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Vertriebene Vernunft. Der Fall Moritz Schlick

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Moritz Schlick: Die Wende der Philosphie (1930/ 31)

Von Zeit zu Zeit hat man Preisaufgaben über die Frage gestellt, welche Fortschritte die Philosophie in einem bestimmten Zeitraume gemacht habe. Der Zeitabschnitt pflegte auf der einen Seite durch den Namen eines großen Denkers, auf der andern durch die "Gegenwart" abgegrenzt zu werden. Man schien also vorauszusetzen, daß über die philosophischen Fortschritte der Menschheit bis zu jenem Denker hin einigermaßen Klarheit herrsche, daß es aber von da ab zweifelhaft sei, welche neuen Errungenschaften die letzte Zeit hinzugefügt habe.

Aus solchen Fragen spricht deutlich ein Mißtrauen gegen die Philosophie der jeweils jüngst vergangenen Zeit, und man hat den Eindruck, als sei die gestellte Aufgabe nur eine verschämte Formulierung der Frage: Hat denn die Philosophie in jenem Zeitraum überhaupt irgendwelche Fortschritte gemacht? Denn wenn man sicher wäre, daß Errungenschaften da sind, so wüßte man wohl auch, worin sie bestehen.

Wenn die ältere Vergangenheit mit geringerer Zweifelsucht betrachtet wird und wenn man eher geneigt ist, in ihrer Philosophie eine aufsteigende Entwicklung anzuerkennen, so dürfte dies seinen Grund darin haben, daß man allem, was schon historisch geworden ist, mit größerer Ehrfurcht gegenübersteht; es kommt hinzu, daß die älteren Philosophien wenigstens ihre historische Wirksamkeit bewiesen haben, daß man daher bei ihrer Betrachtung ihre historische Bedeutung anstelle der sachlichen zugrunde legen kann, und dies um so eher, als man oft zwischen beiden gar nicht zu unterscheiden wagt.

Aber gerade die besten Köpfe unter den Denkern glaubten selten an unerschütterliche, bleibende Ergebnisse des Philosophierens früherer Zeiten und selbst klassischer Vorbilder; dies erhellt daraus, daß im Grunde jedes neue System wieder ganz von vorn beginnt, daß jeder Denker seinen eigenen festen Boden sucht und sich nicht auf die Schultern seiner Vorgänger stellen mag. Descartes fühlt sich (nicht ohne Recht) durchaus als einen Anfang; Spinoza glaubt mit der (freilich recht äußerlichen) Einführung mathematischer Form die endgültige philosophische Methode gefunden zu haben; und Kant war davon überzeugt, daß auf dem von ihm eingeschlagenen Wege die Philosophie nun endlich den sichern Gang einer Wissenschaft nehmen würde. Weitere Beispiele sind billig, denn fast alle großen Denker haben eine radikale Reform der Philosophie für notwendig gehalten und selbst versucht.

Dieses eigentümliche Schicksal der Philosophie wurde so oft geschildert und beklagt, daß es schon trivial ist, davon überhaupt zu reden, und daß schweigende Skepsis und Resignation die einzige der Lage angemessene Haltung zu sein scheint. Alle Versuche, dem Chaos der Systeme ein Ende zu machen und das Schicksal der Philosophie zu wenden, können, so scheint eine Erfahrung von mehr als zwei Jahrtausenden zu lehren, nicht mehr ernst genommen werden. Der Hinweis darauf, daß der Mensch schließlich die hartnäckigsten Probleme, etwa das des Dädalus, gelöst habe, gibt dem Kenner keinen Trost, denn was er fürchtet, ist gerade, daß die Philosophie es nie zu einem echten "Problem" bringen werde.

Ich gestatte mir diesen Hinweis auf die so oft geschilderte Anarchie der philosophischen Meinungen, um keinen Zweifel darüber zu lassen, daß ich ein volles Bewußtsein von der Tragweite und Inhaltsschwere der Überzeugung habe, die ich nun aussprechen möchte. Ich bin nämlich überzeugt, daß wir in einer durchaus endgültigen Wendung der Philosophie mitten darin stehen und daß wir sachlich berechtigt sind, den unfruchtbaren Streit der Systeme als beendigt anzusehen. Die Gegenwart ist, so behaupte ich, bereits im Besitz der Mittel, die jeden derartigen Streit im Prinzip unnötig machen; es kommt nur darauf an, sie entschlossen anzuwenden.

Diese Mittel sind in aller Stille, unbemerkt von der Mehrzahl der philosophischen Lehrer und Schriftsteller, geschaffen worden, und so hat sich eine Lage gebildet, die mit allen früheren unvergleichbar ist. Daß die Lage wirklich einzigartig und die eingetretene Wendung wirklich endgültig ist, kann nur eingesehen werden, indem man sich mit den neuen Wegen bekannt macht und von dem Standpunkte, zu dem sie führen, auf alle die Bestrebungen zurückschaut, die je als "philosophische" gegolten haben.

Die Wege gehen von der Logik aus. Ihren Anfang hat Leibniz undeutlich gesehen, wichtige Strecken haben in den letzten Jahrzehnten Gottlob Frege und Bertrand Russell erschlossen, bis zu der entscheidenden Wendung aber ist zuerst Ludwig Wittgenstein (im "Tractatus logico-philosophicus", 1922) vorgedrungen.

Bekanntlich haben die Mathematiker in den letzten Jahrzehnten neue logische Methoden entwickelt, zunächst zur Lösung ihrer eigenen Probleme, die sich mit Hilfe der überlieferten Formen der Logik nicht bewältigen ließen; dann aber hat die so entstandene Logik (siehe den Artikel von Carnap in diesem Heft) auch sonst ihre Überlegenheit über die alten Formen längst bewiesen und wird diese zweifellos bald ganz verdrängt haben. Ist nun diese Logik das große Mittel, von dem ich vorhin sagte, es sei imstande, uns im Prinzip aller philosophischen Streitigkeiten zu entheben, liefert sie uns etwa allgemeine Vorschriften, mit deren Hilfe alle traditionellen Fragen der Philosophie wenigstens prinzipiell aufgelöst werden können?

Wäre dies der Fall, so hätte ich kaum das Recht gehabt zu sagen, daß eine völlig neue Lage geschaffen sei, denn es würde dann nur ein gradueller, gleichsam technischer Fortschritt erzielt sein, so wie etwa die Erfindung des Benzinmotors schließlich die Lösung des Flugproblems ermöglichte. So hoch aber auch der Wert der neuen Methode zu schätzen ist: durch die bloße Ausbildung einer Methode kann niemals etwas so Prinzipielles geleistet werden. Nicht ihr selbst ist daher die große Wendung zu danken, sondern etwas ganz anderem, das durch sie wohl erst möglich gemacht und angeregt wurde, aber in einer viel tieferen Schicht sich abspielt: das ist die Einsicht in das Wesen des Logischen selber.

Daß das Logische in irgendeinem Sinne das rein Formale ist, hat man früh und oft ausgesprochen; dennoch war man sich über das Wesen der reinen Formen nicht wirklich klar gewesen. Der Weg zur Klarheit darüber geht von der Tatsache aus, daß jede Erkenntnis ein Ausdruck, eine Darstellung ist. Sie drückt nämlich den Tatbestand aus, der in ihr erkannt wird, und dies kann auf beliebig viele Weisen, in beliebigen Sprachen, durch beliebige willkürliche Zeichensysteme geschehen; alle diese möglichen Darstellungsarten, wenn anders sie wirklich dieselbe Erkenntnis ausdrücken, müssen eben deswegen etwas gemeinsam haben, und dies Gemeinsame ist ihre logische Form.

So ist alle Erkenntnis nur vermöge ihrer Form Erkenntnis; durch sie stellt sie die erkannten Sachverhalte dar, die Form selbst aber kann ihrerseits nicht wieder dargestellt werden; auf sie allein kommt es bei der Erkenntnis an, alles übrige daran ist unwesentlich und zufälliges Material des Ausdrucks, nicht anders als etwa die Tinte, mit der wir einen Satz niederschreiben.

Diese schlichte Einsicht hat Folgen von der allergrößten Tragweite. Durch sie werden zunächst die traditionellen Probleme der "Erkenntnistheorie" abgetan. An die Stelle von Untersuchungen des menschlichen "Erkenntnisvermögens" tritt, soweit sie nicht der Psychologie überantwortet werden können, die Besinnung über das Wesen des Ausdrucks, der Darstellung, d. h. jeder möglichen "Sprache" im allgemeinsten Sinne des Worts. Die Fragen nach der "Geltung und den Grenzen der Erkenntnis" fallen fort. Erkennbar ist alles, was sich ausdrücken läßt, und das ist alles, wonach man sinnvoll fragen kann. Es gibt daher keine prinzipiell unbeantwortbaren Fragen, keine prinzipiell unlösbaren Probleme. Was man bisher dafür gehalten hat, sind keine echten Fragen, sondern sinnlose Aneinanderreihungen von Worten, die zwar äußerlich wie Fragen aussehen, da sie den gewohnten Regeln der Grammatik zu genügen scheinen, in Wahrheit aber aus leeren Lauten bestehen, weil sie gegen die tiefen inneren Regeln der logischen Syntax verstoßen, welche die neue Analyse aufgedeckt hat.

Wo immer ein sinnvolles Problem vorliegt, kann man theoretisch stets auch den Weg angeben, der zu seiner Auflösung führt, denn es zeigt sich, daß die Angabe dieses Weges im Grund mit der Aufzeigung des Sinnes zusammenfällt; die praktische Beschreitung des Weges kann natürlich dabei durch tatsächliche Umstände, z. B. mangelhafte menschliche Fähigkeiten, verhindert sein. Der Akt der Verifikation, bei dem der Weg der Lösung schließlich endet, ist immer von derselben Art: es ist das Auftreten eines bestimmten Sachverhaltes, das durch Beobachtung, durch unmittelbares Erlebnis konstatiert wird. Auf diese Weise wird in der Tat im Alltag wie in jeder Wissenschaft die Wahrheit (oder Falschheit) jeder Aussage festgestellt. Es gibt also keine andere Prüfung und Bestätigung von Wahrheiten als die durch Beobachtung und Erfahrungswissenschaft. Jede Wissenschaft (sofern wir bei diesem Worte an den Inhalt und nicht an die menschlichen Veranstaltungen zu seiner Gewinnung denken) ist ein System von Erkenntnissen, d. h. von wahren Erfahrungssätzen; und die Gesamtheit der Wissenschaften, mit Einschluß der Aussagen des täglichen Lebens, ist das System der Erkenntnisse; es gibt nicht außerhalb seiner noch ein Gebiet "philosophischer" Wahrheiten, die Philosophie ist nicht ein System von Sätzen, sie ist keine Wissenschaft.

Was ist sie aber dann? Nun, zwar keine Wissenschaft, aber doch etwas so Bedeutsames und Großes, daß sie auch fürder, wie einst, als die Königin der Wissenschaften verehrt werden darf; denn es steht ja nirgends geschrieben, daß die Königin der Wissenschaften selbst auch eine Wissenschaft sein müßte. Wir erkennen jetzt in ihr - und damit ist die große Wendung in der Gegenwart positiv gekennzeichnet - anstatt eines Systems von Erkenntnissen ein System von Akten; sie ist nämlich diejenige Tätigkeit, durch welche der Sinn der Aussagen festgestellt oder aufgedeckt wird. Durch die Philosophie werden Sätze geklärt, durch die Wissenschaften verifiziert. Bei diesen handelt es sich um die Wahrheit von Aussagen, bei jener aber darum, was die Aussagen eigentlich meinen. Inhalt, Seele und Geist der Wissenschaft stecken natürlich in dem, was mit ihren Sätzen letzten Endes gemeint ist; die philosophische Tätigkeit der Sinngebung ist daher das Alpha und Omega aller wissenschaftlichen Erkenntnis. Dies hat man wohl richtig geahnt, wenn man sagte, die Philosophie liefere sowohl die Grundlage wie den Abschluß des Gebäudes der Wissenschaften; irrig war nur die Meinung, daß das Fundament von "philosophischen Sätzen" gebildet werde (den Sätzen der Erkenntnistheorie), und daß der Bau auch von einer Kuppel philosophischer Sätze (genannt Metaphysik) gekrönt werde.

Daß die Arbeit der Philosophie nicht in der Aufstellung von Sätzen besteht, daß also die Sinngebung von Aussagen nicht wiederum durch Aussagen geschehen kann, ist leicht einzusehen. Denn wenn ich etwa die Bedeutung meiner Worte durch Erläuterungssätze und Definitionen angebe, also mit Hilfe neuer Worte, so muß man weiter nach der Bedeutung dieser andern Worte fragen, und so fort. Dieser Prozeß kann nicht ins Unendliche gehen, er findet sein Ende immer nur in tatsächlichen Aufweisungen, in Vorzeigungen des Gemeinten, in wirklichen Akten also; nur diese sind keiner weiteren Erläuterung fähig und bedürftig; die letzte Sinngebung geschieht mithin stets durch Handlungen, sie machen die philosophische Tätigkeit aus.

Es war einer der schwersten Irrtümer vergangener Zeiten, daß man glaubte, den eigentlichen Sinn und letzten Inhalt wiederum durch Aussagen zu formulieren, also in Erkenntnissen darstellen zu können: es war der Irrtum der "Metaphysik". Das Streben der Metaphysiker war von jeher auf das widersinnige Ziel gerichtet (vgl. meinen Aufsatz "Erleben, Erkennen, Metaphysik", Kantstudien, Bd. 31, S. 146), den Inhalt reiner Qualitäten (das "Wesen" der Dinge) durch Erkenntnisse auszudrücken, also das Unsagbare zu sagen; Qualitäten lassen sich nicht sagen, sondern nur im Erlebnis aufzeigen, Erkenntnis aber hat damit nichts zu schaffen.

So fällt die Metaphysik dahin, nicht weil die Lösung ihrer Aufgabe ein Unterfangen wäre, dem die menschliche Vernunft nicht gewachsen ist (wie etwa Kant meinte), sondern weil es diese Aufgabe gar nicht gibt. Mit der Aufdeckung der falschen Fragestellung wird aber zugleich die Geschichte des metaphysischen Streites verständlich.

Überhaupt muß unsere Auffassung, wenn sie richtig ist, sich auch historisch legitimieren. Es muß sich zeigen, daß sie imstande ist, von dem Bedeutungswandel des Wortes Philosophie einigermaßen Rechenschaft zu geben.

Dies ist nun wirklich der Fall. Wenn im Altertum, und eigentlich bis in die neuere Zeit hinein, Philosophie einfach identisch war mit jedweder rein theoretischen wissenschaftlichen Forschung, so deutet das darauf hin, daß die Wissenschaft sich eben in einem Stadium befand, in welchem sie ihre Hauptaufgabe noch in der Klärung der eigenen Grundbegriffe sehen mußte; und die Emanzipation der Einzelwissenschaften von ihrer gemeinsamen Mutter Philosophie ist der Ausdruck davon, daß der Sinn gewisser Grundbegriffe klar genug geworden war, um mit ihnen erfolgreich weiter arbeiten zu können. Wenn ferner auch gegenwärtig noch z. B. Ethik und Ästhetik, ja manchmal sogar Psychologie als Zweige der Philosophie gelten, so zeigen diese Disziplinen damit, daß sie noch nicht über ausreichend klare Grundbegriffe verfügen, daß vielmehr ihre Bemühungen noch hauptsächlich auf den Sinn ihrer Sätze gerichtet sind. Und endlich: wenn sich mitten in der fest konsolidierten Wissenschaft plötzlich an irgendeinem Punkte die Notwendigkeit herausstellt, sich auf die wahre Bedeutung der fundamentalen Begriffe von neuem zu besinnen, und dadurch eine tiefere Klärung des Sinnes herbeigeführt wird, so wird diese Leistung sofort als eine eminent philosophische gefühlt; alle sind darüber einig, daß z. B. die Tat Einsteins, die von einer Analyse des Sinnes der Aussagen über Zeit und Raum ausging, eben wirklich eine philosophische Tat war. Hier dürfen wir noch hinzufügen, daß die ganz entscheidenden, epochemachenden Fortschritte der Wissenschaft immer von dieser Art sind, daß sie eine Klärung des Sinnes der fundamentalen Sätze bedeuten und daher nur solchen gelingen, die zur philosophischen Tätigkeit begabt sind; das heißt: der große Forscher ist immer auch Philosoph.

Daß häufig auch solche Geistestätigkeiten den Namen Philosophie tragen, die nicht auf reine Erkenntnis, sondern auf Lebensführung abzielen, erscheint gleichfalls leicht begreiflich, denn der Weise hebt sich von der unverständigen Menge eben dadurch ab, daß er den Sinn der Aussagen und Fragen über Lebensverhältnisse, über Tatsachen und Wünsche klarer aufzuzeigen weiß als jene.

Die große Wendung der Philosophie bedeutet auch eine endgültige Abwendung von gewissen Irrwegen, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingeschlagen wurden und zu einer ganz verkehrten Einschätzung und Wertschätzung der Philosophie führen mußten: ich meine die Versuche, ihr einen induktiven Charakter zu vindizieren und daher zu glauben, daß sie aus lauter Sätzen von hypothetischer Geltung bestehe. Der Gedanke, für ihre Sätze nur Wahrscheinlichkeit in Anspruch zu nehmen, lag früheren Denkern fern; sie hätten ihn als mit der Würde der Philosophie unverträglich abgelehnt. Darin äußerte sich ein gesunder Instinkt dafür, daß die Philosophie den allerletzten Halt des Wissens abzugeben hat. Nun müssen wir freilich in ihrem entgegengesetzten Dogma, die Philosophie biete unbedingt wahre apriorische Grundsätze dar, eine höchst unglückliche Äußerung dieses Instinktes erblicken, zumal sie ja überhaupt nicht aus Sätzen besteht; aber auch wir glauben an die Würde der Philosophie und halten den Charakter des Unsicheren und bloß Wahrscheinlichen für unvereinbar mit ihr, und freuen uns, daß die große Wendung es unmöglich macht, ihr einen derartigen Charakter zuzuschreiben. Denn auf die sinngebenden Akte, welche die Philosophie ausmachen, ist der Begriff der Wahrscheinlichkeit oder Unsicherheit gar nicht anwendbar. Es handelt sich ja um Setzungen, die allen Aussagen ihren Sinn als ein schlechthin Letztes geben. Entweder wir haben diesen Sinn, dann wissen wir, was mit den Aussagen gemeint ist; oder wir haben ihn nicht, dann stehen nur bedeutungsleere Worte vor uns und noch gar keine Aussagen; es gibt kein drittes, und von Wahrscheinlichkeit der Geltung kann keine Rede sein. So zeigt nach der großen Wendung die Philosophie ihren Charakter der Endgültigkeit deutlicher als zuvor.

Nur vermöge dieses Charakters kann ja auch der Streit der Systeme beendet werden. Ich wiederhole, daß wir ihn infolge der angedeuteten Einsichten bereits heute als im Prinzip beendet ansehen dürfen, und ich hoffe, daß dies auch auf den Seiten dieser Zeitschrift in ihrem neuen Lebensabschnitt immer deutlicher sichtbar werden möge.

Gewiß wird es noch manches Nachhutgefecht geben, gewiß werden noch jahrhundertelang Viele in den gewohnten Bahnen weiterwandeln; philosophische Schriftsteller werden noch lange alte Scheinfragen diskutieren, aber schließlich wird man ihnen nicht mehr zuhören und sie werden Schauspielern gleichen, die noch eine Zeitlang fortspielen, bevor sie bemerken, daß die Zuschauer sich allmählich fortgeschlichen haben. Dann wird es nicht mehr nötig sein, über "philosophische Fragen" zu sprechen, weil man über alle Fragen philosophisch sprechen wird, das heißt: sinnvoll und klar.

Das goldene Zeitalter der Österreichischen Philosophie, Ein Lesebuch, hrsg. v. Kurt R. Fischer (unter Mitarbeit von Robert Kaller), Wien 1995, S. 173-179; Erstveröffentlichung: Erkenntis 1 (1930), S. 4-11.


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Der Fall des Wiener Professors Schlick - eine Mahnung zur Gewissenserforschung

Von Prof. Dr. Austriacus

Am 22. Juni wurde der ordentliche Professor für Philosophie an der Universität Wien, Moritz Schlick, von seinem ehemaligen Schüler Dr. Hans Nelböck auf der Stiege der Universität niedergeschossen. Dieser Vorfall, der in der Geschichte der Universität ohne Gegenstück ist, hat natürlich an der Universität, in der Gesellschaft, in der gesamten Wiener Presse ungeheures Aufsehen erregt. In spaltenlangen Ausführungen brachten die Zeitungen Einzelheiten über den Vorfall und noch mehr über die Person des Attentäters. Der weltberühmte Denker Schlick, so hieß es, ist das bedauernswerte Opfer eines Psychopathen geworden. Aber alles, was bisher über den Fall geschrieben worden ist, bewegt sich im Vorfeld; es kommt nicht an den wahren Sachverhalt, an den wirklichen Motivhintergrund dieses schrecklichen Falles heran. Man muß daher die ganze Aussprache um eine Schicht tiefer verlegen, nämlich in jene Schicht, in welcher sich der große Kampf zwischen Nelböck und Schlick vollzogen hat. Diese Schicht ist der Weltanschauungskampf, der sich in den seelischen Tiefen des jungen und einsamen Dr. Nelböck unter dem Einfluß von Prof. Schlick seit vielen Jahren abgespielt hat. Und was diesem Schuß auf der Feststiege der Wiener Universität einen wahrhaft unheimlichen Charakter verleiht, ist der Umstand, daß der 33jährige Dr. Nelböck nicht etwa ein geborener Psychopath war, sondern daß er es manchen Anzeichen nach erst unter dem Einfluß der radikal niederreißenden Philosophie, wie sie Dr. Schlick seit 1922 an der Wiener Universität vortrug, geworden ist; daß also diese Kugel nicht mit der Logik eines Irrsinnigen nach einem Opfer gesucht hat, sondern vermutlich mit der Logik einer um den Sinn des Lebens betrogenen Seele, und daß schließlich dieser Fall nicht vereinzelt, eben als "psychopathischer" dasteht, sondern "nur" als ein Symptom, als "ein" katastrophenartiger Ausdruck von jener weltanschaulichen Not und Verzweiflung, in welche eine gewisse Universitätsphilosophie die akademische Jugend stürzt. Ich selbst weiß mehrere Fälle, wo junge Studenten unter dem Einfluß der Schlickschen Philosophie an Gott, der Welt und der Menschheit verzweifelt sind. Schlick hat des öfteren zu seinen Schülern gesagt: "Wer noch Weltanschauungssorgen hat, der gehört in die Psychiatrie." Wie furchtbar hat sich nun dieses Wort an ihm erfüllt! Und ebenso hat dieser kühne Leugner von Gott und Seele zu seinen Schülern gesagt: "Wenn einer in 200 Jahren das Wort ,Unsterblichkeit` hört, dann wird er im Lexikon nachschauen müssen, was denn dieses Wort eigentlich bedeutet." Wie schrecklich hat sich nun die in so vielen Vorlesungen geleugnete Seele gerächt und ihrem Leugner gegenüber sich als Realität geoffenbart!

Wir brauchten wohl nicht eigens zu betonen, daß wir den entsetzlichen Mord schlechthin verdammen, daß wir andererseits das tragische Ende von Prof. Schlick, der als Mensch höchst liebenswürdig war, aus tiefster Seele bedauern. Allein es darf uns niemand verübeln, wenn wir von den verhängnisvollen Folgen auf die vermutlichen, bösen Ursachen zurückgehen, um durch ehrliche Aussprache mit allen Gutgesinnten diese aus der Welt zu schaffen, damit sich nicht noch mehrere bedauernswerte Folgen einstellen.

Der Schuß an der Wiener Universität hat einen Vorhang entzweigerissen, der gewisse "Unmöglichkeiten" an der Wiener philosophischen Fakultät dem Außenstehenden und ebenso dem weltanschaulich nicht Interessierten verdeckte. Schlick hatte seit 1922 die einzige Lehrkanzel für systematische Philosophie und Weltanschauung inne. Nun war aber Schlick von Haus aus gar kein Philosoph, sonder nur Physiker. Etwas anderes als Physiker wollte er auch auf dem Lehrstuhl der Philosophie nicht sein, d. h. er bezeichnete es immer als seinen Beruf, die Philosophie in nichts aufzulösen und alles wissenschaftlich Erfaßbare als rein physikalischen Vorgang hinzustellen. So war bei ihm die Psychologie, die Ethik, überhaupt der ganze Mensch lediglich ein Gegenstand der Physik. Man nennt dies den Panphysikalismus. Schlick hat seine Berufung nach Wien letzten Endes der materialistischen Denkweise zu verdanken. Der Materialismus des vorigen Jahrhunderts hat nämlich die Auffassung durchgedrückt, daß die Philosophie, und insbesondere die Metaphysik, keine Wissenschaft sei, sondern daß einzig die Naturwissenschaft exakt sei. Darum hat sich in der Praxis durchgesetzt, daß "ein" Lehrstuhl der Philosophie immer mit einem Physiker zu besetzen sei. In dieser Eigenschaft hat der Physiker Ernst Mach 1895 den Lehrstuhl für Philosophie an der Wiener Universität bekommen und auf eben diesem Lehrstuhl, der nach Mach von Boltzmann und Höfler besetzt war, wurde 1922 Schlick aus Kiel nach Wien berufen. Um ihn scharten sich alsbald alle metaphysikfeindlichen Elemente, insbesondere alle Juden und Freimaurer. Unter Schlicks Führung bildete sich der sog. "Wiener Kreis", der sehr rührig war und der - sehr zum Schaden für den Ruf Österreichs als eines christlichen Staates - im Ausland als die österreichische Philosophie angesehen wird. Schlick bezeichnete seine Philosophie als Neupositivismus oder Logistik, und wollte seine Lehre vom älteren Positivismus, wie ihn Mach vertreten hat, unterscheiden; allein diese Unterschiede betreffen im allgemeinen mehr einen häuslichen Streit. In der Gesamteinstellung ist der ältere und neuere Positivismus von Locke, Hume, Avenarius, Mach und Schlick immer derselbe - er ist der radikale Leugner alles Metaphysischen. Mit aller Offenheit gestand daher vor zwei Jahren ein enger Mitarbeiter von Schlick, Professor Frank in Prag, die "antimetaphysische Bewegung" wird in Europa hauptsächlich von Schlick vorgetragen: der Wiener Kreis sei der "Stoßtrupp der antimetaphysischen Forschung". In der Tat war Schlick nicht damit zufrieden, seine radikal verneinenden Lehren der akademischen Jugend vorzutragen, sondern er hat 1929 mit Hilfe der Freimaurer den Mach-Verein gegründet, der seine Lehre unter die breiten Massen Wiens tragen sollte. Schlick selbst war der Vorsitzende; bekannte Freimaurerführer und der kommunistische Minister aus der Münchner Rätezeit, Otto Neurath, der ein besonderer Freund und Mitarbeiter Schlicks war, bildeten die Vorstandschaft. Dieser Verein brachte außer durch regelmäßige Vorträge auch durch eigene Broschüren seine religions- und metaphysikfeindlichen Lehren unter das Volk. In der 1929 erschienen Programmschrift heißt es in sehr ernster Weise: "In der Wissenschaft gibt es keine Tiefen; überall ist Oberfläche. Alles ist dem Menschen zugänglich und der Mensch ist das Maß aller Dinge. Hier zeigt sich die Verwandtschaft mit den Sophisten, nicht mit den Platonikern; mit den Epikuräern, nicht mit den Pythagoräern: mit allen, die irdisches Wesen und Diesseitigkeit vertreten. Die wissenschaftliche Weltauffassung kennt keine unlösbaren Rätsel." Nach dem Zusammenbruch der sozialdemokratischen Revolte im Februar 1934 wurde der Mach-Verein neben den anderen sozialdemokratischen Vereinen aufgehoben: das Haupt des Mach-Vereines, nämlich Professor Schlick, durfte aber nach wie vor der akademischen Jugend dieselben Lehren, die im Mach-Verein als volks- und kulturzerstörend verboten wurden, weiterhin in Ehren vortragen. Nach Gründung der "Vaterländischen Front" trat Schlick schon bald in diese ein, um sich gegen die von ihm selbst gewärtigte Absetzung zu sichern. Die Programmschrift des Mach-Vereins, die gegen alle Religion und Metaphysik wütet, wurde noch jüngst um einen tief herabgesetzten Preis, nämlich um 80 gr statt 2 S, unter die breiten Massen gebracht.

Schlicks Hauptthese in den Vorlesungen und in allen seinen Schriften war immer die, daß alle Metaphysik "sinnlos" sei. Nicht etwa, daß sie zweifelhaft oder wissenschaftlich nicht exakt sei, sondern der Standpunkt Schlicks, an dem er nicht rütteln ließ, war der, daß alle Aussagen über Metaphysisches keinen Sinn hätten. Es entspreche ihnen überhaupt kein Objekt, es sei daher ganz "sinnlos", danach auch nur zu fragen. Eine "sinnvolle" Aussage war für Schlick nur jene, die sich am "sinnlich Wahrnehmbaren verifizieren läßt". Dieser logistisch verbrämte Materialismus war Schlicks Grundthese. Und alle Metaphysiker bezeichnete er stets nur als "Phantasten", "Mystiker" oder - mit besonderer Vorliebe - als "philosophische Schriftsteller" bzw. "Schauspieler, die ihren Leuten nur so lange etwas vorgaukeln, bis sie merken, daß sich die Zuschauer davongeschlichen haben und sie vor leeren Bänken sprechen." In diesem Sinne leugnete Schlick radikal die Existenz Gottes, der menschlichen Seele, des Nebenmenschen und der einheitlichen Welt. Selbst die Unterscheidung von Außenwelt und Innenwelt verwarf er schon als "metaphysische" und - darum - "sinnlose" Fragestellung. Über den Nebenmenschen kann man nach Schlick nichts aussagen, weil man sein Inneres nicht sinnlich wahrnehmen kann; deshalb ist der Nebenmensch nur so etwas ähnliches wie ein auf die Kinoleinwand hinprojiziertes Wesen oder wie ein Lichtsignal der Eisenbahn, dessen Farbe auf eine Bedeutung schließen lasse. In der "wissenschaftlichen Weltauffassung" Schlicks war der Mensch nicht etwa ein vernünftiges Wesen aus Leib und Seele, sondern ein "Fleischklumpen mit einem bestimmten Potentialgefälle", ein "Zellhaufen" oder "ein mit Kleidern behangenes Etwas". Selbstverständlich leugnete Schlick auch alle objektiven und göttlich fundierten Sittengebote. Auch in der Sphäre der Sittlichkeit war ihm alles streng kausal determiniert; die Ethik war ihm ja nur ein Teil der Physik. Sittliche Gebote oder Werte? - Ja, sagte darauf Schlick wörtlich, wenn wir sie "tasten und fühlen können, wie Kamelhöcker", dann glaube ich daran, aber anders nicht!! Aber selbst wenn es solche sittliche Gebote und Werte gäbe: "Was geht das uns an?", ruft er ein anderes Mal frivol aus.

Schlick hat seit einigen Jahren eine Zeitschrift herausgegeben mit dem Titel "Erkenntnis". Er selbst schrieb dort im 1. Heft die programmatische Einleitung unter dem Titel: "Die Wende in der Philosophie" und führt da aus, daß durch ihn die die große "Wende in der Philosophie" eingetreten sei, nämlich durch seine Entdeckung, daß alle Metaphysiker seit Pythagoras und Platon und Aristoteles bis herauf in unsere Tage ihr ganzes Leben an völlig "sinnlose" Fragen gesetzt hätten - ohne es zu merken. Die jungen Studenten mußten aus Schlicks Vorlesung den Eindruck gewinnen, daß alle Metaphysik wissenschaftlich unmöglich sei - was ja Schlick erreichen wollte.

Die klassische Philosophie hat es von jeher als ihre wichtigste Aufgabe betrachtet, eine einheitliche und wissenschaftliche Weltanschauung zu begründen. Anders Schlick! Er sagte es der akademischen Jugend offen ins Gesicht, daß sie weiter nichts sei als eine - "Spielerei". Die Philosophie sei nichts anderes als ein "Kreuzworträtsel", wo immer neue Wortverbindungen gesucht und gebildet werden, und die Philosophie habe nur die Aufgabe, die "Spielregeln" aufzustellen. Kein Wunder, daß eine solche Banalisierung der höchsten Geisteswissenschaft in den Seelen der jungen Studenten hellste Empörung auslöste! Desgleichen lehrte Schlick seine Studenten, daß der Zweck des Lebens nichts anderes sei, als zu genießen, sich zu freuen und möglichst viel Lust einzuheimsen. Die sinnliche Lust im Sinne Epikurs, wie er immer ausdrücklich hinzusetzte, war sein ethischer Zentralbegriff. Begriffe wie "Gebot", "Pflicht", angeborene Sittenerkenntnis waren ihm ein Greuel. Wie viele Studenten sind durch Schlick in große Seelennot gekommen! Offenkundig wurde auch Dr. Nelböck immer aufs höchste erregt und verwirrt, wenn Schlick seine nihilistischen Lehren vortrug, freilich dann seine Getreuen immer ermahnte: "Aber, seien Sie vorsichtig!"

Wie in der Lebensphilosophie, so vertrat Schlick auch in der Naturphilosophie rein negativistische und betont atheistische Lehren. So hielt er unentwegt an dem Grundgedanken fest, daß zwischen Totem und Lebendigem, zwischen Anorganischem und Organischem "kein prinzipieller Unterschied" bestehe. Das Lebende sei aus dem Toten "entstanden". Lieber nahm also Schlick, der sich sonst auf die Logik so viel zu gute tat, eine "contradictio in adjecto" in Kauf - eine solche ist nämlich die vorausgehende Definition -, ehe er dem Metaphysischen in der Welt auch nur ein Fünkchen Recht zugestand. Desgleichen baute er seine Polemik gegen den "Zweck" in der Natur, der ja allezeit von den Philosophen als ein starker Hinweis auf das Metaphysische angesehen wurde, auf einer plumpen "petitio principii" auf. Er sagte nämlich: Zweck ist "vorgestellter Enderfolg unseres Handelns", und setzt ein vorstellendes Bewußtsein voraus; "vor" dem Menschen und der Natur gab es aber kein solches (!), also ist der Zweck "von vornherein aus der Natur zu verbannen". Die tatsächlich vorhandene Zweckmäßigkeit, und mit ihr auch das Leben, die Bewegung, die Ordnung usw. erklärte Schlick immer noch durch "Zufall" und mit Hilfe des materialistischen Darwinismus; beide machen "plausibel", wie eine "vorhandene (!) Zweckmäßigkeit sich allein durch rein zufällige Veränderungen vervollkommen kann".

Nach dieser kurzen Darstellung der Schlickschen Lehre, die er seit 1922 als Inhaber der einzigen Wiener Universitäts-Lehrkanzel für systematische Philosophie vortrug, kann man wohl nachempfinden, was in den Seelen unserer akademischen Jugend, die in den Mittelschulen in der christlichen Weltanschauung erzogen worden ist, vorging, wenn sie hier vom hohen Katheder herab die pure Negation alles dessen vernahm, was ihr bisher heilig war. Die höhere Seelenkunde hat nachgewiesen, daß die moderne Zerrüttung der Nerven zum großen Teil auf die Zerrüttung in der Weltanschauung zurückgeht. Vollends von den Akademikern muß jeder, wenn er nicht die Anlage und das Geld zu einem Epikuräer hat, unter dem Einfluß solch destruktiver Lehren zerrüttet werden, wenn es ihm mit seiner Weltanschauung auch nur halbwegs ernst ist.

Der Fall Schlick ist eine Art Gegenstück zum Fall Berliner von der "Phönix"-Versicherung. Wie dort verhängnisvoller Einfluß des Judentums auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet ans Tageslicht gekommen ist, so kommt hier der unheilvolle geistige Einfluß des Judentums an den Tag. Es ist bekannt, daß Schlick, der einen Juden (Waismann) und zwei Jüdinnen als Assistenten hatte, der Abgott der jüdischen Kreise Wiens war. Jetzt werden die jüdischen Kreise Wiens nicht müde, ihn als den bedeutendsten Denker zu feiern. Wir verstehen das sehr wohl. Denn der Jude ist der geborene Ametaphysiker, er liebt in der Philosophie den Logizismus, den Mathematizismus, den Formalismus und Positivismus, also lauter Eigenschaften, die Schlick in höchstem Maße in sich vereinigte. Wir möchten aber doch daran erinnern, daß wir Christen in einem christlich-deutschen Staate leben, und daß wir zu bestimmen haben, welche Philosophie gut und passend ist. Die Juden sollen in ihrem Kulturinstitut ihren jüdischen Philosophen haben! Aber auf die philosophischen Lehrstühle der Wiener Universität im christlich-deutschen Österreich gehören christliche Philosophen! Man hat in letzter Zeit wiederholt erklärt, daß die friedliche Regelung der Judenfrage in Österreich im Interesse der Juden selbst gelegen sei, da sonst eine gewaltsame Lösung derselben unvermeidlich sei. Hoffentlich beschleunigt der schreckliche Mordfall an der Wiener Universität eine wirklich befriedigende Lösung der Judenfrage!

Schönere Zukunft, zugleich Ausgabe von: Das Neue Reich, Wien, XI. Jg., 12. 7./9. 8. 1936, Nr. 41, S. 1-2.


Dokument 3 

Professor Schlick

Ein Furchtbares, in der Geschichte der Universitäten Unerhörtes hat sich ereignet.

Am Montag, den 22. Juni, ist Professor Moritz Schlick, der bekannte Erkenntnistheoretiker, der seit 1922 an der Wiener Universität als einer der hervorragendsten Vertreter der Logistik wirkte, in der Wiener Universität von einem geisteskranken früheren Schüler Dr. Nelböck ermordet worden. Jeder, der den edlen, gütigen, liebenswürdigen Menschen kannte, der dieser furchtbaren Tat zum Opfer fiel, muß aufs tiefste erschüttert sein. Es ist besonders tragisch, daß gerade Professor Schlick, der wohl niemandem je Anlaß zu persönlicher Feindschaft gab, von einem, der sich vermeintlich von ihm verfolgt glaubte, ermordet wurde. Alle Mitglieder der philosophischen Fakultät werden ihm als besonders loyalen, menschenfreundlichen, sachlichen Kollegen innig nachtrauern. Seine philosophische Richtung war zwar nicht unsere. Er vertrat die logistische Richtung wie Scholz und Karnap, die ganz auf positivistischer-relativistischer Grundlage ruht. Aber diese sachlichen Meinungsverschiedenheiten können unseren tiefen Schmerz über den Verlust des verehrten, gerechten, gütigen Kollegen nicht vermindern. Rühmlich sei hervorgehoben, daß er sich durchaus zum neuen Oesterreich bekannte und die Unverträglichkeit des Nationalsozialismus mit wahrer Kultur und Sittlichkeit von Anfang an klar erkannte. Alle werden ihm ein liebevolles, herzliches Andenken bewahren. Requiescat in pace.


Gegen gemeine Verleumdung eines Toten

Die anonymen Auslassungen eines gewissen "Professor Dr. Austriacus" über den tragischen Tod von Prof. Dr. Schlick in der "Schöneren Zukunft" verdienen die allerschärfste Zurückweisung. Der Geist, der aus diesen Zeilen spricht, ist weder sachlich, noch logisch, noch anständig - geschweige denn katholisch. Jeder anständige Mensch muß aufs schärfste dagegen protestieren, daß der tragische Tod eines edlen, gütigen Gelehrten dazu benutzt wird, um gemeine antisemitische Propaganda zu treiben, die überdies völlig an den Haaren herbeigezogen ist, da Professor Schlick reiner Arier war. Wo kommt man hin, wenn man die Ermordung eines Vertreters einer wissenschaftlichen Richtung, die man für falsch hält, deshalb zu beschönigen und zu entschuldigen sucht! Ich brauche Herrn Austriacus, dem offenbar jede Kompetenz für eine sachliche Kritik der Schlickschen Philosophie abgeht, nicht zu versichern, daß ich auf einem völlig anderen philosophischen Boden stehe als der verehrte verstorbene Kollege. Aber sachliche Meinungsverschiedenheit auf philosophischem Gebiet entbindet uns nicht von gerechter Beurteilung einer Persönlichkeit und der tiefen Empörung über die furchtbare, frevelhafte Tat eines Mörders.

Der Verfasser scheint das Sprichwort "De mortuis nil nisi bene" so wenig zu kennen, daß er einen wehrlosen Toten fröhlich verleumdet, indem er behauptet, Professor Schlick sei in die "Vaterländische Front" eingetreten, um nicht abgebaut zu werden. Professor Schlick war das Gegenteil eines Konjunkturisten und ich wünschte nur, alle wären so aus innerer ehrlicher Überzeugung der Vaterländischen Front beigetreten, wie er. Den Höhepunkt erreicht die Verleumdung aber in der Behauptung, daß zwischen der Ermordung von Professor Schlick und dem Fall Berliner eine Analogie bestünde! Wenn der Verfasser nur ein Hundertstel von der edlen Menschlichkeit Professor Schlicks besäße, von seiner Toleranz und Gerechtigkeit, Güte und aufrechten Gesinnung, so könnte er zufrieden sein. Ich habe mich geschämt, daß jemand, der sich als Katholik bezeichnet, eine solche Gesinnung an den Tag legt. Diese Gesinnung ist von der katholischen Weltanschauung so weltenweit entfernt, daß ich Herrn "Austriacus" jede Befugnis abspreche, sich als Wortführer der katholischen Philosophie aufzuspielen. Daß ein führendes, katholisches Blatt solche Auslassungen aufnimmt, kann nicht genug bedauert werden. Gott schütze uns vor solchen Katholiken!

Dietrich v. Hildebrand, Universitätsprofessor

Der Elefant und die jüdische Frage

Die "Schönere Zukunft" widmet dem Andenken des von der Hand eines Geisteskranken erschossenen Universitätsprofessors Moritz Schlick einen mehr als sonderbaren Nachruf.

Auch wenn man, wie der Verfasser dieser Zeilen, ein abgesagter Gegner der Schlickschen Philosophie ist, wird man die Darstellung dieser Philosophie in einem Nachruf mehr als sonderbar finden. Der Verfasser des Nachrufes, der sich Prof. Dr. Austriacus nennt, also auch im Gewande des Pseudonyms auf den Doktortitel Wert legt, verwechselt den Physikalismus der Schlickschen Weltanschauung mit dem physikalischen Materialismus und läßt dadurch an der Berechtigung auch seines Professortitels schwere Zweifel aufkommen. Um so genauer kennt er sich in der Psychiatrie aus. Die bisher ausführlichste Berichterstattung über den Tatbestand, nämlich die in der "Reichspost", meldete die auf Jahre zurückgehende, erschütternde Verfolgung des Philosophen durch den zweifellos verfolgungswahnsinnigen Täter. Prof. Dr. Austriacus weiß jedoch, "manchen Anzeichen nach", daß der unglückliche Täter nicht von Anfang an geisteskrank war, sondern es erst unter dem Einfluß der Schlickschen Philosophie geworden ist. Diese "manchen Anzeichen" dürfte Prof. Dr. Austriacus an sich selbst beobachtet haben, da die Entstehung einer Geisteskrankheit gelegentlich philosophischer Vorlesungen zu entdecken ihm vorbehalten blieb.

Ebenso sollte Prof. Dr. Austriacus nach manchen Anzeichen an sich selbst forschen, die es seinem Geisteszustand ermöglichten, als Konsequenz der unglückseligen Tat eine radikale Lösung der Judenfrage zu fordern. Prof. Schlick war kein Jude. Prof. Dr. Austriacus weiß es nicht und behauptet es auch nicht. Aber der Vorname Moritz hat ihn beunruhigt und in seiner schriftstellerischen Tätigkeit sofort die manchen Anzeichen hervorgerufen, die von einem Kriminalfall über den Verfolgungswahn zum Antisemitismus überleiten.

Es gibt eine alte Anekdote. Den Vertretern verschiedener Nationen wurde einmal aufgetragen, eine Beschreibung des Elefanten zu liefern. Der Engländer kaufte sich einen Tropenhelm, ging nach Indien und brachte ein Buch mit: "Wie ich meinen ersten Elefanten schoß". Der Franzose begab sich in den zoologischen Garten, unterhielt sich mit dem Wärter und verfaßte eine Broschüre: "L'Eléphant et ses amours". Der Deutsche studierte die gesamte vorhandene Literatur und publizierte dann ein fünfbändiges Werk: "Einleitung in das Studium der Elephantologie". Der Pole aber, dessen Vaterland noch immer nicht verloren ist, schleuderte eine politische Flugschrift hinaus: "Der Elefant und die polnische Frage".

Prof. Dr. Austriacus bedarf weder einer Tropenexpedition noch einer Exkursion in Menagerien oder Bibliotheken. Er sitzt ruhig an seinem Schreibtisch in der Nußwaldgasse, und es mag welcher Elefant auch immer in der Welt herumtrampeln, Prof. Dr. Austriacus weiß ganz sicher, daß er mit der Judenfrage zusammenhängt. Er braucht zu seiner Tätigkeit weder Tropenhelme, noch Notizbücher, noch Bibliothekskataloge. Sein literarisches Werkzeug hat er auch nicht bei philosophischen Vorlesungen erworben, sondern auf die Welt mitgebracht: manche Anzeichen eines delirierenden Verfolgungswahnsinns.

Der Christliche Ständestaat, 28. 6./19. 7. 1936.


Dokument 4 

Gottlose Lehrer im Dollfuß-Österreich?

In den letzten Junitagen des heurigen Jahres krachten auf der Wiener Universität Schüsse. Ein Hochschüler streckte mit einigen Revolverschüssen seinen ehemaligen Lehrer, den ordentlichen Professor für Philosophie Dr. Moritz Schlick, nieder. In seiner Seele tief erschüttert und verzweifelt, wohl nicht zuletzt durch die destruktiven Lehren seines Meisters, hatte der 32jährige Dr. Nelböck diese unselige Tat begangen. Das Echo, das der Mordfall in Wiens Tagesblättern fand, war ungeheuer. Zeitungen, die seit wenigen Jahren erst, als der Wind von einer anderen Seite blies, ihr Herz ganz urplötzlich für ein christliches Österreich entdeckt hatten, behandelten in spaltenlangen Ausführungen das Mordereignis. Gewisse volksfremde Elemente, die die Redaktionsstuben so mancher Wiener Zeitungen übervölkern, vergaßen wohlweislich nicht, Professor Schlick als weltberühmte Größe unter Philosophen und Denker zu feiern. In der Verdammung des unseligen Mordes an den persönlich höchst liebenswürdigen Lehrer sind wir uns einig. Das bedarf wohl keiner Worte. Doch müssen auch wir vom Standpunkt unserer Weltanschauung einige Worte dazu sagen. Gerade jetzt, wo die Vielrederei geschäftiger Schwätzer um diesen Fall verstummt ist und wir die Mordtat in ihren Zusammenhängen sehen. Die Tore der Schule haben sich wiederum geöffnet. Sollen wir schweigen, wenn wir die Erziehung des Kostbarsten, was wir haben, der Jugend in Gefahr sehen?

Wer war Professor Schlick?

Wir stellen fest: Wir wollen hier nicht zu Gericht sitzen über einen Toten, den der ewige Gott schon vor seinen Richterstuhl gerufen hat. Gottes Gerechtigkeit und Gottes Barmherzigkeit müssen wir den Richtspruch über diesen Menschen überlassen. Doch die Tatsache: ein Atheist - Lehrer der Jugend im neuen Österreich, zwingt uns, eine Frage ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Und diese Frage lautet: Darf es möglich sein, daß im neuen Österreich, im Dollfuß-Österreich, unsere Jugend, die Zukunft Österreichs, gottlos erzogen wird? Dürfen Lehrer, deren Weltanschauung nackter Materialismus ist, weiterhin den Glauben unseren jungen Menschen entreißen? Heldenkanzler Dollfuß erklärte: "Wir wollen den christlichen Staat!" und gab für dieses sein heiliges Wollen sein Leben. Seine Nachfolger arbeiten mit Zähigkeit und Kraft, das Dollfuß-Programm zur Tat werden zu lassen. Arbeiter der Stirne und Faust sind und waren bereit, mit ihrem Herzblut für ein christliches Vaterland zu kämpfen - und Lehrer der Jugend dürfen es ungestraft wagen, das Fundament des Staates, die christliche Religion, in den Herzen junger Menschen zu vernichten, als sinnlose Spielerei von Halbnarren hinzustellen! Man verstehe uns nicht schlecht! Wir wollen keine Mucker sein! Wir wollen niemand unsere Meinung aufzwingen. Gewissensterror und Gesinnungsknechtung waren Kampfmittel der vergangenen roten Ära. Aber das verlangt das christliche Volk und die christlichen Eltern: "Österreichs Jugend, so weit sie dem christlichen Bekenntnisse angehört, muß im christlichen Geiste erzogen werden! Die Schulen des Staates müssen mithelfen, aufbauend, nicht zersetzend zu wirken."

Und die Freiheit der Wissenschaft? So meinen manche Überängstliche. Der Rembrandtdeutsche Julius Langbehn sagt: "Jede Wissenschaft, die von Gott abzieht, ist objektiv eine Lüge. Ja, Bildung ohne Gott ist Betrug!" Und wir fragen: Gibt es eine Freiheit der Lüge, dem Betruge gegenüber? Heißt das Freiheit, Lüge und Betrug in die Halme schießen zu lassen? Freiheit der Wissenschaft in Ehren! - aber schrankenlose, zügellose, zersetzende Freiheit, die die Grundlagen des Staates unterwühlt und untergräbt, ist keine Freiheit! Die moderne Wissenschaft nähert sich immer mehr und mehr der Ansicht des großen Chemikers Louis Pasteur: "Trotzdem ich soviel geforscht habe, konnte ich mir den Glauben eines bretonischen Bauern bewahren. Wenn ich noch viel mehr erforscht haben werde, könnte ich vielleicht noch einmal den Glauben einer bretonischen Bäuerin besitzen!" Weltanschauungen, die wissenschaftlich längst erledigt sind, haben nicht das Recht, weiterhin im neuen Österreich gelehrt zu werden!

Die Jugend ist des Staates Zukunft. Ihr gilt, ihr muß unsere besondere Sorge gelten! Die Kämpfe der Zeit erfordern ganze, glaubensstarke Österreicher. Sorgen wir, daß unsere Jugend vor dem Geiste der Gottlosigkeit bewahrt wird! Helfen wir mit, junge, christustreue Ostmarkdeutsche zu erziehen!

Sturm über Österreich, 27. 9. 1936.