Normen
Stichworte
Inhaltsverzeichnis
SCHNELL GENAU UMFASSEND
Kapitel 4
Wir haben in Kapitel 1 die Rechtsordnung kennen gelernt und gehört, dass sie mit einem Synonym auch als Recht im objektiven Sinn bezeichnet wird, wovon es das Recht im subjektiven Sinn zu unterscheiden gilt. Dieses Recht im subjektiven Sinn besteht aus der Summe jener rechtlichen (Einzel)Befugnisse, die konkret einzelnen Rechtssubjekten zustehen. Die Rechtsordnung besteht nämlich nicht um ihrer selbst Willen, sondern ist für die Menschen, die Rechtssubjekte, gemacht. Sie sollen sich ihrer bedienen, um ihre gesellschaftlichen – dh persönlichen, wirtschaftlichen, kulturellen etc – Zwecke zu verfolgen.
Überblick
In der Folge werden zuerst das Rechtssubjekt, die natürliche Person und dabei insbesondere die Begriffe der Rechts- und Handlungsfähigkeit besprochen (A.), die auch für die juristische Person (B.), die im Anschluss behandelt wird, von Bedeutung sind. Abschließend werden die Persönlichkeitsrechte (C.) dargestellt und Pkt D. gewährt Einblick in Stand und Entwicklung der „Rechtlich beachtlichen Zustände und Eigenschaften des Menschen”.
Hier wird auch das rechtliche Entstehen des Individuums, des gesellschaftlich autonomen Einzelmenschen, angesprochen, das sich – nach früher Entwicklung im antiken Griechenland: Beginn mit Solon 594/3 v. C. – erst im späten 18. Jhd endgültig von seinen vielfältigen gesellschaftlichen Beschränkungen und politischen Gängelungen zu befreien beginnt. Diese rechtliche und politische Emanzipation des Einzelnen und sein Herauslösen aus Familie und Geschlechtsverband ermöglichte, auf staatlich-politischer Ebene, ein direktes und unvermitteltes Inbeziehungtreten von Einzelnem und dem sich in seiner modernen Ausprägung erst entwickelndem Staat: Es entsteht erstmals in Europa der rechtlich unwiderruflich freie und politisch bereits weithin, privatrechtlich bereits vollkommen gleiche Staats-Bürger, der wiederum Voraussetzung für das Entstehen der Demokratie ist. – Die privatrechtliche Entwicklung zum freien und gleichen Rechtssubjekt ermöglicht demnach erst das Entstehen einer demokratischen Entwicklung.
A. Die natürliche Person
Wichtig für das Verständnis der hier behandelten Fragen erscheint am Beginn der Ausführungen zur natürlichen Person R. Hübners (Grundzüge des Deutschen Privatrechts, 19305) Einsicht, wonach die „heutige einfache und übersichtliche Gliederung des Personenrechts, die darauf beruht, dass jeder Mensch als Rechtssubjekt anerkannt wird, ... erst der neueren Kulturentwicklung” angehört. – Die Entwicklung war schwierig und bis zuletzt politisch umkämpft. Hübner führt aus (aaO 50):
Von ständischer Schichtung zur Gleichberechtigung aller Rechtssubjekte
„Die heutige einfache und übersichtliche Gliederung des Personenrechts, die darauf beruht, dass jeder Mensch als Rechtssubjekt anerkannt wird, gehört erst der neueren Kulturentwicklung an. Auch das deutsche Recht hat in seinen Anfängen die Menschen keineswegs als rechtlich gleichwertige Wesen behandelt. Manchen Klassen versagte es überhaupt jeden rechtlichen Wert, anderen legte es nur einen geminderten bei. Erst allmählich wurde dieser Standpunkt … überwunden. Damit fielen Gegensätze und Unterscheidungen, die einst für das Volksleben tiefgreifende Bedeutung besessen hatten. Vor allem die ständische Schichtung, die der mittelalterlichen Welt ihr Gepräge verlieh, und gegen die auch die Lehre des Christentums von der sittlichen Gleichheit der Menschen nicht aufzukommen vermochte, wenngleich tiefer blickende Geister wie Eike von Repgow die rechtliche Gleichheit aller Menschen als religiös-sittliche Forderung anerkannten …. Erst das Naturrecht führte diese Anschauung zum endgültigen Sieg. Unter der Herrschaft seiner Ideen wurde die Hörigkeit aufgehoben, die feudale Ständegliederung beseitigt, die Gleichberechtigung der Bekenntnisse durchgesetzt.”
Die Entwicklungsgeschichte des § 16 ABGB – der (privat)rechtlichen Keimzelle eines modernen, bereits menschen- und grundrechtlich orientierten Verständnisses der Rechtsperson – verlief wie ein Krimi.
Literaturquelle
I. Die Rechtsfähigkeit
1. Wer ist rechtsfähig?
Unter Rechtsfähigkeit wird die Fähigkeit verstanden, Träger von Rechten und Pflichten zu sein.


Rechtsfähigkeit
Abbildung 4.1:
Rechtsfähigkeit
Die Rechtsordnung verleiht heute wie früher dem Menschen seine Rechtsfähigkeit. Der Mensch, die natürliche Person – uzw jeder (!) Mensch – ist heute aber geborenes Rechtssubjekt; dh er ist automatisch mit seiner Geburt (ohne Unterschied, ob gesund oder krank, arm oder reich) Rechtssubjekt und damit Träger von Rechten und Pflichten; § 16 ABGB. – Neben dem Menschen, der natürlichen (Rechts)Person, ist aber auch die juristische Person Rechtssubjekt; gleichsam ein (von der Rechtsordnung) gekorenes. Auch die juristische Person ist Trägerin eigener Rechte und Pflichten. Wir werden davon handeln. Diese Rechtssubjekte – natürliche wie juristische Personen – sind ua Träger konkreter Rechte, eben subjektiver (Privat)Rechte; zB ist Frau X oder die A-GmbH Eigentümerin einer Liegenschaft oder Herr Y Erbe (nach dem Tod seines Vaters). – Subjektive Rechte richten sich (inhaltlich) gegen andere Rechtssubjekte oder betreffen unmittelbar Rechtsobjekte / Sachen.
Unterscheidung: Rechtssubjekt und Rechtsobjekt
Literaturquelle


Rechtssubjekte und Rechtsobjekte: Sachen
Abbildung 4.2:
Rechtssubjekte und Rechtsobjekte: Sachen
• Rechtssubjekt ist zu aller erst der Mensch (als natürliche Person), aber auch die juristische Person (als rechtliches Kunstgebilde der Rechtsordnung).
• Rechtsobjekte sind die Sachen iwS des § 285 ABGB.
Die Bedeutung der Unterscheidung liegt darin, dass die Rechtsordnung Rechtssubjekte mit Rechtsfähigkeit ausstattet, nicht dagegen Rechtsobjekte. Rechtsobjekte sind nur (passive) Bezugspunkte von Rechten und Pflichten, die Rechtssubjekten zustehen, nicht aber Träger eigener subjektiver Rechte und Pflichten.
Bedeutung der Unterscheidung
Die starre Grenzziehung des § 285 ABGB zwischen Person und Sache, wurde durch § 285a ABGB etwas gemildert. Die Stringenz dieser begrifflichen Trennung besitzt nämlich – wie wir heute klarer sehen – auch Nachteile.
Grenzziehung des § 285 ABGB
Darüber hinaus existieren eine Reihe weiterer Übergänge zwischen Rechtssubjekt und Rechtsobjekt: Der menschliche Leichnam (→ KAPITEL 8: Zur Abgrenzung Person <-> Sache) wird heute zutreffend rechtlich als Sache verstanden, wenn auch als solche, der mit besonderer Pietät zu begegnen ist. Leichenteile können daher für Transplantationszwecke verwendet werden; vgl auch → KAPITEL 18: Weltbild, Menschenbild und Menschenwürde ¿ Zur Rolle der Medizin in modernen Gesellschaften. Aber auch die Lebendspende von Körperteilen wird, obwohl gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, für zulässig erachtet werden. Die gespendete Niere wird mit ihrer Explantation (transitorisch) zur Sache und erst mit Implantation erneut Teil eines menschlichen Körpers.
Übergänge zwischen Rechtssubjekt und Rechtsobjekt
Literaturquelle
nach oben
2. Zur natürlichen und juristischen Person
Die Rechtsordnung richtet sich mit ihren Ge- und Verboten an den Menschen. Der Mensch ist der natürliche Adressat des Rechts. Er ist primäres Rechtssubjekt. – Seine Stellung im Recht erlangt der Mensch aber – wie erwähnt – durch die (jeweilige) Rechtsordnung, die aber heute inhaltlich bereits vielfach gebunden ist; innerstaatlich wie durch supra- und internationale Normen; zB EMRK, künftige EU-Verfassung. Die Rechtspersönlichkeit / Rechtsfähigkeit / Rechtssubjektivität wird aber (unter Wahrung kultureller Standards, deren Verletzung das Widerstandsrecht auslöst) grundsätzlich von der Rechtsordnung verliehen, was heute insbesondere für juristische Personen von Bedeutung ist. – Im Privatrecht stellen die §§ 16 ff ABGB klar, dass jeder Mensch Rechtspersönlichkeit / Rechtsfähigkeit besitzt, also Rechtssubjekt ist. In Deutschland schützt Art 1 BonnGG 1949 die Menschenwürde. – Das Verleihen der Rechtsfähigkeit durch die Rechtsordnung steht demnach heute nicht mehr im Belieben des Staates. Das war aber nicht immer so. Die Geschichte lehrt uns, dass historische Rechtsordnungen die Rechtsfähigkeit in sehr unterschiedlichem Maße gewährt haben; es gab Sklaverei, Hörigkeit, Halbfreie usw. Vgl auch → Die Antike
§ 16 ABGB, Art 1 BonnGG
Zur Sklaverei und ständischen Gliederungen: Vgl auch Kaser, Römisches Privatrecht § 13 (198313) sowie Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts § 13 (19305). – Zur Ehrenrettung der Griechen muss erwähnt werden, dass namhafte Denker bereits damals anders dachten und der aufklärerische Ansatz zu Gleichheit und Rechtssubjektivität für alles Menschliche aus der attischen Aufklärung stammt. Es brauchte aber mehr als 2000 Jahre, um diese Ideen zu verwirklichen. Platon etwa diskutierte (uH auf Homer, Odysse 17, 322 f) in den „Nomoi” (776b-778a) die Sklaverei kritisch. Eine besonders schöne Stelle findet sich dort 777d. Und im „Ion” des Euripides lesen wir: „Denn was den Sklaven Schande bringt, ist einzig der Name. Sonst in allem ist der Sklave mit wackerm Sinn nicht schlechter als der Freie”.
In Bezug auf die Rechtsfähigkeit enthält das ABGB (von 1811) – Dank K.A.v. Martini – gegenüber dem ALR von 1794 (→ KAPITEL 1: Die drei großen Kodifikationen) bereits eine deutliche Weiterentwicklung, indem es in § 16 bereits jedem Menschen die gleiche Rechtsfähigkeit zuerkennt, während das ALR (I 1 § 1) noch von einer ständisch abgestuften Rechtsfähigkeit ausgeht:
ABGB und ALR
„Der Mensch wird, insofern er gewisse Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft genießt, eine Person genannt.”
Während heute jeder Mensch zeitlebens volle Rechtsfähigkeit besitzt, bestehen im Bereich der juristischen Personen Abstufungen. Es gibt dort nicht nur die Voll- Rechtsfähigkeit, sondern auch eine Teil- Rechtsfähigkeit; und zwar sowohl im Privatrecht, wie im öffentlichen Recht.
Voll- und Teilrechtsfähigkeit
Vgl einerseits § 26 ABGB (grundsätzliche Gleichstellung juristischer mit natürlichen Personen) und andrerseits früher zB § 3 UOG 1993: Teilrechtsfähigkeit von Universitäten, Fakultäten, Instituten und Kliniken etc, die aber nunmehr in eine Vollrechtsfähigkeit umgewandelt wurde.
Die Rechtsfähigkeit betrifft sowohl die privatrechtliche Stellung von Rechtssubjekten in der Rechtsordnung – zB ihre allgemeine Geschäfts-, Testier- oder Ehefähigkeit, als auch deren öffentlichrechtliche Position; zB Wahlrecht, Steuerpflicht, Staatsbürgerschaft.
RF betrifft privat-, und öffentlichrechtliche Stellung
Zu erinnern ist an die Unterscheidung in privat- und öffentlichrechtlich-subjektive Rechte → KAPITEL 1: Recht im objektiven und subjektiven Sinn.
Neben dem Menschen, der natürlichen Person, gibt es also Rechtsgebilde, die ebenfalls Rechtssubjektivität / Rechtsfähigkeit besitzen: die juristischen Personen, als rechtlich gebündelte, wirtschaftliche oder kulturelle Interessenträger. Durch ihre rechtliche Institutionalisierung wird ihnen Dauer und Bestandskraft verliehen; zB einem Verein. – Freilich können rechtliche Kunstgebilde wie es juristische Personen nun einmal sind, nicht selbst für sich handeln. Sie benötigen Organe → Die juristische Person handelt durch Organe Aber auch natürliche Personen sind nicht von Geburt an selbst handlungsfähig; dazu gleich mehr.
Rechtssubjekt und HF
Person kommt etymologisch aus dem griechischen Kulturkreis; Ethik des Panaitios, der wiederum auf platonische Vorbilder zurückgriff: aus „prósopon” wurde lateinisch „persona” / personare, durchtönen; persona heißt nämlich auch (Schauspiel)Maske (!), ist also das, was aus dem Inneren des Menschen durchtönt, durch die äußere Hülle des Menschen nach Außen dringt, die äußere Fassade / Haut, das Gesicht des Menschen „passiert”. – Das moderne Verständnis der menschlichen Person ist allerdings umfassender. Eine andere, ältere Wurzel des modernen Personsbegriffs ist das griechische Wort átomos: der Einzelne, Unteilbare, dessen lateinische Übersetzung zum in-dividuum wurde.
á-tomos (in-dividuum) und persona
Literaturquelle
§ 26 ABGBstellt natürliche und juristische Personen grundsätzlich gleich; dh: das Eigentum an einer Liegenschaft kann Herrn oder Frau Müller, aber auch einem Verein, einer GmbH oder der öffentlichen Hand (Bund, Land, Gemeinde) zustehen. Trotz dieser fortschrittlichen grundsätzlichen Gleichstellung juristischer mit natürlichen Personen werden wir sehen, dass die dadurch eröffneten Möglichkeiten rechtlich noch nicht ausgeschöpft wurden. Mehr zur juristischen Person → Die juristische Person
Gleichstellung juristischer mit natürlichen Personen
nach oben
3. Beginn und Ende der natürlichen Person
Das Rechtssubjekt Mensch beginnt mit der vollendeten Geburt und endet mit dem Tode, wobei der Eintritt des Todes – dessen Kriterien bislang gesetzlich nicht geregelt sind – heute Probleme bereitet; früher Herz-Kreislauf-Tod heute Hirntod.


Beginn und Ende der natürlichen Person
Abbildung 4.3:
Beginn und Ende der natürlichen Person


Der Lebensbeginn – Geburt
Abbildung 4.4:
Der Lebensbeginn – Geburt
Lebendgeburt wird aber nach § 23 ABGB vermutet; praesumtio iuris / einfache Rechtsvermutung.
Lebendgeburt


Was ist eine Rechtsvermutung?
Abbildung 4.5:
Was ist eine Rechtsvermutung?
Das Personenstandsrecht dokumentiert staatlich die existentiellen und zugleich rechtlich bedeutsamen Stationen des menschlichen Lebens: Geburt, Heirat und Tod → KAPITEL 17: Das Personenstandsrecht.
Personenstandsrecht
Vom bürgerlichen war der sog Klostertod zu unterscheiden. Er besagte, dass im Mittelalter Personen, die in einen Nonnen- oder Mönchsorden eintraten, mit der Ablegung der feierlichen Gelübde „von der Welt für Tod erachtet” wurden; Glosse zum Sachsenspiegel. Der Eintritt ins Kloster beseitigte insbesondere die Vermögensfähigkeit der Person; zB Verlust der Testierfähigkeit mit der Folge, dass das Vermögen eines Religiosen seinen Blutsverwandten zufiel. Künftiger Vermögenserwerb war ausgeschlossen; auch nicht durch das Kloster. Anders das kanonische Recht, das die Vermögensfähigkeit auf das Kloster übergehen ließ. – Während das ALR (II 11 §§ 1199 f) den Klostertod noch kannte und das dtBGB (Art 87 EG zum BGB) Erwerbsbeschränkungen der toten Hand übernahm, kennt das ABGB und seine Vorstufen weder den bürgerlichen, noch den Klostertod; vgl Zeiller, Gibt es nach den österreichischen Gesetzen einen bürgerlichen Tod?, in: Wagners Zeitschrift 2 (1826) 161 ff. Unser öffentliches Recht kennt aber noch die Möglichkeit der rechtlichen Beschränkung der sog „toten Hand”; vgl Art 6 Abs 2 StGG 1867: „Für die tote Hand [d.i. die Kirche] sind Beschränkungen des Rechtes, Liegenschaften zu erwerben und über sie zu verfügen, im Wege des Gesetzes aus Gründen des öffentlichen Wohles zulässig.” – Bedeutung besitzt das aber nicht mehr.
Bürgerlicher und Klostertod
Der frCC von 1804 kannte noch das Rechtsinstitut des bürgerlichen Todes (la mort civile; Art 22 f), das aber mit Gesetz von 1854 abgeschafft wurde. Danach wurde ein (noch lebender) Mensch rechtlich so behandelt, als wäre er schon gestorben. Er verlor dadurch seine Eigenschaft als (Rechts)Person. Gründe dafür waren zB eine lebenslange strafrechtliche Verurteilung (sog Kapitalstrafe) oder – seit der Französischen Revolution – auch Emigration. Der bürgerliche Tod zog auch den Vermögensverfall nach sich (Verlust des Eigentums) und eine bestehende Ehe galt als gelöst. Eine solche Person durfte weder Vormund noch Zeuge sein etc. Kurz: Die Rechtsfähigkeit wurde diesen Personen aberkannt. – Das germanische Recht kannte als Parallele dazu Friedlosigkeit und Acht, das antike griechische Atimie (Ehrlosigkeit) und Asebie (Gottlosigkeit), das römische Recht die capitis deminutio (maxima) und die infamia sowie das Kirchenrecht Bann und Exkommunikation. Auch das englische Recht kannte lange den civil death (R. Hübner). – Allgemein zur Bedeutung der Ehrminderung → Besonders geschützte Werte, Zustände und Eigenschaften
nach oben
4. Nasciturus: ABGB und StGB
Das ABGB lässt die Rechtspersönlichkeit des Menschen nicht schlagartig mit der Geburt beginnen, sondern kennt – dem ALR und dem römisch-gemeinen Recht folgend – gewisse Vor-Wirkungen:
Vor-Wirkungen der RF
Nach den §§ 22, 23 ABGB besitz schon die Leibesfrucht / nasciturus besitzt in gewisser Hinsicht Rechtspersönlichkeit. Sie kann aber nur Rechte erwerben, nicht dagegen mit Pflichten belastet werden. Man kann also nicht schon mit Schulden auf die Welt kommen.
Leibesfrucht
Relevant ist § 22 ABGB bspw für die Erbfolge. Zugunsten des beim Tod des Erblassers bereits gezeugten Kindes kann zB testiert werden. – Auch künftige Unterhaltsansprüche Ungeborener und allfällige (eigene) Ersatzansprüche wegen Tötung des/r Unterhaltspflichtigen (zB § 1327 ABGB) oder auch Verletzung der Leibesfrucht stehen zu (§ 1325 ABGB); zB wenn eine Verletzung oder Ansteckung während der Schwangerschaft erfolgte.
Bedeutung
§ 22 ABGB: „Selbst ungeborene Kinder haben von dem Zeitpunkte ihrer Empfängnis an einen Anspruch auf den Schutz der Gesetze. Insoweit es um ihre und nicht um die Rechte eines Dritten zu tun ist, werden sie als Geborene angesehen; ein totgeborenes Kind aber wird in Rücksicht auf die ihm für den Lebensfall vorbehaltenen Rechte so betrachtet, als wäre es nie empfangen worden.”


Lebensschutz: Leibesfrucht
Abbildung 4.6:
Lebensschutz: Leibesfrucht


Einschränkungen des § 22 ABGB
Abbildung 4.7:
Einschränkungen des § 22 ABGB
In diesem Zusammenhang sind auch die §§ 96, 97 StGB zu beachten: Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs. – Wir sehen daraus, dass schon der Beginn der menschlichen Existenz in einem rechtlichen Spannungsverhältnis steht. Nach hA ist die Abtreibung innerhalb der ersten 3 Monate, wenn sie von einem Arzt vorgenommen wird, nicht rechtswidrig; für manche bedeutet die Regelung des Strafrechts aber nur Straffreiheit.
Schwangerschaftsabbruch
(1) Die Tat ist nach § 96 nicht strafbar,
§ 97 Abs Z 1 StGB
1. wenn der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft nach vorhergehender ärztlicher Beratung von einem Arzt vorgenommen wird; oder
2. wenn der Schwangerschaftsabbruch zur Abwendung einer nicht anders abwendbaren ernsten Gefahr für das Leben oder eines schweren Schadens für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren erforderlich ist oder eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde, oder die Schwangere zur Zeit der Schwängerung unmündig gewesen ist und in allen diesen Fällen der Abbruch von einem Arzt vorgenommen wird; oder ...
(2) Kein Arzt ist verpflichtet, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder an ihm mitzuwirken, es sei denn, dass der Abbruch ohne Aufschub notwendig ist, um die Schwangere aus einer unmittelbar drohenden, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr zu retten. Dies gilt auch für die im Krankenpflegefachdienst, in medizinisch-technischen Diensten oder in Sanitätshilfsdienst tätigen Personen.
(3) Niemand darf wegen der Durchführung eines straflosen Schwangerschaftsabbruchs oder der Mitwirkung daran oder wegen der Weigerung, einen solchen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder daran mitzuwirken, in welcher Art immer benachteiligt werden.
Anonyme Geburt
nach oben
5. Tod und Todeserklärung
Der Tod bedeutet das Ende der Rechtsperson Mensch. Er wird grundsätzlich durch eine Amtsperson (Amtsarzt) – zB den Gemeindearzt – festgestellt, die darüber eine öffentliche Urkunde ausstellt: Totenschein.
Der Leichnam wird heute überwiegend als Sache betrachtet, aber er ist keine Sache wie alle anderen. Vielmehr ist dem Leichnam mit besonderer Pietät zu begegnen; vgl § 190 StGB: Schutz der Totenruhe. Dazu auch → KAPITEL 18: Weltbild, Menschenbild und Menschenwürde ¿ Zur Rolle der Medizin in modernen Gesellschaften. – Zu beachten ist ferner, dass Privatrechte – so, wie sie schon vor der Geburt beginnen können (§ 22 ABGB) – auch über den Tod hinaus reichen. Das gilt insbesondere für das Erbrecht (Nachlass), aber auch für die postmortalen Persönlichkeitsrechte (zB Ehre → Die Persönlichkeitsrechte), das Urheberrecht (70 Jahre) oder den Patentschutz (PatG).
Rechtsstellung des Leichnams
Ist die übliche Feststellung des Todes nicht möglich, kommt es zur Todeserklärung. Rechtsgrundlage ist das TodeserklärungsG 1950. Regelungen kannten aber schon das ABGB von 1811 und das Westgalizische Gesetzbuch (WGGB) von 1797. – Anlass für die Todeserklärung ist Verschollenheit, was meint: lange, nachrichtenlose Abwesenheit. Man unterscheidet Kriegs-, See-, Luft- und eine allgemeine Gefahrenverschollenheit: Hochwasser, Erdbeben, Feuer usw.
TodeserklärungsG 1950
Als Vorbild für spätere Regelungen wirkte das ius postliminii des römischen Rechts: Geriet ein Römer in Kriegsgefangenschaft, wurde er idR zum Sklaven. Seine Rechtsstellung während der Kriegsgefangenschaft war durch einen Schwebezustand gekennzeichnet: Gelang es dem Gefangenen, seine Freiheit wieder zu gewinnen, wurde er so behandelt, als hätte er seine Rechte behalten; starb er, galten seine Rechte schon mit der Gefangennahme als erloschen. – Nach der fictio legis Corneliae (~ 80 v. C.) blieb das vor Gefangennahme errichtete Testament in Kraft, eine Annahme, die später vom Prätor auf die Intestaterbfolge erstreckt wurde; mehr bei M. Kaser, Römisches Privatrecht § 15 II 2 (198313).
Zunächst wird im Außerstreitverfahren ein Abwesenheitskurator bestellt. Der Todeserklärungsbeschluss des Gerichts begründet die widerlegbare (Rechts)Vermutung des Todes; § 19 TEG. § 10 TEG führt aus, dass bis zu diesem Zeitpunkt eine Lebensvermutung gilt. Zur Rechtsvermutung → KAPITEL 3: Redlicher Besitz. Als rechtliche Folge des Todeserklärungsbeschlusses gelten:
Wirkung
• die Erbfolge als eingetreten,
höchstpersönliche Rechte als erloschen, und
• eine bestehende Ehe als aufgelöst.
Das EheG enthält in den §§ 43, 44 eine originelle Lösung für den Fall, dass der für tot erklärte Gatte doch noch lebt und zurückkommt; zB nach einem Krieg. Der mittlerweile wieder verheiratete Teil kann zwischen den folgenden Möglichkeiten wählen: Entweder die zweite Ehe weiterzuführen oder zum ersten Gatten zurückkehren.
Eine Besonderheit enthält § 11 TEG: Sog Kommorientenpräsumtion. – Kommen mehrere Personen in gemeinsamer Gefahr (zB Unfälle, Katastrophen, aber auch Selbstmord) um, gelten sie als gleichzeitig verstorben. Diese Personen kommen daher für eine gegenseitige Erbfolge nicht in Betracht.
Kommorientenpräsumtion


Das Lebensende – Tod
Abbildung 4.8:
Das Lebensende – Tod


Todeserklärung: TEG 1950
Abbildung 4.9:
Todeserklärung: TEG 1950
nach oben
II. Die Handlungsfähigkeit
Handlungsfähigkeit ist die Fähigkeit, Rechte und Pflichten durch eigenes (!) Handeln zu erwerben. Sie besteht aus:
• der Geschäftsfähigkeit und
• der Deliktsfähigkeit → Die zivilrechtliche Deliktsfähigkeit
Rechtsfähigkeit bedeutet nämlich nicht, dass eine Person schon allein rechtsgültig handeln kann. Das setzt vielmehr Handlungsfähigkeit voraus.
Minderjährige (§ 21 ABGB) bedürfen daher, wollen sie sich verpflichten, grundsätzlich der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters und juristische Personen handeln rechtswirksam (überhaupt) nur durch ihre Organe. Aber auch volljährige Personen schließen gültige Rechtsgeschäfte nur dann, wenn sie bei deren Abschluss handlungs- und daher geschäftsfähig waren, was nicht immer der Fall ist; zB Alkohol, Drogen, Krankheiten, Alter / Demenz können das ausschliessen → Die Sachwalterschaft Die Geschäftsfähigkeit fehlt etwa auch volljährigen Personen, für die ein Sachwalter (→ Die Sachwalterschaft) bestellt wurde. Aber auch Personen für die kein Sachwalter bestellt wurde, müssen beim Geschäftsabschluss geschäftsfähig gewesen sein, sonst ist das Geschäft ungültig. § 869 ABGB verlangt wahre Einwilligung → KAPITEL 5: Allgemeine Voraussetzungen gültiger Vertragsschlüsse. Das Risiko der Ungültigkeit des Geschäfts (wegen fehlender Geschäftsfähigkeit) trägt demnach – wie bei Minderjährigen – grundsätzlich der Vertragspartner des Geschäftsunfähigen. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Vertragspartner die Geschäftsunfähigkeit kannte oder kennen musste, sondern nur auf die Tatsache, ob die betreffende Person geschäftsfähig war oder nicht. Das stellt für diesen Personenkreis einen starken Schutz dar, der unserem Privatrecht durch Martini zugeführt worden war. Nicht zu unrecht wurde daher gesagt, dass der soziale Gehalt des ABGB, durch den es sich vom dtBGB unterscheidet, sein Werk war. – All das mag zunächst befremdend und fast geheimnisvoll klingen, aber wir werden diese Fragen noch eingehender besprechen. Behauptet aber jemand, dass er beim Geschäftsabschluss nicht geschäftsfähig war, muss er das allerdings beweisen, was Schwierigkeiten bereiten kann.
Fehlende HF macht Rechtsakte ungültig
Eine Frau ist manisch-depressiv, steht aber (noch) nicht unter Sachwalterschaft → Die Sachwalterschaft In einer manischen Phase kauft sie teuren Schmuck, Kleider und Möbel im Gesamtwert von mehr als 30.000 Euro ein, obwohl sie diese Sachen nicht braucht. – Kann sie (etwa durch ein psychiatrisches Gutachten, noch besser durch Gerichtsbeschluss) beweisen, dass sie zur Zeit der Vertragsschlüsse nicht geschäftsfähig war, sind die geschlossenen Verträge ungültig und „rückabzuwickeln”. Das von einer geschäftsunfähigen Person geschlossene Geschäft ist absolut nichtig → KAPITEL 5: Wie wirkt Nichtigkeit?. – In der Praxis wird, in Unkenntnis der Rechtslage oder aus Scham, oft anders verfahren. Der Rechtsschutz Geschäftsunfähiger wäre zu effektuieren.
1. Allgemeines zur Geschäftsfähigkeit – Altersstufen
Geschäftsfähigkeit ist die Fähigkeit, sich selbst durch eigenes (!) rechtsgeschäftliches Handeln zu berechtigen oder zu verpflichten.
Mit ihren altersbedingten Beschränkungen der Handlungsfähigkeit (und insbesondere der GF) will die Rechtsordnung nicht bevormunden, sondern schützen; dies um Nachteile vom betroffenen Personenkreis möglichst abzuwenden. – § 21 Abs 1 ABGB drückt dies aus, wenn es dort heißt:
Was bezweckt das Gesetz mit den Altersstufen?
„Minderjährige ... stehen unter dem besonderen Schutz der Gesetze.”


Geschäftsfähigkeit: § 21 ABGB
Abbildung 4.10:
Geschäftsfähigkeit: § 21 ABGB


Geschäftsfähigkeit: § 151 ABGB
Abbildung 4.11:
Geschäftsfähigkeit: § 151 ABGB
Von den Betroffenen wird dies oft anders empfunden. Das Gesetz will aber mit seinen schützenden Anordnungen mangelnde Reife, fehlende geschäftliche Erfahrung, Unbedachtheit und Leichtsinn ausgleichen. – Dies auf verschiedene Weise, dh mit unterschiedlicher Rechtsfolgeanordnung:
Unterschiedliche Rechtsfolgeanordnung
• Entweder, dass überhaupt kein Vertrag zustande kommt und damit idR auch keine Rechtsfolgen und insbesondere Verpflichtungen für Minderjährige eintreten. – Dies ist die normale Rechtsfolge, wenn sich Minderjährige alleinverpflichten wollen. Ein sie verpflichtendes Geschäft bedarf eben grundsätzlich wenigstens der nachträglichen Genehmigung des gesetzlichen Vertreters; § 151 Abs 2 ABGB iVm § 865 ABGB.
• Oder, es entstehen nur in unproblematischem Umfang und in einem eng überschaubaren Bereich Rechtsfolgen, dh Verpflichtungen für Minderjährige; so etwa nach § 151 Abs 3 ABGB.
• Oder – das galt bisher – schließlich dadurch, dass die nicht volljährige Person zwar nicht ganz ungeschoren, aber noch mit einem „blauen Auge” davonkommt: § 866 ABGB. Dh, dass der unter Täuschung des Vertragspartners geschlossene Vertrag zwar nicht zugehalten, also erfüllt werden muss, weil er – mangels voller Geschäftsfähigkeit – nicht gültig zustande gekommen ist, wohl aber für den sog Vertrauensschaden einzustehen ist → § 866 ABGB aF: Vortäuschung der Volljährigkeit Diese Bestimmung wurde leider durch das KindRÄG 2001 aufgehoben.
Die Rechtsordnung unterscheidet vier charakteristische Altersstufen und schreibt ihnen im Rahmen der Handlungsfähigkeit in unterschiedlichem Umfang die Fähigkeit zu, Rechtsgeschäfte abschließen zu können (= Geschäftsfähigkeit) und für eigenes Handeln verantwortlich zu sein (= Deliktsfähigkeit). – Geschäftsfähig ist also – bei der Rechtsfähigkeit ist das anders – nicht jede Person.
Vier Altersstufen
Als Minderjährige bezeichnet das Gesetz Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Diese Altersgruppe steht „unter dem besonderen Schutz der Gesetze”; § 21 ABGB. – Die gesetzlichen Regeln der Geschäftsfähigkeit sind unsystematisch über das ABGB verstreut. Die wichtigsten, auf die in der Folge eingegangen wird, finden sich in den §§ 21, 151, 152, 153, 154 und 865 (866) ABGB.
Minderjährige
Das Strafrecht (insbesondere das JGG 1988) kennt als weitere Altersgruppe: Jugendliche → Die zivilrechtliche Deliktsfähigkeit : Deliktsfähigkeit. – Auch das BWG 1993 kennt diese (Alters)Kategorie.
JGG und BWG kennen „Jugendliche”
Unmündige Personen werden strafrechtlich sogar besonders geschützt; vgl etwa: § 195 StGB – Entziehung eines Minderjährigen aus der Macht des Erziehungsberechtigten; § 196 StGB – Vereitelung behördlich angeordneter Erziehungsmaßnahmen; § 197 StGB – Verlassen eines Unmündigen.
Rechtssprechungsbeispiel
Vgl auch EvBl 1999/101: Einem Unmündigen fehlt es an der nötigen Reife, die ... Tragweite eines Selbsttötungsentschlusses zu erfassen und sein Verhalten dieser Einsicht gemäß auszurichten. Mangels eines dem Unmündigen zurechenbaren Sterbewillens ist daher eine ihm bei der Selbsttötung geleistete Hilfe nicht als Mitwirkung am Selbstmord (§ 78 StGB), sondern als Mord (§ 75 StGB) zu beurteilen.
Die Geschäftsfähigkeit erscheint (in den einzelnen Bereichen der Rechtsordnung) in unterschiedlichen rechtlich-begrifflichen Ausformungen/Etikettierungen: Erbfähigkeit (zB § 538 ABGB), Testierfähigkeit (§ 569 ABGB), Prozessfähigkeit (§ 1 ff ZPO), Wechselfähigkeit, Ehefähigkeit (§ 1 EheG), Strafmündigkeit sind besondere Erscheinungsformen der hier behandelten allgemeinen Geschäftsfähigkeit.
Ausformungen der allgemeinen GF
Die Geschäftsfähigkeit war in der Rechtsgeschichte sehr unterschiedlich ausgestaltet; so war noch im Mittelalter die Erb- und Lehensfähigkeit typisch von der körperlichen Verfassung abhängig: Zwerge, Verkrüppelte, Blinde oder Aussätzige waren in ihrer Geschäftsfähigkeit eingeschränkt, während dies heute keinen Einfluss mehr hat. Auch die Geschäftsfähigkeit von Frauen war lange beschränkt; vgl etwa Sachsenspiegel, Landrecht 4 und die Feststellung R. Hübners → Die natürliche Person
Rechtsgeschichte


Geschäftsfähigkeit: Altersstufen
Abbildung 4.12:
Geschäftsfähigkeit: Altersstufen


Geschäftsfähigkeit von Kindern
Abbildung 4.13:
Geschäftsfähigkeit von Kindern


Geschäftsfähigkeit unmündiger Minderjähriger
Abbildung 4.14:
Geschäftsfähigkeit unmündiger Minderjähriger


Geschäftsfähigkeit mündiger Minderjähriger
Abbildung 4.15:
Geschäftsfähigkeit mündiger Minderjähriger
nach oben
2. Die Geschäftsfähigkeit im einzelnen: Altersstufen
Aus der Schritt für Schritt erfolgenden Erweiterung der Geschäftsfähigkeit Minderjähriger lässt sich die Intention des Gesetzgebers herauslesen, junge Menschen mit zunehmendem Alter an die volle rechtliche Verantwortlichkeit heranzuführen und bis dorthin effizient zu schützen.
Kinder sind grundsätzlich vollkommen geschäftsunfähig und können sich allein weder berechtigen noch verpflichten. Sie können (selbst) nicht einmal Schenkungen annehmen. – Rechtsgeschäfte dieser Personengruppe sind ungültig; und zwar absolut nichtig: §§ 21 Abs 1, 151 Abs 1, 865 Satz 1 ABGB, §§ 2 und 102 EheG. – Eine kleine Ausnahme statuiert aber § 151 Abs 3 ABGB.
Kinder: 0-7
Das gleiche gilt auch für Personen über 7 Jahre und Erwachsene, die den Gebrauch der Vernunft nicht haben.
Die Konsequenz dieser von der Rechtsordnung angeordneten vollkommenen Geschäftsunfähigkeit von Kindern ist die, dass sie nur durch ihren gesetzlichen Vertreter Rechte erwerben und Pflichten eingehen können; dazu gleich unten.
Lesetip: Zur interessanten Entwicklungspsychologie von Säuglingen und Kleinkindern – Daniel N. Stern, Die Lebenserfahrung des Säuglings (19986); – M. Dornes, Der kompetente Säugling (1993).
Die erwähnte geringfügige Ausnahme des § 151 Abs 3 ABGB besagt folgendes: Auch Kinder können kleine Geschäfte des Alltags gültig schließen, wenn:
Ausnahme des § 151 Abs 3 ABGB
• diese Geschäfte von „Minderjährigen [ihres] Alters üblicherweise geschlossen” werden und diese zudem
• nur „eine geringfügige Angelegenheit des täglichen Lebens” betreffen.
Das Rechtsgeschäft wird unter diesen Voraussetzungen „mit der Erfüllung der das Kind treffenden Pflichten rückwirkend rechtswirksam”; also idR dann, wenn das Kind bezahlt.
Aus § 151 Abs 3 ABGB drängt sich ein Analogieschluss (Größenschluss: Argumentum a maiori ad minus → KAPITEL 11: Analogieformen) insofern auf, als Kinder sinnvollerweise auch berechtigt sein sollten, sie ausschließlich berechtigende, altersübliche und geringfügige Schenkungen (sofern sie dem Kindeswohl entsprechen) anzunehmen. Rspr und Lehre lehnen das aber bislang eher ab, ohne dafür ernsthafte Gründe anführen zu können.
Beispiel
Zur Fähigkeit von Kindern bereits erlangten Besitz zu erhalten und zu verteidigen (§ 310 ABGB) → KAPITEL 3: Wer ist besitzfähig ¿ Kinder?. Dort wird auch auf den Besitzerwerb eingegangen.
Sie können sich bereits allein berechtigen, sich aber immer noch nicht ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters verpflichten: § 151 Abs 1 ABGB und § 865 Satz 2 und 3 ABGB; Ausnahme wiederum § 151 Abs 3 ABGB: altersangepasst.
Unmündige Minderjährige: 7-14
Die Zustimmungspflicht des gesetzlichen Vertreters zu verpflichtenden Rechtsgeschäften Minderjähriger (dazu mehr bei den mündigen Minderjährigen) reicht demnach von der Altersgruppe der 7jährigen bis zur Großjährigkeit!
Sie können sich wie unmündige Minderjährige bereits allein berechtigen, aber ebenfalls noch nicht (generell allein) verpflichten. Noch immer ist grundsätzlich die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nötig. – Es bestehen jedoch schon wichtige Ausnahmen: Zu dem auch für diese Personengruppe geltenden (freilich altersmäßig angepasst) § 151 Abs 3 ABGB gesellen sich die §§ 151 Abs 2 und 152 ABGB (zB Ferialjob: Kauf eines Fahrrads). – Auf diese Erweiterungen der Geschäftsfähigkeit wird noch eingegangen.
Mündige Minderjährige: 14-18
Für die Notwendigkeit der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters kommt es ausschließlich darauf an, ob das Geschäft Minderjährige rechtlich (auch) verpflichtet, mag die Verpflichtung auch nur (wie bei der Rückgabeverpflichtung des Entlehners) geringfügig sein; vgl § 865 Satz 2 ABGB: „wenn sie eine damit verknüpfte Last [= Verpflichtung] übernehmen oder selbst etwas versprechen”.
Notwendigkeit der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters
Unter „Last” iSd § 865 Satz 2 ABGB sind nicht nur Gegenleistungen zu verstehen; auch sonstige Verpflichtungen (mögliche Haftung, Versicherungs- oder Pflegekosten eines Tieres oder Gebühren / Steuern) fallen darunter. – Minderjährige ab dem 7. Lebensjahr können zwar Schenkungen annehmen, aber nur dann, wenn damit keine Belastung verbunden ist; vgl dazu gleich unten SZ 54/20: Schenkung von Reitpferden. Man spricht in solchen Fällen von einer belastenden Schenkung; dazu → § 154 Abs 3 ABGB: § 154 ABGB.
„Last” iSd Gesetzes
Gesetzliche Vertreter sind beide (wenn auch geschiedene) Elternteile minderjähriger ehelicher Kinder (§ 144 ABGB), die Mutter oder der Vater des minderjährigen unehelichen Kindes allein (§ 166 ABGB) oder beide (unehelichen) Eltern nach § 167 ABGB; oder – wenn sonst kein gesetzlicher Vertreter vorhanden ist – der Vormund (→ KAPITEL 16: Vormundschaft und Kuratel) und allenfalls ein Sachwalter nach § 269 ABGB iVm §§ 273, 273a ABGB.
Wer ist gesetzlicher Vertreter?
Nach § 149 Abs 1 ABGB haben: „Die Eltern ... das Vermögen eines minderjährigen Kindes mit der Sorgfalt ordentlicher Eltern zu verwalten. Sie haben es in seinem Bestand zu erhalten und nach Möglichkeit zu vermehren; Geld ist nach den Vorschriften über die Anlegung von Mündelgeld anzulegen.” Vgl dazu die §§ 230 ff ABGB.
Die Zustimmung (= Oberbegriff) des gesetzlichen Vertreters heißt, wenn sie vor oder bei Geschäftsabschluss gegeben wird, Einwilligung, wenn nachträglich, Genehmigung.
Zustimmung
Schließen Minderjährige ein sie verpflichtendes und daher zustimmungsbedürftiges Geschäft ohne Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters, ist das Geschäft schwebend un-wirksam, aber nicht nichtig!; sog hinkendes Rechtsgeschäft / negotium claudicans. – Beide Parteien bleiben vorläufig an das Geschäft gebunden, für keine Partei entstehen aber zunächst Erfüllungspflichten! Denn rechtsgeschäftliche „Bindung” ist nicht gleichzusetzen mit vertraglicher „Verpflichtung”: Hier bestehen bereits Erfüllungspflichten aus einem gültig geschlossenen Vertrag heraus! – Zu beachten ist § 865 Schlusssatz ABGB: „Bis diese Einwilligung erfolgt, kann der andere Teil [d.i. der Geschäftspartner des Minderjährigen] nicht zurücktreten ...” Der Geschäftspartner des Minderjährigen kann jedoch dem gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen eine angemessene Erklärungsfrist setzen, nach deren Ablauf seine Bindung erlischt; § 865 Satz 3 ABGB. Auch der Minderjährige kann nicht zurücktreten, er ist ja noch nicht geschäftsfähig. Nur der gesetzliche Vertreter kann seine Genehmigung verweigern (iSd § 863 ABGB: demnach auch durch Stillschweigen), wozu er nicht einmal einen Grund anführen muss. Damit wird das bislang schwebend unwirksame Geschäft endgültig unwirksam.
Sog hinkendes Rechtsgeschäft
Wie werden übliche Verträge zwischen Eltern / Vormündern und den von diesen gesetzlich vertretenen minderjährigen Kindern / Mündeln / geistig Behinderten / Pflegebefohlenen geschlossen?
Verträge zwischen Eltern und Kindern …
Dies ist ein praktisch häufiger Fall: ZB ein oder beide Elternteile schenken ihrem Kind etwas. Dieser einfache Vorgang ist rechtlich relativ kompliziert. Kurz: Vater oder Mutter beschenken ihr Kind, indem sie als gesetzliche Vertreter des Kindes die eigene Schenkung an das Kind annehmen. Dies ist ein sog Insichgeschäft / Selbstkontrahieren. Solche Geschäfte sind nicht beliebig möglich, hier aber im Regelfall gültig, weil zum Vorteil des Kindes; zu den Voraussetzungen → KAPITEL 13: Insichgeschäfte. – Die Rolle von Vater und Mutter ist danach gespalten: Einerseits sind sie Schenkende, andrerseits gesetzliche Vertreter ihrer Kinder. Das Insichgeschäft schließen sie mit sich selber: als schenkende Eltern (einerseits) und als gesetzliche Vertreter ihrer Kinder (andrerseits). Das Gesetz (§ 271 ABGB) sieht für solche Fälle an und für sich vor, dass ein sog Kollisionskurator zu bestellen ist. Die gelebte Rechtspraxis reduziert aber § 271 ABGB teleologisch darauf, dass – den allgemeinen Regeln für Insichgeschäfte entsprechend – ein Kollisionskurator nur dann zu bestellen ist, wenn die Interessen des Minderjährigen gefährdet sind, also wirklich eine Interessenkollision(sgefahr) besteht. – Schenken zB Onkel / Tante oder Großeltern dem Kind etwas, liegt der Fall schon „etwas” einfacher: Diese Personen können Kinder dadurch gültig beschenken, dass zB die Eltern die Geschenke für ihre Kinder als deren gesetzliche Vertreter – ausdrücklich oder schlüssig – annehmen. Die Kinder (nicht die Eltern) erwerben dadurch Besitz (animus rem sibi habendi) und Eigentum! – Zu beachten ist aber stets § 154 Abs 3 ABGB!; sog belastende Schenkung. Vgl das folgende Beispiel SZ 54/20. – Durch Übergabe der Geschenke an die Kinder erlangen diese Besitz; vgl § 310 Satz 2 ABGB: Genauer – sie können den über ihre Eltern erlangten Besitz (er)halten → KAPITEL 3: Wer ist besitzfähig ¿ Kinder?.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 54/20 (1981): „Bei Abschluss eines Schenkungsvertrages [zwischen Vater und minderjährigen Sohn] wird im allgemeinen eine Gefährdung der Rechte des Minderjährigen auszuschließen und demnach die Bestellung eines Kollisionskurators [= ein vom Gericht bestellter Kurator, der die allenfalls kollidierenden Interessen von Minderjährigem und gesetzlichem Vertreter abwägt und entscheidet] für den Minderjährigen entbehrlich sein, insbesondere wenn es sich um die üblichen Schenkungen von Gebrauchsgegenständen handelt. Im vorliegenden Fall kann davon aber nicht gesprochen werden. Die Schenkung von Reitpferden bringt für einen Minderjährigen nicht nur Vorteile mit sich, sondern es sind damit auch beträchtliche wirtschaftliche Lasten verbunden, so etwa die Kosten der Fütterung, der ärztlichen Betreuung der Pferde und einer abzuschließenden Haftpflichtversicherung. In einem solchen Fall muss die Zulässigkeit des Abschlusses des Rechtsgeschäfts durch den gesetzlichen Vertreter in Form des Selbstkontrahierens verneint werden, weil die Gefahr einer Beeinträchtigung der Interessen des Minderjährigen besteht. Ob und unter welchen Bedingungen das Rechtsgeschäft für den Minderjährigen überhaupt noch als vorteilhaft anzusehen ist, hätte der Kollisionskurator zu beurteilen.”
EvBl 1971/106: Ein Mietvertrag zwischen Vater und minderjährigem Sohn bedarf zur Gültigkeit der Bestellung eines Kollisionskurators. Ist diese [Bestellung] unterblieben, würde auch eine nachträgliche pflegschaftsgerichtliche Genehmigung des Vertrags nicht ausreichen. (?)
Beispiel
Die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters macht den Vertrag rückwirkend (also bezogen auf den Abschlusszeitpunkt) gültig, wenn die Zustimmung nicht schon beim Abschluss des Geschäfts vorliegt. – Abzustellen ist dabei für die Wirksamkeit auf den Zugang der Zustimmungserklärung beim Geschäftspartner. – Die Zustimmungserklärung des gesetzlichen Vertreters kann nach § 863 ABGBauch schlüssig / konkludent oder stillschweigend erfolgen! – ZB: Mutter oder Vater bewundern das neue Fahrrad des Kindes und loben es für den „guten” Kauf.
Wirkung der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters
Beispiel
nach oben
3. Ausnahmen für mündige Minderjährige
Danach können mündige Minderjährige (also ab dem vollendeten 14. Lebensjahr) über:
§ 151 Abs 2 ABGB
• Sachen, die ihnen „zur freien Verfügung überlassen” sind, und
• über ihr „Einkommen aus eigenem Erwerb
• „so weit verfügen und sich verpflichten, als dadurch nicht die Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse [= Lebensunterhalt] gefährdet wird”.
Beispiel
Nach EFSlg 48.360 handelt es sich bei § 151 ABGB um Ausnahmen von der allgemein geltenden beschränkten Geschäftsfähigkeit Minderjähriger, weshalb diese Verfügungs- und Verpflichtungsbefugnisse im Interesse des Schutzes Minderjähriger einschränkend – dh zu ihrem Vorteil – auszulegen sind.
Der Begriff der „ Verfügung” bedeutet mehrerlei: Im Erbrecht wird von letztwilligen Verfügungen gesprochen, womit insbesondere das Testament gemeint ist. Im Sachenrecht – und das wird hier vornehmlich angesprochen – bedeutet „verfügen” das Setzen (sachen)rechtlich verbindlicher Rechtsakte und Erklärungen zum Erwerb oder zur Übertragung dinglicher Rechte.
Verfügung
„Verfügungen” sind von bloßen „Verpflichtungen” zu unterscheiden; dazu → KAPITEL 2: Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft.
Der Abschluss von Arbeitsverträgen: Mündige Minderjährige können bereits allein (einfache) Arbeitsverträge abschließen; nicht erfasst von dieser Erweiterung der Geschäftsfähigkeit werden aber „Lehr- oder sonstige Ausbildungsverträge”. – Nach § 152 Satz 2 ABGB kann der gesetzliche Vertreter des Kindes „das durch den Vertrag begründete Rechtsverhältnis [aber] aus wichtigen Gründen [zB Angst vor schlechtem Umgang, aber auch befürchteten Gesundheitsschäden] vorzeitig lösen”, dh außerordentlich kündigen.
§ 152 ABGB
Bei berufstätigen, also bereits selbst verdienenden mündigen Minderjährigen geht die Rspr davon aus, dass sie schon „möglichst selbständig” für ihren Unterhalt sorgen (und die Eltern dadurch entlastet werden) sollen; vgl § 140 Abs 3 ABGB. – Diese Faustregel gilt als Richtschnur der Praxis für das Beurteilen der von mündigen Minderjährigen selbständig abgeschlossenen Geschäfte / Verpflichtungen. – Alles, was dieses Ziel gefährdet, ist unwirksam.
Berufstätige Minderjährige
Beispiel
Diese Bestimmung wurde leider durch das KindRÄG 2001, BGBl I 135, mit 1. Juli 2001 aufgehoben. Die österreichische Legistik war nicht (wie bei den bisherigen Absenkungen des Volljährigkeitsalters) in der Lage, das in § 866 aF ABGB vorgesehene Alter (von 18 Jahren) auf 16 oder 17 Jahre zu senken und dadurch den rechtspolitisch interessanten Gehalt dieser Norm, die vor allem erzieherisch-präventiv und nicht sanktionierend wirkte, zu erhalten. Die Ministerialbürokratie stellte sich damit ein Armutszeugnis aus.
§ 866 ABGB aF: Vortäuschung der Volljährigkeit
Ich streiche die Ausführungen zu dieser Bestimmung im Buch deshalb nicht, sondern setze die Ausführungen nur in Kleindruck, weil sie der Rspr weiterhin als Analogiebasis dienen können und dadurch die Chance besteht, § 866 aF ABGB (wenigstens bis zu einem gewissen Grad) zu reanimieren. – Die Vernunft ist ja zum Glück weiterhin eine Rechtsquelle iSd ABGB.
Eine wichtige Ausnahme (von der ansonsten bestehenden rechtlichen Folgenlosigkeit eines allein vom Minderjährigen abgeschlossenen verpflichtenden Rechtsgeschäfts) enthielt § 866 aF ABGB: „Wer nach Vollendung des [achtzehnten] Lebensjahrs listigerweise vorgibt, dass er Verträge zu schließen fähig sei, und dadurch einen anderen, der darüber nicht leicht Erkundigung einholen konnte, hintergeht, ist zur Genugtuung verpflichtet.”
Oben wurde diese Norm als Beispiel dafür angeführt, dass Minderjährige zwar das von ihnen geschlossene Geschäft nicht zuhalten, also den Vertrag nicht erfüllen müssen, aber auch nicht ganz ungeschoren, vielmehr nur „mit einem blauen Auge” davon kommen. Darin steckt – neben dem erzieherischen Aspekt – auch ein gewisser Schutz für den Geschäftspartner des Minderjährigen!
Vertragspartner von Minderjährigen schützen sich gegen derartige Hintergehung dadurch, dass sie Anschrift, Telefon- oder Faxnummer etc oder einen Ausweis verlangen, um sich erkundigen zu können.
Das Gesetz verpflichtete Minderjährige in § 866 aF ABGB „zur Genugtuung”. Dies wird als cic-Haftung verstanden und bedeutet Ersatz des Vertrauens-, nicht des Erfüllungsschadens. Der Vertrag kommt also nicht gültig zustande und ist daher auch nicht zu erfüllen, aber es ist zB vom Minderjährigen Spesenersatz zu leisten; zB für die Produktbestellung, Transport- und Bearbeitungskosten etc.
Allgemein zum Vertrauensschaden und zur cic → KAPITEL 6: Cic ¿ culpa in contrahendo.
Die Rechtsfolgeanordnungen des ABGB sind oft sehr knapp, ja lapidar kurz; es obliegt der Rspr sie auszuführen; zB was unter „ ... ist zur Genugtuung verpflichtet” zu verstehen ist. Vgl neben § 866 aF ABGB etwa auch § 1419 ABGB (Gläubigerverzug → KAPITEL 7: Gläubiger- oder Annahmeverzug): „ ... so fallen die widrigen Folgen auf ihn.” – Oder § 1009 ABGB (Vollmachtsüberschreitung des sog falsus procurator): „ ... so haftet er für die Folgen”.
• „Vollendung des [ bisher 18.] Lebensjahrs”;
Tatbestandsvoraussetzungen des § 866 ABGB waren:
listige Vorspiegelung, Verträge schließen zu können und
Hintergehung eines anderen, der darüber „nicht leicht Erkundigung einholen konnte”.
Mündige Minderjährige sind nach § 569 ABGB schon testierfähig; allerdings insoferne beschränkt, als sie nur mündlich vor Gericht oder notariell testieren können; Gesetz lesen. – Die volle Testierfähigkeit wird mit Vollendung des 18. Lebensjahrs erreicht.
Mündige Minderjährige sind beschränkt testierfähig
nach oben
4. § 154 ABGB: Stufenförmige Zustimmung
Ausgegangen wird von einem ehelichen Kind in aufrechter Ehe.
Dieser Paragraph staffelt in seinen drei Absätzen das Ausmaß der Zustimmung des „gesetzlichen Vertreters” in charakteristischer Weise:
Zustimmungsstaffelung in § 154 ABGB
ein Elternteil (Abs 1),
beide Elternteile (Abs 2),
beide Elternteile + Gericht (Abs 3).
Wir haben gehört, dass eine selbständige rechtsgeschäftliche Verpflichtung Minderjähriger grundsätzlich nicht möglich ist; es bedarf vielmehr stets der Zustimmung wenigstens eines Elternteils.
§ 154 Abs 1 ABGB
§ 154 Abs 1 ABGB: „Jeder Elternteil ist für sich allein berechtigt und verpflichtet, das Kind zu vertreten; seine Vertretungshandlung ist selbst dann rechtswirksam, wenn der andere Elternteil mit ihr nicht einverstanden ist.”
Es schadet also der Gültigkeit des Geschäfts nicht, wenn ein Elternteil zustimmt und der andere dagegen ist. – Gelingt es zB der Tochter, ihren Vater um den Finger zu wickeln und bleibt die Mutter konsequent bei ihrem Nein bezüglich des Mopedkaufs, ist das Rechtsgeschäft dennoch gültig. Der Vater hat zugestimmt, mag seine Zustimmung auch erzieherisch und „familienpolitisch” falsch gewesen sein.
Hier werden taxativ, also erschöpfend, „Vertretungshandlungen und Einwilligungen” aufgezählt, die der Zustimmung beider Elternteile bedürfen:
§ 154 Abs 2 ABGB
• Änderung des Vor- oder Familiennamens des Kindes;
• Eintritt oder Austritt in eine Kirche oder Religionsgesellschaft bis 14 Jahre; mit 14 Jahren wird das Kind religionsmündig (§ 5 ReKEG);
• Übergabe in fremde Pflege;
• Erwerb einer Staatsangehörigkeit oder Verzicht auf eine solche;
• vorzeitige Lösung eines Lehr-, Ausbildungs- oder Dienstvertrags;
• schließlich die Anerkennung der Vaterschaft zu einem unehelichen Kind.
Gesetzlicher Vertreter ist bei aufrechter Ehe jeder Elternteil, also Mutter oder Vater. – Für nichteheliche Kinder kommt die Obsorge grundsätzlich der Mutter allein zu (§ 166 ABGB); Vertretungshandlungen und Einwilligungen nach § 154 Abs 2 ABGB stehen hier somit der Mutter allein zu. – Leben nicht verheiratete Eltern mit dem Kind in dauernder häuslicher Gemeinschaft (Lebensgemeinschaft), kann das Gericht auf gemeinsamen Antrag der Eltern beiden die Obsorge übertragen; § 167 ABGB. Auch darauf ist § 154 ABGB anwendbar.
Dieser Absatz bringt eine weitere, rechtspolitisch wichtige, Zustimmungssteigerung! – Um das Kindeswohl zu sichern, ordnet das Gesetz an, dass in bestimmten Fällen – es geht um Vermögensangelegenheiten, die nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehören – nicht einmal die Zustimmung beider Elternteile ausreicht, sondern dass zusätzlich das (Pflegschafts)Gericht zustimmen muss! – Diese Bestimmung ist das Ergebnis praktischer Erfahrung, die gezeigt hat, dass nicht alle Eltern bloss ans Kindeswohl denken, wenn sie über Kindesvermögen verfügen wollen. Eigene Geldsorgen können – wie das gleich folgende Beispiel zeigt – das Kindeswohl allzuleicht in den Hintergrund treten lassen.
§ 154 Abs 3 ABGB
Gesetzestext: „Vertretungshandlungen und Einwilligungen eines Elternteils in Vermögensangelegenheiten, bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des andern Elternteils und der Genehmigung des Gerichts, sofern die Vermögensangelegenheit nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört.”
Beispiel
Verweigert das Gericht seine Zustimmung, macht dies das Geschäft rückwirkend unwirksam.
Nach § 144 ABGB haben die Kindeseltern das Vermögen des Kindes zu verwalten. Sie sollen dabei nach Vorstellung des Gesetzgebers „einvernehmlich” vorgehen. – § 154 Abs 3 ABGB stellt eine begründete Ausnahme von dieser Regel dar. – Wird durch eine Rechtshandlung das Vermögen des Kindes vermehrt, ohne dass damit gleichzeitig die Gefahr von Belastungen verbunden ist, kommt eine Versagung der gerichtlichen / Pflegschaftsbehördlichen Genehmigung aus Gründen des Kindeswohls nicht in Betracht; EvBl 1998/202.
Verwaltung des Kindesvermögens
Nicht jede (Geld)Angelegenheit ist Vermögensangelegenheit iSd Gesetzes.
Was sind Vermögensangelegenheiten?
Beispiel
Auch hier ist stets das Wohl des Minderjährigen zu beachten! Die Grenzziehung ist nicht immer einfach, zumal nach der Rspr auch Geschäfte „von größerer Wichtigkeit” in den Rahmen des ordentlichen Wirtschaftsbetriebs fallen können. Nach der Rspr (das zeigt uns, dass blosse Gesetzeskenntnis oft nicht ausreicht) ist bei der Beurteilung der Frage, ob das abgeschlossene Geschäft ein solches des ordentlichen oder außerordentlichen Wirtschaftsbetriebs ist, abzuwägen, ob die übernommene Verpflichtung in einem angemessenen Verhältnis zur Höhe des Einkommens des Minderjährigen im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses stand; EFSlg 29.106.
Was gehört zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb?
§ 154 Abs 3 ABGB zählt demonstrativ, also beispielhaft, jene Vermögensangelegenheiten auf, die der (pflegschafts)gerichtlichen Genehmigung bedürfen, weil sie nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb zählen:
• die Veräußerung oder Belastung von Liegenschaften (wie in unserem Beispiel! Vgl auch § 232 ABGB);
Gründung, Erwerb, Umwandlung, Veräußerung, Auflösung oder Änderung des Gegenstandes eines Unternehmens;
• der Eintritt in eine oder die Umwandlung einer Gesellschaft oder Genossenschaft;
• der Verzicht auf ein Erbrecht;
• die Annahme einer mit Belastungen verbundenen Schenkung; vgl die folgende E: SZ 54/20
• oder die Ablehnung eines Schenkungsanbots.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 54/20 (1981): Vater schenkt Sohn zwei Reitpferde (Stute Sevilla + Hengst Waldemar). – OGH: „Die Schenkung bedarf zu ihrer Rechtswirksamkeit der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung, da sie für den Minderjährigen mit beträchtlichen wirtschaftlichen Lasten verbunden ist: zB Kosten der Fütterung, der tierärztlichen Betreuung, Haftpflichtversicherung etc.”
OGH 16. 2. 2000, 7 Ob 312/99d, EvBl 2000/137: Zwei Minderjährige werden bei einem Verkehrsunfall verletzt und erhalten 15.000 S und 40.000 S Schmerzengeld. Eltern beantragen Befreiung von der Pflicht zur jährlichen Rechnungslegung gem § 150 ABGB. – OGH: Eine betragsmäßige Untergrenze für die Rechnungslegungspflicht der Eltern fehlt zwar; ein Ausufern (und der damit einhergehende Eindruck einer „obrigkeitlichen Gängelung”) kann aber durch einen Befreiungsantrag verhindert werden. Diesem ist dann stattzugeben, wenn im Einzelfall gegen eine ordentliche Verwaltung der Eltern keine Bedenken bestehen, was der OGH hier annimmt.
Dieser Absatz wurde durch das KindRÄG 2001 neu eingefügt und bestimmt, dass in den Fällen der Abs 1-3, also „bei Fehlen” der jeweils nötigen Zustimmung, das volljährig gewordene Kind nur dann daraus „wirksam verpflichtet wird, wenn es schriftlich erklärt, diese Verpflichtungen als rechtswirksam anzuerkennen”. – Der Gläubiger kann dafür eine angemessene Frist setzen. – Damit wurde eine bereits geübte Praxis gesetzlich normiert.
§ 154 Abs 4 ABGB
nach oben
5. Volljährigkeit
Der Gesetzgeber will – wie erwähnt – Minderjährige durch die Einschränkung ihrer Geschäftsfähigkeit schützen, sie unter den besonderen Schutz der Gesetze stellen. Dieser Minderjährigenschutz erlischt mit Erreichung der Volljährigkeit, die derzeit mit vollendetem 18. Lebensjahr eintritt; § 21 Abs 2 ABGB.
Erlöschen des Minderjährigenschutzes
Die Volljährigkeitsgrenze liegt seit 2001 bei 18 Jahren, und lag bis dorthin seit 1973 beim vollendeten 19. Lebensjahr. Vor 1973 wurde man mit vollendetem 21. Lebensjahr volljährig, nach dem ABGB (1811) erst mit 24 Jahren und nach dem römischen Recht lag die Grenze bei 25, bei den Griechen aber schon – die Grenze war hier noch eine individuell zu bestimmende – bei etwa 18 Jahren.
Volljährige Personen können sich allein berechtigen und verpflichten; Ausnahme: bspw Sachwalterschaft (§ 273 ABGB) → Die Sachwalterschaft – Alle Verpflichtungen, die volljährige Personen eingehen, haben sie nunmehr voll zu erfüllen, denn sie sind, wie man das früher nannte, zu ihren Jahren gekommen.
Volle rechtsgeschäftliche Verantwortung
Synonyma für Volljährigkeit sind: Großjährigkeit und Eigenberechtigung.
Synonyma
Volljährigkeit ist nicht zu verwechseln mit Selbsterhaltungsfähigkeit: vgl § 140 Abs 3 ABGB; diese kann früher (zB „Kind” arbeitet schon und verdient angemessen) oder später (zB „Kind” studiert) als die Volljährigkeit eintreten und auch wieder wegfallen; zB „Kind” wird arbeitslos oder unfallbedingt arbeitsunfähig.
Selbsterhaltungs-fähigkeit
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 12.1.1993, 4 Ob 502/93 (§ 140 ABGB) – Selbsterhaltungsfähigkeit einer 19jährigen während eines Auslandsaufenthalts als Au-pair-Mädchen? Mit einem monatlichen Taschengeld von ca 2.500 S sowie Kost und Quartier ist die Unterhaltsberechtigte unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse des Vaters (27.000 S Monatseinkommen bei Mehraufwand wegen Invalidität) nicht selbsterhaltungsfähig.
JBl 1999, 725: Zur Unterhaltspflicht der Eltern nach erreichter Volljährigkeit des Kindes. – Dabei sind auch die Lebensverhältnisse des Kindes zu berücksichtigen (Selbsterhaltungsfähigkeit).
ZVR 1998/20: Zur Selbsterhaltungsfähigkeit eines behinderten berufstätigenKindes”. Anspruch auf Unterhaltsentgang beim Unfalltod des Vaters.
• Eine weitere Konsequenz liegt darin, dass die sog Obsorgepflicht der Eltern erlischt (§ 172 ABGB); vgl § 144 ABGB. Neu ist die Bestimmung des § 172 Abs 2 ABGB (KindRÄG 2001), dass der gesetzliche Vertreter dem volljährig gewordenen Kind dessen Vermögen sowie alle dessen Person betreffenden Urkunden und Nachweise zu übergeben hat. – Wechselseitige (latente) Unterhalts- und Beistandspflichten bleiben davon aber unberührt; vgl §§ 142, 143 ABGB. – Auch eine Vormundschaft erlischt mit Eintritt der Volljährigkeit; § 251 ABGB.
Weitere Konsequenzen der Selbsterhaltungsfähigkeit
• Volljährigkeit tritt in Bezug auf die persönlichen Verhältnisse auch durch die Eheschließung Minderjähriger vor dem vollendeten 18. Lebensjahr ein; § 175 ABGB → KAPITEL 16: Ehefähigkeit und Eheverbote. Das gilt allerdings nur (solange die Ehe dauert) hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse des minderjährigen Kindes, nicht für vermögensrechtliche Fragen, für die auch verheiratete Minderjährige weiterhin der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters (nicht des Gatten) bedürfen.
• Die Minderjährigkeit konnte bisher verlängert (§ 173 ABGB) oder verkürzt (§ 174 ABGB, sog Volljährigkeitserklärung) werden; das KindRÄG 2001 hat diese Bestimmung aufgegeben. – Bis zur Volljährigkeit gilt nunmehr aber § 154b ABGB.


Volljährigkeit im ABGB
Abbildung 4.16:
Volljährigkeit im ABGB
nach oben
III. Die zivilrechtliche Deliktsfähigkeit
Die zivilrechtliche Deliktsfähigkeit ist – wie die Geschäftsfähigkeit – Teil der Handlungsfähigkeit. Auch die Deliktsfähigkeitsgrenze, die beim vollendeten 14. Lebensjahr liegt, will junge Menschen vor dem harten Zugriff des Rechts schützen.
Andere Rechtsordnungen, etwa das dtBGB idgF, kennen eine andere Deliktsfähigkeitsgrenze. Dessen § 828 lässt die Deliktsfähigkeit mit dem vollendeten 7. Lebensjahr beginnen. – Im Rahmen der Europäisierung des Privatrechts erschiene ein Absenken der ABGB-Grenze auf 7 Jahre bedenkenswert. Selbstverständlich in Abstimmung mit § 1310 ABGB. Eine Unterschreitung der neuen Deliktsfähigkeitsgrenze sollte dann aber ausgeschlossen sein.
Zivilrechtliche Deliktsfähigkeit meint die Fähigkeit, für eigenes rechtswidriges Verhalten (zivilrechtlich) einstehen zu müssen, also schadenersatzpflichtig zu werden.
Zivilrecht und Strafrecht gehen hier aber insoferne unterschiedliche Wege, als die 14-Jahresgrenze für das Strafrecht eine absolute ist, die nicht unterschritten werden kann, während das Zivilrecht – über § 1310 ABGB (→ KAPITEL 10: Der sogenannte Billigkeitsersatz des § 1310 ABGB) – auch eine Haftung Minderjähriger unter 14 Jahren kennt. – Das flexible Abstellen auf eine Verantwortlichkeit ohne starre Altersgrenze (Diskretionsfähigkeit, dazu gleich mehr) geht auf K.A.v. Martini zurück; vgl dazu auch → Haften Eltern für ihre Kinder?
Zivilrecht und Strafrecht
1. Wer ist deliktsfähig?
Diese Altersgruppen sind auch zivilrechtlich grundsätzlich deliktsunfähig. Jedoch ist – wie erwähnt – nach der Zurechnungsregel des § 1310 ABGB das Mass der persönlichen Einsicht – zB bei Verkehrsunfällen oder Verletzungshandlungen – jeweils konkret zu prüfen, was bedeutet, dass eine Unterschreitung der 14-Jahresgrenze möglich ist. Dabei geht die Rspr sogar sehr weit! – Aber auch 12-Jährige wissen bereits, dass man andere nicht (schwer) verletzen, nicht stehlen oder fremdes Gut zerstören darf. Insoferne erweist sich die zivilrechtliche Regel gerade heutzutage als sehr modern und der erste Eindruck täuscht! – Vgl damit die oben erwähnte Wertungsbasis des § 866 ABGB aF!) Mehr dazu → § 866 ABGB aF: Vortäuschung der Volljährigkeit
Kinder und unmündige Minderjährige
Die zivilrechtliche Rspr rechnet Minderjährigen / Kindern nach § 1310 ABGB (→ KAPITEL 10: Der sogenannte Billigkeitsersatz des § 1310 ABGB) sehr früh – nämlich noch unter 6 Jahren! – schadensstiftendes Verhalten zu. Die Rspr des Zivilrechts behandelt junge Menschen also strenger als das Strafrecht, das die Strafmündigkeit konsequent mit 14 Jahren ansetzt und zudem für Jugendliche (also bis zum vollendeten 18. Lebensjahr) eine mildere Behandlung vorsieht; Jugendstrafrecht. Unter 14 Jahren können Jugendliche daher strafrechtlich nicht verfolgt werden. Das ist sinnvoll. – Auch im Zivilrecht ist es aber möglich, in schwierigen Fällen Erziehungsmaßnahmen nach dem JugendwohlfahrtsG / JWG 1989 (BGBl Nr 161) zu verhängen; vgl §§ 26 ff JWG: „Hilfen zur Erziehung”. Das ist praktisch bedeutsam: 1997 wurden bspw in Österreich etwa 22.000 Minderjährige von Jugendwohlfahrtsbehörden (auf Grund einer Vereinbarung mit den Eltern oder einer gerichtlichen Verfügung) betreut. Anlässe dafür waren Scheidung, Alkoholismus der Eltern oder schlicht Verhaltensauffälligkeiten. Der Großteil dieser Minderjährigen lebt aber noch bei den Eltern, nur ein Drittel bei Pflegefamilien → KAPITEL 16: Die Pflegekindschaft. Die Hauptaufgabe der Jugendwohlfahrt liegt in psycho-sozialer Hilfe.
Klammer/Mikosz (Hg), Psychologie in der Jugendwohlfahrt. Konzepte, Methoden, Positionen (2001); – Werneck/Werneck-Rohrer (Hg), Psychologie der Familie. Theorien, Konzepte, Anwendungen (2000).
Begehen noch nicht Deliktsfähige eine Straftat, kann der von ihnen zugefügte Schaden zwar uU zivilrechtlich (nach § 1310 ABGB) zugerechnet werden, nicht aber eine strafrechtliche Verurteilung erfolgen. In Österreich wäre also ein Fall wie der des 11-jährigen Schweizer Jungen Raoul gar nicht möglich gewesen, der wegen Inzestverdachts (Spiel mit der eigenen Schwester) in ein US-Gefägnis gesteckt wurde. Er wäre in Österreich strafunmündig gewesen. Die einzige Konsequenz hätte darin bestehen können, dass der Pflegschaftsrichter tätig geworden wäre, wenn die Eltern sich um das Kind nicht hinreichend kümmerten, was hier aber gar nicht zutraf. Ein Kind kann allenfalls unter Aufsicht des Jugendamts gestellt werden und im äußersten Fall könnten den Eltern Erziehungsrechte entzogen werden. Dabei ist aber stets das Kindeswohl (§ 178a ABGB) zu beachten; vgl die §§ 176 ff ABGB: Entziehung und Einschränkung der Obsorge.
„Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
Diskretions- und Dispositionsfähigkeit
. Unmündiger: wer das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat;
. Jugendlicher: wer das 14, aber noch nicht das 19. Lebensjahr vollendet hat;
. Jugendstraftat: eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung, die von einem Jugendlichen begangen wird; ...
„Unmündige, die eine mit Strafe bedrohte Handlung begehen, sind nicht strafbar.
Abs 2: Ein Jugendlicher, der eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, ist nicht strafbar, wenn
1. er aus bestimmten Gründen noch nicht reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen [sog Diskretionsfähigkeit] oder nach dieser Einsicht zu handeln [sog Dispositionsfähigkeit],
2. er vor Vollendung des [16. Lebensjahrs] ein Vergehen begeht, ihn kein schweres Verschulden trifft und nicht aus besonderen Gründen die Anwendung des Jugendstrafrechts geboten ist, um den Jugendlichen von strafbaren Handlungen abzuhalten, ...”
§ 4 Abs 2 JGG definiert zwei auch für das Zivilrecht wichtige Begriffe: Die sog Diskretions- und die Dispositionsfähigkeit!
Sie sind zivilrechtlich uneingeschränkt deliktsfähig; § 153 ABGB. – Das Zivilrecht kennt keine dem Strafrecht vergleichbare Schutzzone bis zur Volljährigkeit.
Mündige Minderjährige
Bei (vorübergehender) Sinnesverwirrung besteht generell – also auch für Volljährige! – keine Deliktsfähigkeit; § 1307 ABGB (sog actio libera in causa) ist jedoch zu beachten.
Sinnesverwirrung
Beispiel
Das Beurteilen der Deliktsfähigkeit psychisch Kranker oder geistig Behinderter bestimmt sich – sie mögen unter Sachwalterschaft stehen oder nicht – immer nach ihrem jeweiligen Zustand: Auch für sie kommt daher eine Haftung nach § 1310 ABGB in Betracht. Handeln in lichten Augenblicken (sog lucida intervalla) ist – unabhängig von § 1310 ABGB – beachtlich und macht ersatzpflichtig → KAPITEL 10: Der sogenannte Billigkeitsersatz des § 1310 ABGB.
Psychisch Kranke und geistig Behinderte
Eine bestehende Sachwalter- oder Patientenanwaltschaft berührt die Deliktsfähigkeit also nicht; sonst entstünde ein Freibrief für unerlaubtes Handeln. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob die nötige Einsicht gegeben war! Andernfalls müssten sich Kriminelle nur unter Sachwalterschaft stellen lassen, um ihre Ziele zu verfolgen und nichts befürchten zu müssen.


Zivilrechtliche Deliktfähigkeit, Personengruppen
Abbildung 4.17:
Zivilrechtliche Deliktfähigkeit, Personengruppen
nach oben
2. Haften Eltern für ihre Kinder?
Nach österreichischem Privatrecht haften Eltern grundsätzlich nicht für deliktisches Verhalten ihrer Kinder. Sie haften vielmehr nur dann schadenersatzrechtlich, wenn sie nach § 1309 ABGB schuldhaft (!) ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt haben; dazu → KAPITEL 10: Aufsichtspflichtverletzung. – Diese Akzentuierung ist wichtig, wird aber häufig falsch dargestellt. Vgl etwa die häufig anzutreffende, aber missverständliche, Baustellentafel:
Auf die Akzentsetzung kommt es an!
„Betreten der Baustelle verboten. Eltern haften für ihre Kinder”.
Die Konsequenz daraus ist die, dass (bei fehlender Haftung der Eltern) uU der / die Minderjährige nach § 1310 ABGB persönlich haftet. Greift auch § 1310 ABGB nicht, geht der Geschädigte leer aus. Der Schaden stellt für ihn dann einen Zufall iSd § 1311 ABGB dar → KAPITEL 9: Schadenersatz und Zufall: § 1311 ABGB.
Konsequenz
Die Regel des § 1309 ABGB gilt übrigens nicht nur für Eltern, sondern allgemein für aufsichtspflichtige Personen wie Lehrer/innen in Schulen oder das Personal in Kindergärten, aber auch in Krankenanstalten sowie in Alten- oder Pflegeheimen → KAPITEL 10: Aufsichtspflichtverletzung. – Die Aufsichtspflicht mag unmittelbar auf Gesetz (Kinder) oder auf vertraglicher Vereinbarung (zB Kindergarten) beruhen.
§ 1309 ABGB gilt auch für andere „Aufsichtsverhältnisse”
Die Aufsichtspflicht darf dabei aber nicht überspannt werden, worauf die Rspr zu recht achtet! – Vgl die Beispiele im Rahmen der Darstellung des § 1309 ABGB in Kapitel 10.
Kein Überspannen der Aufsichtspflicht
Der tiefere Grund der Haftung Minderjähriger etc nach § 1310 ABGB liegt darin, dass das rationalistische Naturrechtsdenken (Entwurf Martini + WGGB), dem diese Norm entstammt, als allgemeinen Haftungsgrund nicht das Verschulden (des Schädigers), sondern das ”Vertheidigungsrecht” des Geschädigten (gegen Verletzungen seiner Person und seines Vermögens) ansieht. Das führt zu Haftungen wie der in § 1310 ABGB, die allerdings auf 3 Fälle eingeschränkt ist; Billigkeitshaftung, Vermögensvergleich etc. Dazu auch § 1310 ABGB: → KAPITEL 10: Der sogenannte Billigkeitsersatz des § 1310 ABGB.
Beispiel


Zivilrechtliche Deliktsfähigkeit
Abbildung 4.18:
Zivilrechtliche Deliktsfähigkeit


Natürliche Person (1)
Abbildung 4.19:
Natürliche Person (1)


Natürliche Person (2)
Abbildung 4.20:
Natürliche Person (2)
nach oben
IV. Die Sachwalterschaft
Neu bearbeitet von Elisabeth Villotti
Literaturquelle
1. Historische Entwicklung
Die EntmündigungsO 1916 regelte erstmals gemeinsam, was nunmehr Sachwalterschaft (Nov zum ABGB: BGBl 1983/136 und Art I BGBl I Nr 135/2000) und UnterbringungsG / UbG 1990 (BGBl 155) getrennt regeln. Die Reform der EntmO wurde – trotz ursprünglich hoher legistischer Qualität – immer drängender. Zum einen war es erklärtes Reformziel, den Personenkreis der Entmündigten zu „entstigmatisieren”. Aber auch das in der EntmO geregelte sog Anhalteverfahren psychisch Kranker in psychiatrischen Anstalten bedurfte dringend der Reform; das UbG 1990 brachte sie → Das Unterbringungsgesetz 1990 Das UbG, das gegen den Widerstand der Medizin beschlossen wurde, betont den Persönlichkeitsschutz psychisch Kranker.
EntmündigungsO
Mit dem KindRÄG 2001 wurde auch das Sachwalterrecht mit Wirkung vom 1.7.2001 novelliert. Die wichtigsten Neuerungen betreffen die Personensorge, das Verbot der Zustimmung zur Sterilisation, die Haftung des Sachwalters und dessen Entschädigung sowie die Einkommens- und Vermögensverwaltung.
Die Termini „Sachwalter” undSachwalterschaft” sind unglücklich gewählt. Denn es steht nicht eine Sache, sondern ein Mensch als betroffene Person im Mittelpunkt. – In der Praxis besteht deshalb häufiger Erklärungsbedarf, da sich Laien unter diesen Begriffen nichts vorstellen können.
Terminologie?
Die Vorschriften über die Sachwalterschaft modifizieren die gesetzlichen Bestimmungen über die Handlungsfähigkeit (insbesondere die Geschäftsfähigkeit) für psychisch kranke und geistig behinderte volljährige Personen. – Eine Sachwaltschaft sollte abernur dann eingerichtet werden, wenn keine andere Unterstützung möglich ist; Subsidiarität der Sachwalterschaft. Sie stellt nämlich einen massiven Eingriff in die Rechte einer Person dar und sollte das letzte Mittel sein!
Modifikationen der HF
Das Sachwalterrecht brachte im Vergleich zur EntmO als Novum eine verstärkte Möglichkeit der
Aufgaben von Sachwaltern
Personen(für)sorge, beschränkt sich also nicht auf bloße
Vermögensvorsorge.
Im Vordergrund steht das „Wohl des Betroffenen” und nicht das der Erben oder naher Angehöriger. Der Sachwalter ist verpflicht, dem Gericht in bestimmten Abständen Rechnung zu legen; das Gericht kann ihn aber davon befreien. Er ist weiters verpflichtet Belege etc. zu sammeln und aufzubewahren.
Beseitigt wurde (von Anfang an, also bereits 1983) durch das Sachwalterrecht der frühere Entmündigungstatbestand der Verschwendung(ssucht); Alkohol- und Drogenmissbrauch, querulatorisches Verhalten oder Verschwendungssucht allein stellen demnach keinen ausreichenden Grund für die Bestellung eines Sachwalters dar. Wohl aber, wenn sich daraus psychiatrische Krankheitssymptome ableiten lassen. Vgl unten EvBl 1999/11. – Im Zeitalter der „Süchte” und Abhängigkeiten muss das als Nachteil angesehen werden: In Österreich gibt es etwa 20.000 Drogenabhängige, 11.000 Medikamentensüchtige, 330.000 Alkoholkranke (und weitere 900.000 Alkoholgefährdete; 8000 sterben jährlich) und etwa 2 Mio Raucher; Quelle: Der Standard, 1. Oktober 2003, S. 10.
Literaturquelle
Rechtstatsächliches zur Sachwalterschaft: 1995 waren es 25.208, Ende 1997 gab es in Österreich 33.791 Sachwalterschaften und 1999 bereits 34.804. Dies entspricht einer Steigerung von mehr als 30%, wobei ca 63% von nahestehenden Personen, ca 19% von Rechtsberufen und lediglich etwa 15% von Vereinssachwaltern ausgeübt wurde. (Parlamentarische Anfragenbeantwortung des Justizministers vom Juni 1999.) – Ziel des Sachwalterrechts war eine Verringerung besachwalteter Personen, tatsächlich ist die Tendenz aber stark steigend.
Eine Ursache dieser Entwicklung ist die demoskopische Entwicklung in Österreich; eine andere die fehlende und rigide Personalpolitik in der Altenpflege. Hier besteht dringender Handlungsbedarf! Es müssten Qualitätsstandards in den Heimen, zB durch ein BundesheimvertragsG, geschaffen werden. So regen immer wieder Altenheime für Heimbewohner Sachwalterschaften an, um deren Taschengeld (43 ı / Monat) zu verwalten. Diese Aufgabe müßte aber eigentlich von einer im Heim angestellten Sozialarbeiterin wahrgenommen werden, wozu aber meist die Mittel fehlen. Diese reichen meist nicht einmal für genügend Pflegepersonal. Deshalb der Versuch durch „Sachwalterschaft” Defizite auszugleichen.
Als Grundsatz für Sachwalterbestellungen muss gelten: Nur wenn nach strenger Prüfung der Voraussetzungen kein Zweifel an der Notwendigkeit einer solchen Maßnahme besteht, soll zu dieser Maßnahme gegriffen werden; vgl § 273 Abs 2 ABGB:
Grundsatz für Sachwalterbestellungen
„Die Bestellung eines Sachwalters ist unzulässig, wenn der Betreffende durch andere Hilfe, besonders im Rahmen seiner Familie oder von Einrichtungen der öffentlichen oder privaten Behindertenhilfe, in die Lage versetzt werden kann, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen.”
nach oben
2. Beispiele aus Praxis und Rspr
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1999/11: Voraussetzungen für die Bestellung eines Sachwalters – Der Missbrauch von Alkohol bildet ebenso wie die Verschwendungssucht – im Gegensatz zur Rechtslage bis 1983 – keinen Anlass zum Schutz des Betroffenen einzuschreiten, es sei denn, dass sich aus dem Alkoholmissbrauch ein Indiz für eine psychische Erkrankung ergibt. Ein unschlüssiges, aber nicht absurdes Prozessvorbringen allein indiziert aber noch nicht eine psychische Erkrankung, genauso wenig wie beleidigende Äußerungen. Für einen Querulanten ist nur dann ein Sachwalter zu bestellen, wenn dieser sich durch sein Querulieren selbst Schaden zufügt.
OGH 12. 9. 2002, 6 Ob 218/02f: Ein in Deutschland lebender Österreicher hatte nach deutschem Betreuungsrecht einen Betreuer (= Sachwalter) erhalten. Er übersiedelt idF nach Österreich. – OGH: Der Beschluss des deutschen Gerichts entfaltet in Österreich mangels internationaler, bilateraler oder europarechtlicher Bestimmungen weder automatisch noch durch gerichtliche Anerkennung Wirkung. In Österreich ist ein neuer Sachwalter zu bestellen.
nach oben
3. Gesetzliche Regelung: §§ 269, 273–283 ABGB; §§ 236–252, 266 AußStrG
Oben wurde angeführt, dass Rechtsgeschäfte nur dann gültig geschlossen werden, wenn die beteiligten Parteien geschäftsfähig waren. Dort wurde auch erwähnt, dass auch Rechtsgeschäfte volljähriger Personen ungültig sind, wenn diese, auch ohne unter Sachwalterschaft zu stehen, das Geschäft in einem Zustand abgeschlossen haben, der ihnen ihre Geschäftsfähigkeit genommen hat; § 869 ABGB.
Rechtssprechungsbeispiel
Vgl das Beispiel → Die Handlungsfähigkeit am Anfang: Manisch- depressive Frau tätigt in einer „Hochphase” teure Anschaffungen (Kaufverträge), die sie nicht braucht. Solche Vorfälle werden allerdings idR dazu führen, dass über eine solche Person in der Folge die Sachwalterschaft verhängt wird.
OGH 12. 2. 2002, 5 Ob 22/02z, JBl 2002, 655: Schwer Alkoholkranker und dadurch psychisch beeinträchtigter Mann hebt von seinem Konto über 250.000 S ab; fünf Monate zuvor war ihm ein Sachwalter bestellt worden. Der Verbleib der Gelder kann nicht geklärt werden. Der Sachwalter klagt die Bank auf neuerliche Auszahlung; § 1424 Satz 2 ABGB. – OGH setzt sich mit der Beweislast für den Wegfall der Bereicherung bei Zahlung an einen Geschäftsunfähigen auseinander. OGH wendet nicht § 1298 ABGB an. Die Beweislast für die berechtigte Auszahlung trifft die Bank; für die Frage des Verbleibs des Geldes hingegen den Betroffenen. Er hat zu beweisen, dass das Geld nicht zu seinem Nutzen verwendet wurde. – Beachte die verschiedene Beweislast für verschiedene Beweisthemen.
Was eben ausgeführt wurde muss erst recht gelten, wenn eine Person psychisch oder geistig behindert ist. – Dafür trifft das im ABGB geregelte Sachwalterrecht Vorsorge. Das Gesetz umschreibt die Voraussetzungen einer Sachwalterbestellung folgendermassen:
Gründe der Sachwalterbestellung
„Vermag eine volljährige Person, die an einer Psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist, alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen, so ist ihr auf ihren Antrag oder von Amts wegen dazu ein Sachwalter zu bestellen”; § 273 Abs 1 ABGB.
Die Unterscheidung in § 273 Abs 1 ABGB zwischen „psychischer Krankheit” und „geistiger Behinderung” ist schwierig und weniger ein juristisches, als ein medizinisches Problem.
Dies darf aber nur erfolgen, wenn – wie ausgeführt – andere Abhilfe nicht möglich ist; § 273 Abs 2 Satz 1 ABGB: sog Subsidiarität der Sachwalterbestellung.
Subsidiarität
Die bloße Behauptung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung ist für die Einleitung eines Verfahrens nicht hinreichend. Die Anhaltspunkte müssen vielmehr konkret und begründet sein und haben sich auf die psychische Krankheit oder die geistige Behinderung und die sich daraus ergebende Notwendigkeit der Sachwalterbestellung zum Schutz der betreffenden Person zu beziehen. Fehlen solche Anhaltspunkte, ist ein Verfahren nach § 236 AußStrG nicht einzuleiten. – Das Gesetz (§ 237 AußStrG) verpflichtet den Richter überdies zur persönlichen Anhörung Betroffener; JBl 1999, 332. „Rolle” des Sachwalters
Ein Sachwalter übernimmt rechtlich etwa die Rolle von Eltern oder einem alleinerziehenden Elternteil als gesetzlicher Vertreter; ihm kommt aber auch die Aufgabe zu, bei verpflichtenden Rechtsgeschäften der unter Sachwalterschaft stehenden Person zuzustimmen oder diese zu genehmigen. Er ist gesetzlicher Stellvertreter: → KAPITEL 13: Entstehungsquellen der Vertretungsmacht. – Die Vertretungsmacht des Sachwalters beruht mittelbar auf Gesetz, wird aber unmittelbar richterlich erteilt → KAPITEL 13: Entstehungsquellen der Vertretungsmacht.
Psychisch kranke oder geistig behinderte Personen müssen – das ist eine weitere Voraussetzung für eine Sachwalterbestellung – zudem außerstande sein, „alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen”; § 273 ABGB.
Umfang der Sachwalterschaft
Weiters ist der Sachwalter verpflichtet persönlichen Kontakt mit Betroffenen zu halten und sich darum zu bemühen, die nötige ärztliche und/oder soziale Betreuung zugänglich zumachen; § 282 Abs. 2 ABGB. – Der Sachwalter betreut aber nicht selbst. Die Personensorge räumt dem Sachwalter auch keine Zwangsbefugnisse ein und besteht unabhängig von seinem zu besorgenden allgemeinen Wirkungskreis.
Personensorge
Mit der Novelle zum KindRÄG 2001, wurde der Versuch unternommen, die Personensorge praxisnäher zu gestalten.
Von der Personensorge ist die (ersatzweise) Zustimmung zu einer Heilbehandlung → KAPITEL 10: Partner des Behandlungsvertrags nicht umfasst. Hiezu muss der Sachwalter vom Gericht mittels Beschluss bestellt werden. Eine ersatzweise Zustimmung ist nur möglich, wenn durch medizinisches Gutachten die fehlende Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Betroffenen festgestellt wird und ein weiteres fachärztliches Gutachten die Notwendigkeit der vorzunehmenden Heilbehandlung bejaht. Bei Gefahr in Verzug ist der behandelnde Arzt jedoch verpflichtet, die erforderlichen medizinischen Maßnahmen zu setzten; vgl § 8 KAKuG.
Heilbehandlung
Rechtssprechungsbeispiel
RdM 2002/63: Behandlungszustimmung zu einer Elektrokonvulsivbehandlung durch den Sachwalter – „Die Einwilligung einer Person, die infolge einer psychischen Erkrankung oder geistigen Behinderung nicht in der Lage ist, die Notwendigkeit der Vornahme einer Heilbehandlung und die Bedeutung ihrer Verweigerung frei zu beurteilen, kann durch die Bestellung eines endgültigen oder einstweiligen Sachwalters substituiert werden. Das Gericht hat sich dabei auf die Genehmigung oder Nichtgenehmigung der Einwilligung des Sachwalters zur Heilbehandlung zu beschränken. Dem Gericht kommt die Kompetenz zu, die Einwilligung der betroffenen Person oder des Sachwalters zu ersetzen oder den Eingriff selbst anzuordnen, wobei die Tätigkeit des Sachwalters im Interesse des Betroffenen, also zu dessen Wohl (§ 21 ABGB), zu erfolgen hat. Sie soll möglichst den Willen des Betroffenen verwirklichen. Allerdings darf dies nicht zur einzigen Maxime der Handlung eines Sachwalters werden. [?] Für die Entscheidung eines Sachwalters müssen von der Willensbildung und Willensentscheidung des Betroffenen unabhängige objektive Gründe ausschlaggebend sein. [?] Die Verweigerung der Einwilligung in eine Heilbehandlung (hier Elektroschock) darf nicht allein auf dem widerstrebenden Standpunkt des Betroffenen beruhen, sondern muss durch andere objektivierbare Gründe fundiert sein. Lägen solche Gründe vor, wäre die Enthebung des Sachwalters in Erwägung zu ziehen.” – Diese Ausführungen des OGH überzeugen nicht vollends und fördern wohl eher eine autoritäre Praxis als das am Grundgedanken der Selbstbestimmung orientierte Wohl Betroffener.
Beispiel
Ein weiteres wichtiges Ziel der Reform des Sachwalterrechts bestand von allem Anfang an darin, Sachwalterschaften nicht pauschal und undifferenziert – wie früher im Rahmen der Entmündigung – zu verhängen, sondern sie möglichst konkret an das Maß der jeweiligen Behinderung anzupassen. – Die Reformerwartungen haben sich diesbezüglich aber nicht erfüllt.
Trotz Bemühens des Gesetzgebers, die vom Sachwalter zu besorgenden Angelegenheiten möglichst individuell auf die Bedürfnisse des Betroffenen anzupassen und somit dessen Handlungsfähigkeit möglichst zu erhalten, wurde fast die Hälfte aller Sachwalterschaften für „alle Angelegenheiten” bestellt. – Die Zahlen einer Parlamentarischen Anfragenbeantwortung des Justizministers mit Stichtag 30. 9. 1999 lauten: 22.787 für alle Angelegenheiten; 11.012 für einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten und nur 1.005 für eine Angelegenheit.
Je nach Behinderung sowie Art und Umfang der zu besorgenden Angelegenheiten ist der Sachwalter nach § 273 Abs 3 ABGB zu bestellen für:
Mögliche Aufgabenkreise von Sachwaltern
• Die Besorgung „einzelner Angelegenheiten”; zB Beantragung der Pension, Wohnungsauflösung;
• einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten; zB Einkommens- und Vermögensverwaltung; oder für die Besorgung
„aller Angelegenheiten” einer behinderten Person.
nach oben
4. Was bewirkt die Sachwalterschaft?
Die Sachwalterschaft beschränkt die Geschäftsfähigkeit: Die behinderte Person kann „innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters ohne dessen ausdrückliche, konkludente oder stillschweigende Einwilligung rechtsgeschäftlich weder verfügen [zB jemandem eine Servitut einräumen], noch sich verpflichten” (zB Abschluss eines Kaufvertrags); § 273a Abs 1 ABGB. – Der Sachwalter muss – wie allgemein bei minderjährigen Personen – bei Geschäften, bei denen die behinderte Person Verpflichtungen eingeht, zustimmen oder genehmigen. Ausgenommen sind wiederum kleine Alltagsgeschäfte; § 273a Abs 2 ABGB iVm § 151 Abs 3 ABGB. – Das Gericht kann bestimmen, dass die §§ 151 Abs 2 und 152 ABGB auch bei einer Sachwalterschaft anzuwenden sind.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 13. 11. 2001, 5 Ob 185/01v: Beschränkte Handlungsfähigkeit vor Sachwalterbestellung: „…Bei der zeitlichen Erfassung dieses Zustandes ist … Vorsicht geboten. Gemäß § 17 ABGB wird [auch] die Geschäftsfähigkeit einer Person so lange als bestehend angenommen, als nicht die gesetzmäßige Beschränkung bewiesen ist. … Diese Vermutung, dass jeder erwachsene Mensch voll handlungsfähig ist, aber auch Gründe der Rechtssicherheit gebieten es, die Indizwirkung einer notwendig gewordenen Sachwalterbestellung für eine anzunehmende Beschränkung der Handlungsfähigkeit des Betroffenen in der Regel maximal ein Jahr vor dem Bestellungsakt auszudehnen, sofern nicht konkrete Belege für einen bereits länger anhaltenden Zustand beschränkter Handlungsfähigkeit vorliegen. …”
OGH 29. 11. 2001, 2 Ob 100/01x, EvBl 2002/83: 14jähriger wird bei einem Autounfall schwer verletzt und bleibt idF geistig behindert. Fast 13 Jahre später klagt die Mutter auf Schadenersatz. Der Verjährungseinrede hält sie entgegen, es hätte dem Verletzten ein Sachwalter zur Erhebung der Schadenersatzklage beigegeben werden müssen. Außerdem wendet sie mangelnde Vorhersehbarkeit der Dauerfolgen ein. – OGH entscheidet nicht in der Sache selbst, stellt aber zum ersten Argument klar, dass einer Person erst ab vollendetem 14. Lebensjahr ein Sachwalter bestellt werden kann. Mündige Minderjährige können zudem nur für jene Geschäfte unter Sachwalterschaft gestellt werden, in denen sie selbst rechtswirksam tätig werden könnten; ansonsten haben auf Grund der Familienautonomie und der Eltern-Kind-Beziehung die Eltern ihre Rolle als gesetzliche Vertreter wahrnehmen; Verweis auf legistische Tendenz, die mit KindRÄG 2001 Gesetz wurde. Zum zweiten Argument führt der OGH aus: Treten Dauerfolgen vor Erreichen der Volljährigkeit ein, ist die objektive Kenntnismöglichkeit dem gesetzlichen Vertreter zuzurechnen; treten sie erst danach ein und bedarf der Kläger zu diesem Zeitpunkt eines Sachwalters, ist § 1494 ABGB anzuwenden.
OGH 26.2.2003, 3 Ob 75/02d: Bescheidene Schenkung an den in Not geratenen Sohn der Betroffenen ist möglich, da weder derzeit noch zukünftig der angemessene Unterhalt der Betroffenen gefährdet ist. – OGH erkannte, dass die in § 149 Abs 1 ABGB (iVm § 282 ABGB) eingefügte Einschränkung „sofern das Wohl des Kindes nicht anderes erfordert” (KindRÄG 2001), den Zweck hat, den Grundsatz der Vermögenserhaltung und Vermögensvermehrung flexibel zur „Befriedigung aktueller Bedürfnisse” zu durchbrechen. „Hier wird der Grundsatz Bedürfnis vor Vermögensvermehrung nicht selten das dem Wohl des Pflegebefohlenen Förderlichste sein …[V]or allem älteren Menschen [kann] auch ein vorsichtiger Verbrauch des Vermögens zzum Zweck der Bedürfnisbefriedigung dem Wohl des Betroffenen besser dienen … als eine weitere Vermehrung, wovon letztlich nur die Erben profitieren. Die Erhaltung des Vermögens ist nicht Selbstzweck, sondern am Wohl und Interesse des Betroffenen zu messen.. Diese Abwägung ist einzelfallbezogen.”
OGH 26. 2. 2003, 3 Ob 75/ 02d: Nahe Angehörige haben kein Einsichtsrecht in den Sachwalterschaftsakt, wenn sie nicht ein ausreichendes rechtliches Interesse glaubhaft machen können. Wobei im Sachwalterverfahren besonders sorgfältig zwischen dem Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen einerseits und dem rechtlichen Interesse Dritter abzuwägen ist.
Unter Sachwalterschaft stehende Personen haben das Recht „von beabsichtigten wichtigen Maßnahmen die ihre Person oder ihr Vermögen betreffen vom Sachwalter rechtzeitig verständigt zu werden und sich innerhalb angemessener Frist zu äußern”; § 273 a Abs 3 ABGB.
Verständigungspflicht
Für Eheschließungen bedürfen unter Sachwalterschaft stehende Personen der Zustimmung des Sachwalters, die uU vom Gericht ersetzt werden kann. – Zur einvernehmlichen Scheidung NZ 1996, 339:
Eheschließung – Adoption
”Wer in der in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, bedarf gemäß § 3 Abs 1 EheG zur Eingehung der Ehe – und damit auch zur Erhebung des Scheidungsbegehrens – der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. Die Erklärung des Einvernehmens nach § 55 EheG ist aber Ausübung eines höchstpersönlichen Rechtes, wofür die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Ehegatten erforderlich ist. Fehlt diese Einsicht oder verweigert der Ehegatte das Einvernehmen, so kann letzteres weder durch einen Sachwalter, noch durch das Pflegschaftsgericht ersetzt werden.”
Unter Sachwalterschaft stehende Personen können auch nicht adoptieren; Umkehrschluss aus § 179 Abs 1 ABGB. Vgl die folgende E.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 30. 1. 2002, 7 Ob 328/01p: „Eine Person, die für irgendeine Angelegenheit [?] einen Sachwalter hat, kann nicht adoptieren, weil sie nicht als eigenberechtigt anzusehen ist (§ 179 Abs 1 ABGB e contrario). Auch der Sachwalter gemäß § 273 ABGB kann einen Adoptionsvertrag namens der Vertretenen nicht abschliessen.”
Sie wird – wie erwähnt – durch die Sachwalterschaft nicht berührt; dh Delikte werden zugerechnet, wenn sie von einer unter Sachwalterschaft stehenden Person in zurechnungsfähigem Zustand begangen wurden, sonst nicht.
Deliktsfähigkeit
Rechtssprechungsbeispiel
VwGH 20.9.2000: UVS verurteilt einen besachwalteten, an Debilität leidenden Mann wegen Fahrens eines PKW ohne Lenkerberechtigung und Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Debilität sei lediglich Milderungsgrund. Zurechnungsfähigkeit ist aber unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit. Liegen Indizien in Richtung mangelnder Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit vor, ist die Einholung eines medizinischen SV-Gutachtens notwendig.
LG Innsbruck, 6. 11. 2001: Frau leidet an Schizophrenie mit Fremd- und Selbstgefährdung. Sie verletzt eine Krankenschwester schwer. Keine Bestrafung, sondern Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, da die Frau zum Zeitpunkt der Tat nicht diskretions- und dispositionsfähig war.
Zur Testierfähigkeit: § 568 iVm § 566 ABGB; wie mündige Minderjährige nur mündlich vor Gericht oder einem Notar. – Zur tauglichen Testamentszeugenschaft: § 591 ABGB.
Testierfähigkeit etc
Personen, die unter Sachwalterschaft stehen, behalten ihr aktives und passives Wahlrecht (§ 24 NR-WahlO wurde mit Urteil vom 30.9.1988 durch den VfGH aufgehoben).
Wahlrecht
Sie können nicht beschränkt werden; zB Recht auf persönliche Freiheit, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Wahrung des Briefgeheimnisses etc; vgl oben NZ 1996, 339.
Höchstpersönliche Rechte
Die Fixierung eines dementen Heimbewohners im Altersheim verstößt gegen das BVG zum Schutz der persönlichen Freiheit. – Die Schaffung einer Heimanwaltschaft für Alters- und Pflegeheime wäre zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Heimbewohner sinnvoll. Das UbG ist hier nicht anwendbar → Das Unterbringungsgesetz 1990
Ausdrücklich untersagt wurde nunmehr die (ersatzweise) Zustimmung zur Durchführung einer Sterilisation; § 282 Abs 3 ABGB. Grundsätzlich kann eine Sterilisation nur vorgenommen werden, wenn die einsichts- und urteilsfähige Person dem selbst zustimmt. Eine ersatzweise Zustimmung mit pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung ist nur möglich, wenn die Betroffene nicht einsichts- und urteilsfähig ist und ein dauerhaftes körperliches Leiden vorliegt, das mit Eintritt der Schwangerschaft eine ernste Gefahr für das Leben oder eine schwere Schädigung der Gesundheit bedeuten würde; sog medizinische Indikation.
Sterilisation
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
Zur bisherigen Praxis vgl SZ 50/161 (1977): Vater, der Sachwalter seiner behinderten Tochter ist, befürchtet Schwangerschaft. Diese ist unfähig eine Willenserklärung abzugeben. OGH: Die Einwilligung zur Sterilisation kann durch den gesetzlichen Vertreter mit Zustimmung des Pflegschaftsgerichts ersetzt werden, wenn besondere Umstände den Eingriff rechtfertigen.
nach oben
5. Zur Person des Sachwalters
Zu bestellen ist immer nur ein Sachwalter für eine/n Betroffene/n; eine Aufteilung der Agenden auf zwei Personen ist weder zulässig noch sachgerecht; EvBl 2000/11.
Die Betreuung durch geschulte Personen der Vereinssachwalterschaft garantiert den höchsten Standard und sollte ausgebaut werden. Für die finanzielle Unabhängigkeit desVereins” wäre zu sorgen. Anzustreben wäre ein festes Budget des „Vereins”, das dieser autonom verwaltet. Das würde der Gängelung durch den BMfJ ein Ende setzen.
Vereinssachwalterschaft
• Bei der Bestellung von Sachwaltern ist auf die persönlichen Bedürfnisse Behinderter Bedacht zu nehmen; § 280 ABGB. – Nach § 281 ABGB ist möglichst „eine geeignete, ihr nahestehende Person” zu bestellen; zB beide Elternteile (§ 154 ABGB) oder der Ehegatte, für ältere Personen „die Kinder”. – Der Sachwalter ist zur Verschwiegenheit verpflichtet.
• Sind Rechtskenntnisse erforderlich, ist eine rechtskundige Person (Rechtsanwalt oder Notar) als Sachwalter zu bestellen; § 281 Abs 3 ABGB. – Es stellt einen Missstand dar, dass bspw Rechtsanwälte zu viele Sachwalterschaften (100 und mehr!) übernehmen. Auszubauen wäre statt dessen die Vereinssachwalterschaft.
• § 283 Abs 2 ABGB sieht die Möglichkeit einer sog Vereinssachwalterschaft vor. Damit ist gemeint, dass ein Sachwalterverein, der für die konkrete Betreuung einer behinderten Person eine bei ihm angestellte natürliche Person namhaft macht, als Sachwalter bestellt wird. – Hinsichtlich der Rechte und Pflichten des Sachwalters ist § 282 ABGB zu beachten. Der Sachwalter hat danach die Personensorge, besonders auch die ärztliche und soziale Betreuung zugänglich zu machen (nicht selbst durchzuführen!) und über das Vermögen des Behinderten dem Gericht jährlich Rechnung zu legen; § 282 iVm § 238 und § 150 ABGB.
nach oben
6. Haftung von Sachwaltern
Erleiden Betroffene durch eine Pflichtverletzung des Sachwalters einen Schaden, haftet der Sachwalter nach den Regeln des ABGB und wird schadenersatzpflichtig, wobei wie auch sonst leichte Fahrlässigkeit genügt.
Haftung nach ABGB
Das KindRÄG 2001 sieht aber nunmehr ein Mäßigungsrecht oder den gänzlichen Erlass durch das Gericht vor, wenn es den Sachwalter bei Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Grades des Verschuldens oder eines besonderen Naheverhältnisses unbillig hart träfe. – Auf professionelle Sachwalter, wie Rechtsanwälte, Notare und Vereinssachwalter ist diese Bestimmung aber nicht anzuwenden. Für diese Personen gilt vielmehr die erhöhte Sorgfaltspflicht des § 1299 ABGB: Sachverständigenhaftung.
Mäßigung oder Erlass
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 22. 10. 2001, 1 Ob 197/01d, JBl 2002, 304 = EvBl 2002/42: Gericht bestellt für Betroffenen Sachwalter und verfügt gerichtliche Sparbuchsperre. Sachwalter gibt Betroffenem Sparbuch und teilt ihm das Losungswort mit. Angestellter der Bank übersieht die Sperre und zahlt über 300.000 S aus. – OGH: Schadenersatz ist hier nach allgemeinem Schadenersatzrecht und nicht nach AHG zu prüfen, da in concreto der Sachwalter eigenverantwortlich handelte. Der Sachwalter haftet aber nicht für den der Bank entstandenen Schaden, weil Eigenverschulden vorliegt.
nach oben
7. Entgeltlichkeit
Soweit die Lebensbedürfnisse des Betroffenen nicht gefährdet sind, kann das Gericht dem Sachwalter für seine Tätigkeit eine Entschädigung oder bei besonderen beruflichen Kenntnissen ein Entgelt zusprechen. Weiters kann ihm Aufwandersatz, wie Porto etc, zuerkannt werden. – Damit wurde mit dem KindRÄG 2001 der bisher bestehende Grundsatz der Unentgeltlichkeit beseitigt.
Dies ist in der Praxis vor allem dann problematisch, wenn Betroffene die Sachwalterschaft als massive persönliche Einschränkung sehen, für die sie jetzt auch noch bezahlen müssen.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 22. 10. 2001, 1Ob 298/00f, JBl 2002, 308: Pflegschaftsgericht genehmigt Rechtsanwalt als Sachwalter jährlichen Belohnungsanspruch. Die unter Sachwalterschaft stehende Frau erhebt Schadenersatzklage nach AHG gegen den Bund (als Rechtsträger des Gerichtes) wegen Ermessensüberschreitung. – Die Bestimmung der Belohnung des Sachwalters obliegt dem pflichtgemäßen Ermessen der Gerichts; eine unrichtige, jedoch vertretbare Rechtsauffassung begründet keinen Amtshaftungsanspruch.
nach oben
8. Beendigung der Sachwalterschaft
Die Sachwalterschaft endet mit dem Tod der behinderten Person (§ 283 ABGB); beim Tod des Sachwalters ist vom Gericht ein neuer zu bestellen. – Bedarf der Behinderte keiner Hilfe mehr (Wegfall des Verhängunggrundes), ist der Sachwalter auf Antrag oder von Amts wegen zu entheben; § 283 Abs 2 ABGB.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 28. 6. 2001, 2 Ob 271/00t, JBl 2002, 42: Nach einem Autounfall mit Kopfverletzungen wird der Verletzte psychisch krank sodass ihm ein Sachwalter bestellt wird. Nach seinem Tod – über 4 Jahre nach dem Unfall – bringen seine Erben eine Schadenersatzklage nach § 1325 ABGB ein. Beklagter wendet Verjährung ein. – OGH: Die Ablaufhemmung gem § 1494 ABGB greift ein, wenn die psychische Erkrankung oder geistige Behinderung zumindest von solcher Art ist, dass deswegen zur Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen ein Sachwalter zu bestellen wäre. Dies gilt auch in dem Fall, dass ein Sachwalter bestellt wurde, dieser aber keine angemessenen Vertretungshandlungen gesetzt hat. (Vgl auch EvBl 2000/2.)
OGH 7. 8. 2002, 7 Ob 81/02s, JBl 2003, 306: Rechtsanwalt ist Sachwalter eines an paranoiden Persönlichkeitsstörungen leidenden Mannes und beantragt Enthebung, da der Betreute ihn immer wieder der Unfähigkeit bezichtigt und zwischen den beiden Feindschaft bestehe. – OGH prüft, ob Rechtsanwalt eine „besonders geeignete Person” iSd § 189 Abs 2 ABGB sei und ob ein Fall der „Unzumutbarkeit” vorliege. OGH hält Rechtsanwälte generell für „besonders geeignete Personen”, was in dieser Allgemeinheit wohl anzuzweifeln ist. Weiters qualifiziert der OGH – was konsequent ist – die konkrete Tätigkeit als „unzumutbar”. – Auszubauen wäre in Österreich die Vereinssachwalterschaft, da nur diese Institution wirklich adäquate Voraussetzungen für die Betreuung des hier betroffenen Personenkreises erfüllt. Allein die Tatsache, dass Anwälte 100 und mehr Sachwalterschaften übernehmen, zeigt die Fehlentwicklung in Österreich drastisch auf. – OGH stellt interessante Überlegungen zu intertemporalen Rechtsfragen an.
nach oben
9. Verfahren
Das Sachwalterbestellungsverfahren ist in den §§ 236–248 AußStrG, die Rechtsmittel (Rekurs und außerordentlicher Revisionsrekurs) gegen die Sachwalterbestellung in den §§ 249, 250 AußStrG geregelt.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 12. 2. 2002, 5 Ob 22/02z, JBl 2002, 655: Schwer Alkoholkranker und dadurch psychisch beeinträchtigter Mann hebt von seinem Konto über 250.000 S ab; fünf Monate zuvor war ihm ein Sachwalter bestellt worden. Der Verbleib der Gelder kann nicht geklärt werden. Der Sachwalter klagt die Bank auf neuerliche Auszahlung; § 1424 Satz 2 ABGB. – OGH setzt sich mit der Beweislast für den Wegfall der Bereicherung bei Zahlung an einen Geschäftsunfähigen auseinander. OGH wendet nicht § 1298 ABGB an. Die Beweislast für die berechtigte Auszahlung trifft die Bank; für die Frage des Verbleibs des Geldes hingegen den Betroffenen. – Beachte die verschiedene Beweislast für verschiedene Beweisthemen.


Alte Menschen in West- und Mitteleuropa
Abbildung 4.21:
Alte Menschen in West- und Mitteleuropa
nach oben
V. Das Unterbringungsgesetz 1990
Von Elisabeth Villotti
Literaturquelle
1. Entstehung
Die Aufnahme psychisch kranker Personen in eine – wie es früher hieß – „Irrenanstalt”, wurde in Österreich erstmals durch die Entmündigungsordnung 1916 (RGBl 207) gesetzlich geregelt; später kamen Bestimmungen des KAG, BGBl 1957/1 dazu, die bspw die Tätigkeit der Organe der Sicherheitsbehörden und der ärztlichen Dienste bei der Aufnahme in eine „Krankenanstalt für Geisteskrankheiten” (§§ 49-54) regelten. Die EntmO 1916 war ein – damals – modernes Gesetz; sie unterschied zwischen voller (= Gleichstellung mit Kindern unter 7 Jahren) und beschränkter Entmündigung (= Gleichstellung mit mündigen Minderjährigen ab 14 Jahren). – Das UbG 1990, BGBl 155 fasst zusammen, bringt diesen Bereich auf den neuesten rechtlichen und medizinischen Stand und betont insbesondere den wichtigen Persönlichkeitsschutz psychisch Kranker. Das heißt natürlich noch nicht, dass in der Praxis deswegen alles schon zum besten stünde! Der Widerstand der Medizin gegen dieses Gesetz ist – nach wie vor – groß und offenbart geringes Verständnis für existentielle und zugleich sensible rechtliche wie menschliche Probleme. Das UbG ist am 1.1.1991 in Kraft getreten.
Rechtsgeschichte
nach oben
2. Ziele des Gesetzes
• Schutz der Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker;
• Verstärkung eines kompensatorischen Rechtsschutz (bedürfniss)es untergebrachter Kranker;
• Zurückdrängen von Zwang und
Kontrolle der ärztlichen Tätigkeit.
nach oben
3. Wichtige Bestimmungen des UbG
(1) Die Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker, die in eine Krankenanstalt aufgenommen werden, sind besonders zu schützen. Die Menschenwürde psychisch Kranker ist unter allen Umständen zu achten und zu wahren.
§ 1: Schutz der Persönlichkeitsrechte
(2) Beschränkungen von Persönlichkeitsrechten sind nur zulässig, soweit sie im Verfassungsrecht, in diesem Bundesgesetz oder in anderen gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich vorgesehen sind.”
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 23. 1. 2002, 9 Ob 3/02k, RdM 2002/62: Ein mit Zustimmung [?] des Patienten erfolgter Transport in eine andere psychiatrische Anstalt kann nicht als unzulässiger Eingriff in dessen Persönlichkeitsrechte angesehen werden, auch wenn die Zustimmung über Anraten eines Arztes erteilt wird.
„Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten für Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie (im folgenden Anstalt), in denen Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden (im folgenden Unterbringung).”
Geltungsbereich: § 2
Das UbG gilt nicht in Alten- und Pflegeheimen etc → Zur Person des Sachwalters Der VfGH hat mit Erk vom 28. 6. 2003, G 208,/02-16, entschieden, dass der Bund für die Regelung von Freiheitsbeschränkungen in Pflegeheimen zzuständig ist. Dem war ein langwieriger Kompetenzkonflikt zwischen Bund und Ländern vorausgegangen. Um die Lebensqualität für alte und behinderte Menschen in Pflegeheimen und sonstigen Einrichtungen zu verbessern, müssen im gesamten Bundesgebiet einheitliche Voraussetzungen für Freiheitsbeschränkungen gelten.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 71/10 (1998): Nach der Rspr des VwGH ist eine in eine Anstalt eingelieferte Person in die Anstalt „aufgenommen”, sobald sie durch Anstaltspersonal Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen wird. Dies gelte unabhängig davon, ob die nach § 10 Abs 1 UbG unverzüglich zu erstellenden ärztlichen Zeugnisse auch tatsächlich erstellt wurden und der Aufnahmevorgang damit rechtmäßig war. Der OGH hat die Auffassung des VwGH seiner E 2 Ob 25/97h ausdrücklich gebilligt; an ihr ist auch weiterhin festzuhalten; vgl auch Barta/Ganner (Hg), Alter, Recht und Gesellschaft 183.
„In einer Anstalt darf nur untergebracht werden, wer
§ 3: Voraussetzungen der Unterbringung
1. an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und
2. nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann.”
Rechtssprechungsbeispiel
RdM 1999, 89 ff und VwGH 27. 11. 2001, 2000/ 11/0320, RdM 2003/49: Unterbringung ohne Verlangen – Begründungspflicht des Amtsarztes: „… Das im § 3 Z 1 UbG enthaltene Erfordernis, dass das Leben oder die Gesundheit des psychisch Kranken oder anderer ‚ernstlich’ gefährdet sein müssen, bedeutet, dass ein hohes Mass der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes gegeben sein muss. Eine bloss vage Möglichkeit einer Selbst- oder Fremdgefährdung reicht nicht aus … Die ernstliche Gefährdung muss – ebenso wie die weiteren Unterbringungsvoraussetzungen (insbesondere die psychische Krankheit, das Fehlen der Behandlungs-und Betreuungsmöglichkeit außerhalb einer Anstalt) – in der vom Arzt gem. § 8 UbG ausgestellten Bescheinigung begründet werden. Die im § 8 zweiter Satz UbG normierte Begründungspflicht soll die Nachvollziehbarkeit der Bescheinigung sicherstellen und damit deren Überprüfung ermöglichen. Ein blosses Ankreuzen formularhafter Bescheinigungen genügt dem Begründungserfordernis nicht. Es ist insbesondere festzuhalten, aus welchem Verhalten und welchen medizinischen Zustandsbildern sich die psychische Krankheit erschliessen lässt, worin die ernstliche und erhebliche Gefährdung besteht und welche Alternativen geprüft bzw. kontaktiert wurden.”
OGH 7 Ob 590/91, 4 Ob 542/91, 8 Ob 593/91: Geistige Behinderung führt nicht zur Unterbringung, außer es liegen im Zeitpunkt der Unterbringungsentscheidung Symptome einer psychischen Erkrankung vor.
LGZ Wien , 29. 6. 1996: „Die Unterbringung psychisch Kranker wegen bloßer Behandlungsbedürftigkei t oder Verwahrlosungsgefahr ist ebenso wenig zulässig wie eine Unterbringung als „Maßnahme der Fürsorge”. Behandlungsbedürftigkeit kann eine Unterbringung erst dann rechtfertigen, wenn sie zu einer besonders schweren und ernstlichen Gefährdung der Gesundheit führt .... Die mit einer Unterbringung verbundenen Beschränkungen der Persönlichkeitsrechte dürfen im Verhältnis zu der aus der Krankheit drohenden Gefahr nicht unangemessen sein.”
LG Salzburg 5. 3. 1997, 21 R 66/97w: Die bloß vage Möglichkeit einer Selbst- und Fremdgefährdung ist für eine Unterbringung nicht ausreichend.
SZ 68/117, OGH 6 Ob 546/95: Es müssen vielmehr konkrete Gefährdungen vorliegen. Ein Fall der Selbstgefährdung liegt bei anorexia nervosa (Magersucht) vor, wenn die Verweigerung der Nahrungsaufnahme auf psychogene, rational nicht erklärbare Ursachen zurückzuführen ist und periodisch immer wieder eine völlige Uneinsichtigkeit des Patienten in die Krankheit auftritt. In diesem Fall handelt es sich um eine psychische Erkrankung.
OGH 27. 2. 2001, 1 Ob 251/oov: Fremdgefährdung liegt auch vor, wenn ein selbstmordgefährdeter, aggresiver Mann Rettungspersonal mit dem Umbringen bedroht
„(1) Eine Person, bei der die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen, darf auf eigenes Verlangen untergebracht werden, wenn sie den Grund und die Bedeutung der Unterbringung einzusehen und ihren Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen vermag.
§ 4: Unterbringung auf Verlangen
(2) Das Verlangen muss vor der Aufnahme eigenhändig schriftlich gestellt werden. Dies hat in Gegenwart des mit der Führung der Abteilung betrauten Arztes oder seines Vertreters (im folgenden Abteilungsleiter) sowie eines weiteren Facharztes für Psychiatrie und Neurologie oder für Neurologie und Psychiatrie (im folgenden Facharzt) zu geschehen.
(3) Das Verlangen kann jederzeit, auch schlüssig, widerrufen werden. Auf dieses Recht hat der Abteilungsleiter den Aufnahmewerber vor der Aufnahme hinzuweisen. Ein Verzicht auf das Recht des Widerrufs ist unwirksam.”
Sachwalterschaft|Regelt die Unterbringung unter Sachwalterschaft stehender Personen.
„Die Unterbringung auf Verlangen darf nur sechs Wochen, auf erneutes Verlangen aber insgesamt längstens zehn Wochen dauern; für das erneute Verlangen gelten die §§ 3 bis 6 sinngemäß. Eine Verlängerung der Unterbringung über diese Frist hinaus ist nicht zulässig.”
„Eine Person darf gegen oder ohne ihren Willen nur dann in eine Anstalt gebracht werden, wenn ein im öffentlichen Sanitätsdienst stehender Arzt oder ein Polizeiarzt sie untersucht und bescheinigt, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen. In der Bescheinigung sind im einzelnen die Gründe anzuführen, aus denen der Arzt die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachtet.”
Rechtssprechungsbeispiel
OGH, 1 Ob 251/00v 27. 2. 2001. In der gem. § 8 UbG zu erstellenden Bescheinigung ist unbedingt zu erörtern, ob und welche Alternativen zur Unterbringung bestünden”.
VwGH 8. 8. 2002, 99/11/0327, RdM 2002/50: Unterbringung ohne Verlangen – Fesseln durch Sicherheitskräfte zulässig? Das Anlegen von Handschellen durch Sicherheitskräfte im Rahmen einer Amtshandlung ist nur gerechtfertigt, wenn sie „unbedingt” erforderlich ist; mwH.
„(1) Zur Besorgung der nach diesem Bundesgesetz dem Gericht übertragenen Aufgaben ist das Bezirksgericht zuständig, in dessen Sprengel die Anstalt liegt. Dies gilt auch bei Kranken, hinsichtlich deren ein Pflegschaftsverfahren bei einem anderen Gericht anhängig ist.
§ 12: Zuständigkeit des Gerichtes und Verfahren
(2) Das Gericht entscheidet im Verfahren außer Streitsachen.”
Zur Vertretung des Kranken werden Patientenanwälte bestellt.
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 2000/96: §§ 14 Abs 1 und 33 ff UbG – Umfang der Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts: Der Patientenanwalt ist bei der Unterbringung ohne Verlangen nicht auf die Wahrnehmung der Rechte nach den §§ 33 bis 39 UbG beschränkt. Seine Vertretungsbefugnis umfasst auch andere subjektive Rechte, die dem Kranken nach sonstigen Bestimmungen zustehen (zB Grundrechte). Die Vertretungsbefugnis ist aber auch auf die Wahrnehmung solcher Rechte zu beschränken, die mit der Unterbringung in einem unmittelbaren und typischen Zusammenhang stehen.
Über den Begriff Patientenanwaltschaft herrscht – woran der Bundes- und einzelne Landesgesetzgeber nicht unschuldig sind, Verwirrung. Obwohl das (Bundes)Gesetz diesen Begriff für das UbG reservierte, wird er regelmäßig mit der Patientenvertretung nach dem KAKuG und den Ld-KAG vermengt; Überblick: Persönlichkeitsrechte → Persönlichkeitsrechte – Überblick
Patientenanwaltschaft
Darüber hinaus regelt das UbG zahlreiche weitere Detailfragen, wie: §§ 19, 20 (Anhörung des Kranken); Verfahrensregeln (§§ 22 ff); § 33 (Beschränkung der Bewegungsfreiheit); § 34 (Verkehr mit der Außenwelt); §§ 35 ff (ärztliche Behandlung); § 39 (Einsicht in die Krankengeschichte) etc.


Alten- und Pflegeheime (1)
Abbildung 4.22:
Alten- und Pflegeheime (1)


Alten- und Pflegeheime (2)
Abbildung 4.23:
Alten- und Pflegeheime (2)
nach oben
4. GES-Kartei
Mit der Nov zum UbG 1997 wurde die sog „GES-Kartei” (Geisteskranken-Kartei), in der bisher ohne gesetzliche Grundlage polizeiliche Daten über Personen gesammelt wurden, die zwangsweise in die Psychiatrie gebracht worden waren, erstmals gesetzlich geregelt. Diese Aufzeichnungen mussten bis Ende 1997 vernichtet werden.
Vgl. § 57 Sicherheitspolizeigesetz (SPG): Demnach ist die Sammlung von Daten über eine Person gestattet, die einen gefährlichen Angriff begangen hat und zu befürchten ist, sie werde im Falle einer gegen sie geführten Amtshandlung einen gefährlichen Angriff gegen Leib und Gesundheit oder Freiheit begehen. Dabei ist eine gerichtliche Verurteilung ebenso wenig notwendig wie Strafmündigkeit des Betroffenen; sog „Gefährdungsdatei”.
nach oben
5. Haftungsfragen
Rechtssprechungsbeispiel
Ein eindringliches Beispiel enthält JBl 1999, 325: Amtshaftung wegen Entweichenlassens eines gefährlichen Geisteskranken, der in der Folge zur Wohnung seiner Eltern zurückkehrt und diese in Brand setzt.
Zur Amtshaftung → KAPITEL 12: Die Amtshaftung ¿ AHG 1948. Zur Obsorge über anvertraute Personen iSd § 1309 ABGB → KAPITEL 10: Aufsichtspflichtverletzung.
nach oben
B. Die juristische Person
Literaturquelle
Die Bedeutung juristischer Personen in modernen Gesellschaften ist enorm. Sie liegt nicht nur im Bereich der Wirtschaft, sondern auch im Eröffnen der Möglichkeit, vielfältige kulturelle Zwecke – man denke nur an das Vereins- oder Stiftungswesen – durch Personenmehrheiten oder organisierte Vermögensmassen autonom verfolgen zu können.
Bedeutung
Der Entwicklungsweg zur juristischen Person lehrt uns den Gedanken verfolgen, dass durch diese Rechtsschöpfung das schwache Wollen und Vermögen des Einzelnen rechtlich gestärkt und an seine Stelle ein potenter/er Gemeinwille treten soll, der vom schwankenden Einzelwillen und -vermögen unabhängig ist. Das geht so weit, dass auch der Tod einzelner natürlicher Personen dem so entwickelten juristischen Gebilde nichts mehr anhaben kann. Es hat sich auch von seinen Gründern gelöst und führt ein rechtliches Eigenleben. An die Stelle des individuellen (rechtlichen) Handelns tritt in der Entwicklung das kollektive (Gemeinwille), das als Garant von Stärke, Ausdauer und als eine Art von Unsterblichkeit verstanden werden kann. – Dazu kommt, dass durch das „Abschotten” der Haftung das Privatvermögen geschützt werden kann; Trennungsprinzip bei der Schuldenhaftung.
Entwicklung
Dagegen spricht nicht die erst sehr junge Umkehrung dieser Entwicklung: nämlich die Möglichkeit der Einpersonengesellschaft → Einpersonengesellschaft? Tiefenpsychologisch ist in solchen Zusammenschlüssen sowohl der Versuch zu erkennen, der Vereinzelung (und der damit oft verbundenen ICH-Schwäche) zu entgehen; also eine dionysische Tendenz, wie auf der anderen Seite eine appollinische Tendenz mit dem Ziel aktiver Lebensform und Lebensbeherrschung. Mit anderen Worten: Die nüchterne Rechtsform der juristischen Person vereint in ihren konstruktiven Tiefenschichten Elemente von Eros und Thanatos iS Sigmund Freuds. In der Bildung von rechtlicher Gemeinschaft und Vereinigung liegt ein Mittel gegen Zerstreuung, Vereinzelung, Untergang, Auflösung, Schwäche und Tod.
Eros und Thanatos


Ausdifferenzierung der Rechtspersönlichkeit: Von der natürlichen zur juristischen Person
Abbildung 4.24:
Ausdifferenzierung der Rechtspersönlichkeit: Von der natürlichen zur juristischen Person
Die theoretische Auseinandersetzung um die juristische Person ist bis heute nicht zur Ruhe gekommen. Strittig ist dabei insbesondere die Grenzziehung zwischen (voll entwickelter) juristischer Person und rechtlichen Gebilden, denen eine eigene Rechtsfähigkeit (bislang) fehlt (insbesondere OHG und KG, aber auch GesbR → KAPITEL 12: Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts), die aber doch schon manches können, was sonst nur juristische Personen vermögen. Man nennt sie daher auch quasijuristische Personen. Sie sind teilrechtsfähig; vgl § 124 HGB: OHG. Vgl nunmehr auch die sog Erwerbsgesellschaften: OEG und KEG.
Theoretische Auseinandersetzung
I. Allgemeines
1. Zur Entwicklungsgeschichte
Die Einsicht, dass nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen eine eigene volle Rechtspersönlichkeit – nach dem Vorbild der natürlichen Person – besitzen, ist alt, bereitete der Rechtswissenschaft aber noch im 19. Jhd und später (in vielen Einzelfragen) Probleme; vgl aber schon § 26 ABGB. – Erklärungsversuche waren lange zu umständlich und schwerfällig. Dabei hat es derartige Rechtsgebilde früh gegeben, zumal der öffentliche Zusammenschluss von Menschen nach einer solchen Rechtsform verlangte (Staatsentstehung) und auch der Haus- oder Sippenverband derart organisiert war.
Literaturquelle
Zu den ältesten selbständigen Rechtsgebilden dieser Art zählten die Verwandtschaftsverbände, Dörfer, Städte / Polis (in Griechenland) und schließlich auch der Staat. – Man sprach ihnen die Fähigkeit zu, Verträge zu schließen, Eigentum zu erwerben und die Gerichte anzurufen. Das Vorbild für die Rechtsfähigkeit juristischer Verbindungen aller Art war aber allemal der Mensch, die natürliche Person; vgl § 26 ABGB. – Schwierigkeiten bereitete das juristische Ausdifferenzieren des Gebildes juristische Person. Schritte zum heutigen Verständnis waren folgende „Theorien”:
„Theorien“
Die Theorie der fingierten Rechtsperson (Fiktionstheorie): Danach fingiert das Recht bloß die Rechtsfähigkeit der juristischen Person, behandelt diese nur so wie eine natürliche Person, ohne sie dieser aber grundsätzlich gleichzustellen. – Kurz: Man tut rechtlich nur so, als besitze die juristische Person eigene Rechtspersönlichkeit. Diese Theorie, die auf Innozenz III (Papst von 1198-1216) zurückgeht, wurde noch im 19. Jhd vertreten und C.F.v. Savigny (1779-1861) und G.F. Puchta (1798-1846) tragen sie „ganz unbefangen” vor; vgl Eugen Ehrlich.
Nach G.W.F. Hegel (1770-1831) ist der Staat „ein Abstractum, der seine selbst nur allgemeine Realität in den Bürgern hat, aber er ist wirklich …”; Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte 92 (Reclam UB 4881, 1997). Man kann von einer Repräsentantentheorie Hegels sprechen. Rechtlich besteht danach aber kein Zweifel, dass der Staat (und seine Erscheinungsformen) eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist.
Hegel
Theorie des subjektlosen Zweckvermögens (Brinz: 1820-1887): Brinz deckte die (bis dahin nicht bewusste) Fiktion auf, meinte aber, es sei nicht nötig, dass ein (Rechts)Subjekt als Träger des Vermögens vorhanden sei. Das Vermögen werde nicht durch die Rechtsperson, sondern einen bestimmten „Zweck” zusammengehalten. So gehöre das Vermögen einer Gemeinde nicht einem oder mehreren Menschen, sondern es gehöre niemandem, werde aber durch seinen Zweck, dem es gewidmet sei, zusammengehalten.
Brinz
Auf Brinz folgt die Interessentheorie Rudolph v. Iherings (1818-1892): Recht ist für Ihering das durch Klage geschützte (wirtschaftliche) Interesse. Rechtssubjekt sei der, dem ein subjektives Recht zustehe. Bei der juristischen Person meinte Ihering nicht, diese selbst sei Rechtssubjekt, sondern die Menschen, denen das Vermögen der juristischen Person gehöre und denen sie Vorteile bringe. Seine Lehre wird daher auch als Genießertheorie bezeichnet, weil er meinte die eigentlichen Rechtsträger seien die Mitglieder, die Genießer der juristischen Person.
Ihering
Schließlich formuliert Otto v. Gierke (1841-1921) die germanistische Theorie der realen Verbandsperson: Für Gierke sind das Rechtssubjekt bei juristischen Personen nicht die einzelnen Menschen, sondern Menschengruppen, soziale Organismen, sei es eine Stadt, eine Gemeinde, der Staat oder Vereine. Die ältesten Rechtspersonen dieser Art seien Familie und Sippe. Er betont aber bereits, dass die juristische Person „wirkliche Person” mit eigenem Willen sei und soziale Realität besitze.
Gierke
Die Synthese Eugen Ehrlichs (1862-1922): „Alle vier [Theorien] haben recht. Jede von ihnen hat eine bestimmte Seite beleuchtet, blieb aber einseitig.” – Ehrlich betont neben der eigenen Rechtspersönlichkeit der juristischen Person (wie wir sie noch heute verstehen), dass es darum gehe, das Vermögen der juristischen Person seinem Zwecke nicht zu entfremden; dies entspricht der aus dem angloamerikanischen Recht stammenden ultra vires-Lehre, wonach Organe juristischer Personen die juristische Person nur dann gültig verpflichten können, wenn sie korrekt, also statutengemäß handeln; dazu mehr bei Gschnitzer, AT2 291.
Ehrlich
Heute betrachten wir folgende Kriterien als Kennzeichen einer (vollausgereiften) juristischen Person:
Moderne Kriterien
• Die Fähigkeit selbständiger (gemeinsamer) Interessenverfolgung → Juristische Person: Mittel zweckmäßiger Interessenverfolgung
• Das Vorhandensein von Organen (→ Die juristische Person handelt durch Organe ), und zwar solcher
• Schließlich das Trennungsprinzip bei der (Schulden)Haftung → Haftung und → Haftungsfreistellung der Mitglieder
nach oben
2. Gleichstellung mit natürlichen Personen
Wir haben gehört, dass der Mensch als Rechtsperson Träger von Rechten und Pflichten ist. – Neben dem Menschen, der natürlichenPerson, gibt es aber noch eine andere Erscheinungsform der Rechtsperson, die ebenfalls Träger von Rechten und Pflichten, also rechtsfähig ist: die juristische Person, die früher auch als moralische Person bezeichnet wurde. Dieser juristischen Person weist die Rechtsordnung, konkret § 26 ABGB, idR „gleiche Rechte mit den einzelnen Personen”, also natürlichen Personen, zu. „IdR” meint: Die rechtliche Gleichstellung von natürlichen und juristischen Personen ist eine weitgehende, wo immer sinnvolle, wenn auch keine vollständige.
Das liegt in der Natur der Sache: Denn juristische Personen können bspw nicht Träger von Familienrechten sein und sie können weder im natürlichen Sinne sterben (Tod), noch etwas (aktiv) vererben, wohl aber (passiv) erben. Die Auflösung einer juristischen Person wird aber wie der Tod einer physischen Person behandelt (GH 1930, 231). Wie weit auf der anderen Seite die Gleichstellung geht, zeigt etwa der Umstand, dass auch juristischen Personen Persönlichkeitsrechte (§ 16 ABGB) zustehen; so haben ein Verein oder eine GmbH zB eine (wirtschaftliche) Ehre, die sie gegen unberechtigte Angriffe verteidigen können; § 1330 ABGB → KAPITEL 10: Zivilrechtlicher Schutz der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes: § 1330 ABGB. Auch ihr Name (Firma: §§ 17 ff HGB) ist geschützt und sie sind uU Träger von Urheber(persönlichkeits)-, Patent- oder Markenrechten. Soweit nötig steht juristischen Personen auch der verfassungsrechtliche Grundrechtsschutz zu; zB Gleichheit vor dem Gesetz oder Unverletzlichkeit des Eigentums → Grundrechte und Privatrecht
Juristische Personen als Rechts-Träger
nach oben
3. Wie entstehen juristische Personen?
Nicht alle juristischen Personen entstehen auf die gleiche Weise. Juristische Personen des öffentlichen Rechts entstehen durch Gesetz oder Verordnung, bei juristischen Personen des Privatrechts sind zwei Rechtsakte zu unterscheiden:
Zwei Rechtsakte
• Ein privatrechtlicher (Gründungs)Akt; etwa der Gesellschaftsvertrag bei einer Gesellschaftsgründung oder die „Gründungsvereinbarung nach dem neuen VereinsG (§ 2 Abs 1); und
• ein öffentlichrechtlicher Anerkennungsakt.
Auf diesen öffentlichrechtlichen Anerkennungsakt gelangen – je nach Art der juristischen Person – folgende Gründungssysteme zur Anwendung gelangen:
Gründungssysteme
• Das Konzessionssystem: Die Entstehung der juristischen Person ist an eine konstitutive, also rechtsbegründende behördliche Genehmigung gebunden. Hier besteht kein Anspruch auf Verleihung der Rechtsfähigkeit. – Dieses System fand bis Ende 1999 Anwendung auf sog Wirtschaftsvereine, also solche, die auf Gewinn gerichtet waren; Beispiel: Vereinspatent 1852.
Vgl dazu § 2 VereinsG 1951: „Vereine und Gesellschaften, welche auf Gewinn berechnet sind, dann alle Vereine für Bank- und Kreditgeschäfte sowie Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, Sparkassen und Pfandleihanstalten sind von der Wirksamkeit dieses Gesetzes ausgenommen und unterliegen den besonderen für sie bestehenden Gesetzen.” – Zu diesen Sondergesetzen neben dem Vereinspatent 1852 gehören etwa das AktienG 1965 (BGBl 98) oder für politische Parteien das ParteienG 1975 (BGBl 404): § 1 ParteienG sichert durch eine Verfassungsbestimmung die Freiheit der Gründung von und die Beteiligung an politischen Parteien. Die Rechtsfähigkeit einer politischen Partei entsteht mit Hinterlegung der Satzung beim BMfJ; § 1 Abs 4 ParteienG. – So ist wohl auch das Entstehen von Vereinen zu verstehen: Erwerb der Rechtsfähigkeit mit Hinterlegung der Bildungsanzeige und einem ab diesem Zeitpunkt bestehendem Untersagungsrecht des Staates.
• Das Normativsystem: Die beabsichtigte Gründung (einer juristischen Person) muss hier angezeigt werden. Sind aber die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, besteht ein Rechtsanspruch auf Zuerkennung der Rechtspersönlichkeit. Auch hier ist der staatliche Gründungsakt konstitutiv, dh die juristische Person erlangt erst durch ihn Rechtspersönlichkeit. – Anwendung findet das Normativsystem auf: Kapitalgesellschaften, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Sie erlangen heute Rechtspersönlichkeit durch Eintragung ins Firmenbuch.
Beispiel
• Das Anzeige- oder Anmeldesystem: Es gilt für sog ideelle, d.s. nicht auf Gewinn gerichtete, Vereine. Rechtsgrundlage ist nunmehr das VereinsG 2002. Inhaltlich liegt das Anmeldesystem zwischen dem Normativsystem und dem System freier Bildung juristischer Personen. – Das Gesetz schreibt vor, was in den Statuten zu regeln ist. Es genügt derzeit, dass gewisse Mindesterfordernisse geregelt werden. Das „Wie” bleibt den Gründern überlassen. Behördliche Anmeldung des Gründungsaktes ist aber erforderlich. Die (Vereins)Behörde nach § 13 Abs 1 VereinsG innerhalb von 4 (längstens 6) Wochen die Vereinsbildung untersagen, wenn der Vereinszweck oder die Vereinseinrichtungen gesetz- oder rechtswidrig sind; zB staatsfeindliche Tätigkeit. – Bei Nichtvorliegen einer Gesetz- oder Sittenwidrigkeit kann die Behörde vor Ablauf der 4 (6) Wochenfrist den Verein auch ausdrücklich zur Aufnahme seiner Tätigkeit auffordern; § 13 Abs VereinsG.
Streitig ist hier, wann die juristische Person entsteht; schon durch den gültigen privatrechtlichen Gründungsakt oder erst durch den öffentlichrechtlichen Anerkennungsakt? – Sinnvollerweise ist davon auszugehen, dass der positive öffentlichrechtliche Anerkennungsakt den privatrechtlichen Gründungsakt rückwirkend bestätigt oder versagt.
Mehr zum Verein → Der Verein
System der freien Bildung juristischer Personen: Danach entsteht die juristische Person nicht durch einen öffentlichrechtlichen Akt, sondern ausschließlich durch privatrechtlichen Gründungsakt. In Österreich gelangt dieses System bislang nicht zur Anwendung; str. – Realistisch sollte anerkannt werden, dass ein staatliches Kontroll- und Untersagungsrecht bestehen muss.
nach oben
4. Selbständige rechtliche Existenz
Die juristische Person besitzt Rechtsfähigkeit und führt eine selbständige rechtliche Existenz; sie ist eine eigene Rechtsperson mit eigenen Rechten (zB der X-Verein ist grundbücherlicher Eigentümer der Liegenschaft Y) und Pflichten (zB Schulden) und von den natürlichen Personen, die ihr angehören (zB Vereinsmitgliedern) oder die für sie handeln (Organe), rechtlich unabhängig.
Dies zeigt sich deutlich daran, dass die juristische Person fortbesteht, auch wenn die ihr angehörenden natürlichen Personen – zB die Vereinsmitglieder oder GmbH-Gesellschafter – wechseln. Bei einem „normalen” Verein treten neue Mitglieder bei, andere scheiden – aus welchen Gründen auch immer – aus. Von diesem (personellen) Wechsel bleibt die juristische Person unberührt, was zeigt, dass sie im Vergleich zu einem unorganisierten und rechtlich nicht koordinierten Zusammenwirken von Einzelpersonen eine deutlich höhere Bestandskraft erlangt. – Man sagt, die juristische Person sei auf Dauer angelegt, wozu ihre Organisation beiträgt.
Beispiel
Die Universitäten waren in Österreich bislang keine voll ausgebildeten juristischen Personen, besaßen aber als unselbständige Anstalten Teilrechtsfähigkeit. Das hat sich mit dem UG 2002, BGBl I 120 geändert; sog Vollrechtsfähigkeit. Als juristische Personen des öffentlichen Rechts sind sie nunmehr voll geschäftsfähig und können alle Arten von Verträgen schließen sowie Vereine, Stiftungen oder Gesellschaften gründen. Neu geregelt hat das UG 2002 auch die Rahmenbedingungen für Vereinbarungen der Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit.
Universitäten
Die Vereinsgründung ist zivilrechtlich ein Vertrag; freilich nicht nur ein zweiseitiges, sondern idR ein mehrseitiges Rechtsgeschäft; dazu → KAPITEL 5: Einteilung nach ihrer Entstehung. Das gilt auch für die Gründung einer GmbH oder AG; vgl § 26 Satz 1 ABGB: „Die Rechte der Mitglieder einer erlaubten Gesellschaft unter sich werden durch den Vertrag ... bestimmt.”
Vereinsgründung


Privatrechtliche Gesellschaftsformen
Abbildung 4.25:
Privatrechtliche Gesellschaftsformen
nach oben
5. Haftung
Wir müssen die juristische Person strikt von den Menschen trennen, die ihr angehören; ihren Mitgliedern und Organen. Das ist für die Frage der Haftung von größter Bedeutung: Für Verbindlichkeiten / Schulden der juristischen Person haftet nämlich grundsätzlich nurdie juristische Person und nicht etwa auch die natürlichen Personen, die ihr angehören; zB die Vereinsmitglieder, Aktionäre, GmbH-Gesellschafter oder ihre Organe. – Das bereitet immer wieder Verständnisschwierigkeiten.
Vgl nunmehr § 24 VereinsG 2002: „(1) Verletzt ein Mitglied eines Vereinsorgans unter Missachtung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Organwalters seine gesetzlichen oder statutarischen Pflichten oder rechtmäßige Beschlüsse eines zuständigen Vereinsorgans, so haftet es dem Verein für den daraus entstandenen Schaden nach den §§ 1293 ff ABGB; dies gilt sinngemäß auch für Rechnungsprüfer. Bei der Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabs ist eine Unentgeltlichkeit der Tätigkeit zu berücksichtigen. Vereinsmitglieder sind in ihrer Eigenschaft als Teilnehmer der Mitgliederversammlung keine Organwalter.
(2) Organwalter können insbesondere schadenersatzpflichtig werden, wenn sie schuldhaft 1. Vereinsvermögen zweckwidrig verwendet, 2. Vereinsvorhaben ohne ausreichende finanzielle Sicherung in Angriff genommen, 3. ihre Verpflichtungen betreffend das Finanz- und Rechnungswesen des Vereins missachtet, 4. die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vereinsvermögen nicht rechtzeitig beantragt, 5. im Fall der Auflösung des Vereins dessen Abwicklung behindert oder vereitelt oder 6. ein Verhalten, das Schadenersatzpflichten des Vereins gegenüber Vereinsmitgliedern oder Dritten ausgelöst hat, gesetzt haben.
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn die Handlung auf einem seinem Inhalt nach gesetzmäßigen und ordnungsgemäß zustande gekommenen Beschluss eines zur Entscheidung statutengemäß zuständigen Vereinsorgans beruht. Die Ersatzpflicht entfällt jedoch nicht, wenn der Organwalter dieses Vereinsorgan irregeführt hat.
(4) Für Rechnungsprüfer gelten die Haftungshöchstgrenzen des § 275 Abs. 2 HGB sinngemäß.”
Als Faustregel lässt sich festhalten: Die Schulden der juristischen Person sind nicht die Schulden ihrer Mitglieder und (!) – umgekehrt – die Schulden ihrer Mitglieder sind (erst recht) nicht die Schulden der juristischen Person.
Faustregel
Vgl schon das römische Recht: Ulpian D. 3, 4, 7, 1: Si quid universitati debetur, singulis non debetur: nec quod debet universitas singuli debent.
Beispiel
nach oben
6. Die juristische Person handelt durch Organe
Eines unterscheidet die juristische Person grundlegend von der natürlichen Person: sie kann für sich selbst nicht handeln, weil sie – trotz ihres realen rechtlichen Daseins – dennoch bloß ein rechtliches Kunstgebilde ist, dem zunächst nur eine „papieren-rechtliche” Existenz zukommt.
Aber auch in diesem Punkt lassen sich Parallelen zur natürlichen Person feststellen. Auch natürliche Personen können trotz ab der Geburt verliehener Rechtsfähigkeit zB erst ab einem gewissen Alter rechtlich selbständig gültig handeln; Altersstufen der Geschäftsfähigkeit. Bis dorthin handeln zB die Eltern oder die Mutter (kurz: der gesetzliche Vertreter) für das Kind oder müssen doch für gewisse Geschäfte ihre Zustimmung geben. Die natürliche Person ist zwar von Geburt an rechtsfähig, aber noch nicht handlungsfähig. Bei juristischen Personen bleibt „dieser” – für natürliche Personen transitorische – Zustand gleichsam bestehen.
Parallelen zur natürlichen Person
Man sagt – und das ist für das Verständnis unserer Rechtsfigur von Bedeutung – die juristische Person handle durch ihre Organe.
Organhandeln
Organe bestehen aus einer oder mehreren (natürlichen!) Person/en, die kraft Satzung oder Statut der juristischen Person für diese handeln und sie durch ihr Handeln (unmittelbar) berechtigen und/oder verpflichten können.
Organe juristischer Personen haben bestimmte Aufgaben wahrzunehmen; zB prüfen die Rechnungsprüfer des Vereins die Vereinsgebarung, der Vorstand (nach neuer Diktion = Leitungsorgan) leitet den Verein. – Dieses Handeln der Organe hat zur Folge, dass die Rechtsfolgen unmittelbar und direkt die juristische Person selbst treffen und nicht etwa das handelnde Organ (etwa den Geschäftsführer einer GmbH) oder sonst jemanden; etwa gar ein einfaches Vereinsmitglied.
Beispiel
Juristische Personen entwickeln also ein dem Menschen vergleichbares Eigenleben, das „bewusste” wie „unbewusste” Seiten besitzt.
Literaturquelle
Mitglieder juristischer Personen können sowohl natürliche wie juristische Personen (!) sein; das ist nicht mit der Organbestellung zu verwechseln! – Ist eine juristische Person aber Mitglied einer anderen juristischen Person, kann sie in dieser (als juristischer Person) keine Organrolle übernehmen.
Mitglieder
Beispiel


Organtypen juristischer Personen
Abbildung 4.26:
Organtypen juristischer Personen
Die Organe juristischer Personen weisen – bei unterschiedlicher Bezeichnung in den einzelnen Gesetzen (VereinsG 1951, GmbHG 1906, AktG 1965, GenG 1873, PSG 1993) – typologisch eine Dreiteilung auf, wobei dem jeweiligen Organtypus unterschiedliche Aufgaben / Kompetenzen zugewiesen sind. Wir unterscheiden:
Organtypen und Organaufgaben
Ein Leitungsorgan (zB Vereinsvorstand, Vereinsobmann; GeschäftsführerIn einer GmbH; Vorstand einer AG oder Genossenschaft).
Kompetenz: Geschäftsführung (nach innen) + Vertretung (nach außen).
Beispiel
Das Leitungsorgan muss nunmehr nach § 5 Abs 3 VereinsG aus mindestens zwei natürlichen Personen bestehen. Man spricht dann von Kollektivorgan und Kollektivvertretung.
Nach § 17 Abs 3 PSG „ ... sind sämtliche Mitglieder des Stiftungsvorstands nur gemeinschaftlich zur Abgabe von Willenserklärungen und zur Zeichnung für Privatstiftungen befugt.” Vgl auch § 18 Abs 2 GmbHG – Zur Abgabe von Willenserklärungen gegenüber juristischen Personen genügt es idR, dass diese – bei Kollektivvertretung – gegenüber einem Mitglied (zB des Vorstands) abgegeben werden; so ausdrücklich § 17 Abs 3 Satz 3 PSG.
• Ein Kontrollorgan (zB Rechnungsprüfer des Vereins; Aufsichtsrat einer GmbH, AG und Genossenschaft).
Kompetenz: Kontrolle, Überprüfung der gesamten Tätigkeit des Leitungsorgans.
• Und ein Basisorgan, dem sämtliche Mitglieder / Gesellschafter / Aktionäre einer juristischen Person angehören; beim Verein die Mitgliederversammlung, bei der GmbH die Generalversammlung, bei der AG die Hauptversammlung der Aktionäre.
Kompetenz: Bestellung der anderen Organe.
Daneben gibt es bei einzelnen juristischen Personen noch Sonderorgane, wie beim Verein das „Vereins-Schiedsgericht”.
Die Organbestellung erfolgt typischerweise von unten nach oben; dh bspw:
Organbestellung
• Beim Verein (→ Der Verein) wählt das Basisorgan (= Mitgliederversammlung) die anderen Vereinsorgane; also den/die Vorstand(smitglieder) und ein allfälliges Aufsichtsorgan sowie die Rechnungsprüfer; Schiedsgericht je nach Statutenregelung.
• Bei der GmbH bestellt die Generalversammlung den / die Geschäftsführer/in und kann diese auch jederzeit abberufen sowie (bindende) Weisungen erteilen. – Auch die Wahl, Entsendung und Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern erfolgt – allerdings nur zu 2/3 der Mitglieder – durch Gesellschafterbeschluss, 1/3 der Mitglieder wird vom Betriebsrat entsandt; Arbeitnehmervertreter. Die Wahl eines/r Aufsichtsratsvorsitzenden (samt Vertretern) erfolgt entweder durch die Generalversammlung oder den Aufsichtsrat selbst. – Die Bestellung eines Aufsichtsrates bei der GmbH ist nicht obligatorisch, sondern hängt von ihrer „Größe” ab; § 29 GmbHG.
Die betriebliche Mitbestimmung – geregelt im ArbeitsverfassungsG 1974 – wird vielfach noch nicht richtig verstanden und daher zu wenig geschätzt und genützt. Sie gehört daher adaptiert und ausgebaut.


Organbestellung bei juristischen Personen
Abbildung 4.27:
Organbestellung bei juristischen Personen
Diese Unterscheidung meint:
Selbstorganschaft – Fremdorganschaft
• Von Selbstorganschaft wird gesprochen, wenn die jeweilige juristische (oder quasijuristische) Person ihre Organe mit Mitgliedern aus ihrer Mitte bestellt. Das ist typisch für Vereine.
• Bei Kapitalgesellschaften dagegen kommt häufig die Fremd- oder Drittorganschaft vor; dh: Nichtgesellschafter werden zu Organträgern bestellt. Die Kapitalgesellschaft holt sich auf diese Weise (best)qualifiziertes Personal zur Verfolgung ihrer Zwecke.
nach oben
7. Zur Rechts- und Handlungsfähigkeit
Juristische Personen sind rechtsfähig – dh sie selbst sind Träger eigener Rechte und Pflichten. Sie sind aber auch handlungsfähig (also geschäfts- und deliktsfähig); dh sie können durch „eigenes” Handeln Rechte und Pflichten erwerben, aber auch zivilrechtliche Delikte begehen! Juristische Personen können auch Besitz erwerben und ersitzen → KAPITEL 13: Die Ersitzung.
Verliehen wird die Rechtsfähigkeit juristischen Personen von der Rechtsordnung; vgl § 26 ABGB, der zwischen „erlaubten” und „unerlaubten” Gesellschaften unterscheidet und unerlaubten Gesellschaften (zB solchen die „offenbar der [Staats]Sicherheit, öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten widerstreiten”) die Rechtsfähigkeit abspricht:
§ 26 ABGB
„Unerlaubte Gesellschaften haben als solche keine Rechte, weder gegen die Mitglieder, noch gegen andere, und sie sind unfähig, Rechte zu erwerben.”
Von dieser Möglichkeit macht die Rspr bisher kaum Gebrauch! Freilich ließe sich das sog Durchgriffsrecht (→ Haftung und → Haftungsfreistellung der Mitglieder) auch damit – sogar spezifisch österreichisch – begründen.
§ 879 ABGB Das ABGB von 1811 erwähnte die Sittenwidrigkeit nur in § 26. § 879 ABGB aF führte nur beispielhaft ungültige Verträge und Abs 2 des § 879 wurde erst durch die III. TN (1916) eingefügt.
Gewerbeberechtigung Nach § 9 GewO können juristische Personen ein Gewerbe ausüben. Sie müssen jedoch einen „Geschäftsführer oder Pächter” bestellen. – § 11 Abs 1 GewO:
Gewerbeberechtigung
„Die Gewerbeberechtigung einer juristischen Person endigt, wenn die juristische Person untergeht.”
Literaturquelle
Nicht alle Rechtsgebilde, zu denen sich (mehrere) Menschen zusammenschließen, sind juristische Personen. Manchen dieser Gebilde fehlt die (eigene) Rechtsfähigkeit, was zur Folge hat, dass nicht dieses Gebilde selbst zum Träger von Rechten und Pflichten wird, sondern es nur die einzelnen zusammenwirkenden natürlichen Personen sind. – Beispiele für solche Gebilde, denen keine eigene oder doch nach hA keine voll entwickelte Rechtspersönlichkeit zukommt, sind:
Nicht jede „Gesellschaft” ist eine juristische Person
• Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts / GesbR (§§ 1175 ff ABGB) und als Beispiel für sie die ARGE (Arbeitsgemeinschaft) → KAPITEL 12: Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts.
ARGE
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 2000/84 – lässt es mittlerweile aber zu, dass zwischen dem Gesellschafter einer GesbR und der Gesellschaft ein Bestandvertrag zustande kommt; und der dtBGH gewährte dieser Rechtsform aus Praktikabilitätsgründen sogar Prozessfähigkeit: BGH II ZR 331/00, 29.1.2001.
Zur Erstreckung der Deliktshaftung auf die GesbR durch den OGH → Auch Personengesellschaften haften: EvBl 2000/84.
OHG / Offene Handelsgesellschaft: §§ 105 ff HGB;
OHG, KG etc
KG / Kommanditgesellschaft: §§ 161 ff HGB;
• die Stille Gesellschaft (§§ 178 ff HGB) oder
• die Erwerbsgesellschaften nach dem ErwerbsgesellschaftenG (EGG) 1990, nämlich O(ffene)EG und K(ommandit)EG. – § 3 Abs 1 ÄrzteG 1998 (BGBl I 169) bestimmt nunmehr in seiner novellierten Fassung, dass die selbständige Ausübung des ärztlichen Berufs auch in der Rechtsform der Gruppenpraxis als eingetragene Erwerbsgesellschaft zulässig ist.
Die Personengesellschaften (insbesondere OHG und KG) werden als Quasi-juristische Personen bezeichnet, weil sie kraft besonderer gesetzlicher Anordnung (§ 124 HGB) rechtlich schon „sehr viel können”, was sonst eigentlich nur juristische Personen können, in der Haftung aber das Trennungsprinzip nicht (voll) verwirklicht haben.
Quasi-juristische Personen
Für das Handeln von Personen(handels)gesellschaften gilt der Grundsatz der Einstimmigkeit, doch kann der Gesellschaftsvertrag auch Mehrheitsentscheidungen zulassen, wobei die „Mehrheit” grundsätzlich nach Köpfen, aber auch nach Kapitalanteilen berechnet werden kann; auch andere Verteilungsschlüssel sind erlaubt. (Beachte den Unterschied zum Mit- und Wohnungseigentum, wo die Mehrheit nach rechnerischen Anteilen bestimmt wird! → KAPITEL 8: Eigentumsformen und → KAPITEL 8: Wohnungseigentum: WEG 2002) – Die Höhe des Kapitalanteils bestimmt demnach nicht unbedingt die tatsächliche Verfügungsmacht in einer Personengesellschaft, zumal die Herrschaftsrechte bei personalistisch organisierten Handelsgesellschaften durch Gesellschaftsvertrag frei gestaltet werden können. Das Know-How einer Person kann höher bewertet werden, als ihre Kapitaleinlage.
Handeln von Personengesellschaften
Das Gesellschaftsvermögen von Personenhandelsgesellschaften, also insbesondere von OHG und KG, steht – heute unbestritten – im Gesamthandeigentum (→ KAPITEL 8: Gesamt(hand)eigentum) aller Gesellschafter; Art 7 Nr 9 EVHGB spricht von „gemeinschaftlichem Vermögen”. Dieses Vermögen wird den Gesellschaftern als Sondervermögen derart zugeordnet, dass diese nur gemeinsam darüber verfügen können. Der einzelne Gesellschafter kann also nicht wie bei ideellem Miteigentum (→ KAPITEL 8: Schlichtes oder ideelles Miteigentum) allein über seinen Anteil / Bruchteil verfügen und kann insbesondere nicht Teilung verlangen; Art 7 Nr 10 EVHGB. Während früher sogar bestritten wurde, dass es Anteile am Gesellschaftsvermögen von Personenhandelsgesellschaften gibt, unterscheidet man heute zwischen: – Anteil(en) am Gesellschaftsvermögen als Ganzem und – Anteil(en) an einzelnen Gegenständen des Gesellschaftsvermögens; vgl Art 7 Nr 10 Abs 1 EVHGB. – Der einzelne Gesellschafter ist also gesamthänderischer Miteigentümer der Sachen, Mitgläubiger der (Gesellschafts)Forderungen und Mitinhaber sonstiger Rechte des Gesellschaftsvermögens. – Einem ausscheidenden Gesamthänder verbleibt nur ein schuldrechtlicher Abfindungsanspruch.
Zur Geschäftsfähigkeit von Gemeinden im Rahmen von Vertragsschlüssen Privater mit der öffentlichen Hand → Geschäftsfähigkeit von Gemeinden
Geschäftsfähigkeit von Gemeinden


Geschäftsfähigkeit von Gemeinden: § 867 ABGB
Abbildung 4.28:
Geschäftsfähigkeit von Gemeinden: § 867 ABGB
Der sog ruhende Nachlass / die Verlassenschaft / hereditas iacens (also das Vermögen Verstorbener vom Tod bis zur Einantwortung) wird nach hA als eine Art juristische Person angesehen; freilich nur als transitorische, also zeitlich begrenzte, da mit Einantwortung (gerichtliche Einweisung ins Erbe → KAPITEL 17: Einweisung in die Erbschaft ¿ Das Verlassenschaftsverfahren ) der Nachlass ins Eigentum des/der Erben übergeht; vgl GlUNF 6774 (1914) oder EvBl 1960/350.
Ruhende Nachlass
Ähnliches gilt für das sog Sammelvermögen; vgl Ehrenzweig I/12, 200. Insgesamt erscheint aber manche der hier anstehenden Fragen noch nicht voll durchdacht. – Eine gesetzliche Regelung erschiene wegen der praktischen Bedeutung dieses Bereichs wünschenswert.
Sammelvermögen
Bei Sammlungen aller Art (sei es von Gütern / Sachen und insbesondere Geld) stellt sich immer wieder die Frage: „Gehört” das Gesammelte (anteilig) noch den Spendern? (Wohl kaum! Und oft lässt sich gar nicht mehr feststellen, wer, wie viel gespendet hat. Eine Lösung in manchen Fällen könnte es aber sein, bis zur Zweckerreichung noch Miteigentum der Spender anzunehmen und bis zur sachgemäßen Verwendung der Spenden eine Mengenvindikation zuzulassen. Bei Einzahlung mit Erlagschein, Sammellisten oder sonst in nachvollziehbarer Weise getätigten Spenden, erscheint dies als gangbarer Weg.) Oder gehen die Spenden gleich ins Vermögen der Sammler über? Das Gesammelte kann aber wohl idR auch nicht als Privatvermögen der Sammler betrachtet werden, weshalb es oft vorzuziehen ist, ein selbständiges (zweckgebundenes) Sammelvermögen oder auch treuhändisches (Gesamthand)Eigentum der Sammler anzunehmen. – Und was soll gelten, wenn zB der Zweck einer Sammlung – bspw die Errichtung des geplanten Denkmals oder eine Entwicklungshilfeaktion – nicht erreicht wird? Gschnitzer (AT1 95) nimmt in solchen Fällen fiduziarisches / treuhändisches Eigentum der Sammler mit Zweckbindung an. Das erscheint für manche Fälle sachgerecht.
Schwierigkeiten bereitet bei der Beurteilung des Sammelvermögens aber uU sein vorübergehender / transitorischer Charakter, zumal häufig ein dauerhafter Zweck fehlt. Allein das gilt auch für den ruhenden Nachlass. – Im Zweifel sollte das Sammelvermögen daher als eine Art – wenn auch nur transitorische – juristische Person betrachtet werden. (Zu seiner „Erklärung” bietet sich die „Theorie” des subjektlosen Zweckvermögens von Brinz an → KAPITEL 4: ¿Theorien¿ ). Bei Verfehlen des Sammlungszwecks wäre daher das Sammelvermögen, falls (wie regelmäßig) kein Ersatzzweck bestimmt wurde – analog zum Vereinsrecht (§ 30 bs 2 VereinsG)– für einen möglichst verwandten oder gemeinnützigen Zweck zu verwenden. Für allfällige Schulden, die im Zusammenhang mit der Sammlung stehen, haften die Sammler grundsätzlich persönlich und anteilig, allenfalls sogar solidarisch; Gschnitzer, aaO und SZ 8/138 (1926): Haftung der Mitglieder eines Interessentenausschusses (Kommité) oder SZ 52/109 (1979): Solidarische Haftung der Mitglieder einer Straßenbau ARGE als GesbR.
In Österreich existieren übers Jahr verteilt ca 500 größere Spendeninitiativen. Auskünfte beim Österreichischen Institut für Spendenwesen (ÖIS); Internetadresse: http://www.spendeninstitut.at/. Das Institut führt eine Statistik, wofür und wieviel die Österreicher spenden: Kinder, Behinderte, Tiere, Umwelt, Hunger in der Welt etc. Diskutiert wird die Einführung eines Gütesiegels für Spendenorganisationen, das es in anderen Ländern schon gibt, um Missbräuche einzuschränken. – Gespendet und gesammelt wird für einmalige Zwecke (zB Wohltätigkeitsveranstaltungen), wie in der Form ganzjähriger Aufrufe, die idR von juristischen Personen getragen werden; zB Caritas oder Aidshilfe. Beispiele für ganzjährige Spendenaufrufe: ‚Nachbar in Not’ (PSK-KNr 7600111), ‚SOS-Kinderdorf’ (PSK-KNr 2390000), ‚Menschen für Menschen’ (PSK-KNr 7199000), ‚Amnesty International’ (PSK-KNr 1030000), ‚Aidshilfe’ (BA-KNr 24011553400), ‚Volkshilfe Österreich’ (PSK-KNr 1740400), ‚CARE Österreich’ (PSK-KNr 1236000) etc.
Hinter Sammelaktivitäten stehen häufig juristische Personen; zB Amnesty International, UNICEF-Kinderhilfswerk, Caritas, Volkshilfe. Das kontinuierlich sich durch Spenden verändernde Sammelvermögen erwirbt hier die juristische Person, die auch über die gespendeten Beträge – wenngleich häufig zweckgebunden – Verfügungsberechtigung erlangt. Nicht selten wird in solchen Fällen eine Schenkung (unter Auflage → KAPITEL 3: Arten der Schenkung) der jeweiligen Verwendung – zB Erdbebenopfer – anzunehmen sein. Das bei bestimmten Sammelaktionen hereinkommende Vermögen wird häufig als treuhändisches Vermögen (zB mit Anderkontenführungspflicht) anzusehen sein.
nach oben
II. Warum gibt es juristische Personen?
1. Juristische Person: Mittel zweckmäßiger Interessenverfolgung
Juristische Personen dienen einer zweckmäßigen Rechts- und Interessenverfolgung; sei es, dass mehrere Personen eine politische Partei gründen wollen oder einen Fußballklub oder – seltener – einen Kulturverein; sei es, dass sie gemeinsame wirtschaftliche Ziele verfolgen und ihr Vermögen, das allein dafür nicht ausreicht, zusammenlegen, um eine GmbH oder AG zu gründen. – Die Rechtsordnung verleiht seit alters her all diesen Gebilden und Zielsetzungen bei Einhaltung der von ihr aufgestellten Regeln aus rechts­technischen und -praktischen Überlegungen heraus ihre Unterstützung; dh sie verleiht Rechtsfähigkeit.
Diese rechtlich verliehene Fähigkeit zu effizienter Selbstorganisation ist ein wichtiger Anwendungsbereich des privatrechtlich fundamentalen Prinzips der Privatautonomie → KAPITEL 5: Vertragsfreiheit und Privatautonomie.
Dies hat ua dazu geführt, dass bestimmten Rechtsgebilden von der Rechtsordnung nur Teilrechtsfähigkeit verliehen wurde; so kann zB die OHG (und damit auch die KG) Liegenschaftseigentum erwerben und unter ihrem Namen klagen und beklagt werden (§ 124 HGB), obwohl sie keine juristische Person ist.
Teilrechtsfähigkeit
Teilrechtsfähig waren lange auch die Universitäten als Körperschaften öffentlichen Rechts.
In anderer Hinsicht – und das wird heute für die Annahme einer juristischen Person für wesentlich gehalten, nämlich der Ausgestaltung ihrer Haftung, zeigt sich, dass die OHG keine juristische Person ist. Bei ihr haften nämlich die Gesellschafter für Gesellschaftsschulden auch persönlich mit ihrem ganzen (Privat)Vermögen und nicht nur die Gesellschaft. – Die klare Trennung der Haftung zwischen juristischer Person und ihren Mitgliedern ist also etwas für die Annahme einer juristischen Person wichtiges und charakteristisches; sog Trennungsprinzip.
Haftung
Beispiel
nach oben
2. Haftungsfreistellung der Mitglieder
Literaturquelle
Ein anderer – attraktiver – Grund sich der Rechtsform einer juristischen Person (insbesondere der GmbH, aber auch eines Vereins) zu bedienen ist die damit einhergehende grundsätzliche Haftungsfreistellung der Mitglieder der juristischen Person und bei der GmbH zusätzlich die beschränkte Haftung der Gesellschaft selbst; sie heißt eben nicht zufällig Gesellschaft mit beschränkter Haftung; vgl dazu aber die folgenden Ausführungen.
Bei einer juristischen Person haftet nämlich – wie wir schon gehört haben – grundsätzlich nur diese selbst für Gesellschaftsschulden und nicht etwa die natürlichen Personen oder Organe, die ihr angehören; Trennungsprinzip. Nur ausnahmsweise, nämlich bei Missbrauch dieser Rechtsform, kann auf die hinter der juristischen Person stehenden – Missbrauch treibenden – Gesellschafter / Mitglieder „durchgegriffen” werden; sog Haftungsdurchgriff.
Trennungsprinzip – Nur ausnahmsweise: Haftungsdurchgriff
Dieser – gesetzlich bislang nicht geregelte und von der österreichischen Rspr nur selten angewendete – Haftungsdurchgriff bildet eine Art Notventil, wenn die Rechtsform einer juristischen Person missbräuchlich (insbesondere zur Gläubigerschädigung) verwendet wird. Dadurch wird den – andernfalls leer ausgehenden – Gläubigern ausnahmsweise doch Zugang, eben ein „Durchgriff” auf das gesamte (also auch private!) Vermögen der Gesellschafter eingeräumt. – In den USA wird anschaulich von „piercing the corporate veil” gesprochen. Man lässt in schwerwiegenden Missbrauchs- oder Umgehungsfällen Gesellschafter von Kapitalgesellschaften in entsprechender Anwendung der §§ 105 und 128 HGB wie OHG-Gesellschafter haften; vgl etwa dtBGHZ 22, 226 (230) und 95, 330 (Autokran). Für Österreich vgl Jabornegg, Die Lehre vom Durchgriff, WBl 1989, 1 und 43 sowie Gschnitzer, AT 337 (19922) uH auf § 26 ABGB und darauf, dass es einen Haftungsdurchgriff auch bei natürlichen Personen (Strohmann!) gibt.
piercing the corporate veil
Rechtssprechungsbeispiel
ecolex 1992, 707: Unter Durchgriffshaftung (besser: Haftungsdurchgriff) wird die private Zusatzhaftung von Verbandsmitgliedern für Schulden der Verbandsperson verstanden. Aus Anlass der Haftungserstrekkung wird der mit der selbständigen Rechtsperson verbundene Schutzschild der Haftungsbeschränkung zur Seite geschoben, sodass Gesellschaftsgläubiger zusätzlich die Mitglieder der Gesellschaft persönlich mit ihrem Privatvermögen in Anspruch nehmen können.
Durch die Gründung einer juristischen Person schränkt man also das eigene Risiko ein, schließt Haftung aus; genauer: vermeidet eigene persönliche Haftung. Im Falle einer Exekution oder eines Konkurses haftet dann zB nur das (Gesamt)Vermögen der GmbH, nicht aber das Privatvermögen der Gesellschafter für die Schulden. – Man spricht in diesem Zusammenhang neben dem Trennungsprinzip auch von einem Haftungsprivileg zugunsten der Gesellschafter und Organe juristischer Personen.
Haftungsprivileg
Gesellschafter haften bei juristischen Personen – jedenfalls nicht bei GmbH und AG – auch nicht mit ihrer getätigten „Einlage”, da diese ins Eigentum der juristischen Person übergeht und gar nicht mehr im Vermögen der Gesellschafter steht. Gesellschafter haben vielmehr in Bezug auf eine getätigte Einlage nur einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Gesellschaft. (Der Unterschied zwischen Schuld- und Sachenrecht wird hier deutlich.) – Nicht zu verwechseln damit ist, dass Gesellschafter uU einen Vermögensverlust erleiden, wenn die juristische Person Schulden macht und in Konkurs geht, da sie ihr Geld in die Gesellschaft „gesteckt” haben.
Wem gehört die Einlage?
Die Bezeichnung GmbH / Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist insofern (leicht) irreführend, als sie für ihre Schulden mit ihrem jeweiligen Gesamtvermögen haftet; dh insofern (als Rechtsperson) unbeschränkt. Berechtigt ist die Bezeichnung „beschränkte Haftung” aber insofern, als das Publikum damit gewarnt werden soll, dass das Gesetz nur ein Mindeststammkapital von 35.000 ı (500.000 S) vorschreibt; dh: es muss nicht mehr Vermögen als dieser Betrag (als Haftungsgrundlage) vorhanden sein! Das gilt es bei Rechtsgeschäften mit GmbH’s zu bedenken.
Bezeichnung GmbH
Nach § 10 Abs 3 GmbHG ist für die Eintragung einer neu gegründeten GmbH ins Firmenbuch die schriftliche Bestätigung eines Kreditinstituts nötig, dass die Stammeinlage tatsächlich bar (!) einbezahlt wurde und sich in der freien Verfügung der Geschäftsführer befindet. – Die Bank haftet Dritten (im Außenverhältnis) für die Richtigkeit dieser Bestätigung.
Stammeinlage
Auch in Bezug auf die Haftung von Gesellschaftern kann die Bezeichnung GmbH leicht zu Unklarheiten führen. Daher soll festgehalten werden: Gesellschafter haften für Gesellschaftsschulden weder beschränkt, noch unbeschränkt, sondern überhaupt nicht! Gesellschafter besitzen im Rahmen ihres obligatorischen Mitgliedschaftsrechts an der Gesellschaft bloß einen sog Wertanteil am jeweiligen Gesellschaftsvermögen. Über einzelne Bestandteile des Gesellschaftsvermögens kann ein Gesellschafter nicht direkt, sondern nur im Rahmen seines Mitgliedschaftsrechts verfügen. Der Umfang dieser Verfügungsrechte richtet sich dabei grundsätzlich nach der Größe des Wertanteils am Gesellschaftsvermögen. Das „Stimmgewicht” der Aktionäre (§ 114 Abs 1 AktG) und GmbH-Gesellschafter (§ 39 Abs 2 GmbHG) bestimmt sich daher grundsätzlich nach dem Nennwert ihres Kapitalanteils. Durch Gesellschaftsvertrag (vgl § 39 Abs 2 GmbHG) können aber abweichende Regelungen getroffen werden!
Wertanteil
Das erfolgt bspw durch den Syndikatsvertrag, durch den die Ausübung des Stimmrechts in (Kapital)Gesellschaften geregelt werden kann. Der Syndikatsvertrag ist eine zulässige und uU sinnvolle Ergänzung des Gesellschaftsvertrags. Bindungswidrig abgegebene Stimmen sind aber wirksam und berechtigen grundsätzlich nicht zur Anfechtung des auf solche Art zustande gekommenen Beschlusses; EvBl 2000/23.
Syndikatsvertrag
Literaturquelle
Das zur Haftung juristischer Personen allgemein Ausgeführte gilt auch für ihre Organe. Auch sie haften für Gesellschaftsschulden nicht. – Davon zu unterscheiden ist, wenn ein Organ gesetz-, statuten- oder vertragswidrig handelt und dadurch der juristischen Person – sei es ein Verein (§ 24 VereinsG 2002) oder eine GmbH – Schaden zufügt. Der juristischen Person steht in diesem Fall ein zivilrechtlicher Schadenersatzanspruch gegen das schuldtragende Organ zu. Ähnliches gilt bei Verstößen gegen das Strafrecht, nur steht hier der Strafanspruch dem Staate zu. Organe können also unter den allgemeinen Voraussetzungen (persönlich) strafrechtlich belangt werden; zB grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen, Veruntreuung, Diebstahl etc.
Organe haften nicht für Gesellschaftsschhulden
Immer schärfer stellt sich eine rechtspolitische und rechtsphilosophische Frage, nämlich die, ob nur Menschen, also natürliche Personen, oder auch ihre Organisationen, also auch juristische Personen, Adressaten staatlicher und moralischer Normen, insbesondere von Strafvorschriften sein können. Die Meinungen (im Strafrecht) gehen bisher auseinander. Eine strafrechtliche Verantwortung juristischer Personen existiert bisher in Österreich und Deutschland bislang nicht oder nur in ersten Ansätzen; nach § 30 des dtOrdnungswidrigkeitenG (das entspricht unserem VStG 1925) kann nunmehr aber auch eine juristische Person bußgeldpflichtig werden. (Auch die USA und Canada kennen eine Strafbarkeit juristischer Personen.) Nur der Mensch als natürliche Person ist bislang Adressat des österreichischen Strafrechts. Strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können bisher immer nur jene Menschen / Organe juristischer Personen, die für die juristische Person handeln. – Nur in Ausnahmefällen haftet eine juristische Person / Unternehmen zB für eine Geldstrafe, zu der ein Organ wegen einer strafbaren Handlung verurteilt wurde, die es im Zusammenhang mit der Unternehmenstätigkeit begangen hat; zB nach § 35 MedienG. Überlegt wird aber mittlerweile auch ein ”Abschöpfen” deliktisch erlangter Gewinne juristischer Personen, um das organisierte Verbrechen effektiver bekämpfen zu können. – Das österreichische Strafrecht und Verwaltungsstrafrecht hinkt hier der rechtlichen Entwicklung hinterher. – An die grundsätzliche zivilrechtliche Gleichstellung natürlicher und juristischer Personen schon nach § 26 ABGB (1811!) ist daher zu erinnern.
Strafrechtliche Verantwortung juristischer Personen?
Rechtssprechungsbeispiel
ZAS 2001, 152/18(VwGH – verstSenat mwH): Eine juristische Person (GmbH) hat im Verwaltungsstrafverfahren Parteistellung (Rspr-Änderung) – Der Geschäftsführer der GmbH war wegen Übertretungen des AuslBG zu einer Geldstrafe verurteilt und idF ausgesprochen worden, dass die GmbH für die Geldstrafen zur ungeteilten Hand mit dem Geschäftsführer hafte.
nach oben
3. Einpersonengesellschaft?
Die Idee der juristischen Person verlangt eine Personenmehrheit; dennoch wurde von der Praxis schon bisher die Einpersonen-GmbHunter gewissen Voraussetzungen zugelassen.
Personenmehrheit
So explizit § 20 Abs 4 StGB und § 9 VStG: Separat erlassener Bescheid begründet eine Solidarhaftung der juristischen Person.
Eine Rolle spielte dies zB dann, wenn zwar ursprünglich zwei oder mehrere Gesellschafter existierten, in der Folge aber sämtliche Gesellschaftsanteile in einer Hand vereinigt wurden. Häufig wurde das Erfordernis der Personenmehrheit schon bisher dadurch umgangen, dass sich Firmengründer, die sich für eine GmbH entschieden hatten, einen sog Strohmann suchten (oft ein Familienmitglied), um in den Genuss der beschränkten Haftung zu gelangen.
Das ist seit 1996 nicht mehr nötig, zumal es durch das EU-GesellschaftsRÄG, BGBl 304/1996 auch Einzelpersonen erlaubt ist, eine GmbH zu gründen. Dies soll das Entstehen kleiner Unternehmen in Europa fördern.
Einpersonen-GmbH
§ 3 GmbHG, der die Voraussetzungen der Eintragung einer GmbH ins Firmenbuch regelt, bestimmt nunmehr in Abs 2 lapidar: „Wird die Gesellschaft nur durch eine Person errichtet, so wird der Gesellschaftsvertrag durch die Erklärung über die Errichtung der Gesellschaft ersetzt. Auf diese Erklärung sind die Vorschriften über den Gesellschaftsvertrag sinngemäß anzuwenden.” – Vgl nunmehr auch § 18 Abs 5 und 6 GmbHG.
Eine weitere bedeutsame Änderung für GmbH’s besteht darin, dass – mit Ausnahme kleiner GmbH’s – eine verpflichtende Jahresabschlussprüfung eingeführt wurde. Prüfungspflichtig sind GmbH’s künftig dann, wenn mindestens 2 der 3 in der Folge angeführten Merkmale in zwei aufeinanderfolgenden Jahren überschritten werden: – 37 Mio ı Bilanzsumme, – 74 Mio ı Umsatzerlöse im Jahr vor dem Abschlussstichtag, – 50 Arbeitnehmer im Jahresdurchschnitt. Diese Regelung soll die Insolvenzprophylaxe verbessern.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 11. 2. 2002, 7 Ob 315/01a, JBl 2002, 526(Anm Karollus): Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer Ein-Personen-GembH verpflichtet sich persönlich und zur ungeteilten Hand zur Rückzahlung eines Bank-Kredits an die GembH. Der Klage auf Zahlung hält er einen Verstoß gegen §§ 25 b ff KSchG entgegen. – OGH verneint Verbrauchergeschäft des Alleingesellschafters der Ein-Personen-GesmbH (im Gegensatz zu seiner Judikatur zur Mehr-Personen-GembH).
nach oben
4. Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung: EWIV
Mit VO des Rates vom 25.7.1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (kundgemacht in ABl Nr L 199 vom 31.7.1985, 1f) wurde erstmals eine auf Gemeinschaftsrecht beruhende vom nationalen Recht unabhängige, supranationale Gesellschaftsform als Kooperationsform zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Unternehmen geschaffen. Die EWIV ist für kleinere und mittlere Unternehmen gedacht. Zur Europa-AG → Die Societas Europaea (SE) oder Europa-AG
Bei dieser nicht nationalen Unternehmensform müssen mindestens 2 Mitglieder ihre Haupttätigkeit in verschiedenen Mitgliedsstaaten haben, Unternehmen aus Nicht-EG-Staaten können nicht Mitglied werden. Die EWIV ist als Personengesellschaft konstruiert (mit Organisationselementen einer Kapitalgesellschaft), wobei in Österreich nach dem EWIV-AusführungsG, BGBl 1995/521, das Recht der OHG (§§ 105 ff HGB) subsidiär anzuwenden ist, wie überhaupt immer dann nationales Recht heranzuziehen ist, wenn der Gründungsvertrag der EWIV eine Regelung nicht vorsieht. – Wie die OHG besitzt die EWIV nur Teilrechtsfähigkeit. Im Unterschied zur OHG können auch Nichtmitglieder Geschäftsführer sein, sog Fremdorganschaft. Sie ist Vollkaufmann (nicht aber notwendigerweise ihre Mitglieder). Da ihr Zweck lediglich die Unterstützung und Koordinierung der wirtschaftlichen Tätigkeit ihrer Mitglieder (Mitgliedsunternehmen) ist, ist sie nur Hilfsorganisation und keine Organisationsform für primäre wirtschaftliche Tätigkeit. Sie hat daher nicht den Zweck, Gewinne für sich selbst zu erwirtschaften und darf insbesondere keine Lenkungsfunktionen ausüben; Konzernleitungsverbot.
Als Kooperationsform von Unternehmungen innerhalb der Gemeinschaft ist sie zur Überwindung rechtlicher und psychologischer Hemmnisse im internationalen Geschäftsverkehr gedacht und bietet sich insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen an; zB zur Kooperation in Forschung und Produktentwicklung, zur gemeinsamen Organisation von Einkauf, Kundendienst, Vertrieb, Fortbildung, Werbung, Marketing, Transport etc. Auch freie Berufe können diese Form des Zusammenschlusses wählen, etwa Rechtsanwälte, Architekten oder Ärzte. (Innerstaatlich dienen dazu bei uns die Erwerbsgesellschaften.)
nach oben
5. Die Societas Europaea (SE) oder Europa-AG
Die Arbeiten an einer europäischen Aktiengesellschaft sind lange an der wichtigen Frage der Arbeitnehmermitbestimmung gescheitert. Nach 30-jährigen Verhandlungen hat die EU am Ende des Jahres 2000 die Europa-AG beschlossen; Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft. Sie ist eine Rechtsform für transnationale Unternehmen und soll künftig grenzüberschreitende Fusionen und die Gründung von Holdinggesellschaften (→ Holding) in Europa erleichtern. Nach Schätzungen der EU-Kommission wird die neue Europa-AG den Unternehmungen Kostenersparnisse von jährlich rund 30 Mrd ı bringen. – Die Umsetzungsfrist beträgt drei Jahre.
Das Mindestkapital für die SE beträgt 120.000 ı. Steuerlich unterliegen SE den jeweiligen nationalen Vorschriften am Sitz der Gesellschaft oder der Zweigniederlassung. Die SE muss in dem Mitgliedstaat registriert werden, in dem sich ihre Hauptverwaltung befindet. Die erwähnte Kostenersparnis für Unternehmen mit Niederlassungen in mehreren Mitgliedstaaten ergibt sich daraus, dass solche Unternehmen nunmehr auf Grund einheitlicher europarechtlicher Regeln fusionieren und mit einem einheitlichen Management und Berichtssystem überall in der EU tätig werden können. Künftig müssen nicht mehr mit erheblichem Zeit und Kostenaufwand mehrere (ein Netz von) Tochtergesellschaften errichtet werden, für die bisher unterschiedliche nationale Regelungen galten.
Vier Gründungsmöglichkeiten:
• Durch Verschmelzung von zwei oder mehr AGs aus mindestens zwei Mitgliedstaaten.
• Bildung einer SE-Holdinggesellschaft, an der AGs oder GmbHs aus mindestens zwei EU-Staaten beteiligt sind.
• Gründung einer SE-Tochtergesellschaft durch Gesellschaften aus mindestens zwei EU-Ländern.
Umwandlung einer AG, die seit mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft in einem andern Mitgliedstaat hat, in eine SE.
Literaturquelle


Die GesbR: §§ 1175ff ABGB
Abbildung 4.29:
Die GesbR: §§ 1175ff ABGB


GmbH – StammG von 1906
Abbildung 4.30:
GmbH – StammG von 1906


Offene Handelsgesellschaft: §§ 105 ff HGB
Abbildung 4.31:
Offene Handelsgesellschaft: §§ 105 ff HGB


Kommanditgesellschaft/KG: §§ 161 ff HGB
Abbildung 4.32:
Kommanditgesellschaft/KG: §§ 161 ff HGB


Sonderform der KG: GmbH & CoKG
Abbildung 4.33:
Sonderform der KG: GmbH & CoKG
nach oben
III. Zur Deliktsfähigkeit juristischer Personen
1. Für welchen Personenkreis ist einzustehen?
An die grundsätzliche Gleichstellung juristischer mit natürlichen Personen in § 26 ABGB sei erinnert. Daher sollte es nicht überraschen, dass juristische Personen auch deliktsfähig sind. – Verschieden beantwortet wurde im Laufe der Zeit (dh seit Inkrafttreten des ABGB) aber die Frage, für das Handeln welches Personenkreises juristische Personen deliktisch einzustehen haben.
nach oben
2. Drei Phasen der Judikaturentwicklung
Die Rspr nahm seit 1812 in Bezug auf den Personenkreis, der eine juristische Person deliktisch verpflichten kann, unterschiedliche Positionen ein, die kurz dargestellt werden:
Erste Phase: Die juristische Person haftet für alle ihre Gehilfen, derer sie sich bedient; das war die Meinung der ursprünglichen österreichischen Judikatur bis knapp nach 1900. – Diese Judikaturphase nahm § 26 ABGB ernst, was für Geschädigte günstig war.
Erste Phase
Rechtssprechungsbeispiel
GlUNF 1279 (1901) – Zur Haftung juristischer Personen für das Verschulden ihrer Organe – Schüler wird von Pferdeausfuhrwagen einer Genossenschaftsmolkerei überfahren und schwer verletzt. Kläger = Schüler A Beklagter = (Genossenschafts)Molkerei B.
Zweite Phase: Die juristische Person haftet hier nur für ihre statutarischen Organe, dh einen deutlich engeren Personenkreis; also zB nur für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder. – Diese Meinung setzte sich in den Jahren bald nach 1900 unter dem Einfluss des dtBGB durch, das 1900 in Kraft getreten war und eine derartige Regelung getroffen hatte.
Zweite Phase
§ 31 dtBGB: „[Haftung des Vereins für seine Organe] Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstandes oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtung begangene, zum Schadensersatze verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.”
Dritte Phase: Eine Mittelmeinung bildete sich in den 1960iger-Jahren heraus: Danach haften juristische Personen nicht nur für ihre statutarischen Organe, sondern auch für andere wichtige Personen, deren sie sich zur Durchführung ihrer Aufgaben bedienen; sog Machthaber- oder Repräsentantenhaftung; vgl § 337 ABGB.
Dritte Phase
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1972, 312 = SZ 44/45 (Schwedenbombenfall): §§ 26, 1295, 1313a, 1315, 1330 Abs 2 ABGB; § 503 Z 2 ZPO: Eine juristische Person (die damals genossenschaftlich organisierte Nachrichtenagentur APA) haftet für verschuldete, deliktische Schadenszufügung durch einen selbständig arbeitenden Sachbearbeiter, der nicht verfassungsmäßiges Vertretungsorgan (Vorstandsmitglied) ist, wenn die Wichtigkeit der Sache die (unterbliebene) Überwachung durch ein solches Organ erfordert hätte; wahrheitswidrige Tatsachenfeststellung durch einen Redakteur: Organisationsmangel. – Die Beweislast des Klägers erstreckt sich nicht auf das Nichtbestehen von Anhaltspunkten für die Wahrheit der verbreiteten Tatsachen; vielmehr steht dem Beklagten der Entlastungsbeweis des Bestehens solcher Anhaltspunkte offen, mit dem er das Fehlen der von § 1330 Abs 2 ABGB geforderten groben Fahrlässigkeit dartun kann ....Kläger = Geschädigte Fa Niemetz (Erzeuger der Schwedenbomben) Beklagter = APA (= Austria Presse Agentur), eine Genossenschaft.
EvBl 1999/128: § 34 GmbHG – Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen einen Gesellschaftergeschäftsführer durch den anderen Gesellschafter in einer Zweipersonen-GmbH.
JBl 1998, 713 mwH: Der eine Straßenbaustelle betreuende bauleitende Ingenieur ist Repräsentant des ausführenden Unternehmens; für sein Verschulden haftet dieses auch deliktisch unbedingt, also ohne die Beschränkungen des § 1315 ABGB.
Vgl auch das obiter dictum zur Repräsentantenhaftung juristischer Personen in OGH 20. 12. 2000, 7 Ob 271/00d, JBl 2001, 525: Altpapiercontainer.


Deliktsfähigkeit juristischer Personen
Abbildung 4.34:
Deliktsfähigkeit juristischer Personen
nach oben
3. Auch Personengesellschaften haften
Die Rspr zur Deliktshaftung juristischer Personen lässt auch Personengesellschaften (OHG und KG) für das Handeln ihrer Vertreter – insbesondere der persönlich haftenden Gesellschafter – deliktisch einstehen und erstreckt die Haftung auf die GesbR
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 28/69: OHG-Gesellschafter fälscht bei Unternehmensveräußerung Inventur und Bilanz → KAPITEL 7: Entscheidungsbeispiele ¿ Leistungsstörungen – E-Beispiele.
SZ 48/107 = JBl 1978, 87: Kunden-Pkw wird von Arbeitnehmern einer OHG auf Weisung des Geschäftsführers unsachgemäß abgeschleppt und dabei beschädigt.
EvBl 2000/84: Erstreckung dieser Haftung auf die GesbR → KAPITEL 12: Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts.
nach oben
IV. Arten juristischer Personen
1. Juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts:
Juristische Personen des Privatrechts sind zB: Verein, GmbH, AG und Stiftung. – Sie entstehen durch Rechtsgeschäft/Vertrag.
Juristische Personen des öffentlichen Rechts: Gemeinden, Länder, Bund, die verschiedenen Kammern, öffentliche Fonds, Sozialversicherungsträger etc. – Sie entstehen durch Gesetz, Verordnung oder Verwaltungsakt, also durch Hoheitsakt.
nach oben
2. Personenverbände und Vermögensmassen
Personenverbände / -verbindungen / -vereinigungen (Körperschaften / Korporationen, Gesellschaften) mit Rechtspersönlichkeit: Wie der Begriff andeutet, handelt es sich um Zusammenschlüsse von Personen. In und für derartige Personenverbindungen handeln nicht alle Mitglieder gemeinsam – das wäre zu umständlich, sondern für sie werden statutenmäßig bestellte Organe tätig. Diese Organe führen die „Geschäfte”. – Dieser Typus der juristischen Person besitzt somit eine eigene Organisation; der „Wille” der juristischen Person wird in den Organen nach dem Mehrheitsprinzip gebildet.
Personenverbände
Beispiel
Vermögensmassen / -gesamtheiten mit Rechtspersönlichkeit: Sie verfügen über keine Mitglieder, vielmehr wird ein (Sonder) Vermögen, das einem bestimmten Zweck – durch Widmungsakt – dienen soll, von der Rechtsordnung mit Rechtsfähigkeit ausgestattet. Typisches Beispiel ist die Stiftung; zu nennen sind aber auch diverse Fonds. – Wir kennen diese Art juristischer Personen, die oft auch gemeinnützigen Zwecken dienen; zB Waisenhaus-, Studierenden-, Wissenschafts-, Forschungs-, Kultur- oder religiösen Zwecken dienende Stiftungen. Oder: „Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus” (eingerichtet mit Gesetz).
Vermögensmassen
Das österreichische Recht kennt verschiedene Stiftungsarten:
Stiftungsarten
• einerseits, als jüngste Form, seit 1993 die Privatstiftung (PSG, BGBl 694);
• daneben existieren für gemeinnützige und wohltätige Stiftungen nach den LandesstiftungsG und das Bundesstiftungs- und FondsG (BStFG 1974, BGBl 1975/11).


Arten juristischer Personen
Abbildung 4.35:
Arten juristischer Personen
nach oben
3. Die Privatstiftung
Literaturquelle
Vor zehn Jahren wurde ein neues PrivatstiftungsG beschlossen, womit eine Lücke im österreichischen (Privat)Rechtssystem geschlossen wurde; denn bis zum Inkrafttreten des PSG konnten Stiftungen nur nach dem BStFG errichtet werden, das eine Beschränkung auf gemeinnützige und wohltätige Zwecke kannte. Solche Stiftungen bedurften zu ihrer Entstehung einer verwaltungsbehördlichen Genehmigung (sie unterliegen zudem einer verwaltungsbehördlichen Kontrolle), während Privatstiftungen nach § 7 Abs 1 PSG – ähnlich wie eine Handelsgesellschaft – durch Eintragung ins Firmenbuch entstehen.
PrivatstiftungsG 1993
Als Vorbild dienten ausländische Beispiele; etwa die Schweiz und Liechtenstein. Nunmehr kann auch ausländisches Vermögen in österreichische Privatstiftungen eingebracht werden. Bereits im ersten Jahr der Geltung des PSG sollen ca 150 Milliarden Schilling nach Österreich (zurück)geflossen sein.
Privatstiftungen können neben wissenschaftlichen, künstlerischen oder Forschungszwecken ebenso familiären, sozialen oder karitativen Zielen dienen. – Primär dient die Privatstiftung jedoch den privaten Interessen des Stifters und seiner Familie; sog Versorgungsstiftung. Nunmehr sind auch gemischte Zwecke / Ziele möglich. Wie in den EB zur RV bemerkt wird, liegt der Stiftung der Gedanke zugrunde, dass mit einem „eigentümerlosenVermögen ein bestimmter Zweck besser und dauerhafter erreicht werden kann, als wenn das Vermögen mit dem Schicksal des Stifters und seiner Rechtsnachfolger verbunden bliebe. – Grundlage der Privatstiftung ist kein Vertrag, sondern die einseitige Willenserklärung des Stifters. – Die Stiftung hat keine Gesellschafter oder Mitglieder (wie zB ein Verein) und auch der Stifter selbst verliert den Zugriff auf das gestiftete Vermögen, das künftig eigenen Gesetzen folgt. Typischerweise hat die Privatstiftung aber Begünstigte, die einen Rechtsanspruch auf eine (finanzielle) Ausschüttung nur bei einem entsprechenden Stifterwillen haben.
Versorgungsstiftung
Das PSG 1993 kennt eine Reihe rechtlich interessanter Bestimmungen:
Interessante Bestimmungen des PSG und Beispiele
§ 35 (Errichtung einer Privatstiftung auf bestimmte Zeit);
– § 29 (Haftung der Mitglieder von Stiftungsorganen);
– § 28 (Innere Ordnung von Stiftungsorganen);
– § 39 (Formerfordernisse für Stiftungserklärungen etc);
– § 16 (Zeichnungsvorschrift);
– vgl auch die unten wiedergegebenen §§ 1-7 PSG.
Beispiel
(1) „Stiftungen im Sinne dieses BundesG sind durch eine Anordnung des Stifters dauernd gewidmete Vermögen mit Rechtspersönlichkeit, deren Erträgnisse der Erfüllung gemeinnütziger oder mildtätiger Zwecke dienen.”
§ 2 BStFG – Begriff der Stiftung:
(2) „Gemeinnützig im Sinne dieses BundesG sind solche Zwecke, durch deren Erfüllung die Allgemeinheit gefördert wird. Eine Förderung der Allgemeinheit liegt insbesondere vor, wenn die Tätigkeit der Stiftung dem Gemeinwohl auf geistigem, kulturellem, sittl, sportl oder materiellem Gebiet nützt. Der Stiftungszweck gilt auch dann iS dieses BundesG als gemeinnützig, wenn durch die Tätigkeit der Stiftung nur ein bestimmter Personenkreis gefördert wird.”
(3) „Mildtätig iS dieses BundesG sind solche Zwecke, die darauf gerichtet sind, hilfsbedürftige Personen zu unterstützen.”
Fonds im Sinne dieses BundesG sind durch eine Anordnung des Fondsgründers nicht auf Dauer gewidmete Vermögen mit Rechtspersönlichkeit, die der Erfüllung gemeinnütziger oder mildtätiger Zwecke (§ 2 Abs 2 und 3) dienen.”
Beachte: Fonds unterscheiden sich auch insoferne von der Stiftung, als beim Fonds der sog Kapitalstock (im Laufe der Zeit) aufgebraucht werden kann, bei der Stiftung dagegen erhalten bleiben muss.
(1) Die Privatstiftung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist ein Rechtsträger, dem vom Stifter ein Vermögen gewidmet ist, um durch dessen Nutzung, Verwaltung und Verwertung der Erfüllung eines erlaubten, vom Stifter bestimmten Zwecks zu dienen; sie genießt Rechtspersönlichkeit und muss ihren Sitz im Inland haben.
(2) Eine Privatstiftung darf nicht [Abgrenzung!]
1. eine gewerbsmäßige Tätigkeit, die über eine bloße Nebentätigkeit hinausgeht, ausüben;
2. die Geschäftsführung einer Handelsgesellschaft übernehmen;
3. persönlich haftender Gesellschafter einer Personengesellschaft des Handelsrechts oder einer eingetragenen Erwerbsgesellschaft sein.
Der Name einer Privatstiftung hat sich von allen im Firmenbuch eingetragenen Privatstiftungen deutlich zu unterscheiden; er darf nicht irreführend sein und muss das Wort „Privatstiftung” ohne Abkürzung enthalten.
(1) Stifter einer Privatstiftung können eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen sein. Eine Privatstiftung von Todes wegen kann nur einen Stifter haben.
(2) Hat eine Privatstiftung mehrere Stifter, so können die dem Stifter zustehenden oder vorbehaltenen Rechte nur von allen Stiftern gemeinsam ausgeübt werden, es sei denn, die Stiftungsurkunde sieht etwas anderes vor.
(3) Rechte des Stifters, die Privatstiftung zu gestalten, gehen nicht auf die Rechtsnachfolger über.
(4) Wer einer Privatstiftung nach ihrer Entstehung Vermögen widmet (Zustiftung), erlangt dadurch nicht die Stellung eines Stifters.
Der Privatstiftung muss ein Vermögen im Wert von mindestens 1 Mio Schilling gewidmet werden.
Begünstigter ist der in der Stiftungserklärung als solcher Bezeichnete. Ist der Begründer in der Stiftungserklärung nicht bezeichnet, so ist Begünstigter, wer von der vom Stifter dazu berufenen Stelle (§ 9 Abs 1 Z 3), sonst vom Stiftungsvorstand als solcher festgestellt worden ist.
(1) Die Privatstiftung wird durch eine Stiftungserklärung errichtet; sie entsteht mit der Eintragung in das Firmenbuch.
(2) Für Handlungen im Namen der Privatstiftung vor der Eintragung in das Firmenbuch haften die Handelnden zur ungeteilten Hand.
nach oben
V. Rechtstatsächliches zur jurP
Die Bedeutung juristischer Personen spiegelt sich in der Statistik:


Firmengründungen in Österreich
Abbildung 4.36:
Firmengründungen in Österreich


Rechtsformen österreichischer Unternehmen (2001) nach Anzahl
der Unternehmen
Abbildung 4.37:
Rechtsformen österreichischer Unternehmen (2001) nach Anzahl der Unternehmen
Vgl auch → Der Verein


Vereine in Österreich: Nach Bundesländern
Abbildung 4.38:
Vereine in Österreich: Nach Bundesländern
nach oben
VI. Der Verein
Neu bearbeitet von Kristin Nemeth
Literaturquelle
Literaturquelle
1. Neuregelung des Vereinsrechts – VerG 2002
Mit 1.7.2002 ist in Österreich ein neues VerG in Kraft getreten. Während im VerG 1951 nur öffentliches Vereinsrecht geregelt war, enthält das neue G erstmals auch privatrechtliche Bestimmungen; zB betreffend Haftung und Geschäftsfähigkeit. Der österreichische Gesetzgeber ist damit einer langjährigen Forderung nach mehr Rechtssicherheit im Vereinsrecht nachgekommen. Bei den Neuregelungen handelt es sich vielfach nicht um materiell neues Recht, sondern es wurden bereits geltende Grundsätze der Rspr und Vereinspraxis gesetzlich festgeschrieben. In einigen Bereichen hat der Gesetzgeber freilich auch eindeutig Stellung bezogen.
Aus öffentlichrechtlicher Sicht kam es zu einer Neuregelung der Behördenzuständigkeit, von der sich der Gesetzgeber va mehr Effizienz und Bürgernähe erwartet: Während die Zuständigkeiten in 1. Instanz bislang zwischen Landeshauptmann und Sicherheitsdirektion verteilt waren, sind Vereinsbehörden 1. Instanz nunmehr die Bezirksverwaltungsbehörden. 2. und letzte Instanz ist die Sicherheitsdirektion.
Neuregelung der Behördenzuständigkeit
Ebenfalls neu ist die Verpflichtung zur Einrichtung eines zentralen und öffentlichen Vereinsregisters beim Bundesministerium für Inneres; die Bezirksverwaltungsbehörden sind zur Führung eines lokalen Registers verpflichtet.
Vereinsregister
Das VerG neu trat am 1.7.2002 in Kraft. Der neuen Rechtslage entgegenstehende Statuten sind bis spätestens 30.6.2006 anzupassen; vgl § 33 VerG.
nach oben
2. Vereinszweck
Vereine gehören in Österreich seit langem zum Rechtsalltag und werden zu den verschiedensten Zwecken gegründet: zB Kultur-, Sport-, soziale oder politische Vereine.
Die Vereinsgründung steht natürlichen und juristischen Personen, Inländern wie Ausländern offen. Die Erlangung von Rechtspersönlichkeit ist dabei schon aus Praktikabilitätsüberlegungen vorteilhaft, wenn man an die Anmietung eines Vereinslokals, den Abschluss von Kaufverträgen oder die Eröffnung von Bankkonten denkt. Vertragspartner wird in solchen Fällen immer der Verein.
Die Rechtsform des Vereins steht aber nur zur Verfolgung ideeller Zwecke zur Verfügung; § 1 Abs 1 VerG. Ein Verein darf niemals auf Gewinn berechnet sein. Dies schließt freilich gewinnbringende oder unternehmerische Tätigkeiten des Vereins nicht aus, solange diese dem ideellen Vereinszweck untergeordnet sind; Nebenzweckprivileg; § 1 Abs 2 VerG.
Nur zur Verfolgung ideeller Zwecke
Rechtssprechungsbeispiel
Unschädlich ist es also, wenn die Tätigkeit des Vereins zu einer Senkung der Verwaltungskosten der Mitglieder führt; „Vorarlberger Rechenzentrum” VfSlg 8844/1980. Die Ausschüttung von Gewinnen an die Mitglieder sprengt hingegen den ideellen Vereinszweck.
In Fällen einer unternehmerischen Tätigkeit des Vereins ist auf die Anwendung einschlägiger Sondergesetze (zB HGB, GewO) bedacht zu nehmen. Ein Verein kann auch Unternehmer iSd § 1 KSchG sein.
nach oben
3. Die Vereinsgründung
Das VerG 2002 unterscheidet zwischen Errichtung und Entstehung des Vereins.
Die Errichtung des Vereins erfolgt durch die Vereinbarung von Statuten. Diese Gründungsvereinbarung stellt zivilrechtlich einen mehrseitigen Vertrag dar (→ KAPITEL 5: Ein-, zwei- und mehrseitige Willenserklärungen) und ist Grundlage für die Tätigkeit und die Organisation des Vereins; § 2 Abs 1 VerG.
Errichtung des Vereins
Die Statuten müssen bestimmte, zwingend vorgeschriebene Mindestinhalte aufweisen; § 3 Abs 2 VerG:
Mindestinhalte der Statuten
  1. Name des Vereins,
  1. Sitz des Vereins,
  1. eine klare und umfassende Umschreibung des Vereinszwecks,
  1. die für die Verwirklichung des Zwecks vorgesehenen Tätigkeiten und die Art der Aufbringung finanzieller Mittel,
  1. Bestimmungen über den Erwerb und die Beendigung der Mitgliedschaft,
  1. die Rechte und Pflichten der Vereinsmitglieder,
  1. die Organe des Vereins und ihre Aufgaben, insbesondere eine klare und umfassende Angabe, wer die Geschäfte des Vereins führt und wer den Verein nach außen vertritt,
  1. die Art der Bestellung der Vereinsorgane und die Dauer ihrer Funktionsperiode,
  1. die Erfordernisse für gültige Beschlussfassungen durch die Vereinsorgane,
  1. die Art der Schlichtung von Streitigkeiten aus dem Vereinsverhältnis,
  1. Bestimmungen über die freiwillige Auflösung des Vereins und die Verwertung des Vereinsvermögens im Fall einer solchen Auflösung.
Der Name des Vereins muss einen Schluss auf den Vereinszweck zulassen und darf nicht Anlass zu Verwechslung mit Namen anderer Vereine oder Rechtsformen geben; § 4 Abs 1 VerG.
Vereinsname
Der Vereinssitz muss im Inland liegen und sich mit dem tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung des Vereins decken, § 4 Abs 2 VerG. – Dies schließt nicht aus, dass auch Inhaber einer anderen als der österreichischen Staatsbürgerschaft Vereine nach dem VerG gründen können.
Vereinssitz
Über die gesetzlichen Mindestinhalte hinaus sind die Gründer in der Gestaltung der Statuten frei; Privatautonomie § 3 Abs 1 VerG. Es empfiehlt sich, die Statuten klar, widerspruchsfrei und lükkenlos zu formulieren. Da es sich bei der Gründungsvereinbarung um einen zivilrechtlichen Vertrag handelt, ist für dessen Auslegung § 914 ABGB anzuwenden.
Gestaltung der Statuten
Bei lückenhafter Statutenregelung wird – im Sinne ergänzender Vertragsauslegung – vielfach auf die konkrete Praxis des Vereinslebens Bedacht genommen; sog Observanz.
Observanz
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1968/380: Hier war die Wahl der Vereinsleitung in den Vereinsstatuten nicht explizit geregelt, doch hatte sich im Verein dazu eine ständige Übung entwickelt, von der nicht ohne weiteres abgegangen werden konnte.
Die Gründer oder – wenn solche bereits bestellt sind – die organschaftlichen Vertreter des Vereins haben der Vereinsbehörde die Vereinserrichtung schriftlich anzuzeigen. Dies hat unter Angabe ihres Namens, ihres Geburtsdatums und -orts sowie ihrer für die Zustellung maßgeblichen Anschrift zu erfolgen; 1 Exemplar der Statuten ist beizulegen; § 10 VerG.
Anzeige an die Vereinsbehörde
Bereits bestellte organschaftliche Vertreter haben zudem ihre Funktion und den Zeitpunkt ihrer Bestellung anzugeben. Sofern bereits vorhanden, ist auch die für Zustellungen maßgebliche Anschrift des Vereins bekannt zu geben. – Die früher für die Gründer gebräuchliche Bezeichnung Proponenten wird vom neuen VerG nicht mehr verwendet.
Die Vereinsbehörde hat die Vereinsgründung mit Bescheid zu untersagen, wenn der Verein nach seinem Zweck, seinem Namen oder seiner Organisation gesetzwidrig wäre. Ergeht binnen 4 (in Ausnahmefällen 6) Wochen kein Untersagungsbescheid, ist dies als Einladung zur Aufnahme der Vereinstätigkeit zu verstehen. Die Behörde kann eine solche Einladung auch vor Fristablauf mittels Bescheid ausdrücklich aussprechen; § 13 Abs 1 und 2 VerG.
Entstehung des Vereins
Rechtsfähigkeit erlangt der Verein mit Ablauf der vierwöchigen Frist oder durch einen vorher erlassenen positiven Bescheid.
Die vor Erlassung des VerG 2002 geführte Diskussion, ob ein Verein bereits mit Vereinbarung der Statuten Rechtspersönlichkeit erlangt, ist damit gegenstandslos. – Der Verein verliert seine Rechtspersönlichkeit mit Eintragung seiner Auflösung im Vereinsregister; ist Vermögen abzuwickeln, mit Eintragung der Beendigung der Abwicklung; § 27 VerG; vgl auch OGH 8.11.2001 6 Ob 188/01t.
Deutschland kennt im Gegensatz zu Österreich zwei Vereinstypen: Den (rechtsfähigen) eingetragenen Verein – eV (§§ 21 ff dtBGB) und den nicht rechtsfähigen Verein nach § 54 dtBGB, der nicht ins Vereinsregister eingetragen wird und den Regeln der dtGesbR (§§ 705 ff dtBGB) unterstellt wird.
Die Vereinsmitgliedschaft wird durch den Beitritt(svertrag) erworben, der auch konkludent erfolgen kann; § 863 ABGB.
Vereinsmitgliedschaft
Ein Recht auf Aufnahme besteht nur dann, wenn es sich um monopolartige Vereinigungen handelt. Zum Kontrahierungszwang → KAPITEL 5: Abschlussfreiheit <-> Kontrahierungszwang.
Durch den Beitritt wird ein personenrechtliches Verhältnis zwischen Mitglied und Verein begründet. Die genaue Regelung der damit verbundenen Rechte (Stimmrecht, Recht der Teilnahme an Veranstaltungen des Vereins ...) und Pflichten (insbesondere Beitragszahlungspflicht) ist den Statuten zu entnehmen. Jedes Mitglied hat das Recht, vom Leitungsorgan jederzeit die Ausfolgung der Statuten zu verlangen; § 3 Abs 3 VerG.
Das VerG 2002 nennt in § 5 als zwingend einzurichtende Organe:
Vereinsorgane
• die Mitgliederversammlung zur gemeinsamen Willensbildung und
• das Leitungsorgan.
Die Benennung der Organe ist nicht zwingend vorgeschrieben; gängige Bezeichnungen für das Leitungsorgan sind etwa Vorstand oder Präsidium. – Bei großen Vereinen mit einer Vielzahl von Mitgliedern kann statt der Mitgliederversammlung ein Repräsentativorgan vorgesehen werden; vgl § 5 Abs 2 VerG.
Das Leitungsorgan (§ 5 Abs 3 VerG) führt die Geschäfte des Vereins und vertritt den Verein nach außen. Es muss aus mindestens 2 natürlichen Personen bestehen, was eine gewisse Kontrollfunktion gewährleisten soll; „vier Augen sehen mehr als zwei”.
Leitungsorgan
Das VerG stellt es aber frei, die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse auf jeweils eigene Organe aufzuteilen und mehrere Organe mit Leitungsfunktion vorzusehen. Auch eine Ressortverteilung innerhalb eines Organs ist möglich.
Sehen die Statuten nichts anderes vor, ist im Zweifel von Gesamtgeschäftsführung und Gesamtvertretung auszugehen; dh dass alle Mitglieder des Leitungsorgans zusammen – wenngleich nicht unbedingt gleichzeitig – agieren müssen; vgl § 6 VerG. Die Statuten können demgegenüber zB auch die alleinige Vertretungsbefugnis durch den Obmann vorsehen.
Dem steht das Vier-Augen-Prinzip nicht entgegen, da dieses lediglich eine Kontrollfunktion im Inneren gewährleisten soll.
Abgesehen von der Frage der Gesamt- oder Einzelvertretung kann die Vertretungsbefugnis des Leitungsorgans Dritten gegenüber nicht wirksam beschränkt werden. Einem Vertragspartner des Vereins gegenüber gilt somit weder eine Betragsbeschränkung noch eine in den Statuten vorgesehene Gegenzeichnungspflicht eines anderen Organwalters oder angestellten Geschäftsführers. Im Innenverhältnis sind Beschränkungen freilich wirksam und machen das Organ dem Verein gegenüber ersatzpflichtig.
Eine ähnliche Formalvollmacht gibt es etwa im HGB in Form der Prokura (§ 49 HGB). Diese dient – wie die Neuregelung im VerG – dem Schutz des Rechtsverkehrs.
Die Einrichtung eines Aufsichtsorgans ist fakultativ; § 5 Abs 4 VerG.
Aufsichtsorgan
Wird ein Aufsichtsorgan eingerichtet, so dürfen seine Mitglieder keinem Organ außer der Mitgliederversammlung angehören, dessen Geschäfte Gegenstand der Aufsicht ist. Wird im Verein eine gewisse Anzahl an Arbeitnehmern überschritten, müssen sie im Aufsichtsorgan entsprechend vertreten sein.
Zu den Pflichten des Aufsichtsorgans vgl zB § 21 Abs 4 VerG.
Das VerG 2002 enthält detaillierte Regelungen betreffend die finanzielle Gebarung des Vereins; §§ 20-22 VerG. Eine sorgfältige Rechnungslegung gehört zu den Hauptaufgaben des Leitungsorgans: Dieses hat jedenfalls für die Aufzeichnung der laufenden Einnahmen und Ausgaben zu sorgen; bei großen Vereinen ist ein Jahresabschluss zu erstellen.
Vereinsgebarung
Groß ist ein Verein, wenn seine Einnahmen oder Ausgaben an 2 aufeinanderfolgenden Rechnungsjahren jeweils den Betrag von 1 Mio ı überschreiten; § 22 Abs 1 VerG. Diese Regelung greift frühestens 2005.
Für die Überprüfung der Finanzgebarung durch das Leitungsorgan hat jeder Verein mindestens zwei Rechnungsprüfer zu bestellen; § 5 Abs 5 VerG. Diese müssen keine Organe des Vereins sein. Große Vereine haben einen professionellen Abschlussprüfer zu bestellen; § 5 Abs 5 und § 22 VerG.
Für die Unabhängigkeit der Rechnungs- und Abschlussprüfer gilt das zum Aufsichtsorgan gesagte. – Die Haftung der Rechnungsprüfer ist wie die der Abschlussprüfer (§ 275 HGB) zahlenmäßig beschränkt; § 24 Abs 4 VerG.
Wie bei allen juristischen Personen gilt auch beim Verein das Trennungsprinzip; § 23 VerG: Für Vereinsschulden haftet grundsätzlich nur das Vereinsvermögen.
Haftungsfragen und Trennungsprinzip
Die umstrittene Frage der Durchgriffshaftung, die auch beim Verein relevant werden kann, blieb auch im neuen VerG ungeregelt; ist sohin wie bislang Sache von Rspr und Lehre.
Durchgriffshaftung
Werden von den Gründern oder bereits bestellten Organen in der Zeit zwischen der Errichtung des Vereins und seiner Entstehung Rechtsgeschäfte im Namen des Vereins abgeschlossen, haften die Handelnden persönlich zur ungeteilten Hand; sog Handelndenhaftung § 2 Abs 4 VerG. – Die so abgeschlossenen Geschäfte sind bis zur Entstehung des Vereins schwebend unwirksam; vgl die Parallele zum Abschluss von Rechtsgeschäften Minderjähriger → Die Handlungsfähigkeit Die aus diesen Geschäften resultierenden Rechte und Pflichten gehen aber mit seiner Entstehung automatisch auf den Verein über.
Handelndenhaftung
§ 24 VerG regelt die Verantwortlichkeit der Organe für Schäden, die sie dem Verein in ihrer Eigenschaft als Organwalter (schuldhaft) zufügen. Es gelten die allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts. – Nach der neuen Regelung ist dabei die Ehrenamtlichkeit und somit die Tatsache, dass eine Organwalterschaft idR unentgeltlich erfolgt, entsprechend zu berücksichtigen. Leider lässt der Gesetzgeber mit dieser – grundsätzlich erfreulichen – Neuregelung weiterhin offen, wie die Rspr diese Haftungsbeschränkung handhaben soll.
Verantwortlichkeit der Organe
Die Haftung des Organwalters gegenüber dem Verein entfällt, wenn die schadenauslösende Handlung auf einem gültigen Beschluss des in diesem Bereich nach den Statuten zuständigen Organs beruht; vgl § 24 Abs 3 VerG und OGH 14.3.2002 6 Ob 134/01a (noch nach alter Rechtslage; das Organ hafte dann nur, wenn es seiner Informations- und Warnpflicht nicht nachkomme oder der Beschluss der Generalversammlung gesetz- oder sittenwidrig sei). Billigung durch das Aufsichtsorgan reicht aber jedenfalls nicht.
Haftung des Organwalters entfällt
Ein von der Mitgliederversammlung ausgesprochener Verzicht auf Schadenersatzansprüche (man spricht hier auch von der „Entlastung” des Vereinsvorstands) wirkt zwar im Innenverhältnis, ist Gläubigern des Vereins gegenüber aber unwirksam.
Beispiel
Beachte
Im Einklang mit der überkommenen Rechtslage schreibt auch das VerG 2002 vor, dass die Statuten eine Schlichtungseinrichtung (zB „Vereinsschiedsgericht”) zur Regelung vereinsinterner Streitigkeiten vorzusehen haben; § 3 Abs 2, § 8 VerG. Diese entscheidet sowohl in rechtlichen Angelegenheiten (Ausschluss eines Mitglieds, Verhängung einer Vereinsstrafe) als auch in anderen Vereinsstreitigkeiten.
Vereinsstreitigkeiten und Vereinsstrafen
Um den ordentlichen Rechtsweg auszuschließen ist freilich die Einrichtung eines (echten) Schiedsgerichts iSd §§ 577 ff ZPO nötig. Die Entscheidungen einer statutarisch eingerichteten Schlichtungsstelle unterliegen demgegenüber der Kontrolle durch die Zivilgerichte. Es steht den Betroffenen frei, eine Entscheidung der Schlichtungsstelle auf ihre Vereinbarkeit mit den Statuten oder ihre Sittenwidrigkeit hin überprüfen zu lassen. Voraussetzung dafür ist aber, dass der vereinsinterne Instanzenzug ausgeschöpft wurde.
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1989, 655: Ausschluss aus der Salzburger Jägerschaft für zwei Jahre wegen Verletzung der Jägerehre (Vereinsmitglied verkaufte um je 700 DM den Abschuss von Hausziegenböcken, die für Alpenziegen ausgegeben wurden);
JBl 1987, 391: Ausschluss aus Haflingerzuchtverein;
SZ 54/116 (1981):Strafe für Genossenschaftsmitglied – Bauer lieferte verwässerte Milch an Molkerei.
nach oben
VII. Konzern und Holding – Fusion und Spaltung
Juristische Personen führen im Wirtschaftsleben nicht immer ein Einzelleben, sondern sind mitunter Teil oder auch nur Rädchen komplizierter und verschachtelter Wirtschaftsimperien, die auch dazu verwendet werden, um Verantwortung und Beteiligungen zu verdunkeln; vgl den WEB-Bautreuhand-Immag-Skandal in Salzburg (Bernd Schiedek & Co), wodurch 25.000 Anleger von Hausanteilsscheinen um ca 2,1 Mrd Schilling geschädigt wurden. (Der Standard, 26.11.1997, S. 11) – Der Sinn solcher Gebilde liegt freilich darin, klare wirtschaftliche Lenkungs- und Entscheidungsstrukturen mit rechtlichen Mitteln zu erreichen.
1. Konzerne
„Große” wirtschaftliche Unternehmungen werden häufig als Konzerne geführt. – Konzerne bestehen aus mehreren rechtlich selbständigen Unternehmungen. Man unterscheidet idR ein herrschendes oder Mutter- und die beherrschten oder Tochterunternehmen:
Typisch ist die Mehrheitsbeteiligung; das herrschende Unternehmen besitzt die Anteilsmehrheit an einem oder mehreren anderen Unternehmen.
Mehrheitsbeteiligung
Eine andere Möglichkeit – ohne Mehrheitsbeteiligung) – besteht durch Abschluss eines sog Beherrschungsvertrags, der in die Treuhand übergeht.
§ 15 AktG und § 115 GmbHG geben eine wörtlich gleiche Legaldefinition des Konzerns:
„(1) Sind rechtlich selbständige Unternehmen zu wirtschaftlichen Zwecken unter einheitlicher Leitung zusammengefasst, so bilden sie einen Konzern; die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen.”
„(2) Steht ein rechtlich selbständiges Unternehmen auf Grund von Beteiligungen oder sonst unmittelbar unter dem beherrschenden Einfluss eines anderen Unternehmens, so gelten das herrschende und das abhängige Unternehmen zusammen als Konzern und einzeln als Konzernunternehmen:”
Beispiel


Konzern: Brauerei-AG
Abbildung 4.39:
Konzern: Brauerei-AG
nach oben
2. Holding
Ein anderer Begriff in diesem Zusammenhang ist die Holding(-Gesellschaft), deren Gegenstand das „Halten” von Beteiligungen an anderen Unternehmen ist. – Diese Beteiligung kann eine Mehrheits- oder Minderheits beteiligung sein. Die Holding fasst oft verwandte Firmen eines Großunternehmens zusammen. Ein Beispiel liefert die 1996 erfolgte Zusammenführung der Austria-Collegialität-Versicherung und der Bundesländer-Versicherung unter einem Holding-Dach (BARC); der Firmenname ist nunmehr UNIQUA.
nach oben
3. Multinationale Konzerne
Überschreitet eine Konzernbeteiligung mehrfach nationale Grenzen, spricht man von einem multinationalen Konzern. Multinationale Konzerne stellen mittlerweile international einen großen Machtfaktor dar.
„Regierungen, soweit sie demokratisch gewählt sind, und deren Bevölkerungen haben an Entscheidungsgewalt verloren, zugunsten eng vernetzter tyrannischer Privatinteressen.”
Nach dem World Investment Report 1994 der UNCTAD (United Nations Conference of Trade and Development) kontrollieren gegenwärtig weltweit etwa 37.000 Muttergesellschaften über 200.000 „Töchter” in anderen Ländern. Das Auslandsvermögen der „Mütter” wird auf 52,8 Billionen S geschätzt. – Häufig beschäftigen Großunternehmen im Ausland wesentlich mehr Mitarbeiter als im Heimatland. (Die Tendenz ist weiter steigend.) So zählt Nestlé-Schweiz nur ca 7.000 Beschäftigte, weltweit aber 218.000. – IBM beschäftigt in den USA immerhin 143.000 seiner insgesamt 300.000 Mitarbeiter. (Stand 1994) – Diese Zahlen veranschaulichen die Bedeutung juristischer Personen im internationalen Wirtschaftsleben.
Noam Chomsky, Profit Over People. Neoliberalismus und globale Weltordnung (Europa Verlag, 2000).
nach oben
4. Fusion / Verschmelzung und Spaltung
Schließlich soll noch ein Begriff erwähnt werden, der in der gesellschaftsrechtlichen Praxis immer wieder eine Rolle spielt: die Fusion. Man versteht darunter die Vereinigung (verschiedener) Kapitalgesellschaften zu einer neuen Gesellschaft; also aus zwei oder drei Gesellschaften wird eine. Dies geschieht durch Gesamtrechtsnachfolge der neuen Gesellschaft in alle Rechte und Pflichten der bisherigen Gesellschaften unter Ausschluss der Liquidation (§ 96 GmbHG) der bisher bestehenden Gesellschaften.
Die Liquidation – ein weiterer gesellschaftsrechtlicher Begriff – dient der ordnungsgemäßen Abwicklung einer Gesellschaft, die aufgelöst wurde (zB §§ 84 ff GmbHG); sei es durch Zeitablauf, Gesellschafterbeschluss, Fusion (§ 96 ABGB) oder Konkurs etc. – Inhaltlich besteht sie in einer Verwertung der Aktiva der aufgelösten Gesellschaft und der Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft sowie der Zahlung eines allfälligen Überschusses an die Gesellschafter. Die Abwicklung erfolgt durch Liquidatoren.
Liquidation
Beispiel
Das Gesellschaftsrecht kennt aber nicht nur die Verschmelzung / Fusion, sondern auch die Spaltung von Kapitalgesellschaften; SpaltungsG, BGBl 1996/304, Art XIII. Das SpaltungsG regelt in 18 Paragraphen die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Spaltung. Dabei sind verschiedene Formen zu unterscheiden: Spaltung unter Beendigung oder unter Fortbestand der übertragenden Gesellschaft. § 15 trifft bspw Anordnungen zum Schutz der Gläubiger.
Spaltung
nach oben
C. Die Persönlichkeitsrechte
Literaturquelle
I. § 16 ABGB
1. Ziel des rechtlichen Persönlichkeitsschutzes
Die Person ist Kristallisationspunkt der menschlichen Identität und einer sich lebenslang weiter entwickelnden Selbstdefinition; E. Erikson. Die Person als Zentrum des menschlichen Wesenskerns angemessen zu schützen, ist daher eine wichtige Aufgabe des (Privat)Rechts, das diese gemeinsam mit anderen Bereichen der Rechtsordnung, etwa dem Strafrecht und dem Verfassungs- und Verwaltungsrecht (zB Medienrecht, UbG, KAKuG) erfüllt.
In Österreich hat das bürgerliche Recht deutlich früher als das öffentliche Recht die Bedeutung eines effizienten Schutzes der menschlichen Persönlichkeit – sowohl gegenüber dem Staat, als auch zwischen Bürgern und Bürgerinnen, also „unter sich” iSd § 1 ABGB – erkannt. Martinis Entwurf (1796), der in das WGGB 1797 einfloss, kannte schon einen unverzichtbaren Kern von Grund- und Persönlichkeitsrechten; vgl die diesem Pkt vorangestellten Bestimmungen des Entwurfs Martini I 2 §§ 1, 2. Zeiller dagegen wollte auch den Rest dieser Bestimmungen, den späteren § 16 ABGB, streichen.
Früher Schutz im bürgerlichen Recht
Wellspacher führt dazu aus: „Der größte Teil der angeführten naturrechtlichen Prinzipien ist im letzten Stadium der Kodifikationsgeschichte auf Antrag Zeillers gestrichen worden.” […] „Dann beantragt Zeiller die Weglassung der naturrechtlichen Bestimmungen, im Wesentlichen mit der Begründung, dass derartige Lehrsätze nicht in ein Zivilgesetzbuch gehören. Nur bezüglich der angeborenen Rechte meinte Zeiller, man solle, um ‚allen missdeutungen, besonders der auswärtigen, vorzubeugen, an einem schicklichen Orte der Einleitung sagen: dass von der obersten Macht sowohl die angeborenen Rechte, die jedem durch die Vernunft bekannt sind, als auch die erweblichen durch die Gesetze gesichert werden. Dadurch würde zugleich der Grund angegeben, warum man die angeborenen Rechte nicht aufzuzählen brauche’.” – Wellspacher merkt dazu an: „Der zarten Rücksichtnahme auf das Ausland haben wir es demnach zu verdanken, dass die angeborenen Menschenrechte im § 16 ABGB. zur Anerkennung gelangt sind.” Vgl auch meine Ausführungen, in: Barta / Palme / Ingenhaeff (Hg), Naturrecht und Privatrechtskodifikation (1999).
Die „angebornen Rechte” der österreichischen Kodifikationsgeschichte waren, was heute oft nicht mehr verstanden wird, die vom rationalen Naturrechtsdenken, dem Vernunftrecht, vehement geforderten Menschenrechte. Sie brachten schon in das Privatrecht des 18. Jhd – neben Freiheit und Achtung der Menschenwürde – den wichtigen Gleichheitsgedanken ein, der auch für das Privatrecht noch heute bestimmend ist.
angeborne Rechte
Der rechtliche Persönlichkeitsschutz beginnt aber schon im antiken Griechenland mit Solon (594/3 v.C.), der erstmals und auf Dauer in Attika / Athen die Schuldknechtschaft beseitigte und damit irreversibel die bürgerliche Freiheit einführte und daneben privatrechtlich bereits Gleichheit schuf und dadurch die Umrisse des modernen Rechtssubjekts kreierte. – Auf dieser Grundlage wurde der erste Persönlichkeitsschutz durch die sog Hybrisklage geschaffen.
Griechenland – Hybrisklage
Literaturquelle
In freien Gesellschaften gibt es keine Alternative zur Akzeptanz und Achtung des Individuums. Nur Gesellschaften, die das Individuum (eine lateinische Übersetzung des griechischen átomos = der Unteilbare iSv Einzelperson) ernst nehmen, bieten Schutz vor autoritären und menschenverachtenden Tendenzen. Und in der Bedeutung des Individuellen kann es keine Unterschiede oder Ausnahmen geben: Europäer sind nicht wertvoller als Araber oder Afrikaner und Frauen und Kinder um nichts weniger wertvoll als Personen männlichen Geschlechts. Rechtliche Über- und Unterordnungen im Bereich des Individuellen darf es auch künftig nicht geben; Gefahren lauern aber allenthalben: zB bei der sog Organallokation, der Gentechnik oder nur im Steuerrecht.
Achtung des Individuums
In dieser Einsicht liegt die Bedeutung des privatrechtlichen Persönlichkeitsschutzes, der nur gemeinsam mit den öffentlichrechtlichen – und zwar nationalen, supra- und internationalen (→ Der Beitrag des öffentlichen Rechts) – Schutzinstrumenten seine Aufgabe erreichen kann. – Der Schwerpunkt der privatrechtlichen Persönlichkeitsrechte liegt auf dem Schutz der Privat- und Intimsphäre (Schutz der Privatheit von Individuen), reicht aber bis in den Bereich der wirtschaftlichen Interessen des Einzelnen hinein, zumal diese für die Freiheit jedes Individuums von Bedeutung sind; vgl § 1330 Abs 2 ABGB oder das umfassende Eigentumsverständnis der §§ 353 ff ABGB, das verfassungsrechtlich noch brach liegt.
Obwohl § 16 ABGB zum Urbestand des ABGB zählt, brauchte es sehr lange, bis dieser normative „Schatz” judikativ gehoben wurde. Der Durchbruch in Österreich erfolgte erst in den 1970er Jahren, beeinflusst durch die Rspr des dtBGH (insbesondere den sog Herrenreiterfall), die wiederum durch die wichtige Judikatur des dtBVerfG vorangetrieben wurde; Lüth-Urteil (1958) oder Volkszählungs-Urteil 1983. Dem dtBVerfG gebührt auch das Verdienst, die im Bonner GG niedergelegte Gleichberechtigung der Geschlechter (gegen einen zögerlichen Gesetzgeber und widerstrebende Zivilgerichte) durchgesetzt zu haben. Österreich zog erst in der Kreisky-Broda-Ära nach. Die Vermittlung in Österreich erfolgte durch Franz Gschnitzers, AllgT (19661); vgl auch die umfangreiche Darstellung in: Gschnitzer, AllgT 182-223 (19922).
§ 16 ABGB
Der späte judikative Rückgriff auf den effizienten Persönlichkeitsschutz durch die §§ 16 und 17 ABGB ist umso erstaunlicher, als bspw bereits die ABGB-FS von 1911 (II 163) den Beitrag von Emanuel Adler enthält: „Die Persönlichkeitsrechte im allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch”. Und ebendort (I 173 ff) finden sich die wichtigen Ausführungen Moriz Wellspachers, „Das Naturrecht und das ABGB”, die ebenfalls auf § 16 ABGB eingehen. – Zuvor hatte allerdings die unter dem Einfluss von C.F.v. Savigny stehende Historische (Rechts)Schule das Bestehen subjektiver Persönlichkeitsrechte überhaupt geleugnet und damit eindrucksvoll ihre (theoretisch verbrämte) Weltfremdheit unter Beweis gestellt; arg: Rechtsmacht an der eigenen Person sei undenkbar. In Österreich wurde dieses Gedankengut von Joseph Unger vertreten: System I 496 ff und 504 ff (18764);
Widerstand der Historischen (Rechts)Schule
Literaturquelle
Beigetragen zur Missachtung des seit 1797 in Österreich gesetzlich geregelten Persönlichkeitsschutzes, hat aber auch die weithin bestehende und lang anhaltende überhebliche Geringschätzung naturrechtlichen Gedankenguts (seit der Mitte des 19. Jhds), die ebenfalls von der Historischen Rechtsschule gefördert wurde, idF aber auf das Konto des erstarkenden Rechtspositivismus geht. Schließlich hat in Österreich das seit den 1930er-Jahren auf fruchtbaren Boden gefallene nationalsozialistische Gedankengut, für das der Einzelne nichts, das Volk aber alles bedeutete, einen menschen- und persönlichkeitsrechtlichen Individualschutz – wie ihn die §§ 16 und 17 ABGB konzipiert hatten – unmöglich gemacht. Und anders als in Deutschland kam es in Österreich nach 1945 auch nicht zu einer Renaissance des Naturrechtsdenkens, das einen effizienten Rückgriff auf die menschenrechtliche Substanz der §§ 16 und 17 ABGB gefördert hätte; Otte, Die Naturrechtsrechtsprechung der Nachkriegszeit (angekündigt).
Rechtspositivismus etc
Umso erstaunlicher ist es, dass auch nach dieser historisch bewegten Entwicklung des österreichischen Persönlichkeitsschutzes namhafte Vertreter des österreichischen Privatrechts die Bedeutung der §§ 16 ff ABGB immer noch nicht hinreichend erkannt haben und bspw nicht vorbehaltlos ein in § 16 ABGB verwirklichtes „allgemeines Persönlichkeitsrecht” annehmen. Man kann da nur sagen: „Lernen Sie Geschichte”. – Fortschrittlicher denkt die Rspr, die in diesem bedeutenden Fragenbereich volle Unterstützung verdient.§ 16 ABGB: Sitz eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts – Generalklausel.
Zum Schutz der menschlichen Persönlichkeit, ihrer Würde und Individualität (Menschenwürde) wurden also zivilrechtliche Persönlichkeitsrechte entwickelt. – § 16 ABGB wird heute als Sitz eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts verstanden. Aus diesem allgemeinen Persönlichkeitsrecht fließen nach wohl schon herrschendem Verständnis bei Bedarf neue einzelne / konkrete Persönlichkeitsrechte, wie zB das Recht am eigenen Bild oder das Recht an der eigenen Stimme oder das Recht auf einen würdigen Tod oder auf informationelle Selbstbestimmung → Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Menschenwürde
Literaturquelle
§ 16 ABGB wird immer dann als Generalklausel für den Persönlichkeitsschutz herangezogen, wenn bislang keine konkrete gesetzliche Norm diesen Schutz gewährt. – Daneben dient diese Bestimmung auch als Argumentationshilfe und Eingangstor für das Einfließen der Grundrechte → Grundrechte und Privatrecht – Wie aus einem Steinbruch werden bei Bedarf neue Quader aus dem Muttergestein des § 16 ABGB gebrochen, um eine sichtbar gewordene Bresche / Lücke in der rechtlichen Schutzmauer zu schließen. Das moderne Leben (Wirtschaftsmacht, Mediengesellschaft, rücksichtslose Arbeitswelt und Politik) sorgt immer wieder für Schutzlücken, die dank des § 16 ABGB geschlossen werden können, wenn man das „will”.
Generalklausel
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1990, 734(Duldungs- und Mitwirkungspflichten des Sozialversicherten im Bereich medizinischer Versorgung – Zumutbarkeit einer Operation): § 16 ABGB ist nicht bloß Programmsatz, sondern Zentralnorm unserer Rechtsordnung mit normativem, subjektive Rechte gewährendem Inhalt und schützt in seinem Kernbereich die Menschenwürde. – Dieses Verständnis des § 16 ABGB durch den OGH verdient volle Zustimmung.
nach oben
2. Der Beitrag des öffentlichen Rechts
Der heute grundlegende Schutz der menschlichen Persönlichkeit wird in unserer Rechtsordnung auf verschiedene Weise verwirklicht; Privatrecht und öffentliches Recht leisten dazu ihren spezifischen Beitrag. – Ein modernes Verständnis verlangt nach einer funktionalen Harmonisierung von Privatrecht (Persönlichkeitsrechten) und öffentlichem Recht (Grundrechte), die in Österreich bislang noch nicht gelungen ist. So wie das Privatrecht von einer bloß mittelbaren Einwirkung der Grundrechte wegkommen muss (→ Was bedeutet „mittelbare” Einwirkung?), braucht auch das Grundrechtsverständnis eine Öffnung. Dies schon deshalb, weil bspw die Freiheit des Einzelnen längst nicht mehr nur vom Staate und seinen Organen gefährdet wird, sondern auch von „privaten” Mächten; das mögen politische Parteien oder Multis sein. Gegen solche Akteure auf (Grund)Schutz verzichten zu müssen, erscheint nicht mehr zeitgemäß. – Die vom dtBVerfG eingeschlagene Entwicklung sollte uns Vorbild sein.
Das Verfassungsrecht wirkt insbesondere durch die Grundrechte, von denen einige beispielhaft genannt werden sollen; StGG 1867: – Art 5: Das Eigentum ist unverletzlich; – Art 6: Niederlassungsfreiheit, Freiheit des Liegenschaftsverkehrs, insbesondere des Liegenschaftserwerbs, Freiheit der Erwerbstätigkeit; – Art 8: Schutz der persönlichen Freiheit (ergänzt durch das BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 1988/684); – Art 9: Schutz des Hausrechts; – Art 10: Schutz des Briefgeheimnisses; – Art 11a: Schutz des Fernmeldegeheimnisses; – Art 12: Versammlungs- und Vereinsfreiheit; – Art 13: Schutz der freien Meinungsäußerung innerhalb der gesetzlichen Schranken (Zensurverbot); – Art 14: Volle Glaubens- und Gewissensfreiheit; – Art 17: Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei; – Art 17a: Freiheit der Kunst; – Art 18: Freiheit der Berufswahl; – Art 19: Schutz von Minderheiten – „Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung seiner Nationalität und Sprache”. – Vgl auch – Art 7 B-VG: Gleichheit aller Bundesbürger vor dem Gesetz; – Art 83 B-VG: Recht auf den gesetzlichen Richter: „Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.”
Anders als das Privatrecht, das in § 16 ABGB eine Generalklausel für Persönlichkeitsrechte kennt, gibt es bislang keine Grundrechts-Generalklausel, wenngleich das sinnvoll wäre (Übernahme der §§ 16, 17 ABGB!); vgl dagegen Art 1 (Schutz der Menschenwürde) und Art 2 („Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit ...”) des BonnerGG 1949. Daran zeigt sich die vergleichsweise größere Flexibilität und Funktionalität des Privatrechts. – Zur sog (mittelbaren) Drittwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht → Grundrechte und Privatrecht
Literaturquelle
Einen ausdrücklichen Schutz der Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker in Krankenanstalten statuiert das UbG 1990 (§ 1) → Das Unterbringungsgesetz 1990 – § 5a KAKuG (BGBl 1993/801), ausgeführt durch Landes-Ausführungsgesetze (zB § 9a TirKAG, LGBl 1995/82) statuiert Patientenrechte, als spezifische Persönlichkeitsrechte. – Andere wichtige Bereiche sind etwa das DSG 2000 → Datenschutz oder das MedG → §§ 6 ff MedG
Beispiele aus dem Verwaltungsrecht
§§ 75 ff StGB (Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben: § 75 Mord; § 76 Totschlag; § 80 fahrlässige Tötung; § 83 Körperverletzung usw); – §§ 99 ff (Strafbare Handlungen gegen die Freiheit); – §§ 111 ff (Strafbare Handlungen gegen die Ehre: § 111 Üble Nachrede, § 113 Vorwurf einer schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung, § 115 Beleidigung); – §§ 118 ff (Verletzungen der Privatsphäre und bestimmter Berufsgeheimnisse: § 118 Verletzung des Briefgeheimnisses und Unterdrückung von Briefen, § 119 Verletzung des Fernmeldegeheimnisses, § 120 Missbrauch von Tonaufnahme- oder Abhörgeräten, § 121 Verletzung von Berufsgeheimnissen, § 122 Verletzung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses).
Auch das Völkerrecht / internationale Recht schützt seit geraumer Zeit die Persönlichkeit des Menschen. Vgl etwa: – die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK (BGBl 1958/210): Die Konvention selbst stammt vom 4.11.1950, das 1. ZP vom 20.3.1952: ZB – Art 2: Leben; – Art 3: Folter, unmenschliche und erniedrigende Strafe oder Behandlung; – Art 4: Sklaverei; – Art 5: Freiheit und Sicherheit; – Art 6: Recht auf ein faires Verfahren etc; – Art 8: Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs uvam; – Art 11: Vereinsfreiheit und die – UNO-Deklaration der Menschenrechte vom 10.12.1948.
EU: Die neue EU-Verfassung wird eine „Grundrechtscharta” enthalten und damit auf supranationaler Ebene den Grundrechtsschutz der einzelnen EU-Bürger/innen stärken.
nach oben
3. Der Beitrag des Privatrechts
Im Privatrecht schützt einerseits das ABGB selbst – zB §§ 16, 17, 43, 1325 ff, 1328 und 1329, 1330 uam – die menschliche Persönlichkeit, wie andererseits auch andere Privatrechtsnormen:etwa § 78 UrhG (Recht am eigenen Bild) und in Analogie dazu das Recht an der eigenen Stimme (Gschnitzer). – Den tiefen menschlichen Gehalt der §§ 16, 17 ABGB verdanken wir Karl Anton von Martini; vgl das Pkt C vorangestellte Motto.
Das BonnerGG 1949 formuliert: Art 1 Abs 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt”; und Art 2 Abs 1 GG: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt”.
BonnerGG 1949: Schutz der Menschenwürde
SchwZGB: Art 27 Abs 1: „Auf die Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit kann niemand ganz oder zum Teil verzichten”; Art 27 Abs 2 SchwZGB: „Niemand kann sich seiner Freiheit entäußern ...”; Art 28 Abs 1 SchwZGB: „Wer in seinen persönlichen Verhältnissen unbefugterweise verletzt wird, kann auf Beseitigung der Störung klagen ...”.
Literaturquelle
nach oben
4. Wirkung: Absoluter Rechtsschutz
Die Persönlichkeitsrechte sind absolute Rechte, dh sie wirken gegen jedermann und sind von allen zu respektieren → KAPITEL 1: Absolute und relative Rechte. Zur Rechtsdurchsetzung → Wie werden Persönlichkeitsrechte geschützt?
Beispiel
nach oben
5. Ermittlung von Schutzinhalten und Schutzgrenzen
Die Grenzen des konkreten Persönlichkeitsschutzes müssen jeweils durch Interessenabwägung abgesteckt werden. – Dazu hat sich Albert Ehrenzweig (I/12, 127) grundlegend geäußert:
Interessenabwägung
„Der Schutz der Persönlichkeit, namentlich der Gefühlssphäre, darf nicht überspannt werden. Nicht nur die eigene Freiheit, auch die des anderen ist ein Persönlichkeitsrecht. Wo die Grenze liegt, darüber entscheidet nicht der doktrinäre Begriff, sondern die gerechte Abwägung der widerstreitenden Interessen.”
So ist bspw im Rahmen des Schutzes nach § 78 UrhG (Recht auf das eigene Bild) zwischen dem berechtigten Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem privaten Schutzbedürfnis des Einzelnen abzuwägen, was nicht immer leicht ist. Diese Abwägung ist vor allem für die Politik von Bedeutung. Auch das Privatleben von Politikern und Künstlern ist selbstverständlich geschützt. – Andrerseits hat die Bevölkerung ein Recht über wichtiges unterrichtet zu werden, was mit ihrer Amtsführung zu tun hat.
Informationsinteresse versus Schutzbedürfnis
Rechtssprechungsbeispiel
RfR 1989, 37 (Erk des VfGH): Waldheim-Interview im ORF: „Die Grenzen akzeptabler kritisch-provokanter Fragestellung sind in Bezug auf einem im öffentlichen Leben stehenden Politiker grundsätzlich weitergezogen als bezüglich einer Privatperson.” Waldheim war gefragt worden: „Herr Bundespräsident, bitte in einem Bereich, in dem wir kein Erinnerungsproblem haben ...” Der VfGH erblickte im Bescheid der Rundfunkkommission, der eine Verletzung des in § 2 RfG statuierten Objektivitätsverbots angenommen hatte, eine Verletzung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung.
EvBl 1995/96: Missbrauch von Personenbildnissen → Rechtsprechungsbeispiele
OGH und „Baukartell-Vorwürfe” des Grünabgeordneten Peter Pilz (Aus: Der Standard, 18.6.1999, S. 55): Bauaffäre: Verfassungsexperte (Heinz Mayer / Wien) kritisiert OGH-Entscheidung – Meinungsfreiheit am Würgeband: ‚Haltet den Mund, Kritiker!’
Unter dieser oder einer ähnlichen Überschrift berichteten die Medien in den vergangenen Tagen über eine E des OGH. Was war geschehen? Ein Abgeordneter zum Wiener Landtag hatte im Vorjahr im Rahmen einer Pressekonferenz sinngemäß behauptet, ein der Gemeinde Wien nahestehendes Bauunternehmen sei Mitglied eines Wiener Baukartells und der Vorstand sei über die gesamten Praktiken informiert.
Zum Beleg wurden Unterlagen vorgelegt und auch dem Kontrollamt der Stadt Wien übermittelt .... Das Unternehmen reagierte prompt ...: Es klagte den Mandatar auf Kreditschädigung (100 Mio Schilling) und beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der dem Abgeordneten verboten wird, die genannten Behauptungen ‚und gleichartige ähnliche kreditschädigende Äußerungen zu verbreiten’. Das Erstgericht erließ diese Verfügung antragsmäßig. Wenig später verhängte die Stadt Wien u.a. über das klagende Unternehmen eine Bausperre. Daraufhin hob das Gericht die einstweilige Verfügung auf: Es sei ‚einer breiteren Öffentlichkeit und im übrigen auch gerichtsnotorisch bekannt ..., dass die Klägerin in ... Bieterabsprachen verwickelt ist’. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung; es bezog sich dabei auch auf einen Kontrollamtsbericht der Stadt Wien, in dem dieses zum Ergebnis kam, dass die vom Abgeordneten übermittelten Unterlagen ‚Aufzeichnungen über Bieterabsprachen’ seien. Das Kontrollamt brachte seinen Bericht auch der Stadt Wien zur Kenntnis. Nun war der Oberste Gerichtshof am Zug: Das Unternehmen wehrte sich gegen die Aufhebung der einstweiligen Verfügung; es sei weiterhin in seinem guten Ruf gefährdet, wenn der Abgeordnete seine Vorwürfe verbreite. Damit fand es beim 6. Senat des OGH Verständnis; dieser setzte die"\f1 einstweilige Verfügung und damit das Redeverbot wieder in Kraft. Mit einer ganz und gar überraschenden Begründung: Es sei zwar die Auftragssperre und auch der Kontrollamtsbericht ‚ein Indiz für die Richtigkeit der Vorwürfe’, dies bedeute aber nicht, dass die Gefährdung weggefallen sei. Nur wenn feststünde, dass die Vorwürfe ‚allen denkmöglichen Kunden’ bekannt geworden seien ‚und eine allgemeine negative Ansicht darüber bestünde, dass die Vorwürfe ... stimmen’, sei eine Gefährdung des guten Rufes des Unternehmens auszuschließen. Dies sei aber nicht ‚zwingend’ anzunehmen. Dieser Beschluss – so H. Mayer – reicht in seiner Bedeutung weit über den Anlassfall hinaus. Er trifft praktisch jedermann, insbesondere auch die Presse. Seine Begründung ist ein juristischer Skandal .... Mit Befremdung muss man zunächst feststellen, dass dem Obersten Gerichtshof die verfassungsrechtliche Dimension seiner Entscheidung offenbar vollkommen verborgen blieb; davon, dass diese Entscheidung in das Grundrecht der Meinungsfreiheit eingreift, ist nicht einmal andeutungsweise die Rede. Das ist unverständlich; haben sich doch andere Senate des OGH in den letzten Jahren wiederholt und gewissenhaft mit dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung und mit der dazu ergangenen Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) auseinandergesetzt. Insbesondere der 4. Senat: Dieser hat etwa im Jahre 1996, dem EGMR folgend, klargestellt, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade solchen Meinungen gilt, die ‚gegen den Strom schwimmen’ und Teile der Bevölkerung verletzen, schokkieren oder beunruhigen. Eine Demokratie ist nämlich nur möglich, wenn eine offene geistige Auseinandersetzung gewährleistet ist. Auf diesen demokratietheoretischen Aspekt Meinungsfreiheit hat etwa der 7. Senat des OGH bereits im Jahre 1991 hingewiesen und beigefügt, dass es nicht zulässig sei, ‚Kritiker durch strafrechtliches oder zivilrechtliches Vorgehen mundtot’ zu machen. Auch damit folgte der OGH der Lehre und der Judikatur des EGMR. Freilich hat auch die Meinungsfreiheit Grenzen; sie darf etwa dann eingeschränkt werden, wenn dies zum Schutze des guten Rufes in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Im Zweifel muss eine Interessenabwägung stattfinden, eine Einschränkung der Meinungsfreiheit darf, so EGMR in einem Urteil 1992, immer nur eine eng begrenzte Ausnahme sein. All dies wurde in der Rechtswissenschaft und in der Judikatur des EGMR, des Verfassungsgerichtshofs und auch des OGH in den letzten Jahrzehnten erarbeitet und gehört heute zum verfassungsrechtlichen Lehrbuchwissen. Umso erstaunlicher, dass dies dem 6. Senat des OGH gänzlich verborgen blieb. Hat der OGH nicht gesehen, dass ein sanktioniertes Verbot, bestimmte Dinge zu sagen, eines der wichtigsten demokratischen Grundrechte beeinträchtigt? Bringt man das auf den Punkt, was von der Meinungsfreiheit nach dieser Entscheidung überbleibt, dann ist es dies: Eine Kritik, die den guten Ruf eines anderen beeinträchtigen könnte, ist dann zulässig, wenn sie allgemein bekannt und geteilt ist. Dies muss aber ‚feststehen’! ... Man kann nur hoffen, dass diese Auffassung vereinzelt bleibt und dass die künftige Judikatur des OGH das Grundrecht der Meinungsfreiheit von diesem Würgeband wieder befreit. Sonst wird es still in diesem Land. Gespenstisch still."
– Der Schutz der Meinungsfreiheit durch die Rspr scheint sich aber zu wandeln. So wurde Prof. Anton Pelinka in erster Instanz für folgende Aussagen zur Person Jörg Haiders strafrechtlich verurteilt (§§ 111 Abs 1 und 2 und 115 Abs 1 StGB: Üble Nachrede und Beleidigung): Haider hat in seiner Karriere immer wieder Aussagen gemacht, die als Verharmlosung des Nationalsozialismus zu werten sind. Er hat einmal die Vernichtungslager ‚Straflager’ genannt. Insgesamt ist Haider verantwortlich für eine Salonfähigkeit bestimmter nationalsozialistischer Positionen und bestimmter nationalsozialistischer Äußerungen." (Mai 1999 im italienischen TV) – Das OLG Wien (24. BS 244/2000) hat Pelinka 2001 aber freigesprochen; vgl Informationen der Gesellschaft für politische Aufklärung Nr 69/2001, 6 f.
Zur mittelbaren Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht → Grundrechte und Privatrecht
Die Probleme um den Schutz der Rechtspersönlichkeit des Menschen sind heute grundsätzlich gelöst. Offene Fragen bestehen aber noch am Beginn, gleichsam in der Phase des Noch-nicht-(ganz)-Menschseins (§ 22 ABGB) und bei den Nachwirkungen der menschlichen Existenz, also der Phase des Nicht-mehr-Menschseins. – Wen wundert es, dass die gesellschaftliche und religiöse Einfärbung des jeweiligen Betrachters zu unterschiedlichen Ergebnissen führt?
Offene Fragen
Zur ersten Gruppe gehört vor allem das menschlich schwierige Problem der Abtreibung, zur letzteren das des postmortalen Persönlichkeitsschutzes. Allein die Gegensätze sind nicht mehr so schroff wie früher. Damit soll nicht gesagt sein, dass die Fragen des Persönlichkeitsrechtsschutzes in all ihren Details schon befriedigend gelöst werden, zumal immer wieder neue Herausforderungen auftreten, die es im Geiste des § 16 ABGB zu lösen gilt; zB im Bereich der Gentechnik, des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, der Frage der Verbindlichkeit von Patiententestamenten oder dem Umfang und der Durchsetzung von Geheimhaltungs- und Verschwiegenheitspflichten. – Das Instrumentarium zur Lösung dieser Fragen ist vorhanden, wir müssen es nur zum Wohle der Menschen anwenden.
Literaturquelle
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 57/98 (1984): Sohn verlangt Herausgabe der Krankengeschichte seiner verstorbenen Mutter.
nach oben
II. Persönlichkeitsrechte – Überblick
§ 26 ABGB stellt juristische Personen grundsätzlich den natürlichen Personen gleich; das gilt auch für den Persönlichkeitsschutz, der – soweit möglich und sinnvoll – auch juristischen Personen zuerkannt wird; zB nach § 1330 ABGB: Ehre. Die Rspr erstreckt diesen Schutz auch auf Personengesellschaften (OHG, KG, GesbR etc), mögen diese auch keine voll entwickelten oder überhaupt keine juristischen Personen sein.
1. Recht auf Leben, Gesundheit, Erwerbsfähigkeit
Rechtsquellen: § 22, §§ 1325–1327 ABGB + Art 2 EMRK, §§ 75 ff StGB.
Zu den Patienten-Pesönlichkeitsrechten → Persönlichkeitsschutz im Medizinbereich
Literaturquelle
nach oben
2. Recht auf einen würdigen Tod
Dieses mittlerweile bedeutende Persönlichkeitsrecht wurde zunächst aus § 16 ABGB abgeleitet und erst idF gesetzlich festgeschrieben; vgl nunmehr § 5a Z 9 KAKuG (→ Persönlichkeitsschutz im Medizinbereich) samt Landesausführungsgesetzen.
Beispiel
Beispiel
Literaturquelle
Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung in § 62a KAKuG ist es gestattet, Verstorbenen – so sie zu Lebzeiten keine gegenteilige Anordnung (sog Widerspruchs­erklärung) abgegeben haben – einzelne Organe und Organteile zu entnehmen, um damit anderen Menschen zu helfen; Organtransplantation. Zur historischen Interpretation dieser Norm → KAPITEL 18: Weltbild, Menschenbild und Menschenwürde ¿ Zur Rolle der Medizin in modernen Gesellschaften. – Nach dem KAKuG muss derzeit für eine Organentnahme nicht die Zustimmung der Angehörigen eingeholt werden. Die Grenze der Pietät ist aber zu beachten, zumal Missstände in anderen Ländern bekannt sind; Handel mit ‘lebenden’ Organen. Näheres bei Barta, in Barta / Ernst / Moser (1994). – Gesetzlich geregelt ist in Österreich derzeit nur die Toten-, nicht dagegen die Lebendspende. Auch viele andere wichtige Fragen des Transplantationsrechts sind ungeregelt.
Organtransplantation
Literaturquelle
nach oben
3. Schutz der geschlechtlichen Selbstbestimmung und Freiheit
Mit BGBl 1996/759 wurde vor § 1328 ABGB auch eine neue Überschrift eingefügt und dadurch endlich ein präziser gefasstes Persönlichkeitsrecht in diesem praktisch so wichtigen Bereich geschaffen.
§§ 1328, 1329 ABGB
nach oben
4. Gleichheit
Vgl dazu die §§ 17, 39, 33 ABGB iVm Art 7 B-VG etc. – Die Entstehung dieses auch privatrechtlich so bedeutenden Gesichtspunktes verdanken wir den alten Griechen (Solon).
nach oben
5. Recht eine (nichteheliche) Lebensgemeinschaft einzugehen
Auch dieses Recht wird auf § 16 ABGB gestützt.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 64/106 (AusgedingeAufnahme eines Lebensgefährten in die Wohnung?): 1975 war der Hof dem Sohn übergeben worden. Der Sohn hatte seinen Eltern das übliche Ausgedinge eingeräumt. Nach dem Tod des Vaters / Altbauers geht die Witwe / Mutter des Übernehmers mit einem anderen Mann eine Lebensgemeinschaft ein. Das führte in der Folge zum Streit des Sohnes mit seiner Frau und schließlich klagte die Schwiegertochter die Schwiegermutter darauf, die Gestattung des weiteren Bewohnens des Hauses durch ihren Lebensgefährten zu unterlassen. Der OGH wies dieses Klagebegehren mit der Begründung ab, dass es ein Persönlichkeitsrecht sei, eine Lebensgemeinschaft einzugehen und dass die Aufnahme eines Lebensgefährten in die Ausgedingswohnung nur dann untersagt werden kann, wenn dies von den Parteien schon im Vertrag so gewollt und vereinbart war. Zum Ausgedinge → KAPITEL 8: Das Ausgedinge.
nach oben
6. Ehre, wirtschaftliches Fortkommen, Kreditfähigkeit
nach oben
7. Urheber- und Patentschutz
Vgl § 4 PatG; § 6 PatG: Schutz der Erfinderehre; §§ 19 ff UrhG: Schutz des sog Urheberpersönlichkeitsrechts.
Literaturquelle
nach oben
8. Briefschutz
Er erfasst bspw auch Tagebücher; § 77 UrhG.
nach oben
9. Persönlichkeitsschutz im Medizinbereich
Die Rspr gewährt auch Persönlichkeitsrechte im Rahmen der ärztlichen Behandlung und überhaupt im Rahmen der Beziehung „Recht und Medizin”: zB ärztliche Aufklärungspflicht, Verschwiegenheitspflicht, Einsicht / Herausgabe / in die/der (eigene/n) Krankengeschichte oder überhaupt das Recht auf ein/en würdiges/n Sterben / Tod. – Hier geht es um das immer wieder verkannte Selbstbestimmungsrecht von Patienten, das von Medizinern oft nicht verstanden wird.
Selbstbestimmungsrecht von Patienten
Beispiel
Eine Novelle zum KAKuG, BGBl 1993/801 schuf erstmals Patienten(persönlichkeits)rechte für den Bereich der öffentlichen Krankenanstalten, die von den Ländern in L-KAG auszuführen waren; vgl etwa § 9a TirKAG, LGBl 1995/82 in Ausführung des § 5a KAG. Danach haben die Träger der Krankenanstalten ua sicherzustellen, dass:
Patienten(persönlichkeits)rechte
„1. Pfleglinge Informationen über die ihnen zustehenden Rechte erhalten sowie ihr Recht auf Einsicht in die Krankengeschichte und die Herstellung von Abschriften oder Ablichtungen davon ausüben können;
2. Pfleglinge ihr Recht auf Aufklärung und Information über die Behandlungsmöglichkeiten samt Risiken ausüben können; ...
6. auf Wunsch des Pfleglings eine psychologische Unterstützung möglich ist;
7. die Intimsphäre der Pfleglinge ausreichend gewahrt ist; ...
9. ein würdevolles Sterben sichergestellt ist und Vertrauenspersonen Kontakt mit dem Sterbenden pflegen können; ...
11. bei der stationären und ambulanten Versorgung von Kindern eine möglichst kindergerechte Ausstattung der Krankenräume gegeben ist; ...”
Zur Unterstützung von Patienten wurden schon 1993 (KAKuG) Patientenvertretungen geschaffen, die gerne mit den Patientenanwaltschaften (→ Das Unterbringungsgesetz 1990 ) verwechselt werden. Wichtige Aufgabe der Patientenvertretungen ist es ua Patienten bei der Durchsetzung allfälliger Schadenersatzansprüche aus unterlaufenen Behandlungsfehlern behilflich zu sein. – Zur Arzt- oder Medizinhaftung und zum Behandlungsvertrag → KAPITEL 10: Behandlungsvertrag ¿ Medizinhaftung.
nach oben
10. Achtung des religiösen Empfindens und des Pietätsgefühls
Vgl § 39 ABGB. – Dieses Recht kollidiert immer wieder mit der Freiheit der Kunst; Art 17a StGG 1867.
Literaturquelle
nach oben
11. Recht auf das eigene Bild: § 78 UrhG
Der praktisch bedeutsame Bildnisschutz wird analog auf den Schutz der eigenen Stimme ausgedehnt, das gesprochene Wort (Gschnitzer); SZ 65/134: dazu gleich unten.
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 65/134 (1992): Tonbandaufnahme einer geschäftlichen Besprechung unter vier Augen (zwischen Geschäftsführer und Außendienstmitarbeiter) ohne Zustimmung des Gesprächspartners stellt einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar und ist rechtswidrig. Arbeitsrechtlich begründet ein solches Verhalten eine Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1, 3. Fall AngG und berechtigt zur Entlassung. – OGH stützt sich in dieser E ua auf Koziol, nicht aber Gschnitzer, von dem dieser Schutz erstmals gefordert wurde; vgl AT1 72 (1966).
nach oben
12. Das Namensrecht
§ 43 ABGB: Schutz genießen natürliche und juristische Personen. Vgl auch §§ 17 ff HGB: Firmenschutz.
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1985/38: Unbefugter Namensgebrauch eines Rechtsanwalts. Unzulässige „Namensanmaßung” eines Rechtsanwalts, der im Briefkopf seines Kanzleipapiers neben seinem eigenen Namen auch noch den Namen eines andern Rechtsanwalts – seines ehemaligen Kanzleikollegen – anführt und dadurch den irrigen Eindruck einer in Wahrheit nicht (mehr) bestehenden Kanzleigemeinschaft hervorruft. – Abgrenzung zwischen einer „Namensanmaßung” und einer bloßen „Namensnennung”.
Der Name bezeichnet den Menschen, die natürliche Person, festigt seine Identität. Durch den Namen unterscheidet er sich von anderen Individuen. Namensschutz bedeutet daher rechtlich: Identitätsschutz. Namensschutz spielt nicht nur bei natürlichen Personen, sondern auch bei juristischen Personen eine wichtige Rolle; auch die Firma und die Unternehmensbezeichnung etc werden geschützt. – Es lässt sich sagen: Der „Name” schützt die Identität von Rechtssubjekten und hilft diese voneinander unterscheiden.
Identitätsschutz
Die Vorschriften des Namensrechts sind idR öffentlichrechtlicher Natur, das Privatrecht räumt den einzelnen Rechtssubjekten aber ein subjektives Privatrecht zum Schutz des Namens ein. – Darin liegt die Bedeutung des § 43 ABGB. Diese Ebenen sind zu unterscheiden!
Der bürgerliche Name besteht aus dem Vor- und Familiennamen; beide sind geschützt. Der Name ist ein höchstpersönliches Recht und kann daher weder veräußert noch vererbt werden; vgl aber den unten wiedergegebenen „Radetzky-Fall”, der uns zeigt, dass über die wirtschaftliche Verwendung eines Namens durch andere ein Gestattungsvertrag abgeschlossen werden kann. Der Name kann also mit Zustimmung des Namensinhabers zu Werbezwecken verwendet werden und das Handelsrecht lässt Firmen(namens)übertragungen zu.
Bürgerlicher Name
Mit Gesetz vom 3.4.1919, StGBl 211 – sog AdelsaufhebungsG – wurde es österreichischen Staatsbürgern untersagt, Adelsbezeichnungen zu führen. Manche glauben aber darauf nicht verzichten zu können. Die Praxis ist großzügig und übergeht die rechtswidrige Verwendung von Adelsbezeichnungen in Tauf-, Hochzeits- oder Todesmitteilungen.
AdelsaufhebungsG
Geschützt wird aber nicht nur derFamilienname, sondern auch:
Weiter Namensschutz
• Der Deck- oder Künstlername vgl neben § 43 ABGB etwa §§ 12, 61, 68 UrhG oder § 3 MedG;
• der sog Vulgär- oder Hofname;
• der Name juristischer Personen;
• aber auch Geschäfts- und Etablissementbezeichnungen;
Zum handelsrechtlichen Firmenschutz vgl § 17 HGB iVm § 37 HGB: Die Firma ist der Name des Kaufmanns „unter dem er im Handel seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt. Ein Kaufmann kann unter seiner Firma klagen und beklagt werden”.
Firmenschutz
• und nunmehr der Domain-Name im Internet, insbesondere auf Homepages → KAPITEL 2: Rechtliche Probleme des Domain Namens: H. Ortner.
Literaturquelle
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 2000/113 (§ 43 ABGB – Zum Charakter des Domain-Namens): Domain-Namen, die einen Namen enthalten oder namensmäßig anmuten, haben Kennzeichnungs- und Namensfunktion. Der Domain-Name identifiziert einen bestimmten Computer im Internet. Er fällt demnach unter den Schutz des § 43 ABGB.
OGH 21. 12. 1999, 4 Ob 320/99h („ ortig-Fall”), SZ 72/207 = EvBl 2002/107: Im Gründungsstadium befindlicher Dachverband für Internetanbieter will Akronymortigals Domainnamen („ortig.at”) verwenden. Der Kläger, der diesen Familiennamen trägt und darunter Internetdienstleistungen anbietet, klagt aus § 43 ABGB auf Unterlassung. – OGH: Domainnamen, die einen Namen enthalten oder namensmäßig anmuten (hier: „ortig”), haben Kennzeichnungs- und Namensfunktion; sie fallen demnach unter den Schutz des § 43 ABGB. Es gilt das Prioritätsprinzip [immer?], weshalb der OGH die Verwendung der Internetadresse „ortig.at” untersagt; und das, obwohl der geschützte Unternehmer selbst seinen Namen nicht als Internetadresse verwendet. (E überzeugt nicht restlos.)
OGH 22. 3. 2001, 4 Ob 39/01s, EvBl 2001/155: Die Verwendung eines Namens für eine Internet-Domain beeinträchtigt die berechtigten Interessen des Trägers der diesen Namen führenden Institution, wenn auf der dazu gehörigen Website „Insider-Informationen” dieser Institution angeboten werden, die den Bruch der Amtsverschwiegenheit nahe legen; hier: „rechnungshof.com”, „rechnungshof.org”, „rechnungshof.net”. Es liegt somit ein Verstoß gegen das Namensrecht des § 43 ABGB vor. Überlegenswert erschiene ein Abstützen über §§ 16, 26 iVm 43 ABGB.
Zur Namensgebung und Namensänderung im Familienrecht → KAPITEL 16: Namensrecht und Staatsbürgerschaft.
Namensgebung und Namensänderung
Neben § 43 ABGB gewähren auch Normen außerhalb des ABGB, etwa: §§ 30, 37 HGB; § 9 UWG; §§ 12, 51 ff MarkSchG, Namensschutz.
Namensschutz
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 55/145 (1982): Barbara Rütting-Brot: Wer den Namen eines anderen ohne dessen Einwilligung zur Kennzeichnung von Waren im Handelsverkehr verwendet, begeht eine Kennzeichenverletzung iSd § 56 MarkSchG iVm § 12 leg cit.
OGH 15. 6. 2000, 4 Ob 85/00d („ Radetzky-Fall”), JBl 2001, 54: Der Großvater des Beklagten erhielt vom Vater des Klägers (Josef Graf Radetzky) die Erlaubnis zur Verwendung des Familiennamens für seinen Weinhandel. Der Kläger begehrt nun vom Beklagten, die Verwendung des Namens „Radetzky” zu unterlassen. – OGH: Wegen der Höchstpersönlichkeit des Namensrechts kann die Gestattung der Namensverwendung nicht als Veräußerung, sondern nur als Verzicht als die Geltendmachung von Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen gegen den Begünstigten angesehen werden. Dieser Gestattungsvertrag bindet auch den (Gesamt) Rechtsnachfolger des Gestattenden (=Kläger). Diese E lehrt uns, ebenso wie das Firmenrecht, dass es dogmatisch vorzuziehen ist, nicht das gesamte „Spektrum” des Namensschutzes als höchstpesönlich anzusehen. Vorzuziehen ist es vielmehr, von einem höchstpersönlichen Kern des Namensrechtes auszugehen und darüber hinaus, daran angelagert, auch nicht-höchstpersönliche Bereiche des Namensschutzes anzunehmen. Dadurch würde auch der „auf Verwandtschaft” mit dem Urheberrecht, dem Patentrecht etc Rechnung getragen.
nach oben
13. Datenschutz
Vgl § 1 DSG 2000 (Verfassungsbestimmung) – Mit dem Tatbestandsmerkmal „personenbezogene” wird immer wieder Missbrauch getrieben, um sich bestehender Verpflichtungen zu entledigen. Es ist Aufgabe der Rspr hier – wo immer möglich – für Klarheit zu sorgen.
Schutz personenbezogener Daten
„Jedermann hat Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit er daran ein schutzwürdiges Interesse, insbesondere im Hinblick auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, hat” (Abs 1).
§ 1 DSG 2000
Die anderen Absätze des § 1 DSG enthalten ein Recht auf Auskunft, Richtigstellung und Löschung eigener Daten. § 1 Abs 6 DSG bringt (unmittelbar) die Drittwirkung des Grundrechts auf Datenschutz, also dessen Geltung im Bereich privatrechtlicher Beziehungen, zum Ausdruck; verfassungsrechtliche Garantie des ordentlichen Zivilrechtswegs. – Im Bereich der Hoheitsverwaltung können sich Betroffene mit Individualbeschwerde an die Datenschutzkommission wenden; § 14 DSG.
Richtigstellung und Löschung etc
Der Schutz des DSG erstreckt sich auf natürliche und juristische Personen sowie Zwischenformen – unabhängig von der Staatsbürgerschaft; § 3 DSG.
Schutz umfasst nat und jurPn
nach oben
14. §§ 6 ff MedG
Hier werden üble Nachrede, Verspottung, Verleumdung, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs sanktioniert. – § 9 MedG regelt das Recht der Entgegnung; § 10 MedG die nachträgliche Mitteilung über den Ausgang eines Strafverfahrens.
Beispiel
Literaturquelle
nach oben
15. Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Dieses neue Persönlichkeitsrecht versucht das Schreckgespenst des gläsernen Menschen, auf dessen „Daten” von verschiedenen Seiten zugegriffen werden kann, zu bannen; zB Patientenkarte. – Hier erscheint es aber künftig wichtig, das Kind nicht mit dem Bade auszugießen.
„Die Vernetzung von Medizin, Wirtschaft und Verwaltung bildet den ganzen Bürger als Datengestalt ab, welche den Angriffen von Kommerz und Staat völlig wehrlos ausgeliefert ist: Das fürchten nicht nur Bürgerrechtler.” – Der Spiegel, Nr 11/11.3.1996, S. 74. – In Österreich liegt dzt ein Entwurf eines BG betreffend Übertragungssicherheit beim elektronischen Austausch von Gesundheitsdaten und Einrichtung eines Informationsmanagement-GesundheitstelematikG (BMSG unter GZ 70.101/22-VII/B/10/02) vor; RdM 2002, 121.
Literaturquelle
nach oben
16. Verschwiegenheitspflichten
Sie dienen in sehr unterschiedlichen Bereichen der Rechtsordnung ebenfalls dem Persönlichkeitsschutz: Etwa § 9 Abs 2 RAO, § 54 ÄrzteG 1998, Art 20 Abs 3 B-VG (Amtsverschwiegenheit für Beamte) uvam.
Literaturquelle
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 25. 9. 2001, 4 Ob 206/01z, EvBl 2002/32: Gegen einen Erzeuger von Faustfeuerwaffen ist ein Finanzstrafverfahren anhängig. In einer Zeitschrift erscheint ein Artikel mit Informationen, die nur aus dem Finanzstrafakt stammen können. Der Waffenproduzent klagt den Medieninhaber auf Schadenersatz. – OGH: § 48a BAO schützt auch das Interesse der Partei an der Geheimhaltung des Akteninhalts und ist deshalb als Schutznorm iSd § 1311 ABGB zu werten. Die Verletzung eines Schutzgesetzes verpflichtet nicht nur zu Schadenersatz, sondern auch zur Unterlassung.
nach oben
III. Wie werden Persönlichkeitsrechte geschützt?
1. Anspruchsberechtigung
Anspruchsberechtigt sind vorrangig Betroffene, deren berechtigte Interessen verletzt wurden. Eine Musterregelung zur Durchsetzung aller Persönlichkeitsrechte trifft § 43 ABGB → Wie werden Persönlichkeitsrechte geschützt? – Ist die in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzte Person bereits verstorben, trifft § 78 UrhG (Recht am eigenen Bild) eine grundsätzliche, analogiefähige Regelung dafür, wer nach dem Tod einer Person für den allenfalls nötigen (Persönlichkeitsrechts)Schutz sorgen kann. Es sind nahe Angehörige, was nicht mit Verwandtschaft zu verwechseln ist! Die Frage der Rechtswahrnehmung solcher Persönlichkeitsrechte erscheint aber noch nicht endgültig geklärt und verbesserungsfähig. Kant bspw (→ Sog postmortale Persönlichkeitsrechte) plädiert in Übernahme einer solonischen (von Plutarch überlieferten) Lösung, die aber ungenannt bleibt (!), für eine Popularklage zur Ehrenrettung Toter, was wie die folgenden Beispiele zeigen, für manche Fälle wichtig wäre. – Bedenkenswert erschiene eine von § 78 UrhG unabhängige Regelung (bspw in einem neu zu schaffenden § 43 Abs 2 ABGB), die Weiterentwicklungen enthalten könnte.
Das wäre auch insoferne überlegenswert, als § 78 UrhG bezüglich der Rechtsdurchsetzung postmortaler Persönlichkeitsrechte auf nahe Angehörige abstellt, die aber – wie wir wissen – mitunter auch selbst fragwürdige Handlungen setzen. – Vgl etwa die Herausgabe persönlicher Aufzeichnungen Ingeborg Bachmanns durch Angehörige; Die Zeit, Nr 41, 5. Okt 2000, S. 61.
Beispiel
nach oben
2. Rechtsdurchsetzung
Als Muster der Rechtsdurchsetzung von Persönlichkeitsrechten dient § 43 ABGB, der durch die III. TN (1916) eingefügt wurde. Dort wird unterschieden zwischen einem:
Unterlassungsanspruch (für den Verschulden keine Voraussetzung ist) und einem
Schadenersatzanspruch, der Verschulden voraussetzt.
Wie bei anderen absoluten Rechten (zB den Immaterialgüterrechten) erzeugt ihre Verletzung Ansprüche auf Unterlassung künftiger Eingriffe und auf Beseitigung dauerhafter Störungen; EvBl 1999/58: Zum Beseitigungsanspruch des Markeninhabers.
Der Unterlassungsanspruch beinhaltet auch einen Feststellungsanspruch in Bezug auf den Persönlichkeitseingriff und damit zusammenhängend, den Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung; zB Widerruf. – Der Schadenersatzanspruch strebt iSd § 1323 ABGB weitestgehende Wiederherstellung des früheren Zustandes an. Aber dies ist – wie wir wissen – bei weitem nicht immer möglich, worauf es perfide Menschen auch anlegen; denn: „Ist der Ruf einmal ruiniert, ...”
nach oben
3. Sog postmortale Persönlichkeitsrechte
Der Persönlichkeitsschutz des Menschen beginnt – wie wir gehört haben – in gewisser Weise bereits vor der Geburt (Schutz der Leibesfrucht / nasciturus; § 22 ABGB) und endet konsequenterweise auch nicht abrupt mit dem Tod.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 57/98 (1984): Postmortales Persönlichkeitsrecht – Aus dem zwischen dem Patienten und dem Träger der Krankenanstalt bestehenden Behandlungsvertrag ergibt sich die vor allem aus therapeutischen Gründen einschränkbare Verpflichtung des Trägers der Krankenanstalt, dem Patienten Einsicht in die Krankengeschichte zu gewähren. – Eine Verpflichtung zur Gewährung der Einsicht kann nach Abwägung der Interessen, insbesondere auch von Persönlichkeitsrechten des Verstorbenen auf Wahrung seiner Geheimsphäre, auch den Erben und nahen Angehörigen gegenüber bestehen. Die Berechtigung der Weigerung kann durch Einholung eines Sachverständigengutachtens überprüft werden. Kläger = Sohn und Erbe der Verstorbenen – Beklagter = Krankenanstaltsträger (W-KH).
OGH 29. 8. 2002, 6 Ob 283/01p („Omofuma-Fall II”), JBl 2003, 114: Im Mittagsjournal von Ö1 wird über den FPÖ-Wahlkampf berichtet, wobei ein FPÖ-Politiker (Beklagter) mit Bezug auf den verstorbenen M. Omofuma die Äußerung tätigt: „Ich hätte mir gewünscht, dass ein Regierungsmitglied mal die Frage gestellt hätte, was hat denn dieser Drogenhändler, der da ums Leben gekommen ist, alles an unseren Kindern verbrochen, denen er Drogen verabreicht hat? Denen er das Leben ruiniert hat.” – Tatsächlich sind keine Fakten bekannt, die diese Aussage rechtfertigen. Die 4-jährige Tochter Omofumas klagt auf Unterlassung und Widerruf nach § 1330 ABGB. – OGH verneint eigene Persönlichkeitsverletzung der Tochter, bejaht aber die postmortale Persönlichkeitsrechtsverletzung des Vaters der Klägerin.
Die historischen Wurzeln des modernen postmortalen Persönlichkeitsrechtsschutzes schienen mir lange Zeit bei Kant (Metaphysik der Sitten, Rechtslehre) zu liegen, der das Hinterlassen eines guten Namens nach dem Tode – bona fama defuncti – für schutzwürdig hält. Vgl aber schon das lateinische Sprichwort: De mortuis ni(hi)l nisi bene. – In Wahrheit handelt es sich um eine (nicht gekennzeichnete!) Übernahme Kants aus dem antiken griechischen Recht (Solon: 594/3 v. C.), die über Plutarchs Solonbiographie in Erinnerung geblieben ist. – Dafür gilt das oben Gesagte.
Historische Wurzeln
Durchsetzung postmortaler Persönlichkeitsrechte
Ein wichtiger Anwendungsbereich des postmortalen Persönlichkeitsrechts betrifft die Frage der sog Totenfürsorge, die grundsätzlich nach dem mutmaßlichen Willen Verstorbener auszurichten ist. Die hier angesprochenen Fragen betreffen die Art – zB Erd- oder Feuerbestattung – und den Ort des Begräbnisses und idF auch die Fragen von Exhumierung und Grabverlegung. Die Orientierung der Rspr am mutmaßlichen Willen des Verstorbenen bedeutet nichts anderes, als ein anerkennen eines postmortalen Persönlichkeitsrechts in diesen Fragen; so nunmehr ausdrücklich JBl 2000, 110.
Totenfürsorge
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 2000, 110: Exhumierung und Feuerbestattung: Sylvia G: Die Eltern der im Oktober 1996 tödlich verunglückten Sylvia G. waren geschieden und lebten an verschiedenen Orten. Auf Initiative des Vaters (Klägers) wurde die Tochter in einem Einzelgrab in N. beerdigt. Die Mutter (Beklagte) hatte sich diesem Plan zunächst nicht widersetzt, obwohl sie wusste, dass ihre Tochter mehrmals geäußert hatte, daß sie nicht beerdigt, sondern feuerbestattet werden wollte. Um dem Wunsch der Tochter doch noch zu entsprechen leitete die Mutter, die die Grabstätte bereits für 10 Jahre bezahlt und das Grab hauptsächlich gepflegt hatte, im März 1998 die Exhumierung und Feuerbestattung in die Wege. Dem widersetzte sich der klagende Vater und begehrte, die Beklagte schuldig zu erkennen, „sich einseitiger Verfügungen über die Leiche zu enthalten und insbesondere die beabsichtigte Enterdigung und anschließend Feuerbestattung zu unterlassen. – Der OGH gab der Revision des Klägers nicht Folge und verwies auf seine ähnlich gelagerte Vor-E SZ 45/133 (1972), begründete jedoch die dort nur kurz skizzierte Lösung näher. Der OGH betont aber erneut, daß die Entscheidung über die Totenfürsorge – ohne Rücksicht auf die jeweilige Erbenstellung – den nächsten Angehörigen zustehe. „Dabei ist vom wirklich bestehenden Näheverhältnis im Einzelfall auszugehen.” – Hier hatte die verunglückte Tochter bis zuletzt einen intensiveren Kontakt zur Mutter unterhalten, während der Vater nur einen unregelmäßigen Kontakt zu seiner Tochter gehabt hatte.
Erd- oder Feuerbestattung?
Zur Lückenschließung im Totenrecht auch → KAPITEL 11: § 7 ABGB: Die Lückenschließung.
nach oben
IV. Grundrechte und Privatrecht
Literaturquelle
1. § 16 ABGB als Einfallspforte für Grundrechte – Mittelbare Grundrechtsbindung
Da § 16 ABGB heute als Generalklausel für Persönlichkeitsrechte zu verstehen ist, auf die bei Bedarf zurückgegriffen werden kann, ist im österreichischen Privatrecht das Heranziehen verfassungsrechtlicher Grundrechte nicht so dringlich wie bspw in Deutschland, wo Art 1 Abs 3 und Art 20 Abs 3 des BonnerGG 1949 – mangels einer Regelung von Persönlichkeitsrechten im dtBGB – eine unmittelbare Geltung der Grundrechte auch für das Privatrecht vorsehen. – Das österreichische Privatrecht verfügt demnach über einen autonomen – sich selbst ergänzenden – Persönlichkeitsrechtsschutz, der bei Bedarf aus dem als Generalklausel fungierenden § 16 ABGB gewonnen werden kann. Die Grundrechte sind dabei hilfreich, mag auch die Generalklausel des ABGB den Vorteil besitzen, nicht nur vom Gesetzgeber, sondern auch von der Rspr flexibel gehandhabt werden zu können.
Von Bedeutung ist das zB für die Glaubens- und Gewissensfreiheit (dazu gleich ZVR 1996/48 = EFSlg 78.508), die Meinungs-, Berufs- und Erwerbs- oder die Niederlassungsfreiheit, aber etwa auch für das Abstecken der Versammlungsfreiheit; Art 12 StGG iVm Art 11 EMRK. Ein wichtiger Bereich, in dem der verfassungsmäßige und internationale Grundrechtsschutz überholtes Gesetzesrecht beseitigt hat, ist das sog Kindschaftsrecht. Hier hat der EuGMR durch Auslegung des Art 8 EMRK (Fälle: „Marckx” gegen Belgien, EuGRZ 1979, 454 und „Inze” gegen Österreich, EuGMR, ÖJZ 1988, 177 – in welchem eine Verletzung der Art 14 EMRK und Art 1 des 1. ZPEMRK durch Österreich festgestellt wurde) die Gleichstellung unehelicher mit ehelichen Kindern im Erbrecht vorbereitet.
nach oben
2. Was bedeutet „mittelbare” Einwirkung?
„Mittelbare” Einwirkung meint, dass die Grundrechte nicht direkt, sondern bloß durch Vermittlung einer Privatrechtsnorm, auf privatrechtliche Fragen einwirken und hier angewandt werden; etwa § 16 oder § 879 ABGB. – Der Gesetzgeber ist nämlich verpflichtet, den vom jeweiligen Grundrecht geforderten Schutz(bereich) auch gegenüber Eingriffen von Privatpersonen abzusichern. Diese Aufgabe obliegt den ordentlichen Gerichten (insbesondere dem OGH).
Diese Verfassungsbestimmung ordnet ausnahmsweise ausdrücklich eine unmittelbare Geltung oder – wie das auch genannt wird – eine sog Drittwirkung des Grundrechts auf Datenschutz für das Privatrecht an.
§ 1 Abs 6 DSG
Über die sog „Wertschleusen” der §§ 16, 879 oder 1295 ABGB fließen nach hA allgemeine Wertvorstellungen verfassungsmäßig garantierter Grundrechte in das österreichische Privatrecht ein. – Die Grundrechte sind daher im Rahmen der privatrechtlichen Auslegung und Lückenfüllung zu beachten.
Wertschleusen
Die im Grundrechtskatalog verankerten Grundwerte unserer Rechtsordnung fließen also (mittelbar) ins Privatrecht ein, soweit das Privatrecht selbst solche Grundwerte normativ nicht (explizit) entwickelt hat und daher auch nicht berücksichtigen kann. Auf diese Weise kann die Einheit der Rechtsordnung gewahrt und sichergestellt werden, dass fundamentale Wertbezüge der Rechtsordnung bis zur Basis der Normpyramide (Lehre vom Stufenbau) vordringen.
Einheit der Rechtsordnung
Rechtssprechungsbeispiel
OLG Ibk 1R 159/94 (ZVR 1996/48 = EFSlg 78.508): Eine junge Frau, die als Kindergärtnerin arbeitete, wird bei einem Autounfall schwer verletzt und kann in der Folge ihren Beruf nicht mehr (voll) ausüben. Sie ist Mitglied der Zeugen Jehovas und weigert sich im Rahmen der Heilbehandlung nach dem Unfall, dass ihr Fremdblut in Form einer Bluttransfusion zugeführt wird, was die Heilung verzögert und zu vermehrten Schmerzen führt. – Die gegnerische Versicherung will diese Mehrkosten nicht bezahlen, was vom OLG uH auf das Grundrecht der Religionsfreiheit (Art 14 Abs 1 StGG 1867) abgelehnt wird. – Das Verhalten der jungen Frau (= Ablehnung fremder Blutzufuhr) wird deshalb nicht als MitverschuldeniSd § 1304 ABGB und Verletzung der Schadensminderungspflicht angesehen, weil ein solches Verständnis den Grundrechtsschutz der Religionsfreiheit unterlaufen würde. Das OLG Ibk lehnt daher zurecht eine Minderung des Schadenersatzes nach § 1304 ABGB (Mitverschulden) ab. Man kann daher auch sagen: Im konkreten Fall überdeckt das einschlägige Grundrecht, die sonst (dh an und für sich) zur Anwendung gelangende Privatrechtsnorm des § 1304 ABGB. – Diese sog Drittwirkung der Grundrechte macht in Bezug auf die Gesetzesauslegung deutlich, dass der konkrete Interpretationsvorgang alle Ebenen / Schichten des Stufenbaus der Rechtsordnung (mit)umfasst und nicht auf das Privatrecht beschränkt ist. – Soweit internationale Normen unmittelbar anwendbares staatliches Recht darstellen (zB die Europäische Menschenrechtskonvention / EMRK) sind auch diese Normen im Rahmen der privatrechtlichen Rechtsfindung angemessen zu berücksichtigen.
Äußerst problematisch im Zusammenhang mit einem grundrechtskonformen Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Religionsfreiheit) ist die E des OGH: JBl 2000, 179: Kein Unterlassungsanspruch gegen eine staatlich (offenbar zu Unrecht erfolgte) SektenwarnungSri Chinmoy-Bewegung (mit rechtpolitisch beherzigenswerter Anm von Kalb).
Zur Frage, ob Kollektivverträge einer mittelbaren oder unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegen → KAPITEL 11: Der Kollektivvertrag als Rechtsquelle.
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1998/187: § 1 UWG – Zur Sittenwidrigkeit gefühlsbetonter Werbung (Opferlicht). Der OGH führte aus: Die mögliche Sittenwidrigkeit einer an das Gefühl der Kunden appellierenden Werbung ist durch eine Gegenüberstellung der Wertungen zu ermitteln, die sich einerseits aus den Grundrechten des Werbenden auf Freiheit der Berufsausübung und Meinungsäußerung und andrerseits aus den Grundrechten, insbesondere den Persönlichkeitsrechten, des Umworbenen als eines „aufgeklärten Verbrauchers” ergeben.
SZ 69/179 (1996): Die Entziehung der Obsorge allein wegen der Mitgliedschaft der Mutter bei der Scientologie-Kirche widerspricht den Art 8 Abs 1 und 14 EMRK.
Die Blockade der Zufahrtsstraße zu einem Bauplatz (→ KAPITEL 9: Kausalität / Verursachung) ist unter bestimmten Voraussetzungen nicht friedlich iSd Art 11 EMRK und kann daher nach Ansicht des OGH nicht mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit gerechtfertigt werden. Es ging um die „ennsnahe Trasse” der Phyrn-Autobahn; OGH 25.3.1999, 6 Ob 201/98x.
SZ 71/96 (1998): Meinungsfreiheit (Art 10 EMRK und Art 13 StGG): Tierquälerei – Legebatterie → KAPITEL 10: Weitere Beispiele.
nach oben
3. Zur sog Drittwirkung von Grundrechten
Unter dem Begriff der sog Drittwirkung von Grundrechten wird eine über den Bereich hoheitlicher Beziehungen hinausreichende Geltung der Grundrechte verstanden, insbesondere auch ihre Geltung im Privatrecht. – Dabei werden zwei Stufen unterschieden:
• Die sog Fiskalgeltung der Grundrechte: Der Staat und seine Erscheinungsformen tritt nicht nur hoheitlich auf, sondern auch privatwirtschaftlich (→ KAPITEL 1: Die sog Privatwirtschaftsverwaltung); dennoch steht auch hinter dem nicht hoheitlichen Handeln des Staates Macht und Einfluss. Daher wird auch für diesen Bereich heute weitgehend die unmittelbare Geltung der Grundrechte gefordert (und weiterhin anerkannt).
Fiskalgeltung
• Eine noch darüber hinausreichende allgemeine Drittwirkung der Grundrechte wird heute zwar immer wieder gefordert, ist aber derzeit noch nicht anerkannt. Es bleibt demnach vorerst bei der bloß „mittelbaren” Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht. – In Einzelfällen, wie dem eben erwähnten § 1 Abs 6 DSG 2000 ordnet der (Verfassungs)Gesetzgeber aber ausdrücklich eine „unmittelbare” Drittwirkung dieses speziellen Grundrechts an.
allgemeine Drittwirkung
Das idF kurz dargestellte Verständnis von der Gewährleistungsfunktion der Grundrechte macht die Lehre von der mittelbaren Einwirkung der Grundrechte zwar nicht überflüssig, was auch für normativen „Einfallsschleusen” wie die §§ 16 oder § 879 ABGB gilt. – Das Umsetzungsbewusstsein könnte aber vertieft werden.
nach oben
4. Zur sog Gewährleistungsfunktion der Grundrechte
Literaturquelle
Schon bisher wurde angenommen, dass die Grundrechte auf das Privatrecht einwirken. Freilich war es bisher hA, dass dies bloß „mittelbar” erfolgt → Was bedeutet „mittelbare” Einwirkung? Versuche wie dieser, die ein effizienteres Einwirken der Grundrechte oder – wie man besser sagen sollte – ein harmonisches Zusammenspiel von Grundrechten und Privatrecht einzuleiten, sind daher zu begrüßen. Die Gerichte setzten sich mit dieser Problematik zusehends mehr auseinander; vgl etwa OLG Ibk, ZVR 1996/48: Religionsfreiheit (→ Was bedeutet „mittelbare” Einwirkung?). Diese Auseinandersetzung verläuft allerdings nicht friktionsfrei, wie der Fall Peter Pilz (Meinungsfreiheit) beweist → Ehre, wirtschaftliches Fortkommen, Kreditfähigkeit Ein neues, funktionaleres und vertieftes Verständnis des Zusammenwirkens von Privatrecht und öffentlichem Recht erscheint daher nötig, zumal es in Österreich entwicklungsgeschichtlich das bürgerliche Recht war, das versucht hatte, einen solchen inneren und funktionalen Zusammenhang herzustellen; freilich zunächst nicht sehr erfolgreich, denn Martinis berühmte Einleitung, der die Funktion eines Verfassungssurrogats zukommen sollte, wurde von Zeiller & Co weithin liquidiert!
Harmonisches Zusammenspiel von Grundrechten und Privatrecht
Literaturquelle
Überlegenswert wäre es nach wie vor, § 16 Satz 1 – möglichst iVm § 17ABGB in den Verfassungsrang zu heben, um dadurch (ohne großen Aufwand) eine Generalklausel für den Grundrechtsschutz zu erhalten; H. R. Klecatsky.
§ 16 Satz 1 ABGB in den Verfassungsrang heben?
Das Problem der Gewährleistungslehre von Monika Hinteregger liegt darin, dass diese Lehre der typisch österreichischen Situation der Grundrechte – nämlich deren mangelhafter und vor allem lückenhafter Ausprägung – nicht gerecht wird, und kein Mittel aufweist, die Enge der bestehenden Situation aufzubrechen. (Eine gewisse Abhilfe schafft freilich, wie die Praxis zeigt, die EMRK samt ZP.) Dort dagegen, wo eine grundrechtliche oder EMRK-Regelung existiert, leistet diese Lehre Vorbildliches. – Nach diesem Verständnis, verpflichten die Grundrechte den Staat (und seine Organe), die in ihnen verbrieften gesellschaftlich-rechtlichen Grundwerte – zB Freiheit – generell zu gewährleisten; im Privatrecht wie im öffentlichen Recht. Das entspricht auch der Intention der EMRK; vgl etwa deren Art 8, 10 oder 14.
Das bedeutet bspw: "Das Bestehen bestimmter privatrechtlicher Ansprüche, wie der Unterlassungsanspruch bei Eigentumseingriffen oder das Recht eines Elternteils auf persönlichen Kontakt mit dem Kind, können dann als Erfüllung der staatlichen Verpflichtung verstanden werden, das Grundrecht auf Eigentum oder das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens zu schützen. Die privatrechtlichen Normen stellen damit ein Instrument zur Verwirklichung des von den Grundrechten der Rechtsordnung abverlangten Individualrechtsschutzes dar. Bleibt der Privatrechtsgesetzgeber hinter dem von der Verfassung vorgegebenen Mindestschutzstandard zurück, so stellt bereits das Fehlen eines privatrechtlichen Instruments eine Grundrechtsverletzung dar. Die Rsp ist dann schon von Verfassungs wegen angehalten, eine solche Rechtsschutzlücke im Rahmen des ihr zur Verfügung stehenden Interpretationsspielraums zu schließen ....
Auch die Begründung des Kontrahierungszwangs [g Kapitel 5.C.II.1., S. 308] zwischen Privaten kann in diesem Sinne verstanden werden. Nach geltendem Recht kann ein Kontrahierungszwang durch Gesetz ausdrücklich angeordnet sein. Ein Kontrahierungszwang wird aber darüber hinaus von Lehre und Rsp immer dann angenommen, wenn bei Ausübung einer Monopolstellung auf Grund faktischer Übermacht eines Beteiligten bei bloß formeller Parität die Möglichkeit einer Fremdbestimmung besteht. Bei Vorliegen dieser Voraussetzung besteht eine Verpflichtung zum Vertragsabschluß, außer der Monopolist kann Gründe vorbringen, die eine Weigerung sachlich rechtfertigen. Lehre wie Rsp leiten den Kontrahierungszwang für private Unternehmer aus § 1295 Abs 2 ABGB, dem Verbot sittenwidriger Schädigung, ab. Für Unternehmen der öffentlichen Hand wird der Kontrahierungszwang dagegen unmittelbar aus dem Gleichheitssatz abgeleitet.
Unter der Prämisse der Gewährleistungspflichten stellt die Anerkennung des Kontrahierungszwangs auch für private Unternehmen das Ergebnis einer Pflicht des Staates dar, die grundrechtlich abgesteckte Freiheitsposition desjenigen, der auf den Vertrag angewiesen ist, zu gewährleisten. Die grundrechtlich verbürgte Privatautonomie des Monopolisten wird aufgehoben, um die ebenfalls grundrechtlich geschützte Freiheitssphäre der auf die Leistung angewiesenen Person, zu garantieren. Auf ihrer Seite streiten der Gleichheitssatz, das Grundrecht auf Eigentum und das Grundrecht auf Erwerbsfreiheit. Die Entscheidung über den Kontrahierungszwang als Ergebnis einer Abwägung beider Grundrechtspositionen ist dann nicht nur privatrechtlich erwünscht, sondern verfassungsrechtlich gesollt." (Hinteregger, aaO 752)
Fazit: – "Für die Anwendung und Auslegung des Privatrechts ist der Grundrechtsschutz den ordentlichen Gerichten überantwortet. Da eine Anrufung des VfGH gegen grundrechtsverletzende Akte der Gerichtsbarkeit im österr Recht nicht vorgesehen ist, bleibt betroffenen Personen nur die Inanspruchnahme der von der MRK vorgesehenen Rechtsschutzeinrichtungen bzw die Hoffnung auf ein Wort des Gesetzgebers."
– "Das Verhältnis von Privatrecht und Grundrechten gewinnt durch die Anerkennung von grundrechtlichen Gewährleistungspflichten des Gesetzgebers eine neue Dimension. Der Blickpunkt des Interesses wendet sich dabei von der Abwehr möglicher Beeinträchtigungen von Grundrechtspositionen durch Normen des Privatrechts hin zur Funktion des Privatrechts, für den Schutz und die nähere Ausgestaltung von grundrechtlich verbürgten Freiheitspositionen zu sorgen. Die damit verbundene Pflicht des Gesetzgebers, den verfassungsrechtlich gebotenen Mindeststandard an Schutz zu gewährleisten, begründet auch eine Pflicht der Rsp, im Rahmen des ihr zur Verfügung stehenden Interpretationsspielraums für den Schutz dieser Grundrechtspositionen zu sorgen." (Hinteregger, aaO 753; Hervorhebungen von mir)
Dieses zu befürwortende Verständnis eines funktionaleren Zusammenwirkens von Grundrechten und Privatrecht, aber auch von der diesbezüglich aktiveren Rolle der ordentlichen Zivilgerichte wird hoffentlich zu einer mutigeren und lebendigeren Auslegungs- und Entscheidungstätigkeit unserer Gerichte führen und vielleicht früher oder später auch zur Überwindung der Lehre von der bloß "mittelbaren Einwirkung" der Grundrechte auf das Privatrecht. Auch diesbezüglich liegt aber maßdie Hoffnung in europäischen Lösungen.
nach oben
V. Rechtsprechungsbeispiele
Rechtssprechungsbeispiel
§ 78 UrhG – Bildnisschutz (gekürzt): ”Zum Wohl ein guter Tropfen”: SZ 44/104 (1971) Kläger = auf Plakat Abgebildeter Beklagter = werbende Firma In einer Zeitung wurde für eine Weinwerbung unter dem Titel „Zum Wohl ein guter Tropfen” ua ein Bild des Klägers verwendet, das ihn beim Besuch eines Heurigen zeigte. In einem Text neben dem Bild hieß es: „Kaum ein Weinliebhaber, der sich bis ins hohe Alter sein tägliches Tröpferl Wein nehmen ließe. Und bei Gesunden haben die Ärzte nichts dagegen.” Das Ziel der Reportage war die Werbung für den Weinkonsum bei bestimmten Produzenten und im allgemeinen. Der Klage auf Unterlassung wurde stattgegeben, die Begehren auf Zuspruch einer Entschädigung und auf Herausgabe des Films und der Negativa wurden abgewiesen. Weiters wurde dem Kläger die Befugnis zugesprochen, den Urteilsspruch binnen 14 Tagen auf Kosten des Beklagten zu veröffentlichen. – Aus der Begründung des OGH: „Der Fall, dass das Bildnis einer Person ohne deren Einwilligung zu Werbezwecken verwendet wird, kann geradezu als Musterbeispiel einer herabsetzenden Bildnisveröffentlichung gelten; dies nicht nur hinsichtlich des Gegenstandes, für den geworben wird, der allerdings im vorliegenden Fall nichts Anstößiges enthält, als auch in Anbetracht der Tatsache, dass regelmäßig Personen, die nicht gerade die Interessen, für die geworben wird, vertreten, hiefür ihr Bildnis nicht unentgeltlich zur Veröffentlichung preiszugeben pflegen. Sich dem Verdacht ausgesetzt zu sehen, sein Bildnis entgeltlich für Werbezwecke zur Verfügung zu stellen, wie dies im vorliegenden Fall für die Bildnisveröffentlichung zutrifft, verstößt eindeutig gegen dessen berechtigte Interessen. Ein Verstoß der beklagten Partei gegen § 78 UrhG liegt demnach vor.”
EvBl 1995/96: § 78 UrhGMissbrauch von Personenbildnissen Durch § 78 UrhG soll jedermann gegen einen Missbrauch seiner Abbildung in der Öffentlichkeit, also namentlich dagegen geschützt werden, dass er durch die Verbreitung seines Bildnisses bloßgestellt, dass dadurch sein Privatleben der Öffentlichkeit preisgegeben oder sein Bildnis auf eine Art benützt wird, die zu Missdeutung Anlass geben kann oder entwürdigend oder herabsetzend wirkt. – Schutz von Bildnissen „aus dem Bereich der Zeitgeschichte” nach deutschem und nach österreichischem Recht. Kläger = öffentlich Abgebildeter Beklagter = hat Bild des Klägers veröffentlicht.
§ 1330 ABGB Recht auf Ehre (gekürzt): ”Ratschen-Fall”: SZ 56/63 = EvBl 1983/91 (1983): Kläger = gekränkte Frau Beklagter = kränkender Mitbewohner „Die Klägerin behauptete, die Beklagte mache sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit bei Verwandten und auch bei fremden Leuten schlecht. Sie behauptet, die Klägerin sei eine „Ratschen”, sei verlogen, sei eine missratene und charakterlose Frau, uä. Obwohl die Klägerin ohne Erfolg protestiert habe, setzte die Beklagte ihre herabsetzenden Äußerungen über die Klägerin fort. Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Unterlassung der behaupteten herabsetzenden Äußerungen.” Der OGH gewährt dem in seiner Ehre Verletzten – bei Vorliegen einer Wiederholungsgefahr – den Anspruch auf Unterlassung, auch wenn die in § 1330 Abs 2 ABGB geforderten Voraussetzungen nicht vorliegen, weil das Recht auf Ehre als Persönlichkeitsrecht absoluten Schutz genießt.”
Recht am eigenen Bild – SZ 22/47 (1949): Photo eines Lueskranken wird in einem medizinischen Lehrbuch ohne Zustimmung des Patienten vom behandelnden Professor veröffentlicht. Die Bildunterschrift lautete: „Luetisches Geschwür der rechten Stirn”. Kläger = Abgebildeter Beklagter = Autor des Lehrbuchs
SZ 48/73 (1975): Fotomodell: Veröffentlichung des Berufsbildes eines Fotomodells im Négligé im Zusammenhang mit einer Abtreibung in der Kronenzeitung. – Unzulässig: § 78 UrhG.
SZ 55/12 (1982): Reinhard K.: Werbeprospekt mit Berufsfußballer des SK Rapid. – Unzulässig: § 78 UrhG
JBl 1974, 529 (1973): Plattenumschlag: Schallplattencover zeigt Konzertsängerin, die im Fernsehfilm „Das war André H.” aufgetreten war, ohne deren Einverständnis mit entblößter Brust. – Unzulässig: § 78 UrhG
Berühmte deutsche En und ein schwedischer Fall
Rechtssprechungsbeispiel
BGHZ 26/51 (1958): Herrenreiterfall – Recht auf das eigene Bild + Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Kläger = Mitinhaber einer Brauerei in K. Er betätigt sich als „Herrenreiter auf Turnieren”. Beklagter = Herstellerin eines pharmazeutischen Präparats, das nach Vorstellung weiter Bevölkerungskreise auch der Hebung der sexuellen Potenz dient. Sachverhalt: Die Beklagte hat zur Werbung für dieses Produkt ein Plakat mit der Abbildung eines Turnierreiters verbreitet, dem ein Originalfoto des Klägers zugrunde lag. Das Foto war vom Presseverlag S auf einem Reitturnier gemacht und in der Folge ohne Einwilligung des Klägers für Werbezwecke verwendet worden. – Der BGH sprach 10.000,? DM Schadenersatz zu; immaterieller Schaden: Schmerzengeld.
Beachte
Rechtssprechungsbeispiel
BGHZ 30/2 (1959): Caterina Valente – Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Kläger = Caterina Valente Beklagter = vertrieb Präparate, die zum Reinigen und Befestigen von Zahnprothesen dienen. Sachverhalt: In einer Zeitschrift ließ die Beklagte eine Werbeanzeige veröffentlichen, in der die angeblichen Erlebnisse einer (nicht genannten) Sängerin geschildert und gleichzeitig die Erzeugnisse der Beklagten angepriesen wurden. – Das geschah ohne Wissen der Betroffenen. Der Werbetext lautete: „Wenn ich auch nicht so berühmt wurde wie meine große Kollegin X, so war doch die Bühne meine Welt. – Ich sage, war, denn eines Abends geschah etwas Furchtbares: Ich stand auf der Bühne eines bekannten süddeutschen Hauses und sang gerade mein Erfolgslied ... Dabei löste sich plötzlich die Oberplatte meines künstlichen Gebisses vom Gaumen, und nur ein blitzschneller Griff bewahrte sie vor dem Herausfallen ... Mein Auftritt war eine schreckliche Blamage, die meine Karriere und Existenz zerstörte.”
BGHZ 35/54 (1961): Ginsengwurzelfall – Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Namensrechts Kläger = ao Professor für Völker- und Kirchenrecht an der Universität Graz Beklagter = vertreibt ein Kräftigungsmittel, das Ginseng enthält Sachverhalt: Von einem Koreaaufenthalt hatte der Kläger einige Ginseng-Wurzeln mitgebracht, die er einem befreundeten Pharmakologen in Deutschland zur Verfügung stellte. Dieser erwähnte in einem wissenschaftlichen Aufsatz über Ginseng-Wurzeln die Tatsache, dass er „durch die liebenswürdige Unterstützung” des Klägers in den Besitz echter koreanischer Ginseng-Wurzeln gekommen sei. Dies führte dazu, dass der Kläger in einem populär wissenschaftlichen Aufsatz, neben Prof H ua Wissenschaftlern als einer der bekanntesten Ginseng-Forscher Europas bezeichnet wurde. – Die Beklagte erwähnte dies in Werbeprospekten für dieses Mittel. Der Kläger hatte 10.000 DM als Genugtuung für die erlitten Kränkung gefordert und 8.000 DM zugesprochen erhalten, weil seine Namensnennung in Werbeträgern (es wurden auch ca 250.000 Werbeprospekte verteilt) im Zusammenhang mit einem Präparat, das als sexuelles Kräftigungsmittel diene, dazu geeignet sei, seine wissenschaftliche Autorität zu beeinträchtigen und er „in der Öffentlichkeit, vor allem bei den Studenten, lächerlich gemacht wurde”.
Ein aktuelles Beispiel aus der Presse
Beispiel
nach oben
D. Rechtserhebliche Zustände und Eigenschaften von Menschen
Für die Entwicklung der idF behandelten rechtlich relevanten Zustände und Eigenschaften von Menschen spielt heute das öffentliche Recht eine zentrale Rolle. In der Rechtsgeschichte war es oft umgekehrt: Das Privatrecht schritt mit der Entwicklung voran, das öffentliche Recht folgte oft erst wesentlich später nach. Das war in Österreich bei den „angebornen Rechten” des § 16 ABGB, den Menschenrechten so, die erst spät zu verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechten des öffentlichen Rechts wurden (StGG 1867 und EMRK), während sie im Privatrecht in Ansätzen schon in Martinis Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs (1796) aufscheinen und idF ins WGGB 1797 und das ABGB (1811) einfließen. – Heute gelangen Grundrechts-Werte nach hA über normative „Wertschleusen“ des bürgerlichen Rechts – insbesondere die §§ 16, 879 und 1295 Abs 2 ABGB, aber auch § 1 UWG – ins Privatrecht; sog mittelbare Drittwirkung der Grundrechte → Was bedeutet „mittelbare” Einwirkung?
Grundsätzlich sollte bedacht werden, dass der Persönlichkeitsschutz, je nach Normstufe und Geltungsbereich in dem er geregelt wird, unterschiedlich ausgestaltet ist, wenngleich alle Regelungen die Würde des einzelnen Menschen rechtlich schützen wollen. Unterschiede bestehen aber insoferne, als die Persönlichkeitsrechte des Privatrechts unmittelbar personenbezogen sind (zB Recht auf Ehre oder geschlechtliche Selbstbestimmung oder Recht am eigenen Bild und auf die eigene Stimme), während die verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechte vornehmlich auch politische Werte (zB Wahlrecht oder Recht politische Parteien zu gründen) schützen und insbesondere das Verhalten des Einzelnen zu Staat und Gesellschaft miteinbeziehen. Die privatrechtlichen Persönlichkeitsrechte (in verschiedenen Feldern), der europäische Menschenrechtsschutz (EMRK) und die UNO-Aktivitäten zur Effizienz und Ausbreitung der Menschenrechte auf der ganzen Welt, sind wichtige und unverzichtbare Teile eines künftigen Humanismus, für den es, trotz grosser Enttäuschungen mit diesem Leitbild, keine Alternative gibt.
Persönlichkeitsschutz
Auf nationaler Verfassungsebene tun dies die sog Grundrechte (niedergelegt insbesondere im StGG von 1867, RGBl 142), die zwischen bloßen Bürgerrechten und Menschenrechten unterscheiden; vgl die Art 4 (öffentliche Ämter sind für alle Staatsbürger gleich zugänglich) und 14 (Glaubens- und Gewissensfreiheit für jedermann) StGG 1867.
Grundrechte als Bürger- und Menschenrechte
Der österreichische Grundrechtskatalog ist längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Es ist in den 50 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gelungen, einen modernen Grundrechtskatalog zu schaffen, mag auch das Bonner GrundG (1949, BGBl I, S. 1) als Beispiel vor Augen gestanden haben. Es deutet auch nichts darauf hin, dass es politisch gelingen könnte, das Versäumte politisch nachzuholen. Österreichs Grundrechtshoffnungen richten sich daher auf eine europäische Lösung. Ein erster Schritt wurde mit der EU-Verfassung realisiert, deren verbindlicher Bestandteil die bisher unverbindliche EU-Grundrechtscharta werden soll.
R. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen (Frankfurt, 1984); Originalausgabe: Taking Rights Seriously (Harvard University Press, 1978); J. Braun, Rechtsphilosophie im 20. Jhd. Die Rückkehr der Gerechtigkeit (2001).
Auf europäischer Ebene sind insbesondere zu unterscheiden: Die „ Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten” vom 4. November 1950, BGBl 1958/210; EMRK: Europäische Menschenrechtskonvention. – Die EMRK steht innerstaatlich im Verfassungsrang und besteht aus dem Hauptvertrag, der „Konvention” und mittlerweile mehreren (verfassungsändernden) Zusatzprotokollen (ZP) Die von der EMRK gewährleisteten Rechte stellen subjektive-öffentliche Rechte dar und sind daher individuell durchsetzbar. Zuständig ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.
Europäische Ebene
Die EU hat im Dezember 2000 auf dem EU-Gipfel in Nizza eine EU-Grundrechtscharta verabschiedet. Sie gewährt keine subjektiven Rechte und ist daher keine rechtliche Basis für individuelle Rechtsansprüche. Sie besitzt aber Bedeutung für die Auslegung des EU-Rechts, insbesondere durch den EuGH in Luxemburg, und soll Teil der neuen EU-Verfassung werden.
Daneben existiert weltweit als UNO- Deklaration die „ Allgemeine Erklärung der Menschenrechte” von 1948.
UNO
I. Der Mensch als Rechtsperson
Wir haben gehört, dass der Weg zu einem modernen Verständnis der Rechtssubjektivität das Ergebnis eines langen rechtshistorischen Prozesses war und wollen uns nun – ohne Vollständigkeit anzustreben – ansehen, welche Bereiche und Stationen dabei besonders wichtig waren.
Zur frühen Entwicklung einer allgemeinen Rechtsfähigkeit für alle Menschen in Österreich durch § 16 ABGB → § 16 ABGB – Zum Entstehen der Rechtssubjektivität / Rechtsfähigkeit im „modernen” Sinn in der griechischen Antike: Barta, „Graeca non leguntur?” – Zum Ursprung des europäischen Rechtsdenkens im antiken Griechenland (in Vorbereitung: 2005).
1. Die Antike
In Erinnerung zu rufen gilt es zunächst das historische Faktum, dass die europäische Kultur, und damit auch ihr Recht, aus antiken Sklavengesellschaften entstanden ist. Im alten Griechenland und in Rom war nicht jeder Mensch rechtsfähig und daher Rechtssubjekt. Neben dem (Polis)Bürger als Rechtssubjekt existierte auch die Rechtskategorie Sklave/in, was – cum grano salis – nichts anderes meint, als: der Mensch als Sache. Sklaven/innen konnten ge- und verkauft, im Allein- oder Miteigentum stehen, verliehen, verschenkt oder verpfändet werden. In alter Zeit besaß der Eigentümer auch das ius vitae ac necis, also das Recht über Leben und Tod zu bestimmen. – Diese, die Rechtsfähigkeit / Rechtssubjektivität von Menschen ausschließende oder doch entscheidend mindernde, Rechtskategorie der Sklaverei – die allerdings große (Ausformungs)Unterschiede kannte – wirkte in den verschiedensten Bereichen der Rechtsordnung und bei verschiedensten Personengruppen nach und noch das mittelalterliche deutsche Recht versagt ganz oder beschränkt bestimmten Personengruppen die Rechtsfähigkeit: bspw Juden, Alten, Kranken, Ehrlosen, Frauen und Minderjährigen.
Sklaverei
Zum Rechtsinstitut des sog bürgerlichen Todes → Beginn und Ende der natürlichen Person
Schon in der griechischen Antike gab es aber auch wichtige Entwicklungsschritte, die zum Teil sogar schon sehr früh gesetzt wurden. So beseitigte Solon bereits 594/3 v. C. die Schuldknechtschaft und untersagte damit ein für allemal, dass attische / athenische Bürger ihrer Freiheit verlustig gehen konnten. Die Verpfändung des eigenen Leibes wurde untersagt. – Solon war es auch, der das „moderne” Rechtssubjekt bereits in der Antike geschaffen hat. – Früh wuchs auch in Athen die Isonomie heran, die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, die zuerst privatrechtlich und dann politisch-öffentlichrechtlich voll verwirklicht wurde. Parallel dazu entwickelte sich die Teilhabe aller (!) Bürger am Staatsgeschehen (der Polis), was von Perikles Demokratia genannt wurde. – Das griechische Recht war insgesamt sehr hoch entwickelt und die Behauptung, das europäische Rechtsdenken entstamme ausschließlich dem römischen Recht, ist eine Geschichtslüge.
Solon
Näheres in meinem bereits mehrfach erwähnten Buch „Graeca non leguntur”? – Zum Ursprung des europäischen Rechtsdenkens im antiken Griechenland (in Vorbereitung: 2005).
nach oben
2. Schritte zum „modernen” Rechtssubjekt ab dem 18. Jhd
Wichtige, wenngleich historisch oft erst spät gesetzte, Schritte auf dem Weg zum modernen Rechtssubjekt waren in Österreich:
Vorarbeit Joseph II
• Die Aufhebung der Folter 1776; Preußen hatte unter Friedrich dem Großen bereits 1740 und 1754 die Folter beseitigt;
• die Ablehnung der Todesstrafe im ausgehenden 18. Jahrhundert durch namhafte österreichische Wissenschaftler wie K.A.v. Martini oder J.v. Sonnenfels;
Literaturquelle
Literaturquelle
• die Aufhebung der Leibeigenschaft 1781 durch Joseph II,
• das ebenfalls von Joseph II erlassene Toleranzpatent 1781;
• das Erbfolge- und Ehepatent Josephs II von 1783;
• die Bauernbefreiung und Grundentlastung von 1848 → KAPITEL 15: Persönliche, dingliche und beschränkte Haftung. Sie erfolgte in Preußen bereits 1807: Aufhebung der Erbuntertänigkeit.
Alle diese Schritte trugen dazu bei, das „moderneRechtssubjekt auch rechtlich als autonomes Individuum zu entwickeln, das heute auch in seiner Persönlichkeit umfassend geschützt wird.
Das „moderne” Rechtssubjekt
Mit der Anerkennung individualrechtlich ausformbarer „angeborner Rechte” im bürgerlichen Recht (Menschenrechte), beginnt sich erstmals in der Rechtsgeschichte der Mensch als Rechtsperson voll zu etablieren. Dies iS eines Bezugspunkts individueller Persönlichkeitsrechte. Es gelingt damit das Rechtssubjekt Mensch – als Träger von Rechten und Pflichten – um eine neue Dimension zu bereichern: den Schutz der eigenen Person. Ansätze auch dazu finden sich allerdings schon in der griechischen Antike. Er wird – und darin liegt Martinis genialer Ansatz – sowohl öffentlichrechtlich, als auch privatrechtlich angelegt und im Rahmen gegebener Möglichkeiten umgesetzt. Seit langem war der Mensch als Rechtssubjekt – und damit als Träger von familien-, erb-, schuld- und sachenrechtlichen Rechtspositionen – anerkannt gewesen; bislang fehlte aber rechtlich ein das Individuum selbst konstituierender Schutz der Rechtsperson Mensch als Einzelnem. Martini erkannte die Bedeutung dieses neuen Ansatzes für das Privatrecht. Es war nur konsequent und naheliegend, die primär völkerrechtliche und rechtsphilosophische Lehre der angebornen Rechte (Menschenrechte), ins Privatrecht zu transferieren und ihr in „neuer” Umgebung einen Anwendungsbereich zu verschaffen. Welche dogmatischen Schwierigkeiten dieser Paradigmenwechsel der Zivilistik aber noch in der zweiten Hälfte des 19. Jhds gemacht hat, beweist das Verhalten Joseph Ungers (1828-1913) und der Rechtshistorischen Schule in Österreich. Diese im 19. Jhd – dogmatisch wie politisch – mächtige Rechtsschule leugnete historisch willkürlich ein subjektives Recht an der eigenen Person, da nach ihrer Auffassung eine Rechtsmacht an der eigenen Person undenkbar war. Für J. Unger und seine Gefolgsleute besaß § 16 ABGB keine Bedeutung; vgl schon Gschnitzer, AT 182 (1992 2). Mehr bei Barta, in: Barta / Pallaver / Rossi (Hg), Storia, Istitutioni e diritto in Carlo Antonio de Martini (1726-1800). – Diese ablehnende Haltung gegenüber dem Individuum als Träger von Persönlichkeitsrechten erklärt auch, weshalb sich der mit dem WGGB (I 2 § 29; dazu gleich unten) und dann mit § 16 ABGB etablierende Persönlichkeitsrechtsschutz in Österreich trotz früher gesetzlicher Verankerung judikativ erst so spät – nämlich erst in den 1970er-Jahren (!) – entfalten konnte, wozu allerdings weitere Umstände beitrugen; vgl die Rspr-Beispiele bei Gschnitzer, AT 183 f (19922). Die in WGGB I 2 § 29 genannten Menschen- und Persönlichkeitsrechte umschreiben den Kern, der von Martini wohl bis zuletzt für unveränderbar angesehenen naturrechtlich fundierten Menschen- und Persönlichkeitsrechte. Sie waren von Martini nach 1792 als Verfassungssurrogate gedacht.
Die Überschrift des „Zweyten Hauptstücks” des „Ersten Theils” des WGGB lautete: „Von den Rechten der Personen”. Sie steht vor § 28. Damit treten erstmals nicht die Pflichten, sondern die Rechte der Menschen in den Vordergrund. Der „Unterthan” des Josephinischen Gesetzbuchs – das gilt auch noch für Hortens Entwurf und den Codex Theresianus – mutierte evolutiv zur (Rechts)Person, dem bürgerlichrechtlichen Rechtssubjekt.
I 2 § 28: „Menschen, die sich in eine bürgerliche Gesellschaft vereinigen, legen deswegen weder ihre natürlichen Pflichten, noch die ihnen angebohrnen Rechte ab. Nur eine gewisse Richtung und Beschränkung dieser Rechte findet in sofern Statt, als sie zur Erreichung der allgemeinen Wohlfahrt nothwendig ist.”
I 2 § 29: „Zu den angebohrnen Rechten der Menschen gehören vorzüglich das Recht sein Leben zu erhalten, das Recht die dazu nöthigen Dinge sich zu verschaffen, das Recht seine Leibes und Geisteskräfte zu veredeln, das Recht sich und das Seinige zu vertheidigen, das Recht seinen guten Leumund zu behaupten, endlich das Recht mit dem, was ihm ganz eigen ist, frey zu schalten und zu walten.”
nach oben
II. Besonders geschützte Werte, Zustände und Eigenschaften
Bestimmte rechtliche Grundwerte – etwa Freiheit und Gleichheit – sind „unteilbar”. Dh: das jeweilige Rechtsprinzip gäbe sich selbst auf, würde es zwischen der Freiheit des einen und der anderer, Unterschiede machen. Von Gesetzes wegen! – Rechtlich gilt daher zB das Prinzip der Freiheit aller Rechtsgenossen/innen. Tatsächlich sieht das wieder anders aus: Da sind zB manche nach wie vor „gleicher” und „freier” als andere.
1. Gleichheit vor dem Gesetz
Während es heute rechtlich keine Standesunterschiede mehr gibt – früher sprach man von Ebenbürtigkeit: zB bei Eheschließungen, bestanden diese auch bei uns bis zum Ende der Monarchie in gewisser Hinsicht fort. Immerhin bestimmte das StaatsgrundG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21.12.1867, RGBl 142:
Standesunterschiede
”Vor dem Gesetz sind alle Staatsbürger gleich.”
Und Art 7 Abs 1 B-VG idF von 1929 betont dies erneut:
„Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen.”
Art 7 Abs 2 B-VG gestattet seit 1998
Maßnahmen zur faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern insbesondere durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheit”.
Und Abs 3 leg cit sieht nunmehr vor, dass Amts- und Berufsbezeichnungen sowie akademische Grade das Geschlecht des/der Amtsinhaber/in zum Ausdruck bringen können.
Das Privatrecht in Österreich war der Entwicklung des öffentlichen Rechts vorausgeeilt, hatte doch schon die Josephinische Gesetzgebung (1786, 1783 etc) allen Bürgern Freiheit und in gewisser Weise (zB im Erbrecht und weiten Teilen des Familienrechts) auch schon Gleichheit gebracht, was Martini in seinem Entwurf (1796) und dem WGGB (1797) festigt und ausbaut. Das ABGB hat das weitgehend übernommen.
Der Gleichheitsgrundsatz will, indem er Gleichheit anordnet, Ungleichheit und Diskriminierung verhindern. Damit soll aber nicht ausgedrückt werden, dass eine unterschiedliche rechtliche Regelung / Behandlung aus sachlichen Gründen nicht möglich oder erwünscht wäre. Vielmehr soll rechtlich Gleiches durchaus gleich und Ungleiches aber ungleich behandelt werden. Nur ungerechtfertigte Differenzierung iSv Diskriminierung soll ausgeschlossen werden.
Gleichheitsgrundsatz
Beispiel
Die internationale Staatengemeinschaft hat sich insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso wie die im Europarat versammelten Staaten Europas der Menschenrechte und dabei auch des Gleichheitsgrundsatzes angenommen:
Internationale und nationale Rechtsakte
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 (UNO-Deklaration)
• Art 1 – „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren ...” Art 7 – Gleichheit vor dem Gesetz; Art 16 Z 1 – Gleiche Rechte von Mann und Frau in der Ehe und bei deren Auflösung etc.
Beachte
Art 14: „Der Genuss der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten ist ohne Benachteiligung zu gewährleisten, die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist.”
Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten 1950
BGBl 460/1969: Art 4 Z 3 „ ... gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit” für Männer und Frauen;
BundesG vom 23.2.1979 über die Gleichbehandlung von Frau und Mann im Arbeitsleben (GleichbehandlungsG), BGBl 108: § 2 Abs 1 : „Auf Grund des Geschlechtes darf im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis niemand unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden.” – § 3 sieht die Errichtung einer Gleichbehandlungskommission vor, § 3a eine Anwältin für Gleichbehandlungsfragen. Vgl → KAPITEL 12: Gleichbehandlung von Frauen und Männern.
• UN-Erklärung der Rechte des Kindes (1959)
• UN-Konvention über die Rechte des Kindes (1989)
• UN-Konvention zu den politischen Rechten der Frau (1952)
• UN-Erklärung gegen die Diskriminierung aus rassischen Gründen (1962) uam.
Literaturquelle
nach oben
2. Geburt, Stand, Klasse, Rasse, Sprache etc
Neben dem Gleichheitsgrundsatz gibt es aber noch weitere rechtlich bedeutsame Eigenschaften des Menschen, die entweder in der Rechtsgeschichte Bedeutung besaßen oder noch heute wichtig sind; etwa:
Heute sind nach Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG Vorrechte der Geburt ausgeschlossen, der Geburtsstand des Adels wurde aufgehoben, das Führen von Adelsbezeichnungen mit Gesetz von 1919 (Nr 211) untersagt. – Auch das wurde privatrechtlich viel früher entwickelt, in Österreich durch K. A. v. Martini, der sowohl in seinen Entwurf von 1796 wie in das WGGB 1797 bereits angeborene, also Menschenrechte aufgenommen hatte; zu § 16 ABGB → § 16 ABGB Das ABGB hatte, zum Unterschied vom preußischen ALR, das noch eine geburtsständische Rechtssubjektivität vermittelte, allen Menschen gleiche angeborene Rechte zugesprochen; § 16 ABGB.
Geburt
Das römische Recht war noch stark standes- oder statusorientiert; status libertatis (Geburt als Freie/r oder Sklave/in) + status civitatis (Bürger oder Nichtbürger) + status familiae (zB Hausvater oder Hauskind oder uxor in manu) + Geburtsstand als Patrizier oder Plebejer: die lex Canuleia (445 v. Chr.) hebt aber das bestehende Eheverbot zwischen Patriziern und Plebejern auf. Man nennt solche Gesellschaften daher Statusgesellschaften. – In Statusgesellschaften wurde man in einen Bereich der Gesellschaft hineingeboren und blieb dort zeitlebens. Statusgesellschaften waren gesellschaftlich nicht durchlässig, sondern starr. – Der historische Weg aus den bis ins 18. Jahrhundert reichenden Statusgesellschaften zur modernen bürgerlichen Gesellschaft verlief nach der „Formel”: from status – via contract – to (modern) civil society ( H.S. Maine / Barta).
Statuslehre
Literaturquelle
Der Geburtsstand spielte bis ins 19./20. Jahrhundert eine rechtliche und gesellschaftliche Rolle; zB bei der Ämtervergabe in Staat und Kirche. Auch der Erwerb bestimmter Liegenschaften war lange dem Adel vorbehalten. Für Eheschließungen galt – wie erwähnt – das Prinzip der Ebenbürtigkeit und lange der sog politische Ehekonsens (iS einer Prüfung ausreichenden Vermögens der Brautleute durch die Gemeinde).
Geburtsstand
Bis in die jüngste Vergangenheit spielte die uneheliche Geburt als gesellschaftlicher (vor allem von der Kirche gehüteter) Makel eine Rolle; vgl aber nunmehr § 162 Satz 1 ABGB (völlige erbrechtliche Gleichstellung mit ehelichen Kindern seit 1.1.1991):
Uneheliche Geburt
”Die uneheliche Geburt kann einem Kind an seiner bürgerlichen Achtung und an seinem Fortkommen keinen Abbruch tun.”
Die unter Joseph II diesbezüglich ihrer Zeit vorausgeeilte Entwicklung wird nach seinem Tod durch den Einfluss von Kirche und Adel wieder zurückgenommen.
Er verbietet Benachteiligungen auch im Hinblick auf den Geburtsstand, der nicht mit dem Berufsstand zu verwechseln ist: zB Arbeitnehmer/in, Kaufmann, Geistlicher, Soldat, Beamter, Bauer.
Stand, Klasse, Rasse, Sprache, Geschlecht etc
Benachteiligungen sind untersagt, sachliche Differenzierungen sind danach aber zulässig; zB hat sich für Arbeitnehmer ein eigenes Arbeitsrecht entwickelt, für Kaufleute das Handelsrecht (HGB).
Zu Recht wird heute festgestellt, dass eine neue Klassengesellschaft im Entstehen ist. Konsum und Lebensstil besitzen klassenprägende Kraft. Die „neue Klassenbildung” ist eine Folge neuer sozialer Ungleichheit; Stichworte: „Zweidrittelgesellschaft”, „neue Armut” etc. Politisch wird diese Entwicklung von konservativen Kräften gerne verdrängt. – Bildung und Besitz sind immer noch die Grundlage des Entstehens einer Klassengesellschaft. Der Begriff der „Klasse” ist nicht – wie viele meinen – ein kommunistischer. Er ist wesentlich älter und wurzelt in der schottischen Aufklärung; A. Smith etc. Das Konstatieren einer neuen Klassengesellschaft darf nicht mit dem alten Begriff des Klassenkampfes verwechselt werden, was aber nicht ausschliesst, dass dieser wiederum entsteht. Für das Bewältigen unserer gesellschaftlichen Probleme ist jedoch ein neues und sensibles Klassenbewusstsein nötig. Zu diesen Fragen: – P. Nolte, Die Ordnung der deutschen Gesellschaft (2000).
Klassen- oder Schichtzugehörigkeit
Sie ist nach verschiedenen gesetzlichen Vorschriften untersagt; so insbesondere nach Art 7 des Staatsvertrags 1955 oder schon nach Art 19 des StGG 1867.
Rassische oder sprachliche Diskriminierung
Vor allem alte Rechte (Griechenland, Rom, Germanen etc) treffen starke Unterscheidungen nach dem Geschlecht. Frauen besaßen häufig keine volle Rechts- oder Handlungsfähigkeit, sondern unterstanden einer väterlichen oder ehemännlichen Gewalt; besonders ausgeprägt die römischrechtliche manus, munt (Deutsches Recht). Manche Gebiete des Privatrechts benachteiligten Frauen sehr lange; so kam es im Anerbenrecht (→ KAPITEL 17: Das bäuerliche Erbrecht als Anerbenrecht) erst 1990 zur Gleichstellung. Andrerseits hat das Arbeitsrecht aber wichtige und differenzierende Schutzbestimmungen für Frauen entwickelt: Frauen- und Mutterschutz.
Geschlecht
Auch das öffentliche Recht diskriminierte Frauen lange: So erhalten sie in Österreich das Wahlrecht erst 1918, die Männer schon 1906. Beamtenstellen waren lange Männern vorbehalten.
Vgl § 39 ABGB, „wonach die Verschiedenheit der Religion ... auf die Privatrechte keinen Einfluss hat”. Art 7 B-VG (1920/1929) iVm Art 14 StGG („Die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist Jederman gewährleistet.”) und den Art 8 und 14 EMRK sichert diesen Schutz verfassungsrechtlich ab. – Das Eherecht des ABGB von 1811 war noch konfesionell ausgerichtet; dh der Staat orientierte sich am Religionsbekenntnis der Ehe­schließenden, insbesondere dem katholischen Eherecht. Erst das dtEheG 1938 brach mit diesem überholten Grundsatz.
Religion
Literaturquelle
Zum problematischen Umgang mit sog Sekten in Österreich vgl JBl 2000, 179 mit krit Anm von H. Kalb; dazu auch → Was bedeutet „mittelbare” Einwirkung?
Ein BundesG von 1985, BGBl Nr 155, regelt die religiöse Kindererziehung:
Religiöse Kindererziehung
„§ 1. Über die religiöse Erziehung eines Kindes bestimmt die freie Einigung der Eltern, soweit ihnen die Pflege und Erziehung zustehen. Die Einigung ist jederzeit widerruflich und wird durch den Tod eines Ehegatten gelöst.”
„§ 2. (1) Besteht eine solche Einigung nicht oder nicht mehr, so gelten auch für die religiöse Erziehung die Vorschriften des ABGB über die Pflege und Erziehung.
(2) Es kann jedoch während bestehender Ehe von keinem Elternteil ohne die Zustimmung des anderen bestimmt werden, dass das Kind in einem anderen als dem zur Zeit der Eheschließung gemeinsamen Bekenntnis oder in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen, oder dass ein Kind vom Religionsunterricht abgemeldet werden soll.
(3) Wird die Zustimmung nicht erteilt, so kann die Vermittlung oder Entscheidung des Vormundschaftsgerichts beantragt werden. Für die Entscheidung sind, auch soweit ein Fall des § 176 ABGB nicht vorliegt, die Zwecke der Erziehung maßgebend. Vor der Entscheidung sind die Ehegatten sowie erforderlichenfalls Verwandte, Verschwägerte und die Lehrer des Kindes zu hören, wenn es ohne erhebliche Verzögerung oder unverhältnismäßige Kosten geschehen kann. Das Kind ist zu hören, wenn es das zehnte Jahr vollendet hat.”
„§ 5. Nach der Vollendung des vierzehnten Lebensjahrs steht dem Kind die Entscheidung darüber zu, zu welchem religiösen Bekenntnis es sich halten will. Hat das Kind das zwölfte Lebensjahr vollendet, so kann es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden.” [Diese Lösung stammt aus dem ALR 1794.]
§ 28 ABGB aF bestimmte, dass man den „vollen Genuss der bürgerlichen Rechte ... durch die Staatsbürgerschaft” erwirbt, deren Erwerb und Verlust die §§ 29-32 ABGB aF regelten. Das ist auch insoferne erwähnenswert, weil daraus hervorgeht, dass das ABGB in seiner ursprünglichen Fassung – nach heutigem Verständnis – auch öffentlichrechtliche Regelungen enthielt. (Die Grenzziehung zwischen öffentlichem und privatem Recht verlief damals anders.) – Heute regelt ausschließlich das dem öffentlichen Recht zuzuzählende StaatsbürgerschaftsG (BGBl 1985/311) Erwerb und Verlust der Staatsbürgerschaft.
Staatsbürgerschaft – Fremde
Literaturquelle
§ 33 ABGB (vgl schon ALR Einl §§ 34 ff insbesondere § 41 und WGGB I 2 § 55) handelt noch heute von den „Rechte[n] der Fremden” und vertritt – für das Privatrecht – eine fortschrittliche Position:
Fremde
„Den Fremden kommen überhaupt gleiche bürgerliche Rechte und Verbindlichkeiten mit den Eingebornen zu.”
Vgl jedoch die Einschränkung in Satz 2: Gegenseitigkeit. Etwas zurückhaltender war der Code Civil; Art 11.
Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Fremde in der Rechtsgeschichte lange Zeit auch (privat)rechtlich nicht gleichgestellt waren. Das öffentliche Recht hat die rechtliche Andersbehandlung Fremder in wichtigen Bereichen bis heute beibehalten. Rechtsgeschichtlich ist das Fremdenrecht ebenso eine griechische Entwicklung wie das Völkerrecht und das Handelsrecht.
Beispiel
Auch der Wohnsitz ist im (Privat)Recht von Bedeutung.
Wohnsitz
Vgl § 66 JN: „Der allgemeine Gerichtsstand einer Person wird durch deren Wohnsitz bestimmt. Der Wohnsitz einer Person ist an dem Orte begründet, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, dasselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen.”
Zur Bedeutung des Wohnsitzes als Erfüllungsort im Schuldrecht (§ 905 ABGB) → KAPITEL 7: Leistungszeit und Leistungsort.
Erfüllungsort
Vgl auch das IPRG: § 9 Abs 2 (gewöhnlicher Aufenthalt) und ebendort Abs 3 (Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt); § 10 bestimmt als Personalstatut juristischer Personen den tatsächlichen Sitz ihrer Hauptverwaltung. (Am Personalstatut orientieren sich ferner die §§ 14 (Todeserklärung), 15 (Entmündigung / Sachwalterschaft) oder 16 Abs 2 (Form der Eheschließung im Ausland) usw.
Art 6 StGG schützt grundrechtlich die Niederlassungsfreiheit. Danach kann:
Niederlassungsfreiheit
„Jeder Staatsbürger ... an jedem Orte des Staatsgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz nehmen, Liegenschaften jeder Art erwerben und über dieselben frei verfügen [Freiheit des Liegenschaftsverkehrs, insbesondere des Liegenschaftserwerbs], sowie unter den gesetzlichen Bedingungen jeden Erwerbszweig ausüben [Freiheit der Erwerbsbetätigung].”
Die Niederlassungsfreiheit ist auch europarechtlich garantiert; vgl Art 52 ff EGV oder Art 31 ff EWR-Abk.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 6.10.2000, 1 Ob 12/00: Ein deutscher Staatsbürger, der sich in Tirol niederlässt, um dort einem Erwerb aufgrund der europarechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit nachzugehen, brauch für die Genehmigung eines Liegenschaftskaufvertrags weder ein wirtschaftliches, noch ein soziales, noch ein kulturelles Interesse (des Landes Tirol) nachzuweisen.
Die Minderung der Ehre einer Person wirkte früher noch viel stärker auf den Rechtszustand einer Person ein und tut es – wenngleich abgeschwächt – noch heute. Betroffen davon war früher insbesondere auch die Rechtsfähigkeit. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Rechtsfähigkeit noch heute grundsätzlich als von der Rechtsordnung verliehen anzusehen ist; vgl jedoch § 16 ABGB:
Ehre
So kannte das griechische Recht die asébeia, das römische Recht die infamía (vgl noch heute: infam!), welche Betroffene mehr oder weniger aus der Rechtsgemeinschaft ausschloss; eine Verurteilung in bestimmten Fällen (zB auch aus bloßen Zivilrechtsklagen wie depositum / Verwahrung oder mandatum / Auftrag) machte infam. – Auch das germanische und alte deutsche Recht legte seit alters her großen Wert auf den Besitz der (vollen) Ehre: Seiner Ehre verlustig geht der feige Krieger (Ausschluss vom Opfer und der Volksversammlung etc), aber auch bestimmte Verurteilungen führten zu Ehrverlust; Friedlosigkeit oder Acht bedeuteten einen vollständigen Verlust der Rechtsfähigkeit. Rechtlos war / wurde man entweder aufgrund ehrenrühriger Handlungen (zB Diebstahl oder Raub mit der Folge entehrender Strafen) oder aufgrund bestimmter persönlicher Verhältnisse oder Eigenschaften (zB uneheliche Geburt, schimpfliches Gewerbe wie Spielleute oder unehrbarer Lebenswandel). Vgl auch → Beginn und Ende der natürlichen Person – Noch das ABGB und andere Privatrechtsnormen kennen Sanktionen im Zusammenhang mit ehrenrührigem Verhalten / Handeln; vgl etwa § 49 EheG („ehrloses oder unsittliches Verhalten” ist ein Scheidungsgrund), § 74 EheG (Verwirkung des Unterhaltsanspruchs durch „ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel”), § 768 Z 4 ABGB (Enterbung durch „anstößige Lebensart”); vgl auch § 948 ABGB: Schenkungswiderruf wegen groben Undanks, der ua auch Ehrverletzungen sanktioniert.
Zum allgemeinen schadenersatzrechtlichen Schutz der Ehre iwS § 1330 ABGB → KAPITEL 10: Zivilrechtlicher Schutz der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes: § 1330 ABGB.
nach oben