht darstellt. – Es erstaunt, dass diese für unsere Staats- und Wirtschaftsordnung so grundlegende Freiheit, Verträge zu schließen, in Österreich verfassungsrechtlich / grundrechtlich nicht ausdrücklich abgesichert ist. (Die Grundrechtsreform stellt ein trauriges Kapitel der österreichischen Rechtspolitik dar.) – Vertragsfreiheit und Privatautonomie werden heute nach hA verfassungsrechtlich durch die Grundrechte des Wirtschaftslebens garantiert: d. s.: Art 5 StGG: Unverletzlichkeit des Eigentums und Art 6 StGG: Freiheit der Erwerbsbetätigung und Freiheit des Liegenschaftsverkehrs. Eine eigene Regelung erschiene aber wünschenswert.
Grundrechtsreform?
Literaturquelle
Die Freiheit, Verträge schließen zu können, kann als Beispiel für (nichtnormiertes) Verfassungs(gewohnheits)recht betrachtet werden, zumal die interpretative Ableitung aus den Art 5 und 6 StGG umständlich und gezwungen erscheint und keineswegs auf der Hand liegt.
Karl Anton von Martini hat dieses Problem bereits klar gesehen und in seinem Entwurf (1796) berücksichtigt. Es wäre eine noble Geste unseres Gesetzgebers gewesen und hätte die aufgezeigte Lücke in unserer Rechtsordnung auf elegante Weise gefüllt, hätte der Gesetzgeber im Gedenken an Martinis 200. Todestag am 8. August 2000 – cum grano salis – dessen Formulierung übernommen und sie in den Verfassungsrang erhoben. Was immer noch nachgeholt werden kann. In Martinis Entwurf (I 2 § 3) heißt es: „Wer seinen rechtlichen Willen erklärt, Jemanden etwas zu leisten, der macht ein Versprechen. Wird ein Versprechen angenommen, so entsteht durch beiderseitige Einwilligung ein Vertrag. [~ § 861 ABGB] Es gehöret demnach unter die allgemeinen Rechte der Menschen auch das Recht, Verträge zu schließen und andurch Sachen, das heißt Alles, was zu irgend einem Gebrauch dienlich ist, zu erwerben, oder an einen Andern etwas zu übertragen.”
Martinis Vorschlag
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3. Vertragsfreiheit und Privatautonomie
Vertragsfreiheit, als Erscheinungsform der Privatautonomie, ist nach W. Flume „das Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen”; AllgT des Bürgerlichen Rechts, § 1, 1 (19924).
W. Flume
”Im Bereich der Privatautonomie kann der einzelne … grundsätzlich nur für sich selbst und sein Vermögen rechtsgeschäftliche Regelungen treffen. Durch eine rechtsgeschäftliche Regelung kann jemand grundsätzlich nur betroffen werden, wenn er selbst als Beteiligter des Rechtsgeschäfts sie mit in Geltung gesetzt hat”; W. Flume.
Zu den tatsächlichen Beeinträchtigungen der Vertragsfreiheit vgl → Vertragsfreiheit und Privatautonomie – Zum Spannungsverhältnis zwischen rechtlicher und tatsächlicher Vertragsfreiheit: Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts, in: AcP 200 (2000) 273.
Vertragsfreiheit und Privatautonomie sind aber auch nicht grenzenlos, vielmehr haben sich die Parteien in den vorgegebenen Rahmen und die Wertungen der (Gesamt)Rechtsordnung einzufügen; Verstöße dagegen werden – zB durch § 879 ABGB: Gesetz- und Sittenwidrigkeit → KAPITEL 11: Gesetz- und Sittenwidrigkeit. – sanktioniert.
Vertragsfreiheit und Privatautonomie sind nicht schrankenlos
Die grundsätzliche Gleichbehandlung beider Vertragsparteien verkennt nicht, dass im Rechts- und Wirtschaftsleben mitunter beträchtliche Ungleichheiten herrschen; zB: Vertrag eines Greißlers mit einem Weltkonzern. Daher setzt die Rechtsordnung der Privatautonomie immer wieder Schranken; neben § 879 ABGB, zB in den §§ 864a, 870, 871 ff oder den §§ 922 ff ABGB (Gewährleistung), §§ 934 f ABGB (Verletzung über die Hälfte) und durch das KSchG (→ KAPITEL 2: Verbraucherrecht ¿ Konsumentenschutz). Überhaupt durch Schutzgesetze: MRG, WEG, WGG, PHG, Arbeitsrecht (etwa DNHG)! – Auch Äquivalenzstörungen über ein gewisses Maß hinaus werden nicht geduldet.
Gleichbehandlung beider Vertragsparteien
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 69/176 (1996): Es ist Ausfluss des Grundsatzes der Vertragsfreiheit, wenn ein Zeitungsunternehmen den Abdruck eines Inserats, welches das Logo eines Konkurrenten enthält, verweigert. Auch ein Kontrahierungszwang wird verneint. Zur fehlenden Sittenwidrigkeit → KAPITEL 11: Gegen die guten Sitten.
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4. Grenzen der Vertragsfreiheit
Die Freiheit des Vertragsschlusses, die natürlichen und juristischen Personen zusteht (§ 26 ABGB), wird aus verschiedenen Gründen – individualistischen und kollektiven – eingeschränkt:
Einerseits stellt das Gesetz / die Rechtsordnung selbst klar, dass diese Freiheit in ihrer konkreten einzelnen Anwendung nur innerhalb der vorgegebenen Grenzen der Rechtsordnung gewährt wird. Sie ist also keine schrankenlose. Verstöße gegen das Gesetz (= gesetzwidrige Vereinbarungen: § 879 ABGB) oder – mag etwas nicht ausdrücklich ver- oder geboten sein – gegen den Geist der Rechtsordnung (= Verstöße gegen die guten Sitten: § 879 ABGB), werden nicht geduldet. Dies aus der einfachen Überlegung heraus, dass jemand, der sich der Rechtsordnung bedienen will, um Rechtsfolgen und dadurch rechtlichen Schutz iSv Rechtssicherheit zu erlangen, sich an deren Regeln halten muss. Das gilt sowohl dafür, dass beide Vertragsparteien bewusst gegen die Rechtsordnung verstoßen, wie dafür, dass eine Partei die andere ungebührlich übervorteilt; zB in Knebelungsverträgen oder durch einseitige AGB (→ KAPITEL 6: Allgemeine Geschäftsbedingungen) oder durch unzulässige Freizeichnungsklauseln → KAPITEL 9: Verschulden (culpa).
Grenzen der Rechtsordnung
Kollektive Einschränkungen der Vertragsfreiheit erfolgen zB aus:
Einschränkungen
• Gründen des wirtschaftlichen Wettbewerbs (UWG, Kartellrecht, Preisregelungen / -bindungen, Ladenschlusszeiten etc) oder
• sozialen Gründen (Kinder-, Jugend-, Mutterschutz, Nachtarbeitsverbot etc), überhaupt Schutzgesetze!; zB MRG, KSchG, PHG, Arbeitsrecht: Kollektivverträge! → KAPITEL 11: Der Kollektivvertrag als Rechtsquelle.
• Schließlich aus allgemeinen Gerechtigkeits- und wohlfahrtsstaatlichen Überlegungen heraus. Dazu dient bspw der Kontrahierungszwang (→ Kontrahierungs- oder Abschlusszwang ), der zB eine verkehrs- oder transportmäßige Versorgung der Bevölkerung gewährleisten soll, die nicht vom Belieben monopol- oder oligopolartiger Anbieter abhängen soll; zB Post, Bahn, aber auch private Beförderungsmittel. – Hierher gehört auch die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln, die das NahversorgungsG mittels Kontrahierungszwanges zu gewährleisten versucht.
Die Vertragsfreiheit wird auch durch zahlreiche Verwaltungsvorschriften eingeengt. So benötigen bestimmte Berufe schon für den Vertragsabschluss bspw ein amtsärztliches Zeugnis nach dem BazillenausscheiderG 1950; zB Köche oder Kellner. – Arbeitssuchende, die nicht österreichische oder EU-Bürger sind, brauchen eine Beschäftigungsbewilligung (gilt für bestimmte Tätigkeit bei einem bestimmten Arbeitgeber).
 
 
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5. Beispiel: Bankgeschäfte
Die Vertragsfreiheit hat in gewissen Bereichen zu einer Entwicklungsexplosion neuer oder doch gemischterVertrags- und Geschäftstypen geführt oder deren Vorbereitung gefördert. Als Beispiel soll schon hier (zu den sog atypischen und Mischverträgen → Gemischte und atypische Verträge) ein Wirtschaftsbereich angeführt werden, dessen rechtsgeschäftliche Diversifikation ein beeindruckendes Ausmaß erreicht hat: der Bankensektor. Die in § 1 BWG umschriebene Geschäftstätigkeit der Kredit- und Finanzinstitute wird in Form eines „Links” angeboten. Mehr zu den Bankgeschäften → KAPITEL 14: Bankgeschäfte ( V. Thurnher)
§ 1. (1) Ein Kreditinstitutist, wer ... berechtigt ist, Bankgeschäfte zu betreiben. Bankgeschäfte sind die folgenden Tätigkeiten, soweit sie gewerblich durchgeführt werden:
. Die Entgegennahme fremder Gelder zur Verwaltung oder als Einlage (Einlagengeschäft);
. die Durchführung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs und des Abrechnungsverkehrs in laufender Rechnung für andere (Girogeschäft);
. der Abschluss von Geldkreditverträgen und die Gewährung von Gelddarlehen (Kreditgeschäft);
. den Kauf von Schecks und Wechseln, insbesondere die Diskontierung von Wechseln (Diskontgeschäft);
. die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren für andere (Depotgeschäft);
. die Ausgabe und Verwaltung von Zahlungsmitteln wie Kreditkarten und Reiseschecks;
7. der Handel ... mit
a) ...
b) ausländischen Zahlungsmitteln (Devisen- und Valutengeschäft);
c) Optionen und Finanzterminkontrakten (Termin- und Optionsgeschäft);
d) ...
e) Wertpapieren (Effektengeschäft); …
. die Übernahme von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Haftungen für andere, sofern die übernommene Verpflichtung auf Geldleistungen lautet ( Garantiegeschäft);
. die Ausgabe von Pfandbriefen, Kommunalschuldverschreibungen und fundierten Bankschuldverschreibungen und die Veranlagung des Erlöses nach den hiefür geltenden besonderen Rechtsvorschriften (Wertpapieremissionsgeschäft);
10. die Ausgabe anderer festverzinslicher Wertpapiere zur Veranlagung des Erlöses in anderen Bankgeschäften (sonstiges Wertpapieremissionsgeschäft);
. die Teilnahme an der Wertpapieremission Dritter und die diesbezüglichen Dienstleistungen (Loroemissionsgeschäft);
. die Entgegennahme von Bauspareinlagen und die Vergabe von Bauspardarlehen nach dem Bausparkassengesetz (Bauspargeschäft);
. die Verwaltung von Kapitalanlagefonds nach dem Investmentfondsgesetz (Investmentgeschäft);
. die Errichtung oder Verwaltung von Beteiligungsfonds nach dem Beteiligungsfondsgesetz (Beteiligungsfondsgeschäft);
. das Finanzierungsgeschäft durch Erwerb von Anteilsrechten und deren Weiterveräußerung (Kapitalfinanzierungsgeschäft);
. der Ankauf von Forderungen aus Warenlieferungen oder Dienstleistungen, die Übernahme des Risikos der Einbringlichkeit solcher Forderungen – ausgenommen die Kreditversicherung – und im Zusammenhang damit der Einzug solcher Forderungen (Factoringgeschäft);
17 ....
18. die Vermittlung von Geschäften nach ...
(2) Ein Finanzinstitut ist, wer kein Kreditinstitut iSd Abs 1 ist und berechtigt ist, eine oder mehrere der folgenden Tätigkeiten gewerbsmäßig durchzuführen, sofern er diese als Haupttätigkeit betreibt:
. Der Abschluss von Leasingverträgen (Leasinggeschäft);
. der schaltermäßige Ankauf von ausländischen Zahlungsmitteln (zB Geldsorten, Schecks, Reisekreditbriefen und Anweisungen) und der schaltermäßige Verkauf von ausländischen Geldsorten und Schilling-Reiseschecks (Wechselstubengeschäft);
3. die Beratung von Unternehmen über die Kapitalstruktur, die industrielle Strategie und die damit verbundenen Fragen sowie die Beratung und die Erbringung von Dienstleistungen auf dem Gebiet der Zusammenschlüsse und Übernahme von Unternehmen;
. die Portfolioberatung;
. die Erteilung von Handelsauskünften;
. die Erbringung von Schließfachverwaltungsdiensten.
Literaturquelle


Vertragsfreiheit – Privatautonomie
Abbildung 5.21:
Vertragsfreiheit – Privatautonomie


Die „4 Freiheiten” der Privatautonomie
Abbildung 5.22:
Die „4 Freiheiten” der Privatautonomie
Rechtssprechungsbeispiel
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II. Die „vier Freiheiten”
In Anlehnung an die vier „EU-Freiheiten” wird hier von „Vier Freiheiten der Vertragsfreiheit “ gesprochen; P. Jordan. Selbstbestimmung, Privatautonomie, Vertragsfreiheit des Einzelnen ist ein Grundrecht in freien Staaten. – Die Begriffe „Privatautonomie” und „Vertragsfreiheit” werden häufig synonym verstanden; W. Flume:
„Das ergibt sich daraus, dass der Vertrag die Hauptform privatautonomer Gestaltung ist.”
Unter Privatautonomieversteht man im Privatrecht die Möglichkeit der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch natürliche und juristische Personen (nach deren Willen). Das Mittel dazu ist das Rechtsgeschäft, insbesondere der Vertrag. – Freie Gesellschaften stellen es ihren Rechtssubjekten frei, ob sie Verträge schließen wollen oder nicht; Vertragsfreiheit. Besondere Bedeutung besitzt die Vertragsfreiheit im Schuldrecht.
Man unterscheidet grundsätzlich folgende vier Facetten der Vertragsfreiheit:
1. Abschlussfreiheit <-> Kontrahierungszwang
Mit der Abschlussfreiheit wird die grundsätzliche – naturrechtlich fundierte – Freiheit, Verträge zu schließen oder nicht zu schließen, angesprochen → Vertragsfreiheit und Verfassung – Sie setzt, wie bereits erwähnt, ein freies Individuum voraus.
Eine wichtige Ausnahme von der weithin bestehenden Abschlussfreiheit statuiert der nur unter gewissen Voraussetzungen bestehende Kontrahierungs- oder Abschlusszwang. – Darunter wird die Verpflichtung verstanden, einen Vertrag bestimmten Inhalts abschließen zu müssen; vgl SZ 44/138. Eine solche Verpflichtung wird aber nur ausnahmsweise angenommen:
Kontrahierungs- oder Abschlusszwang
• für Unternehmen mit Monopolstellung oder doch monopolähnlichem Charakter; insbesondere wenn diese Unternehmen Einzelne mit lebenswichtigen Gütern versorgen. Hier zu nennen ist die Versorgung durch kommunale öffentliche Betriebe mit Strom, Gas, Wasser, Kanal, Verkehrsbetriebe, Müllabfuhr, Telefonanschlüsse, öffentliche Bibliotheken, Museen, Galerien, Sportstätten, Schwimmbäder usw;
• aber auch aufgrund besonderer gesetzlicher Anordnung; vgl die folgenden Beispiele.
Beispiel
Literaturquelle
Kein Abschlusszwang besteht aber bspw für Kinos, Gaststätten, Diskotheken (Harry Belafonte in Linz!), es sei denn, es handelt sich wieder um monopolartige Betriebe wie in SZ 59/130.
Kinos, Gaststätten, Diskotheken
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1998 / 22 (OGH 9.9.1997, 4 Ob 214/97): Abschlusspflicht des Filmverleihers gegenüber Kinounternehmern: Besitzt ein Filmverleiher an den von ihm verliehenen Filmen die ausschließlichen Verwertungsrechte für Österreich, kommt ihm insoweit die Stellung eines Monopolisten zu. Er ist daher verpflichtet, mit jedem Kinobetreiber einen Filmverleihvertrag abzuschließen, sofern er nicht sachlich gerechtfertigte Gründe für die Lieferverweigerung hat.
SZ 59/130 (1986): Lokalverbot im einzigen Dorfgasthaus → KAPITEL 10: Entscheidungsbeispiele zu den Kapiteln 9 und 10.


Kontrahierungs- oder Abschlusszwang (1)
Abbildung 5.23:
Kontrahierungs- oder Abschlusszwang (1)


Kontrahierungs- oder Abschlusszwang (2)
Abbildung 5.24:
Kontrahierungs- oder Abschlusszwang (2)
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2. Gestaltungs- oder Inhaltsfreiheit
Sie betrifft die Freiheit der inhaltlichen vertraglichen und rechtsgeschäftlichen (Aus)Gestaltung. – Die Rechtsordnung zieht der Gestaltungsfreiheit der Parteien nur sehr weite Grenzen – zB durch § 879 ABGB: Gesetz- und Sittenwidrigkeit von Verträgen – und lässt sie im Übrigen weithin autonom gewähren.
Das Privatrecht regelt eine ganze Reihe von Verträgen typusmäßig / modellhaft; zB Kauf, Werk- und Dienstvertrag, Zession oder Darlehen. Der Gesetzgeber wollte aber keine abschließende Regelung der Vertragstypen treffen. Vielmehr war er sich der Notwendigkeit bewusst, dass das Rechtsleben und die Wirtschaft bei Bedarf Abweichendes und „Neues” schaffen können sollen. Der Gesetzgeber wollte demnach weder die Kombination bestehender Typen verbieten (Typenkombination), noch der Typenneubildung einen Riegel vorschieben, weil er weiß, dass sich Recht, Gesellschaft und Wirtschaft weiterentwickeln und nicht auf dem einmal erreichten Niveau stehen bleiben können.
Typenkombination und Typenneubildung
Diese Überlegung gilt jedoch nicht für alle Teile des Privatrechts in gleicher Weise. Wir merken uns: Die Inhaltsfreiheit gilt vor allem im Schuldrecht, das freilich für die Wirtschaft von größter Bedeutung ist. Hier können die vertragschließenden Parteien inhaltlich fast alles selber bestimmen, also zB auch neue Vertragstypen schaffen oder bestehende kombinieren. Dadurch wird größte Sach- und Problemnähe gewährleistet. – Freilich: Auch innerhalb des Schuldrechts zieht der Gesetzgeber da und dort Grenzen und erlässt sog Schutzgesetze oder doch Schutzbestimmungen; zB im Arbeitsrecht, MRG, KSchG, PHG oder § 864a ABGB.
Sach- und Problemnähe
So wichtig die Gestaltungs- oder Inhaltsfreiheit für die Vertragspraxis ist, so soll nicht verschwiegen werden, dass sie immer wieder auch Probleme schafft, weil Zweifel bestehen, wie ein bestimmter Vertragsinhalt zu „qualifizieren” ist. Denn mit der Bezeichnung als Typus „X“ ist es noch nicht getan. – So ist die Typisierung des Softwareüberlassungsvertrags streitig. Das Meinungsspektrum reicht vom Kauf, über die Annahme eines Werk- oder Lizenzvertrags bis hin zur gallertigen Einstufung als Vertrag oder contractus sui generis; vgl Aicher in Rummel, ABGB2 § 1053 Rz 52. Eine erste Hilfestellung mag es sein, dass die Qualifikation immer nur im Einzelfall und nicht generell erfolgen kann. So wird eine individuell maßgeschneiderte Software für ein bestimmtes Unternehmen in Richtung Werkvertrag ( → KAPITEL 12: Der Werkvertrag) tendieren, Software von der Stange” dagegen zum Kauf → KAPITEL 2: Kauf und Tausch. Zur Sachqualität von Software → KAPITEL 8: Bedeutung der Unterscheidung .
Wie sind „neue Typen“ rechtlich zu behandeln?
Für andere Teile des Privatrechts, die für den gesellschaftlichen Grundkonsens besonders wichtig sind, wie das Sachenrecht (Zweck: überschaubare Sachgüterzuordnung → KAPITEL 8: Recht der Sachgüterzuordnung), Erbrecht oder das Familienrecht gilt die Inhaltsfreiheit nicht oder doch nicht in gleichem Masse.
Einschränkungen der Inhaltsfreiheit
Beispiel
Vorsorgliche – iSv auch die Entwicklung künftiger Möglichkeiten bedenkende und mögliche Schwierigkeiten vorweg ausräumende – Vertragsgestaltung wird als Kautelarjurisprudenz bezeichnet. Es handelt sich um eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe rechtlicher Berufe, die Erfahrung und Einfühlungsvermögen verlangt. Mit dem Abschreiben von Vertragstexten aus „Schimmelbüchern” ist es nicht immer getan! Dabei werden nicht nur einzelne Verträge oder andere Rechtsgeschäfte – zB Testamente – verfasst und eine oder auch beide Vertragspartei/en beraten, sondern zB auch Musterverträge, AGB (→ KAPITEL 6: Allgemeine Geschäftsbedingungen) und Vertragsformblätter (vgl § 864a ABGB) entworfen und überhaupt Parteien bei Vertragsverhandlungen begleitet.
Kautelarjurisprudenz
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 69/283 II (1996): Das Verfassen von Vertragsentwürfen durch Rechtsanwälte genießt Urheberrechtsschutz; Voraussetzung: eigene schöpferische Leistung. Vgl auch SZ 43/140.
Literaturquelle
Mitunter geht rechtliche Hilfe(stellung) zu weit und wird dann unerlaubt; Beihilfe zur Gesetzesübertretung und Gesetzesumgehung. – Derartige unerlaubte Hilfe birgt jedoch für Rechtsanwälte und Notare – neben standesrechtlichen Folgen – auch zivilrechtliche Gefahren; vgl das folgende Beispiel.
Beihilfe zur Gesetzesübertretung und Gesetzesumgehung
Rechtssprechungsbeispiel
wobl 1995, 90: Haftung für die Kosten der Errichtung eines Kaufvertrags. Dem Rechtsanwalt steht kein Entlohnungsanspruch zu, falls er einen Vertrag auftragswidrig verfasst oder eine sonst für den Klienten völlig wertlose Tätigkeit verrichtet. Der Klient haftet dem Rechtsanwalt auch dann als Auftraggeber für die Vertragserrichtungskosten (hier: eines Kaufvertrags über eine Eigentumswohnung), wenn die Kosten vereinbarungsgemäß auf den Käufer überwälzt worden sind und der Käufer im Kaufvertragsentwurf aus steuerlichen Gründen als alleiniger Auftraggeber der Vertragserrichtung bezeichnet wird. – Zum Verhältnis und zur Tragweite von Scheingeschäften und verdeckten Geschäften → Scheingeschäft / Simulation: § 916 ABGB
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3. Formfreiheit
Formfreiheit gilt wiederum vor allem für das Schuldrecht und damit für alle Schuldverträge. Wie wir gehört haben, ist sogar der Liegenschaftskauf formfrei gültig → KAPITEL 2: Besonderheiten des Liegenschaftskaufs. – Formpflicht besteht nur ausnahmsweise: zB für Schenkungen „ohne wirkliche Übergabe” (§ 943 ABGB); oder einseitig für den Bürgen – und zwar nur für seine Verpflichtungserklärung – nach § 1346 Abs 2 ABGB; beim Ratenkauf / Abzahlungsgeschäft (Errichtung eines Ratenbriefes: § 24 Abs 1 KSchG) sowie nach dem Bankwesengesetz (BWG) für den Abschluss von Verbraucherkreditverträgen (§ 33 Abs 2 BWG) und Verbrauchergirokontoverträgen (§ 34 Abs 2 BWG). Als Vorbild der neuen Regelungen nach dem BWG diente die Ratenbriefregelung des KSchG. Die Regelungen des BWG geben auch inhaltliche Mindestregelungen vor und beschränken insoferne auch die Inhaltsfreiheit. – Mehr zur Form → KAPITEL 15: Die Form (im Privatrecht).
In manchen Teilen des Privatrechts – insbesondere außerhalb des Schuldrechts – kommt der gesetzlichen Form größere Bedeutung zu; zB im Familienrecht (Form der zivilen Eheschließung: §§ 15, 17 EheG), insbesondere aber auch im Erbrecht: zB Testamentsform.
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4. Endigungsfreiheit
So wie die Parteien Verträge frei abschließen können, und darin den Beginn einer konkreten Rechtsbeziehung festlegen, können sie diese auch einvernehmlich (im Rahmen der Dauerschuldverhältnisse sogar einseitig → KAPITEL 6: Bedeutung der Unterscheidung) wieder beenden. Das ist grundsätzlich immer möglich. – Man spricht von contrarius actus.
Beispiel
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III. Gemischte und atypische Verträge
Literaturquelle
1. Allgemeines
Das Schuldrecht kennt – wie wir gehört haben – keinen Typenzwang. Eine wichtige Konsequenz der im Schuldrecht bestehenden Vertragsfreiheit ist es daher, dass verhandelnde Parteien nicht nur im Gesetz vorgeformte Vertragstypen – zB einen Kauf- oder Werkvertrag – vereinbaren können, sondern auch neue Typen schaffen (sog atypische Verträge, römisches Recht: Innominatkontrakte; contracta sui generis) und bestehende, also kodifizierte Typen untereinander sowie mit neuen Typen(elementen) kombinieren können; gemischte oder mehrtypische Verträge; contracta mixti iuris / generis.
Die Rechtspraxis macht davon immer wieder Gebrauch, weil dadurch den Vorstellungen und Bedürfnissen der Vertragsparteien in erhöhtem Maße Rechnung getragen werden kann. Dh: Die verhandelnden und vertragschließenden Parteien können für ihre speziellen Zwecke bestehende Verträge modifizieren oder neue schaffen. Die Vertragsfreiheit sorgt daher für optimale praxisgerechte (Vertrags)Adaptierung und eröffnet die Möglichkeit einer hohen Regelungs- und Problemnähe.
Regelungs- und Problemnähe
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 27/222 (1954): Voraussetzungen der Beurteilung eines Leibrentenvertrags (→ KAPITEL 12: Glücksverträge ¿ Gewagte Geschäfte) als gemischte Schenkung.
- OGH 21.4.2005, 6 Ob 69/05y - Mobilfunkvertrag: Ist ein gemischter Vertrag mit überwiegenden Elementen des freien Dienst- und Bestandvertrags; allfällige zusätzliche Werkvertragselemente treten dem gegenüber so stark zurück, dass eine unmittelbare Anwendung des § 15 Abs 1 KSchG und der dort vorgesehenen günstigeren Kündigungsregelungen ausscheidet. – Fundstelle: EvBl 2005/166 = JBl 2005, 735 ff 
 


Im ABGB geregelte Vertragstypen:


• § 44: Ehevertrag → KAPITEL 16: Der Ehevertrag
• § 45: Eheverlöbnis → KAPITEL 16: Das Verlöbnis
• § 179a:Adoptionsvertrag → KAPITEL 16: Die Adoption
• § 480: Servitutsvertrag → KAPITEL 8: Die Servituten
• § 938: Schenkung → KAPITEL 3: Die Schenkung: §§ 938 ff ABGB
• § 957: Verwahrungsvertrag → KAPITEL 3: Verwahrung
• § 971: Leihvertrag → KAPITEL 3: Die Leihe
• § 983: Darlehensvertrag → KAPITEL 3: Das Darlehen als Realvertrag
• § 1002: Bevollmächtigungsvertrag → KAPITEL 13: Bevollmächtigungsvertrag
• § 1045: Tauschvertrag → KAPITEL 2: Kauf und Tausch
• § 1053: Kaufvertrag → KAPITEL 2: Kauf und Tausch
• § 1086: Verkaufsauftrag / Trödelvertrag → KAPITEL 2: Nebenabreden beim Kauf ¿ Übersicht
• § 1090/1091: Bestandvertrag – Miet- und Pachtvertrag → KAPITEL 6: Der Bestandvertrag: Miete und Pacht
• § 1122: Erbpachtvertrag
• § 1123: Erbzinsvertrag
• § 1151: Dienst- und Werkvertrag → KAPITEL 12: Der Arbeitsvertrag und → KAPITEL 12: Der Werkvertrag
• § 1175: Erwerbsgesellschaft / GesbR → KAPITEL 12: Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts
• § 1217: Ehepakte → KAPITEL 16: Das Ehegüterrecht
• § 1249: Erbvertrag → KAPITEL 17: Erbvertrag ¿ Vermächtnisverträge
• § 1267: Glücksverträge → KAPITEL 12: Glücksverträge ¿ Gewagte Geschäfte (§ 1270 Wette, § 1272 Spiel, § 1273 Los, § 1275 Hoffnungskauf → KAPITEL 2: Hoffnungskauf, § 1278 Erbschaftskauf → KAPITEL 17: Der Erbschaftskauf, – § 1284 Leibrente → KAPITEL 2: Leibrentenvertrag, – § 1288 Versicherungsvertrag).
Gesetzliche Vertragstypen – Gruppen
Veräußerungsverträge: Kauf, Tausch, Schenkung
Gebrauchsüberlassungsverträge: Miete, Pacht, Leihe, Darlehen
Dienstleistungsverträge: Dienst- oder Arbeitsvertrag, freier Dienstvertrag, Werkvertrag, Auftrag, Verwahrung
Gesellschaftsverträge: GesbR (§§ 1175 ff ABGB), Personengesellschaften des Handelsrechts (OHG, KG), Kapitalgesellschaften (GmbH, AG), Genossenschaften, (eingetragene) Erwerbsgesellschaften (OEG, KEG)
Glücksverträge: → KAPITEL 12: Glücksverträge ¿ Gewagte Geschäfte.
Sicherungsverträge: Bürgschaft, Pfandbestellungsvertrag; dazu kommen weitere nicht zu eigenen Vertragstypen ausgestaltete Sicherungsmittel → KAPITEL 15: Überblick.
Neue „Typen” iwS sind zB:
• der Kredit(eröffnungs)vertrag → KAPITEL 3: Der Kredit(eröffnungs)vertrag;
• der freie Dienstvertrag (zB: der übliche Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient → KAPITEL 12: Der sog freie Dienstvertrag);
• der Inkassovertrag → KAPITEL 14: Inkassozession.
• der Garantievertrag (Bankgarantie) → KAPITEL 15: Garantievertrag und Bankgarantie;
• das Factoring → KAPITEL 14: Das Factoring: EvBl 1994/143;
Franchising → Franchising;
• der Lizenzvertrag (→ Lizenzvertrag) und– der Know-How-Vertrag → Know how-Vertrag;
Sponsorverträge → Leasing;
• der Ergebnisabführungsvertrag (als Unternehmensvertrag): → KAPITEL 14: Bankgeschäfte Vereinbarung wonach eine Gesellschaft / juristische Person ihren ganzen Gewinn an eine andere Gesellschaft abzuführen hat, die sich ihrerseits verpflichtet, den ganzen Verlust der „Organgesellschaft” zu übernehmen; vgl EvBl 1999/200.
Typische Mischverträge sind:
• das Leasing: bestehend aus Miete und Kauf etc: Mietkauf! → Leasing;
• die gemischte Schenkung: Schenkung und Kauf → KAPITEL 3: Arten der Schenkung; zB in Gutsübergabe- oder Leibrentenverträgen (§§ 1284-1286 ABGB);
Kauf und Tausch;
Dienstvertrag und Auftrag;
• der Tankstellenvertrag (OGH JBl 1986, 721 und 1987, 41) verbindet Bestandvertrag / genauer: Pacht-, mit Dienst- und Kaufvertrag (Abnahmeverpflichtung!).
• Ein typischer Mischvertrag aus mehreren herkömmlichen Typen ist auch der Gastaufnahme- / Beherbergungs- / Pensionsvertrag, der Elemente von Kauf, Miete, Werkvertrag, Verwahrung und allenfalls weitere Elemente (zB Geschäftsbesorgung / Auftrag) enthält.
• Zur Typendiversifikation im Bereich des Werkvertrags → KAPITEL 12: Der Werkvertrag.
Nicht gesetzlich geregelt sind derzeit bspw folgende Verträge:
• der allgemeine Bankvertrag (beinhaltend: Girokontoeröffnung und -prüfung, Scheckauszahlung und Scheckkartenverkehr, Überweisungs- und Lastschriftenverkehr mit Überziehungskredit) → KAPITEL 14: Bankgeschäfte;
• der Alten- und Pflegeheimvertrag → Heimvertrag – Pflegegeld
"Contracting" 
Literaturquelle
Vgl auch den Entwurf eines Bundes-Heimvertragsgesetzes (B-HeimVG) auf der Homepage des Instituts für Zivilrecht/Ibk: http://www2.uibk.ac.at/zivilrecht/mitarbeiter/barta
• der Filmverleih- und Filmverwertungsvertrag
• der Kreditkartenvertrag
• Bühnenaufführungsvertrag
• Joint-Venture-Verträge
• Management- und Consultingverträge
• Poolverträge usw.
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2. Rechtsanwendungsregeln
Für die Rechtsanwendung stellt sich für gemischte und atypische Verträge die Frage, welche gesetzlichen Bestimmungen für solche Neuschöpfungen oder Kombinationen gelten sollen.
Anders ausgedrückt: Welche gesetzlich vorgebildeten oder doch richterrechtlich entwickelten Regeln sind auf atypische oder Mischverträge anzuwenden? – Zunächst gilt als Merkregel: Der Mischvertrag oder neue Typus ist danach zu beurteilen, was seinem Zweck und den Leistungspflichten der Parteien nach dem Parteiwillen am besten entspricht.
Beispiel
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3. Regeln zur rechtlichen Behandlung neuer Vertragsformen
§ 1055 ABGB bestimmt für Mischungen aus Kauf und Tausch, dass auf den konkreten Vertrag der vorherrschende Typus anzuwenden ist; sog Absorptionsprinzip. Das schwächere Typuselement bleibt dabei unberücksichtigt.
Absorption
Vgl auch § 1091 ABGB (Miete und Pacht): „Werden durch einen Vertrag Sachen von der ersten und zweiten Art zugleich in Bestand gegeben, so ist der Vertrag nach der Beschaffenheit der Hauptsache zu beurteilen.” – Dieser Gedanke wird über die gesetzlichen Regelungen hinaus ausgedehnt.
Ein anderes Prinzip enthält § 1151 Abs 2 ABGB: Dienst- und Werkvertrag sowie Geschäftsbesorgung gelangen danach nebeneinander, also parallel und gleichzeitig zur Anwendung; sog (Typen)Kombination.
Kombination
Vgl auch § 1403 Abs 1 Satz 2 ABGB: Typenkombination von Anweisung und Bevollmächtigungsvertrag.
Neben Absorption und Kombination besteht noch die weitere Möglichkeit der (Gesetzes- und Rechts)Analogie; § 7 Satz 1 ABGB. Zur Anwendung gelangt hier kein konkreter – gesetzlich vollständig geregelter – Typus, sondern zB nur die allgemeinen Regeln des Schuldrechts, insbesondere die für Dauerschuldverhältnisse.
Analogie
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1969/215: Fernlehrkurs als Vertrag eigener Art / contractus sui generis.
Entsprechend der höchsten Analogiestufe des § 7 Satz 2 ABGB, den natürlichen Rechtsgrundsätzen (→ KAPITEL 11: Beispiele zur Anwendung der ¿natürlichen Rechtsgrundsätze¿), kann ein weiter Anwendugnsschritt unterschieden und dabei von einer Neuschöpfung- oder Kreation gesprochen werden; Möglichkeit des Entstehens von Richterrecht zur Behandlung von Innominatkontrakten nach den Grundregeln der Privatrechtsordnung. Die Rspr spricht auch hier von contracta sui generis, womit inhaltlich wenig ausgesagt wird.
Neuschöpfung- oder Kreation
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1977/82: § 1165 ABGB (§§ 859, 1053 ABGB): Erwirkung von Werbeaktionen für Beat-Veranstaltungen und Auftritt als Conferencier bei diesen Veranstaltungen gegen Zahlung eines Honorars und entsprechender Gestaltung der Plakate – Innominatkontrakt / Vertrag eigener Art. – In der zwischen den Streitteilen getroffenen Vereinbarung verpflichtete sich der Beklagte, für die vom Kläger beabsichtigten Beat-Veranstaltungen in Steyr und Dornbirn verschiedene Werbeaktionen (Hinweis auf die Veranstaltungen in Zeitungen, im Rundfunk und Fernsehen, Auftreten einzelner Beat-Gruppen in Fernsehsendungen) zu erwirken und bei diesen selbst als Conferencier aufzutreten; der Kläger hingegen sollte dem Beklagten ein Honorar von insgesamt 10.000,- S entrichten und in die zu druckenden Plakate dessen Namen als den eines Conferenciers aufnehmen. – Die Übereinkunft der Streitteile lässt sich keinem normierten Vertragstyp unterstellen und ist daher als gesetzlich nicht geregelter Innominatkontrakt (Ehrenzweig2 II/1, 181) zu betrachten. In den gedruckten Werbeplakaten schien der Name des Beklagten als Conferencier der beiden Beat-Veranstaltungen nicht auf. Diese Nichterfüllung einer nach den Feststellungen der Unterinstanzen wesentlichen Vertragspflicht berechtigte den Beklagten zum Vertragsrücktritt nach § 918 ABGB, welcher in der Einstellung seiner weiteren Tätigkeit für den Kläger zu erblicken ist. Eine Nachfristsetzung war entbehrlich, weil der Kläger die Erfüllung seiner eben erwähnten Vertragspflicht in einer Weise verweigert hat (Drucken des Plakates ohne Aufnahme des Namens des Beklagten als Conferencier), die eine Nachholung der Erfüllung innerhalb einer ihm zu setzenden Nachfrist ausgeschlossen erscheinen ließ (Gschnitzer in Klang2 IV/1, 458; Ehrenzweig2 II/1, 206; SZ 31/118; SZ 40/53 uam). Der vom Kläger verschuldete Vertragsrücktritt berechtigte den Beklagten, den Ersatz des ihm durch das Unterbleiben des Leistungsaustausches erwachsenen Schadens zu begehren (HS 5328). Dieser besteht im Hinblick auf die mangelnde Behauptung eines weiteren Schadens in den dem Beklagten durch seine Tätigkeit für den Kläger erwachsenen, vom Erstgericht (gemäß § 273 Abs 1 ZPO) mit 3.000,- S festgesetzten Auslagen und wird durch die vom Beklagten erhaltenen Vorschüsse in der gleichen Höhe gedeckt.
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4. Vertragsverbindung oder -koppelung
Von den gemischten oder mehrtypischen Verträgen zu unterscheiden ist die Vertragsverbindung oder Vertragskoppelung. Hier verlaufen zwei oder mehrere selbständig bleibendeVerträge/Typen parallel zueinander, wobei der eine oder andere Vertrag allerdings vom anderen in gewisser (funktioneller) Weise abhängig ist, weil er mit ihm in einem inneren, geschäftlich-wirtschaftlichen Zusammenhang steht. – Hier sind auf jeden einzelnen Vertrag, die für ihn maßgeblichen Regeln anzuwenden. Zwischen den selbständig bestehenbleibenden Verträgen besteht mitunter rechtlich eine explizite konditionale Koppelung; dies etwa in dem Sinne, dass dann, wenn der eine endet, auch der andere beendet werden muss oder doch kann.
Beispiel
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5. Leasing
Eine typische Neuentwicklung ist das Leasing, das aus steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Überlegungen entstanden ist. Leasing dient heute vornehmlich als Finanzierungsinstrument. – Der Leasingvertrag tritt im Rechts- und Wirtschaftsleben in verschiedenen Varianten auf, ist aber gesetzlich nicht geregelt.


Leasing-Neugeschäft in Österreich
Abbildung 5.25:
Leasing-Neugeschäft in Österreich
Terminologie: Leasinggeber / LG und Leasingnehmer / LN.
Definition
Definition – Gemeinsamkeiten: Beim typischen Leasingvertrag gewährt der LG dem LN den Gebrauch / die Nutzung einer Sache gegen laufendes Entgelt; Leasingentgelt- oder Leasingrate. – Der LG bleibt weiterhin Eigentümer des Leasing­objekts. Die dem LN verschaffte Rechtsposition gleicht der eines Käufers.
Mögliche Leasingobjekte sind Sachen aller Art; Konsum-, wie Investitionsgüter. Sie können – und das ist an dieser Rechtsform interessant – „erworben” werden, ohne den Kaufpreis zur Gänze und sofort entrichten zu müssen. Sei es, dass eine Schule oder ein Kraftwerk (Immobilienleasing) gebaut, sei es, dass ein Kraftfahrzeug oder Fernsehgeräte (Mobilienleasing) angeschafft werden, oder sogar Arbeitskräfte gewerblich überlassen werden, freilich nicht als Leasingobjekte; zum sog Personalleasing (Leiharbeit / Arbeitskräfteüberlassung) → KAPITEL 12: Arbeitnehmerüberlassung.
Leasingobjekte
Wer ist Leasinggeber ? – Einerseits der Hersteller des Gutes, andererseits ein Händler oder – wie häufig – ein eigenes Leasing-Finanzierungsinstitut, etwa eine Bank: zB X-Bank Leasing-GesmbH.
Leasinggeber und -nehmer
Wer ist Leasingnehmer ? – Privatpersonen / Verbraucher und Kaufleute.
Gefahrtragung und Instandhaltungspflicht: Anders als bei der Miete (!) trägt beim Leasing grundsätzlich der LN die Gefahr, dh den Nachteil für den zufälligen Untergang oder die Beschädigung / Verschlechterung der Sache. Ihn trifft – ebenfalls abweichend von der Miete – auch die Instandhaltungspflicht.
Gefahrtragung
In Bezug auf die Zulässigkeit der Gefahrüberwälzung auf den LN hat die Praxis Grundsätze entwickelt: Weitgehend unzulässig ist danach die Gefahrüberwälzung beim Operating-Leasing, grundsätzlich zulässig beim Finanzierungsleasing. – Zum Geltendmachen von Gewährleistungsansprüchen beim sog selbständigen Finanzierungsleasing gleich unten: MietSlg 31.165. – Für Verbraucher ist allenfalls § 864a ABGB zu beachten: Ungewöhnlichkeit. Für Kaufleute gelten strengere Maßstäbe; vgl SZ 53/128 (1980).
Literaturquelle
Worin liegt der Steuervorteil von Miete oder Leasing gegenüber dem Kauf? Er liegt darin, „dass das Mietentgelt (Leasingrate) als Betriebsausgabe den Gewinn und damit idR die Steuerbelastung sofort vermindert, während im Falle des Kaufes der Kaufpreis zunächst akontiert werden muss.” (Doralt / Ruppe) – Leasingraten sind als Betriebsausgaben zur Gänze absetzbar, während beim Kaufpreis eine Abschreibung über mehrere Jahre erfolgt!
Steuervorteil
Literaturquelle
Ähnlichkeiten bestehen einerseits zur Miete, andererseits zum Kauf, insbesondere zum Raten- und Kreditkauf. – Abzugrenzen ist das Leasing aber vom bloßen Mietkauf: Das ist ein (normaler) Mietvertrag gekoppelt mit Kaufoption (am Ende der Vertragsdauer). Das Leasing hat sich über diesen Mischvertrag hinaus entwickelt. – Man kann sagen: Leasing ist ein Mietvertrag besonderer Art, dh insbesondere mit modifizierter Gefahrtragung und Instandhaltungspflicht. Das hat Folgen für die Rechtsanwendung: Die gesetzlichen Regeln des Mietvertrags sind entsprechend – dh modifiziert um die unterschiedlichen Gefahr- und Kostentragungsregeln – anzuwenden.
Rechtliche Einordnung
Arten des Leasing:


Leasing: Rechtliche Beziehungen
Abbildung 5.26:
Leasing: Rechtliche Beziehungen
Finanzierungsleasing / financial lease: Hier kauft der LG das Leasingobjekt auf Wunsch des LN, übernimmt also eine Finanzierungs-Rolle; daher Finanzierungsleasing! Auch hier wird das Leasingobjekt dem LN zur Nutzung überlassen, wobei der LN alle mit der Nutzung verbundenen Kosten zu tragen hat. – Eine Variante des Finanzierungsleasing ist das Full-Service-Leasing (operating lease): Hier übernimmt der LG (gegen weiteres Entgelt) zB auch Reparatur, Service, Versicherung etc.
Arten des Leasing
Beachte
Rechtssprechungsbeispiel
MietSlg 31.165 (1979): Ist beim sog selbständigen Finanzierungsleasing – wenn also nicht der LG, sondern ein Dritter (Lieferant) unmittelbar an den LN über dessen Bestellung den geleasten Gegenstand ausgeliefert hat – der LG berechtigt, die Bezahlung der Leasingraten für die ganze Vertragsdauer trotz des Umstandes zu verlangen, dass das Gerät für den LN unbrauchbar (geworden) ist, so hat der LG (je nach Vereinbarung) die ihm als Käufer gegen den Lieferanten zustehenden Gewährleistungsansprüche an den LN abzutreten oder auf dessen Gefahr und Kosten selbst geltendzumachen. Lehnt der LG ein derartiges Begehren ab, so ist der LN vor Erfüllung dieser Vertragspflicht (durch den Leasinggeber) gemäß § 1051 ABGB nicht gehalten, seinerseits zu erfüllen .... – Kommt es aber zur Wandlung des Kaufvertrages, so wird damit wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage auch der Leasingvertrag aufgehoben .... Gemäß den §§ 877, 1435 ABGB haben LG und LN einander alles zurückzustellen oder zu vergüten, was sie aus dem unwirksam gewordenen Leasingvertrag zu ihrem Vorteil erhalten haben.
Operating-Leasing: Dabei handelt es sich um eine Sonderform der Miete über Investitionsgüter. Das idente Leasing-Objekt wird aufeinanderfolgend mit kurzen Vertragszeiten an verschiedene LN vermietet, wobei die Sach- und Preisgefahr beim LG bleibt und auch eine ordentliche Kündigung möglich ist. Der Begriff Leasing wird hier nur aus marktpsychologischen Gründen gebraucht.
Operating-Leasing
Die Antwort auf die Frage: Leasing oder Kauf? (insbesondere Ratenkauf) hängt von der finanziellen Situation eines Unternehmens und vom jeweiligen Anlagegut ab. Für das Leasing spricht, dass das Leasing-Objekt nicht im Voraus bezahlt werden muss, also keine unmittelbar Liquiditätsbelastung mit sich bringt. Dazu kommt, dass das Kapital nicht im Anlagevermögen des Unternehmens gebunden wird und daher anderweitig eingesetzt werden kann. Leasing ermöglicht eine 100-prozentig Fremdfinanzierung; und dies ohne weitere Sicherheiten über das Leasing-Objekt hinaus. Leasing erfüllt die goldene Finanzierungsregel: Pay as you earn, was meint: Die Leasing-Raten können aus den erwirtschafteten Erträgen geleistet werden. Leasing für begrenzte Zeit löst auch die Frage des Überalterungsrisikos von Anlagegütern; Slogan: „Wer least, bleibt beweglich!” Leasing ist auch bilanzneutral: Leasing-Raten müssen in der Handels- und Steuerbilanz ebenso wenig passiviert werden wie normale Mietzinszahlungen.
Leasing als Investitions- und Finanzierungsmethode
Wirtschaftlich-rechtliche Beurteilung: Leasing verdankt seinen Erfolg insbesondere den steuerrechtlichen Vorteilen für LN: Wirtschaftliches Eigentum im Steuerrecht: LG ist Eigentümer auch nach (ertrags)steuerrechtlicher Behandlung. Woraus mehrfache steuerrechtliche Vorteile resultieren: Einkommens-, Körperschafts-, Gewerbe Gefahrtragung -, Vermögenssteuer etc. Vor allem aber werden die in der Handels- und Steuerbilanz auszuweisenden Aktiva des LN (durch Überlassung des Leasing-Objekts) nicht vermehrt. Der LN kann vielmehr die Leasing-Raten als Betriebsausgaben absetzen und ist nicht auf Abschreibung für Abnutzung (AfA) beschränkt.
Beurteilung
Begriff des wirtschaftlichen Eigentums = steuerrechtliche Zurechnung eines Vermögensgegenstandes an eine Person; wirtschaftliche Betrachtungsweise des Steuerrechts!
Wirtschaftliches Eigentum
Steuerliche Vorteile des Leasing-Geschäfts setzen aber voraus, dass das konkrete Leasing steuerlich nicht als verdeckter Kauf anzusehen ist; Gefahr bei Kaufoption.
Im Kostenvergleich ist Leasing aber häufig teurer als ein Kredit oder Kauf. Der Grund dafür liegt darin, dass in den Leasing-Raten oft eine hohe Gewinnspanne steckt. Es sollte daher in jedem Einzelfall gut überlegt werden, welcher Vertrag geschlossen wird.
Auch bei der Treuhand (→ KAPITEL 15: Die Treuhand) ist der Treugeber und nicht der Treuhänder wirtschaftlicher Eigentümer! Bedeutsam ist dies im Konkurs des Treugebers. Der Treuhänder, als bloß formeller Eigentümer, hat kein Aussonderungsrecht nach § 44 KO, sondern nur ein Absonderungsrecht nach § 48 ff KO.
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6. Lizenzvertrag
Mit dem Lizenzvertrag werden gewerbliche Schutzrechte, insbesondere Patente an andere Personen zur Nutzung überlassen; vgl § 33 Abs 2 iVm § 35 PatG 1970 oder § 11 Abs 2 MarkG und § 10 MuSchG.
Der Lizenzvertrag ist ein Vertrag eigener Art (contractus sui generis), am ehesten aber der Rechtspacht vergleichbar, der uU mit Kaufelementen versetzt ist. – Lizenz ist (idR) das von einem Patentinhaber erteilte Recht, eine Erfindung zu nutzen, wobei dieses Recht sowohl örtlich, als auch zeitlich begrenzt sein kann, und auch mehreren Personen zugleich zustehen kann.
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7. Know how-Vertrag
Er ist vom Lizenzvertrag abzugrenzen: Mit ihm wird technisches, kaufmännisches und betriebswirtschaftliches Wissen / exklusives Spezialwissen (Betriebserfahrungen und -geheimnisse etc), das nicht durch ein gewerbliches Schutzrecht geschützt ist, rechtlich übertragen. Haftung und Geheimhaltung werden im jeweiligen Vertrag detailiert geregelt. – Auch der Know how-Vertrag kommt aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis und tritt in vielen (Erscheinungs)Formen auf.
Terminologie: Know how-Geber und Know how-Nehmer.
In seiner Entstehung war der Know how-Vertrag eng mit dem Patentwesen verbunden. Auch ohne Erfindungs­charakter und Patentierbarkeit sollte exklusives Wissen rechtlich abgesichert übertragen werden können. So wurden bspw Erfahrungen und Kenntnisse über komplizierte industrielle / gewerbliche Fertigungsprozesse zwischen Firmen / Unternehmen entgeltlich übertragen; technical informance, manufacturing experience. Auf diese Weise können sich einzelne Unternehmen hohe personelle und finanzielle Aufwendungen für Forschung, Entwicklung und Erprobung von Produkten ersparen.
Entstehung
Anders als beim Lizenzvertrag wird beim Know how-Vertrag idR kein ausschließliches Recht übertragen, sondern Know how wird stets an mehrere Interessenten veräußert werden; insbesondere örtlich gestreut. – Auch beim Lizenzvertrag ist das aber möglich.
Kein ausschließliches Recht
Ursprünglich betrafen Know how-Verträge fast ausschließlich die Übertragung von technischem Spezialwissen (industrial know how); erst nach dem Zweiten Weltkrieg trat daneben immer stärker die Übertragung nicht technischen, insbesondere gewerblichen Wissens in Erscheinung; commercial know how.
Die rechtliche Einordnung des Know how-Vertrags ist schwierig und muss im Einzelfall vorgenommen werden:
Rechtliche Einordnung
• Bei endgültiger Übertragung liegt häufig Kauf- oder Werkvertrag vor, bei Überlassung auf Zeit dagegen Miete oder (Rechts)Pacht.
• Wie Lizenzverträge sind auch Know how-Verträge Dauerschuldverhältnisse, auf die die allgemeinen Regeln des Schuldrechts, insbesondere die für Dauerschuldverhältnisse (am ehesten Miete und Pacht) anzuwenden sind.
• Nach hA ist der Know how-Vertrag bloßer Schuldvertrag und vermittelt keine mit Drittwirkung ausgestaltete Rechtsposition; wie zB der Patent- oder Lizenzvertrag.
• Die Vielfalt der Ausgestaltungsmöglichkeiten verbietet es, generell von einem Vertrag sui generis zu sprechen; im Kernbereich ist dies aber möglich. Der typische Know how-Vertrag ist ein zweiseitig verpflichtender entgeltlicher Vertrag sui generis, dessen Hauptpflichten (des Know how-Gebers) einerseits dienstvertragsähnlich (= Verpflichtung zur Verschaffung von Know how) und andrerseits pachtvertragsähnlich (= Verpflichtung zur Nutzungs- und Verwertungsüberlassung) sind. Im Falle eines Rechtsstreits erscheint es aber unverzichtbar, den einzelnen Know how-Vertrag im Hinblick auf die in ihm geregelten Parteiinteressen und die darin festgelegten Rechte und Pflichten zu beurteilen.


Franchising
Abbildung 5.27:
Franchising
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8. Franchising
Literaturquelle
Wie das Leasing kommt auch das Franchising aus den USA. – Franchising wird auch in Österreich immer beliebter. Auf dem Vormarsch sind insbesondere kleine und mittlere Betriebe und der Dienstleistungssektor. Derzeit sind in Österreich ca 300 Franchising-Systeme auf dem Markt mit mehr als 3000 Franchisingnehmern. Etwa die Hälfte dieser Systeme sind ausländischen Ursprungs, der Großteil aus Deutschland. Die Zahl der in Österreich entwickelten Konzepte nimmt aber ständig zu. – Auf Dienstleistungsfranchising entfällt in Österreich etwa die Hälfte aller Systeme. Das Vertriebsfranchising wächst dagegen nur mäßig und das Produktionsfranchising stagniert.
Das Wort „Franchise” stammt aus dem Französischen – und wurde idF anglisiert – und bedeutet „Privileg” oder „Konzession”. Seit der Jahrhundertwende dient der Begriff der Bezeichnung einer privatunternehmerischen Form der Kooperation unter gleichzeitiger Übertragung von Rechten.
Franchising (F) begann als besondere Form des Warenvertriebs über bestimmte Händler; sog reines Produkt-Franchising / straight product franchising. Im Außenverhältnis selbständig, sind die Händler im Innenverhältnis an den jeweiligen Hersteller gebunden. – Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich daneben das Franchising der „zweiten” Generation; sog Betriebs-Franchising / entire business franchising. Die F-Beziehung erfasst hier nicht nur ein einzelnes Produkt, sondern den ganzen Betrieb des FN. Der FG erbringt für den FN ein idR umfassendes Leistungspaket; Ausstattung des Betriebs, Konzept der Geschäftspolitik, Betriebsführungsorganisation etc.
• Betriebswirtschaftlich und rechtlich handelt es sich beim Franchising um eine Vertriebsmethode für Konsumgüter oder Dienstleistungen, die eine funktionale Variante des Filialsystems darstellt, wobei der signifikante Unterschied darin liegt, dass der FN selbständiger Unternehmer ist / bleibt.
- KautelarjurisprudenzFranchisegeber (FG) und Franchisenehmer (FN). – Die Interessenbeziehungen zwischen FG und FN können sehr unterschiedlich ausgestaltet sein, weshalb der Ausarbeitung des Vertrags große Bedeutung zukommt.
Parteien


Franchising in Europa und den USA
Abbildung 5.28:
Franchising in Europa und den USA
Der FG überträgt zB den Vertrieb einer Geschäftsidee oder eines Produkts, einer Dienstleistung oder alles zusammengenommen auf den FN, der das idR unter einem bestimmten Namen, Symbol oder in bestimmter Ausstattung entwickelte „Produkt” vertreiben soll. Dabei wird der FN idR strikt an die (Vertriebs)Vorgaben – wie Werbung, Marketing, Mindestkontingente – des FG gebunden und unterliegt dessen Inspektion und Kontrolle. Die Rechtsübertragung erfolgt typischerweise exklusiv für bestimmte geographische / örtliche Gebiete.
Wirtschaftlicher Vertragsinhalt
Auch hier besteht die Gefahr der Knebelung, zumal es sich bei FG oft um mächtige Marken / Firmen handelt, von deren Bekanntheitsgrad der FN auf der anderen Seite wiederum profitiert. Vgl damit die Problematik bei Bierbezugsverträgen → KAPITEL 6: Rechtsprechungsbeispiele . Zur Vermeidung unseriöser Praktiken wurde von der European Franchise Federation (seit 1972) ein Europäischer Verhaltenskodex für Franchise geschaffen, der zugleich Ehrenkodex für die Mitglieder des Österreichischen Franchise-Verbandes ist. Dieser Verhaltenskodex ist eine sachdienliche Zusammenstellung von wesentlichen Vorschriften fairer Verhaltensweisen für die F-Praxis in Europa.
Begriffsumschreibung nach dem Europäischen Franchising-Kodex: „Franchising ist ein Vertriebssystem, durch das Waren und/oder Dienstleistungen und/oder Technologien vermarktet werden. Es gründet sich auf eine enge und fortlaufende Zusammenarbeit rechtlich und finanziell selbständiger und unabhängiger Unternehmen, den FG und seine FN. Der FG gewährt seinen FN das Recht und legt ihnen gleichzeitig die Verpflichtung auf, ein Geschäft entsprechend seinem Konzept zu betreiben. Dieses Recht berechtigt und verpflichtet den FN, gegen ein direktes oder indirektes Entgelt im Rahmen und für die Dauer eines schriftlichen zu diesem Zweck zwischen den Parteien abgeschlossenen Franchisevertrag bei laufender technischer und betriebswirtschaftlicher Unterstützung durch den FG, den Systemnamen und/oder das Warenzeichen und/oder die Dienstleistungsmarke und/oder andere gewerbliche Schutz- oder Urheberrechte sowie das Know-how, die wirtschaftlichen und technischen Methoden und das Geschäftssystem des FG zu nutzen.”
Als Schuldvertrag ist der Franchisingvertrag grundsätzlich formfrei. – Wird dabei aber eine Patentlizenz eingeräumt oder ein Musterrecht übertragen, muss dies zur Wirksamkeit gegenüber Dritten schriftlich erfolgen und im Patent- oder Musterregister eingetragen werden; vgl bspw §§ 10, 22 Abs 2 MuSchG.
Form?


Österreichs größte Franchise-Systeme
Abbildung 5.29:
Österreichs größte Franchise-Systeme
Zu beachten ist ferner die kartellrechtliche Einordnung von Franchiseverträgen. Die Grenze zwischen verschiedenen Kartellarten ist fließend und erfordert Vorsicht; Vereinbarungs-, Verhaltens- oder Absichtskartell. Als unternehmerische Vertriebsbindung kann ein Franchisesystem anzeigepflichtig sein. Bestimmte Formen sind sogar genehmigungsbedürftig.
Kartellrechtliche Einordnung
Beispiel
Beispiel
Der Franchisingvertrag ist echter Mischvertrag, der (Rechts)Pachtelemente, gewerbliche Schutzrechte (Marken, Symbole, Patente), wie Werk-, Kauf-, Dienst-, Gesellschafts- und Know how-Vertragselemente umfasst, wobei sich im einzelnen immer wieder Unterschiede ergeben. – IdR handelt es sich um detaillierte Vertragswerke, die die vielfältigen Sachfragen eingehend regeln, weil der Vertragsinhalt keinem gesetzlich normierten Typus zugeordnet werden kann. Große Bedeutung kommt daher einer kautelarjuristischen Vertragsgestaltung zu → Gestaltungs- oder Inhaltsfreiheit Besondere Regelung erfahren üblicherweise die beiderseitigen Vertragspflichten insbesondere das – idR wertgesicherte – Entgelt, das der FN dem FG zu zahlen hat. Das zu zahlende Entgelt ist idR umsatzabhängig; prozentuelle Beteiligung. Dazu kommen Sicherungen des FG zB Wettbewerbsverbote oder für den Fall der Insolvenz des FN; zu Sicherungsmitteln allgemein → KAPITEL 15: Überblick. Auch die Vertragsauflösung / Kündigung des Dauerschuldverhältnisses Franchising wird erfahrungsgemäß ausführlich geregelt; ordentliche und außerordentliche Kündigung, Abfindungen, Konkurrenzklauseln etc.
Mischvertrag
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9. Heimvertrag – Pflegegeld
Von M. Ganner
Beim Heimvertrag, dem Vertrag zwischen dem Rechtsträger eines Altenwohn- oder Pflegeheimes und dem/r jeweiligen BewohnerIn, handelt es sich um einen typischen Mischvertrag bestehend aus: vornehmlich Miete (Unterkunft), Kauf (Verpflegung), Werkvertrag (Betreuung und Pflege) sowie mitunter Geschäftsbesorgung, also Auftrag und Verwahrung.
Die Bundesländer Steiermark, Kärnten, Burgenland, Oberösterreich, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg treffen im jeweiligen Landes-HeimG oder einer HeimVO zum SozialhilfeG sonderprivatrechtliche Regelungen bezüglich der Vertragsbeziehung zwischen Heimträger und HeimbewohnerIn, wogegen aber verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, zumal eine Zivilrechtskompetenz der Länder gem Art. 15 Abs 9 B-VG hier nicht gegeben ist; vgl Ganner, Die Kompetenzlage in der Alten- und Pflegebetreuung, SozSi 1997, 938.
Inhaltlich schaffen die heimrechtlichen (Landes)Regelungen Schutzbestimmungen zugunsten der BewohnerInnen, indem zumeist schriftliche Vertragsabschlüsse sowie Leistungs- und Kostentransparenz vorgeschrieben und BewohnerInnenrechte festgelegt werden. In der Praxis unterbleibt die schriftliche Vertragserrichtung aber häufig aus Kostengründen. Zusätzlich wird die Möglichkeit der Vertragskündigung auf Seiten des Heimträgers auf eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund beschränkt. Diese Kündigungsbeschränkung besteht aber schon nach allgemeinem Zivilrecht und daher auch in jenen Bundesländern, die keine diesbezügliche Regelung getroffen haben; das betrifft dzt: Tirol und Wien. Eine Vertragsbestimmung, die eine jederzeitige Auflösung des Dauerschuldverhältnisses Heimvertrag ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes oder schon bei geringfügigen Verletzungen vorsieht, wäre grob benachteiligend und sittenwidrig, weil sie der Natur, dem Zweck des Vertrags und der zu unterstellenden Parteienabsicht widerspricht, den Heimplatz auf Lebenszeit, jedenfalls solange dies der Gesundheitszustand des Bewohners erlaubt, zur Verfügung zu stellen und in Anspruch zu nehmen.
Schutzbestimmungen
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 16.10.1997, 6 Ob 247/97k und Barta/ Ganner, Zur Auflösung des Altenheimvertrags durch den Heimträger, wobl 1998, 93. Vgl auch Ganner, Heimvertrag – Rechtsgeschäfte im Heim (2001).
Rechtspolitisch wäre es wünschenswert, ein Bundes-Heimvertragsgesetz für ganz Österreich zu beschließen, das auch ein konsumentenpolitisches Anliegen darstellt und die gleichwertige Stellung von HeimbewohnerInnen und Heimträger rechtsinstrumentell noch stärker als bisher zum Ausdruck bringen würde. Es liegt dazu ein Entwurf zur Änderung des KSchG vor, wonach in den §§ 27 b-f KSchG wichtige Aspekte des Heimvertrags geregelt werden sollen. Verpflichtend vorgesehen sind demnach vorvertragliche Informationspflichten (Prospektpflicht). Zusätzlich liegt ein Entwurf für ein Heimaufenthaltsgesetz vor, mit dem die Möglichkeit der Vornahme freiheitsbeschränkender Maßnahmen an PflegeheimbewohnerInnen wegen Selbst- oder Fremdgefährdung einer schon lange überfälligen Regelung zugeführt werden soll. Nachdem mit dem VfGH-Erk vom 28.6.2003, G 208/02-16, diesbezüglich die ausschließliche Regelungskompetenz des Bundes festgestellt wurde, steht der Umsetzung nichts mehr im Wege, wobei der Entwurf in einigen Punkten durchaus verbesserungsbedürftig ist.
Bundes-Heimvertragsgesetz
Literaturquelle
1993 wurde mit der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern gem Art 15a B-VG über gemeinsame Maßnahmen für pflegebedürftige Personen (BGBl 1993/866) die Vorsorge für den Fall der Pflegebedürftigkeit neu geregelt. Kern dieser Neuregelung war die Einführung des Pflegegeldes durch das Bundes- und die neun LandespflegegeldGe:
Zum Pflegegeld
„Das Pflegegeld hat den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen;” § 1 BPGG.
Voraussetzung für einen Anspruch auf Pflegegeld ist der Bezug einer Pension oder einer ähnlichen Leistung (§ 3 BPGG), ein zu erwartender Pflegebedarf von mindestens sechs Monaten sowie von durchschnittlich mehr als 50 Stunden pro Monat; § 4 BPGG. Der weit überwiegende Anteil der Pflegegeldbezieher erhält Bundes-Pflegegeld. Nur bei Ruhebezügen, die auf einem landesrechtlichen Dienstverhältnis beruhen, sowie in einigen Sonderfällen steht Landes-Pflegegeld zu. Der Pflegegeldanspruch besteht unabhängig von Einkommen und Vermögen.


Pflegegeld
Abbildung 5.30:
Pflegegeld


Anzahl der Pflegegeldbezieher
Abbildung 5.31:
Anzahl der Pflegegeldbezieher
Literaturquelle


 Gesamtkosten des Pflegegeldes
Abbildung 5.32:
Gesamtkosten des Pflegegeldes
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IV. Zu Funktion und Wandel des Vertrags
1. Die klassische Vertragslehre
Die klassische Vertragslehre geht davon aus, dass die Vertragsparteien den gesamten Vertragsinhalt – also alle Bedingungen und Einzelheiten ihrer Vereinbarung – vollständig und frei untereinander aushandeln. Wir wissen, dass diese Grundvoraussetzung heute oft nicht zutrifft, aber dennoch fingiert wird. Das Leitbild des Individualvertrags wurde im modernen Rechtsgeschäftsverkehr durch den Massenvertrag ersetzt, freies Aushandeln durch häufiges „Unterwerfen”; dh zB ein pauschales Akzeptieren der vom Verkäufer aufgestellten Bedingungen durch den Käufer. Dem Käufer bleibt oft nur die mehr oder weniger enge Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Marktanbietern.
Vom Individual- zum Massenvertrag
und H.S. MaineW. Friedmann, Recht und sozialer Wandel (1969), hat diese Entwicklung untersucht und nennt vier Gründe, welche die soziale Funktion des Vertrages in der Entstehungszeit moderner industrieller und kapitalistischer Gesellschaften charakterisieren. Dazu kommt, dass das für das Privatrecht so zentrale und typische Rechtsinstitut Vertrag – das seinerseits beachtlichen entwicklungsgeschichtlichen Wandlungen unterlag – rechtshistorisch nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, um Menschen persönlich und gesellschaftlich freier und unabhängiger zu machen, sie aus alten, gesellschaftlich gewachsenen (Rechts)Zwängen und Status-Abhängigkeiten zu lösen. Diese von der Rechtsgeschichte oft vernachlässigte Funktion des Vertrags beleuchtet die Hypothese des Amerikaners H. S. Maine (Ancient Law 1861, Neuausgabe Boston 1963, S. 295 ff), deren kurze Formel lautet: From Status to Contract.
W. Friedmann
Literaturquelle
„Die soziale [iSv: gesellschaftliche] Funktion des Vertrags in der Entstehungszeit der modernen industriellen und kapitalistischen Gesellschaft wird durch vier Elemente gekennzeichnet: [1] wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Einzelnen, [2] Absicherung gegen kalkulierbare wirtschaftliche Risiken, [3] Privatautonomie und [4] Gleichheit der Parteien.” – Zur „wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit” führt Friedmann aaO 99 f aus: „In einer im Entstehen begriffenen Industriegesellschaft war der Vertrag das rechtliche Instrument, das Menschen und Waren einen freien Verkehr ermöglichte. Und eben dies ist der Hauptaspekt der Maine’schen These, daß progressive Gesellschaften vom bloßen Standes- [oder Status-] zum Vertragsrecht übergehen. Im Gegensatz zu einem Rechtsstatus, der durch [gesellschaftliche] Bindungen und Bedingungen bestimmt wird, die außerhalb der persönlichen Entscheidungsfreiheit liegen, erlaubt der Vertrag dem Einzelnen, Aufenthaltsort und Beschäftigung zu wechseln. – Im amerikanischen Bürgerkrieg [Friedmann war Professor an der Columbia Universität in N.Y.] stand hinter der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Sklaverei und individueller Freiheit [auch] der Widerstreit zwischen Status und Vertrag. Die ländlich strukturierte, vom Patriarchat geprägte und statische Gesellschaft des Südens wünschte eine hierarchische Unbeweglichkeit. Der Sklave als Bestandteil des Eigentums stand auf der untersten Sprosse der Stufenleiter, wenngleich – wie sich in der Folgezeit zeigen sollte – seine wirtschaftliche und soziale Lage oft besser war als innerhalb der mobilen und freien Wirtschaftsordnung, die der industrialisierte und kommerzialisierte Norden forderte und erreichte. Einstellungs- und Kündigungsfreiheit und die uneingeschränkte freie Wahl des Arbeitsplatzes sind Kennzeichen dieser Gesellschaft ....
From status to contract
Die Entwicklung vom Status zum Vertrag, von der Unbeweglichkeit zur Bewegungsfreiheit, dehnt sich allmählich über den Bereich der Handels- und Arbeitsverträge auf alle Lebensgebiete aus. Sie griff auf familienrechtliche Verhältnisse und auf das Erbrecht über. Sie wurde zur Grundlage der Vereins- und Gewerkschaftsmitgliedschaft. Schritt für Schritt faßte sie sogar Fuß im Recht des Grundbesitzes, der Grundstücksveräußerung und -vererbung.”
Diese Ausführungen erscheinen für ein tieferes Verständnis des Vertrags und seiner Funktionen von Bedeutung. Die Vertragsfreiheit – als Freiheit für jedermann Verträge zu schließen – ist aber viel älter und wurde nicht erst im amerikanischen Bürgerkrieg geschaffen. In Österreich hatte sie K. A. v. Martini in seinen Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs (1796) und in das WGGB (1797) aufgenommen, von wo sie leider nicht ins ABGB gelangte → Vertragsfreiheit und Privatautonomie
Erstmals gewährt wurde Vertragsfreiheit von Solon im Rahmen seiner Gesetzgebung 594/93 v. C. für alle Bürger Athens / Attikas: Sie war ua die Konsequenz der damals gewährten unverlierbaren bürgerlichen Freiheit (Aufhebung der Schuldknechtschaft) samt der privatrechtlichen und (wenn auch noch nicht vollständigen, so doch schon weitgehenden) öffentlichrechtlich-politischen Gleichheit. Freiheit (Eleutheria) und Gleichheit (Isonomia) waren unverzichtbare Voraussetzungen, um „moderne” Rechtssubjekte zu schaffen, die Träger von subjektiven Rechten und Pflichten sein und Verträge schließen konnten. – Dieser frühe griechische Entwicklungsstandard ermöglichte idF das Entstehen der Demokratie, die freie und gleiche Individuen als Träger politischer Teilhaberechte am Staat / der Polis voraussetzt. Der Vertrag ist somit seit der Antike ein wichtiges rechtlich-gesellschaftliches Gestaltungsmittel des Menschen, um seine Interessen festzuschreiben und insbesondere auch sein Wirtschaften rechtlich abzusichern.
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2. Ideal- und Realtypen
Die gesellschaftliche Entwicklung hat dazu beigetragen, die klassische Vertragslehre zum Idealtypus werden zu lassen, dem in der Praxis oft abweichende Realtypen gegenüberstehen. – Als wichtigste soziale Ursachen der „ Wandlung des Vertragsbegriffs“ führt Friedmann folgende an (S. 110 f):
„Vier Faktoren können als hauptverantwortlich für eine Wandlung der Funktion und des Wesens des Vertrags angesehen werden, ... :
• Der erste Faktor [1] ist der starke Konzentrationsprozeß in Industrie und Handel, der mit einer zunehmenden Vermassung und einer Standardisierung des Lebens einhergeht. Sein juristisches Ergebnis sind die ‚allgemeinen Geschäftsbedingungen’ oder der ‚Standardvertrag’.
• Der zweite Faktor [2] ist die immer häufigere Verdrängung des Individualvertrags durch kollektives Aushandeln in der Industriegesellschaft. Seinen rechtlichen Niederschlag findet er im Tarif[Kollektiv]vertrag zwischen Arbeitgeberseite und Gewerkschaft, wobei die Mitwirkung des Staates unterschiedlich stark ist.
• Der dritte Faktor [3] besteht in der gewaltigen Ausweitung der Wohlfahrts- und Sozialleistungsfunktionen des Staates.... Er hat ein doppeltes rechtliches Ergebnis; einmal eine Vielzahl gesetzlich vorgeschriebener Vertragsbestimmungen, die entweder die zwischen den Parteien vereinbarten ersetzen oder sie ergänzen [zB im Arbeitsrecht oder dem Konsumentenschutz]; zum andern werden jetzt wesentlich mehr Verträge zwischen Regierung oder anderen öffentlichen Stellen einerseits und einem privaten Kontrahenten andrerseits abgeschlossen. Das hat nachhaltige Wirkungen auf das Vertragsrecht ....
• Schließlich [4] wird der Aspekt der wirtschaftlichen Sicherungsgarantie des Vertrags, dh. die Sanktionierung des Vertragsbruchs, durch die Zunahme politischer, wirtschaftlicher und sozialer Katastrophen wie Krieg, Revolution und Inflation immer mehr beeinflußt. Das juristische Resultat ist die Lehre von der Vernichtbarkeit des Vertrages mit der folgerichtigen Ausweitung rechtlicher Entschuldigungsgründe für seine Nichterfüllung.”
§ 3 KSchG: Zur Entwicklung des Vertragsrücktritts seit Inkrafttreten des ABGB – das noch streng an der Vertragserfüllung festhielt – über die III. TN (1916) bis heute (vgl etwa § 3 KSchG) → KAPITEL 7: Zum gesetzlichen Rücktrittsrecht des § 918 ABGB.
• Als weitere Gründe der Wandlung des Vertragsbegriffs können heute der umfassende Einsatz von EDV und Internet sowie die Globalisierung (und der dadurch weiter forcierte Konzentrationsprozess) angesehen werden. Dazu tritt der politische Prozess der Europäisierung (EU) und die Harmonisierung und Internationalisierung des Vertragsrechts durch diverse Abkommen; zB CISG → KAPITEL 1: Das UN- oder Wiener Kaufrecht.
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D. Steuern
Neu bearbeitet von R. Beiser
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I. Begriff und Funktionen
1. Begriff
Steuern (Abgaben) sind Geldleistungen, die einer Gebietskörperschaft zufließen und auf Grund öffentlichen Rechts geschuldet und eingebracht werden. Der Steuerzahler hat eine Gegenleistung nicht zu erwarten: Die öffentliche Hand kassiert Steuern nicht in einem Leistungsaustauschverhältnis (nicht nach dem Äquivalenzprinzip), sondern lediglich mit der weit gefassten Widmung einer Verwendung zum Wohle der Allgemeinheit („bonum commune”). Die Gebühren nach dem Gebührengesetz (GebG) sind Steuern; eine äquivalente Gegenleistung ist nicht Voraussetzung einer Gebührenpflicht nach dem GebG.
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2. Funktionen
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Steuern erfüllen drei Funktionen:
• Sie finanzieren die Staatsausgaben und sichern so die Erfüllung der Staatsaufgaben (Finanzierungsfunktion).
• Sie nehmen Geld und somit Wirtschaftsmacht vom Einzelnen (Individuum; Steuerzahler) und geben das genommene Geld der öffentlichen Hand. Wirtschaftsmacht wandert so von der Privatautonomie in die Staatsautonomie, vom Markt in die Disposition der Politik (Umverteilungsfunktion).
• Steuern können schließlich dazu eingesetzt (und missbraucht) werden, um Gesellschaft und Wirtschaft zu steuern / zu lenken (Lenkungsfunktion).
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II. Grobskizzierung einiger Steuern
1. Die Einkommensteuer (ESt)
Die ESt besteuert im Wesentlichen das von natürlichen Personen am Markt durch Leistungen erzielte Einkommen. Die ESt wird in drei Formen erhoben:
• durch Veranlagung mittels ESt-Bescheid (allgemeine Erhebungsform),
• durch Lohnsteuerabzug beim auszahlenden Arbeitgeber und
• durch Kapitalertragsteuerabzug insbesondere bei Banken anlässlich von Zinsgutschriften und bei Kapitalgesellschaften anlässlich von Gewinnausschüttungen.
Die ESt hat im Jahr 2002 ca 21 Mrd ı Abgabenertrag erbracht, das sind rund 39 % vom Abgabenerfolg des Bundes in Höhe von rund 55 Mrd ı 2002 (AÖF 2003/37).
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2. Die Körperschaftsteuer (KöSt)
Die Körperschaftsteuer besteuert das Markteinkommen juristischer Personen (Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine, Privatstiftungen, juristische Personen des öffentlichen Rechts).
Sie hat 2002 ca 4,5 Mrd ı erbracht, also rund 8 % vom Gesamterfolg von 55 Mrd ı.
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3. Die Umsatzsteuer (USt)
Die Umsatzsteuer besteuert den Konsum in Österreich in der Regel mit 20 % oder 10 % (ermäßigter Steuersatz) auf das Entgelt; der zivilrechtliche Preis setzt sich aus dem Leistungsentgelt + USt zusammen. Der Vorsteuerabzug sichert die Kostenneutralität der Umsatzsteuer in der Unternehmerkette. Die Unternehmer haben die USt aus dem an sie bezahlten Leistungspreis herauszurechnen und an das Finanzamt abzuführen. Der Konsument wird durch den Ausschluss vom Vorsteuerabzug belastet (= Steuerträger der USt), der Unternehmer (= Steuerschuldner der USt) wird durch die umsatzsteuerbedingte Verteuerung seiner Produkte und Leistungen und den damit verbundenen Nachfragerückgang entsprechend der jeweiligen Preiselastizität der Nachfrage indirekt belastet.
Die USt hat 2002 rund 17,6 Mrd ı Abgabenertrag erbracht (also rund 32 % des Abgabengesamterfolges von rund 55 Mrd ı 2002).
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4. Weitere Beispiele für Verbrauchsteuern
Andere Verbrauchsteuern / Konsumsteuern sind die Tabak-, Bier-, Mineralöl-, Alkohol- und Schaumweinsteuer.
Sie haben 2002 rund 4,7 Mrd ı erbracht.
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5. Die Grunderwerbsteuer (GrESt)
Die Grunderwerbsteuer besteuert den Verkehr mit österreichischen Grundstücken: Ein Grundstückskauf löst 3,5 % (2 % im engsten Familienkreis – Ehegatten/Kinder) Grunderwerbsteuer und rund 1 % Eintragungsgebühr für die Einverleibung im Grundbuch aus.
Die Grunderwerbsteuer hat im Jahr 2002 einen Abgabenerfolg von rund 451 Mio ı erbracht (also 0,8 % der Abgabengesamteinnahmen des Bundes von rund 55 Mrd ı).
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6. Die Veräußerung eines bebauten Grundstückes als Fallbeispiel einer Steuerkumulation
Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer können kumulativ anfallen: Grundstücksumsätze sind in der Regel nach § 6 Abs 1 Z 9 lit a UStG 1994 unecht umsatzsteuerfrei; ein solcher umsatzsteuerfreier Verkauf löst jedoch eine so genannte Vorsteuerkorrektur nach § 12 Abs 10 ff UStG 1994 aus, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Verkauf zB anlässlich von Gebäudeinvestitionen einen Vorsteuerabzug beansprucht hat. Die Vorsteuerkorrektur wird auch in der Unternehmerkette zum Kostenfaktor, weil eine korrigierte Vorsteuer beim Käufer nicht vorsteuerabzugsfähig ist. Der Veräußerer kann jedoch nach § 6 Abs 2 UStG 1994 zur Umsatzsteuerpflicht optieren: Der Verkauf des (bebauten) Grundstückes löst dann 20 % USt auf das vereinbarte Entgelt aus. In einem solchen Fall kommt es zusätzlich zu einer Kumulierung von USt und GrESt: Grunderwerbsteuer (und ebenso die Eintragungsgebühr) werden vom zivilrechtlichen Kaufpreis (Entgelt + USt) bemessen; die USt erhöht also die Bemessungsgrundlagen der GrESt und Eintragungsgebühr um 20 %. Die GrESt erhöht jedoch nicht die Bemessungsgrundlage der USt: Die GrESt ist nicht Entgelt, sondern eine Steuer ohne Gegenleistung; die GrESt steht außerhalb eines wechselseitig final verknüpften Leistungsaustausches im Sinn der Umsatzsteuer.
Im Einzelfall sind also die Nachteile einer nicht vorsteuerabzugsfähigen Zehntelkorrektur nach § 12 Abs 10 ff UStG gegen die Erhöhung der Bemessungsgrundlagen der GrESt und Eintragungsgebühr durch 20 % USt im Fall der Option zur USt-Pflicht gegeneinander abzuwägen. Bei der Abfassung von Kaufverträgen über inländische Grundstücke ist zu vereinbaren, ob das Grundstück umsatzsteuerfrei oder umsatzsteuerpflichtig veräußert wird; nur im Fall einer steuerpflichtigen Veräußerung hat der Käufer als Unternehmer den Vorsteuerabzug (Achtung: Auch die Vermietung einer Wohnung begründet die Unternehmerqualität im Sinn der Umsatzsteuer.), die Option zur Umsatzsteuerpflicht liegt in der Hand des Veräußerers. Es sollte somit vereinbart werden, ob der zivilrechtliche Kaufpreis von zB 12 Mio ı sich aus 10 Mio ı Entgelt + 2 Mio ı USt zusammensetzt oder 12 Mio ı ohne USt beträgt, weil umsatzsteuerfrei veräußert wird (und der Erwerber somit keinen Vorsteuerabzug in Höhe von 2 Mio ı hat).
In der Einkommensteuer ist zu differenzieren: Wird ein Gebäude aus dem Privatvermögen innerhalb der zehnjährigen Spekulationsfrist veräußert, fallen bis zu 50 % Einkommensteuer auf den erzielten Gewinn/Überschuss an. Zählt das veräußerte Gebäude dagegen zum Betriebsvermögen, ist zu unterscheiden: Bei im Firmenbuch eingetragenen Gewerbebetrieben ist der auf Grund und Gebäude entfallende Veräußerungsgewinn steuerpflichtig (bis zu 50 % ESt), bei anderen Betrieben ist dagegen Grund und Boden, der nach Ablauf der Spekulationsfrist (§ 30 EStG) aus dem Anlagevermögen veräußert wird, steuerfrei (§ 4 Abs 1 EStG), nur die Gebäudetangente ist steuerpflichtig (bis zu 50 % ESt). Nutzt der Erwerber das Gebäude zur Einkunftserzielung, sind die Anschaffungskosten für das Gebäude abschreibbar (Absetzung für Abnutzung nach den §§ 7 und 8 EStG), die Anschaffungskosten für den Grundanteil dagegen nicht.
Das Beispiel zeigt: Bei einer Gebäudeveräußerung sind nicht nur wirtschaftliche (Investitions- und Finanzierungsrechnung) und zivilrechtliche (zB Lastenfreiheit; Gewährleistung) Probleme zu lösen, sondern auch Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Grunderwerbsteuer und Eintragungsgebühr zu berücksichtigen.
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7. Die Gesellschaftsteuer
Die Gesellschaftsteuer besteuert die Kapitalzufuhr in Kapitalgesellschaften (Gesellschaftereinlagen) mit 1 %.
Die Gesellschaftsteuer hat 2002 rund 51 Mio ı erbracht (also rund 0,1 % der Abgabengesamteinnahmen des Bundes von rund 55 Mrd ı).
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8. Die Erbschafts- und Schenkungssteuer (ErbSt)
Die Erbschafts- und Schenkungssteuer besteuert
• Erwerbe von Todes wegen
• Schenkungen unter Lebenden sowie freigebige Zuwendungen und
• Zweckzuwendungen (nicht eine bestimmte Person wird bedacht, sondern ein abstrakter Zweck wird gefördert, zB: Ein Zehntel des Jahresgewinnes ist für die Kinderkrebsforschung zu verwenden.)
Der Erbschaftssteuertarif ist zweifach progressiv gestaffelt: Nach dem Verwandtschaftsgrad zwischen Erwerber und Überlasser gibt es fünf Steuerklassen. Je entfernter die Verwandtschaft ist, desto höher ist die Steuer. Zweckzuwendungen fallen in die Steuerklasse V und sind deshalb nicht zu empfehlen. Der engste Familienkreis wird am günstigsten gestellt.
Die Tarifspannweite ist groß: Je nach Steuerklasse und Höhe des Vermögensanfalles fallen zwischen 2 % und 60 % Steuer an. Zahlreiche Befreiungen durchlöchern die Erbschafts- und Schenkungssteuer und stellen deren sachliche Rechtfertigung (Art 7 B-VG) insgesamt in Frage: Im Ergebnis kommt es nach der gegenwärtigen ErbSt nicht primär darauf an, wieviel Vermögen zwischen welchen Personen unentgeltlich übertragen wird, sondern wie Vermögen übertragen wird. Auf Grund der damit verbundenen ungleichen/willkürlichen Lastenverteilung sieht der deutsche Bundesfinanzhof die ErbSt als verfassungswidrig (BFH 22.5.2002, II R 61/99, BStBl 2002 II 598). Im Einzelfall (insbesondere bei unerwarteten Todesfällen) kann die ErbSt zur Veräußerung des vererbten Vermögens zwingen und dadurch weitere Steuern (USt/GrESt/Gebühren) auslösen. Die Unternehmensnachfolge kann so erschwert werden.
Die ErbSt ist bei der Gestaltung der Erbfolge zu beachten: Eine fideikommissarische Substitution nach §§ 608 ff ABGB ist steuerlich ungünstig, weil die ErbSt zweimal anfällt, eine Fruchtgenuss-konstruktion nach § 509 ABGB kommt der fideikommissarischen Substitution nahe und ist steuergünstig, weil nur einmal ErbSt anfällt.
Das Gesamtaufkommen der ErbSt hat im Jahr 2002 rund 148 Mio ı (also rund 0,3 % des Abgabenerfolges des Bundes von rund 55 Mrd ı) betragen. Budgetär fällt die ErbSt also nicht ins Gewicht. Andere Abgaben sind ertragreicher. Die Normverbrauchsabgabe hat 2002 zB 415 Mio ı erbracht, die motorbezogene Versicherungssteuer 1.185 Mio ı, die Versicherungssteuer 826 Mio ı, die Mineralölsteuer 3.109 Mio ı.
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9. Die Gebühren nach dem Gebührengesetz (GebG)
Das Gebührengesetz besteuert
bestimmte Schriften und Amtshandlungen im Sinn des § 14 GebG:
zB Abschriften, amtliche Ausfertigungen, Eingaben und Beilagen, Protokolle zB 260 ı für das Protokoll über eine Hauptversammlung einer AG, 130 ı für ein Generalversammlungsprotokoll einer GmbH;
Unterschriftsbeglaubigungen durch Urkundspersonen (die Gebühr für Vollmachten ist entfallen), Reisedokumente, Zeugnisse, Führerscheine sowie
Urkunden über folgende Rechtsgeschäfte nach § 33 GebG:
Annahmeverträge: 1 % vom Vermögen des Annehmenden
Anweisungen: 2 % vom angewiesenen Wert
Bestandverträge: 1 % im Allgemeinen, 2 % bei der Jagdpacht; Bemessungsgrundlage: alle Gegenleistungen des Mieters/Pächters
Bürgschaften und Schuldbeitritte: 1 % der verbürgten Schuld
Darlehen: 0,8 % der Darlehenssumme
Dienstbarkeiten: 2 % des Entgeltes für die Einräumung einer Dienstbarkeit
Ehepakte: 1 % vom „paktierten” Vermögen
Glücksverträge: zB 2 % vom kapitalisierten Rentenwert bei einer Leibrentenzusage
Hypothekarverschreibungen: 1 % der Hypothekarschuld
Kreditverträge: 0,8 % der Kreditsumme, wenn diese nur einmal oder in maximal fünf Jahren mehrmals verfügbar ist; 1,5 % in allen anderen Fällen
außergerichtliche Vergleiche: 1 % bei Streithängigkeit, 2 % bei nicht gerichtshängigen Streitigkeiten vom Gesamtwert der von jeder Partei übernommenen Leistungen
Zessionen: 0,8 % des Zessionsentgeltes
Wechsel: ein Achtel Prozent = 0,125 % der Wechselsumme.
Die Gebühren nach dem GebG verteuern die Beweisvorsorge durch Urkundenerrichtung und durch die Schriftlichkeit von Verträgen, sie belasten die Fremdfinanzierung von Investitionen und beeinträchtigen Österreichs Banken im internationalen Wettbewerb (0,8 % bis 1,5 % Darlehens- oder Kreditvertragsgebühr sind ein entscheidender Kostenfaktor bei der Darlehens- und Kreditvergabe).
Die Gebühren nach dem GebG haben 2002 766 Mio ı erbracht (also rund 1,4 % der Abgabengesamteinnahmen des Bundes von rund 55 Mrd ı).
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III. Das Verhältnis zwischen Abgabenrecht und Privatrecht
1. Allgemeines
Abgabenrecht ist zwingendes öffentliches Recht. Eine einmal entstandene Abgabenschuld steht nicht zur Disposition der Abgabenschuldner. Wird ein Rechtsgeschäft zivilrechtlich im Einvernehmen der Vertragspartner rückgängig gemacht (mit Wirkung ex tunc aufgehoben), bleibt die einmal ausgelöste Abgabenschuld dennoch bestehen (§ 4 BAO). Steuergesetze lassen die zivilrechtliche Aufhebung / Rückabwicklung / Minderung der Gegenleistung nur in Ausnahmefällen auf das Steuerschuldverhältnis durchschlagen; so zB § 17 GrEStG für den Fall der Nichterfüllung oder Ungültigkeit, § 33 ErbStG für den Fall eines Schenkungswiderrufes, § 16 UStG für den Fall einer nachträglichen Entgeltsminderung zB wegen Gewährleistung oder Forderungsausfalles oder im Fall einer Rückgabe der gelieferten Ware. Nach § 17 Abs 5 GebG gilt dagegen:
”Die Vernichtung der Urkunde, die Aufhebung des Rechtsgeschäftes oder das Unterbleiben seiner Ausführung heben die entstandene Gebührenschuld nicht auf.”
Ein Mieter muss also die Bestandvertragsgebühr nach § 33 TP 5 GebG für eine Wohnungsmiete auf unbestimmte Dauer auch dann bezahlen (1 % von der dreifachen Jahresmiete), wenn er nach drei Wochen wieder auszieht.
Zivilrecht und Abgabenrecht sind vielfach miteinander verknüpft und verwoben:
Das zeigen die beiden folgenden Beispiele einer mehrwertsteuergerechten Rechnung und des wirtschaftlichen Eigentums:
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2. Mehrwertsteuergerechte Rechnung
§ 11 UStG begründet einen zivilrechtlichen Anspruch auf eine mehrwertsteuergerechte Rechnung in der Unternehmerkette, um den Vorsteuerabzug sicherzustellen. Welche Merkmale diese Rechnung aufweisen muss, regelt § 11 UStG. Der zivilrechtliche Anspruch auf Rechnungslegung nach § 11 UStG ist im Streitfall beim Zivilgericht einzuklagen.
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3. Wirtschaftliches Eigentum
Das wirtschaftliche Eigentum (§ 24 BAO) löst sich vom sachenrechtlichen Eigentum und stellt darauf ab, wer schuldrechtlich über Substanz und Nutzung verfügen/disponieren kann. So mag ein Treuhänder sachenrechtlich Eigentümer sein, die umfassende Dispositionsgewalt liegt jedoch auf Grund der schuldrechtlichen Bindung beim Treugeber, § 24 BAO ordnet deshalb das wirtschaftliche Eigentum dem Treugeber zu. Die Zurechnung von Leasinggegenständen in der Handels- und Steuerbilanz folgt nicht dem sachenrechtlichen Eigentumsübergang; entscheidend ist, ob der Leasingnehmer nach der gesamten Sach- und Vertragslage eine eigentümerähnliche Herrschaftsgewalt erlangt hat:
„Wirtschaftsgüter, über die jemand die Herrschaft gleich einem Eigentümer ausübt, werden diesem zugerechnet”; § 24 Abs 1 lit d BAO.
Das wirtschaftliche Eigentum zielt nicht auf eine Antinomie zwischen Zivil- und Steuerrecht. Das wirtschaftliche Eigentum löst sich vom sachenrechtlichen Eigentumsübergang, knüpft jedoch gerade an den Kern des subjektiven Eigentumsbegriffes an:
„Als ein Recht betrachtet, ist Eigentum das Befugnis, mit der Substanz und den Nutzungen einer Sache nach Willkür zu schalten, und jeden andern davon auszuschließen”; § 354 ABGB.
Exakt an diese umfassende Dispositionsgewalt knüpft die „Herrschaft gleich einem Eigentümer” an. Das wirtschaftliche Eigentum legt den Schwerpunkt der Zurechnung von Wirtschaftsgütern / Vermögensgegenständen nicht auf den sachenrechtlichen Eigentumsübergang, sondern auf die subjektiven Kernbefugnisse im Sinn einer umfassenden tatsächlichen Sachherrschaft. Die schuldrechtliche Vertragslage ist jedoch einzubeziehen, um die Frage zu klären, wem die umfassende Sachherrschaft zukommt.
Beispiel
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4. Das Realisationsprinzip
Literaturquelle
Die Gewinnrealisierung iSd § 201 Abs 2 Z 4 lit a HGB erfolgt beim Maschinenlieferanten ebenfalls mit der Lieferung der Maschine, wenn und weil er damit seinen Liefervertrag wirtschaftlich erfüllt und sich seine Gegenleistungsgefahr auf die Risiken aus Gewährleistung und Einbringlichkeit reduziert. Der schuldrechtliche Übergang der Preisgefahr führt zu einer (relativ) sicheren Forderung des Lieferanten auf die vereinbarte Gegenleistung. Dieser schuldrechtliche Gefahrenübergang löst die Gewinnrealisierung handels- und steuerrechtlich aus; Mayr aaO, 36. Handels- und Steuerbilanz messen also dem schuldrechtlichen Gefahrenübergang ein größeres Gewicht zu als dem sachenrechtlichen Eigentumsübergang.
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5. Der Lieferbegriff in der Umsatzsteuer
Auch der umsatzsteuerrechtliche Lieferbegriff (§ 3 UStG 1994) löst sich vom sachenrechtlichen Eigentumsübergang: Mit der Übergabe oder dem Beginn der Beförderung oder Versendung ist ein Gegenstand umsatzsteuerrechtlich geliefert; vgl auch § 429 ABGB. Ein zivilrechtlich wirksam vereinbarter Eigentumsvorbehalt hindert eine umsatzsteuerrechtliche Lieferung nicht. Wird die gelieferte Maschine an den Lieferanten zurückgegeben, weil der Abnehmer den Kaufpreis nicht zur Gänze bezahlt, so geht das sachenrechtliche Eigentum infolge des zivilrechtlich wirksam vereinbarten Eigentumsvorbehaltes nicht auf den Abnehmer über; umsatzsteuerrechtlich liegt dagegen zunächst eine Lieferung vor, die in der Unternehmerkette beim Lieferanten zur USt-Pflicht und beim Abnehmer zum Vorsteuerabzug führt; die Rückgabe der gelieferten Maschine löst nach § 16 UStG für den Rückgabemonat eine entsprechende USt-Korrektur beim Lieferanten und eine korrelierende Vorsteuerkorrektur beim Abnehmer aus.
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IV. Die Rechtsformwahl
Die Wahl der Rechtsform eines Unternehmers (Einzelunternehmer, Gesellschaft bürgerlichen Rechts, OHG, KG, OEG, KEG, GmbH, AG, GmbH & Co KG, Verein, Privatstiftung) wird von steuerlichen Gesichtspunkten maßgebend beeinflusst.
1. Personengesellschaft
In einer verlustbringenden Anlauf- und Aufbauphase ist eine Personengesellschaft vorteilhaft, weil ertragsteuerrechtlich nicht die Gesellschaft als solche, sondern deren Gesellschafter besteuert werden (Durchgriffsprinzip); die Gesellschafter einer Personengesellschaft können Verluste aus der Gesellschaft mit anderen positiven Einkünften ausgleichen; außerdem sind Finanzierungskosten aus einer Fremdfinanzierung von Anteilen an einer Personengesellschaft abzugsfähig. Die Rechtsform einer GmbH & Co KG ermöglicht eine Haftungsbeschränkung für alle natürlichen Personen.
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2. Kapitalgesellschaft
In der Gewinnphase ermöglicht eine Kapitalgesellschaft eine ertragsteuergünstige Gewinnspeicherung (34 % KöSt statt 50 % ESt). Nach dem Trennungsprinzip ist die Kapitalgesellschaft ein eigenständiges Steuersubjekt, Verluste einer Kapitalgesellschaft können deshalb nicht von deren Gesellschaftern zum Ausgleich mit positiven Einkünften genutzt werden. Kosten einer Fremdfinanzierung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft (zB kreditfinanzierter Aktienkauf oder kreditfinanzierte Einlage in eine GmbH) sind beim Gesellschafter nicht abzugsfähig (Abzugsverbot nach § 20 EStG).
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3. Verein
Das Markteinkommen von Vereinen unterliegt der Körperschaftsteuer. Viele Vereine sind gemeinnützig tätig. Gemeinnützige Vereine sind mit ihren „unentbehrlichen Hilfsbetrieben” unter drei (kumulativ zu erfüllenden) Voraussetzungen steuerfrei (§ 5 Z 6 KStG iV mit § 45 Abs 2 BAO):
a) Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb muss in seiner Gesamtausrichtung auf Erfüllung der gemeinnützigen Zwecke ausgerichtet sein.
b) Die gemeinnützigen Zwecke dürfen nicht anders als durch den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb erreichbar sein.
c) Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb darf zu abgabepflichtigen Betrieben derselben oder ähnlichen Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb treten, als dies bei Erfüllung der Zwecke unvermeidbar ist.
Beispiel
§ 5 Z 6 KStG befreit alle gemeinnützigen Körperschaften von der Körperschaftsteuer hinsichtlich ihrer unentbehrlichen Hilfsbetriebe (also auch eine gemeinnützige GmbH, AG oder PS). – Allerdings ist zu beachten: Gemeinnützigkeit und Gewinnmaximierung schließen einander grundsätzlich aus; ein Gewinnmaximierungsbetrieb zerstört in der Regel den abgabenrechtlichen Gemeinnützigkeitsstatus (im Detail: § 44 und § 45 a BAO).
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4. Privatstiftung
Eine Privatstiftung darf nach § 1 Abs 2 PSG zwar nicht einen Gewerbebetrieb führen, eignet sich jedoch als Holding einer GmbH. Ein Einzelunternehmen kann nach Art III UmgründungssteuerG steuergünstig (Buchwertfortführung) in eine GmbH eingebracht werden, deren Alleingesellschafter der bisherige Einzelunternehmer ist. Die 100 % Beteiligung an der GmbH wird dann durch einen Stiftungsakt ganz oder teilweise auf eine Privatstiftung übertragen, zB um den Bestand des Unternehmens auf Dauer zu sichern, Erbrechtsprobleme zu lösen, die Familie über mehrere Generationen zu versorgen, Erbschaftssteuerprobleme zu vermeiden etc.
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5. Umgründung
Das UmgründungssteuerG erleichtert den Wechsel zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften; es erleichtert damit wirtschaftlich erforderliche Neustrukturierungen und mildert die ertragsteuerrechtliche Ungleichbehandlung von Personen- und Kapitalgesellschaften nach dem Durchgriffs- und Trennungsprinzip.
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E. Willensmängel – Irrtum
I. Allgemeines
Die §§ 869–875 ABGB handeln laut Überschrift / Marginalrubrik vor § 869 ABGB von der „wahren Einwilligung” in einen Vertrag → Allgemeine Voraussetzungen gültiger Vertragsschlüsse § 876 ABGB stellt klar, dass diese Regeln nicht nur auf vertragliche, sondern auch „auf sonstige Willenserklärungen, welche einer anderen Person gegenüber abzugeben sind” entsprechende Anwendung finden. Das kann zB eine einseitige rechtsgeschäftliche Erklärung wie eine Kündigung oder eine Vollmachtserteilung sein; vgl JBl 1953, 576: Entlassung.
1. Wann unterlaufen Willensmängel?
Willensmängel unterlaufen idR im Vorfeld von Vertragsschlüssen. Man meint „A” und sagt „B” oder hat als Käufer vom Leistungsgegenstand andere Vorstellungen als der Verkäufer; vielleicht deshalb, weil der Verhandlungspartner sich nicht klar genug ausgedrückt hat oder dies gar nicht wollte. – Willensmängel spielen nicht nur im Schuldrecht, sondern auch im Familien-, Ehe- oder Erbrecht eine Rolle. Daher werden die Willensmängel im „Allgemeinen Teil” behandelt. – Aus dem weiten Kreis der Willensmängel wird idF der Irrtum als wichtigster Teilbereich umfassender dargestellt.


Willensmängel – Überblick
Abbildung 5.33:
Willensmängel – Überblick


Willensmängel (1)
Abbildung 5.34:
Willensmängel (1)


Willensmängel (2)
Abbildung 5.35:
Willensmängel (2)
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2. §§ 870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung
Das bedeutet natürlich nicht, dass bspw § 870 ABGB, der die vorsätzliche Täuschung und Drohung behandelt, unwichtig wäre. Vielmehr kommen immer wieder auch derart schwerwiegende Eingriffe in die Willensbildung anderer Vertragspartner vor. – In der Praxis sind aber absichtliche Täuschungen oder Drohungen schwerer zu beweisen, als bloßer Irrtum iSv objektiver Irreführung, weshalb häufig – auch bei „Vorliegen” einer Täuschung – auf den Irrtum ausgewichen wird, zumal dessen Tatbestandsvoraussetzungen nicht einmal ein Verschulden des in die Irre Führenden voraussetzen → Wesentlicher Irrtum: § 871 ABGB
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1989, 657: Ein sog Partnerschaftsvermittlungsinstitut verleitet einen Interessenten arglistig dadurch zum Abschluss eines Partnervermittlungsvertrags, weil es mit Fotos gar nicht vermittelbarer Fotomodelle warb. Ein solcher Vertrag ist, da List vorliegt, nichtig und den vom Interessenten gezahlten Betrag hatte das Institut zurückzuzahlen.
JBl 1999, 49 (Anm Apathy): Haftung des Drohenden für Vorsorgemaßnahmen des Bedrohten? – Aufwendungen für die Sicherung einer Wohnung durch eine Alarmanlage, ein Balkenschloss und eine Geheimnummer kann der telefonisch mit dem Umbringen bedrohte Wohnungseigentümer vom Drohenden, der sich der Wohnung nicht genähert und auch seine Drohung nicht wiederholt hat, nicht als Schadenersatz begehren. (?) – Diese E des OGH ist ein Beispiel dafür, wie anfechtbar Urteile praktisch und theoretisch sein können. Vgl dazu die Ausführungen zum sog Rettungsaufwand bei Vermögensschaden → KAPITEL 9: Vermögensschäden.
DRdA 2000/30: Erzwingung einer Arbeitnehmer-Eigenkündigung durch Drohung (Anm Rummel).
Die Rechtsfolge von Täuschung oder Drohung ist Nichtigkeit → Wie wirkt Nichtigkeit? Die Rspr lässt aber auch im Falle des § 870 ABGB die Rechtsfolge des § 872 ABGB – nämlich Vertragsanpassung – zu; vgl JBl 1991, 584.
Rechtsfolge
Drohung, Täuschung und Gewalt werden auch sonst von der Rechtsordnung nicht toleriert. So können Leistungen, die durch Drohung und/oder Anwendung von Gewalt bewirkt wurden und auf die der Empfänger keinen Rechtsanspruch hat – zB Zahlung einer Prostituierten an ihren Zuhälter – trotz § 1432 ABGB (→ Leistungskondiktionen – Überblick) zurückverlangt werden; RZ 1983/71 = HS 14.987.
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3. Wille, Vorstellung und Erklärung
Das Problem bei Willensmängeln liegt häufig darin, dass beim Abschluss von Rechtsgeschäften, Verträgen oder überhaupt bei der Abgabe von Willenserklärungen Vorstellung, Wille und Erklärung nicht oder doch nicht vollständig übereinstimmen. – Wie wir schon wissen, kommt ein Vertrag durch korrespondierende Willenserklärungen, also Konsens der Vertragsparteien zustande; Antrag und Annahme. § 869 ABGB verlangt zudem, dass die Einwilligung in einen Vertrag eine „wahre” sein muss und meint damit, dass die Willenserklärungen der Vertragsparteien frei von Fehlern sein müssen, insbesondere auch frei von Irrtum (§§ 871 ff ABGB) oder noch schwerwiegenderen Beeinträchtigungen der Willensbildung, wie Täuschung, Drohung oder Zwang → §§ 870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung
Wahre Einwilligung
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4. Willens-, Erklärungs- und Vertrauenstheorie
Die gesetzlichen Regeln über Willensmängel benennen die Voraussetzungen, unter denen solche Fehler – zB ein bei Vertragsabschluss unterlaufener Irrtum – auch noch nachträglich korrigiert werden können. Dabei kann – wie auch bei der Rechtsgeschäftslehre – die Rechtsordnung nicht nur vom Willen des Irrenden ausgehen (sog Willenstheorie; §§ 565, 570–572 ABGB; § 901 Satz 3 ABGB), sondern hat auch auf die Rechtssicherheit des Rechtsverkehrs und die „andere” Seite des Vertragsschlusses zu achten. Das bedeutet, dass die Rechtsordnung auch der abgegebenen Erklärung selbst, wie immer sie gemacht wurde (sog Erklärungs­theorie) und dem Verständnis des Publikums (allgemein: des Erklärungsempfängers) Beachtung schenken muss; sog Vertrauenstheorie: Vgl auch → Zur Rechtsgeschäftslehre des ABGB
• Die Willenstheorie gilt nicht überall, sondern nur bei den unentgeltlichen Geschäften und letztwilligen Verfügungen; denn der Wille von Schenkenden oder Testierenden verdient umfassenden Schutz.
• Die Erklärungstheorie gelangt bspw bei Wechsel und Scheck, überhaupt Wertpapieren zur Anwendung, weil deren Umlauffähigkeit ausschließlich vom Erklärten abhängt und auf andere Gründe keine Rücksicht genommen werden kann.
• Bei den praktisch so wichtigen entgeltlichen Geschäften schließlich gilt ausschließlich die sog Vertrauenstheorie: Dh das Gewollte und Erklärte ist (verbindlich) nur so zu verstehen, wie es ein redlicher und verständiger Erklärungsempfänger nach der Verkehrsauffassung verstehen durfte: dies aus Rücksichtnahme auf die Verkehrssicherheit und den allgemeinen Verkehrsschutz: § 914 ABGB – „Übung des redlichen Verkehrs” → KAPITEL 11: Verkehrssitte.
Die Erklärung ist also nicht immer so auszulegen, wie der Erklärende meint oder es wollte, dass die Erklärung zu verstehen sei. Die Anwendung der Vertrauenstheorie führt zur Feststellung der dem Vertrag zugrundeliegenden Absicht „der” Parteien (§ 914 ABGB), also dem (hypothetischen) Willen beider Parteien und nicht nur der Absicht einer, der erklärenden Partei. – Kann durch die Anwendung der Vertrauenstheorie im Rahmen der konkreten Vertragsauslegung die Absicht der Parteien iSd § 914 ABGB festgestellt werden, kommt die Unklarheitenregel (§ 915, 2. HalbS iVm § 869 ABGB) nicht mehr zur Anwendung. Zu den sich oft überschneidenden Vertragsauslegungsregeln → KAPITEL 11: Auslegung von Rechtsgeschäften und Verträgen: §§ 914, 915 ABGB.
Absicht „der” Parteien iSd § 914 ABGB
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1987, 521: Matrose schließt Fernlehrvertrag mit Fernlehrinstitut über „Radio- und Fernsehtechnik” und fühlt sich idF überfordert. Fernlehrinstitut will „Rücktritt” (Ausstieg aus dem Vertrag) des Matrosen nicht gelten lassen. Leitsatz: „§ 871 ABGB: Im Rahmen seiner vorvertraglichen Aufklärungs- und Informationspflichten [cic!] darf sich das Fernlehrinstitut nicht mit der Selbsteinschätzung des Kursinteressenten begnügen, sondern hat durch geeignete Pädagogen zu prüfen, ob jener die Voraussetzungen für eine erfolgverheißende Teilnahme an dem Ausbildungskurs besitzt und dementsprechend aufzuklären. Wer in Verletzung seiner Aufklärungspflicht in contrahendo [→ KAPITEL 6: Cic ¿ culpa in contrahendo] den Gegner irreführt, muss beweisen, dass der Irrtum nicht wesentlich oder nicht einmal kausal war. Vgl die Rspr zur Beweislast bei Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht → KAPITEL 10: Zur ärztlichen Aufklärungspflicht. Kein schlüssiger Verzicht auf die Irrtumsanfechtung, wenn der Irrende, der zunächst vom Vertrag loskommen wollte, an diesem doch festzuhalten erklärt, wenn er dabei noch in demselben Geschäftsirrtum wie bei Vertragsschluss befangen war.”
RG 5.3.1941, DR (A) 1941, 1753: Das ABGB steht hinsichtlich der Wirkung von Willenserklärungen nicht auf dem Boden der Willens-, sondern der Vertrauenstheorie.
Eine gemischte Schenkung (→ KAPITEL 3: Arten der Schenkung) kann wegen Irrtums zur Gänze angefochten werden; EvBl 1961/479.
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II. Arten des Irrtums
Die Unterscheidung in wesentlichen und unwesentlichen Irrtum kannte schon das ABGB von 1811. Die „3 Fälle” des § 871 ABGB stammen allerdings von der III. TN (1916). § 871 Abs 2 ABGB wurde erst 1979 angefügt. § 872 ABGB gilt aber noch heute in seiner ursprünglichen Fassung. – Die „Urfassung” des § 871 ABGB lautete: „Wenn ein Teil von dem andern Teile durch falsche Angaben irregeführt worden, und der Irrtum die Hauptsache, oder eine wesentliche Beschaffenheit derselben betrifft, worauf die Absicht vorzüglich gerichtet und erklärt worden; so entsteht für den Irregeführten keine Verbindlichkeit.”
Irrtum bedeutet falsche Vorstellung oder Unkenntnis der Wirklichkeit. – Unterlief bei Vertragsschluss der einen oder andern Vertragspartei ein Willensmangel / Irrtum, so ist dieser unter gewissen, gesetzlich umschriebenen, Voraussetzungen korrigierbar; und zwar entweder so:
Was ist Irrtum?
• dass die irrende Partei schließlich überhaupt nicht an den Vertrag gebunden bleibt, also vom Vertrag (nach erfolgreicher Anfechtung) abgehen kann; zB bei wesentlichem Irrtum (§ 871 ABGB) oder bei Täuschung (§ 870 ABGB) → §§ 870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung;
• oder so, dass die Partei doch nicht „so” an den Vertrag gebunden sein, wie er geschlossen wurde (Vertragskorrektur oder -anpassung); § 872 ABGB, unwesentlicher Irrtum.
Die vom Gesetz her bestehende klare Unterscheidung in den Rechtsfolgen zwischen Täuschung und Drohung auf der einen sowie wesentlichem und unwesentlichem Irrtum auf der anderen Seite, wird von der Praxis / Rspr verwischt; zB wird die Vertragskorrektur sowohl bei Täuschung und Drohung, als auch beim wesentlichen Irrtum angewandt → Wesentlicher Irrtum: § 871 ABGB
Willensmängel – und daher auch der Irrtum – wirken nicht von selbst (eo ipso), sondern müssen geltend gemacht werden, was durch Anfechtung geschieht. Anfechtbarkeit (→ Was heißt Anfechtung?) bedeutet, dass der Vertrag bis zur rechtskräftigen Nichtigerklärung gültig bleibt; JBl 1957, 240. – Natürlich kann eine irrende Partei auf das Geltendmachen ihres Irrtums auch verzichten. Dann bleibt der Vertrag (gültig) bestehen.
Anfechtbarkeit


Irrtumsarten – Überblick
Abbildung 5.36:
Irrtumsarten – Überblick
1. Wesentlicher Irrtum: § 871 ABGB
Zur Abgrenzung vom unwesentlichen Irrtum:
• Ein Irrtum ist wesentlich, wenn der Vertrag ohne ihn „gar nicht” geschlossen (!) worden wäre (§ 873 ABGB); und zwar: überhaupt nicht geschlossen worden wäre.
• Unwesentlich ist ein Irrtum dann, wenn der Vertrag zwar geschlossen, aber bei richtiger Kenntnis der Umstände „doch nicht auf solche Art errichtet worden wäre” (§ 873 ABGB), vielmehr mit anderem Inhalt; zB mit anderer Menge, insbesondere anderem Preis, anderen Konditionen. – Dementsprechend variieren die Rechtsfolgen.
Rechtssprechungsbeispiel
GlUNF 109 (1898): Wesentlich ist der Irrtum über das ausdrücklich zur Bedingung erhobene Motiv iSd § 901 ABGB (zum Motivirrtum → Der Motivirrtum);
GlUNF 42 (1898) oder über die Echtheit einer Briefmarke (GlUNF 388) oder eines Bildes (ZBl 1916 Nr 3) oder über das Eigentum des Verkäufers (ZBl 1933 Nr 145): Ebenso wesentlich der Irrtum über den Preis eines Kaufobjekts.
• Der wesentliche Irrtum ermöglicht die Anfechtung und Beseitigung des Gesamtvertrags. Ist die Anfechtung erfolgreich, fällt der Gesamtvertrag und damit das Titelgeschäft dahin → „Wie wirkt” die Vertragsanfechtung?
• Beim unwesentlichem Irrtum nach § 872 ABGB dagegen, kommt es bloß zu einer Vertragskorrektur / -anpassung oder wie das Gesetz sich ausdrückt, zu einer „angemessenen Vergütung”. Der Vertrag bleibt hier aber aufrecht.
Die folgenden Beispiele zeigen, dass die Meinungen, ob der Irrtum wesentlich oder unwesentlich war, leicht auseinandergehen und dass es – so etwa SZ 54/88 – jeweils auf den festzustellenden Willen der konkreten Parteien ankommt und nur dann, wenn sich dieser nicht (mehr) feststellen lässt, gemäß § 914 ABGB, auf den sog hypothetischen Parteiwillen abzustellen ist.
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1956, 365 (Irrtum über Grundstücksgröße: zB statt 1500 m2 nur 1450 m2) abgedruckt im Franz Gschnitzer Lesebuch 754. Dieser Irrtum wird vom OGH als wesentlich, von Gschnitzer – zutreffender – als unwesentlich angesehen. (Am Meinungsunterschied zeigt sich, dass diese Grenze eine fließende ist!). Auch ein Personenirrtum (§ 873 ABGB) kann unwesentlich sein; so, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer (in bestimmter Hinsicht) für besonders qualifiziert hielt und ihm daher einen höheren Lohn bewilligte, sich dies aber als falsch herausstellt.
SZ 53/108 (1980) – Kauf einer Kleinwohnung: Verkäuferseite teilte Käufer mit, die Wohnung sei 50 m2 groß, sie hatte aber tatsächlich nur 40 m2. (Hier ist eher wesentlicher Irrtum anzunehmen! – Warum?)
SZ 54/88 (1981) – Pächter irrt über die Erträge der gepachteten Frühstückspension – Aus den Entscheidungsgründen des OGH: „Unzweifelhaft handelt es sich nämlich bei der zugesagten Eigenschaft des verpachteten Unternehmens um eine, die im abgeschlossenen Geschäft wertbildend, also für die Bestimmung der Gegenleistung (Pachtzins) maßgebend war und deshalb zum Inhalt des Geschäfts gehört, weshalb der beim Kläger dadurch – die Unrichtigkeit der Zusicherung einmal vorausgesetzt – ausgelöste Irrtum als Geschäftsirrtum anzusehen ist. In diesem Falle müsste allerdings geprüft werden, ob der Geschäftsirrtum des Klägers ungeachtet seiner Wesentlichkeit ein unwesentlicher in dem Sinne war, dass beide Vertragsparteien den Vertrag ohne Irrtum ebenfalls, wenngleich mit einem anderen Inhalt, nämlich einem niedrigeren Pachtzins, geschlossen hätten, wozu in erster Linie der hypothetische Wille der Parteien ermittelt und, wenn auf diese Weise kein Ergebnis erzielt werden könnte, die Frage beantwortet werden müsste, wie normale Parteien redlicherweise gehandelt hätten.”
Für die Anfechtung eines Vertrags wegen Irrtums genügt es aber nicht, dass der Irrtum wesentlich war. Nach § 871 ABGB muss zusätzlich einer der folgenden „drei Fälle” alternativ dazukommen. Diese sind:
Die „3 Fälle” des § 871 Abs 1 ABGB
• ,,falls der Irrtum durch den anderen veranlasst war; oder
• diesem aus den Umständen offenbar auffallen musste; oder
• noch rechtzeitig aufgeklärt wurde”.
Zu den ,,3 Fällen” des § 871 ABGB kommen noch zwei weitere, von der Praxis entwickelte „Fälle” dazu, die im Gesetz aber nicht aufscheinen und die sowohl Tatbestands- wie Rechtsfolgevoraussetzungen betreffen. Man kann daher heute von den ,,5 Fällen” des § 871 ABGB sprechen. – Die neu entwickelten Fälle sind:
Zwei weitere Fälle
Gemeinsamer Irrtum der Vertragsparteien. Hier steht das Anfechtungsrecht beiden Vertragsteilen zu; und zwar auch ohne das Vorliegen eines der „3 Fälle” des § 871 ABGB. Der Irrtum muss für den Anfechtenden aber „wesentlich” sein.
• Dass es auch beim wesentlichen Irrtum nach der Rspr uU zur Vertragsanpassung nach § 872 ABGB kommen kann.
Dieser letzte Fall stellt eine Rechtsfolgenanalogie aus § 872 ABGB für den Bereich des wesentlichen Irrtums dar! Zur identen Vorgangsweise bei der Täuschung → §§ 870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 26/71 (1953): Im Falle eines nach § 871 ABGB beachtlichen wesentlichen Irrtums hat der Irregeführte die Wahl, an Stelle der Aufhebung des Vertrages (nach § 871 ABGB) nach § 872 ABGB vom Urheber des Irrtums eine angemessene Vergütung zu verlangen.
§ 871, Fall 1 ABGB – ,,durch den anderen veranlasst ...”, dh nicht: „verschuldet” (!) wurde! Die Tatbestandsvoraussetzungen der Irrtumsanfechtung – das gilt für den wesentlichen wie den unwesentlichen Irrtum – setzten demnach prinzipiell kein Verschulden – auch nicht leichte Fahrlässigkeit – voraus, sondern begnügen sich mit einem objektiven Verursachungsnachweis. Eine (Verständnis)Grenze zieht aber die Vertrauenstheorie → Zur Rechtsgeschäftslehre des ABGB
Zum ersten Fall des § 871
SZ 28/103 (1955) Hotelverkauf: Die Verkäufer verschweigen den Käufern, die große Umbaupläne für das Hotel haben, dass das Gebäude nicht in sog Massivbauweise, sondern nur in sog Holzriegelbaukonstruktion errichtet wurde. OGH: Veranlassen iSd § 871 ABGB setzt weder absichtliche noch fahrlässige Irreführung voraus. Es genügt jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliche Verhalten. Kann ein Kontrahent nach der Verkehrsauffassung mit dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein gewisser den Geschäftsinhalt betreffender Umstände rechnen, solange ihm nicht das Gegenteil vom anderen Vertragsteil mitgeteilt wird, begründet schon das Unterlassen dieser Mitteilung ein Veranlassen des Irrtums.
JBl 1971, 258 (Verkauf eines Kraftfahrzeugs Marke R.): Verkäufer behauptet wahrheitswidrig, das Fahrzeug sei unfallfrei (sog Havariefreiheit) und weise einen bestimmten Kilometerstand auf, was ebenfalls unrichtig war.
Zur sog Anspruchskonkurrenz und Anspruchskumulierung im Rahmen der gerichtlichen Anspruchsdurchsetzung (zB zum gleichzeitigen Geltendmachen eines Willensmangels und/oder einer Leistungsstörung) → KAPITEL 7: Die Leistungsstörungen.
,,offenbar auffallen musste” – dh dass ,,der andere“ (= der Geschäftspartner des Irrenden) den Irrtum (des andern) hätte erkennen können / müssen.
Zum zweiten Fall des § 871
Rechtssprechungsbeispiel
Es muss dem Verkäufer auffallen, wenn der Käufer das Bild / Schmuckstück aufgrund des hohen Preises für echt hält. – Oder: JBl 1965, 318 (Eismaschinenreparatur) → Erklärungs- und Geschäftsirrtum
SZ 51/144 (Insektizidkauf) → Der Kalkulationsirrtum
§ 871, Fall 3 ABGB – ,, ... rechtzeitig aufgeklärt wurde”; sog „res integra”-Aufklärung. – Kurz: Der andere Vertragsteil darf (seit Vertragsschluss bis zur Anfechtung) noch keine wesentlichen rechtlichen oder wirtschaftlichen Dispositionen (über den Vertragsgegenstand) getroffen haben; zB kein Bauansuchen gestellt haben oder eine Weiterveräußerung des Kaufgegenstands oder Investitionen getätigt haben.
Zum dritten Fall des § 871
Im 3. Fall des § 871 ABGB steckt eine objektive vertrauenstheoretische Verkehrsschutzüberlegung. Das Recht des Irrenden, seinen Irrtum geltend zu machen, reicht nur bis zu einem gewissen Punkt, nämlich dorthin, wo sein Geschäftspartner irreversible Dispositionen getroffen hat, nicht weiter. Der zB durch eine getroffene Investition geschaffene rechtliche oder wirtschaftliche Wert soll nicht gefährdet werden.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 24/288 (1951): „Rechtzeitig aufgeklärt” ist der Irrtum nur, wenn der Gegner noch nicht im Vertrauen auf die Erklärung des Irrenden gehandelt hat; insbesondere, wenn der Gegner (des Irrenden) anlässlich eines abgeschlossenen Vertrags noch keine rechtliche oder wirtschaftliche Verfügung getroffen und auch nicht die Gelegenheit zu einer solchen Verfügung infolge des geschlossenen Vertrags versäumt hat; SZ 26/129 (1953).
SZ 14/40 (1932): Eine infolge Irrtums des Gläubigers unrichtig ausgestellte Quittung hindert nicht das Geltendmachen des Forderungsrechts, wenn der Irrtum aufgeklärt wurde, bevor der Schuldner im Vertrauen auf die Erklärung gehandelt und sich eingerichtet hat.
Als nicht mehr rechtzeitig aufgeklärt wurde folgender Fall angesehen (JBl 1963, 439): Irrtum über die Höhe einer dem Dienstnehmer zustehenden Abfertigung. – Der Direktor einer Raiffeisenkasse wurde gekündigt und die Kasse zahlte ihm irrtümlich 12 statt der ihm zustehenden 9 Monatsgehälter als Abfertigung. Der Geltendmachung dieses Irrtums im darauf von der Raiffeisenkasse geführten Prozess wurde als verspätet angesehen.
SZ 42/121 (1969): Rechtzeitiges Aufklären eines bei einer Abfindungserklärung nach einem Verkehrsunfall unterlaufenen Irrtums.
Beachte


Wesentlicher Irrtum – § 871 ABGB
Abbildung 5.37:
Wesentlicher Irrtum – § 871 ABGB


Gemeinsamer Irrtum
Abbildung 5.38:
Gemeinsamer Irrtum
Dieser Absatz wurde erst 1979 durch das KSchG ins ABGB eingefügt; vgl auch § 873 Satz 2 ABGB. Diese Neuregelung sollte der Pfuscherbekämpfung dienen; Nichtaufklärung über die fehlende Gewerbeberechtigung gilt stets als „Irrtum über den Inhalt des Vertrages und nicht bloß als solcher über den Beweggrund oder den Endzweck (§ 901)”. – In der Praxis findet diese Bestimmung kaum Anwendung.
871 Abs 2 ABGB
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2. Unwesentlicher Irrtum; § 872 ABGB
Zur Unterscheidung: „wesentlicher – unwesentlicher” → Wesentlicher Irrtum: § 871 ABGB Die Rechtsfolge des § 872 ABGB liegt – wie erwähnt – in einer Vertragsanpassung / Vertragskorrektur; das Gesetz spricht von „angemessener Vergütung”, weil eine solche Anpassung häufig zu einer Preisreduktion führt. – Der Vertrag bleibt bestehen, wird aber kraft richterlicher Gestaltung inhaltlich modifiziert.
Vgl die Beispiele beim wesentlichen Irrtum → Wesentlicher Irrtum: § 871 ABGB
Beachte


Unwesentlicher Irrtum: § 872 ABGB
Abbildung 5.39:
Unwesentlicher Irrtum: § 872 ABGB
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3. Irrtum in der Person
§ 873 ABGB stellt klar, dass die „Grundsätze” des wesentlichen und unwesentlichen Irrtums auch für den „Irrtum in der Person desjenigen [gelten], welchem ein Versprechen gemacht worden ist”. Gemeint ist damit:
• ein Irrtum über die Person (iSd Identität des Geschäftspartners), oder
• über eine wesentliche (dh insbesondere eine geschäftsrelevante) Eigenschaft dieser Person.
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1956/269: Irrtum über die Person des Geschäftspartners bei einem Holzgeschäft;
GlUNF 1911 (1902): Irrtum über bestehende Vorstrafen;
EvBl 1951/109: Nachträglich hervorgekommene Vertrauensunwürdigkeit eines Vertragsteils berechtigt zur Anfechtung. Besonders wichtig ist das bei Kreditgeschäften (Kreditwürdigkeit) oder bei Dienst- oder Pachtverträgen, wo auch der Irrtum über das Vorliegen von Fähigkeiten – zB eines Pächters oder Arbeitnehmers – zur Anfechtung berechtigen kann.
Eine Sonderregelung betreffend den Irrtum über die Eigenschaften einer Person findet sich in § 37 EheG; vgl JBl 2003, 50 = EvBl 2002/133: Geisteskrankheit der Ehefrau.
§ 37 EheG
§ 873 Satz 2 ABGB wurde – ebenso wie § 871 Abs 2 ABGB – erst 1979 (BGBl 140) durch das KSchG ins ABGB eingefügt und richtet sich gegen gewerberechtliche Pfuscher: Der „Irrtum über das Vorhandensein einer erforderlichen verwaltungsrechtlichen Befugnis zur Erbringung der Leistung” ist ein Irrtum in der Person. – Üblicherweise besteht darüber aber keine Unklarheit.
§ 873 Satz 2 ABGB
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4. § 875 ABGB: Veranlassung durch einen Dritten
Veranlasst ein Dritter den Irrtum eines der Vertragspartner berechtigt das grundsätzlich nicht zur Irrtumsanfechtung. Der Vertrag bleibt vielmehr gültig. – „Nur in dem Falle, dass der andere [Vertrags]Teil an der Handlung des Dritten teilnahm oder von derselben offenbar wissen musste, kommen die §§ 870-874 ABGB zur Anwendung.”
Zu beachten ist die Sphärenzurechnung, die der gesetzlichen Lösung zugrunde liegt: Sphäre des einen + des andern Vertragspartners + Sphäre des Dritten als neutrale Sphäre. Allenfalls wird der Dritte der Sphäre des nicht irrenden Vertragspartners zugerechnet.
Sphärenzurechnung
Mit der „Dritte” ist an Außenstehende gedacht, die nicht wie Bevollmächtigte, überhaupt als direkte oder indirekte Stellvertreter, Vermittler, Hilfsorgane bei der Vorbereitung (EvBl 1954/131) oder als Boten dem anderen Vertragsteil sphärenmäßig zuzurechnen sind; EvBl 1939/134.
Dritte
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1991, 584: Eine Person, die maßgeblich auf der Seite des Vertragspartners am Zustandekommen des Geschäfts mitgewirkt hat, ist kein Dritter iSd§ 875 ABGB. Der Verkäufer muss eine von einem mit der Vermittlung des Verkaufs einer Liegenschaft beauftragten Immobilienmakler in dieser Eigenschaft begangene Täuschung des Kaufinteressenten gegen sich gelten lassen.
Das gilt insbesondere auch für die Einschaltung „Dritter” beim Kreditkauf (SZ 33/123) oder beim Leasing: SZ 58/183 = ÖBA 1986, 356 (finanzierende Bank bedient sich des Leasinggebers als Verhandlungsgehilfen).
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5. Rechtsvergleich mit dem dtBGB
Im dtBGB ist der Irrtum ganz anders – für uns sehr fremd – gelöst als im ABGB. – Irrt jemand und will er deshalb den geschlossenen Vertrag nicht zuhalten, kann er seine (eigene) Erklärung wegen Irrtums nach § 119 Abs 1 dtBGB anfechten. Dabei hat der Anfechtende seinen Irrtum zu beweisen. Anfechten kann ein Irrender aber stets, und nicht nur – wie nach ABGB – zB in den drei Fällen des § 871. Nach § 122 dtBGB ist jedoch der Anfechtende (!) grundsätzlich zu Schadenersatz verpflichtet (Ausnahme: § 122 Abs 2 dtBGB), weil sich der Fehler in seiner Sphäre ereignete. Der Schadenersatzanspruch des Kontrahenten des Irrenden richtet sich auf das negative (Vertrags)Interesse, womit der Vertrauensschaden gemeint ist. Zu ersetzen sind dem Vertragspartner (des Irrenden) also vor allem Aufwendungen, die er im Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrags gemacht hat. – Zum Vertrauensschaden → KAPITEL 6: Wofür wird bei cic gehaftet?. – Kein Schadenersatzanspruch des Vertragspartners des Irrenden besteht in den von § 122 Abs 2 dtBGB genannten Gründen; kennen oder kennen müssen des Irrtums.
§ 119 dtBGB [Anfechtbarkeit wegen Irrtums]
Abs 1: Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtume war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.
Abs 2: Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.
§ 122 dtBGB [Schadenersatzpflicht des Anfechtenden]
Abs 1: Ist eine Willenserklärung nach § 118 nichtig oder auf Grund der §§ 119, 120 angefochten, so hat der Erklärende, wenn die Erklärung einem anderen gegenüber abzugeben war, diesem, andernfalls jedem Dritten den Schaden zu ersetzen, den der andere oder der Dritte dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches der andere oder der Dritte an der Gültigkeit der Erklärung hat.
Abs 2: Die Schadenersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Beschädigte den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste).
Die Irrtumsanfechtung nach ABGB setzt kein Verschulden voraus und Irrtum und Schadenersatz, die zwar zusammenfallen können, aber nicht müssen, sind zwei Paar Schuhe. Außerdem wird nach ABGB nicht die eigene Erklärung angefochten, sondern die Gültigkeit des Vertrags. Die österreichische Lösung, die naturrechtlich fundiert ist und auf K. A. v. Martini zurückgeht, erscheint nicht nur einfacher, sondern auch klarer und überzeugender an Gerechtigkeits- und Praktikabilitätserwägungen orientiert. Sie empfiehlt sich daher für ein europäisches Privatrecht.


Erklärungs-, Geschäfts- und Motivirrtum
Abbildung 5.40:
Erklärungs-, Geschäfts- und Motivirrtum
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III. Erklärungs-, Geschäfts- und Motivirrtum
Wir unterscheiden im Bereich des Irrtums ferner zwischen Erklärungs-, Geschäfts- und Motivirrtum. – Während der Erklärungs- und der Geschäftsirrtum – praktisch vor allem im zentralen Bereich der entgeltlichen Geschäfte – anfechtbar sind, trifft das auf den Motivirrtum nicht zu. Von Bedeutung ist daher die Grenzziehung zwischen Erklärungs- und Geschäftsirrtum auf der einen und dem Motivirrtum auf der anderen Seite.
Die Rspr (SZ 42/155 [1969]) hat dafür folgende Merkregeln entwickelt:
Merkregeln
• Beim Geschäftsirrtum bezieht sich die unrichtige Vorstellung des/der Irrenden auf Punkte, die innerhalb des Geschäfts liegen,
• beim Motivirrtum auf solche außerhalb des Geschäfts.
1. Erklärungs- und Geschäftsirrtum
Erklärungsirrtum liegt zB vor, wenn sich der / die Erklärende verspricht oder verschreibt – jedenfalls etwas anderes erklärt, als eigentlich gewollt ist. – Geschäftsirrtum liegt vor, wenn über den Gegenstand, also über das abzuschließende Geschäft oder auch über den Geschäftspartner geirrt wird; jemand nimmt etwa Schenkung oder Leihe statt Darlehen an oder Verlobung statt Ehe; § 36 Abs 1 EheG. Hierher gehört auch der Irrtum über die Eigenschaften einer Person; § 37 EheG → KAPITEL 16: Die Auflösung der Ehe.
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1965, 318 (Eismaschinenreparatur): Berechnet ein Vertragspartner dem anderen für eine Reparatur einen günstigen Sonderpreis in der irrigen Annahme, dass der andere das reparierte Gerät bei ihm gekauft habe, so liegt Geschäftsirrtum vor, der unter den weiteren gesetzlichen Voraussetzungen (der §§ 871, 872 ABGB) zur Anfechtung berechtigt.
SZ 47/148 (1974, Kauf einer Eigentumswohnung in Badgastein – Geschäftsirrtum): Die Beklagte will von der Klägerin eine Eigentumswohnung kaufen und entschließt sich deshalb zum Kauf, weil in den Plänen (der Wohnanlage) eine Badeanlage vorgesehen ist. Unmittelbar nach Unterzeichnung des Kaufanbots (!) erklärt ihr ein Angestellter des WE-Organisator, dass die Bäder nicht gebaut werden. Es wird idF von Grünanlagen gesprochen und die Beklagte ist der Meinung, dass nunmehr im Innenhof der Anlage statt der ursprünglich geplanten Autoabstellplätze eine Grünanlage vorgesehen sei, was aber nicht zutrifft. Erst viel später (bei der Baustellenbesichtigung) erfährt die Klägerin, dass im Anlagenhof Autoabstellplätze errichtet werden. – Der WE-Organisator klagt idF den Kaufpreis ein, wogegen die Beklagte (erfolgreich) Irrtum einwendet. – OGH: Dass ein Irrtum der [Beklagten] über die Verwendung der unmittelbar vor ihrer ebenerdigen Wohnung gelegenen Fläche als Abstellplatz für etwa 12 Pkws als Geschäftsirrtum über wesentliche Umstände anzusehen wäre, ist entgegen der Meinung des Erstrichters nicht zu bezweifeln. Wenn auch die Lage einer Wohnung zur Umwelt nicht in jedem Fall und nicht hinsichtlich jedes Details ein wesentlicher Inhalt des Geschäftes ist, sondern im Einzelfall bloßes Motiv zum Kauf darstellen oder unwesentliche Nebenumstände betreffen kann, so liegt doch offenkundig eine ungewöhnliche Belästigung des Eigentümer einer Wohnung in einem Neubau eines Kurortes vor, wenn unmittelbar vor seinem zu einem Innenhof gelegenen Balkon fast in gleicher Höhe eine größere Anzahl von Autos abgestellt wird. Ein solcher Umstand verändert die Beschaffenheit des Kaufgegenstandes selbst ... und stellt nach objektiver Verkehrsanschauung ... eine wesentliche Abweichung vom Normalfall dar. Anders wäre es bloß, wenn schon der Kaufpreis auf diesen Nachteil abgestellt worden wäre.
Vgl auch ecolex 1998, 197: Wertirrtum beim Teppichkauf. – Beruht der Wertirrtum eines Käufers auf Umständen, die im redlichen Geschäftsverkehr eine Aufklärung durch den Verkäufer erwarten lassen, liegt nicht bloß Motiv-, sondern Geschäftsirrtum vor.
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2. Der Motivirrtum
Beim Motivirrtum handelt es sich um einen Irrtum im Beweggrund, eben im Motiv eines Vertragsschließenden; zB „warum” er eine bestimmte Sache kauft oder verkauft; vgl → Erklärungs-, Geschäfts- und Motivirrtum Kauft jemand Blumen in der Meinung, X habe heute Geburtstag und ist das falsch, kann er die Blumen nicht wieder zurückgeben, denn ein Motivirrtum ist grundsätzlich unbeachtlich; dh wegen eines Motivirrtums können Verkehrsgeschäfte – also entgeltliche Verträge – nicht angefochten werden. Und zwar weder nach § 871, noch nach § 872 ABGB.
Zur Relevanz der Arglist auch beim Motivirrtum vgl gleich unten: EvBl 1975/205: Dienstvertrag.
Will man ein bloßes Motiv aber zum Geschäftsinhalt (und damit den Irrtum anfechtbar) machen, muss das Motiv ausdrücklich zur Bedingung erhoben werden; vgl § 901 ABGB: Gesetz lesen! Relevant ist der Motivirrtum aber auch im Bereich letztwilliger (Erbrecht) und unentgeltlicher Geschäfte, also vor allem bei Schenkungen, aber auch der Leihe; vgl § 901 Satz 3 ABGB. Nicht aber – wie erwähnt – im Bereich entgeltlicher Verkehrsgeschäfte. Eine unbedingt abgegebene Erbserklärung (→ KAPITEL 17: Die unbedingte Erbserklärung) kann aber nicht wegen Motivirrtums angefochten werden; EvBl 1969/424.
„Motiv“ kann zum Geschäftsinhalt erhoben werden
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 23/272 (1950): Warenlager: unabsetzbare Nachkriegsware. Motivirrtum ist der Irrtum (zB des Käufers) über die Absatzfähigkeit und den gemeinen Wert von Waren. Anfechtung wegen listiger Irreführung wäre jedoch möglich.
SZ 48/9 (1975): Beispiel für die Beachtlichkeit eines Motivirrtums bei unentgeltlichen Geschäften (Schenkung!) – Frau schenkte ihrem Gatten die Hälfte eines Grundstücks, weil sie voraussetzte, dass die Ehe aufrecht bleiben würde und weil sie hoffte, ebenfalls Hälfteeigentümerin einer Liegenschaft ihres Mannes zu werden. Die Ehe wird jedoch idF geschieden. – Aus den Entscheidungsgründen des OGH: Nach dem vorliegenden Sachverhalt sind die Streitteile bei Übereignung des Liegenschaftsanteils übereinstimmend davon ausgegangen, dass ihre Ehe Bestand haben werde ... Durch die rechtskräftige Scheidung der Ehe ist diese von beiden Parteien bei Abschluss des Schenkungsvertrags zugrunde gelegte Voraussetzung weggefallen. (Vgl dazu auch → Störung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage: Wegfall der Geschäftsgrundlage) ... Der ohne Verschulden oder aus gleichteiligem Verschulden geschiedene Ehegatte hat Anspruch auf Rückstellung dessen, was er in die Ehe einbrachte. – Machte der andere (als der anfechtende) Gatte auf eine rückzustellende Liegenschaft Aufwendungen, steht ihm ein Anspruch auf Ersatz dieser Aufwendungen zu, der durch Zurück(be)haltung (→ KAPITEL 15: Das Zurückbehaltungsrecht: § 471 ABGB) der herauszugebenden Liegenschaft gesichert werden kann.
§ 901 ABGB stellt klar, dass der Beweggrund bei entgeltlichen Geschäften unbeachtlich ist (Satz 2), wenn er nicht ausdrücklich zur Bedingung erhoben wurde (Satz 1). Die hA versteht dieses „ausdrücklich” aber nicht so, dass dadurch einer schlüssigen / konkludenten oder stillschweigenden Erhebung einer Bedingung zum Motiv der Boden entzogen wäre. – Vgl in diesem Sinne neben der eben erwähnten E SZ 48/9 auch etwa HS 6450/35 (1968), wo bei einem Kaufvertrag über einen Lkw, die Möglichkeit einer Kreditfinanzierung – zu recht – als stillschweigend vereinbarte Bedingung angesehen wurde.
SZ 39/206 (1966): Unbeachtlicher Motivirrtum, wenn ein Kunstliebhaber das Bild eines unbekannten Künstlers („Argo 1945”) gegen einen Brillantring eintauscht und sich die Hoffnungen des Bilderwerbers, der Wert des Bildes würde steigen, zerschlagen.
EvBl 1975/205: Der Motivirrtum ist bei entgeltlichen Geschäften (wie einem Dienstvertrag) unbeachtlich; ausgenommen ist Arglist und ausdrückliches Vereinbaren des Beweggrundes / Motivs als Bedingung.
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IV. Der Kalkulationsirrtum
1. Gschnitzers Lösung
,,Unter Kalkulationsirrtum wird Verschiedenes verstanden und danach ist auch die Beurteilung verschieden. Man kann daher ebenso wenig allgemein sagen, der Kalkulationsirrtum sei wesentlich, wie, er sei bloßer Motivirrtum. – Ein [beachtlicher ] Geschäftsirrtum liegt vor, wenn ein Teil sich im Preis verschreibt, verspricht, einen Rechenfehler oder dgl begeht oder bspw den Vierteljahreszins entgegen der Ortsüblichkeit und Angemessenheit für einen Jahreszins hält. Die Anfechtung ist in solchen Fällen natürlich ... an die weiteren Voraussetzungen der §§ 871 ff ABGB geknüpft, insbesondere [aber] dann zulässig, wenn der Irrtum dem Gegner offenbar auffallen musste. – Nicht zum Geschäfts- sondern zum (bei entgeltlichen Geschäften unbeachtlichen) Motivirrtum gehört aber jener Kalkulationsirrtum, bei dem der Verkäufer oder Unternehmer die Kosten der Erzeugung, Beschaffung, der ihm obliegenden Versendung usw zu niedrig berechnet, also im eigentlichen Sinne falsch kalkuliert”; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 127 mwH.
Vgl auch die folgenden Beispiele. – Der Kalkulationsirrtum kann also wesentlich oder unwesentlich sein, ebenso bloßer Motivirrtum.
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2. Rspr-Beispiele zum Kalkulationsirrtum
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 51/144 (1978) Kauf von 25 Tonnen eines Insektizides: Ein Irrtum bei der Preiskalkulation im Ausmaß von drei Dezimalstellen muss dem Großeinkäufer einer Ware selbst dann auffallen, wenn er sonst nicht damit handelt: Kilopreis von 1,90 S statt richtig 265,– S. – OGH nimmt ohne weitere Erörterung (wesentlichen) Geschäftsirrtum an. – Hier wurde also nicht wirtschaftlich falsch kalkuliert, sondern es liegt ein Rechen- und/oder Schreibfehler vor.
EvBl 1983/100: Tischlermeister kalkuliert (wirtschaftlich) falsch – „Kalkulationsirrtum ieS” eines Gewerbetreibenden; Bedeutung der nach einem Leistungsverzeichnis aufgeschlüsselten Preisansätze; Kläger = (ausschreibender) Hotelier; Beklagter = Tischlermeister, der inhaltlich / fachlich falsch kalkuliert.
WBl 1987, 62: Gemeinde schreibt öffentlich Kanalbauarbeiten aus – Firma irrt über von ihr zu erbringende Leistungen. – OGH: ,,Der sog Kalkulationsirrtum betrifft idR nicht die rechtsgeschäftliche Erklärung selbst, sondern nur Umstände, die dieser vorangegangen sind und damit nur den Beweggrund. Wenn jedoch die Kalkulation zum Gegenstand der entscheidenden Vertragsverhandlungen gemacht wurde und der geforderte Preis erkennbar als ein auf dieser Kalkulation beruhender bezeichnet worden ist, liegt ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung vor. Ein Motivirrtum ist hingegen anzunehmen, wenn ein Vertragsteil die Höhe der von ihm zu tragenden Kosten oder der von ihm zu tätigenden Aufwendungen falsch einschätzt (EvBl 1983/100 [Tischler]; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 127). Im vorliegenden Fall wurden die Kalkulationsgrundlagen in der Ausschreibung eindeutig dargelegt. Nach der Ausschreibung war klar, dass die Fertigteilschächte aus Stahlbetonringen mit zugfester Schraubverbindung und eingelegtem Rollring auszuführen sind. Die Beklagte hat bei Erstellung des Anbots nicht etwa die Kosten für die Erbringung derartiger Leistungen falsch eingeschätzt, sondern hat ein Anbot erstellt, das in diesem Punkt von der Ausschreibung abwich. Dem Anbot lag demnach nicht ein bloß unbeachtlicher Kalkulationsirrtum, sondern ein [beachtlicher und wesentlicher] Geschäftsirrtum zugrunde. Ein solcher Irrtum berechtigt aber grundsätzlich zu einer Anfechtung nach § 871 ABGB.”
SZ 70/133: Beidseitiger Kalkulationsirrtum, wobei der Irrtum für einen Vertragsteil bei enstsprechender Sorgfalt erkennbar gewesen wäre; vgl die berechtigte Kritik Kramers, in: AcP 200 (2000) 395. – Unsere Rspr sollte „stolz” auf unsere fortschrittlichen naturrechtlichen Irrtumsregeln sein und nicht unnötig deutsches Recht übernehmen.
Literaturquelle


Kalkulationsirrtum (1)
Abbildung 5.41:
Kalkulationsirrtum (1)


Kalkulationsirrtum (2)
Abbildung 5.42:
Kalkulationsirrtum (2)
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V. Tatsachen- und Rechtsirrtum
Ein weiteres Irrtums(begriffs)paar ist der Tatsachen- und Rechtsirrtum: das ist der Irrtum über angenommene Fakten oder tatsächliche Verhältnisse oder über die bestehende Rechtslage oder die Rechtsfolgen; vgl § 326 Satz 3 ABGB:
„ ... Aus Irrtum in Tatsachen oder aus Unwissenheit der gesetzlichen Vorschriften kann man ein unrechtmäßiger (§ 316) und doch ein redlicher Besitzer sein.”
Beide Irrtumsarten folgen den Regeln der §§ 871, 872 ABGB, können also sowohl wesentlich wie unwesentlich sein. Tatsachen- oder Rechtsirrtum können aber auch bloß unbeachtlicher Motivirrtum sein, ebenso wie beachtlicher Geschäfts- oder Erklärungsirrtum. – Rechtlich relevant können demnach (in den vom ABGB anerkannten Fällen) beide Irrtumsarten sein.
§ 2 ABGB beruht zwar scheinbar auf dem Grundgedanken des error iuris nocet (also darauf, dass ein Rechtsirrtum dem Irrenden stets schadet), doch modifiziert das ABGB diesen Grundsatz sowohl in § 326 (wonach der über Tatsachen oder gesetzliche Vorschriften Irrende dennoch ein redlicher Besitzer sein kann), als auch § 1431 (Anspruchsvoraussetzungen bei Zahlung einer Nichtschuld / condictio indebiti → Leistungskondiktionen – Überblick) ins Gegenteil und stellt den Rechts-, dem (immer beachtlichen) Tatsachenirrtum gleich! – Diese Einteilung überschneidet sich also mit anderen Irrtumsarten.
§ 2 ABGB
Bloße Rechtsunkenntnis stellt aber noch keinen Rechtsirrtum dar. Es gilt vielmehr § 2 ABGB: „Sobald ein Gesetz gehörig kundgemacht worden ist, kann sich niemand damit entschuldigen, dass ihm dasselbe nicht bekannt geworden ist.” – Die Rspr zieht daraus aber nicht immer zutreffende Schlüsse; so in MietSlg 38.069 (1986): Beispiele.
Rechtsunkenntnis ist noch kein Rechtsirrtum
Mayer-Maly, Rechtskenntnis und Gesetzesflut (1969).
Rechtssprechungsbeispiel
Irrtum über die Echtheit eines gekauften Bildes oder einer Briefmarke (= Tatsachenirrtum); ZBl 1916 Nr 3 und GlUNF 388 (1898).
EvBl 1969/423: Gutgläubiger Pkw-Käufer gibt (von der Polizei dazu aufgefordert) gestohlenes Auto zurück, weil er (wie diese) § 367 ABGB nicht kennt. Beachtlicher Rechtsirrtum!
MietSlg 38.069 (1986): Als unerheblichen Rechtsfolgenirrtum betrachtet die Rspr den Irrtum der Parteien beim Abschluss eines Bestandvertrags darüber, ob der Bestandgegenstand den Bestimmungen der Mieterschutzgesetzgebung unterliegt (?); vgl schon EvBl 1960/222.
Das Strafrecht regelt in § 9 StGB den Rechtsirrtum:
Auch das Strafrecht kennt den Rechtsirrtum
(1) Wer das Unrecht der Tat wegen eines Rechtsirrtums nicht erkennt, handelt nicht schuldhaft, wenn ihm der Irrtum nicht vorzuwerfen ist.
(2) Der Rechtsirrtum ist dann vorzuwerfen, wenn das Unrecht für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war oder wenn sich der Täter mit den einschlägigen Vorschriften nicht bekannt gemacht hat, obwohl er seinem Beruf, seiner Beschäftigung oder sonst den Umständen nach dazu verpflichtet gewesen wäre.
(3) Ist der Irrtum vorzuwerfen, so ist, wenn der Täter vorsätzlich handelt, die für die vorsätzliche Tat vorgesehene Strafdrohung anzuwenden, wenn er fahrlässig handelt, die für die fahrlässige Tat.
Beachte: Im Strafrecht spielt vornehmlich der verschuldete / vorwerfbare Rechtsirrtum eine Rolle; vgl leg cit. – Im Zivilrecht dagegen ist Verschulden grundsätzlich keine Tatbestandsvoraussetzung, wenngleich auch hier Verschulden dazutreten kann.
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VI. Rechtsfolgen von Willensmängeln: Anfechtung, Nichtigkeit und Rückabwicklung
1. Was heißt Anfechtung?
Wir haben von den Willensmängeln allgemein, insbesondere dem Irrtum gehört und mehrfach vernommen, dass ein etwa bei einem Vertragsschluss unterlaufener Irrtum (unter gewissen Voraussetzungen) geltend gemacht werden kann, genauer: zur Anfechtung berechtigt. – Aber was ist damit gemeint? Werfen wir einen Blick ins Gesetz:
• § 871 ABGB trifft die Rechtsfolge: „So entsteht... für ihn [gemeint ist der Irrende] keine Verbindlichkei t” und
§ 871 ABGB
• § 870 ABGB formuliert ähnlich: Ein Bedrohter oder Getäuschter ist den Vertrag „zu halten nicht verbunden”. – Anders freilich § 872 ABGB, der – wie wir gehört haben – nur ein Recht auf Vertragsanpassung / -korrektur gewährt und nicht ein Recht darauf, den ganzen Vertrag aus den Angeln zu heben.
§ 870 ABGB
• § 877 ABGB schließlich, der die sog Rückabwicklung bei Willensmängeln regelt, ordnet an, dass derjenige, der „die Aufhebung eines Vertrages aus mangelnder Einwilligung verlangt” (= Anfechtung iwS) selbst „auch alles zurückstellen [muss], was er aus einem solchen Vertrage zu seinem Vorteil erhalten hat.” – Denn niemand soll aus dem fehlgeschlagenen Leistungsaustausch Vorteile ziehen, also bereichert werden → Ungerechtfertigte Bereicherung
§ 877 ABGB
Der Anfechtung unterliegen Rechtsgeschäfte und Willenserklärungen (→ Einteilung und Abgrenzung), nicht aber zB Prozesshandlungen (SZ 23/237 [1950]) oder bloße Beweisurkunden wie eine Rechnung oder eine Quittung; EvBl 1966/300.
Was kann angefochten werden?
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2. „Wer” kann anfechten?
Anfechten kann (nach österreichischem Privatrecht) immer nur der Vertragsteil, dem der Willensmangel unterlaufen ist; also zB der Irrende oder Getäuschte, nicht aber ein Dritter: GH 1878, 329. – Anfechten kann aber auch der (Gesamt)Rechtsnachfolger des Irrenden, zB ein Zessionar (SZ 41/33 [1968]), zumal dadurch die gesamte Rechtsstellung oder doch die Berechtigungsposition übergeht.
Wie steht es um die Anfechtung von unterlaufenen Willensmängeln bei der Stellvertretung? – Um bspw einen Irrtum geltend zu machen genügt es, dass entweder der Vertretene oder der Stellvertreter geirrt hat. Geltend zu machen ist der Irrtum aber stets durch den Vertretenen, der ja letztlich hinter dem Geschäft steht.
Gschnitzer (AT2 776) hat folgende Grundregel aufgestellt:
Gschnitzers Grundregel
„Nach dem Einfluß, den jeder von beiden auf den Abschluß des Geschäftes genommen, ist auf beide oder auf den Vertreter oder auf den Vertretenen abzustellen. – Konkret:
a) Irrt der Vertragspartner, wurde er getäuscht oder bedroht, kann er anfechten, wenn für die Anfechtung notwendigen Umstände entweder beim Vertreter oder beim Vertretenen vorliegen. Sie bilden zusammen den andern Teil iS der §§ 870 ff.
b) Irrt der Vertreter, kann der Vertretene anfechten, außer die Umstände waren ihm schon bei Erteilung der Vollmacht bekannt.
c) Irrt der Vertreter nicht, ist Irrtum des Vertretenen belanglos.”
• Irrtum oder Täuschung verpflichten aber nicht zur Anfechtung. Die Anfechtung ist ein Recht, keine Pflicht. Man kann, muss aber nicht anfechten; kann vielmehr das Geschäft auch so bestehen lassen wie es ist, weil man zB keinen Ärger haben will.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 23. 11. 2000, 6 Ob 271/00t, EvBl 2001/78: Der Kläger vermietet an den Beklagten ein Forsthaus, benützt es aber weiter. Das Bestandobjekt war in mehrfacher Hinsicht mangelhaft. Zwischen den Parteien waren im Zusammenhang mit dem Bestandverhältnis zahlreiche Prozesse anhängig, welche durch einen Generalvergleich beigelegt werden sollten. Dabei ist eine Partei durch einen Sachwalter vertreten. Diese ficht den Vergleich später wegen Irrtums mit dem Argument an sie habe auf Grund extremen psychischen Stresses den Vergleich nicht richtig verstanden. – OGH zur Irrtumsanfechtung bei Geschäften, bei denen ein Stellvertreter tätig wird: Grundsätzlich ist ein Irrtum des Vertretenen nicht kausal; es sei denn dieser Irrtum hätte sich in einer Weisung an den Stellvertreter ausgewirkt. – Für die Fälle der gesetzlichen oder richterlichen Vertretung gilt demnach anderes, als im Normalfall.
Bisher nicht judiziert erscheint die Frage des Irrtums beim Falsus. Ist es doch denkbar, dass ein Vertreter über Art und Umfang seiner Vertragsschlussvollmacht irrt und erst dadurch zum Falsus wird. – Ist dieser Irrtum entschuldbar, bestehen jedenfalls keine Schadenersatzansprüche; weder aus Vertrag, noch aus Delikt. Andernfalls gelangen die allgemeinen Regeln für den Falsus zur Anwendung.
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3. Gegen „wen” richtet sich die Anfechtung?
Grundsätzlich gegen den „anderen Teil”, den Vertragspartner, also zB denjenigen, der getäuscht oder in Irrtum geführt hat. – Vgl jedoch § 875 ABGB, der die Bedeutung der Einwirkung „Dritter” auf den Vertragsschluss behandelt.
§ 875 ABGB unterscheidet nach Sphären. Gehörte der „Dritte” zur Sphäre des Vertragspartners, kann angefochten werden, sonst nicht → § 875 ABGB: Veranlassung durch einen Dritten
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4. „Wie” ist anzufechten?
Wirksame Anfechtung erfolgt durch gerichtliche Klage oder – falls der Irrende zB schon auf Zahlung geklagt wurde – durch Einrede (= prozessuales Geltendmachen eines Gegenrechts) im Prozess. Der Irrende, bspw auf Leistung geklagt, muss den unterlaufenen Irrtum mittels Einrede einwenden, weil das Gericht den Irrtum nicht von Amtswegen berücksichtigt; EvBl 1958/160 oder SZ 46/84 (1973).
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 54/7 (1981): Auch ein (bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften unter Lebenden beachtlicher) Motivirrtum darf mangels Anfechtung nicht von Amts wegen aufgegriffen werden.
SZ 46/84 (1973): Anfechtung eines Gebrauchtwagenkaufs wegen Irrtums über die Verkehrstüchtigkeit des gekauften Fahrzeugs – Die Anfechtung eines Vertrags wegen arglistiger Irreführung schließt die Irrtumsanfechtung ein.
§ 933 ABGB Es erfolgt durch den Irrenden wie das Geltendmachen von Gewährleistungsansprüchen (§ 933 ABGB) und der Verkürzung über die Hälfte (§ 934 ABGB) durch Klage oder Einrede im Prozess!
Geltendmachen des Irrtums
Der Rücktritt (des Gläubigers) vom Vertrag (bei Schuldnerverzug) kann dagegen auch außergerichtlich gültig erklärt / geltend gemacht werden; und zwar so lange, als Schuldnerverzug besteht, während das Geltendmachen von Gewährleistungsansprüchen zeitlich befristet ist. – Zur Verjährung des Anspruchs auf Irrtumsanfechtung → Verjährung
Möglich ist auch ein kumuliertes Geltendmachen – sog Anspruchskumulierung – von Willensmängeln; also zB gleichzeitig wegen Irrtums, List und mangelnder (Willens)Freiheit (Alkohol!) oder Ernstlichkeit.
Anspruchskumulierung
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5. Form der Anfechtung?
Gesetz und Rspr verlangen für die Anfechtung keine besondere Form.
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1982, 36 (Kauf von Baugrund in einem Naturschutzgebiet): Die Anfechtung eines Vertrags hat gerichtlich zu erfolgen. Eine förmliche Anfechtungserklärung ist aber nicht notwendig. Es genügt, wenn aus dem Parteivorbringen des Anfechtenden hervorgeht, dass er den Vertrag nicht oder – bei Vertragsanpassung – nur mit einer Korrektur gelten lassen will.
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6. Beweislast
Die Beweislast für das Vorliegen eines Willensmangels trifft grundsätzlich den Irrenden oder Getäuschten. – Mehr zur Beweislast → KAPITEL 9: Beweislast und Anspruchsdurchsetzung. – Vgl aber → Willens-, Erklärungs- und Vertrauenstheorie: JBl 1987, 521 Fernlehrvertrag!
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7. „Wie wirkt” die Vertragsanfechtung?
Ist die gerichtliche Anfechtung erfolgreich, führt dies zur „Aufhebung” (§ 877 ABGB) des Vertrags, dh des Titelgeschäfts!
Aufhebung des Vertrags
Da ein gültiger Eigentumserwerb nach der Lehre von Titel und Modus (→ KAPITEL 2: Die Lehre von Titel und Modus) sowohl einen gültigen Titel, als auch einen gültigen Modus voraussetzt, wird bei erfolgreicher Anfechtung (= Vernichtung des Titelgeschäfts!) der Veräußerer wieder Eigentümer; und zwar ohne weiteres eigenes oder fremdes Zutun: sog dingliche Rückwirkung. Dies im Gegensatz zur schuldrechtlichen / obligatorischen Rückwirkung (zB beim Rücktritt nach § 918 ABGB oder bei der Wandlung nach § 932 ABGB), wo bereits übertragenes Eigentum erneut rückübertragen werden muss, also keine vergleichbare „Automatik” besteht → KAPITEL 7: Wirkungen der Ausübung des gesetzlichen Rücktrittsrechts: Gewährleistung. Aber auch eine erfolgreiche Wandlung oder ein wirksam erklärter Rücktritt vom Vertrag nach § 918 ABGB beseitigen das Titelgeschäft; die Rückwirkung hinsichtlich bereits geänderter dinglicher Rechtspositionen (zB Eigentumsübertragung) ist aber – wie erwähnt – eine andere, umständlichere.
Dingliche oder obligatorische Rückwirkung?
Dh sie wirkt zurück auf den Vertragsschluss und lässt vom abgeschlossenen Geschäft / Vertrag nichts bestehen. – Zu unterscheiden davon ist die sog ex nunc-Wirkung: Hier bleibt das Geschäft bis zu einem gewissen Zeitpunkt – der zB durch Kündigung bestimmt wird – aufrecht und erst ab diesem Zeitpunkt, also für die Zukunft, zeitigt es keine Wirkungen mehr.
Anfechtung wirkt ex tunc
Die normale (ex tunc wirkende) Anfechtung wegen unterlaufener Willensmängel wandelt sich bei Dauerschuldverhältnissen ( → KAPITEL 6: Ziel- und Dauerschuldverhältnisse) in eine Kündigung mit ex nunc-Wirkung.
Anders bei Dauerschuldverhältnissen
Beispiel
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8. Wie wirkt Nichtigkeit?
Anders als die Anfechtung, die (von der anfechtenden Partei) immer gerichtlich geltend gemacht werden muss um Rechtswirkungen auszulösen, bedeutet das Vorliegen der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts seine vollkommene Rechtsunwirksamkeit / Unverbindlichkeit und zwar von Anfang an; zur Restwirkung (zB Auskunftspflicht) nichtiger Verträge vgl idF SZ 24/304. Der Vertrag kommt also von vornherein nicht, auch nicht scheinbar, gültig zustande. Es liegt gar kein gültiges Rechtsgeschäft vor. Es bedarf daher auch keiner gerichtlichen Geltendmachung, um die Ungültigkeit des Geschäfts zu bewirken. – Eine gerichtliche Feststellung ist aber uU doch nötig, wenn der Geschäftspartner die Nichtigkeit bestreitet. Etwa bei mangelnder Geschäftsfähigkeit → KAPITEL 4: Die Handlungsfähigkeit .
Rechtssprechungsbeispiel
Auch ein nichtiger Vertrag begründet aber zwischen den Parteien gewisse Verbindlichkeiten, wie die Pflicht zur Auskunftserteilung; SZ 24/304 (1951).
Wir unterscheiden die absolute (dh eine für alle Personen bestehende) von der relativen Nichtigkeit; hier kann sich nur eine bestimmte (Vertrags)Partei auf die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts berufen. Das ist sinnvoll, wenn das Gesetz nur den Schutz eines Vertragsteils bezweckt. Relative Nichtigkeit muss – wie die Anfechtung – (gerichtlich) geltend gemacht werden. Beruft sich aber der benachteiligte Vertragspartner nicht auf die für ihn bestehende relative Nichtigkeit / Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts, wird das Rechtsgeschäft als wirksam betrachtet, da auch relative Nichtigkeit (wie die Anfechtbarkeit) im Verfahren nicht von Amts wegen beachtet wird.
Absolute und relative Nichtigkeit
Absolut nichtige Geschäfte verstoßen gegen fundamentale Interessen der Rechtsordnung. Es kann sich daher nicht nur jedermann auf ihre Nichtigkeit berufen, sondern diese Nichtigkeit kann auch ohne zeitliche Begrenzung geltend gemacht werden. Für diese Form der Nichtigkeit gelten demnach auch keine Verjährungsgrenzen ! Das wird immer wieder verkannt. – Rückforderungsansprüche aus solchen Verträgen, die auf Kondiktionsrecht beruhen, verjähren aber in 30 Jahren → Verschulden? – Verjährung
Starke Wirkung absoluter Nichtigkeit
Beispiele relativer Nichtigkeit:
• Allgemeine Sittenwidrigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB;
• § 879 Abs 2 Z 4 ABGB: Wucher; vgl Gschnitzer in Klang2 IV/1 207 f;
• § 879 Abs 3 ABGB: gröbliche Benachteiligung durch AGB;
• § 24 WEG 1975 = § 38 WEG 2002: Rechtsunwirksame Vorbehalte oder Vereinbarungen zwischen WE-Werber / Wohnungseigentümer und WE-Organisator; so OGH 1 Ob 784/79.
Neben der Voll- oder Total-Nichtigkeit kennen wir auch die Teil-Nichtigkeit / Restgültigkeit, bei der nicht das Ganze, sondern nur ein Teil des Rechtsgeschäfts ungültig ist. – Das spielt bei AGB eine praktische Rolle: Die gesetz- oder sittenwidrige Klausel wird als nichtig aus dem Vertrag herausgenommen, der Rest des Vertrags bleibt bestehen.
Teil-Nichtigkeit
Vgl § 6 Abs 1 KSchG: „… sind besonders solche Vertragsbestimmungen … nicht verbindlich, …”
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 24/170 (1951): Sind in einem Vertrag verbotene und erlaubte Leistungen vereinbart, so ist bei Absonderungsmöglichkeit der Vertrag nur hinsichtlich des Verbotenen nichtig. Der Schuldner muss dem Gläubiger die ihm durch das Entfallen der verbotenen Leistungen entstandene Bereicherung herausgeben; § 877 ABGB → Die Kondiktionstypen des ABGB und ebendort → Entscheidungsbeispiele


Rechtsfolgen bei Willensmängeln
Abbildung 5.43:
Rechtsfolgen bei Willensmängeln


Anfechtung und Rückabwicklung von/bei Willensmängeln: Voraussetzungen
Abbildung 5.44:
Anfechtung und Rückabwicklung von/bei Willensmängeln: Voraussetzungen


Wie wirkt die „(Vertrags)Anfechtung”?
Abbildung 5.45:
Wie wirkt die „(Vertrags)Anfechtung”?


Willensmängel (1)
Abbildung 5.46:
Willensmängel (1)


Willensmängel (2)
Abbildung 5.47:
Willensmängel (2)
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9. Rückstellungspflichten – Rückabwicklung
Es wurde schon erwähnt, dass § 877 ABGB eine Rückstellungspflicht Zug um Zug anordnet. Diese Rückabwicklung ist aber nicht immer einfach und betrifft grundsätzlich beide Seiten. Daher muss auch der Anfechtende uU – zB für die Benützung einer Maschine oder eines Kraftfahrzeugs – ein Benützungsentgelt für die Zwischenzeit entrichten; Rspr-Beispiele: SZ 26/195.
§ 877 ABGB
Zur Rückabwicklung kann es nicht nur in Zwei-, sondern auch in Dreipersonenverhältnissen kommen; Anweisung, Bürgschaft, Streckengeschäft etc.
Literaturquelle
§ 877 ABGB gilt für alle nichtigen Verträge; also bei fehlender Geschäftsfähigkeit ebenso, wie bei Ungültigkeit wegen Zwangs, Irrtums oder eines Dissenses sowie beim Scheingeschäft, Formmängeln oder Wucher. – Stehen beiden Vertragsteilen Rückforderungsansprüche zu, sind diese wiederum Zug um Zug zu erfüllen.
Weiter Geltungsbereich des § 877 ABGB
Der Rückstellungsanspruch des § 877 ABGB ist ein Kondiktionsanspruch (→ Die Kondiktionstypen des ABGB), dem der Empfang einer Leistung zugrunde liegt, die eines rechtlichen Grundes entbehrt; SZ 54/156 (1981). – Die Kondiktion richtet sich bei Unmöglichkeit der Rückstellung (zB infolge Verschuldens des Beklagten) auf Schadenersatz; GlU 11.890 (1887) oder GlUNF 5600 (1911). Sonst auf die Herausgabe der Bereicherung; GlUNF 3246 (1905).
Kondiktionsanspruch
Rechtssprechungsbeispiel
ZVR 1989/169: Rückabwicklung eines Pauschalreisevertrags. Hier muss sich der Kunde die Lebenshaltungskosten für sich uns seine Familie für die Zeit der Reisedauer anrechnen lassen.
SZ 26/195 (1953): Wer eine fremde Sache ohne Rechtsgrund benützt hat, muss ein Benützungsentgelt entrichten. Das gilt auch für den Käufer, der den Vertrag nach Empfang der Kaufsache gewandelt hat; JBl 1992, 456.
Die Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit der Rückabwicklung ist letztlich – wie schon ausgeführt – der Grund dafür, dass bei Dauerschuldverhältnissen keine ex tunc wirkende, sondern bloß eine ex nunc-Rückabwicklung erfolgt.
Ex nunc-Wirkung der Rückabwicklung bei DSchV
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10. Verzicht auf das Anfechtungsrecht?
Auf das Recht, einen Vertrag wegen Irrtums anzufechten, kann gültig (!) verzichtet werden:
• und zwar sowohl im vorhinein (= vor/bei Vertragsschluss), wie auch
nachträglich (zB auch schlüssig).
• Zu Recht zurückhaltend ist die Rspr aber bei der Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf das Anfechtungsrecht; vgl zB ZVR 1989/169: Beispiele.
Überhaupt nicht gültig verzichtet werden kann im Vorhinein auf die Willensmängel des § 870 ABGB, also Täuschung und Drohung. Trotzdem geschieht dies immer wieder auch in von Rechtsanwälten verfassten Verträgen.
Keine Verzichtsmöglichkeit im Vorhinein nach § 870 ABGB
„Im vorhinein” verzichtet wird idR im Rahmen von Vertragsschlüssen, indem zB in einem eigenen Vertragspunkt oder in AGB das Recht der Irrtumsanfechtung ausgeschlossen wird. – „Im nachhinein” dadurch, dass vom bestehenden Anfechtungsrecht nicht Gebrauch gemacht wird.
„Im vorhinein” …
Rechtssprechungsbeispiel
HS 7335/13 (1969): Kauf einer Eiscremerzeugungsmaschine: Einen schlüssigen (§ 863 ABGB) Verzicht hat der OGH angenommen, weil der Käufer in Kenntnis des Irrtums die Maschine die ganze Saison benützt und nichts unternommen hat.
SZ 55/21 (1982): Nach der Rspr ist bei Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf das Anfechtungsrecht aber immer besondere Vorsicht geboten. Er darf nicht zu „leicht” angenommen werden; zB nicht, wenn ein gebrauchter Pkw, der mit schweren Mängeln gekauft wurde (ua schwere Rostschäden an der Bodenplatte) idF rasch weiterverkauft wird.
ZVR 1989/169 (OLG Wien): Ein stillschweigender Verzicht auf Anfechtung eines Pauschalreisevertrags kann nicht im Unterlassen des Urlaubsabbruchs erblickt werden, wenn dies aus wirtschaftlichen Gründen geboten oder nicht möglich war; hier wegen eines fix vereinbarten Charterrückflugs.
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11. Verjährung
Das Recht der Irrtumsanfechtung verjährtnach § 1487 ABGB in 3 Jahren; das Recht einen Vertrag nach § 870 ABGB anzufechten in 30 Jahren. – Die Verjährungsfrist läuft in beiden Fällen ab Vertragsschluss.
§ 1487 ABGB
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 54/71 (1981): Kauf eines Halbrohbaus – 3-Jahresfrist wurde hier versäumt!
RSpr 1932 Nr 309: Das Erlöschen des Gewährleistungsanspruchs durch Zeitablauf schließt die Anfechtung wegen Irrtums nicht aus (!). – Freilich muss die Anfechtung innerhalb der Irrtumsverjährungszeit erfolgen → Verjährung
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VII. Sogenannte Willensvorbehalte
Eine andere Gruppe von Willensmängeln wird auch unter dem Begriff der „Willensvorbehalte “ unter ein gemeinsames dogmatisches Dach zu bringen versucht. Die Abgrenzung zwischen relevanten Beeinträchtigungen der Geschäftsfähigkeit und einem unbeachtlichen Willensvorbehalt ist aber nicht immer leicht. – Hierher gehören:
1. Geheimer Vorbehalt oder Mentalreservation
Geregelt in § 869 Satz 3 ABGB: Wer sich, „um einen andern zu bevorteilen, undeutlicher Ausdrücke bedient oder eine Scheinhandlung unternimmt, leistet Genugtuung”. – Die Rechtsordnung toleriert solche Vorbehalte nicht und „hält den Erklärenden an seiner Erklärung fest”; Gschnitzer: Das Geschäft ist von Anfang an gültig und bleibt es auch.
§ 869 Satz 3 ABGB
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1968/234: Mann wollte eine Ehe auf Zeit schließen, um ein gemeinsames Kind zu legitimieren. Geschlossene Ehe ist gültig, der geheime (Zeit)Vorbehalt des Mannes unbeachtlich. – Darin liegt eine berechtigte Einschränkung des Willensprinzips.
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2. Fehlende Ernstlichkeit
Bedeutung für die Qualität der Willenserklärung und damit uU auch für die Frage der Geschäftsfähigkeit (!) besitzt dagegen die fehlende Ernstlichkeit, die auch „Scherzerklärung” genannt wird. Sie spielt praktisch insbesondere bei Rechtsgeschäften von und mit Alkoholisierten oder unter Drogeneinfluss stehenden eine wichtige Rolle. Der OGH wendet hier ebenfalls § 869 ABGB an; arg: Dem Vertragspartner hätte die mangelnde Ernstlichkeit – iS einer willensmäßigen Beeinträchtigung – auffallen müssen. Wichtig ist das für „Wirtshausgeschäfte”! Eine Rolle spielen kann das Kriterium der Ernstlichkeit aber auch bei Rechtsgeschäften mit alten Menschen / Demenz etc. – Beweisfragen in diesem Zusammenhang sind oft schwierig.
Rechtssprechungsbeispiel
Die Rspr unterscheidet – angeheitert, ist nicht berauscht und alkoholisiert nicht volltrunken. – Unterscheidung scheint in der Tat nötig; vgl GlU 3672 (1870): Der im Rausche, wenn gleich nicht in Volltrunkenheit geschlossene Vertrag kann mangels Ernstlichkeit des Willens ungültig sein.
SZ 39/191 (1966): Verlöbnis als Scherz führt zu Schadenersatz; einfältiger Mann suchte Frau für das von ihm zu eröffnende Gasthaus: Er bezahlte eine Verlöbnisfeier – und die Frau nahm von ihm einen Pelzmantel als Geschenk an.
GlU 3672: Eine Erklärung, deren mangelnde Ernstlichkeit sich aus der Art der Äußerung und aus den Begleitumständen objektiv (!) ergibt und dem Erklärungsempfänger erkennbar ist, ist ungültig.
SZ 39/191 (1966): Dagegen sind Scherzerklärungen, deren mangelnde Ernstlichkeit dem anderen Teil nicht erkennbar war, gültig; dazu treffend Gschnitzer, AllgT1 167 f.
JBl 1960, 445: Auch eine Gemütsaufregung kann die Ernstlichkeit einer Erklärung ausschliessen.
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3. Scheingeschäft / Simulation: § 916 ABGB
Praktisch wichtig ist § 916 Abs 1 Satz 2ABGB; sog Dissimulation. Mittels eines Scheingeschäfts soll das wahre, eigentlich gewollte Geschäft verdeckt werden.
Zu unterscheiden ist dabei das:
• vorgeschobene oder simulierte Geschäft vom
• verdeckten oder dissimulierten.
Das simulierte Geschäft wird, als bloß vorgetäuscht und nicht gewollt, „weggeräumt”. Das dissimulierte / verdeckte Geschäft dagegen bleibt – weil gewollt – gültig bestehen; es ist „nach seiner wahren Beschaffenheit zu beurteilen”: also zB als Kauf und nicht – wie vorgetäuscht – als Schenkung oder Miete.
Rechtsfolgen für das simulierte und das dissimulierte Geschäft
§ 916 Abs 2 ABGB legt noch fest, dass einem „Dritten, der im Vertrauen auf die [simulierte] Erklärung Rechte erworben hat, ... die Einrede des Scheingeschäftes nicht entgegengesetzt werden” kann. – Das sind häufig Behörden, insbesondere das Finanzamt; vgl auch § 23 Abs 1 BAO 1961, BGBl 194:
Wirkung des Scheingeschäfts auf „Dritte“
„§ 23. [BAO] (1) Scheingeschäfte und andere Scheinhandlungen sind für die Erhebung von Abgaben ohne Bedeutung. Wird durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt, so ist das verdeckte Rechtsgeschäft für die Abgabenerhebung maßgebend.
§ 23 BAO
(2) Die Erhebung einer Abgabe wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein Verhalten (ein Handeln oder ein Unterlassen), das den abgabepflichtigen Tatbestand erfüllt oder einen Teil des abgabepflichtigen Tatbestandes bildet, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt.
(3) Ist ein Rechtsgeschäft wegen eines Formmangels oder wegen des Mangels der Rechts- oder Handlungsfähigkeit nichtig, so ist dies für die Erhebung der Abgaben insoweit und so lange ohne Bedeutung, als die am Rechtsgeschäft beteiligten Personen dessen wirtschaftliches Ergebnis eintreten und bestehen lassen.
(4) Die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäftes ist für die Erhebung von Abgaben insoweit und so lange ohne Bedeutung, als nicht die Anfechtung mit Erfolg durchgeführt ist.
(5) Von den Anordnungen der Abs. 2 bis 4 abweichende Grundsätze der Abgabenvorschriften bleiben unberührt.”
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
wobl 1995, 90/39: Haftung (eines Rechtsanwalts) für die Kosten der Errichtung eines Kaufvertrags – Zum Verhältnis und zur Tragweite von Scheingeschäften und verdecktem Geschäft.
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4. Umgehungs- und Umweggeschäfte
Abzugrenzen vom Scheingeschäft sind:
• Umgehungs- und
• Umweggeschäfte.
Sie sind grundsätzlich gültig, weil der Gesetzgeber nur einen bestimmten Weg verbietet, nicht aber andere oder alle Wege zu einem (an sich) erlaubten Ziel.
Umweggeschäfte
Beispiel
Sie sind dagegen immer unzulässig und von Anfang an nichtig. – Das Umgehungsgeschäft will grundlegende Zielsetzungen des Gesetzgebers – insbesondere Verbote oder eine Genehmigungspflicht – unterlaufen, verstößt also gegen Ziel und Zweck einer gesetzlichen Vorschrift. Das spielt(e) bspw im Grundverkehrsrecht eine bedeutende, aber unrühmliche Rolle. Auf das Umgehungsgeschäft wird bei § 879 ABGB eingegangen → KAPITEL 11: Die (Gesetzes)Umgehung.
Umgehungsgeschäfte
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VIII. Störung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage
Literaturquelle
1. Ein (weiterer) Auffangtatbestand
Die Judikatur versteht die St/WdGG richtig als Wegfall/Störung der verkehrstypischen Voraussetzungen eines Geschäfts – nicht nur der individuellen Voraussetzungen einer Partei, eben seiner geschäftlichen Grundlage für beide Seiten und betont:
„Da die Lehre von der Geschäftsgrundlage als Ergebnis einer Lückenfüllung zu verstehen ist.., muss ein Rückgriff auf sie dort unterbleiben, wo ein Sachverhalt durch das Gesetz [ohnehin] geregelt ist”; SZ 54/71 (1981).
Das heißt: Dieses Rechtsinstitut dient – neben den Willensmängeln und den Kondiktionen – als Auffangtatbestand der Lückenfüllung und soll helfen, unangemessene und ungerechte Ergebnisse zu vermeiden; vielleicht auch dazu, Ergebnisse leichter gewinnen und besser begründen zu können.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 48/9 → Der Motivirrtum, wo statt eines Motivirrtums auch eine StdGG angenommen werden könnte. – Zur Bewertung des Rechtsinstituts → Sparsamer Umgang erscheint angezeigt
Seine Entstehung verdankt unser Rechtsinstitut für den Bereich des österreichischen Privatrechts – ähnlich wie die cic, einer umfassenden Rechtsanalogie → KAPITEL 11: § 7 ABGB: Die Lückenschließung.
Entstehung
Grundgedanken in diese Richtung gibt es in und außerhalb des ABGB: Abgesehen von § 901 Satz 2 ABGB (= ausdrücklich zur Bedingung erhobener Beweggrund / Endzweck) sind vor allem zu nennen: – die Umstandsklausel des § 936 ABGB; – § 1052 Satz 2 ABGB (sog Unsicherheitseinrede); – § 1435 ABGB (condictio causa finita und condictio causa data, causa non secuta); – §§ 947 ff und § 1247 ABGB (Schenkungswiderruf); – Unterhaltsvereinbarungen unterliegen nach der Rspr grundsätzlich der clausula rebus sic stantibus (Umstandsklausel) und überhaupt – die Kündbarkeit von DSchVn.
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2. Nötige Abgrenzungen
Abzugrenzen gilt es unser Rechtsinstitut vom Irrtum und hier wiederum vor allem vom gemeinsamen Irrtum. Der für die Praxis nicht unwichtige Unterschied liegt dabei darin, dass der gemeinsame Irrtum schon bei Vertragsschluss vorliegen muss (!), während es die St/WdGG ermöglicht, auch noch nachträgliche Veränderungen, die den vereinbarten Leistungsaustausch (also das Schuldverhältnis) betreffen – etwa solche, die zwischen Vertragsschluss und Erfüllung oder bei aufrechter Leistungsbeziehung eines DSchV entstehen – so sie ein gewisses Maß übersteigen, zu berücksichtigen. Das rückt die Lehre von der St/WdGG in die Nähe der Lehre von den Dauerrechts- und Dauerschuldverhältnissen, wo aber die Kündigung(smöglichkeit) dafür sorgt, dass unzumutbare Entwicklungen nicht eintreten, weil (nachträglichen) Veränderungen durch Kündigung begegnet werden kann. – Für den Bereich der DSchVe erscheint die Lehre von der St/WdGG daher überflüssig; vgl aber → Störung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage: Anpassungskündigung.
Unterschiede zwischen Irrtum und StdGG
Als um 1900 die Elektrizität die bisherige kommunale Gas(straßen)beleuchtung ablöste, wollten viele Städte auf die neue Energie umsteigen. Beim Abschluss der oft langfristigen (Gas)Energiebezugsverträge hatte niemand daran gedacht (Unvorhersehbarkeit!), dass das Gas einmal durch Strom abgelöst werden könnte. (Aus heutiger Sicht lässt sich sagen, dass dazu wohl auch die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen ausgereicht hätte. Allein auch das Recht der Dauerschuldverhältnisse war damals noch unentwickelt! Vgl F. Gschnitzer, Die Kündigung nach deutschem und österreichischem Recht, in: FGL 129 ff.) – Ein vergleichbarer Fall liegt vor, wenn ein Unternehmer biologische oder doch schonende und unschädliche Düngemittel beziehen will und sich erst später – nämlich nach Vertragsschluss und nach zwischenzeitig begonnener Erfüllung – herausstellt, dass ausgerechnet „sein” Düngemittel umweltschädigende Substanzen enthält. Natürlich muss er künftig „dieses Mittel” nicht weiter beziehen! Selbst wenn er sich dazu vertraglich verpflichtet hätte. (Auch eine aktuelle Lieferung kann rückabgewickelt werden!) Hier kann es auch zur Aufkündigung langfristiger Lieferverträge kommen; und zwar aus wichtigem Grund, also ohne Einhaltung allenfalls bestehender Kündigungstermine oder -fristen.
Historische Entwicklung
Unser Rechtsinstitut vermag aber nicht dingliche oder verdinglichte Rechtsbeziehungen”leichter” aushebeln zu helfen. Mag auch die Auflösbarkeit dinglicher Rechtsbeziehung „modern” geworden sein; dazu → KAPITEL 6: Was ist und wie wirkt die Kündigung?.
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3. Sparsamer Umgang erscheint angezeigt
Diese Überlegungen zeigen, dass auf der einen Seite das Rechtsinstitut der St/WdGG gar nicht gebraucht wird, weil oft auch der (gemeinsame) Irrtum weiterhilft – auch der Bundesligaskandalfall (→ Rspr-Beispiele: Rspr-Beispiele) wäre so zu lösen gewesen! – und auf der andern Seite die Anwendung der Regeln der Dauerschuldverhältnisse ein über die Möglichkeit der (insbesondere ao) Kündigung hinausgehendes Rechtsmittel erübrigt! Ein „wichtiger Grund” berechtigt dann eben zur ao Kündigung! – Das soll aufzeigen, dass mit der Anwendung unseres Rechtsinstituts sparsam umgegangen und seine Funktion als „Auffangtatbestand” ernstgenommen werden muss.
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4. § 313 dtBGB neu: Störung der Geschäftsgrundlage
§ 313 dtBGB – eingeführt durch die am 1.1.2002 in Kraft getretene sog Schuldrechtsreform – regelt nunmehr ausdrücklich die „Störung” und nicht nur den „Wegfall” der (gesamten) Geschäftsgrundlage. Dadurch wurde das bislang auch in Deutschland nur von der Rspr anerkannte, nicht aber gesetzlich geregelte, Rechtsinstitut vom Gesetzgeber „eingefangen”. Der flexibel gestaltete Tatbestand ermöglicht nunmehr nicht nur – parallel zu unseren §§ 871, 872 ABGB (die wohl als Vorbild dienten) – eine Anfechtung des Gesamtvertrags, sondern auch eine Vertragsanpassung (wie beim unwesentlichen Irrtum).
Neben dem erwähnten Lösungspotential des
Vorbildliche deutsche Lösung
• Irrtums berücksichtigt die vorbildliche deutsche Lösung auch jenes der
• Dauerschuldverhältnisse (Kündigung) und darüber hinaus der
• Zielschuldverhältnisse (Rücktritt).
In Bezug auf eine Vertragsanpassung bei Dauerschuldverhältnissen könnte dies nach den neuen BGB-Regeln auch zu einer Änderungs- oder Anpassungskündigung führen.
Störung der Geschäftsgrundlage
Text des § 313 dtBGB neu
(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.
(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.”
Eine allfällige neue österreichische Regelung könnte legistisch in den Kontext der Irrtumsregeln gestellt werden; zB als neuer § 877 a ABGB (allenfalls noch § 877 b). – Die neue deutsche Regelung wird aber wohl schon vor einer gesetzlichen Regelung in Österreich als Analogiebasis (§ 7 ABGB) für die Rspr Bedeutung gewinnen und verdiente dies auch.
Neue österreichische Regelung?
§ 313 dtBGB kombiniert demnach Irrtumsanfechtung (Anpassung nach Abs 1) mit dem Rücktritt vom Vertrag (Abs 3) und der Kündigung (Abs 3). – Abs 2 stellt der „Veränderung der Umstände” nach Vertragsschluß den Fall gleich, dass die Geschäftsgrundlage von vorneherein”falsch” war, wodurch die neue bestimmung in Konkurrenz zu anderen Willensmängeln – insbesondere den Irrtum – tritt.
Die Verjährung (→ KAPITEL 13: Die Verjährung) wäre de lege ferenda durch Aufnahme des neuen Tatbestands in § 1487 ABGB zu regeln, wodurch – anders als dzt (→ Verjährung) – eine einheitliche 3-jährige Verjährungsfrist geschaffen werden könnte. Sie sollte mit Kenntnis oder Kennenmüssen der Störung zu laufen beginnen.
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5. Geltendmachen durch Anfechtung
Wie beim Irrtum lässt die Rspr auch beim W/StdGG die Anfechtung zu. Auch die Wirkung ist dieselbe: ex tunc bei Ziel-, ex nunc bei Dauerschuldverhältnissen.
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6. Verjährung
Die vom OGH dzt unterschiedlich angenommene Verjährungsfrist unseres Rechtsinstituts – nämlich 3 oder 30 Jahre – macht deutlich, dass der OGH unser Rechtsinstitut das eine Mal zur Ergänzung des gemeinsamen Irrtums, ein andres Mal (mehr) als Facette eines Bereicherungsausgleichs betrachtet → Ungerechtfertigte Bereicherung – Auch das offenbart das dogmatische Zwitterdasein des Rechtsinstituts W/StdGG.
Zur möglichen Änderung dieses unbefriedigenden Zustands → § 313 dtBGB neu: Störung der Geschäftsgrundlage
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7. Rspr-Beispiele
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1954, 396: Schenkung von Liegenschaften der Gauhauptstadt K(lagenfurt) an die NSV [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt] im Jahre 1942. – Nach Kriegsende verlangt die Geschenkgeberin, also die Stadt Klagenfurt, die Grundstücke, die mittlerweile in das Eigentum der Republik übergegangen sind, zurück, da „sie bei Kenntnis des Umstandes, dass dem Wirkungskreis der NSV nur eine kurze Dauer beschieden sein werde”, der NSV die beiden Liegenschaften nicht geschenkt hätte. [!] – Der OGH lehnte aber das Begehren der Stadt Klagenfurt ab und führt aus: „Die Möglichkeit der Änderung eines politischen Systems ist, wie die geschichtlichen Erfahrungen der letzten Jahrhunderte zeigen, keine bloß akademische oder entfernte. Eine unbeschränkte Fortdauer des NS-Staates, der im wesentlichen auf Furcht und Zwang gegründet und in einem Kampf auf Leben und Tod mit den wirtschaftlich und militärisch mächtigsten Staaten der Erde verstrickt war, musste mit Rücksicht auf die Erfahrungen des 1. Weltkrieges zumindest als zweifelhaft erscheinen. Daran ändert auch nichts, dass die Machthaber des nationalsozialistischen Staates eine solche Möglichkeit einer Änderung des politischen Systems als ein strafwürdiges Verhalten erblickten.”
SZ 37/8 (1964) Kauf einer Waschmaschine ohne geeigneten Stromanschluss: Das Vorhandensein einer ausreichenden elektrischen Stromstärke stellt in einem solchen Fall eine Geschäftsgrundlage dar, und nicht, wie der Erstrichter meint, einen nur in die persönliche Sphäre der Beklagten fallenden Umstand. Denn es hat der Verkäufer ohne weiteres erkennen können, dass der Ankauf der für den Haushalt bestimmten Waschmaschine nur dann für die Beklagte von Wert ist, wenn diese die Waschmaschine mit dem in ihrem Haushalt zur Verfügung stehenden elektrischen Strom auch betreiben kann. Sollte das Geschäft nur infolge Unkenntnis vom Nichtvorhandensein dieser Voraussetzung zustande gekommen sein, dann wäre die Beklagte in der Tat nicht an den Vertrag gebunden .... Darauf, ob für die Prüfung des Vorliegens dieser Voraussetzung die Kenntnisse der Vertragspartner ausreichten oder ob besondere Fachkenntnisse erforderlich gewesen wären, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Das Fehlen dieser Geschäftsgrundlage hätte auch dann die Unverbindlichkeit des Vertrages für die Beklagte zur Folge, wenn der Verkäufer nicht über die erforderlichen Kenntnisse verfügt haben sollte, um das Fehlen dieser Voraussetzung selbst feststellen zu können. – Die Irrtumsregeln hätten ausgereicht.
EvBl 1972/126: Der Vertrag über die Ausbildung zum Programmierer kann nicht eindeutig einer der im ABGB geregelten Vertragstypen zugeordnet werden; er ist ein Vertrag sui generis. Grundlage eines solchen Vertrag ist die Eignung des Schülers für diesen Beruf. Stellt sich später heraus, dass sie fehlt und jede Schulung zwecklos ist, dann ist damit eine von beiden Parteien dem Vertragsabschluss unterstellte Voraussetzung nicht gegeben und infolgedessen die Geschäftsgrundlage weggefallen. – Das Lehrinstitut hat dann keinen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Entgelts. ( Vgl die E JBl 1987, 521: Fernlehrvertragsabschluß durch einen Matrosen, wo bei gleicher Argumentation unser Rechtsinstitut nicht herangezogen wird. – Anwendung der Irrtumsregeln hätte genügt.)
EvBl 1974, 29: Mann schenkt seiner Freundin 150.000,– S, damit sie ihn heirate, und beruft sich nach dem Scheitern der Ehe auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, was der OGH ablehnt, weil ihn selbst Mitverschulden an der Scheidung traf.
JBl 1979, 652: Tischler inseriert in Stadtplan, weil er der Meinung war, es handle sich um eine politisch neutrale Publikation, was seines Erachtens aber durch eine ÖVP-Werbeeinschaltung nicht mehr gewährleistet war: „Wer einen Auftrag zur Einschaltung eines kommerziellen Inserats in eine Broschüre (Stadtplan) erteilt, der erkennbarerweise durch verschiedenste Inseratenaufträge finanziert wird, kann nicht erwarten, dass sich unter den Inseraten nicht auch eines einer politischen Partei befindet, weil das allein dem Druckwerk noch nicht den Charakter einer parteipolitischen Propagandaschrift gibt. Bei Aufnahme einer solchen Anzeige liegt daher weder Geschäftsirrtum, noch Wegfall der Geschäftsgrundlage, noch ein zur Gewährleistung verpflichtender Mangel vor.”
NZ 1980, 37 (1976): Verkauf geplanter Eigentumswohnungen an deutsche Staatsbürger (Hotelappartements!), ohne diese aufzuklären, dass die Grundverkehrsbehörde in gleichgelagerten früheren Fällen die Genehmigung verweigert hatte. – OGH trägt dem Argument der Käufer (= Kläger), die Geschäftsgrundlage sei weggefallen, Rechnung. (Irrtum hätte ausgereicht.)
NJW 1976, 565: Bundesligaskandalfall. – Zwei deutsche Bundesligavereine schlossen einen sog Spieler(kauf)vertrag. Beide Vereine wussten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht, dass der Spieler in eine Bestechungsaffäre verwickelt war, deretwegen er idF für lange Zeit „gesperrt” wurde, also nicht spielen konnte. Der erwerbende Verein machte erfolgreich WdGG geltend, weil er davon ausgegangen war, dass der Spieler in der neuen Saison spielberechtigt sei. – Nach ABGB hätte ebenso wesentlicher (gemeinsamer) Irrtum nach § 871 ABGB angenommen werden können!
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F. Ungerechtfertigte Bereicherung
Literaturquelle
I. Auffangtatbestände
Den Kondiktionen und Verwendungsansprüchen kommt als subsidiären Auffangtatbeständen die Aufgabe zu, ungerechtfertigte Bereicherungen iSv rechtsgrundlosen Vermögensverlagerungen auszugleichen oder rückgängig zu machen. – Es handelt sich um ein Instrument der ausgleichenden Gerechtigkeit → KAPITEL 18: Austeilende und ausgleichende Gerechtigkeit.
Korrektur rechtsgrundloser Vermögensverlagerung
Abzulehnen ist es, in fragwürdiger Spurenfolge der deutschen Bereicherungsdogmatik, die von ganz anderen Voraussetzungen auszugehen hat (→ ABGB, frCode Civil und dtBGB), auch das österreichische Privatrecht mit einem komplizierten Wust bereicherungsrechtlicher Probleme zu überziehen. Verkomplizierung ist keine wissenschaftliche Leistung. Hier wurde schon großer Schaden angerichtet. Einfachheit sollte dagegen ein Rechtswert sein, den vor allem künftiges europäisches Privatrecht benötigt. Dazu kommt, dass nicht dogmatisch-juristische Selbstgefälligkeit ein künftiges österreichisches oder europäisches Privatrecht leiten sollte, sondern der Anspruch, auch in Zukunft nicht auf spürbare Gerechtigkeitsumsetzung und Verständlichkeit verzichten zu wollen.
ABGB ernst nehmen!
Kondiktionen (condictiones) sind Rückforderungsklagen / -ansprüche, die das römische Recht entwickelt hat, wenn ein Vermögenswert ohne Rechtsgrund (causa) in fremdes Vermögen gelangt ist.
Rückforderungsklagen
Diese Klagen sind auf Rückstellung des grundlos Empfangenen gerichtet, was mehr oder weniger sein kann als der beim Empfänger noch vorhandene Wert: Dennn das ABGB ordnet an, dass der redliche Empfänger (§§ 329: in Rücksicht auf die Substanz der Sache, § 330: der Nutzungen, § 331f: des Aufwandes) weniger als der unredliche (§ 335 ABGB) herauszugeben hat; vgl auch § 1437 ABGB.
Anwendung der Besitzregeln
Diese einfachen Grundgedanken des ABGB wurden im Schrifttum gedehnt und gestreckt; vgl das sog Ohla- Urteil (JBl 1969, 272 ff) und dazu F. Bydlinski, Zum Bereicherungsanspruch gegen den Unredlichen, JBl 1969, 252 ff.
Rechtssprechungsbeispiel
GlU 3065 (1868): Mann schenkte seiner Frau ante nuptias eine Stute und verlangt diese und die mittlerweile geworfenen Fohlen (2 wurden schon verkauft, 2 sind noch bei der Frau) bzw deren Wert nach Rückgängigmachung/Annulierung der Ehe heraus. – OGH: Frau muss wegen Redlichkeit nur die Stute, nicht aber die verkauften sowie die noch bei ihr befindlichen Fohlen herausgeben. Hier ist § 338 ABGB, wonach der redliche Besitzer durch die zugestellte Klage in einen unredlichen verwandelt wird, nicht anzuwenden. Und nach § 335 ABGB kommen Nutzungen und Früchte der geschenkten Sache dem Beschenkten zu Statten, er wäre denn unredlicher Besitzer.
Die nützliche Verwendung / versio in rem, die im ABGB nicht zufällig im Anschluss an die GoA behandelt wird, stellt eine Ergänzung der GoA-Regeln dar; und zwar für jenen Fall, dass eine Sache ohne Geschäftsführung(sabsicht) zum Nutzen eines anderen verwendet wird.
Nützliche Verwendung – Ergänzung der GoA-Regeln
Kondiktionen und Verwendungsansprüche haben an und für sich nichts miteinander zu tun, werden aber häufig gemeinsam behandelt. F. Gschnitzer, der dabei A. Ehrenzweig folgt, behandelt dagegen noch, durchaus konsequent, beide Rechtsinstitute getrennt. Zu den Kondiktionen merkt er an (vgl F. Gschnitzer, SchRBesT unter Rückgriff auf A. Ehrenzweig):
„Wir haben also Klagen aus grundloser Leistung vor uns und nicht Bereicherungsklagen, wie man üblicherweise sagt. Der Ton liegt nicht auf Bereicherung, sondern auf ungerechtfertigt.”
1. Zur Funktion der Kondiktionen
Wir werden Fälle behandeln, wo ein zunächst (scheinbar) gültig geschlossener Vertrag wegen eines Mangels in der Wurzel (des Titelgeschäfts) – zB eines Irrtums oder Formmangels – oder eines Mangels in der Abwicklung (zB Rücktritt des Gläubigers bei Schuldnerverzug oder Wandlung im Rahmen der Gewährleistung) wegfällt. Oft sind aber in solchen Fällen zwischen den Vertragsparteien bereits Leistungen ausgetauscht worden, die mit dem Wegfall des Vertrags (Titelgeschäfts) rechtlich buchstäblich in der Luft hängen. § 877 ABGB ordnet daher – für die Mängel in der Wurzel – an, dass derjenige, der einen Vertrag aufheben will, „auch alles zurückzustellen [hat], was er durch einen solchen Vertrag zu seinem Vorteil erhalten hat.” Und § 1435 ABGB gewährt – um allfällige Ungerechtigkeiten auszuschalten – dem jeweiligen Leistungserbringer ein Rückforderungsrecht, „wenn der rechtliche Grund [für den Vertragspartner], sie [sc die geleisteten Sachen] zu behalten, aufgehört hat.” Vgl auch § 921 ABGB, dessen zweiter Satz bestimmt, dass empfangenes Entgelt auf solche Art zurückzustellen oder zu vergüten ist, „dass kein Teil aus dem Schaden des anderen Gewinn zieht”. – In diesen Fällen liegt eine sog Leistungskondiktion (→ Die Leistungskondiktionen) wegen nachträglichen Wegfalls des Rechtsgrundes vor. Dazu gleich mehr.
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2. Eingangsbeispiel
Wenn, wie in unserem Beispiel (→ § 867 ABGB: Vertragsschlüsse mit der öffentlichen Hand – Zur Geschäftsfähigkeit von Gemeinden: SZ 61/241), ein Vertragspartner „leer ausgehen” würde – hier die Baufirma, weil sich der Vertrag, auf den er sich stützen könnte, nachträglich als ungültig herausstellt, gewährt das Gesetz „Hilfe” durch unser Rechtsinstitut. Denn es wäre „ungerechtfertigt”, dass die Gemeinde ihren Kanal gratis bekommt, nur weil ihr Vertragspartner keine Kenntnis von der in der Slbg GemeindeO vorgesehenen Formvorschrift für Verträge mit Gemeinden besaß und ihn die Gemeinde auch nicht darauf hingewiesen hat. – Auf diesen Fall wendet der OGH freilich den Verwendungsanspruch des § 1042 ABGB an (→ Verwendungsansprüche) und beseitigt dadurch die drohende Ungerechtigkeit gegenüber dem Bauunternehmer. – Vgl aber auch die folgenden Beispiele.
Zur problematischen Anwendung des § 1042 ABGB in SZ 61/241 vgl auch → Verwendungsansprüche
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1994/135: Drittschadensliquidation des Lohnfortzahlungsschadens eines Arbeitgebers bei Verletzung seines Arbeitnehmers durch einen Dritten → Drittschadensliquidation des Arbeitgebers bei einem Lohnfortzahlungsschaden Zu den Drittschäden → KAPITEL 9: Drittschäden.
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II. Begriffe / Terminologie
Man spricht einerseits:
• vom Bereicherten, dem Kondiktionsschuldner und andrerseits
• vom Entreicherten oder Verkürzten, dem Kondiktions­gläubiger.
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III. Verschulden? – Verjährung
Kondiktionsansprüche setzen – anders als Schadenersatzansprüche – weder Verschulden (des Bereicherten), noch einen Schaden voraus; vgl SZ 58/104 (1985) oder 68/116 (1995).
Kondiktionsansprüche verjähren zudem grundsätzlich erst in 30 Jahren. Handelt es sich allerdings um (Bereicherungs)Ansprüche aus sog „zweckverfehlender Arbeitsleistung” iSd § 1152 ABGB (→ Zweckverfehlende Arbeitsleistungen – Hausbau von Lebensgefährten: SZ 53/20) wendet die Rspr darauf die 3-jährige Verjährungsfrist des § 1486 Z 5 ABGB an.
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IV. Die Kondiktionstypen des ABGB
Das ABGB kennt Leistungskondiktionen und Ausgleichsansprüche; neben den §§ 1431–1437 ABGB (Zahlung einer Nichtschuld), insbesondere noch die §§ 1041 ff ABGB (Verwendung einer Sache zum Nutzen eines andern): sog Verwendungsansprüche, die das römische Recht versio in rem nannte. Daher auch die Bezeichnung Versionsklage.
Zu unterscheiden sind danach zwei Typen von Ausgleichsansprüchen:
• einerseits die (Leistungs)Kondiktionen der §§ 1431 ff ABGB und
• andrerseits die Verwendungsansprüche: §§ 1041, 1042 ABGB.
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V. Die Leistungskondiktionen
Sie gehen tatbestandsmäßig von einer Leistung – iS einer gewollten und bewussten (Vermögens)Zuwendung – des idF Verkürzten an den dadurch ungerechtfertigt Bereicherten aus → Leistungskondiktionen – Überblick: Überblick. – Die zu einer ungewollten Vermögensverschiebung führende Leistung des Verkürzten kann idF kondiziert, dh – unter bestimmten vom Gesetz umschriebenen Voraussetzungen – zurückgefordert werden; vgl die oben angeführte E GlU 3065: Schenkung einer Stute. Die §§ 1431 ff ABGB formulieren die Voraussetzungen unter denen dies möglich ist.
Zu dem in § 1431 ABGB angesprochenen Rechtsirrtum → Tatsachen- und Rechtsirrtum
Bei den Leistungskondiktionen und überhaupt im Bereicherungsrecht geht es – und das ist wichtig zu verstehen – nicht darum, rechtsgeschäftliche Erklärungen oder vertragliche Vereinbarungen zu modifizieren oder zu korrigieren, wenn diese unvorteilhaft oder gar ungerecht erscheinen. Ein zwischen den Parteien bestehender Vertrag stellt vielmehr grundsätzlich – wie wir schon wissen – einen gültigen Rechtsgrund dar, der nicht ohne weiteres aus den Angeln gehoben werden kann. Er bleibt auch dann gültig, wenn er unvorteilhaft für einen Vertragsteil ist, solange nicht bestimmte Anfechtungsgründe greifen – sei es Drohung oder List, Irrtum oder Wucher (als Mängel in der Wurzel) oder ein Rücktritt beim Schuldnerverzug oder eine Wandlung bei einem Gewährleistungsmangel, welche ebenfalls die vertraglichen Grundlagen (rückwirkend) beseitigen. Mehr zur Subsidiarität unseres Rechtsinstituts → Subsidiarität der Kondiktionen
Leistungskondiktionen korrigieren nicht vertragliche Vereinbarungen
Zum Unterschied zwischen dinglicher und schuldrechtlicher Rückwirkung und Rückabwicklung → Dingliche oder obligatorische Rückwirkung?
Das Bereicherungsrecht „greift” also erst dann ein, wenn der ursprünglich bestehende Rechtsgrund – im Regelfall ein Vertrag – weggefallen ist oder überhaupt ein solcher nie wirklich bestanden hat oder entstanden ist; vgl § 1431 ABGB: Irrtümliche Zahlung einer Nichtschuld. – Nur dann kann die von einem Vertragsteil erbrachte Leistung kondiziert, dh als ungerechtfertigte Vermögenszuwendung / Bereicherung zurückgefordert werden. Und zwar grundsätzlich in Natur, also zB das geleistete Auto, und nur bei Unmöglichkeit der Naturalrestitution als Wertausgleich.
Grundsätzlich ist „in Natur“ zurückzustellen
Vgl damit den Grundgedanken des § 1323 ABGB (→ KAPITEL 9: Was heißt Naturalrestitution?), der eine idente Anordnung für das Schadenersatzrecht trifft.
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VI. Verwendungsansprüche
Anders als die Leistungskondiktionen gewähren die Verwendungsansprüche der §§ 1041 ff ABGB dann einen Ausgleich, wenn die ungerechtfertigte Vermögensverschiebung oder -zuwendung nicht durch eine bewusste oder gewollte Leistung des Verkürzten, sondern auf andere Weise bewirkt wurde, und zwar durch:
• (schlichte) Verwendung einer Sache zum Nutzen eines andern (§ 1041 ABGB, sog Verwendungsklage) oder
• dass jemand einen Aufwand getätigt hat, den eigentlich ein anderer hätte machen müssen; § 1042 ABGB.
Ein Verwendungsanspruch setzt demnach voraus, dass ein Nichtberechtigter Vorteile aus der Verwendung einer Sache gezogen hat, die ihm rechtlich nicht zustehen; vgl EvBl 2003/180.
Einen sondergesetzlich geregelter Fall des § 1042 ABGB stellt das UnterhaltsvorschussG 1985 dar, das der Gewährung von Vorschüssen auf den gesetzlichen Unterhalt minderjähriger Kinder dient → KAPITEL 16: Das elterliche Sorgerecht ¿ ¿Obsorge¿.
Als Rechtsfolge statuiert das Gesetz bei Verwendungsansprüchen:
Rechtsfolge
• die Herausgabe der (ohne Rechtsgrund) verwendeten Sache; § 1041, 1. HalbS ABGB oder
• wenn eine Herausgabe nicht (mehr) möglich ist, kann Wert- oder Aufwandersatz verlangt werden; § 1041, 2. HalbS ABGB und § 1042 ABGB. – Wertersatz für einen unzulässigen Gebrauch wird durch ein Benützungsentgelt geleistet.
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1999, 458: Verwendungsanspruch wegen rechtsgrundloser (Sonder)Nutzung von öffentlichem Grund – hier: Straßenflächen der Stadt Linz – im Rahmen eines Bauvorhabens. Wie dieser Fall zeigt, kann ein Benützungsentgelt auch neben der ersten Alternative (Herausgabe der Sache) verlangt werden.
Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Leistungskondiktionen (, die von einer gewollten/bewussten Vermögenszuwendung des Verkürzten ausgehen) und Verwendungsansprüchen, die den „Rest” erfassen sollen, wird von der Praxis oft so verschliffen, dass ein Unterschied kaum mehr feststellbar ist.
Leistungskondiktionen versus Verwendungsansprüche
So geschehen im Eingangsbeispiel (SZ 61/241), wo die Leistung der Baufirma zunächst durchaus als gewollte und bewusste Zuwendung (im Rahmen einer vermeintlichen Vertragserfüllung) erfolgt ist und der OGH dennoch § 1042 ABGB anwendet, weil § 1432 ABGB einen Kondiktionsausschluss für formungültige Schulden statuiert. Korrekter wäre es (gewesen), §1432 zu korrigieren, dh teleologisch zu reduzieren!
Beispiel
Beispiel
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 24/59 (1951): Erhaltungspflicht einer Brücke über einen Fluss trifft mehrere. Der Kläger begehrt von der Beklagten den Ersatz des von ihm getätigten Aufwands.
OGH 28. 5. 2002, 4 Ob 114/02x, EvBl 2002/180: Hauseigentümer will umbauen und stützt Haus mit einem Gerüst ab, damit es im Zuge der Umbauarbeiten durch das Entfernen tragender Teile nicht einstürzt. IdF kommt es zur Zwangsversteigerung des Hauses. Zwei Jahre später verlangt der ehemalige Eigentümer 71.000 S aus § 1041 ABGB, da die Ersteigerer das Gerüst zum eigenen Vorteil verwendet hätten. Tatsächlich aber hatten diese das Haus bereits abgerissen (und anschließend das Gerüst zurückgestellt), was auf Grund der Rücksichtnahme auf das Gerüst mit höheren Kosten war. – OGH: Ein Verwendungsanspruch steht nur dann zu, wenn und soweit ein Nichtberechtigter Vorteile aus der Sache gezogen hat. Fehlt auch bei objektiver Betrachtung ein Vorteil des Benützers der Sache, steht dem Eigentümer der Sache unabhängig davon, ob die Sache redlich oder unredlich verwendet wurde, kein Verwendungsanspruch zu.
OGH 29. 1. 2002, 4 Ob 266/01y, EvBl 2002/118: Ein Hersteller von Fertigteilhäusern verwendet das Foto eines Schwimmbades ohne Erlaubnis des Eigentümers für einen seiner Kataloge (als Lückenfüller auf der Rückseite), wofür der Eigentümer 20.000 S aus § 1041 ABGB (Verwendungsanspruch) verlangt. – OGH: Wird das Foto eines Schwimmbades für Werbezwecke verwendet, so hat der Eigentümer des Schwimmbads keinen Verwendungsanspruch, wenn er nicht beweist, dass und aus welchen Gründen die Abbildung gerade seines Schwimmbades werbewirksam war; eine allgemein positive Wirkung reiche nicht aus.
OGH 10. 7. 2001, 4 Ob 66/01m, EvBl 2002/3: Das Theater in der Josefstadt führt das Stück „1000 Clowns” auf. Verschiedene Verlage behaupten, sie seien die richtigen Gläubiger für die Tantiemenzahlungen. Die Theaterbetreiberin zahlt an einen der Verlage anstatt die Aufführungstantiemen gerichtlich zu hinterlegen. Der leer ausgegangene Verlag klagt idF den anderen. – OGH erklärt § 1041 ABGB – aufgrund des weiten Verständnisses von „Sache” im ABGB – als taugliche Anspruchsgrundlage.
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VII. Subsidiarität der Kondiktionen
Die Kondiktionen (condictiones) entstammen dem römischen Recht, dem sie das ABGB nachgebildet hat. – Gerichtet sind sie noch heute auf Rückforderung oder Rückstellung des (rechts)grundlos Geleisteten oder Empfangenen; vgl § 877 oder § 921 Satz 2 ABGB: Diese Bestimmungen regeln Rückstellungspflichten im Rahmen der vertraglichen Rückabwicklung (nach Wegfall des Titelgeschäfts).
Zur Anwendung gelangen die Kondiktionen aber nur subsidiär, nämlich dann, wenn das angestrebte Ziel nicht schon auf andere Weise erreicht werden kann. Deshalb wurde eingangs von Auffangtatbeständen gesprochen. – Dh: Speziellere (Rechts)Vorschriften gehen vor; zB die Verzugs- oder Gewährleistungsregeln, aber auch Anfechtungsgründe wegen Mängeln in der Wurzel, und – vor allem – Schadenersatzansprüche wie § 1299 ABGB.
Speziellere (Rechts)Vorschriften gehen vor
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 20. 1. 2000, 6 Ob 304/99w, JBl 2000, 590: Keine Rückforderung des Honorars für eine sinnlose Stuerbereatung allein aus Bereicherungsrecht. Auf Grund des geschlossenen Vertrags besteht Subsidiarität der §§ 1431ff ABGB gegenüber Gewährleistung sowie Schadenersatz wegen Schlechterfüllung; hier § 1299 ABGB: Rspr-Änderung.
Gesetz (§ 1432 ABGB) und Rspr verweigern Kondiktionsansprüche aber auch dann, wenn speziellere Ansprüche, die ursprünglich zustanden, idF verjährt sind. Da Bereicherungsansprüche nach hA erst nach 30/40 Jahren verjähren, würden ansonsten der kurzen Verjährungszeit unterliegende Ansprüche durch die Hintertüre der Kondiktionen doch wieder einklagbar, was das Rechtsinstitut der Verjährung funktional unterlaufen würde.
Verjährte Ansprüche können nicht kondiziert werden
§ 1432 ABGB statuiert für verjährte und formungültige Schulden einen Kondiktionsausschluss; vgl dazu den Sachverhalt von SZ 61/241 → § 867 ABGB: Vertragsschlüsse mit der öffentlichen Hand – Zur Geschäftsfähigkeit von Gemeinden und oben → Auffangtatbestände – Im Bereich formungültiger Schulden anerkennt § 1432 ABGB aber das Prinzip der Heilung (sanatio) durch Erfüllung → KAPITEL 15: Die Heilung von Formmängeln: § 1432 ABGB. Nicht gedeckt werden dadurch aber durch Drohung oder Gewalt erzwungene Leistungen → §§ 870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung: RZ 1983/71, S. 175.
Subsidiarität eines (privatrechtlichen) Kondiktions-Rückforderungsanspruchs besteht auch insoferne, als ein sozial-, also öffentlichrechtlicher Anspruch nicht wahlweise durch eine Bereicherungsklage erfolgen kann.
Rechtssprechungsbeispiel
In SZ 71/11 (1998) wollte ein Sozialhilfeträger von ihm zu Unrecht erbrachte Leistungen vom Zahlungsempfänger zurückfordern, hatte es aber unterlassen, wie in § 72 BSVG ausdrücklich vorgesehen, einen Rückforderungsbescheid gegen den Zahlungsempfänger zu erlassen. – OGH: Die Klägerin „konnte diese klare Rechtslage nicht dadurch umgehen, dass sie anstelle der Erlassung eines Rückforderungsbescheides eine auf Bereicherung gestützte Klage einbrachte. Diese Klage wurde von den Vorinstanzen zutreffend wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen.”
Die Kondiktionsregeln des ABGB werden analog auf öffentlichrechtliche Sachverhalte angewandt.
Anwendung im öffentlichen Recht
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VIII. Umfang der Rückforderung
Der Umfang der Rückforderung richtet sich danach, ob der (Leistungs)Empfänger redlich oder unredlich war. – Faustregel: Der redliche Leistungsempfänger, der von der Rechtsgrundlosigkeit der erlangten Leistung weder etwas weiß, noch dies wissen musste, hat weniger, der unredliche mehr herauszugeben als die Bereicherung; vgl §§ 330, 335 (Besitz) und § 1437 ABGB. Die Besitzregeln haben also – wie bereits ausgeführt – Bedeutung für die Kondiktionen! Vgl oben → Auffangtatbestände: GlU 3065: Schenkung einer Stute.
Beispiel
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IX. Bereicherungsrecht im ABGB?
1. Kausale und abstrakte Natur der Tradition
Das ABGB besitzt nämlich, wie das römische Recht, genau genommen – anders als das dtBGB: §§ 812 ff – kein systematisches Bereicherungsrecht, sondern nur einzelne Rückforderungsklagen (Kondiktionen), die noch dazu über das ganze Gesetzbuch unsystematisch verstreut sind; vgl §§ 877, 921 Satz 2, 1041 ff, 1174, 1431 ff ABGB. Dieses Fehlen eines systematischen Bereicherungsrechts ist aber insoferne verständlich und sogar entbehrlich, weil das ABGB vom römischen Recht auch die Lehre von Titel und Modus übernommen hat und daher nach österreichischem Privatrecht grundsätzlich alle Rechtsgeschäfte kausal, dh rechtsgrundabhängig sind; sog kausale Natur der Tradition. Gültige Rechtsübertragung setzt daher – wie wir wissen – nach österreichischem Privatrecht einen gültigen Titel und (!) einen gültigen Modus voraus, während bspw nach deutschem Recht schon ein gültiger Modus für die Eigentumsübertragung hinreicht; sog abstrakte Natur der Tradition. Fehlt nach ABGB ein gültiger Titel oder stellt sich das Titelgeschäft – wie in unserem Eingangsbeispiel (SZ 61/241) – wegen Formmangels nachträglich als ungültig heraus, kommt überhaupt kein gültiger dinglicher Rechtsübergang zustande. Mittlerweile allenfalls übertragene Leistungen können dann, da der Erwerber entgegen dem äußeren Anschein nicht Eigentümer geworden ist, vom Veräußerer sogar mit der Eigentumsklage (§ 366 ABGB) zurückverlangt werden; vgl auch § 877 ABGB.
Warum hat das ABGB kein systematisches Bereicherungsrecht ausgebildet?
Mitunter „greift” aber – wie in unserem Beispiel – die Eigentumsklage nicht, denn die Rohre sind mit ihrer Verlegung in den Boden ins Eigentum der Gemeinde übergegangen und es wäre auch unwirtschaftlich sie wieder herauszureissen. Dann muss ein kondiktionsrechtlicher Ausgleich geschaffen werden. – Das dtBGB lässt dagegen trotz nichtigen Titel- oder Grundgeschäfts Eigentum (gültig!) übergehen und braucht daher als Korrektiv und Ausgleich für diese Fälle den Bereicherungsanspruch; denn es ist bereits zu einer rechtlich gültigen (!) Vermögensverschiebung gekommen. Eine Rechtsänderung wurde – trotz des zB nichtigen Grundgeschäfts – bereits bewirkt. Das ABGB kann sich dagegen mit einer Rückstellungsanordnung – eben einer Kondiktion – wie in § 877 ABGB begnügen.
Sich wieder verstärkt an dieser österreichischen Grundintention zu orientieren, erschiene ein Gebot der Stunde. Denn niemand kann einem europäischen Privatrecht die deutsche Bereicherungsdogmatik (auch nur in ihren österreichischen Versionen) wünschen.
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2. ABGB, frCode Civil und dtBGB
In Bezug auf die Ausgestaltung der Lehre von Titel und Modus unterscheiden sich also – wie wir schon wissen – ABGB (1811), dtBGB (1900) und der frCC (1804) grundlegend. – Der frCC lässt (bei Fahrnis) Eigentum bereits grundsätzlich mit dem gültigen Titelgeschäft (Schuldvertrag) übergehen; begeht also nach ABGB gleichsam einen Anfängerfehler. – Das dtBGBvertritt nicht wie das ABGB die sog kausale Natur der Tradition, sondern löst den Modus völlig von der causa; abstrakte Natur der Tradition / Übergabe. Das ABGB dagegen hält – wie Gschnitzer sagt – „die rechte Mitte zwischen frCC und dtBGB.” Vgl → KAPITEL 2: Kausale und abstrakte Rechtsgeschäfte.
ABGB, frCC, dtBGB
Von den drei angeführten gesetzlichen Lösungen besitzt die des ABGB wohl den größten Gerechtigkeitsgehalt, ohne dabei unpraktisch, weltfremd oder inkonsequent zu sein und empfiehlt sich daher für eine künftige „europäische” Lösung. Am wenigsten überzeugt die Lösung des dtBGB. – Zu erinnern ist auch daran, dass rechtliche Lösungen der „Mitte” seit den alten Griechen (Solon, Platon, Aristoteles) als gute Lösungen anzusehen sind, zumal es nie Aufgabe des Rechts war, Extreme zu fördern. Das gilt auch für ein europäisches Privatrecht.
Gerechtigkeitsgehalt
Es ist aber in Österreich üblich, diese grundlegenden Unterschiede zum dtBGB zu übergehen.
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X. Leistungskondiktionen – Überblick
• § 877 ABGB (ähnlich schon das römische Recht): condictio sine causa = Rückforderungsansprüche wegen Fehlens eines / Ungültigkeit des Rechtsgrunds; zB wegen Form- oder Willensmangels.
• § 1174 ABGB (ähnlich römisches Recht): condictio ob turpem vel injustam causam = sog verwerflicher Empfang.
Literaturquelle
• § 1174 ABGB statuiert Ausnahmen vom Grundsatz des § 877 ABGB. Nicht zurückgefordert werden können danach Leistungen:
die „jemand wissentlich zur Bewirkung einer unmöglichen oder unerlaubten Handlung gegeben hat”; § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB.
Sowie ein „zum Zweck eines verbotenen Spieles gegebenes Darlehen”; § 1174 Abs 2 ABGB.
Das Gesetz will aber nur solchen Leistungen die Rückforderbarkeit versagen, die zur Begehung einer unerlaubten Handlung (zB Mordlohn; oder im Römischen Recht: quod meretrici datur, also das, was der Dirne gegeben wurde), nicht aber solchen, die in Erfüllung eines nichtigen Vertrags erbracht wurden; SZ 23/159 (1950). Erpresstes Lösegeld kann daher zurückgefordert werden, nicht dagegen der bezahlte Verlust im verbotenen Spiel; SZ 19/184 (1937). Zurückgefordert werden kann nach der Rspr das gegebene Schweigegeld bei Offenbarwerden eines Geheimnisses (GlU 10.161: 1884), nicht aber die der außerehelichen Geliebten geschenkten Geldbeträge; so GlU 7526 (1879). – Nicht rückforderbar wäre auch das von einer politischen Partei zB einem Polizeibeamten ausbezahlte Entgelt von monatlich 10.000 S, damit dieser aus dem Polizeicomputer für diese Partei interessante Daten illegal entnimmt.
Zur sog verbotenen Ablöse im Mietrecht nach § 27 MRG → KAPITEL 6: Anwendungsbereich des MRG.
§§ 1431–1434 sowie 1436 f ABGB(ähnlich römisches Recht): condictio indebiti = irrtümliche Zahlung einer Nichtschuld. – Typisches Beispiel: Fehlüberweisung einer Bank; zB SchwFr statt ı. – Die §§ 1431 ff ABGB spielen von allen Kondiktionen des ABGB die praktisch grösste Rolle.
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1999/96: Anwendung des § 1431 ABGB auf den Rückforderungsanspruch aus einer zu Unrecht abgerufenen Bankgarantie → KAPITEL 15: Garantievertrag und Bankgarantie. Ein Werkunternehmer hatte an Stelle eines sog Haftungsrücklasses eine Bankgarantie zur Verfügung gestellt, die vom Werkbesteller zu Unrecht abgerufen wurde.
OGH 18. 1. 2000, 4 Ob 348/99a, SZ 73/10 = EvBl 2000/120: Zur Absicherung der bedingten Forderung aus einem Kooperationsvertrag zwischen A u B bestellt B eine Bankgarantie. A zediert den Zahlungsanspruch aus dieser Bankgarantie an seine Hausbank zur Absicherung eines Kredites. Diese ruft die Garantiesumme ab, obwohl die Bedingung aus dem Kooperationsvertrag nicht eingetreten ist. Kurz darauf geht A in Konkurs. B will daher gegen A’s Hausbank als Zessionar bereicherungsrechtlich vorgehen. – OGH: Die besondere Vertrauenssituation bei abstrakten Garantien verlangt, dass trotz erfolgter Abtretung des Zahlungsanspruchs der Bereicherungsanspruch des Garantieauftraggebers weiterhin nur gegen den ursprünglich Begünstigten (A als Vertragspartner des Grundgeschäftes und Zedent) besteht. (?)
Beispiele zu § 1435 ABGB: – §§ 947–953 ABGB (Schenkungswiderruf);
• Eine Sondervorschrift enthält § 1421 ABGB, wenn ein beschränkt oder voll Geschäfts(un)fähiger eine Schuld zahlt, die entweder noch nicht fällig oder überhaupt „ungewiss” ist; Satz 2 gibt dem gesetzlichen Vertreter das Recht, „das Bezahlte zurückzufordern.” – Vgl auch § 1434 ABGB. Zu § 1421 ABGB auch → KAPITEL 7: ¿Von wem¿ ist zu leisten? ¿ §§ 1421 ff ABGB.
• § 1435 ABGB (ein römisches Recht): condictio causa finita = (nachträglicher) Wegfall des ursprünglich vorhandenen Rechtsgrundes und (ein römisches Recht): condictio causa data causa non secuta = Nichteintritt des erwarteten Erfolgs.
Rechtssprechungsbeispiel
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 42/94 (1969): Brautleuten steht ein Anspruch zu, wenn sie im Hinblick auf eine beabsichtigte und dann unterbliebene Eheschließung Aufwendungen für ihren/e Partner/in gemacht haben. – § 46 ABGB gewährt zusätzlich Schadenersatzansprüche und § 1247 Satz 2 ABGB gewährt ein besonderes Schenkungswiderrufsrecht.
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XI. Sondergesetzliche Ansprüche
Nicht nur das ABGB kennt Rückforderungstatbestände, Kondiktionen oder Verwendungsansprüche, sondern auch andere Gesetze wie:
• §§ 13a und b GehaltsG; sog Übergenuss.
• § 9 EFZG: Rückforderung zu Unrecht geleisteter Erstattungsbeträge – Der Krankenversicherungsträger kann zu Unrecht geleistete Erstattungsbeträge vom Arbeitgeber zurückfordern. Das Recht auf Rückforderung verjährt binnen 2 Jahren nach dem Zeitpunkt, in dem dem Krankenversicherungsträger bekannt geworden ist, dass der Erstattungsbetrag zu Unrecht geleistet worden ist.
• § 86 UrhG (ein Verwendungsanspruch): zB Verlag produziert ohne Zustimmung einer Musikergruppe deren Lieder auf CD / MC.
Literaturquelle
• Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden mehrere Rückstellungsgesetze erlassen, um während der Zeit des Nationalsozialismus zu unrecht entzogene Leistungen (vornehmlich jüdisches Vermögen) zurückfordern zu können.
Als redlicher Erwerber einer entzogenen Sache (iSd Rückstellungsgesetze) war nur derjenige anzusehen, der von der im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus erzwungenen Veräußerung des Vermögens entschuldbarerweise keine Kenntnis gehabt hat, nicht dagegen derjenige, der vermuten musste, dass sich ihr Eigentümer nicht freiwillig, sondern nur im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Machtübernahme entäußern musste;
vgl die bei Heller / Rauscher aaO abgedruckten Entscheidungsnummern 151, 153 und 169 der Obersten Rückstellungskommission.
• § 27 Abs 1 Z 1 iVm Abs 3 MRG statuiert einen gesetzlichen Rückstellungsanspruch verbotener Ablösen. Derartige Ansprüche können nach Abs 3 leg cit innerhalb von 10 Jahren zurückgefordert werden und sind erleichtert nach § 37 Abs 1 Z 14 MRG im Außerstreitverfahren geltend zu machen.
• Einen richterlichen Bereicherungsausgleich gewährt der OGH nunmehr zB dann, wenn ein Arbeitgeber dadurch einen Schaden erleidet, dass einer seiner Arbeitnehmer bei einem Verkehrsunfall verletzt wird und idF nicht arbeiten kann, der Arbeitgeber aber aufgrund gesetzlicher Vorschriften (zB § 8 AngG, oder § 1154 b ABGB oder § 2 EFZG) zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist, wodurch der Schaden auf ihn (als mittelbar Geschädigten) überwälzt wird; Drittschadensliquidation. Näheres → Drittschadensliquidation des Arbeitgebers bei einem Lohnfortzahlungsschaden: EvBl 1994/135.
• Zu Bereicherungsansprüchen im Konkurs (§§ 44, 46 Abs 1 Z 6 KO) mangels möglicher Ersatzaussonderung; vgl EvBl 2000/103.
• Zur „Bereicherung im öffentlichen Recht”, F. Kerschner (1983).
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XII. Entstehung von Schuldverhältnissen
Schuldverhältnisse entstehen nach § 859 ABGB entweder:
§ 859 ABGB
• aus Vertrag = vertragliche Schuldverhältnisse oder
• unmittelbar aus dem Gesetz = gesetzliche Schuldverhältnisse.
Zu den vertraglichen Schuldverhältnissen gehören die Verträge. – Zu den gesetzlichen Schuldverhältnissen des Privatrechts – die deswegen so heißen, weil sie nicht auf Rechtsgeschäften und den diese konstituierenden Willenserklärungen beruhen, sondern unmittelbar auf Gesetz – zählen:
Vertragliche und gesetzliche Schuldverhältnisse
• Konsensual- und Realverträge
Verträge
• Veräußerungsverträge (Kauf, Tausch, Schenkung),
• Gebrauchsüberlassungsverträge: Miete und Pacht (sog Bestandverträge), Leihe und Darlehen;
• die Dienstleistungsverträge (Dienst- oder Arbeitsvertrag, Werkvertrag, freier Dienstvertrag, Verwahrung, Auftrag / Bevollmächtigungsvertrag);
• Gesellschaftsverträge (§§ 1175 ff ABGB: Gesellschaft bürgerlichen Rechts; die hr Personengesellschaften: OHG, KG; die eingetragenen Erwerbsgesellschaften: OEG, KEG; die Kapitalgesellschaften: AG und GmbH; die Genossenschaften);
• Sicherungsverträge (Bürgschaft, Pfandbestellungsvertrag, Garantievertrag etc);
• Glücksverträge (Leibrentenvertrag, Versicherungsverträge);
• eine Reihe weiterer Vertragstypen: wie Zession, Anweisung sowie die atypischen und die Mischverträge.
• das Recht des Schadenersatzes;
gesetzliche Schuldverhältnisse
• die ungerechtfertigte Bereicherung;
• die Geschäftsführung ohne Auftrag;
• die Gläubigeranfechtung und
• die cic.
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XIII. Entscheidungsbeispiele
Allein die beiden wiedergegebenen OGH-Urteile zeigen, dass der Bereicherungsausgleich häufig schwierige Fragen betrifft.
1. Drittschadensliquidation des Arbeitgebers bei einem Lohnfortzahlungsschaden
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1994/135 (gekürzt)
§ 1295 ABGB (§§ 1042, 1358 ABGB; § 8 AngG; § 67 VersVG) – Ersatzansprüche des Dienstgebers gegen den Schädiger seines Dienstnehmers – Drittschadensliquidation des Lohnfortzahlungsschadens eines Arbeitgebers bei Verletzung seines Arbeitnehmers durch einen Dritten.
Vorauszuschicken ist, dass der OGH solche Schäden bis zu diesem Urteil als Drittschäden (→ KAPITEL 9: Drittschäden) nicht entschädigt hat. Das Urteil stellt demnach ein Judikaturwende um 180 Grad dar! – Bereicherungsrechtlich greift der OGH hier auf § 1042 ABGB (Verwendungszusage) zurück. Kläger = Arbeitgeber des Verletzten Arbeitnehmers Erstbeklagter = Schädiger / Lenker und Halter des Unfallfahrzeuges (Lkw) Zweitbeklagter = Haftpflichtversicherer des Unfall-Lkw
Leitsatz: Wird ein Dienstnehmer bei einem Verkehrsunfall [durch einen dritten Schädiger] verletzt und ist der Dienstgeber seinem Dienstnehmer deswegen gesetzlich zur Lohnfortzahlung verpflichtet, dann wird der Schaden auf den Dienstgeber überwälzt; der Schädiger hat den auf den Dienstgeber überwälzten Schaden des Dienstnehmers zu ersetzen. Bei der Überleitung des Anspruchs des Dienstnehmers auf den Dienstgeber sind § 1358 ABGB und § 67 VersVG analog anzuwenden. (Eine rechtsgeschäftliche Abtretung des Schadenersatzanspruchs durch den Dienstgeber ist also nicht erforderlich.) Der Dienstgeber hat auch Anspruch auf Ersatz der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung.
Sachverhalt: Der Kläger brachte vor, dass Josef Z seit 1.1.1988 bei ihm als Angestellter mit einem Gehalt von monatlich 28.000 S brutto beschäftigt sei. Am 23.5.1989 habe der Erstbeklagte mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Lkw Josef Z als Fußgänger verletzt. Der Erstbeklagte sei alkoholisiert und nicht im Besitz einer Lenkerberechtigung gewesen; er sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Gemäß § 8 AngG [Gesetzestext am Ende der Entscheidung] sei der Kläger verpflichtet gewesen, Josef Z während seiner durch den Unfall verursachten Dienstunfähigkeit [den Lohn] einschließlich der Dienstgeberbeiträge (Lohnnebenkosten) bis August 1989, insgesamt 121.340,83 S zu zahlen. Gemäß § 1325 ABGB habe der Schädiger im Fall der Körperverletzung dem Verletzten den entgangenen Verdienst zu ersetzen. Infolge des § 8 AngG habe Josef Z selbst keinen Verdienstentgang erlitten. Der Schaden, der ohne diese Vorschrift bei ihm eingetreten wäre, sei wirtschaftlich auf den Kläger verlagert worden. Der Kläger begehrt von den Beklagten 121.340,83 S sA. Er sei zur Geltendmachung des auf ihn verlagerten Schadens aktiv legitimiert; überdies habe ihm Josef Z alle Forderungen aus dem Verdienstentgang abgetreten. – Die Beklagten wendeten ein, dass Josef Z an dem Unfall ein mindestens gleichteiliges Mitverschulden [§ 1304 ABGB] treffe, weil er durch Stehenbleiben während des Überquerens der Fahrbahn den Unfall hätte vermeiden können. Der vom Kläger geltend gemachte Schaden sei ein nicht ersatzfähiger Drittschaden → KAPITEL 9: Drittschäden. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Beweisaufnahme ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der OGH gab der außerordentlichen Revision des Klägers Folge und hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf.
§ 8 AngG: (1) Ist ein Ang[estellter] nach Antritt des Dienstverhältnisses durch Krankheit oder Unglücksfall an der Leistung seiner Dienste verhindert, ohne dass er die Verhinderung vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat, so behält er seinen Anspruch auf das Entgelt bis zur Dauer von 6 Wochen. Beruht die Dienstverhinderung jedoch auf einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit iSd Vorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung, so verlängert sich die Frist von 6 Wochen um die Dauer dieser Dienstverhinderung, höchstens jedoch um 2 Wochen. Der Anspruch auf das Entgelt beträgt, wenn das Dienstverhältnis 5 Jahre gedauert hat, jedenfalls 8 Wochen; es erhöht sich auf die Dauer von 10 Wochen, wenn es 15 Jahre, und auf 12 Wochen, wenn es 25 Jahre ununterbrochen gedauert hat. Durch je weitere 4 Wochen behält der Ang den Anspruch auf das halbe Entgelt.
§ 67 VersVG: (1) Steht dem Versicherungsnehmer ein Schadenersatzanspruch gegen einen Dritten zu, so geht der Anspruch auf den Versicherer über, soweit dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt. Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geltend gemacht werden. Gibt der Versicherungsnehmer seinen Anspruch gegen den Dritten oder ein zur Sicherung des Anspruches dienendes Recht auf, so wird der Versicherer von seiner Ersatzpflicht insoweit frei, als er aus dem Anspruch oder dem Recht hätte Ersatz erlangen können.
(2) Richtet sich der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen einen mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen, so ist der Übergang ausgeschlossen; der Anspruch geht jedoch über, wenn der Angehörige den Schaden vorsätzlich verursacht hat.
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2. Zweckverfehlende Arbeitsleistungen – Hausbau von Lebensgefährten
Zum Bereicherungsausgleich zwischen Lebensgefährten nach Auflösung der Lebensgemeinschaft: § 1435 ABGB.
Literaturquelle
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 53/20: Hausbau von Lebensgefährten. Kläger = Ehemaliger Lebensgefährte; Beklagter = Ehemalige Lebensgefährtin. Außerhalb einer Erwerbsgesellschaft umfasst der Kondiktionsanspruch eines früheren Lebensgefährten für Geld- und Arbeitsleistungen nur die Rückerstattung der Geldleistung und angemessenes Entgelt für die Arbeit, nicht aber einen Anteil an der Werterhöhung des gemeinsam errichteten Hauses. – OGH 31. Jänner 1980, 7 Ob 802/79 (OLG Ibk, 2 R 279/79; LG Ibk 13 Cg 3/79). Mit seiner Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 1,994.867 Mio S samt Anhang. Von 1963 bis Jänner 1977 sei er der Lebensgefährte der Beklagten gewesen. Die Auflösung der Lebensgemeinschaft sei deshalb erfolgt, weil die Beklagte einen anderen Mann kennengelernt und schließlich geheiratet habe. Im Jahre 1972 hätten die Streitteile mit dem Bau eines Hauses auf einem der Beklagten gehörigen Grundstück begonnen. An die Professionisten und für Baumaterialien habe der Beklagte aus eigenen Mitteln 733.865,70 S gezahlt. Für die Planungsarbeiten (Verfassung der Baupläne und Erwirkung der Baubewilligung) stehe dem Kläger ein Architektenhonorar von 357.176 S und für persönliche Arbeitsleistungen beim Hausbau ein Lohnanspruch von 320.000 S zu. An der Errichtung des Hauses K, U-Weg Nr 47, das einen Wert von 4,500.000 Mio S repräsentiere, seien die Streitteile in finanzieller Hinsicht und in bezug auf ihre persönlichen Arbeitsleistungen je zur Hälfte beteiligt gewesen. Dem Kläger stehe daher gegen die Beklagte ein Bereicherungsanspruch in der Höhe des Wertes des halben Hauses zu. Die Beklagte beantragt Klagsabweisung und behauptet, dass es bereits im Jänner 1976 zur Auflösung der Lebensgemeinschaft gekommen sei, weil der Kläger Beziehungen zu einer anderen Frau aufgenommen habe. Sie habe erst im Oktober 1976 ihren jetzigen Gatten kennengelernt und im Jahre 1977 geheiratet. Der Kläger habe von der Beklagten niemals den Auftrag erhalten, für sie als Architekt tätig zu werden. Seine Leistungen habe der Kläger im Rahmen der Lebensgemeinschaft erbracht. Die Streitteile seien sich auch einig darüber gewesen, dass eine Honorierung des Klägers für seine Leistungen nicht zu erfolgen habe. Am Hausbau habe sich der Kläger weder finanziell noch durch persönliche Arbeitsleistungen zur Hälfte beteiligt. Schließlich habe er bei der Auflösung der Lebensgemeinschaft auf eine Entschädigung für alle seine Leistungen im Zusammenhang mit dem Hausbau verzichtet. Der Kläger habe daher gegen die Beklagte keinen Bereicherungsanspruch. Der Beklagten stehe hingegen aus ihren für den Kläger erbrachten Leistungen eine Gegenforderung von 555.940 S zu, die von ihr aufrechnungsweise geltend gemacht werden.
Derartige Ansprüche aus sog „zweckverfehlenden Arbeitsleistungen”, die inhaltlich nach § 1152 ABGB zu beurteilen sind, verjähren gemäß § 1486 Z 5 ABGB in 3 Jahren → KAPITEL 13: Sog Forderungen des täglichen Lebens.
Rechtssprechungsbeispiel
Vgl auch JBl 1991, 588: Wurde zwischen Lebensgefährten bei gemeinschaftlicher Bebauung eines Grundstücks zwar keine ausdrückliche Abrede über den Rechtsgrund der Zuwendungen getroffen, aber doch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Leistungen im Hinblick auf den bestimmten, dem Leistungsempfänger erkennbaren Zweck des zukünftigen gemeinsamen Wohnens erbracht werden, so begründet die Zweckverfehlung der Leistungen im Fall der Aufhebung der Lebensgemeinschaft grundsätzlich einen Bereicherungsanspruch nach § 1435 ABGB. Nur bei treuwidriger Leistungsvereitelung wird die Rückforderung ausgeschlossen. Der Treuebruch des Partners einer Lebensgemeinschaft ist wegen der rechtlichen Unverbindlichkeit des Verhältnisses kein rechtserheblicher Verstoß gegen Treu und Glauben.
SZ 24/170 (1951): Teilnichtigkeit eines verbotene und unerlaubte Leistungen enthaltenden Vertrags – Vgl die Ausführungen im Rahmen der Nichtigkeit → Wie wirkt Nichtigkeit? Die Herausgabe der Bereicherung kann auch mit Klage nach § 368 EO (sog Interessenklage) verlangt werden.
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