Recht und Moral
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Um die „Moral” in den Rechts- und Wirtschaftsberufen steht es nicht zum Besten. Die Konkurrenz – bspw bei Anwälten – nimmt von Jahr zu Jahr zu. Es gibt immer mehr Juristen/innen und Absolventen/innen von Wirtschaftsberufen. Mit der Konkurrenz wächst die Versuchung, beim Ergattern von „Klienten” und in der Folge bei der Rechtsdurchsetzung, fragwürdige Praktiken zu wählen. Geld und Macht, gesellschaftliches Ansehen sind oft eine große Versuchung für die verschiedenen Rechts- und Wirtschaftsberufe. – Äußere Statussymbole ersparen aber nicht die Auseinandersetzung mit sich selber.
Rechtsmoral
So haben Notare und Rechtsanwälte, Unternehmer und Manager an Gesetzesumgehungen teilgenommen und tun dies immer noch. Sie sollten sich dieser Gefahren bewusst sein und nicht blauäugig mit einem Studium beginnen, das von Ihnen verlangt, diesen Versuchungen zu widerstehen. Zum menschlichen Bankrott gesellt sich rasch ein intellektuell-psych(olog)ischer. – Ein Leben, das sich an Macht, Ansehen und Geld orientiert, wird bald schal und leer. Der Motor zur Lebens- und Berufsfreude geht rasch verloren. – Beachten Sie das schon am Beginn Ihres Studiums und studieren Sie aus Freude, aber auch mit Verantwortung sich selber und der Gesellschaft gegenüber. Das verlangt heute eine europäische, ja weltbürgerliche Orientierung.
Verantwortung sich selber und der Gesellschaft gegenüber
Tief blicken lässt ein Gespräch zweier Anwälte, das ich unlängst im Zug mitanhören musste. Dabei bezeichnete der eine von ihnen in einem Anflug von Selbsterkenntnis und Ironie die Anwaltschaft als ein „Rudel von Wölfen und Schakalen”, die den großen und fetten Herden der Wirtschaft folgen, womit er die „dicken” und einträglichen Unternehmen meinte. Fortfahrend betonte er noch, dass allein darin die Bedeutung des Wirtschaftsrechts für die Anwaltschaft und überhaupt die Juristerei liege. Der andere pflichtete vorbehaltlos bei. – Wir alle müssen uns entscheiden, ob wir beruflich Wolf, Schaf oder Menschen werden wollen, die anderen durch Kenntnisse auf ihrem menschlichen Weg helfen und davon selber profitieren können.
Zu dieser Verantwortung gehört es auch, dass Sie in den Lehrveranstaltungen Fragen stellen, wenn Sie etwas nicht verstehen, dass Sie sich kollegial im Studium benehmen, dass Sie Kritik üben, wo Ihnen etwas missfällt, zum Beispiel an Lehrveranstaltungen oder Prüfungen. Nichts ist schlimmer, als wenn sich schon Studierende feige und opportunistisch verhalten. Begebt Euch möglichst in keine (partei)politische Abhängigkeit, das kostet nur ein Stück Freiheit, schon in der Studienzeit. Und Freiheit und Unabhängigkeit im Denken und Handeln sind ein hohes Gut. Das ist nicht damit zu verwechseln, dass Studierende politisch interessiert und auch aktiv sein sollten.
Verantwortung beginnt im Studium
Die Rechtswissenschaftkann sich ethisch-moralischen Fragestellungen ebenso wenig entziehen wie die Philosophie, die Technik, die Naturwissenschaften, die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften oder andere Disziplinen. Aristoteles hat nicht zufällig in seiner philosophischen Leitdisziplin „Politik”, „Ethik” und „Rechtsdenken” (er spricht noch von der Kunst der Gesetzgebung) zusammengeführt. – Dabei erscheint in den nationalen Rechtsordnungen das Privatrecht vom starken und weltweiten sozialen Wandel besonders betroffen zu sein; Kommunikation, Information, Medien, Arbeits- und Warenwelt, Beziehungen, Ehe und Familie, E-commerce, Medizin- und Gentechnik sind nur einige Stichworte. Die anhaltende Säkularisierung, die von vielen beklagt wird, sollte aber besser als Chance zu neuer Freiheit, Unabhängigkeit, Solidarität und Verantwortlichkeit verstanden werden. (Probleme bereitet dies aber nicht nur Einzelnen, denen diese Entwicklung zu rasch erfolgt, sondern ganzen Völkern, wie fundamentalistische und nationalistische Strömungen zeigen.) – Werdet Euch bewusst, dass künftig weder Religionen oder Ideologien, noch die Wirtschaft Gesellschaftsziele vorgeben können – sie können diesen Prozess bestenfalls unterstützen, sondern dass ihr selbst diese Ziele jeweils neu definieren, entwickeln, mittragen und gemeinsam mit anderen anstreben müsst. Das setzt Kraft und Selbstbewusstsein (im eigentlichen Wortsinn) voraus. Natürlich ist es einfacher, sich auf den lieben Gott zu verlassen.
Ethisch-moralisch-rechtliche Fragestellungen