Die Leihe
[ Unterkapitelansicht ]
Motto: Rudolf Hübner, Grundzüge des Deutschen Privatrechts (19305)
Wir alle kennen die Leihe aus Kindheitstagen. Dennoch: Auch bei so einfachen Rechtsinstituten gibt es – wie wir sehen werden – die eine oder andere rechtliche Besonderheit zu entdecken. – Entliehen wird alles Mögliche: Spielzeug, Kleidung, Schmuck, ein Fahrrad oder Auto, die Zeitung des Zugnachbarn oder der Einkaufswagen im SB-Laden. Aber kann man auch eine Wohnung oder gar ein Haus, also unbewegliche Sachen, entlehnen oder verleihen?
A. Die Leihe als Realkontrakt
Auch die Leihe – geregelt in den §§ 971 ff ABGB – ist (wie im römischen Recht: commodatum) Realvertrag und kommt daher erst mit Einräumung der Gewahrsame am Leihgegenstand (also idR durch dessen Übergabe) zustande. – Das bloße Versprechen der Gebrauchsüberlassung ist wiederum – wie beim Darlehen – nur Vorvertrag iSd § 936 ABGB; vgl § 971 Satz 2 ABGB.
I. Legaldefinition des § 971 ABGB
„Wenn jemandem eine unverbrauchbare Sache bloß zum unentgeltlichen Gebrauche auf eine bestimmte Zeit übergeben wird; so entsteht ein Leihvertrag ...”
Entgegen dem Gesetzeswortlaut lässt man auch Leihe auf unbestimmte Zeit zu. Als Dauerschuldverhältnis braucht sie dann zur Beendigung die Kündigung.
Beispiel
nach oben
II. Terminologie
Die Personen des Leihvertrags heißen: – VerleiherIn und EntlehnerIn.
Der Begriff „Leihe” wird nicht selten in der Umgangssprache unrichtig gebraucht. Es wird von Leiharbeit ( → KAPITEL 12: Arbeitnehmerüberlassung), Leihbücherei, Leihauto, Leihfirma, Leihvideo, Kostümverleih usw gesprochen. Gemeint ist in diesen Fällen aber regelmäßig (entgeltliche) „Miete”, zumal hier ein Entgelt zu entrichten ist, die Leihe – heute – aber notwendig unentgeltlich ist. – Geringfügiges „Entgelt” nimmt der Leihe aber nicht den Charakter der Unentgeltlichkeit. Das gleiche gilt für vorübergehende Entgeltlichkeit; zB Geldeinsatz von 0,5 ı, um im SB-Laden einen Einkaufswagen benützen zu können, der bei Rückstellung des Wagens rückerstattet wird.
Zum weiten Begriff der Leihe im Mittelalter und das diesem Pkt vorangestellte Eingangsmotto von R. Hübner.
nach oben
III. Gegenstand der Leihe
Anders als beim Darlehen sind Gegenstand der Leihe stets unverbrauchbare Sachen; zB ein Buch, eine Bluse, ein Anzug / Kostüm, ein Fahrrad oder Ring. Die „Leihe” eines Päckchens Papiertaschentücher wäre dagegen Darlehen! Anders als beim Darlehen ist nämlich bei der Leihe dieselbe Sache zurückzustellen. – Die zur Leihe übergebene Sache kann aber beweglich oder unbeweglich sein. Man kann also auch Haus oder Wohnung ver- oder ausleihen.
nach oben
B. Rechte und Pflichten des Entlehners
Nach § 972 ABGB erwirbt der Entlehner das Recht, „den ordentlichen oder [im Vertrag] näher bestimmten Gebrauch von der Sache zu machen”; also Fahrrad oder Auto zu benützen, ein Buch zu lesen, das Kleid am Ball zu tragen. – Der Gebrauch der entlehnten Sache hat aber schonend zu erfolgen; man spricht vom ordentlichen Gebrauch des Leihgegenstands. So dürfen EntlehnerIn den Leihgegenstand insbesondere nicht weiterverleihen, darin läge vielmehr ein widerrechtlicher Gebrauch der Sache. Der Leihgegenstand ist auch vereinbarungsgemäß, also zeitgerecht zurückzustellen. Der vereinbarte Gebrauch darf auch nicht ausgeweitet werden, vielmehr ist am bedungenen Gebrauch festzuhalten.
Beispiel
I. Gefahrtragung und Haftung
Nach § 979 ABGB haftet der Entlehner für den „durch sein Verschulden verursachten” Schaden. Gehaftet wird für omnis culpa, also ab leichter Fahrlässigkeit → KAPITEL 9: Verschulden (culpa).
§ 980 ABGB regelt den Fall, dass der Entlehner das „Lehnstück” verliert und den Wert erlegt. Das Gesetz räumt ihm dadurch „noch kein Recht [ein], dasselbe, wenn es wieder gefunden wird, gegen den Willen des Eigentümers für sich zu behalten, wenn dieser bereit ist, den empfangenen Wert zurückzugeben.” – Was räumt das Gesetz dem Entlehner damit bis zur Rückgabe des Geldes ein? – Ein Zurückbehaltungsrecht iSd § 471 ABGB → KAPITEL 15: Das Zurückbehaltungsrecht: § 471 ABGB.
1. Haftung für Zufall
EntlehnerIn haften nicht für (unverschuldeten) Zufall; zB beim ausgeliehenen Fahrrad bricht (unerwartet) eine Felge, das ausgeliehene Kostüm wird vom Kellner beschmutzt, der entliehene Pkw hat trotz ordnungsgemäßen Abstellens eine Delle am Kotflügel, der ausgeliehene Schi bricht beim normalen Gebrauch. Die Gefahr / das Risiko einer unverschuldeten (= zufälligen) Beschädigung der Sache trägt nach wie vor der Verleiher als Eigentümer. Der Eigentümer trägt nämlich nach dem Gesetz den Zufall selbst; § 1311 Satz 1 ABGB → KAPITEL 9: Schadenersatz und Zufall: § 1311 ABGB: „Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet”.
nach oben
2. Gemischter Zufall
Vom Zufall zu unterscheiden ist aber der gemischte Zufall / casus mixtus. Gemischter Zufall meint: Verschulden des Entlehners und Zufall treffen zusammen; was etwa dann anzunehmen ist, wenn EntlehnerIn den Leihgegenstand vereinbarungswidrig, also widerrechtlich weiterverleiht oder den vereinbarten Gebrauch – eigenmächtig – ausweitet und der Gegenstand dabei zufällig (also ohne sonstiges persönliches Verschulden des Entlehners) Schaden leidet; zB durch Dritte beschädigt wird. Auch die §§ 979 (Verwahrung) und 460 ABGB (Pfandrecht) kennen eine Haftung für gemischten Zufall.
Beispiel
nach oben
II. Beweislastumkehr
Mehr zu Beweislast und Beweislastumkehr → KAPITEL 9: Beweislast und Anspruchsdurchsetzung.
Da zwischen EntlehnerIn und VerleiherIn eine vertragliche Beziehung besteht, kommt bei Beschädigung des entlehnten Gegenstands die Beweislastregel des § 1298 ABGB zur Anwendung und nicht die des § 1296 ABGB; Beweislastumkehr (Gesetz lesen!). Das bedeutet, dass ein/e EntlehnerIn die eigene Schuldlosigkeit beweisen muss! Das ist nicht immer leicht.
Rechtssprechungsbeispiel
GlU 9700 (1883): Klage auf Schadenersatz im Falle der Zurückstellung einer geliehenen Sache (zwei Ochsen) in verschlimmertem Zustande: Beweislast. – OGH: „Der Beweis, dass die Beschädigung ohne [Verschulden des Entlehners] und durch einen von ihm nicht zu verantwortenden Zufall erfolgt sei, ist ... vom Entlehner zu erbringen, weil derjenige, welcher vorgibt, dass er an der Erfüllung seiner Vertragspflicht ohne sein Verschulden gehindert worden sei, nach § 1298 ABGB ... dies zu beweisen hat.” – Tiere sind daher in ebendemselben gesunden Zustand zu restituieren, in dem sie übergeben wurden; andernfalls greift § 979 ABGB.
nach oben
III. Gebrauchs- und Erhaltungskosten
Wer trägt die Benzinkosten, wenn ein Moped oder Auto verliehen wird, wer die Stromkosten einer geliehenen Wohnung? – Benzin- und Stromkosten gehören zum ordentlichen Gebrauchund sind vom Entlehner zu tragen! Darin liegt kein Entgelt! Zum schonenden Gebrauch gehört auch die Pflicht der normalen Erhaltung der Sache: Reinigen und Lüften der Wohnung, Warten eines Motorrads bei längerem Gebrauch (Service etc), die (anteiligen) Betriebskosten für eine geliehene Wohnung, die Futter- und Pflegekosten für ein geliehenes Tier. Anders ist das, wenn ein Tier in Verwahrung gegeben wird
Pflicht der normalen Erhaltung: Ordentlicher Gebrauch
Für außerordentliche Erhaltungskosten hat der / die EntlehnerIn aber nicht aufzukommen; jedoch besteht Vorschusspflicht des Entlehners. Das Bezahlte hat der Verleiher dem Entlehner „gleich einem redlichen Besitzer” (§ 981 ABGB) zu vergüten. Zu § 982 ABGB → Wechselseitige Ansprüche nach Rückstellung
Außerordentliche Erhaltungskosten
Beispiel
nach oben
IV. Rückstellungspflicht
EntlehnerIn müssen nach Ablauf der Leihzeit dieselbe Sache zurückgeben; grundsätzlich in dem Zustand, in dem sie übergeben wurde. Dh, dass die geliehene Wohnung bei längerem Gebrauch allenfalls auszumalen, für ein Kfz uU ein Service zu machen ist.
Der Verleiher hat nicht das Recht die „verlehnte Sache vor Verlauf der Zeit und vor geendigten Gebrauche”, also früher zurückzuverlangen; selbst dann nicht, wenn er sie selbst dringend braucht; § 976 ABGB. – Anderes gilt nach § 977 ABGB für den Entlehner: Er ist berechtigt „die entlehnte Sache auch vor bestimmter Zeit zurückzugeben”, aber nicht, wenn dies dem Verleiher „beschwerlich” ist.


Darlehen – Vergleich der Rechtsstellung – Leihe
Abbildung 3.1:
Darlehen – Vergleich der Rechtsstellung – Leihe
nach oben
C. Das Dauerschuldverhältnis: Leihe
Die Dauer der Leihe bestimmt sich nach der Vereinbarung, die häufig nur schlüssig erfolgt; § 863 ABGB. Als Dauerschuldverhältnis wird sie idR auf bestimmte Zeit – zB für 1 Monat – oder zu einem bestimmten Zweck – Leihe von Schiern für eine Schitour, eines Abendkleids für einen Ball – vereinbart. Fehlt eine solche Vereinbarung, liegt Leihe auf unbestimmte Zeit vor (§ 973 ABGB), die allenfalls – wenn kein Einvernehmen erzielt werden kann – durch Kündigung (→ KAPITEL 6: Bedeutung der Unterscheidung) beendet werden muss.
Lesen Sie die im Hinblick auf die Leihdauer interessante Beweislastregel des § 975 ABGB: Den Entlehner trifft nämlich die Beweislast für den behaupteten längeren Gebrauch.
Beweislastregel
§ 978 ABGB statuiert ein vorzeitiges Rückforderungsrecht des Verleihers bei vereinbarungswidrigem Gebrauch.
Vorzeitiges Rückforderungsrecht des Verleihers
Das in § 971 ABGB verlangte Kriterium, dass die Übergabe des Leihgegenstands „auf eine bestimmte Zeit” erfolgt, wird von der Rechtspraxis – wie erwähnt – stark gelockert. Schon § 974 ABGB hilft dabei, wenn er sagt: „Hat man weder die Dauer, noch die Absicht des Gebrauches bestimmt ...” – Die scheinbar strenge Zeitbestimmung in § 971 wird daher schon vom ABGB in Richtung Bestimmbarkeit der Zeit erweitert. Die Grenzziehung zur Bittleihe /Prekarium ( → Bittleihe / Prekarium) wird dadurch freilich unschärfer.
Bestimmbarkeit der Zeit
nach oben
D. Wechselseitige Ansprüche nach Rückstellung
Für allfällige Ansprüche von Verleiher und Entlehner nach Rücknahme / -stellung des Leihstücks gegeneinander ist § 982 ABGB zu beachten. Ersatzansprüche des Verleihers (zB wegen „Missbrauchs” oder „übertriebener Abnutzung”) sowie allfällige Rückvergütungsansprüche des Entlehners wegen gemachter außerordentlicher Aufwendungen (→ Gebrauchs- und Erhaltungskosten) sind innerhalb von 30 Tagen (!) geltend zu machen: Präklusivfrist → KAPITEL 13: Die Befristung.
nach oben
E. Kein Zurückbehaltungsrecht an entlehnten Sachen
Entlehnte Sachen sind nach § 1440 ABGB kein Gegenstand des Zurückbehaltungsrechts; zu § 471 ABGB → KAPITEL 15: Das Zurückbehaltungsrecht: § 471 ABGB. Vgl aber → Gefahrtragung und Haftung: § 980 ABGB.
Mit der Formulierung in § 982 letzter HalbS ABGB: „.., so ist die Klage erloschen” wird eine Präklusivfrist (→ KAPITEL 13: Die Befristung) statuiert, die nicht einmal eine Naturalobligation entstehen lässt.
nach oben
F. Bittleihe / Prekarium
Worin liegt der Unterschied zur (echten) Leihe? –Diese Sonderform liegt vor, wenn ein/e VerleiherIn die entlehnte Sache – vereinbarungsgemäß – jederzeit nach Willkür zurückfordern kann; § 974 ABGB. Die freie Widerruflichkeit muss aber nicht ausdrücklich vereinbart sein und kann sich auch aus den Umständen ergeben; schlüssige / konkludente Vereinbarung iSd § 863 ABGB. Die Gesetzesformulierung ist aber wenig aussagekräftig:
„Hat man weder die Dauer, noch die Absicht des Gebrauches bestimmt; so entsteht kein wahrer Vertrag, sondern ein unverbindliches Bittleihen (Prekarium), und der Verleiher kann die entlehnte Sache nach Willkür zurückfordern.”
Heute erblickt man – entgegen § 974 ABGB – in der Bittleihe einen Vertrag. Daher wendet die Rspr auch bei Bittleihen die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB an.
Vertrag
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1999, 47: Bei einer Bittleihe trifft den Prekaristen die Pflicht zur Rückstellung des überlassenen Objekts in unversehrtem Zustand; er hätte gemäß § 1298 ABGB zu beweisen, dass er eine Beschädigung nicht verschuldet hat. Hier hatte der Kläger dem Beklagten auf dessen Anregung das Lenken seines Pkw zu einer gemeinsamen Fahrt überlassen.
OGH 11. 6. 2002, 1 Ob 67/02p, EvBl 2002/178: Gemeinde Wien erlaubt einem beschränkt Geschäftsfähigen (Stufe eines mündigen Minderjährigen) über 40 Jahre lang eines ihrer Grundstücke zur Ablagerung von Blumen als Prekarium zu benützen. Als die Gemeinde das Grundstück zurückfordert, wendet er Ersitzung ein. – OGH: Nach § 310 ABGB kann auch ein mündiger Minderjähriger Besitz erwerben, da vermutet wird, dass er die dafür nötige Einsichtsfähigkeit besitzt. OGH verneint aber im konkreten Fall die Redlichkeit, da auch einem beschränkt Geschäftsfähigen klar sein musste, dass kein gültiger Titel zum Eigentumserwerb vorlag; vgl § 345 ABGB: nec vi nec clam nec precario.
PrekaristIn werden aber im Gegensatz zum/r EntlehnerIn nicht als Rechtsbesitzer angesehen, sondern nur als Sachinhaber, obwohl ein Gebrauchsrecht besteht. Dieses jederzeit widerrufliche Gebrauchsrecht wird offenbar als zu schwach angesehen. Die Bittleihe vermittelt daher auch nicht die Besitzprivilegien → Bittleihe / Prekarium
Kein Rechtsbesitz
Das Prekarium kommt – wie die Leihe selbst – bei beweglichen und unbeweglichen Sachen, aber auch bei Rechten vor.
Prekarium woran?
Beispiel
Praktisch bedeutsam ist die Abgrenzung des Prekariums von der Miete, da ein Prekarist keinen Mieterschutz genießt → KAPITEL 6: Soziales Miet- und Pachtrecht. – Miete ist entgeltlich, das Prekarium dagegen unentgeltlich; geringfügiges Entgelt (sog Anerkennungszins) schadet aber nicht. Zahlung des Betriebskostenanteils an einer Wohnung ändert nichts an der Bittleihe → Bittleihe / Prekarium
Praktische Bedeutung der Abgrenzung
Für die Abgrenzung zur Miete entscheidet nach der Rspr nicht die von den Parteien gewählte Bezeichnung, sondern ihre wahre Absicht; § 914 ABGB. – Die Vermutung spricht nicht für Bittleihe, sondern für Miete; außer zB bei freiwilliger Aufnahme Obdachloser auf deren Bitte: EvBl 1947/441 = MietSlg 38. Das führt immer wieder zu Rechtsunsicherheit und Streit.


Leihe – Vergleich der Rechtsstellung – Verwahrung
Abbildung 3.2:
Leihe – Vergleich der Rechtsstellung – Verwahrung