Kapitel 11 | |
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B. Die
Rechtsanwendung |
D. Rechtsquellen
des Privatrechts |
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C. Auslegung von
Gesetzen und Rechtsgeschäften |
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I. Allgemeines
zur Auslegung | |
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Das menschliche Auslegen und Deuten war historisch
zunächst nicht ein solches von Schrift und Text, sondern ein religiös-zeremoniell-rituelles
Deuten durch Älteste, Priester, Auguren und Politiker im Rahmen
religiöser und/oder politischer Handlungen, inbesondere von Opfern;
Vogelflug, Eingeweideschau von Tieren etc. Da aber die Priester
und Auguren bspw in Rom lange auch die frühen Hüter des Rechts waren,
brachten sie ihr vorrechtliches Wissen in die Anwendung des zunächst
noch ungeschriebenen Rechts und in der Folge in die von ihnen gemachten
(Rechts)Aufzeichnungen ein. In Rom lösen sich Priestertum / Religion
und Rechtsanwendung erst allmählich mit dem XII-Tafelgesetz voneinander.
– Im alten Griechenland erfolgte dieser Schritt dagegen wesentlich
früher, nämlich schon in den Reformen Drakons und Solons, ja bereits
mit der Einsetzung von Archonten in der ersten Hälfte des 7. Jhds
v. C. Nahezu alles Methodische stammt aus Griechenland; vgl die
einleitende Übersicht zu diesem Kapitel. | Auslegen
und Deuten |
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Juristen legen Gesetze, Urteile, Bescheide,
Verträge, Willenserklärungen oder ein bestimmtes Verhalten aus.
Theologen die Bibel, Germanisten zB ein (Goethe)Gedicht, ein Dirigent
oder Musikwissenschaftler eine Mozartpartitur, Statistiker, Meinungsforscher
oder Politologen eine empirische Erhebung oder Wahl, Psychoanalytiker
Träume. – Auslegung, Interpretation, Hermeneutik – iS eines optimalen
Verstehens von Vorgegebenem – ist also nicht nur eine juristische Tätigkeit. | Nicht
nur Juristen
interpretieren |
Auslegung will das Verstehen von Texten
und Äußerungen etc und damit das Erfassen von Sinnzusammenhängen fördern,
um daraus menschliche und gesellschaftliche Handlungszusammenhänge
werden zu lassen. | |
Seit alters her wird die rechtliche
Auslegung als Kunst verstanden.
Wie andere Künste, nährt sich auch die Jurisprudenz nicht nur aus
trockener Verstandeskraft, sondern setzt immer wieder auch auf das
natürliche
Rechtsgefühl und
die Phantasie, baut also nicht nur auf rationale Stringenz, Konsequenz
und Härte, sondern auch auf Praktikabilität, Milde, Nachsicht, Menschlichkeit
und Verständnis: Epieikeia (Griechenland) / aequitas (Rom) / Billigkeit
oder equity (Europa/USA) benennen dies zeitlich sukzessiv auch sprachlich.
Dies deshalb, weil nur diese Mischung, Frieden und Akzeptanz getroffener
Entscheidung her- und sicherzustellen vermag. Das alte Leitbild
des weisen Richters und Urteilsspruchs betont diese Orientierung;
vgl dazu schon manche Stelle des Alten Testaments (Salomo!) oder
bei Platon („Politeía”). Die Griechen orientierten sich dabei früh an
der Vorstellung der „Mitte”, dem Méson, das aber nicht rein mathematisch
(miss)verstanden werden darf; Solon, Platon, Aristoteles. Diese
alte Einsicht wird dann im römischrechtlichen Satz (Ulpian) des
„ius est ars aequi et boni” angesprochen, der ebenfalls griechischen
Ursprungs ist. | Auslegung
als Kunst – Rechtsgefühl |
Das Beispiel psychoanalytischer Traumdeutung
und -auslegung lehrt uns etwas auch für die juristische Interpretation
Wichtiges: S. Freud unterscheidet in seiner Traumdeutungslehre zwischen manifestem (=
das, was der Traum real zeigt und ausdrückt) und latentem
Trauminhalt (= wie das Gezeigte, das oft „verschlüsselt”
wird, zu verstehen ist). Diese Unterscheidung wurde in der Folge
von der Philosophie und anderen wissenschaftlichen Disziplinen übernommen;
zB von Theodor W. Adorno. – Auch Juristen/innen benötigen die Fähigkeit
„zwischen” den Zeilen lesen und über den Text hinausgehend mitschwingendes
Vorverständnis und mitunter sogar Vorurteile erkennen und vermeiden
zu können, um Gesetzesmaterialien oder Urteile udgl „ganz“ zu verstehen.
Die Inhalts- oder Judikaturanalyse wendet diese Einsichten methodisch
an. | Manifeste
und
latente Inhalte |
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Wie wird die juristische Auslegung umschrieben? | Juristische
Auslegung |
Celsus,
D. 1, 3, 17: „Scire leges non est verba eorum tenere, sed vim ac
potestatem.” | |
Konstitution der Kaiser Valerian
und Gallienus aus dem Jahre 259: „In Kontrakten muss man mehr auf
die Wahrheit der Sache, als auf das Niedergeschriebene sehen.” | |
Für C. F. v.
Savigny (1779-1861) ist juristische Auslegung ein „wissenschaftliches
Geschäft, Anfang und Grundlage der Rechtswissenschaft”, aber auch
„Kunst”, die sich deshalb „nicht durch Regeln mitteilen oder erwerben”
lässt. Savigny will das Gesetz „in seiner Wahrheit erkennen”; System
des heutigen Römischen Rechts, Bd I 206 (1840). | |
Pfaff
/ Hofmann: „Sie ist Kunst, nicht Kunde – nicht ein Wissen, sondern
ein Können.” | |
Karl Wolff: „Die
Erforschung des Sinns der Gesetzessätze heißt Auslegung”; in: Klang
I2 85. | |
Franz Gschnitzer:
„Auslegen heißt den Sinn eines Verhaltens, vor allem einer Erklärung,
ermitteln”; AllgT1 26. | |
2. Methode
als „Wegweiser“ und „Nach-Weg“ | |
Der
Aufgabenbereich juristischer Methode ist danach ein zweifacher: | |
• Einerseits soll sie
dem Rechtsanwender den Weg zu einer richtigen /korrekten
– oder wie die Griechen dies nannten, zu einer „geraden“ (und nicht
krummen) iSv gerechten – Entscheidung weisen; | |
• zum anderen aber auch von ihr Betroffene oder
auch nur Leser in die Lage versetzen, ihr Ergebnis und
ihre Argumentation, ihre juristische und logische Korrektheit und
Schlüssigkeit rational nachzuvollziehen, also verstehen
zu können. Sie sollen im Stande sein, den Weg, der zur Entscheidung
geführt hat, nach-zugehen. Das gelingt nicht immer, und hier wäre
generell grössere Einfachheit, Klarheit und Kürze zu fordern. Das
ist zugegebenermassen schwieriger, als sich hinter sprachlichen
und disziplinären Unverständlichkeiten zu verstecken. | |
Die Aufgaben juristischer Methode sind demnach unterschiedlicher
Art. Die wesentlichen Aspekte methodischen Verstehens sollen hier
kurz behandelt werden: | |
Methode heißt
im Griechischen Nach-Weg oder Nach-Gehen,
womit ein wichtiges Ziel methodischen Vorgehens klargelegt wird;
nämlich, dass sich – wie erwähnt – der Weg von der getroffenen Entscheidung,
zB einem richterlichen Urteil, von einem späteren Betrachter zurückverfolgen
lässt, hin zu seinem logischen, rationalen, juristischen Ausgangspunkt,
womit Willkür und Unkorrektheit des oder der Entscheidenden – möglichst
– ausgeschlossen werden sollen. Das ist jedenfalls der Anspruch jeder
Methode, auch der juristischen. Natürlich wird er nicht immer und
vor allem nicht immer voll eingelöst. Aber es gilt gute Annäherungswerte
an dieses Ziel zu erreichen. Solches Bemühen zeichnet die Wissenschaften
allgemein – und nicht nur die Jurisprudenz – seit jeher aus. | Nach-Weg |
Ernst Bloch meinte in seiner „Tübinger Einleitung zur Philosophie”: | |
„Methode haben heißt, mit dem Weg der Sache
gehen. …” | |
Das ist so zu verstehen,
dass die Methodenwahl vom zu lösenden Problem her
und nicht etwa vom eigenen Vorverständnis verstanden und getroffen
werden muß. – Die juristische Methode ist aber keine Ware von der
Stange, sondern Maßanfertigung (im Einzelfall). – Es wäre auch ein
Irrtum zu meinen, die Anwendung juristischer Methoden würde stets
die Lösung bis in alle Details vorgeben. Deshalb sollte als Faustregel
bedacht werden, daß auch die Anwendung juristischer Methoden nicht
mehr zu leisten vermag, als die Richtung zu weisen, in der die Lösung
zu suchen ist; Wegweiser- und Orientierungsfunktion juristischer
Methode. | Methodenwahl |
Zu beachten ist ferner, dass Methoden, auch die juristische,
Gefahr laufen, zu mechanischer Anwendung, zu standardisierten Abläufen
zu verkümmern, womit aber jede Methode ihre Leistungsfähigkeit und
Spannkraft verliert. – Denn es besteht immer wieder die Gefahr /
Versuchung, Methode nur zur Sicherung des eigenen (subjektiven)
Urteils zu missbrauchen. | |
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Die Regeln der §§
6, 7 ABGB, die von der Gesetzesauslegung handeln, galten bis zur
III. Teilnovelle / TN (1916) auch für die Auslegung von Rechtsgeschäften
und Verträgen. § 914 ABGB nF wurde erst durch die III. TN eingefügt;
vgl den Text des § 914 ABGB aF → Die
„Stufen“ des § 914 ABGB
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Andere
Rechtsordnungen, etwa das dtBGB, kennen nur Regeln über die Auslegung
von Willenserklärungen, nicht wie das ABGB auch Vorschriften über
die Auslegung von Gesetzen. Zur Auslegung von Verträgen nach Treu
und Glauben vgl aber die §§ 157 und 242 dtBGB → Treu
und Glauben
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Gewisse
Besonderheiten gelten für die Auslegung der Verfügungen von Todes
wegen (Erbrecht), obwohl es sich auch hier um Rechtsgeschäfte
(Testament, Erbvertrag) handelt. Oberstes Auslegungsziel ist hier
die Erforschung und Respektierung des Erblasserwillens. – Ähnliches
gilt nach der ersten Unklarheitenregel des § 915 ABGB für unentgeltliche
Geschäfte. | Erbrecht |
Vgl § 655 ABGB (Allgemeine Auslegungsregel bei
Vermächtnissen): „Worte werden auch bei Vermächtnissen in ihrer
gewöhnlichen Bedeutung genommen; es müsste denn bewiesen werden,
dass der Erblasser mit gewissen Ausdrücken einen ihm eigenen besondern
Sinn zu verbinden gewohnt gewesen ist; oder, dass das Vermächtnis
sonst ohne Wirkung wäre.” – Der Willensgrundsatz gilt aber nach
hA nicht nur für Vermächtnisse. | |
Für die Gesetzesauslegung ieS (§ 6 ABGB)
und die Lückenschließung nach § 7 ABGB ist ebenso wie für die Auslegung
von Verträgen und Rechtsgeschäften nach den §§ 914, 915 ABGB zu beachten,
dass nach hA die im Verfassungsrecht, inbesondere in den Grundrechten,
niedergelegten Wert(halt)ungen auf das Privatrecht mittelbar – dh
über Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe wie § 16 und
§ 879 ABGB – einwirken und im Rahmen der Gesetzes- und Vertragsauslegung
und der Lückenschließung zu beachten sind; dazu → §
7 ABGB: Die Lückenschließung
| Einwirkung
der Grundrechte |
Sowohl
die Gesetzesauslegung, als auch die Auslegung von Rechtsgeschäften
/ Verträgen gehört zur sog rechtlichen Beurteilung,
ein Begriff der im Verfahrensrecht (genauer: im
Rechtsmittelverfahren → KAPITEL 19: Das
Rechtsmittelverfahren)
von Bedeutung ist. Die Richtigkeit der vorgenommenen Auslegung unterliegt
daher im Rechtsmittelverfahren als rechtliche Beurteilung der Überprüfung durch
das Berufungs- oder Revisionsgericht, während das für den Bereich
der Tatsachen- oder Sachverhaltsfeststellung nicht gilt! | Verfahrensrecht |
4. Legistische
Qualität und Auslegung | |
Gute
Gesetze mindern den Auslegungsaufwand, schlechte vermehren ihn.
Gute Gesetze sparen Zeit und Geld und erhöhen den wichtigen Rechtswert: Rechtssicherheit.
– Gehaltvolle Legistik, mitunter – vor allem früher – auch als Kunst
der Gesetzgebung bezeichnet, sollte daher eine Selbstverständlichkeit
sein. Leider überwiegen die negativen Beispiele. | Rechtssicherheit |
Gute Gesetze sind
in klarer und einfacher Sprache abgefasst, kein Fachkauderwelsch.
– Aber wem ist heute noch die Rechtssprache ein
Anliegen? | Rechtssprache |
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5. Auslegung im
öffentlichen Recht | |
Auch das öffentliche Recht ist auf
die Auslegung von Normen angewiesen. Da es kaum eigene gesetzliche
Auslegungsregeln kennt, wird immer wieder auf das ABGB zurückgegriffen.
Die „Reine Rechtslehre“ hat versucht, den Auslegungskanon des öffentlichen
Rechts einzuschränken. Das ist misslungen. – Auch das öffentlichrechtliche
Recht kennt aber judikativ-gewohnheitsrechtlich verfestigte Auslegungsregeln:
Etwa das Steuerrecht den Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise und
der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit spielt immer
wieder bei der Auslegung öffentlichrechtlicher Normen eine Rolle;
vgl etwa VwGH, ÖJZ 1999 Nr 94, S. 395: § 40 Abs 1 und 4 SPG: Personendurchsuchung
– Notwendigkeit des Entkleidens – Verhältnismäßigkeit. Im Verfassungsrecht
gilt die sog Versteinerungstheorie. | Judikative
Auslegungsregeln |
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II. Gesetzesauslegung:
§§ 6, 7 ABGB | |
1. Gesetzesauslegung
ieS und iwS | |
Das ABGB regelt die
Gesetzesauslegung iwS in den §§ 6 und 7 ABGB; iwS insofern, als
§ 7 ABGB eigentlich keine Auslegungsregeln mehr enthält, sondern
Regeln der Lückenfüllung. Das Feststellen einer Lücke setzt aber
– immerhin – ein Auslegungsergebnis voraus. | |
Auszulegen sind in Gesetzen einzelne Worte, Sätze und
ihr Zusammenhang – also der Text, aber bspw auch
die Reichweite von Generalklauseln ( → Generalklausel)
und die darin verwendeten unbestimmten Gesetzes- oder Rechtsbegriffe wie:
– die guten Sitten (§ 879 ABGB → Gegen
die guten Sitten),
– schwere Eheverfehlung (§ 49 EheG), – berechtigte Sicherheitserwartungen
des durchschnittlichen Benützers (§ 5 PHG → KAPITEL 7: Produkthaftung
¿ PHG 1988),
– aus triftigen Gründen (§ 31e Abs 1 KSchG) oder – wichtiger Grund
iSd § 30 MRG uvam. | Was
ist auszulegen? |
Gerade die Interpretation eines
bürgerlichen Gesetzbuchs sollte sich weithin vom alltäglichen
Sprachgebrauch/ Wortverständnis leiten lassen. Das lehrt uns einerseits
eine bedachte und einfache Wortwahl in der Legistik und andrerseits,
dass die Wortinterpretation – als erster und wichtiger
Schritt der Auslegung – ernst zu nehmen ist. Goethes Faust-Verse
– „… legt ihr nicht aus, dann legt ihr unter” – sollten uns eine
Warnung sein. | |
| Auslegung von
Kollektivverträgen |
2. Beispiele
zur Gesetzesauslegung | |
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| Abbildung 11.8: Gesetzesauslegung: § 6 ABGB |
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3. §
6 ABGB: Instrumente der Gesetzesauslegung | |
Zur
Schrittfolge der Auslegung: Auszugehen ist bei der Gesetzesauslegung,
die den maßgeblichen Sinn eines Rechtssatzes feststellen will, von
der | Schrittfolge |
•
Wortinterpretation,
die bei Bedarf zur | |
•
Satz-
und grammatikalisch-logischen Interpretation zu
erweitern ist. Dafür ordnet § 6 ABGB an, die ”klare Absicht
des Gesetzgebers” zu erforschen, womit auch die | |
•
historisch(-subjektive) Auslegung
(Was wollte der historische Gesetzgeber erreichen?), und die | |
•
teleologisch-objektive Auslegung
(Was kann objektiv als Zweck einer Regelung angesehen werden?) angesprochen
werden; man nennt das auch Willens- oder Sinnesinterpretation iS eines
Erkennens der ratio legis. | |
• Die systematische Interpretation berücksichtigt
zusätzlich den Ort und die Lage einer Norm im Gesetz und im (Gesamt)System.
– Vgl das oben → Beispiele
zur Gesetzesauslegung erwähnte Beispiel der Konventionalstrafe. | |
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OGH 29. 5. 2000, 7 Ob 104/00w, SZ 73/89 = JBl 2000, 784:
OGH kommt durch systematische Interpretation zum Ergebnis, dass
die II. TN zum ABGB auch nach dem BundesrechtsbereinigungsG noch
gilt. | |
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All das offenbart eine gewisse Relativität methodischer
Schritte und das Erfordernis sorgfältiger historischer
Auslegung, was nicht damit zu vereinbaren ist, dass mit „Zeiller”
alles endet! | |
Das Ergebnis einer Auslegung kann auch darin bestehen, dass
der Gesetzestext korrigiert werden muss. Ein solches
Ergebnis bedarf aber sorgfältiger Prüfung! | |
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| Abbildung 11.9: Mögliche Auslegungsschritte: § 6 ABGB |
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Die Auslegung
als interpretativer „Gesamtakt”: | Auslegung als „Gesamtakt” |
Die Auslegung ist ein „Gesamtakt”, womit gemeint ist, dass
häufig nicht nur ein einzelner isolierter Auslegungsschritt gesetzt
wird, sondern oft mehrere gleichzeitig – das heisst: neben- oder
nacheinander, die auch aufeinander bezogen sein müssen. Etwa: Wortinterpretation
+ grammatikalische + historische + systematische + teleologische
Auslegung, allenfalls kombiniert mit Analogie. | |
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JBl 1991, 591 (§
6 ABGB, § 22 UVG): Die Gesetzesauslegung darf bei der Wortinterpretation
nicht stehen bleiben. Der übliche normale Wortsinn ist nur ein Hinweis
für die Auslegung der Norm, nicht mehr; erst der äußerst mögliche
Wortsinn steckt die Grenze jeglicher Auslegung ab, welche auch mit
den sonstigen Interpretationsmethoden nicht überschritten werden
darf. – Dadurch, dass das Kind wegen gutgläubigen Verbrauchs der Unterhaltsvorschüsse gemäß
§ 22 Abs 1 UVG nicht zum Ersatz herangezogen werden kann, ist die
subsidiäre Haftung des gesetzlichen Vertreters oder der Pflegeperson
nicht ausgeschlossen. | |
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Zur Korrektur
des § 1325 ABGB durch den OGH in SZ 69/217
→ KAPITEL 9: Schmerzen(s)geld:
Hier korrigiert das Höchstgericht den Gesetzestext contra legem,
worin wohl auch die Annahme einer materiellen Derogation des ABGB
durch das EKHG steckt. | |
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§ 10 ABGB (Gewohnheitsrecht) wird extensiv oder
vielleicht sogar berichtigend interpretiert → Das
Gewohnheitsrecht
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| Abbildung 11.10: Ergebnis der Auslegung: § 6 ABGB |
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4. §
7 ABGB: Die Lückenschließung | |
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Der Österreicher Eugen Ehrlich gilt als Begründer
und Galionsfigur der immer wieder missverstandenen „ Freirechtsschule”,
die keineswegs einer von gesetzlicher Bindung befreiten Rechtsanwendung
das Wort geredet hat. Kelsens Kritik ging an den Fakten vorbei und
übersieht – wie auch andere (insbesondere deutsche Kritiken) – dass
Ehrlichs Vorbild § 7 ABGB war. Vgl nunmehr → KAPITEL 18: Ehrlichs
Methodenkritik. | |
Findet
sich für einen Sachverhalt – nach eingehender Prüfung – kein passender
gesetzlicher Tatbestand, liegt (für den Rechtsanwender) eine Lücke vor.
– Weil der Rechtsanwender dennoch zu entscheiden hat, muss er in
der Lage sein, Regelungslücken zu schließen. Dazu verweist ihn der Gesetzgeber
in § 7 ABGB auf: | Regelungslücken |
•
Analogie und | | •
natürliche Rechtsgrundsätze, die somit – funktional – dem Schließen von Rechtslücken
dienen. | |
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Eine planwidrige
Regelungslücke wird dann angenommen, wenn die Regelung
eines Sachbereichs keine Bestimmung für eine Frage enthält, die
im gegebenen Zusammenhang an sich geregelt werden müsste; wenn also
das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht (ratio legis) und
seiner immanenten Zielsetzung (Teleologie), unvollständig und daher
ergänzungsbedürftig ist. Die Ergänzung darf dabei nicht einer vom
Gesetz gewollten Beschränkung widersprechen. Inbesondere rechtfertigt
die bloß andere Meinung eines Rechtsanwenders, eine andere Regelung
sei wünschenswert, noch nicht die Annahme einer Gesetzeslücke. | |
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Abgelehnt wurde
daher zB die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke in EvBl 1999/59:
Voraussetzungen für einen Pflegegeldbedarf
→ §
7 ABGB: Die Lückenschließung
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| Abbildung 11.11: Analogie und natürliche Rechtsgrundsätze |
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Die Lückenschließung
unterscheidet zwischen echter (= Gesetzgeber hat einen Fall oder
eine Fallgruppe „vergessen”, also nicht bedacht) oder Regelungslücke
und unechter oder Wertungslücke; hier liegt zwar eine gesetzliche
Regelung vor, aber diese Regelung entspricht (nach Meinung des Rechtsanwenders
/ der Rechtspraxis) nicht mehr den Erfordernissen (der Zeit). Daher
wird in diesem letzten Fall auch von berichtigender Auslegung (durch
Analogie) gesprochen. | |
Im Strafrecht besteht
dagegen Analogieverbot, was heißt, dass allfällige
Regelungslücken nicht durch Analogie zum Nachteil eines Beschuldigten
/ Angeklagten geschlossen werden dürfen; vielmehr statuiert § 1
StGB den Grundsatz: Keine Strafe ohne Gesetz – nullum crimen
sine lege ! Dazu tritt der uralte, in Ansätzen schon im
antiken griechischen Recht (Aischylos) nachweisbare strafrechtliche
Grundsatz des in dubio pro reo / im Zweifel für
den Angeklagten. | Analogieverbot
des Strafrechts |
Das öffentliche Recht verhält sich der
Analogie gegenüber zurückhaltender als das Privatrecht, ohne so
weit zu gehen wie das Strafrecht; vgl Art 18 B-VG (Legalitätsprinzip).
– Aber auch das öffentliche Recht kommt ohne Lückenfüllung und insbesondere
Analogie nicht aus. | |
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Vgl etwa
die Beispiele zur Anwendung der Rechtsfigur der cic im öffentlichen
Recht
→ KAPITEL 6: Ausdehnung
auf Verkehrssicherungspflichten. | |
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Auch im Verfahrensrecht (das
zum öffentlichen Recht zählt) kommt es immer wieder zu Analogien;
vgl EvBl 1999/70:
§ 70 GBG – Klagsanmerkung kraft Analogie. Für das Verwaltungsstrafrecht
(VStG) gilt allerdings ebenfalls das Analogieverbot. | |
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OGH 14. 1. 2000, 1 Ob 315/99a, SZ 73/7 = JBl 2000, 734: Anwaltshonorar im
UVS- Verfahren wird analog TP 3 B RATG (Gesetzesanalogie) für das
Verfahren vor den Gerichten erster Instanz festgelegt. | |
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OGH 9. 3. 2000, 8 Ob 255/99d, SZ 73/45 = JBl 2000, 671:
Die Manifestationsklage des Art 52 EGZPO ist auch
auf das eheliche Aufteilungsverfahren analog anzuwenden; allerdings
nur die Verpflichtung zur Offenlegung des Vermögens, nicht aber
die Rechnungslegung (Teilanalogie). | |
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In
JBl 2000, 179 lehnt es der OGH bspw ab, die konstatierte Rechtsschutzlücke selbst
zu schließen und verweist auf den Gesetzgeber. Es ging um eine inhaltlich
fragwürdige – hoheitlich eingestufte (?) – Warnung der Dokumentations-
und Informationsstelle für Sektenfragen vor der Sri Chinmoy-Bewegung.
Da das AHG anzuwenden war, und dieses weder Unterlassungs- noch
Widerrufsansprüche kennt, sah sich der OGH nicht in der Lage, einen
Analogieschluss zu § 1330 Abs 2 ABGB etc zu ziehen oder gar auf
die natürlichen Rechtsgrundsätze zurückzugreifen. (?) – Das lehrt
uns, wie ein Höchstgericht – als Rspr-Souverän – eine sinnvolle
und nötige Lückenschließung verweigern kann. ME liegt darin ein
grundrechtswidriger Verstoß gegen die Religionsfreiheit und ein
derartiges Verständnis grenzt an Rechtsverweigerung, weil damit
herkömmlichen, staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften alles,
anderen dagegen nichts gestattet wird. Der OGH hat sich in dieser
E auf eine rechtsstaatlich fragwürdige Weise aus der Affäre gezogen. | Rechtsschutzlücke |
| Lückenfüllung
durch Generalklauseln etc |
§ 7 ABGB dient
als Ganzer der Lückenschließung (in Bezug auf die
bestehende Rechtslage) und sieht dafür drei Analogiestufen vor,
denn auch die natürlichen Rechtsgrundsätze sind eine Form der Analogie.
– Die Analogie, der
Ähnlichkeitsschluss, in ihren Erscheinungsformen: | |
•
der Gesetzes-
/ Rechtssatz- oder Einzel(fall)analogie und | |
•
der Rechts-
Gesamtanalogie, wozu | |
• als „weiteste” Analogieform das Heranziehen
der „natürlichen Rechtsgrundsätze” tritt. | |
Bei der Rechts- oder Gesamtanalogie wird
nicht nur – wie bei der Gesetzes- oder Einzelfallanalogie – ein
einzelner konkreter Rechtssatz als Analogiebasis herangezogen, sondern
mehrere Rechtssätze, also mehrere Paragraphen. Aus diesen (mehreren)
Rechtssätzen wird – weil sie einen rechtsähnlichen Grundgedanken
enthalten – ein neuer Tatbestand (samt Rechtsfolge) gebildet, dem dann
der zu entscheidende Sachverhalt unterstellt werden kann; Paradebeispiele:
cic und W/StdGG, aber auch die sog Analogiepraxis im Bereich der
Gefährdungshaftung, mag dieses Feld, für das der OGH zurecht Lorbeeren
sammeln konnte, mittlerweile versintert sein. | Rechts- oder
Gesamtanalogie |
Was
dient als Analogiebasis ? – Als Quelle der Analogie,
aus deren Substrat eine privatrechtliche Lücke geschlossen werden
soll, dient nicht nur das ABGB oder das Privatrecht, sondern auch
das weite Feld des öffentlichen Rechts, mithin die gesamte Rechtsordnung;
und uU auch fremde Rechtsordnungen (vgl SZ 26/67) und überhaupt
das entwickelte menschliche Rechtsdenken. Letzteres trifft vornehmlich
auf die natürlichen Rechtsgrundsätze zu. | Analogiebasis |
Vgl etwa neben JBl 1953, 267 ( → §
7 ABGB: Die Lückenschließung:
LandesjagdG), auch EvBl 1999/137: In Bezug auf die Verwertung (nach §
1425 ABGB) hinterlegter Gegenstände zieht die Rspr rechtsanalog
§ 377 StPO und § 90 Abs 2 FinStrG heran. Das Handelsrecht bleibt
dagegen ausgespart (?). | |
Eine Unterform der
Analogie ist die „entsprechende” oder „sinngemäße (Rechts)Anwendung” bestehender
Normen. – Hier besteht im Vergleich zur Analogie ein etwas größerer
„Bewegungsspielraum” des Rechtsanwenders, inbesondere auch im Hinblick
auf die Rechtsfolgen. Diese Form der „lockeren” Analogie wählt der
Gesetzgeber mit der Formulierung: „§ ... ist entsprechend / sinngemäß
anzuwenden.” – Ein Unterschied zur „normalen” Analogie liegt auch
darin, dass sich hier der Gesetzgeber selbst des Lückenfüllungsinstruments
Analogie bedient und nicht wie in § 7 ABGB der Rechtsanwender /
Richter. | „entsprechende”
oder „sinngemäße (Rechts)Anwendung” |
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OGH 13.1. 2000, 2 Ob 336/99h, SZ 73/4 = JBl 2000, 530:
Zahlt eine Rechtsanwaltskammer dem Kind eines getöteten Mitglieds
auf Grund der Satzung ihrer Versorgungseinrichtung eine Waisenrente,
so geht der Anspruch des Kindes gegen den Schädiger in entsprechender
Anwendung (§ 7 ABGB) gesetzlicher Legalzessionsnormen (§
1358 ABGB) auf sie über. – Analogie im öffentlichen
Recht. | |
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Zum Heranziehen der natürlichen
Rechtsgrundsätze kommt es erst dann, wenn eine vorliegende
(Gesetzes)Lücke auch nicht durch Gesetzes- oder Rechtsanalogie geschlossen
werden kann. Die Anwendung der natürlichen Rechtsgrundsätze ist
also der Gesetzes- und Rechtsanalogie nachgeschaltet und stellt
den letzten Schritt der Lückenfüllung dar. Die Grenzen zur Rechtsanalogie
sind allerdings fließend. – Während der Rechtsanwender in den beiden
ersten Formen der Analogie noch etwas stärker an der gesetzlichen
„Leine” hängt, führen die natürlichen Rechtsgrundsätze zu noch freierer,
wenngleich immer noch nicht willkürlicher Rechtsfindung; zu Art
1 SchwZGB, Art 12 EG itCC sowie Art 4 frCC → §
7 ABGB: Die Lückenschließung Die
auf Karl Anton von Martini zurückgehenden natürlichen Rechtsgrundsätze
stellen eine – auf die gesamte Rechtsordnung, ja darüber hinaus
(auf das Naturrecht iSd Rechts aller Kulturstaaten) erweiterte –
Form der Analogie dar! Es geht hier um rechtliche Kulturstandards! | Natürliche
Rechtsgrundsätze |
Die
Analogieformen des § 7 ABGB unterscheiden sich dadurch, dass sich
der Analogiefilter ( → KAPITEL 11: Öffnen des Analogiefilters) iS eines normativen Wertbezugsrahmens
immer weiter öffnet und bei den natürlichen Rechtsgrundsätzen auch
die Grenzen des nationalen Rechts hinter sich lässt. – Der (Rechts)Positivismus
hat dem nichts entgegenzusetzen. Martinis § 7 ABGB, für Zeiller
bloß ein „nothwendiges Übel”, stellt ein Weltmonument menschlichen
Rechtsdenkens dar, das in der antiken griechischen Rechtskultur
ebenso wurzelt wie in preußisch-legistischer Vorleistung. | § 7 ABGB: Weltmonument |
Das
bahnbrechende Konzept der §§ 6, 7 ABGB geht – wie erwähnt – auf
Karl Anton von Martini zurück. Martini ist auch der Schöpfer der
in § 7 – weltweit! – erstmals verwirklichten „freieren” richterlichen
Lückenfüllung. Frühere Entwürfe und auch noch das ALR (Einleitung
§§ 47-51) hatten vorgesehen, dass im Falle von Zweifeln und Lücken der
Richter sich an den Monarchen oder eine Kommission zu wenden habe;
§ 49 der Einleitung ins ALR hat aber unseren § 7 ABGB (in seinem
sonstigen Gehalt) teilweise vorweggenommen. Zum frCC gleich unten. | |
Martinis Entwurf I 1 § 12 aus dem Jahre
1796 lautet: „Findet der Richter einen Rechtsfall durch die Worte
des Gesetzes nicht entschieden, so muss er auf den erklärten Sinn
desselben, auf Gründe eines andern damit verwandten Gesetzes, auf
ähnliche Fälle, die im Gesetze bestimmt entschieden sind, Rücksicht
nehmen, und darnach sein Urteil fällen; bleibt ihm noch ein Zweifel
übrig, so hat er denselben mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten
und erwogenen Sachumstände nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen
aufzulösen.” | |
Art 4 frCode Civil:
„Le juge qui refusera de juger, sous prétexte du silence, de l’obscurité
ou de l’insuffisance de la loi, pourra etre poursuivi comme coupable
de déni de justice.“ | Zur Lückenschließung in anderen
Privatrechtsordnungen |
Übersetzung: Ein Richter, der es ablehnt
zu entscheiden, unter Hinweis auf eine Gesetzeslücke, eine Unklarheit
oder eine Unzulänglichkeit des Gesetzes, macht sich einer Rechtsverweigerung
schuldig und kann deswegen verfolgt werden. | |
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Art 1 Schweizer ZGB: (1)
„Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach
Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält.“ | |
(2)
„Kann dem Gesetze keine Vorschrift entnommen werden, so soll der
Richter nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach
der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde.“ | |
(3) „Er folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.“ | |
•
Art 12 des
EG zum itCC: „(Auslegung des Gesetzes) Dem Gesetz darf
bei seiner Anwendung kein anderer Sinn als der beigelegt werden,
der sich aus der eigenen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang
und aus der Absicht des Gesetzgebers ergibt (1362 ff itCC). | |
Kann ein Streitfall nicht auf Grund einer bestimmten Vorschrift
entschieden werden, so ist auf jene Vorschriften Rücksicht zu nehmen,
die ähnliche Fälle oder verwandte Sachbereiche regeln; bleibt der
Fall immer noch zweifelhaft, so ist nach den allgemeinen Grundsätzen
der staatlichen Rechtsordnung zu entscheiden.“ | |
| Abbildung 11.12: Öffnen des Analogiefilters |
|
Den
natürlichen Rechtsgrundsätzen des § 7 ABGB entsprechen die in Abs
1 des KdmPat
zum ABGB genannten
„allgemeinen Grundsätze der Gerechtigkeit „. Darin
liegt die gesetzliche Ermächtigung des Gesetzgebers an den Rechtsanwender,
an seiner Stelle Recht zu setzen, wenn auch nicht generell, so doch
im Einzelfall. Der Rechtsanwender hat sich dabei in die „Rolle”
– dh die Norm- und Wertwelt – des Gesetzgebers zu versetzen (ein
wichtiger Unterschied zur Schweiz!) und so zu entscheiden, wie dieser
vermutlich entscheiden würde. | „Allgemeine Grundsätze der Gerechtigkeit” |
|
Interessant
in diesem Zusammenhang JBl 1999, 390:
Unter den „Grundsätzen der österreichischen Rechtsordnung”
iSd § 595 Abs 1 Z 6 ZPO (Aufhebung eines Schiedsspruches: „…mit
den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar
…”) werden die tragenden Grundsätze der Bundesverfassung, des Straf-,
Privat- und Prozessrechts, aber auch des öffentlichen Rechts verstanden. | |
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|
Zur analogen
Anwendung des § 970 ABGB (Gastwirtehaftung) auf größere Privatzimmervermieter: SZ 51/158 (1978)
→ KAPITEL 3: Unscharfe
Regelungsränder. | |
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§ 1319 ABGB wird analog
auf Bäume angewandt; zB Baum stürzt um oder morscher
Ast bricht ab und verletzt Passanten; vgl MietSlg 35.260 oder EvBl
1987/192 → KAPITEL 10: Haftung
für Bauwerke: § 1319 ABGB. | |
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Zur analogen
Anwendung des § 1318 ABGB (Haftung des Wohnungsinhabers) auf Waschmaschinen, Geschirrspüler,
Badewannen etc → KAPITEL 10: Haftung
des Wohnungsinhabers: § 1318 ABGB. | |
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|
§ 1319a
ABGB (Wegehalterhaftung) wird analog auf Baustellen angewandt, wofür
der Baumeister haftet → KAPITEL 10: Die
Wegehalterhaftung des § 1319a ABGB: ZVR 1998/24. | |
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|
Art 8 Nr 21 EVHGB
(Kein Rücktrittsrecht
des Verkäufers, wenn dieser dem Käufer die Ware übergeben und den
Kaufpreis kreditiert hat) wird analog im bürgerlichen Recht angewandt,
weil dort eine solche Regelung fehlt. – Umgekehrt gelangt § 919
ABGB (Fixgeschäft) analog im Handelsrecht zur Anwendung, weil dessen
§ 364 das Fixgeschäft noch zu umständlich (nämlich mit Rücktritt)
regelt. | |
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Die Risikohaftung
des Auftraggebers zugunsten des Auftragnehmers nach § 1014, 2. HalbS
ABGB wird analog auf Arbeitsverhältnisse, zugunsten von Arbeitnehmern,
angewandt → KAPITEL 12: Risikohaftung. | |
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§ 78 UrhG
trifft eine analogiefähige Regelung des Personenkreises, der postmortale
Persönlichkeitsverletzungen ahnden kann → KAPITEL 4: Sog
postmortale Persönlichkeitsrechte. | |
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§ 372 ABGB
(actio Publiciana) wird analog auf Vorbehaltskäufer und WE-Werber,
die die Wohnung bereits bezogen haben bis zur Verbücherung (zur
Verteidigung gegen Dritte) gewährt. | |
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JBl 1953, 267: OGH bejaht analoge
Anwendung eines LandesjagdG zur Rechtfertigung von bäuerlicher Selbsthilfe
gegen wildernde Hunde, was zeigt, dass die Lückenschließung durch
Analogie nicht nur die Grenze des Privatrechts überschreiten kann,
sondern auch die zwischen Bundes- und Landesrecht. | |
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RdW 1997/5, 285: OGH wendet die
Regelung der §§ 36 f AngG (Konkurrenzklausel für Angestellte) analog
auf Arbeiter an, wenn diese Spezialkenntnisse besitzen und/oder
Träger von Betriebsgeheimnissen sind. | |
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§ 19 Abs 2 EKHG (Kraftfahrzeughalter)
wird analog auf § 1320 ABGB (Tierhalterhaftung) angewandt, wodurch
auch ein Tierhalter für seine Gehilfen nach § 1313a ABGB und nicht
nur nach § 1315 ABGB einzustehen hat → KAPITEL 10: Wer
ist Tierhalter?. | |
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|
§ 14 Abs 2 GBG
(Höchstbetragshypothek) wird über die in dieser Gesetzesstelle geregelten
Fälle hinaus analog auf weitere Fälle ausgedehnt. Zur Möglichkeit
von Analogie bei taxativer Aufzählung (wie in § 14 Abs 2 GBG): Ablehnung
des lange vertretenen Grundsatzes, dass Ausnahmevorschriften eng
auszulegen sind – singularia non sunt extenda: SZ
69/159 (1996) mwH → KAPITEL 2: Ausnahmen
vom Spezialitätsgrundsatz. | |
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|
Zur Analogiebasis
der §§ 411-413 ABGB (alluvio und avulsio) auf Lawinenabgänge, Muren
oder Hangrutschungen → KAPITEL 2: Arten
des originären Eigentumserwerbs. | |
|
|
OGH 17. 8. 2001, 1 Ob 83/01i, EvBl 2001/14:
Hausverwalter eines Mietwohnhauses klagt den Dritteleigentümer auf
Zahlung der von ihm vorgestreckten Auslagen, wogegen der Miteigentümer
Verjährung einwendet. – OGH wendet § 355 HGB (Kontokorrent) analog an,
obwohl eine Kaufmannseigenschaft des Hausverwalters nicht festgestellt
wurde. Ein solches „uneigentliches” Kontokorrentverhältnis kann auch
schlüssig zustande kommen. Die Verjährung beginnt in diesem Fall
erst mit Beendigung der Kontokorrentperiode. | |
- Ablehnend OGH 21.4.2005, 6 Ob 69/05y - Mobilfunkvertrag: OGH lehnt eine analoge Anwendung des § 15 Abs 1 KSchG auf freie Dienstverträge mangels Gesetzeslücke ab. – EvBl 2005/166 = JBl 2005, 735 ff
| |
|
Im Normalfall umfasst die Analogie Tatbestand
und (!) Rechtsfolge einer Norm. Die Rechtsanwendung kennt aber auch
eine bloße Rechtsfolgenanalogie; etwa im Bereich
des § 871 ABGB, wo die Rspr ausnahmsweise auch bei wesentlichem
Irrtum bloß eine Vertragskorrektur, also die Rechtsfolge des § 872
ABGB, analog zulässt → KAPITEL 5: Unwesentlicher
Irrtum; § 872 ABGB.
– Ähnliches wäre für das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage
(W/StdGG) zu überlegen; vgl den Sachverhalt von JBl 1989, 381: Umsatzrückgang
einer Parkgarage durch Verkehrsbeschränkungen im Einzugsgebiet. | Rspr-Beispiele
für
Gesetzesanalogie |
Die
folgenden Beispiele zur Rechtsanalogie zeigen, dass dadurch auch
neue Rechtsinstitute geschaffen werden können: | Beispiele von
Rechtsanalogie |
• Die Praxis wendet
auf den Kreditvertrag nach Kreditzuzählung analog
das Darlehensrecht an → KAPITEL 3: Der
Kredit(eröffnungs)vertrag; | |
•
Entstehung des gesetzlich ungeregelten Rechtsinstituts
der cic
→ KAPITEL 6: Cic:
Geschöpf der Rechtsanalogie; gewonnen
aus den §§ 866, 874, 878 letzter Satz, § 932 Abs 1 letzter Satz
ABGB etc; | |
• gleiches gilt für die Entstehung des Rechtsinstituts
des W/StdGG
→ KAPITEL 5: Störung
oder Wegfall
der Geschäftsgrundlage; | |
•
und die sog Analogiepraxis zur gesetzlichen
Gefährdungshaftung für neue gefährliche Betriebe: Das ABGB
setzt für Schadenersatzansprüche grundsätzlich Verschulden voraus.
Eine ganze Reihe von schadenersatzrechtlichen Spezialvorschriften
(sog Gefährdungshaftung) statuiert aber eine verschuldensunabhängige
Haftung; zB für Kraftfahrzeuge, Eisenbahnen oder Flugzeuge. Der
OGH wandte in seiner Rspr mitunter den Gedanken der Gefährdungs-,
als Nicht-Verschuldenshaftung auch auf Fälle an, die bisher gesetzlich
noch nicht als gefährliche Betriebe anerkannt waren. Ausführlicher: → KAPITEL 9: Haftungsprinzipien –
Exkurs: Gefährdungshaftung. | |
|
SZ 46/36:
Ausstellungszelt wird durch „Raketen” / Feuerwerkskörper beschädigt;
das „Abbrennen von Feuerwerken” wird kraft Ähnlichkeitsschlusses
als gefährlicher Betrieb angesehen; ähnlich SZ 31/26: Zirkuszelt
wird durch Rauchgase eines Magnesitwerks beschädigt. | |
|
|
SZ 26/75: Unfall bei Sesselliftbenützung
– OGH wendet auf Sessellift die Haftungsregeln
für Eisenbahnen an; diese Rspr fand schließlich ins EKHG (§ 2 Abs
1) Eingang. Der Gesetzgeber fing die vorausgeeilte Rspr legislativ
wieder ein. | |
|
Eine neue, bislang nicht erkannte, Möglichkeit
böten komplizierte medizinisch-technische Geräte und Verfahren,
wie: Computertomographie (CT), Endoskopie, Laparaskopie und -tomie, Telemedizin,
überhaupt Computer integrated Surgery (CiS) usw, aber auch Sachverhalte
aus dem Bereich der Umwelthaftung. | |
| |
|
SZ 26/67 (1953): Zur Begründung
einer abstrakten Rente ( → KAPITEL 9: Die
abstrakte Rente)
wird § 843 Abs 4 dtBGB als ein „den natürlichen Rechtsgrundsätzen
entsprechender Satz” betrachtet; Lückenfüllung durch ausländisches
Recht. | |
|
|
Ausbildung einer allgemeinen Gegeneinrede
der Arglist gegen die Verjährungseinrede; zB wenn der Versicherer
(= Schuldner) Vergleichsverhandlungen (mit dem Versicherungsnehmer)
solange hinauszieht, bis die Verjährung eingetreten ist (Erwecken
berechtigten Vertrauens beim Versicherungsnehmer): so JBl 1967, 144. | |
|
|
Zum sog Totenrecht:
Bestimmung der Bestattungsart und des Bestattungsortes: Vgl SZ 45/133 (1972) – verheirateter
Mann setzt Freundin als Universalerbin ein und begeht in der Folge
Selbstmord. Bestattungsanordnung erfolgt durch Freundin (nicht im
Familiengrab); Ehefrau will Mann später exhumieren und im Familiengrab
beisetzen lassen, was vom OGH uH auf die Totenruhe abgelehnt wird.
Die Begründung des OGH erscheint hier noch nicht ausgereift. Vgl
aber nunmehr JBl 2000, 110: Zur Totenfürsorge für die verunglückte
Tochter → KAPITEL 11: Beispiele
zur Anwendung der ¿natürlichen
Rechtsgrundsätze¿. Die Rechtsfindung beruht auf natürlichen
Rechtsgrundsätzen. – Zum Totenrecht: Gschnitzer, AllgT 2 75
und Bydlinski in Rummel 2 I § 7 Rz
13. | |
|
| |
| |
Zur
Analogie werden als Sonderformen auch die sog Größenschlüsse gezählt.
Wir unterscheiden zwei Arten: | |
Das argumentum a minori ad maius ist der Schluss
vom Kleineren auf‘s Größere: Ordnet das Gesetz etwas als Rechtsfolge
schon für einen – dem Gesetzeszweck nach – weniger wichtigen Sachverhalt
an, muss diese Anordnung erst recht für wichtigere Fälle / Sachverhalte
gelten! | argumentum a minori
ad maius |
§ 523 ABGB
(nach Ehrenzweig, Sachenrecht) regelt sowohl die actio negatoria,
wie die actio confessoria. Diese Rechtsschutzinstrumente kommen
erst recht gegen den zur Anwendung, der sich ein Recht nur anmaßt
und nicht einmal behauptet berechtigt zu sein. | Beispiele |
|
In EvBl 1964/292 (Hälfteeigentümer
lässt vom Hausschwamm befallenes Haus sanieren)
zieht der OGH – ohne dies auszudrücken – einen Größenschluss zu
§ 1097 ABGB: Wenn schon der Bestandnehmer vom Gesetz als Geschäftsführer
ohne Auftrag für wichtige Ausbesserungen / Reparaturen angesehen
wird, dann erst recht der Miteigentümer! | |
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|
EvBl 1999/70: Die Klage auf Einwilligung
in die bücherliche Einverleibung einer durch Grundstücksteilung
entstandenen offenkundigen Dienstbarkeit kann in
analoger Anwendung des § 70 GBGim Grundbuch angemerkt
werden. – „Kann nun eine Streitanmerkung gem § 70 GBG selbst im
Fall eines Klagebegehrens auf ‚Zuerkennung eines dinglichen Rechts’
wegen Ersitzung bewilligt werden, so führt ein Größenschluss als
Mittel der Analogiebildung ... zum Ergebnis, dass dieselbe Rechtsfolge
auch für den noch gewichtigeren Fall einer schon durch Grundstücksteilung
entstandenen offenkundigen Dienstbarkeit gelten muss ....” | |
|
|
LG Salzburg 3. 8. 2000, 54 R 139/00f, JBl 2000, 801: Mutter
spielender Kinder züchtigt fremdes Kind. Art 2 EMRK, §§
16, 1325 ABGB und die Bestimmungen des StGB gewähren ein Persönlichkeitsrecht
auf körperliche Unversehrtheit, das neben zivilrechtlichen Ansprüchen
auch einen Unterlassungsanspruch beinhaltet. – Beachte: Die naheliegende
Lösung, die E auch auf einen Größenschluss – argumentum a maiori ad
minus – aus dem Züchtigungsverbot des § 146a ABGB heraus zu stützen,
wird nicht gesehen. | |
|
Das argumentum a maiori ad minus ist der Schluss
vom Größeren auf’s Kleinere: Löst nach dem Gesetz nicht einmal der
„größere”, gewichtigere Sachverhalt eine Rechtsfolge aus, so gilt
das erst recht für den weniger wichtigen / „kleineren”. | argumentum
a maiori
ad minus |
| |
Kein Größenschluss
ist der sog Umkehrschluss, das argumentum e contrario. Bindet der
Gesetzgeber erkennbar eine Rechtsfolge an bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen
(zB Tb-Element1+Tb-Element2+Tb-Element3), so soll die Rechtsfolge
nicht eintreten, wenn ein Sachverhalt nur einen Teil dieser gesetzlich
vorgeschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt: zB nur Tb-Element1+Tb-Element2
aufweist. – Analogie (in dieser Form) wird demnach ausgeschlossen,
wenn das Gesetz die Rechtsfolge nur für einen ganz bestimmten Fall
eintreten lassen will, was im Einzelfall freilich zu beweisen ist
und nicht von vornherein anzunehmen ist. Ob e contrario oder per
analogiam geschlossen werden darf, kann mitunter strittig sein. | Das argumentum
e contrario |
| |
6. Die
teleologische Reduktion | |
Hier soll – vgl etwa
F. Bydlinski in Rummel I3 § 7 Rz 7
– der ratio legis dadurch Geltung verschafft werden, dass eine (sprachlich)
zu weit geratene Anordnung des Gesetzgebers auf das eigentlich Gemeinte
eingeschränkt, also „reduziert” wird; Telos = altgriechisch Ziel,
Zweck. Ob die Voraussetzungen teleologischer Reduktion vorliegen,
kann zweifelhaft sein. | der
ratio legis Geltung verschaffen |
Teleologische Reduktion und Interpretation
verfließen häufig ineinander. Zulässig erscheinen sie nur dann,
wenn sich die Wertbasis einer Norm so verändert hat, dass ihr ursprünglicher
Normzweck nicht mehr erreicht werden kann, was nicht leichtfertig
angenommen werden darf. Wer dies behauptet, ist dafür „beweispflichtig”.
Dabei ist zu beachten, dass nicht immer die ganze Norm geändert
werden muss, sondern es auch genügen kann, Teile ihres Tatbestands
oder ihrer Rechtsfolge/n zu modifizieren. | |
| |
7. §
8 ABGB: Authentische Interpretation | |
Das ist
die Interpretation einer Vorschrift – im nachhinein – durch den
Gesetzgeber selbst. Sie ist selbst wiederum Gesetz. – Der Gesetzgeber
macht von dieser ihm auch heute noch zustehenden Möglichkeit selten
Gebrauch. | |
Dieses Interpretationsmittel spielte aber vor allem
in der vorkonstitutionellen Ära des ABGB noch eine
Rolle, wo „der Gesetzgeber” die Anwendung des ABGB interpretativ
festigte und weiterbildete. Das betrifft vor allem die ersten Jahrzehnte
des ABGB nach seiner Kundmachung; inbesondere zwischen 1812 und
1846, vgl aber auch noch G. v. 28.3.1875, RGBl 37 zu § 1072. | Interpretationsmittel der vorkonstitutionellen
Ära |
Die
authentische Auslegung erfolgte in der Form von Hof(kanzlei)dekreten;
HfKD – zB von 1846, JGS 970 betreffend § 399 ABGB: Schatzfund. Sie
betrafen aber auch die §§ 119, 138, 179, 538, 700, 763, 1249, 1333,
1335, 1367, 1500 ABGB aF. Schey in Klang2
I/1,
15 betont: | Hof(kanzlei)dekrete |
„Aber in demselben Maße wie in Rechtslehre
und Rechtsanwendung das Gefühl der vom Gesetzbuche gewährten Richterfreiheit
[durch § 6 und inbesondere § 7 ABGB!] sich festigte, hörte die alte
Gewohnheit, in jedem Falle von Schwierigkeit bei dem ‚obersten Richter
‘ anzufragen, und damit der Anlass zu einer authentischen Interpretation auf.” | |
Das Konzept der sich über die §§ 6 und 7 ABGB entwickelnden
richterlichen Lückenfüllung, verdanken wir – wie erwähnt – Karl
Anton von Martini. | |
Von
der authentischen Interpretation zu unterscheiden ist der Fall,
dass der Gesetzgeber im Gesetz selbst anordnet, wie ein Begriff
auszulegen / zu verstehen ist; vgl § 42 ABGB: | Legalinterpretation |
„Unter dem Namen Eltern werden
idR ohne Unterschied des Grades alle Verwandten in der aufsteigenden;
und unter dem Namen Kinder alle Verwandten in der
absteigenden Linie begriffen.” | |
In einem solchen Fall bedarf es keines neuerlichen Gesetzesbeschlusses
zur Interpretation. – Man kann hier von Legalinterpretation sprechen. | |
III. Auslegung
von Rechtsgeschäften und Verträgen: §§ 914, 915 ABGB | |
| |
Rechtsgeschäfte
bestehen aus Willenserklärungen iSd § 863 ABGB → KAPITEL 5: Arten
von Willenserklärungen: § 863 ABGB. Bei
der Auslegung von Rechtsgeschäften und Verträgen geht es daher vornehmlich
– wenn auch nicht ausschliesslich – um die Auslegung von Willenserklärungen,
sei es einer, beider oder mehrerer Partei/en. – Es ist aber nicht
immer einfach zB die wahre Absicht der Vertragsparteien zu erforschen.
Die interpretative Suche nach der Parteienabsicht kann
sich dabei auch nicht immer nur am Willen des/r Erklärenden orientieren.
Bei entgeltlichen Verträgen hat sich die Auslegung vielmehr an der Verkehrsauffassung,
der Verkehrssitte auszurichten, was nichts anderes bedeutet,
als dass es nicht immer nur auf den Erklärungswillen oder den Erklärungswortlaut ankommt,
sondern auch objektive Verkehrsschutzinteressen für die Auslegung
eine Rolle spielen; sog Vertrauenstheorie → KAPITEL 5: Zur
Rechtsgeschäftslehre des ABGB. | |
| Abbildung 11.13: Vertragsauslegung und Willenserklärung |
|
1. Die
„Stufen“ des § 914 ABGB | |
§ 914 ABGB aF lautete: | §
914 ABGB aF |
„Die im ersten Theile (§. 6) in Hinsicht
auf die Auslegung der Gesetze angeführten allgemeinen Regeln gelten
auch für Verträge. Insbesondere soll ein zweifelhafter Vertrag so
erklärt werden, dass er keinen Widerspruch enthalte, und von Wirkung
sey.” | |
Erst die III. TN (1916) hat die Gesetzes- und die Rechtsgeschäftsauslegung
getrennt. | |
Das geltende Gesetz unterscheidet auch in § 914 ABGB – ähnlich
den §§ 6 und 7 ABGB – verschiedene Auslegungs- und Lückenfüllungsschritte: | Auslegungs-
und
Lückenfüllungsschritte |
•
„buchstäblicher
Sinn des Ausdrucks” (~ § 6 ABGB: „eigentümliche Bedeutung
der Worte”); | |
•
„Absicht der Parteien” (~ §
6 ABGB: „klare Absicht des Gesetzgebers”); | |
•
„Übung des redlichen Verkehrs” (~
§ 7 ABGB: das entspricht der Analogie und den natürlichen Rechtsgrundsätzen). | |
Die „Übung
des redlichen Verkehrs „ in § 914 ABGB, die „Verkehrssitte „
in § 864 ABGB oder die „im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten
und Gebräuche „ in § 863 ABGB sind maßstäbliche Adaptierungen,
die über den Umweg des dtBGB – vgl zB dort §§ 276, 157, im Rahmen
der III. TN Eingang ins ABGB gefunden haben. – Aber bereits Hortens
Entwurf kannte diese Maßstäbe; vgl dort III 1 §§ 85 ff. | |
Sie
ersetzen den alten Maßstab des ordentlichen Hausvaters / bonus pater
familias des römisch-gemeinen Rechts, der griechische Wurzeln hat.
Es handelte sich um einen Durchschnittsmaßstab, nicht etwa den eines
optimus vir! | |
|
EvBl 2000/68 zur Auslegung
eines Unterhaltsvergleichs werden die im redlichen Verkehr
geltenden Gewohnheiten herangezogen und daraus die Geltung der Umstandsklausel
abgeleitet. | |
|
|
OGH 5. 4. 2000, 9 Ob A 40/00y, JBl 2001, 192:
Gewährt der Arbeitgeber regelmäßig und vorbehaltslos bestimmte Leistungen
an seine Arbeitnehmer, gilt dies als schlüssiges Anbot (§§ 863,
914 ABGB), dies auch künftig zu tun. Nehmen die Arbeitnehmer diese
Zahlungen entgegen, so liegt darin eine schlüssige Annahme. So werden
die Leistungen (dieser Betriebsübung) Inhalt der
einzelnen Arbeitsverträge. | |
|
2. Die
Unklarheitenregeln der §§ 915, 869 ABGB | |
Bereits das ABGB
von 1811 kannte sie; sie stammen aus den Vor-Entwürfen des ABGB,
die sie dem römisch-gemeinen Recht entnommen haben, das sie wiederum
den Digesten Justinians entnommen hat. | |
esianusCodTher
III 2 Num 179 (= Entwurf Horten III 1 § 88 = Entwurf Martini III
1 § 46): „Dann Treue und Glauben erheischet, dass ein ernstlich
und bedächtlich geschlossener Vertrag nach Thunlichkeit bei Kräften
erhalten, und bei bemüßigter Auslegung der Verträgen allemal die
Billigkeit vor Augen genommen, erst aber damals, wann sonst auf keinerlei
Art die Klarheit und Gewissheit zu erreichen ist, die Ausdeutung
der Worten wider jenen Theil gemachet werde, in dessen Macht es
gestanden, sich verständlicher und deutlicher auszudrucken.” | Codex Ther |
Diese Unklarheitenregeln sind ebenso geniale wie einfache
Auslegungsmittel, die eine häufige/re Anwendung in der Praxis verdienten,
weil sie unguten Formulierungen auf elegante Weise den „Giftzahn”
ziehen. | |
§
915 ABGB enthält zwei für die Praxis bedeutsame Vertragsauslegungsregeln,
die als „Unklarheitenregeln” bezeichnet werden. Von aller größter
Bedeutung ist die zweite für entgeltliche Verträge. Diese zweite
Unklarheitenregel schuf mit einfachsten Mitteln ein wirksames Mittel,
um gegen eine unseriöse Vertrags(abfassungs)praxis ankämpfen zu
können: | |
„Bei einseitig
verbindlichen Verträgen wird angenommen, dass sich der
Verpflichtete eher die geringere... Last auferlegen
wollte”; daher ist zB im Zweifelsfall nicht Schenkung, sondern Leihe anzunehmen. | Erste Regel |
Das entspricht der römischrechtlichen Regel:
donatio non praesumitur. | |
„Bei zweiseitig
verbindlichen [Verträgen] wird eine undeutliche
Äußerung zum Nachteile desjenigen erklärt, der
sich derselben bedient hat.” | Zweite Regel |
§ 869 ABGB steht unter der Überschrift „Wahre Einwilligung”
und ergänzt dieses Konzept auf zweifache Weise: | |
• er bestimmt ua, dass
die Einwilligung in einen Vertrag auch „verständlich
erklärt werden muss. Ist die Erklärung [dagegen] unverständlich
… so entsteht kein Vertrag.” | |
•
Satz 3 unserer Bestimmung spricht wie § 915 ABGB
„undeutliche Ausdrücke” an und ergänzt dadurch
die zweite Unklarheitenregel des § 915 ABGB. | |
3. § 863 ABGB –
Arten von Willenserklärungen | |
Nach
§ 863 Abs 1 ABGB kann man seinen Willen „nicht nur ausdrücklich durch
Worte und allgemein angenommene Zeichen” erklären, sondern auch stillschweigend und schlüssig
/ konkludent durch solche Handlungen, „welche mit Überlegung
aller Umstände keinen vernünftigen Grund, daran zu zweifeln übrig
lassen”. – Abs 2 dieser Bestimmung fügt hinzu, dass „in Bezug auf Handlungen
und Unterlassungen „ ... auf die im redlichen Verkehr geltenden
Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen ist”; Verkehrs- und
Vertrauensschutz → KAPITEL 5: Zur
Rechtsgeschäftslehre des ABGB. | |
4. Ergänzende Vertragsauslegung | |
Die ergänzende Vertragsauslegung soll
Lücken füllen, die die Vertragsparteien – idR ungewollt – in ihren
Vereinbarungen gelassen haben; sog Vertrags- oder Regelungslücken.
Gefragt wird dabei von der Rspr danach, wie die Parteien den Vertrag
gestaltet hätten, wenn sie die (Regelungs)Lücke erkannt hätten.
– § 914 ABGB stellt auf die Absicht der Parteien und die Verkehrssitte
ab. Bei einer unterlaufenen Regelungslücke tritt an die Stelle der
ausdrücklich oder doch schlüssig geäußerten Parteienabsicht die hypothetische
Erforschung des Parteiwillens. | Vertragliche
Regelungslücken |
Stärker
als der OGH haben das dtRG und der dtBGH früh interessante En zur
ergänzenden Vertragsauslegung gefällt. Dabei spielten mehrfach in
Verträgen „vergessene” Konkurrenzklauseln / -verbote eine Rolle:
– Die Vertragsparteien hatten bspw im Rahmen einer Unternehmensveräußerung
vergessen eine Konkurrenzklausel zu vereinbaren. Als nach erfolgter
Veräußerung der Verkäufer erneut einen Konkurrenzbetrieb eröffnete,
kam es zum Streit und RG und BGH entschieden zugunsten des Erwerbers,
fügten also dem Kaufvertrag ergänzend die vergessene Konkurrenzklausel
hinzu. Verständige Parteien hätten eben eine solche nach der Verkehrssitte
vereinbart und schon ihre ursprüngliche Vereinbarung in diesem Sinne
verstanden! | Vorbilder: dtRG und dtBGH |
|
RGZ 117, 177 (1927): Kann beim
Verkauf eines kaufmännischen Geschäfts (Herstellung von
Krankenwagen) ein Wettbewerbsverbot nur ausdrücklich oder
auch stillschweigend auferlegt werden? Es war vergessen worden,
in den Vertrag ein Wettbewerbsverbot in Form einer Konkurrenzklausel
aufzunehmen. Der Veräußerer des Unternehmens nahm in der Folge wiederum
die Produktion auf und holte sich dadurch einen Großteil seines
ursprünglichen Kundenstocks zurück. Das RG ergänzte den Vertrag
durch eine solche Klausel! – Ähnliche Urteile ergingen zur Veräußerung
von Rechtsanwalts- und Arztpraxen;
zB BGH, NJW 1955, 337. | |
|
|
EvBl 1940/239 (RG 15.4.1940: Mit
interessanten Ausführungen über Funktion und Unterschied von Wettbewerbsklauseln
/ -verboten nach dem AngG und zwischen Unternehmern): § 1 UWG –
Wettbewerbsklausel bei Geschäftsverkauf uH auf SZ 14/69 ( Verkauf
einer Schmiede samt Kundenliste) und 173: Verkauf
eines OHG-Geschäftsanteils + Konkurrenzverbot (1932); | |
|
|
SZ 25/47 (1952): Die Vereinbarung
der Übernahme des Unternehmens durch einen der Gesellschafter einer
OHG enthält idR ein stillschweigendes Wettbewerbsverbot. | |
|
|
SZ 36/58 (1963): Wettbewerbsklausel
in Pachtverträgen. | |
|
|
OGH 28. 1. 2002, 2 Ob 336/01b, JBl 2002, 653:
In einem Transportvertrag wird Kundenschutz vereinbart –
„bei … Kontaktaufnahme mit unseren Kunden verfallen sämtliche Forderungen
gegen uns”. Der Kläger will von dieser Klausel alle Unternehmen
erfasst wissen, die in irgendeiner Weise an Verträgen mit Kunden
beteiligt waren. Beklagter nimmt dennoch Kontakt mit Kunden auf
und verletzt die Vereinbarung. – OGH: Die früher vertretene These,
Konkurrenzverbote und -klauseln seien wegen des Prinzips der Vertragsfreiheit
im Zweifel einschränkend auszulegen, dürfte zwar in dieser Allgemeinheit
aufgegeben worden sein; die Auslegung eines Konkurrenzverbotes
durch ergänzende Vertragsauslegung kommt aber dann in Betracht,
wenn dies der Zweck der Vereinbarung oder die Verkehrssitte erfordern. | |
|
Die
ergänzende Auslegung tritt erst dann auf den Plan, wenn auch das
Dispositivrecht ( → KAPITEL 1: Nachgiebiges
und zwingendes Recht und → KAPITEL 7: Nachgiebiges
und zwingendes Recht)
die aufgetretene Regelungslücke einer Parteienvereinbarung nicht
schließen kann; Susidiarität dieses Lückenfüllungsmittels. – Bezogen
auf die Gesetzesauslegung entspricht die ergänzende Vertragsauslegung
den Lückenschließungsinstrumenten des § 7 ABGB: Analogie und natürliche
Rechtsgrundsätze. | Subsidiarität
der ergänzenden Auslegung |
Armin
Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts
I/1, Allgemeiner Teil (19512), führt
zur Auslegung von Willenserklärungen und Rechtsgeschäften aus: | Armin Ehrenzweig |
„Die Auslegung
einer Willenerklärung ermittelt den Sinn der Erklärung, dh das,
was der Erklärende als seinen Willen hat erklären wollen. In diesem
Sinne stellt die Auslegung eines Testamentes den Willen des Erblassers
fest. Fragen, an die er nicht gedacht hat, löst die ergänzende
Auslegung in seinem Sinne, dh so, wie er sie vermutlich gelöst
hätte ... [Es wird daher auch von hypothetischer Auslegung gesprochen.] | |
In derselben
Weise entscheidet bei Verträgen der gemeinsame Wille
der Parteien: ‘Bei Auslegung von Verträgen ist nicht an dem buchstäblichen
Sinne des Ausdruckes zu haften, sondern die Absicht der Parteien
zu erforschen ...’
(§ 914 ABGB). Der Code civil (Art 1156), der hier [sc: der III.
TN] als Vorbild gedient hat, sagt ausdrücklich: ‘On doit dans les
conventions rechercher quelle a été la commune intention des parties
contractantes, plutôtque de s’arrêter au sens litteral des termes’.
Auch für Verträge gilt also die Regel ‘Falsa demonstratio
non nocet ’ (§ 571 ABGB), freilich nur unter der Voraussetzung,
dass beide Teile dasselbe gewollt und ihren Willen übereinstimmend falsch
erklärt haben ... Von der Absicht der Parteien spricht
§ 914 ABGB, nicht wie § 133 dtBGB von ihrem ‘Willen’. Die Absicht
ist bei der Vertragsauslegung ebenso zu verwerten, wie nach § 6
ABGB bei der Gesetzesauslegung. Sie ist nach dem Herrenhausberichte
(S 274) ‘nichts anderes als der Geschäftszweck,
die causa des Vertrages’. Danach gestattet § 914 ABGB auch die ergänzende
Auslegung. Der Richter kann also im Hinblicke auf den gemeinsamen
Geschäftszweck einen übereinstimmenden Willen auch dann feststellen,
wenn ein Punkt streitig ist, an den die Parteien nicht gedacht haben,
oder hinsichtlich dessen jede Partei etwas anderes gewollt hat.
Sogar dann kann die Auslegung gelingen, wenn die Parteien sich bewusst
auf eine zweideutige Fassung geeinigt haben, weil jede von ihnen
erwartet hat, der Richter werde die Bestimmung in ihrem Sinne auslegen.
In solchen Fällen holt der Richter nach, was die Parteien versäumt
haben; die Auslegung wird zur Ergänzung des Vertrages.” | |
5. Weitere Auslegungsregeln
im ABGB | |
Neben den §§ 914, 915 enthält das ABGB auch an anderen Stellen
Auslegungshilfen für Rechtsanwender; vgl etwa § 1406 Abs 2 (Schuldbeitritt),
§ 521 (Wohnrecht), § 614 (Substitution), § 655 (Vermächtnisse),
§ 42 (Eltern, Kinder) oder § 1106 (Bestandvertrag). | |
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EvBl 1971/317: Auslegung einer Konkurrenzklausel:
Verpachtung des einzigen Spenglerei-Installationsbetriebs im Brixental
/ Tirol. – Die umstrittene Vertragsklausel lautete: „Der Pächter
verpflichtet sich – bei sonstiger Leistung der vollen Genugtuung
und einer vom Gericht zu bestimmenden Konventionalstrafe – drei
Jahre nach Ablauf des Pachtverhältnisses im Brixental kein gleichartiges
Gewerbe zu betreiben. Diese Bestimmung gründet darauf, dass der
Pachtbetrieb der einzige einschlägige Betrieb im ganzen Brixental
ist und die Verpächterin ihrem Pächter ihren gesamten Kundenstock
zur Verfügung stellt.” Der Pachtvertrag war am 2.2.1971 aufgelöst
worden. Die beklagte ehemalige Pächterin betreibt seither ein eigenes
Installationsunternehmen in Hopfgarten. Der ehemalig Verpächter
stellte daher einen Antrag auf einstweilige Verfügung und Unterlassungsklage,
weil die Gefahr bestand, dass der Kundenstock des verpachteten Unternehmens
verloren geht und eine Wiederverpachtung des Unternehmens dadurch
unmöglich wird. – Umstritten war inbesondere, ob eine Unterlassungsklage
möglich war, oder ob nur Schadenersatzansprüche des früheren Verpächters
bestanden. Der OGH entschied, dass die wirtschaftliche Bedeutung
der Konkurrenzklausel einen Unterlassungsanspruch rechtfertigt.
Dabei stützte er sich auf § 914 ABGB: „Absicht der Parteien”. Der
Zweck der Klausel lag seines Erachtens darin, nach Beendigung des
Pachtvertrags einen ruinösen Wettbewerb zwischen den Vertragspartnern
zu vermeiden. Der OGH erblickte daher zu recht als primäre Verpflichtung
des Pächters die Unterlassung eines Konkurrenzbetriebs und nur sekundär
– inbesondere bei Zuwiderhandeln – parallel dazu Schadenersatz. | |
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ZAS 2001, H. 5 (Judikaturbeilage)
– OGH 24.1.2001, 9 Ob A 217/00b: Umfang
des Konkurrenzverbots nach § 7 AngG – Leitender Angestellter
eines Software-Unternehmens erwarb (gemeinsam mit einem Vorstandsmitglied)
über einen Treuhänder eine Geschäftsbeteiligung an einem Zulieferunternehmen,
das ausschließlich für das Unternehmen seines Arbeitgebers produzierte.
Diese Beteiligungen wurden dem Arbeitgeber verheimlicht. – Arbeitgeber
sprach nach Bekanntwerden der Beteiligung die Entlassung aus, weil
sich der Arbeitnehmer weigerte seine Beteiligung aufzugeben. Unter
Berufung auf die §§ 7 und 13 AngG begehrte der Arbeitgeber ferner
die Abtretung der Geschäftsanteile, Herausgabe der bezogenen Dividenden
und (darüber hinausgehenden) Schadenersatz. – Der OGH bestätigte
die Entlassung wegen Vertrauensunwürdigkeit, wies aber alle anderen
Ansprüche des Klägers ab | |
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OGH 14. 10. 2002, 1 Ob 113/02b (verst
Senat), JBl 2003, 176: Die Kläger pachteten von der Beklagten (Gemeinde)
ein Restaurant im Bade- und Festspielgelände und
akzeptierten im Vertrag (nur) das Anbieten „kleiner Speisen” durch
Dritte an Veranstaltungstagen. 3 Jahre später verpachtete die Beklagte
aber noch eine „Gourmet-Zeile”, ein weiteres Restaurant und ein
Buffet an andere Unternehmer, was zu erheblichen Umsatzeinbußen
bei der Klägerin führte. – OGH: Ein durch die entgegen vertraglichen
Verpflichtungen des Bestandgebers erfolgte Eröffnung von
Konkurrenzunternehmen im Einzugsbereich des Bestandobjekts (mit)verursachter
erheblicher Rückgang des Geschäftserfolgs rechtfertigt ein Zinsminderungs-
bzw -befreiungsbegehren gem § 1096 Abs 1 ABGB. – Leider fehlen Erhebungen
in Richtung Naturalrestitution (§ 1323 ABGB) und das vereinbarte Konkurrenzverbot,
die diesen eklatanten Vertragsbruch am konsequentesten ausgeräumt
hätte. | |
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Konkurrenzverbot: Untersagung
einer konkurrierenden Tätigkeit während des Bestands einer
rechtlichen inbesondere einer vertraglichen Beziehung; zB § 112
HGB: für OHG-Gesellschafter oder nach § 7 AngG für Arbeitnehmer
während eines aufrechten Arbeitsverhältnisses. | Unterscheide:
Konkurrenzverbot <-> Konkurrenzklausel |
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Konkurrenzklausel: Stellt
eine vertragliche Beschränkung für die Zeit nach Beendigung des
Vertrags dar; vgl etwa § 36 AngG. Vgl auch die eben behandelte E
des OGH; EvBl 1971/317: Diese E zeigt uns, dass eine Konkurrenzklausel
sowohl im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, als
auch zwischen Unternehmern – also zwei Selbständigen – vereinbart
werden kann. | |
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Weitere Beispiele
zur Vertragsauslegung: | |
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Auslegung einer
sog Schwellwertklausel: EvBl
1976/231
→ KAPITEL 15: Wertsicherung. | |
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In einem Schenkungsvertrag
auf den Todesfall ( → KAPITEL 3: Schenkung
auf den Todesfall)
wurde folgender Passus streitig: „Hubert B [= der Übernehmer] verpflichtet
sich, seinen Onkel Franz B [= Übergeber] in alten und kranken Tagen
... unentgeltlich zu pflegen ...” – Bedeutet diese Formulierung,
dass der Onkel: alt und krank sein muss, um die ausbedungenen Leistungen
in Anspruch nehmen zu können, oder genügt es, dass er diese auch
beanspruchen kann, wenn er sie bloß altersbedingt braucht? | |
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SZ 54/112 (1981): Sind nach vertraglicher
Vereinbarung als Leistung neben einem bestimmten Geldbetrag als
Hauptleistung auch Arbeitsschichten zu verrichten,
ist mangels anderer Konkretisierung unter einer Arbeitsschicht (nach
der geltenden Arbeitszeitregelung) eine Arbeitsleistung von acht
Stunden zu verstehen und damit die Leistung hinreichend bestimmt
/ bestimmbar. | |
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JBl 1999, 380: Auslegung einer Reallast
des Wasserbezugs – Eine langjährige Abwicklungspraxis der Vertragsparteien
und ihrer Rechtsnachfolger lässt Rückschlüsse auf den seinerzeitigen
Geschäftswillen zu; „Selbstinterpretation” einer vorprozessualen
Praxis. | |
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JBl 1999, 390: Zur Auslegung
eines Schiedsvertrags als Prozessvertrag. Dafür ist grundsätzlich
Prozessrecht heranzuziehen. Soweit jedoch die Vorschriften des Prozessrechts
nicht ausreichen, sind analog die Auslegungsregeln des ABGB heranzuziehen,
wobei die Parteienabsicht und die Grundsätze des redlichen Verkehrs
zu berücksichtigen sind. | |
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SZ 41/131 (1968): Auslegung
eines Haftungsausschlusses in AGB – Die AGB eines Elektrizitätsversorgungsunternehmens
(EVU) enthielten folgende Klausel: „Das EVU ist verpflichtet, Strom
... zu liefern, ... und dafür zu sorgen, dass der Abnehmer, ...
elektrische Energie zu jeder Tages- und Nachtzeit beziehen kann,
soweit das EVU nicht durch höhere Gewalt oder durch Umstände, die
abzuwenden nicht in seiner Macht steht, verhindert ist oder die
Vornahme betriebsnotwendiger Arbeiten die Unterbrechung erfordern.”
– Im Prozess stellte sich die Frage: Umfasst der Haftungsausschluss
in den AGB auch Schäden aus vergessener Verständigung von der Abschaltung
bei Straßenbauarbeiten? Der OGH meint: „Vereinbarungen über die
Beschränkung oder den Ausschluss der Haftung sind nach der Übung
des redlichen Verkehrs (§ 914 ABGB) auszulegen.” Die Haftung kann
zwar – so der OGH – für betriebsbedingte Schäden, nicht aber für
Verstöße gegen eigene Sorgfaltspflichten (hier Warnpflicht) aus
dem Vertrag ausgeschlossen werden! Das EVU hatte daher die dem Abnehmer
aus der Abschaltung entstandenen Schäden zu ersetzen. | |
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| Abbildung 11.14: Haftungsausschluss in AGB (1) |
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| Abbildung 11.15: Haftungsausschluss in AGB (2) |
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OGH 30. 8. 2000, 6 Ob 174/00g, SZ 73/132:
Eine GmbH hat Kreditschulden von nahezu 5 Mio S bei der A-Bank.
Zur Besicherung wird eine Global- und Mantelzessionsvereinbarung geschlossen,
die jedoch aufgrund unzureichender Kenntlichmachung in der offenen
Postenliste (OP-Liste) der Kreditschuldnerin mangels Publizität
nicht zu einer Abtretung der Forderungen führt. Als die GmbH bei
der A-Bank keine weiteren Kredite mehr erhält, wendet sie sich an
die B-Bank, der sie die bereits erfolgte Globalzession zugunsten
der A-Bank mitteilen. Zur Besicherung des neuen Kredits wird auch
mit der B-Bank ein Global- und Mantelzessionsvertrag geschlossen
und im Laufe der Zeit werden ihr auch Forderungen im Wert von über
4 Mio S abgetreten. Nach dem Konkurs der GmbH klagt die A-Bank die
B-Bank auf Zahlung dieses Betrages. – OGH: Die Globalzession künftiger
Forderungen bedarf der Anbringung eines Generalvermerks in der offenen
Postenliste. Dieser muss den Zessionar und das Datum des Zessionsvertrags anführen.
Im konkreten Fall wurde nur der Buchstabe „Z” auf jede Seite der
OP-Liste gesetzt). Wenn trotz des Fehlens eines ausreichenden Buchvermerks
ein zweiter Zessionar vom Globalzessionsvertrag des ersten Kenntnis
hat (hier: Information durch den Zedenten selber), wird er wegen
des Eingreifens in fremde Forderungsrechte schadenersatzpflichtig.
– Überlege: Kann bei Vereinbarung einer Globalzession stillschweigend
ein Abtretungsverbot angenommen werden und wie könnte es begründet
werden? (§ 914 ABGB iVm mit ergänzender/hypothetischer Vertragsauslegung)
Didaktisch vorbildliche Gliederung der E | |
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B. Die
Rechtsanwendung |
D. Rechtsquellen
des Privatrechts |
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