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Von den Freihandelsabkommen zum EU-Beitritt 1972-1995

1. Dokument
Unterzeichnung der Freihandelsabkommen zwischen der EWG und EGKS einerseits und Österreich, Schweden, Schweiz, Finnland, Island und Portugal andererseits, sowie eines Interimsabkommens mit Österreich, 22.7.1972

2. Dokument
Gipfelkonferenz in Wien: Kommuniqué und 10-Punkte-Erklärung zur EFTA-Entwicklung (Mai 1977)

3. Dokument
Europa - unsere Zukunft. Stellungnahme der Vereinigung Österreichischer Industrieller, 15.5.1987

4. Dokument
Robert J. McCartney: "Neutral Austria Seeks Political, Economic Balance. In Weighing Decision to Join Economic Community," 22.7.1988

5. Dokument
Das österreichische Beitrittsgesuch an die EG, 17.7.1989

6. Dokument
Wortlaut der österreichischen Anträge um Aufnahme in die Europäischen Gemeinschaften vom 17.7.1989 [Schreiben Mock an Dumas]

7. Dokument
Stellungnahme der EG-Kommission zu den österreichischen Beitrittsansuchen bezüglich Transit und Neutralität, 31.7./1.8.1991

8. Dokument
BMA Dr. Alois Mock begrüßt die bevorstehende Unterzeichnung des Vertrages über die Europäische Union, 6.2.1992

9. Dokument
Information für den Herrn Bundesminister Österreichs EG-Beitritt; Perspektiven nach dem Europäischen Rat in Lissabon, 26./27.6.1992, 3.7.1992 von Stefan Lehne

10. Dokument
Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Gemeinschaft; Erklärung von Bundesminister Dr. Alois Mock, 1.2.1993

11. Dokument
Abschluß der Verhandlungen über den Beitritt von Schweden, Finnland und Österreich, 1.3.1994

12. Dokument
Erklärung anläßlich der Frühjahrssession der österreichischen Bischofskonferenz 22.-24.3.1994

13. Dokument
Die wichtigsten EU-Verhandlungsergebnisse". Aufzeichnung [März 1994]

14. Dokument
"Die aktive Mitgestaltungsmöglichkeit Österreichs in der EU", Konzept einer Rede von Bundesminister Dr. Alois Mock, 16.5.1994


Dokument 1

Unterzeichnung der Freihandelsabkommen zwischen der EWG und EGKS einerseits und Österreich, Schweden, Schweiz, Finnland, Island und Portugal andererseits, sowie eines Interimsabkommens mit Österreich, 22.7.1972

Am 22. Juli wurde laut Pressedienst der EG ein Freihandelsabkommen zwischen der EWG und der EGKS einerseits und Österreich, Schweden, Schweiz, Finnland, Island und Portugal andererseits im Egmont-Palais in Brüssel unterzeichnet und damit ein Freihandelsraum von 16 Staaten mit 300 Millionen Menschen und einem Gesamtvolumen von 140 Mrd. $ - die größte Handelsmacht der Welt - geschaffen. Die finnische Delegation konnte ihr Abkommen nur paraphieren und nicht unterzeichnen, da die Regierung gerade zurückgetreten war. Das mit der Schweiz abgeschlossene Abkommen findet auch im Fürstentum Liechtenstein Anwendung.
Das gesamte Vertragswerk besteht aus etwa 650 Seiten. Es waren 522 Unterschriften erforderlich. Jeder der einzelnen Vertragstexte mußte vom amtierenden Ratspräsidenten der EG, dem holländischen Außenminister Norbert Schmelzer, von zwei Funktionären der Kommission, sowie von Vertretern der derzeitigen sechs und der künftigen vier Mitglieder und schließlich der sechs EFTA-Staaten unterzeichnet werden.

1. Überblick über die Verhandlungen

Die Aufnahme der Verhandlungen beruhte auf dem Absatz 14 des Schlußcommuniqués der Gipfelkonferenz in Den Haag vom 2. Dezember 1969 [...], wonach Verhandlungen mit den anderen EFTA-Staaten, die diesen Wunsch äußern, über ihr Verhältnis zur EWG eingeleitet werden sollen sobald die Verhandlungen mit den beitrittswilligen Staaten eröffnet wurden. Alle EFTA-Staaten, die den Beitritt nicht beantragt haben, äußerten den Wunsch nach Aufnahme solcher Gespräche. Die Verhandlungsgrundsätze wurden auf der Eröffnungskonferenz mit den beitrittswilligen Staaten am 30. Juni 1970 festgelegt [...]. Es folgte die Konferenz mit den nichtbeitrittswilligen Staaten vom 10. November 1970, in welcher die betreffenden Staaten ihre Grundsatzerklärungen und der amtierende Präsident des Rates, Außenminister Walter Scheel, eine Eröffnungserklärung abgaben [...].
Die Verhandlungen wurden in zwei Phasen durchgeführt, zunächst eine Phase von Sondierungsgesprächen vom 16. Dezember 1970 bis 18. Januar 1971, sodann eine eingehende Gesprächsrunde vom 22. Februar bis 2. April 1971. Die Kommission konnte daraufhin einen vollständigen Bericht ausarbeiten, der dem Rat am 15. Juli 1971 zugeleitet wurde. Eine sodann folgende Einigung mit den beitrittswilligen Staaten über den allgemeinen Rahmen der Beitrittsakte und insbesondere über den Industrieteil bildete sodann die Voraussetzung für Lösungsvorschläge für die nichtbeitrittswilligen EFTA-Länder. Der Rat erteilte am 29. November 1971 der Kommission das Mandat zur Eröffnung der eigentlichen Verhandlungen [...].

2. Inhalt der Abkommen

Obwohl die Abkommen mit den einzelnen Ländern viel grundsätzlich Gemeinsames aufweisen, wurden 6 gesonderte Verträge jeweils mit jedem einzelnen Partner infolge der recht unterschiedlichen Wünsche ausgehandelt. Eine gemeinsame Basis mit allen beteiligten Ländern bildet der Freihandel für Industrieerzeugnisse verbunden mit Schutzmechanismen. Was den Agrarbereich betrifft, erklären sich die Partner bereit, unter Wahrung der jeweiligen Agrarpolitik dort, wo die Abkommen keine Sondervorschriften festlegen, die ausgewogene Entwicklung des Agrarhandels zu fördern. Bei Island und Portugal ist jedoch auch ein erheblicher Agrarteil einbezogen worden. Von Fall zu Fall konnten mit jedem der Länder entsprechend den besonderen Problemen Ergänzungen ausgehandelt werden. In allen Abkommen, außer dem Abkommen mit Finnland, ist ein Element der "Weiterentwicklung" enthalten, wonach ein Partner, wenn er im Interesse der Wirtschaften der beiden Partner die Weiterentwicklung der durch das Abkommen aufgenommenen Beziehungen durch ihre Ausdehnung auf nicht einbezogene Bereiche für zweckmäßig hält, dem anderen Partner einen mit Begründungen versehenen Antrag unterbreiten kann. Hiernach kann der Gemischte Ausschuß den Vertragsparteien entsprechende Empfehlungen unterbreiten. Die Abkommen beinhalten die Aufrechterhaltung der Zollbeseitigung zwischen den beitretenden und den nicht beitrittswilligen EFTA-Staaten sowie - im Anschluß an eine Übergangszeit - die Ausdehnung dieses Freihandels auf die Beziehungen zwischen den ursprünglichen Mitgliedstaaten der erweiterten Gemeinschaft und den nicht beitrittswilligen EFTA-Ländern. Der im letzteren Fall vorgesehene Zeitplan für den Zollabbau entspricht dem durch den Beitrittsvertrag zwischen der derzeitigen Gemeinschaft und den künftigen Mitgliedern vorgesehenen Zeitplan, nämlich einem Senkungssatz von jeweils 20% zu den Terminen: 1.4.1973, 1.1.1974, 1.1.1975, 1.1.1976 und 1.7.1977 (Für Portugal und Island sind längere Zeitpläne - bis 1.1.1980 - vorgesehen). Die Gemeinschaft konnte jedoch nicht für alle Industrieerzeugnisse den Abbau des Zollschutzes zum 1. Juli 1977 vorsehen, und für einige empfindliche Erzeugnisse wurde eine längere Übergangszeit festgelegt. Dies betrifft insbesondere den Papiersektor, für den eine Übergangszeit von 11 Jahren vorgesehen ist. Für die in den Abkommen aufgeführten empfindlichen Erzeugnisse wird ein System von Höchstgrenzen für die zollbegünstigte Einfuhr nach der Gemeinschaft festgelegt, um unvermittelten Entwicklungen, die das Gleichgewicht auf diesen in Schwierigkeiten befindlichen Sektoren stören könnten, vorzubeugen. Alle EFTA-Länder bringen auch ihrerseits für bestimmte Sektoren verlängerte Fristen für den Zollabbau zur Anwendung an. Die Abkommen legen die notwendigen Modalitäten fest, um einen ausgewogenen Freihandel für die Erzeugnisse mit Ursprung in den Drittländern sicherzustellen und eine einheitliche Behandlung der im Hinblick auf ihre Einbeziehung in den Freihandel herbeizuführen. Dies ist um so wichtiger, als diese Abkommen weder die Zollunion noch die Verpflichtung zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften vorsehen (außer bis zu einem gewissen Grade bei den Preisvorschriften des Montan-Vertrages - mit Ausnahme von Island und der Schweiz). Die Ursprungsregeln, die man in diesen Abkommen aufzunehmen hatte, sind denjenigen vergleichbar, die die Gemeinschaft in ihren derzeitigen Präferenzabkommen anwendet. Nach dem beschlossenen System gewähren die Ursprungsregeln, die für die erweiterte Gemeinschaft und die nicht beitrittswilligen EFTA-Länder identisch sind, aber auch für diese Länder untereinander, präferentiellen Zugang für die Erzeugnisse, die ihren Ursprung in der Gemeinschaft oder in einem der betroffenen Länder erworben haben und direkt oder nach Verarbeitung in einem oder mehreren dieser Länder oder in der Gemeinschaft eingeführt werden, auch wenn diese Verarbeitungen nicht ausreichend sind, um ihnen spezifisch den Ursprung des einen oder anderen Landes zu verleihen. Der Ursprung muß jedoch von vornherein durch eine ausreichende Verarbeitung auf bilateraler Ebene, d.h. im Rahmen der Übereinkunft zwischen der Gemeinschaft und einem ihrer Partner, erworben worden sein. Auf institutioneller Ebene beschränken sich die Abkommen darauf, in jedem einzelnen Fall einen Gemischten Ausschuß einzusetzen, der - ausgenommen in dringenden Fällen - in der Regel zweimal jährlich zusammentritt und die Verwaltung des Freihandels, insbesondere der Zollfragen und Ursprungsregeln, sowie die Prüfung der etwaigen Anträge zur Weiterentwicklung der Abkommen zur Aufgabe hat. [...]

4. Erklärung des Generalsekretärs der EFTA

Der Generalsekretär der EFTA Bengt RABEUS gab anläßlich der Unterzeichnung der Abkommen laut APA folgende Erklärung ab: "Die Unterzeichnung dieser Abkommen über besondere Beziehungen erfolgt genau sechs Monate nach der Unterzeichnung des Beitrittsvertrages zu den Gemeinschaften durch drei andere EFTA-Staaten. Wir begrüßen die Tatsache, nun innerhalb einiger Jahre den Freihandel mit Industrieerzeugnissen zwischen allen EFTA-Mitgliedstaaten und den Europäischen Gemeinschaften verwirklicht zu sehen. Der Freihandel wird auch landwirtschaftliche und Fischereiprodukte erfassen, die für einige unserer Mitgliedstaaten von großer Bedeutung sind. Darin liegt ein entscheidender Schritt zur Verwirklichung des grundlegenden Zieles der EFTA, der Beseitigung von Handelsschranken. Ich bin überzeugt, daß dieser Erfolg einer liberalen Handelspolitik auch einen echten Beitrag leisten wird zu einer späteren Ausweitung der Handelsfreiheit, die über die Grenzen von Westeuropa hinaus alle unsere Handelspartner umfassen wird.

5. Interimsabkommen und Sondervereinbarungen mit Österreich

Zwischen der EWG und Österreich wurde laut Wiener Zeitung ein sogenanntes Interimsabkommen abgeschlossen [...], das eine beiderseitige Zollsenkung um 30% für Industrieprodukte mit Ausnahme sensibler Erzeugnisse bereits ab 1. Oktober 1972 vorsieht, während die Zollsenkungen für die übrigen nicht beitrittswilligen EFTA-Staaten erst Anfang 1973 beginnen. Das Interimsabkommen mit Österreich stellt eine Art Treueprämie dar, da Österreich als einziges EFTA-Land sich seit dem Jahre 1961 ständig um ein Arrangement mit der EWG beworben hat. Das Interimsabkommen sieht auch eine Förderung des Austausches von Agrarprodukten vor. In einem Briefwechsel zum Freihandelsabkommen werden unter Bezugnahme auf Artikel 15 des EWG-Vertrages über die Förderung des Handels mit landwirtschaftlichen Produkten Maßnahmen vereinbart, die am 1. Februar 1973 in Kraft treten. Durch eine Änderung der Rindermarktordnung der EWG wird die Abschöpfung künftig auf Basis freier Marktpreise berechnet und damit für die österreichischen Schlachtrinderexporte erheblich gesenkt werden. Ferner wurde Österreich eine Zollsenkung für weibliche Nutzrinder der Höhenrassen von derzeit 6 auf 4% und eine Aufstockung des GATT-Kontingents für diese Gruppe von jetzt 20000 auf 30000 Stück zugestanden.

Quelle: Archiv der Gegenwart, Dokumentation aus Politik und Wirtschaft 1. Juli 1931 bis 31. Dezember 1996, CD-ROM hrsg. von Siegler & Co., Verlag für Zeitarchive GmbH, St. Augustin 1997, 22.7.1972, S. 17221.


Dokument 2

Gipfelkonferenz in Wien: Kommuniqué und 10-Punkte-Erklärung zur EFTA-Entwicklung (Mai 1977)

Am 13. Mai fand laut Wiener Zeitung eine Gipfelkonferenz der EFTA-Staaten auf Einladung des österreichischen Bundeskanzlers Dr. Bruno Kreisky und unter seinem Vorsitz statt [...].

In dem über die Konferenz ausgegebenen Communiqué heißt es: "In Anbetracht der am 1. Juli 1977 eintretenden Verwirklichung des Freihandels mit Industrieprodukten zwischen den Ländern der EFTA und der EG [...] erörterte die Konferenz die künftige Rolle der EFTA-Länder im Rahmen der europäischen sowie der weltweiten wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Konferenz pflegte einen Meinungsaustausch über die wirtschaftliche Lage innerhalb der EFTA und in der Welt. Sie brachte ihre Besorgnis über die gegenwärtige Wirtschaftslage in Europa zum Ausdruck. Die tiefgreifende Rezession und die langsame Erholung haben die Erreichung der Hauptziele der Wirtschaftspolitik erschwert. Die meisten Länder sehen sich ernsten Strukturproblemen gegenüber. Die Konferenz betonte, daß eine enge internationale Zusammenarbeit aller Beteiligten die Voraussetzung für die Erzielung wirtschaftlichen Wachstums mit Vollbeschäftigung, verbunden mit niedrigen Inflationsraten, ist. Die Konferenz stellte fest, daß sich das Londoner Gipfeltreffen mit denselben Problemen befaßt hatte [...]. Die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze bei fortgesetztem Bemühen um eine Verminderung der Inflationsrate wurde übereinstimmend als vordringliches Problem betrachtet. Die Konferenz stellte mit Befriedigung fest, daß am 1. Juli d. J. ein 300 Mill. Menschen umfassender Freihandelsmarkt für Industrieprodukte, bestehend aus den 16 Staaten der EFTA und der EG, verwirklicht wird. Die neue Lage unterstreiche die wachsende wirtschaftliche Interdependenz der gesamten Region. Dies erfordert eine verstärkte Zusammenarbeit innerhalb der EFTA, wobei die Organisation weitgehend auch als Rahmen für Konsultationen über eine Vielzahl wirtschaftlicher Fragen dienen soll. Die Konferenz betonte, daß die Weiterentwicklung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit der Gemeinschaft, unter Berücksichtigung der jeweiligen Freihandelsabkommen zwischen den EFTA-Ländern und der EG, wünschenswert sei, und führte eine Anzahl von Bereichen an, in denen eine engere Zusammenarbeit für alle Beteiligten vorteilhaft wäre. In diesem Zusammenhang drückte die Konferenz ihr Verständnis für das von Portugal gestellte Gesuch um Mitgliedschaft bei der EG aus [...] und bekräftigte ihre Unterstützung für die gegenwärtig von Portugal unternommenen Anstrengungen zur Überwindung seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten Anstrengungen, die zur Festigung der portugiesischen Demokratie beitragen. Der Wunsch, die übrigen marktwirtschaftlich orientierten Länder Europas in das Freihandelssystem einzubeziehen, wurde ebenfalls zum Ausdruck gebracht. Die Konferenz bestätigte die Bereitschaft der EFTA-Länder, sich an den Bemühungen zur Erreichung einer fruchtbaren, auf Gegenseitigkeit beruhenden Ausweitung des Handels mit den osteuropäischen Ländern zu beteiligen und dadurch die wirtschaftliche Zusammenarbeit in ganz Europa zu intensivieren. Die Konferenz bekräftigte erneut das Bekenntnis der EFTA-Regierungen zu einer liberalen Welthandelspolitik, ihre volle Unterstützung der multilateralen Handelsverhandlungen und der auf die Aufrechterhaltung eines offenen Handelssystems gerichteten Bemühungen der OECD. Sie betonte erneut ihren Willen, einen konstruktiven Beitrag zur verstärkten Teilnahme der Entwicklungsländer an der Weltwirtschaft zu leisten." Die Regierungschefs und Minister nahmen folgende 10-Punkte-Erklärung an:

"1. Die WIRTSCHAFTLICHE LAGE und die Rolle der EFTA-Länder im Rahmen der INTERNATIONALEN ZUSAMMENARBEIT: Es besteht ein dringendes und allgemeines Bedürfnis nach nationalen Maßnahmen und internationaler Zusammenarbeit zum Zwecke der Schaffung der für eine anhaltende Erholung des Wirtschaftswachstums erforderlichen Bedingungen. Die EFTA-Regierungen stellen anerkennend fest, daß bei der im Februar d. J. in Stockholm abgehaltenen Sondertagung des EFTA-Konsultationskomitees [...] Übereinstimmung darüber erzielt wurde, daß mit Vorrang die Rückkehr zu dauerhafter Vollbeschäftigung und gleichzeitig die Erreichung eines andauernden Wachstums sowie einer Preis- und Währungsstabilität zu betreiben ist. Die EFTA-Regierungen werden, im Einklang mit der Zielsetzung der Assoziation, weiterhin eine auf dieses Ziel gerichtete aktive Politik verfolgen. Die EFTA-Regierungen sind sich der Tatsache bewußt, daß ihre Volkswirtschaften besonders empfindlich auf weltweite Wirtschaftsprobleme reagieren. Der Anteil des Außenhandels an ihren Volkswirtschaften ist beträchtlich. Obgleich die EFTA-Länder zusammen nur 1% der Weltbevölkerung darstellen, entfallen auf sie 7% des gesamten Welthandels. Die EFTA-Länder spielen seit Jahren bei der Förderung des Freihandels und der Verfolgung einer aktiven Wirtschaftspolitik eine führende Rolle. Die EFTA-Regierungen begrüßen die Tatsache, daß die Staats- und Regierungschefs in der Downing-Street-Deklaration [...] besonderes Gewicht auf die dringende Notwendigkeit der Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze bei gleichzeitiger Inflationsbekämpfung gelegt haben. Sie teilen die Ansicht, daß die Inflation eine der Hauptursachen der Arbeitslosigkeit darstellt. Außerdem geben sie ihrer besonderen Besorgnis über das Problem der Jugendarbeitslosigkeit Ausdruck. Die EFTA-Regierungen bekräftigen ihre Bereitschaft zur Mitarbeit in den entsprechenden internationalen Organisationen zum Zwecke der Erreichung der zentralen Zielsetzungen der Wirtschaftspolitik und bekräftigen erneut die Unterstützung für die vom Ministerrat der OECD genehmigte Politik des anhaltenden Wirtschaftswachstums.

2. EIN 16 STAATEN UMFASSENDER EUROPÄISCHER MARKT: Ein weiterer Meilenstein auf dem Wege der europäischen Integration wird am 1. Juli d. J. erreicht, dem Tage, an dem ein Freihandelssystem für Industrieprodukte in Kraft tritt, das die 16 Staaten der EFTA und der EG umfaßt und damit einen Markt von 300 Mill. Menschen darstellt [...]. Die EFTA-Regierungen bringen ihre Befriedigung darüber zum Ausdruck, daß der Zollabbau in Westeuropa trotz der Rezession und ihren negativen Auswirkungen auf den Welthandel ohne Unterbrechung fortgesetzt wurde. Das wichtige Werk der Errichtung des Freihandels, das eine Herausforderung für die betroffenen Volkswirtschaften bedeutet, hat sich als lebensfähig erwiesen und bringt den beteiligten Staaten wesentliche Vorteile. Darüber hinaus sind die dynamischen Wirkungen, die sich aus dem erhöhten Wohlstand der Länder Westeuropas ergeben, auch für alle anderen handeltreibenden Nationen von Vorteil.

3. Die VERSTÄRKUNG DER ZUSAMMENARBEIT innerhalb der EFTA: Wie in den vergangenen 17 Jahren ihres Bestehens wird die EFTA auch in Zukunft eine bedeutende Funktion zu erfüllen haben. Sie wird auch weiterhin ein nützliches und flexibles Instrument für die teilnehmenden Regierungen in der Verfolgung ihrer Ziele hinsichtlich des europäischen Freihandels und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit darstellen. In Übereinstimmung mit der Stockholmer Konvention und im Einklang mit ihrer offenen Haltung bekräftigen die EFTA-Regierungen erneut ihr Bekenntnis zum Konzept des Freihandels und dessen Festigung sowie zur weiteren Intensivierung der Zusammenarbeit im Handelsbereich. Die EFTA-Regierungen sind entschlossen, die Rolle der Organisationen auch als Rahmen für Konsultationen über Angelegenheiten von gemeinsamem wirtschaftlichen Interesse im Zusammenhang mit den Zielsetzungen der Assoziation zu verstärken. Sie werden sie als Forum für die gemeinsame Behandlung umfassender europäischer und weltweiter Wirtschaftsprobleme nützen, um einen konstruktiven Beitrag zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit in den internationalen Gremien zu leisten.

4. Der AUSBAU DER HANDELS- UND WIRTSCHAFTSZUSAMMENARBEIT mit der EG: Die Freihandelsbeziehungen in Westeuropa haben zu einer verstärkten wechselseitigen Beeinflussung der Volkswirtschaften der betroffenen Länder geführt. Es ist daher wichtig, zu gewährleisten, daß die aus dem Freihandel resultierenden Vorteile nicht auf Grund divergierender wirtschaftlicher Entwicklungen und Maßnahmen gefährdet werden. Die EFTA-Regierungen sind davon überzeugt, daß es wünschenswert wäre, die bestehende Zusammenarbeit innerhalb der EFTA und - mit unterschiedlicher Intensität - zwischen den EFTA-Ländern und der EG mittels eines verstärkten Informationsaustausches, engerer Konsultationen über wirtschaftliche Fragen und - wo erforderlich - durch koordinierte Anstrengungen zu entwickeln, um den Freihandel zu sichern und die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse zu verbessern. Möglichkeiten und Methoden zur Ausweitung der Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten sollten daher untersucht werden, wie etwa der Stimulierung eines beständigen Wirtschaftswachstums, der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Inflation, der Förderung der Währungsstabilität und der Ausarbeitung übereinstimmender rechtlicher Normen in Fragen von gemeinsamem wirtschaftlichen Interesse. Gemeinsame Vorteile könnten sich auch aus der Vereinfachung und Verbesserung der Ursprungsregeln und Zollverfahren ergeben. Die EFTA-Regierungen stellen ferner fest, daß der unbehinderte Zugang zu den Versorgungsquellen für das reibungslose Funktionieren des Freihandelssystems ebenso wichtig ist wie die Öffnung der Märkte. Hinsichtlich landwirtschaftlicher Verarbeitungsprodukte sollte geprüft werden, ob eine größere Anzahl von Produkten in den Freihandel einbezogen werden kann. Unter Berücksichtigung der Agrarpolitik der einzelnen Länder ist es auch wünschenswert, die harmonische Entwicklung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen durch die Suche nach geeigneten Losungen für bestehende Schwierigkeiten zu fördern. Der besonderen Bedeutung des Handels mit Fischen und Fischereiprodukten für bestimmte EFTA-Länder sollte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Andere Bereiche, in denen eine umfassendere wirtschaftliche Zusammenarbeit von Interesse ist, sind u.a. Verkehrspolitik, Forschung und Umweltschutz. In diesem Zusammenhang sollten die Kontakte zwischen den Freihandelspartnern auf pragmatischer und praktischer Basis intensiviert werden. Hierbei wird festgestellt, daß das Abkommen zwischen Finnland und der EG keine Evolutivklausel enthält und daß Finnland beabsichtigt, seine Beziehungen zur EG im Rahmen der Zielsetzungen des genannten Abkommens auszuweiten.

5. PORTUGAL: Der Antrag Portugals auf Beitritt zu der EG, der Ende März 1977 überreicht wurde [...], wird von den EFTA-Regierungen mit Verständnis und Wohlwollen betrachtet. Sie stellen fest, daß dieser Schritt mit dem innerhalb der EFTA verwirklichten Freihandel und der Aufrechterhaltung der engen Beziehungen und der Zusammenarbeit mit allen EFTA-Ländern im Einklang steht. Die EFTA-Regierungen sind sich der Tatsache bewußt, daß ihre Unterstützung der Anstrengungen Portugals zur Überwindung seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten von großer Bedeutung ist und zur Konsolidierung der demokratischen Institutionen Portugals beiträgt.

6. AUSWEITUNG DES FREIHANDELSSYSTEMS auf andere europäische Marktwirtschaftsländer: Die EFTA-Regierungen begrüßen die Anstrengungen, die unternommen werden, um das westeuropäische Freihandelssystem abzurunden. Sie erklären ihre Bereitschaft, zu diesen Anstrengungen durch den Abschluß entsprechender Abkommen mit jenen marktwirtschaftlich orientierten Ländern beizutragen, die noch nicht voll am Freihandel teilnehmen, mit den Bestimmungen des GATT im Einklang stehende Freihandelsabkommen für jene Länder, welche sich um die Mitgliedschaft der EG bemühen, in harmonischer Weise vorzubereiten. Zu diesem Zweck würde die Liberalisierung des Handels mit Industriewaren in dem Ausmaß, in dem dies bereits im Handelsverkehr zwischen der Gemeinschaft und den betroffenen Ländern besteht, einen nützlichen ersten Schritt darstellen.

7. Die WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN zu JUGOSLAWIEN: Die EFTA-Regierungen vermerken mit Befriedigung den Wunsch der jugoslawischen Regierung, die Wirtschaftsbeziehungen zur EFTA enger als bisher zu gestalten. Sie begrüßen diesen Schritt und bekräftigen ihre Bereitschaft, Mittel und Wege zur Verstärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Jugoslawien zu suchen.

8. Der Handel und die WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN zwischen OST und WEST: Alle EFTA-Regierungen haben in Helsinki die Schlußakte der KSZE unterzeichnet [...]. Sie bekräftigen ihre Bereitwilligkeit, diese durch unilaterale, bilaterale und multilaterale Maßnahmen zu erfüllen. Unter Berücksichtigung dieser Möglichkeiten bestätigen sie erneut ihre Bereitschaft, sich an Anstrengungen zu beteiligen, die zu einer fruchtbringenden Ausweitung des Handels und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage der Gegenseitigkeit führen; dies würde die Zusammenarbeit in ganz Europa festigen. Die für die Zusammenarbeit zur Verfügung stehenden internationalen Gremien sollten voll und ganz genutzt werden, insbesondere die Wirtschaftskommission für Europa (=ECE der UN), die eine immer bedeutendere Rolle bei der Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa und auch bei einer erweiterten Zusammenarbeit in Umweltfragen spielt. Fortschritte im Ost-West-Handel könnten auch bei den multilateralen Handelsverhandlungen im Rahmen des GATT erzielt werden.

9. Die Zusammenarbeit im Bereiche der ENTWICKLUNG und die Verbesserung der NORD-SÜD-BEZIEHUNGEN: Die EFTA-Regierungen begrüßen den in der Downing-Street-Erklärung gegebenen Anstoß und bestätigen ihre eigene Entschlossenheit, ihre wirtschaftlichen Beziehungen mit den Entwicklungsländern zu fördern und die diesbezüglichen praktischen Bemühungen der UNCTAD, des GATT und anderer internationaler Gremien zu unterstützen. Die EFTA-Regierungen bringen insbesondere die Hoffnung zum Ausdruck, daß die Pariser Konferenz für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit [...] zu einem wesentlichen Fortschritt der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit führen wird, wodurch eine stärkere Beteiligung der Entwicklungsländer an der Weltwirtschaft, unter Berücksichtigung der Interessen der am wenigsten entwickelten Länder, gesichert würde. Die EFTA-Länder versprechen, alle konstruktiven Bemühungen voll zu unterstützen, welche der Erreichung einer auf Partnerschaft und Gerechtigkeit gegründeten Weltwirtschaftsordnung dienen und die weltweite Verflechtung der Wirtschaftsbeziehungen widerspiegeln.

10. Das BEKENNTNIS der EFTA-Länder ZU EINER LIBERALEN WELTHANDELSPOLITIK: Die regionale wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa findet ihre Ergänzung in einer weltweiten wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Die EFTA-Regierungen bekräftigen erneut ihr Bekenntnis zu einer liberalen Welthandelspolitik. Sie werden jede Anstrengung zur Herbeiführung eines raschen und erfolgreichen Abschlusses der multilateralen Handelsverhandlungen im Rahmen des GATT unterstützen. Sie streben daher die Erzielung konkreter Ergebnisse in den wichtigsten Verhandlungsbereichen an und werden die speziellen Belange der Entwicklungsländer berücksichtigen. Die Konferenz lehnt Protektionismus als Lösung wirtschaftlicher Probleme in der Überzeugung ab, daß er schädlich wäre und dem angestrebten Ziel zuwiderlaufende Wirkungen hätte; sie mißt der Verlängerung der handelspolitischen Stillhalteerklärung der OECD (Trade Pledge) große Bedeutung bei."

Quelle: Archiv der Gegenwart, 13.5.1977, S. 20990.


Dokument 3

Europa - unsere Zukunft. Stellungnahme der Vereinigung Österreichischer Industrieller, 15.5.1987

[...] Angesichts der besonderen Priorität des Themas "Europäische Integration" im Rahmen der Tätigkeit der VÖI hat das Präsidium zu Beginn des Jahres 1986 eine eigene Arbeitsgruppe EUROPA als Untergruppe des Ausschusses für Probleme des Außenhandels eingesetzt, die vom Vorsitzenden des genannten Ausschusses geleitet wurde. Das Mandat der Arbeitsgruppe EUROPA umfaßte die Beurteilung aller mit der europäischen Integration zusammenhängenden Fragen sowie die Vorbereitung von Stellungnahmen zu Themen der europäischen Integration durch den Außenhandelsausschuß und die Leitungsgremien der VÖI. Im Verlauf der Arbeiten der Arbeitsgruppe EUROPA wurde eine Analyse des Standes der Beziehungen Österreichs zu den EG vorgenommen.

5. Schlußfolgerungen und Aktionen

5.1. Zusammenfassende Feststellungen

Aus den bisherigen Ausführungen ergeben sich folgende Feststellungen:

5.1.1. Die Aufrechterhaltung und Vervollkommnung des dynamischen europäischen Wirtschaftsraumes und die volle Teilnahme Österreichs daran ist für die österreichische Industrie wirtschaftlich von lebenswichtiger Bedeutung.

5.1.2. Darüber hinaus entscheidet das Ergebnis der Integrationspolitik darüber, ob Österreich politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich weiterhin dem freien Westen zugehören wird oder Gefahr läuft, in den Kollektivismus östlicher Prägung abzudriften.

5.1.3. Österreich als souveräner Staat muß seine Wirtschaftspolitik weiterhin selbst - im Rahmen der internationalen Gegebenheiten - mitgestalten und mitbestimmen können. Der "autonome Nachvollzug" von Entscheidungen, an deren Zustandekommen Österreich keinen Anteil hatte, kann wohl in Einzelfällen, nicht aber generell zielführend sein.

5.1.4. Die Vorstellung, wonach zwischen Österreich und den EG eine Vielzahl von Einzelverträgen geschlossen werden können, die letzten Endes die volle Teilnahme am Inhalt der EG-Aktivitäten bringt, erscheint unrealistisch.

5.1.5. Dies gilt auch für den sog. "global approach", mit dem Österreich die Teilnahme am gesamten Binnenmarktkonzept anstrebt, wobei jedoch die Verhandlungen wieder sektoriell bzw. punktuell zu erfolgen hätten.

5.1.6. Darüber hinaus fehlt einem solchen Konzept der "kleinen Schritte" der Charakter der Herausforderung und Konzentration der Kräfte auf ein großes Ziel, der durch ein globales Verhandlungskonzept zweifellos gegeben wäre.

5.1.7. Österreich bedarf aber, um auf den Weltmärkten des Jahres 2000 bestehen zu können, einer solchen neuen Herausforderung, die kreative Kräfte freisetzt und einen "Quantensprung" in Richtung Innovation, Strukturbereinigung und Produktivitätssteigerung auslöst.

5.1.8. Die industriellen Unternehmen benötigen für ihre mittelfristige Planung klare Vorstellungen über die voraussichtliche Entwicklung, zumindest der nächsten 5 Jahre. So ist es etwa für die unternehmerische strategische Planung von eminenter Wichtigkeit zu wissen, ob und in welchem Ausmaß Österreich 1992 in den EG-Binnenmarkt eingebunden sein wird.

5.1.9. Hiezu genügt es jedoch nicht, daß allgemeine Ziele, wie "volle Teilnahme am Binnenmarkt" formuliert werden; es müssen vielmehr auch operationelle Konzepte ausgearbeitet werden, die die Realisierung der Zielvorstellungen gewährleisten.

5.1.10. Die Teilnahme am europäischen Wirtschaftsraum bietet Österreich überwältigende Chancen und Möglichkeiten. Allerdings werden sich für Teile der österreichischen Wirtschaft auch z.T. existenzbedrohende Gefährdungen ergeben. Dies wird insbesondere für Teile des derzeit durch Monopole, Subventionen und sonstige Mechanismen vom internationalen Wettbewerb abgeschirmten geschützten Sektors gelten.

5.1.11. Die These, wonach bestimmte dieser Sektoren bei einer Eingliederung in die EG von vornherein zum Untergang verurteilt wären, kann nicht akzeptiert werden. Wie die bisherige Geschichte des Abbaus des Protektionismus (Liberalisierung, Zollsenkungen, EFTA-Vertrag, Freihandelsabkommen) gezeigt hat, setzt eine Liberalisierung in gefährdet erscheinenden Sektoren kreative Kräfte frei, die zu Umstrukturierung und steigender Wettbewerbsfähigkeit führen. Jedenfalls können aus volkswirtschaftlichen Erwägungen absolut nicht lebensfähige Unternehmen - ganz unabhängig von allen Integrationsüberlegungen nicht auf die Dauer durch protektionistische Maßnahmen am Leben erhalten werden.

5.1.12. Bei der Abwägung der Vor- und Nachteile einer Eingliederung Österreichs in einen europäischen Wirtschaftsraum werden gesamtwirtschaftliche Beurteilungen anzustellen sein. Diese Beurteilung darf aber nicht unter statischen Gesichtspunkten erfolgen, sondern muß der Dynamik eines solchen Wirtschaftsraumes Rechnung tragen.

5.1.13. Ebenso sollten budgetäre Erwägungen oder die Frage, ob Österreich letztlich Nettozahler an das oder Nettoempfänger von Leistungen aus dem EG-Budget sein wird, nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein.

5.1.14. Die Dynamisierung der Beziehungen zu den EG steht daher in mehrfacher Hinsicht unter erheblichem Zeitdruck:

Je später Österreich Vereinbarungen mit den EG trifft, desto weiter ist der EG-interne Integrationsprozeß fortgeschritten und desto schwieriger wird es, auf den immer schneller fahrenden Zug "aufzuspringen".

Der Umfang der in den EG bereits einheitlich geregelten Materien wird immer größer. Je später Österreich Vereinbarung mit den EG schließt, desto mehr sekundäres EG-Recht muß übernommen werden.

Je früher Österreich Sitz und Stimme in den Entscheidungsorganen der EG hat, desto eher kann es den zukünftigen Weg der EG mitbestimmen und Entwicklungen entgegensteuern, die den politischen und wirtschaftlichen Interessen unseres Landes entgegenlaufen könnten.

Die österreichischen Unternehmen brauchen - wie bereits erwähnt - klare und eindeutige Grundlagen für ihre unternehmerischen Planungen und Entscheidungen.

5.1.15. Es wäre daher eine verfehlte Politik, weiter zuzuwarten, um zu sehen, "wie sich die EG weiterentwickelt." Man muß vielmehr von der Annahme ausgehen, daß der Integrationsprozeß innerhalb der EG ein irreversibler ist und - trotz aller auch in Zukunft möglichen Verzögerungen und Rückschläge - letztlich zu einem europäischen Wirtschaftsraum ohne Binnengrenzen führen wird.

5.1.16. In dem Maße, in dem sich Österreich durch eine Teilnahme am europäischen Wirtschaftsraum, der ihm vielfältige Chancen eröffnet, auch dem Wettbewerb in diesem großen Markt aussetzt, müssen jene Kostennachteile - vor allem im Verwaltungs-, Steuer- und Gebührenbereich die Österreich gegenwärtig im Vergleich zu seinen Mitbewerbern belasten, abgebaut werden.

5.1.17. Parallel zu und bis zu einem gewissen Grad unabhängig von allen Integrationsüberlegungen muß Österreich alles tun, um seine Wirtschaft "europareif" zu machen. Wobei unter Europareife die volle Wettbewerbsfähigkeit auf den ungeschützten anspruchsvollen Märkten des Westens (EG, EFTA, USA, Japan) zu verstehen ist.

5.1.18. Die Vorbereitung zur Europareife beginnt bereits bei einer Mentalität, die Begriffe wie Internationalisierung, großer Wirtschaftsraum, Freizügigkeit, Wettbewerb, Mobilität, Flexibilität, Europa positiv bewertet.

5.1.19. Dem Schulsystem bis hinauf zu den Universitäten kommt bei der Schaffung dieser Mentalität eine besonders wichtige Rolle zu. Die Ausbildung von heute entscheidet darüber, ob wir in 20 Jahren wettbewerbsfähig sein werden oder nicht.

5.1.20. "Europa" muß für die Jugend von heute wieder eine Vision darstellen, an deren Verwirklichung mitzuarbeiten es sich lohnt.

Quelle: Gerhard Kunnert, Spurensicherung auf dem österreichischen Weg nach Brüssel (Schriftenreihe Europa des Bundeskanzleramts), Wien 1992, S. 489-491.


Dokument 4

Robert J. McCartney: "Neutral Austria Seeks Political, Economic Balance. In Weighing Decision to Join Economic Community," 22.7.1988

Vienna - With Western Europe moving confidently toward a united economy, Austria finds itself facing a tough decision.
Will it cling to its 33-year-old-status of "permanent neutrality", poised strategically between east and west?
Or will it risk jeopardizing its status and its relations with the Soviet bloc by joining the other capitalist nations of the 12-nation Economic Community, the Common Market?
Austria's business and banking leaders, worried about being shut out of the increasingly integrated markets of western Europe, are actively pushing the government to apply for membership.
Austria's political establishment also favors entry, largely because it views EC membership as a way of ensuring that Austria modernizes its economy and remains in the mainstream of European society. Chancellor Franz Vranitzky has committed the government to decide next year whether to apply, and most Austrian and foreign observers expect Vienna to do so.
But the Soviet Union has said that Austria would violate its neutrality if it joined the EC, and the EC itself is worried that the neutrality issue could be a constant irritant if Austria became a member.
The EC, founded in 1957 as a trading bloc, has gradually evolved into a more poltically oriented institution. EC foreign ministers meet regularly to trash out EC positions on noneconomic, foreign issues and they adopt pro-western positions.
Eleven of the EC's 12 members also belong to the North Atlantic Treaty Organization; the West's principal military alliance. Among EC members, only Ireland is neutral. The Soviet Foreign Ministry said in May that Austria entry in the EC would "contradict" the nation's neutral status. The ministry said that the EC was becoming a "political and military-political organization".
The Austrian government, which rejected the Soviet statement, said that Austria alone is the judge of its neutrality.
But the Soviet view carries special weight in Austria. Moscow signed the May 1955 State Treaty that ended 10 years of allied military occupation after World War II and reestablished Austrian sovereignty. Austria also is sensitive to Moscow's wishes because its borders Warsaw Pact members Hungary and Czechoslovakia. Five months later, the Austrian parliament proclaimed the nation's "permanent neutrality."
Austrian officials acknowledge that their government's neutral status would have made it difficult, if not impossible, for Austria to endorse sanctions adopted by the EC in the past decade against the Soviet Union for invading Afghanistan and for the imposition of martial law in Poland; against Argentina during the Falkland Islands War between Argentina and EC member Britain; and against Syria for supporting terrorists.
"The neutrality issue is really the crux of the matter", a senior Austrian official said. "The question is, can we get an agreement [with the EC] that our neutrality is respected and does not become a day-to-day issue?" the official said.
THe initial response from the EC has been cautious, to the point of coolness. "We're not looking for additional members", an official of the EC Commission, or executive body, said in Brussels when asked of Austria's interest.
Austria, and other countries that are interested in joining, "have to decide if they want to play by the Community's rules", the official said.
Even in West Germany, which is Austria's biggest trading partner and its closest friend in the EC, senior officials have said that they are unwilling to make significant changes in EC procedures to accommodate Austrian neutrality.
Austria considered applying to join the EC in the late 1960s but the EC was wary then because of the neutrality issue. Austrian interest is soaring now, largely because of the EC's own program to eliminate all economic barriers within the 12-nation-bloc by the end of 1992.
The 1992 program, which is designed to create the world's largest single market, also has revived interest in possible EC membership in three other neutral, European countries with western style economies: Sweden, Finland and Switzerland.
"It is clear that the private sectors of all these countries are saying, there's this enormous market opening on our doorstep, and how can we get in," an EC official said.
In Austria, a recent survey found that the nation's nonmembership in the EC was the reason cited most frequently by foreign companies that chose not to invest in Austria after having considered doing so.
The conservative Austrian People's Party voted in January to support EC membership. The People's Party is one of Austria's two largest parties, and belongs to the ruling "Grand Coalition" with the other major party, the Socialists.
The Socialists, led by Vranitzky, have been more cautious about the EC. They have pointed out that membership would bring severe competition for many small and medium-size companies, and could drive up to 40 percent of Austrian farmers out of business.
The government could seek to rewrite existing agreements with the EC to improve Austria's access to EC markets, but Vranitzky is known to be leaning strongly towards seeking full membership.
The Austrian Labor Union Federation, which is closely linked to the Socialists, decided at a special congress earlier this month that it could support EC-membership providing that the nation's neutrality were guaranteed and that Austria maintained ist current standards of environmental protection and of social welfare policies.
The United States, which was one of the four nations to sign the 1955 State Treaty, supports Austria's view that it alone defines its own neutral status.
The U.S. government is known to believe that Austrian membership in the EC would strengthen the western alliance and therefore be in U.S. interests. But the United States also wants to avoid a major confrontation with the Soviets over the issue.
The State Treaty, also signed by Britain and France, bars Austria from having foreign military bases on its territory, and from joining a military alliance such as NATO.
The treaty does not specifically commit Austria to a neutral foreign policy. Austria's parliament made that commitment, and, in theory, it could interpret it any way it chooses.
But should the Soviets wish to press the issue further, they could cite a bilateral, Austrian-Soviet document called the Moscow Memorandum, which was signed in 1955 shortly before the State Treaty.
In that document, Austria is committed to pursue a neutral policy similar to Switzerland's. Austrian officials says it is unclear whether Austrian membership in the EC could be interpreted as violating the Moscow document.

Quelle: The Washington Post, 22.7.1988.


Dokument 5

Das österreichische Beitrittsgesuch an die EG, 17.7.1989

Am 17. Juli stellte Österreich formell den Antrag, in die Europäischen Gemeinschaften (EWG, Montanunion, Euratom) aufgenommen zu werden [...]. Im Vorfeld dieses Beitrittsgesuchs ereignete sich folgendes:

1. Beratungen und Entscheidung in Österreich

Am 26. Juni einigten sich Bundeskanzler Franz VRANITZKY und Vizekanzler Josef RIEGLER über den Antrag auf Beitritt zur EG und unterzeichneten eine "Parteienvereinbarung zwischen SPÖ und ÖVP zur weiteren Vorgangsweise in der Integrationspolitik." Darin beschlossen sie die Einsetzung einer Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Bundeskanzlers, in der das Vorgehen in Integrationsfragen koordiniert werden soll. Daneben wurde die Einsetzung eines Rates für Integration (EG-Rat) vereinbart, in dessen Beratungen neben den parlamentarischen Parteien auch Vertreter der Länder, Gemeinden und Sozialpartner eingebunden werden sollen. Die Parteienvereinbarung ist nach übereinstimmender Meinung der beiden Politiker die inhaltliche Grundlage für die künftigen Vereinbarungen über einen EG-Beitritt. Neben Kapiteln zur Regelung der Verfahrensfragen, der Koordination und Verhandlungsführung enthält das achtzehnseitige Papier acht Kapitel zu Sachfragen und betont vor allem das Festhalten an der immerwährenden Neutralität. Nach den Worten VRANITZKYs wird mit dieser Parteienvereinbarung von österreichischer Seite der Weg für Verhandlungen freigegeben, wobei dieses Übereinkommen innenpolitisch eines der wesentlichen Elemente der Annäherung an die EG darstelle. VRANITZKY sieht darin auch einen Vorteil für den Außenminister, dem bei einer solchen Vorgehensweise innenpolitisch der Rücken gestärkt werde. Er unterstrich, daß mit dieser Parteienvereinbarung und dem Grundkonsens über den Beitrittsantrag der EG-Zeitplan eingehalten werden konnte. Die eigentliche Entscheidung über den EG-Beitritt könne aber erst nach Vorliegen des Verhandlungsergebnisses fallen, wobei in dieser Vereinbarung eine Volksabstimmung verankert ist. RIEGLER sprach von einem für Österreich guten Ergebnis und unterstrich den großen Stellenwert, den diese Entscheidung für die Position Österreichs im Europa der Zukunft habe.

Laut ihrer Vereinbarung wollen SPÖ und ÖVP damit "ein gemeinsames Vorgehen in den Angelegenheiten der Integrationspolitik auf allen Ebenen" sicherstellen. "Mit dieser Vereinbarung soll die Vorrangigkeit der Integrationspolitik zum Ausdruck gebracht werden." Sie "verpflichtet die bei den Parteien über die Dauer der laufenden Legislaturperiode hinaus": Sie gilt vom jetzigen Zeitpunkt an bis zum Ende des Verhandlungsprozesses mit den Europäischen Gemeinschaften. "Zentral ist für beide Parteien" die Bedeutung der immerwährenden Neutralität Österreichs als ein lebendiger politischer Beitrag unseres Landes für Sicherheit, Stabilität und Zusammenarbeit in Europa. Für Österreich ist die Wahrung seiner immer währenden Neutralität auch im Falle einer EG-Mitgliedschaft unabdingbar und muß daher in den Verhandlungen mit den Europäischen Gemeinschaften völkerrechtlich entsprechend abgesichert werden. Völkerrechtliche Vereinbarungen, die Österreich im Zusammenhang mit seiner Mitgliedschaft bei den Europäischen Gemeinschaften eingeht, dürfen Österreich an der vollen Erfüllung der ihm aus dem Status der Neutralität erfließenden Verpflichtungen nicht behindern. Der notwendige politische Handlungsspielraum muß gewahrt werden, damit Österreich als Mitglied der Europäischen Gemeinschaften seine auch im gesamteuropäischen Interesse liegende Neutralitätspolitik fortsetzen kann." In den sachpolitischen Leitlinien verpflichten sich die Parteien, "dafür zu sorgen, daß die Integrationsziele auf allen Ebenen umgesetzt werden" können. "Sie anerkennen auch die Notwendigkeit, daß daher rechtzeitig, vorausschauend und langfristig ein Anpassungsprozeß in Österreich erfolgen muß, damit Härten vermieden und die sich ergebenden Chancen auch genützt werden können." Besonders wird betont, daß die Integration für Österreich keine wirtschaftlichen Nachteile bringen dürfe. "Konkrete Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft müssen nach Ansicht beider Parteien vor einem Beitritt Österreichs zu den Europäischen Gemeinschaften erfolgen." Besonders auch messen sie "der Sicherung sozialer Grundrechte im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Binnenmarktes erhebliche Bedeutung bei. "Daneben sind noch strukturelle Maßnahmen zur Anpassung der Land- und Forstwirtschaft an den EG-Agrarmarkt angesprochen. Weiter wird die "Lösung des Transitproblems" durch eine Entlastung der Straßen als "eines der vordringlichen Ziele der Verkehrspolitik angesehen". Dann erklären beide Parteien "ihre Absicht, weiteren Fortschritten in der Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken." Sie "bekennen sich zu dem hohen Niveau des Umweltschutzes in Österreich und werden Vorsorge treffen, daß dieses auch künftig substantiell erhalten und weiterentwickelt bzw. an teilweise höhere Standards in den EG sukzessive angepaßt wird." Auf diesem Feld möchten beide Parteien darüber hinaus dafür sorgen, daß "Österreich im Rahmen der durch die EG gebotenen Möglichkeiten auf die Umweltpolitik der Mitgliedstaaten einwirkt und damit anspruchsvollere umweltpolitische Ziele auf internationaler Ebene durchsetzt." Schließlich werden noch regionalpolitische Strukturmaßnahmen angesprochen und der Wille bekräftigt, im Bereich von Wissenschaft, Forschung, Technologie und Bildung künftig verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, da Österreich "gegenüber den meisten seiner europäischen Mitbewerber einen Rückstand in seinen Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen" habe.

Neben dieser Parteienvereinbarung einigten sich die Mitglieder des Außenpolitischen Ausschusses des Nationalrats über die weitere Vorgehensweise in der parlamentarischen Behandlung der EG-Frage. SPÖ, ÖVP und FPÖ nahmen einen zwölf Punkte umfassenden Entschließungsantrag an, in dem die Grundvoraussetzungen für einen möglichen EG-Beitritt umrissen werden, wie Verankerung der Neutralität, Neutralitätsrecht und -politik, soziale Absicherung, und des demokratischen Prinzips, die Regelung des Transitverkehrs, die Haltung gegenüber der EFTA sowie die Pflicht der Regierung, dem Nationalrat umfassend zu berichten. In der Umweltpolitik sei bei den Verhandlungen mit der EG darauf zu achten, daß eine Mitgliedschaft nicht zu einer Verschlechterung der umweltpolitischen Standards in Österreich führe. Vielmehr solle Österreich gemeinsam mit den umweltpolitisch fortschrittlichen Ländern innerhalb der Gemeinschaft in Richtung einer grenz-überschreitend wirksamen und intensivierten Umweltschutzpolitik tätig werden. Der SPÖ-Abgeordnete Peter JANKOWITSCH unterstrich, daß damit der künftige Entscheidungsprozeß in allen Integrationsfragen auf breiter demokratischer Basis stattfinden könne. ÖVP-Klubobmann Fritz KÖNIG begrüßte die Dreiparteieneinigung als "Rückendeckung" für die künftige österreichische Verhandlungsführung in Brüssel. FPÖ-Klubobmann Norbert GUGERBAUER bekräftigte die Zustimmung zur Entschließung, äußerte jedoch Skepsis bezüglich der Umsetzung des gemeinsamen Willens. Die Grünen dagegen brachten einen eigenen Vorschlag für den EG-Ausschußbericht ein. Dabei erklärte ihr Abgeordneter Karel SMOLLE, die Einigung, Neutralität und Staatsvertrag würden zum "Dekorationsobjekt für die Auslage" werden (WZ).

Der Einigung der Parteien über den Antrag auf Beitritt zur EG war ein Streit über die Kompetenzverteilung zwischen Außenministerium und Bundeskanzleramt vorangegangen. Am 21. Juni warf der ÖVP-Obmannn, Vizekanzler Josef RIEGLER, der SPÖ einen "machtpolitischen Anspruch" vor, der mit "stillen Kompetenzverschiebungen" realisiert werden solle, um dem Bundeskanzler die "Oberkompetenz" zu verschaffen. RIEGLER betonte, dem Außenminister komme nach dem Ministeriengesetz bei den EG-Verhandlungen die entscheidende Aufgabe zu. Der Bundeskanzler habe zwar inhaltliche Koordinationsaufgaben, aber die ÖVP werde keinesfalls akzeptieren, daß die im Gesetz vorgesehene Oberhoheit des Außenministers verschoben werde. Auch seien dem Außenminister in den Koalitionsvereinbarungen klar umgrenzte Aufgabenbereiche zugewiesen worden, die nun von der SPÖ aufgebrochen würden. Außenminister Alois MOCK (ÖVP) äußerte, die inhaltliche Vorbereitung der Verhandlungsführung läge beim Außenministerium, da es sich eindeutig um eine außenpolitische Frage handele. Diesen Vorwürfen entgegneten Bundeskanzleramt und SPÖ, die nach dem Staatsvertrag von 1955 entscheidendste Schicksalsfrage der Zweiten Republik könne keine reine Frage der Diplomatie sein, sondern habe als nationale Aufgabe ihren Platz an der obersten Schaltstelle des Gemeinwesens, dem Bundeskanzleramt. Übereinstimmend waren die beiden Regierungsparteien aber der Ansicht, daß diese Auseinandersetzungen nicht zu einer Verzögerung in der geplanten Behandlung der EG-Frage führen dürften. In den inhaltlichen Vorgaben habe man sich bereits geeinigt sowie über die Einsetzung des EG-Rates und zweier Arbeitsgruppen. SPÖ-Zentralsekretär CAP und ÖVP-Generalsekretär KUKACKA zeigten sich zuversichtlich, daß die Differenzen bis zu der für den 29. Juni vorgesehenen Entscheidung der Materie im Nationalratsplenum überwunden werden könnten (WZ, SZ).

Am 29. Juni, in der letzten Sitzung vor der Sommerpause, fand die Nationalratsdebatte über den EG-Beitrittsantrag statt. In ihr wurde der von SPÖ, ÖVP und FPÖ eingebrachte Entschließungsantrag beraten, wobei sich alle Parteien über eine Verbriefung der österreichischen Neutralität als unumstößlicher Voraussetzung jeder Form der Teilnahme am europäischen Binnenmarkt und insbesondere der EG einig zeigten. Optimistisch, aber keineswegs euphorisch gab sich Bundeskanzler VRANITZKY, der betonte, die Neutralität sei kein Hindernis, sondern eine Chance. Österreich wolle dazugehören, weil es mitentscheiden wolle. Österreich könne zwar auch ohne die EG leben, aber ein Überleben sei zu wenig. Das Europa der Zukunft sei nicht nur ein Europa der EG und der Wirtschaft, sondern auch ein Europa des sich öffnenden Ostens und der kulturellen Vielfalt. Ähnlich war die Haltung von Vizekanzler RIEGLER, der von einer "Sternstunde in der österreichischen Politik" sprach. Weiter verwies er auf die Entspannungsbemühungen, bei denen Österreich nicht abseits stehen könne, und auf den Beitrag, den ein kulturell reiches, wirtschaftlich gesundes und innenpolitisch stabiles Land wie Österreich für Europa leisten könne. Auch die weiteren Redner von SPÖ, ÖVP und FPÖ waren sich darin einig, daß man die europäische Integration nur dann mitgestalten könne, wenn man ihr angehöre. Besonders betonte dies der Bundeskammerpräsident SALLINGER (ÖVP), der erklärte, sich der Integration zu verweigern, würde es Österreich nicht ersparen, alle internationalen Regelungen nachzuvollziehen, ohne dabei aber ein Mitspracherecht zu besitzen. Ebenfalls einig waren sich die Redner der drei Parteien darin, daß vom EG-Binnenmarkt positive Effekte für Wirtschaft und Gesellschaft ausgehen würden. Außenminister MOCK sprach in diesem Zusammenhang davon, Österreich dürfe sich nicht von der Dynamik des europäischen Integrationsprozesses abkoppeln, denn "wir wollen keine Europäer zweiter Klasse sein." Er betonte vielmehr, im Rahmen der EG werde der Handlungsspielraum Österreichs wachsen. Einzig die Fraktion der Grünen sprach sich gegen einen EG-Beitritt aus. Ihr Abgeordneter WABL begründete die Ablehnung mit der damit gegebenen Verletzung der österreichischen Neutralität, hob daneben aber auch die vielfach fortschrittlicheren Umweltbestimmungen in Österreich hervor, die es zu sichern gelte. Einig waren sich alle Parteien schließlich darin, daß die Frage des Transitverkehrs noch vor einem Beitritt gelöst werden müsse, damit Österreich nach seinem Beitritt nicht im Namen der Gemeinschaft ein unzumutbares Opfer aufgezwungen werden könne. Nach dreizehnstündiger Debatte wurde schließlich der Entschließungsantrag mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und FPÖ (zusammen 175 von 183 Nationalratsmandaten), der Antrag über die Errichtung des Rates für Integrationsfragen mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP angenommen (WZ, SZ, Reuter).

Am 4. Juli nahm der Ministerrat den gemeinsamen Bericht des Bundeskanzlers und des Außenministers über die Antragstellung Österreichs auf Mitgliedschaft in den EG zustimmend zur Kenntnis. Ebenfalls am 4. Juli stand der Beitrittsantrag im Mittelpunkt der letzten Beratungen des Bundesrates vor der Sommerpause. Außenminister Alois MOCK unterstrich vor der Ländervertretung, daß die Bundesländer nicht nur voll in die Beitrittsverhandlungen einzubinden seien, sondern auch nach dem Beitritt am Prozeß der Mitwirkung Österreichs bei der Schaffung von Gemeinschaftsrechten beteiligt werden müßten. Etwa seien Anpassungen der österreichischen Rechtslage und damit auch der Landesgesetze nötig. Bei diesem Prozeß könne nicht auf die Mitwirkung der Länder verzichtet werden. Zudem gebe es Ansätze für eine Dezentralisierung der Außenpolitik, wo den Ländern neue Kompetenzen zuwachsen könnten. Ähnlich begrüßte der stellvertretende Bundesratsvorsitzende Herbert SCHAMBECK (ÖVP), daß im künftigen EG-Rat neben den Sozialpartnern auch Repräsentanten des Föderalismus auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene beratend an der Integrationspolitik teilnehmen könnten. Dies sei ein erster Ansatz, nach einem etwaigen Beitritt zur EG auch dort das föderalistische Prinzip zu verankern. Abschließend stellte Landwirtschaftsminister Franz FISCHLER fest, vordringliche Aufgabe sei es nun, nicht mehr über das Beitrittsgesuch zu diskutieren; um sich auf die geplante Mitgliedschaft, besonders etwa im Agrarbereich, optimal vorbereiten zu können, gelte es jetzt, konkrete Verhandlungen aufzunehmen (WZ).

 2. Beitrittsantrag in Brüssel

Auf die Beratungen in Österreich reagierten EG-Stellen zunächst zurückhaltend. Die EG-Kommisssion lehnte am 30. Juni jeden offiziellen Kommentar zu dem Nationalratsbeschluß vom Vortag ab. EG-Stellen hatten am 29. Juni lediglich erklärt, daß mit langen Verhandlungen zu rechnen sein werde, da bis 1992 die Verwirklichung des Binnenmarktes absoluten Vorrang habe. Weiter verlautete, der österreichische Neutralitätsvorbehalt gelte als "problematischster Aspekt". Als weiterer Grund für eine reservierte Haltung zu dem österreichischen Beitrittsgesuch wird vermutet, damit würden auch der bereits gestellte türkische und die zu erwartenden maltesischen und zyprischen Beitrittsanträge präjudiziert. Am 10. Juli reiste Außenminister MOCK nach Paris, um den derzeitigen Ratspräsidenten Roland DUMAS davon zu unterrichten, daß Österreich das Beitrittsgesuch in Brüssel am 17. des Monats offiziell überreichen werde. DUMAS gab seinem österreichischen Amtskollegen die Zusicherung, daß die Gemeinschaft den Aufnahmeantrag "gründlich, ernst und mit gutem Willen" behandeln werde. Er machte aber kein Hehl aus der "Komplexität" des Problems. Auch MOCK räumte ein, daß der Neutralitätsstatus Österreichs Schwierigkeiten aufwerfen werde. Vor Journalisten erklärte er, die Österreicher wollten keine "Europäer zweiter Klasse" werden. Sein Land wäre deshalb bereit, volle Rechte und Verantwortung in der EG zu übernehmen und an einem historischen Friedensprozeß mitzuwirken. Wien sei realistisch und habe Verständnis, daß die Vollendung des Binnenmarkts im Jahr 1992 für die EG Vorrang habe. Er hoffe dennoch, daß nach diesem Datum die Beitrittsverhandlungen möglichst rasch aufgenommen würden. Bis dahin werde Österreich ein aktives Mitglied der EFTA bleiben. Zur Frage der immerwährenden Neutralität erklärte MOCK, gegenwärtig und in einer langfristigen Perspektive seien alle von der Gemeinschaft verfolgten Ziele mit der österreichischen Neutralität vereinbar. Er räumte allerdings ein, daß die UdSSR diese Auffassung nicht teilt, wieder sowjetische Außenminister Eduard SCHEWARDNADSE bereits im September 1988 erklärt hatte [...]. Beide Seiten seien jedoch einig, daß kein Grund bestehe, die Dinge zu dramatisieren (FAZ, dpa, WZ).

Wie vorgesehen übergab Außenminister MOCK am 17. Juli dem EG-Ratspräsidenten DUMAS offiziell den Antrag Österreichs auf Beitritt in die EG. MOCK bezeichnete den Schritt als "die zweite historische Entscheidung nach der Option für Neutralität und Freiheit nach dem Zweiten Weltkrieg". Der europäische Integrationsprozeß sei das "bedeutendste und konkreteste Friedenswerk nach dem Weltkrieg" und biete "die große Chance, daß es auf diesem Kontinent nie wieder Krieg gibt". Weiter erklärte er, daß der Neutralitätsvorbehalt nicht in den Beitrittsvertrag aufgenommen werden müsse. Er habe sich immer dagegen gewandt, die Neutralität in einem bilateralen Vertrag festzuschreiben, weil die Interpretation der Neutralität dann nicht mehr ausschließlich Sache Österreichs sei. Ähnlich wie bei seiner Aufnahme in die Vereinten Nationen [...] wolle Österreich seine Neutralität von Anfang an klarstellen und könne dann "bona fide" erwarten, daß auf sie Rücksicht genommen werde. DUMAS seinerseits sagte zu, daß die EG auf den österreichischen Beitrittsantrag das "übliche und normale Verfahren" anwenden werde. Der Präsident der EG-Kommission, Jacques DELORS, erklärte: "Die Österreicher wie die anderen (Beitrittskandidaten) wissen, daß es nicht möglich ist, vor 1993 Verhandlungen über neue Beitrittsansuchen aufzunehmen. Wir werden das Ansuchen also sorgfältig prüfen. Wenn man allerdings der europäischen Familie beitritt, muß man auch sämtliche Verpflichtungen teilen, nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die politischen. Ich erinnere daran, daß die EG die politische Einigung zum Ziel hat, was auch eine gemeinsame europäische Verteidigung impliziert. Genau darüber müssen nicht nur wir nachdenken, sondern auch die Österreicher." Am 18. Juli ging dem österreichischen Außenministerium ein offizielles Antwortschreiben des EG-Ministerrates zu, in dem DUMAS noch einmal ausdrücklich auf den Neutralitätsvorbehalt einging. Diese Frage werde von den Gemeinschaftsinstanzen entsprechend der existierenden institutionellen Regelungen geprüft werden (APA).

Der österreichische Beitrittsantrag wurde in den EG-Mitgliedstaaten unterschiedlich bewertet. Für die [deutsche, M.G.] Bundesregierung erklärte der Staatsminister beim Bundeskanzler, Lutz STAVENHAGEN, die Bundesregierung habe mit Sympathie davon Kenntnis genommen. "Nach Artikel 237 EWG-Vertrag kann jeder demokratische europäische Staat beantragen, Mitglied der Europäischen Gemeinschaft zu werden. Dies gilt selbstverständlich auch für unser Nachbarland Österreich, mit dem wir und die Europäische Gemeinschaft eng verbunden sind. Die Bundesregierung wird im Rat dafür eintreten, daß das in Artikel 237 EWG-Vertrag vorgesehene Verfahren rasch in Gang kommt. Bewerber um die Mitgliedschaft verpflichten sich, die gleichen Rechte und Pflichten zu übernehmen wie die bisherigen Mitgliedstaaten. Jedes Land, das der Gemeinschaft beitreten will, muß vorbehaltlos die politischen Ziele und die Finalität der Europäischen Union anerkennen, wie sie in der Präambel der Römischen Verträge festgelegt, in der feierlichen Erklärung von Stuttgart bekräftigt und in der Einheitlichen Europäischen Akte bestätigt worden sind. Die historische Entwicklung von der Gemeinschaft der Sechs zur Gemeinschaft der Neun, der Zehn und schließlich der Zwölf zeigt, daß die politische und kulturelle Idee des europäischen Einigungsprozesses noch nicht abgeschlossen ist. Dabei ist Österreich, mit dem uns nicht nur die gemeinsame Sprache, sondern auch historisch, kulturell und wirtschaftlich so viel verbindet, eine Bereicherung für die Gemeinschaft." (BPA-Pressemitteilung).

Betont skeptisch hingegen äußerte sich am 17. Juli der belgische Außenminister Mark EYSKENS über die Vereinbarkeit der Neutralität Österreichs mit einer Mitgliedschaft in der EG. Er betonte, er nehme zwar keine antiösterreichische Position ein, d.h. "wenn Österreich auf der immerwährenden und unantastbaren Neutralität beharrt, kann es ein Problem geben". Als einziger der EG-Außenminister hatte EYSKENS den österreichischen Beitrittsantrag blockiert und vor einer Beratung im Ministerrat erst Gespräche zwischen der EG und der UdSSR gefordert. Damit zog er sich jedoch auch Kritik aus den Reihen seiner eigenen Regierung zu. Der belgische Vizeministerpräsident Willy CLAES warf EYSKENS vor, sein Vorgehen sei "inopportun und verfrüht" gewesen und "ohne jegliche Abstimmung mit der Regierung" erfolgt. Das österreichische Bundeskanzleramt nahm die Äußerungen von EYSKENS "mit Verwunderung" auf. Ein Sprecher von Bundeskanzler VRANITZKY erklärte am 19. Juli, über seine selbstgewählte Neutralität führe Österreich mit keinem anderen Land Verhandlungen. Deshalb gehe man davon aus, daß auch "andere Staaten über diese souveräne Entscheidung Österreichs nicht sprechen oder verhandeln können." Am selben Tag wies auch Vizekanzler RIEGLER die Bemerkungen von EYSKENS "mit Entschiedenheit" zurück. In einer Erklärung vom 20. Juli bekräftigte er noch einmal, die Neutralität Österreichs sei "eine autonome Angelegenheit Österreichs" und daher "allein vom österreichischen Souverän zu handhaben und zu interpretieren". Am gleichen Tag erklärte EYSKENS, seine Äußerung, die EG und Moskau sollten über "das Prinzip der österreichischen Neutralität" sprechen, sei als "reine Arbeitshypothese" beabsichtigt gewesen. Frankreichs Finanzminister Pierre BEREGOVOY sagte am gleichen Tag zu der Diskussion, die Frage der österreichischen Neutralität sei im Falle eines EG-Beitritts ausschließlich zwischen Österreich und der EG zu klären (WZ, dpa).

In Österreich waren die Reaktionen auf die Überreichung des Beitrittsantrags ebenfalls nicht einhellig. Bundespräsident Kurt WALDHEIM begrüßte sie gleichen Tags als historischen Schritt, dem überragende Bedeutung für die künftige Entwicklung seines Landes zukomme. Er unterstrich aber, an der immerwährenden Neutralität müsse unabdingbar festgehalten werden und diese müsse auch Grundlage für die Verhandlungen mit der EG sein. Der SPÖ-Klubobmann Heinz FISCHER forderte Außenminister MOCK auf, in Brüssel das unverrückbare Festhalten seines Landes an der Neutralität klar darzustellen. Die österreichische Neutralität könne nicht zur Disposition stehen und sei auch im Falle einer Mitgliedschaft unabdingbar. Sie müsse völkerrechtlich abgesichert und dürfe nicht behindert werden. FPÖ-Klubobmann Norbert GUGERBAUER bemängelte, daß die ersten Ergebnisse der Gespräche mit der EG erst in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre vorliegen würden. Der Abgeordnete der Grünen Karel SMOLLE kritisierte den EG-Beitritt insgesamt und bemerkte, mit dem offiziellen Antrag habe sich die Regierung "internationaler Lächerlichkeit" preisgegeben. Im August werde der Klubobmann der Grünen, Andreas WABL, nach Brüssel reisen und der EG einen "Grünen Brief aus Österreich" übergeben, mit dem klargemacht werden solle, daß es in Österreich massive Opposition gegen einen EG-Beitritt gebe. Ebenfalls ablehnend äußerten sich Sprecher der überparteilichen Plattform "Nein zur EG" und der KPÖ-ZK-Sekretär Walter SILBERMAYER, der von einem "schwarzen Montag für die österreichische Neutralität" sprach. Am 18. Juli nahm Bundeskanzler VRANITZKY zu der bisherigen Entwicklung in der EG-Frage Stellung. Er betonte, daß in dem Beitrittsvertrag" sicher nicht die Neutralität an sich festzulegen ist, weil Österreich über sie nicht verhandelt, sondern daß es in diesem Vertrag darum geht, den Freiraum abzusichern, innerhalb dessen die Neutralitätspolitik wie bisher unzweifelhaft fortgesetzt wird." Er begrüßte die überwiegend positive Reaktion in Brüssel, warnte aber gleichzeitig vor "übereilten Erwartungen". Angesichts der Bedeutung des Schrittes seien keine konkreten Ergebnisse innerhalb der nächsten Zeit zu erwarten. Österreich sei jedoch auf intensive Verhandlungen vorbereitet und darauf eingestellt, daß diese einige Jahre dauern würden. Auch sei das Land für etwaige "Wechselfälle in der EG-Entwicklung" gerüstet, um flexibel reagieren zu können. VRANITZKY legte in diesem Zusammenhang großen Wert darauf, daß in Österreich selbst "unbeschadet des Verhandlungsverlaufs mit der EG alle Maßnahmen weiterverfolgt werden, die die Leistungskraft und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft verbessern". Wirtschaftswachstum und soziale Sicherheit auf dem höchstmöglichen Niveau seien unabhängig von den EG-Gesprächen oberstes Ziel. Nur so würden die Chancen der österreichischen Wirtschaft auf dem europäischen Markt verbessert und die Verhandlungsposition Österreichs gegenüber der EG grundsätzlich gestärkt (WZ/ ws).

Quelle: Archiv der Gegenwart, 17.7.1989, S. 33573.


Dokument 6

Wortlaut der österreichischen Anträge um Aufnahme in die Europäischen Gemeinschaften vom 17. 7. 1989 [Schreiben Mock an Dumas]

Herr Präsident!

Im Namen der Republik Österreich habe ich die Ehre, unter Bezugnahme auf Artikel 237 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft den Antrag auf Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu stellen.

Österreich geht bei der Stellung dieses Antrages von der Wahrung seines international anerkannten Status der immerwährenden Neutralität, die auf dem Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 beruht, sowie davon aus, daß es auch als Mitglied der Europäischen Gemeinschaften aufgrund des Beitrittsvertrages in der Lage sein wird, die ihm aus seinem Status als immerwährend neutraler Staat erfließenden rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen und seine Neutralitätspolitik als spezifischen Beitrag zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit in Europa fortzusetzen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, den Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung.

S.E. Herrn Roland DUMAS

Präsident des Rates
der Europäischen Gemeinschaften

B r ü s s e l

Erklärung von BMA Dr. Alois Mock anläßlich der
Überreichung der österreichischen Beitrittsansuchen
am 17. 7. 1989

1. Österreich nimmt als europäischer, demokratischer, pluralistischer Staat mit freier Marktwirtschaft das in den EG-Verträgen verankerte Recht in Anspruch, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen.

2. In der Präambel des EWG-Vertrages bringen die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften ihre Entschlossenheit zum Ausdruck, durch den Zusammenschluß ihrer Wirtschaftskräfte Frieden und Sicherheit zu wahren und zu festigen und richten die Aufforderung an die anderen Völker Europas, die sich zu dem gleichen hohen Ziel bekennen, sich diesen Bestrebungen anzuschließen.

3. Mit dem Beitrittsantrag bringt Österreich seinen Wunsch zum Ausdruck, vollberechtigtes Mitglied der Europäischen Gemeinschaften zu werden und alle Rechte und Pflichten aus den Verträgen zu übernehmen.

4. Österreich ist am Gelingen des europäischen Einigungs- und Friedenswerkes in besonderem Maße interessiert und wünscht den Erfolg der Europäischen Gemeinschaften. Als Mitgliedsstaat wird es selbstverständlich bereit sein, die Solidarität zu üben, die ein solches Einigungswerk erfordert. Als hoch entwickeltes Industrieland wird Österreich aufgrund seines Bruttonationalproduktes ein sogenannter "Nettozahler" sein. Es wird zu den Bestrebungen für eine intensivierte wirtschaftliche und soziale Kohäsion beitragen

5. Die Neutralität Österreichs ist sein spezifischer Beitrag zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit in Europa - ein Beitrag, der seine Entsprechung in der Präambel des EWG-Vertrages findet und die lautet: "Frieden und Freiheit zu wahren und zu festigen."

6. Das österreichische Interesse an einem Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften beruht nicht nur auf ökonomischen Überlegungen. Es ist insbesondere Ausdruck seines europäischen Selbstverständnisses und der Überzeugung, daß die wachsende Einheit Europas am besten und konkretesten den Frieden auf diesem Kontinent sichert.

7. Einige spezifische Punkte verdeutlichen den österreichischen Beitrittsantrag:

8. Dieser Beitrittsantrag ordnet sich auch in die Kontinuität der österreichischen Integrationspolitik ein. Österreich hat sein Engagement, maximal am europäischen Integrationsprozeß in seinen verschiedenen Entwicklungsphasen teilzunehmen, wiederholt bekundet: so bei der Gründung der OEEC (Europäische Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit), dann im Europarat und in der EFTA (Europäische Freihandelsassoziation); und vor allem durch den Abschluß der Freihandelsabkommen mit den Europäischen Gemeinschaften. Österreich hat dabei das Ziel vor Augen, nicht vom Integrationsprozeß der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden, sondern an ihm in weitestmöglicher Form teilzunehmen.

9. Österreich erwartet sich von der Gemeinschaft eine offene, konstruktive Haltung. Es geht davon aus, daß die normalen, üblichen Prozeduren auch für die österreichischen Beitrittsanträge eingeleitet werden. Österreich hofft daher, daß die EG-Kommission ohne Verzögerung mit der Ausarbeitung der Stellungnahme an den EG-Ministerrat beauftragt wird.

10. Bis zum Beitritt wird Österreich ein loyales und aktives EFTA-Mitglied bleiben. Es liegt im österreichischen Interesse, möglichst rasch sektorielle Lösungen zwischen der Gemeinschaft und den EFTA-Staaten verwirklichen zu können. Dieser "acquis" aus der EFTA-EG-Zusammenarbeit wird später auch von Österreich als EG-Mitglied automatisch übernommen werden.

In diesem Zusammenhang wird Österreich auch gemeinsam mit seinen EFTA-Partnern, alle Möglichkeiten für eine verbesserte Zusammenarbeit mit der Gemeinschaft prüfen, die sich aus den von Präsident Delors am 17. Jänner 1989 geäußerten Vorstellungen ergeben könnten.

Quelle: Gerhard Kunnert, Spurensicherung auf dem österreichischen Weg nach Brüssel (Schriftenreihe Europa des Bundeskanzleramts), Wien 1992, S. 64 f.


Dokument 7

Stellungnahme der EG-Kommission zu den österreichischen Beitrittsansuchen bezüglich Transit und Neutralität, 31.7./1.8.1991

[...]

Transit

Der Verkehr ist sowohl für die Gemeinschaft als auch für Österreich ein wirtschaftlich und politisch bedeutender Faktor.
Wegen seiner geographischen Lage zwischen Mitgliedstaaten und der restriktiven Politik der Schweiz ist Österreich für die Gemeinschaft zum wichtigsten Transitland geworden (an der Spitze steht mit 17.666.451 t im Jahr 1988 der Gütertransitverkehr durch Österreich bei Beförderungen zwischen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, gefolgt vom Güterverkehr zwischen einem Mitgliedsstaat der EWG und einem Drittland (4.947.551 t) und dem Güterverkehr zwischen Drittländern (244.878 t).
Die österreichischen Regierungsstellen haben sich grundsätzlich stets bemüht, die Rolle zu spielen, die Österreich als Transitland im Herzen Europas zukommt. Dies wird belegt durch den Bau der ersten alpenquerenden Autobahn (die 1972 fertiggestellte Inntal-Brenner-Autobahn), den Ausbau der Eisenbahninfrastruktur und die Bezuschussung der Eisenbahntarife im Rahmen des kombinierten Verkehrs Schiene-Straße. Angesichts einer sehr starken Zunahme des Straßentransitverkehrs, der sich in 15 Jahren vervierfacht hat, und eines wachsenden Widerstands der Bevölkerung, die im Einzugsgebiet der Transitautobahnen und insbesondere der Brennerautobahn lebt, ist die österreichische Regierung dann zu einer sehr restriktiven Politik im Straßentransitverkehr übergegangen und hat eine Anzahl unilateraler Praktiken und Maßnahmen eingeführt; zu nennen sind die Weigerung, die Quoten für den Straßentransit, die Beschränkungen auf Länder auszudehnen, für die sie bis jetzt keine Geltung hatten (Belgien, Dänemark), ferner die Erhöhung der Benutzungsgebühren auf den Transitstraßen oder auch das teilweise verhängte Nachtfahrverbot.
Zur Regulierung des Transitverkehrs durch sein Hoheitsgebiet bedient sich Österreich dirigistischer Maßnahmen, um die freie Wahl des Verkehrsträgers durch den Benutzer einzuschränken. So verfolgt die österreichische Politik in bezug auf den Straßentransitverkehr der Gemeinschaft drei Ziele:
1. Der wegen der restriktiven Maßnahmen der Schweiz nach Österreich umgeleitete Straßenverkehr soll wieder in die Schweiz zurückverlagert werden.
2. Der kombinierte Verkehr soll stärker zum Einsatz kommen (Verlagerung des Straßenverkehrs auf die Schiene, um die Umwelt zu schützen).
3. Der verbleibende Straßenverkehr muß mit den Belangen des Umweltschutzes und der Erhaltung der natürlichen Umwelt vereinbar sein.
In den Verhandlungen über Verkehrsfragen, die die Kommission (auf der Grundlage der Verhandlungsdirektiven des Rates vom Dezember 1987 und 1988) geführt hat, um eine Transitregelung zu schaffen, die mit den Anforderungen des Binnenmarktes kompatibel ist, und in den Verhandlungen über den EWR hat es Österreich bisher abgelehnt, den Besitzstand der Gemeinschaft in folgenden Bereichen zu übernehmen: Abschaffung der mengenmäßigen Beschränkungen im Straßenverkehr, Gewichte und Abmessungen von Kraftfahrzeugen und Abschaffung der Grenzkontrollen und -formalitäten.
Innerhalb der Gemeinschaft wird der Begriff des Transitverkehrs bei Vollendung des Binnenmarktes seine Bedeutung verlieren. Wie jeder andere internationale Straßenverkehr wird der Transitverkehr nach 1992 frei von jeder mengenmäßigen Beschränkung sein. Die technischen Vorschriften und Umweltschutznormen sind auf Gemeinschaftsebene bereits harmonisiert.
Dies bedeutet, daß Österreich im Falle eines Beitritts seine restriktive Politik im Bereich des innergemeinschaftlichen Straßenverkehrs aufgeben und den Besitzstand der Gemeinschaft übernehmen müßte.
Selbst wenn zum Abschluß der zuvor erwähnten Verhandlungen ein Abkommen (über den von der österreichischen Regierung zugelassenen Verschmutzungsgrad) geschlossen würde, wäre dieses mit dem Besitzstand der Gemeinschaft unvereinbar und könnten nur vorläufigen Charakter haben.
Allgemein kann man annehmen, daß im Bereich des Verkehrs der Beitritt Österreichs für die Gemeinschaft größere Schwierigkeiten bereiten wird als die früheren Beitritte. Es ist zu erwarten, daß es in der Frage des Transitverkehrs zwischen Mitgliedstaaten durch Österreich harte Auseinandersetzungen geben wird. [...]

Österreich und seine Neutralität

In seinem Schreiben vom 14. Juli 1989 [sic!] an den damaligen Ratspräsidenten DUMAS stellte Außenminister Alois Mock fest, daß "Österreich [...] bei der Stellung dieses Antrags [auf Beitritt] von der Wahrung seines international anerkannten Status der immerwährenden Neutralität, die auf dem Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 beruht, [ausgeht]. Damit stellt Österreich die Gemeinschaft vor ein spezifisches Problem, das bisher in der Reihe der Beitritte seinesgleichen sucht. In die politischen Überlegungen zu diesem Punkt wird man sowohl den durch die Ereignisse im Osten seit Ende 1989 ausgelösten Wandel in der Bedeutunq des Konzepts der Neutralität im europäischen Kontext als auch die internen Entwicklungen einbeziehen müssen, die sich in dieser Hinsicht derzeit in Österreich vollziehen [...].

1. Rechtslage

Die Neutralität Österreichs ist juristisch sowohl im österreichischen Recht als auch im Völkerrecht abgesichert.
Die staatsrechtliche Grundlage ist das Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs. Die völkerrechtliche Grundlage der immerwährenden Neutralität Österreichs ergibt sich aus der Notifizierung des Neutralitätsgesetzes an alle Staaten, mit denen Österreich 1955 diplomatische Beziehungen unterhielt, oder zu denen es in der Zeit danach diplomatische Beziehungen aufgenommen hat. Die Partner Österreichs, die diese Notifizierung stillschweigend oder ausdrücklich entgegennahmen, haben damit auch die Neutralität Österreichs anerkannt und sind verpflichtet, diese zu respektieren.
Was besagt die immerwährende Neutralität Österreichs? Für Kriegszeiten ist der Begriff der Neutralität eindeutig definiert: Den kriegführenden Staaten ist das Eindringen in das Hoheitsgebiet eines neutralen Staats untersagt, dessen territoriale Integrität sie außerdem sie zu wahren verpflichtet sind. Im wirtschaftlichen Bereich ist der neutrale Staat berechtigt, mit dem kriegführenden und den übrigen neutralen Staaten normale wirtschaftliche Beziehungen zu unterhalten, vorausgesetzt, er unterstützt damit nicht die materielle Kriegführung oder die Rüstungsindustrie der kriegführenden Seite. Durch die immerwährende Neutralität ist Österreich zudem dazu verpflichtet, sich bereits in Friedenszeiten so zu verhalten, daß es in der Lage ist, seiner Neutralitätspflicht in Kriegszeit lückenlos nachzukommen - dies sind die sogenannten "Vorwirkungen" der immerwährenden Neutralität. Im Neutralitätsgesetz sind zwei dieser Vorwirkungen ausdrücklich genannt, indem es dort heißt: "Österreich wird [...] in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen." Alle übrigen "Vorwirkungen" sind zwar rechtlich verankert, sind aber eher dem politischen Bereich zuzuordnen. Diese Vorwirkungen - selbst wenn sie nur politischer Natur sind - könnten für die Gemeinschaft jedoch zum Problem werden, wenn sich Österreich veranlaßt sähe, sich systematisch bestimmten Maßnahmen zu widersetzen, die aus seiner Sicht seiner Neutralitätspolitik zuwiderlaufen - dieser Fall könnte insbesondere im Rahmen der künftigen Außenpolitik und der gemeinsamen Sicherheitspolitik eintreten.

2. Die Schwierigkeiten, die sich im Hinblick auf die bisherigen Verträge der Gemeinschaft aus der immerwährenden Neutralität Österreichs ergeben

Der Beitritt des neutralen Österreichs zur Gemeinschaft stellt sich logischerweise aus der Sicht der gemeinsamen Handelspolitik als problematisch dar; in diesem Zusammenhang kommt insbesondere die derzeit zur Regel gewordene Praxis des Rates in Betracht, gegen bestimmte Länder nach Konsens im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit wirtschaftliche Sanktionen aufgrund des Artikels 113 EWGV zu verhängen (Beispiele Argentinien, UdSSR, Republik Südafrika und Irak). Im Kriegsfall würden solche Sanktionen mit den sich aus der Neutralität herleitenden Verpflichtungen kollidieren, ausgenommen, so scheint es, im Falle von Sanktionen, die von den Vereinten Nationen verhängt werden. In Friedenszeiten könnte sich aus "politischen" Sanktionen ein Konflikt mit der Neutralitätspolitik Österreichs ergeben, doch abgesehen von den ganz und gar allgemein gehaltenen Verpflichtungen des Gesetzes über die Neutralität gibt es keine rechtlichen Verpflichtungen, die Österreich in seiner Freiheit einengen könnten, in den Institutionen der Gemeinschaft seine Position zu bestimmen.
Bei dem Beitritt zum EGKS-Vertrag könnte Österreich aufgrund vom Artikel 59 (ernste Mangellage) theoretisch in eine Situation geraten, die ihm die Ausfuhr von Kohle und/oder Stahl (das heißt strategische Ausfuhren) in Drittländer verbietet, was sich in Kriegszeiten als mit seiner immerwährenden Neutralität unvereinbar herausstellen könnte.
Schließlich könnte Österreich durch Kapitel VI des EAG-Vertrages in die Gefahr geraten, Ausgangsstoffe und besonders spaltbare Stoffe selbst in Kriegszeiten in die übrigen Mitgliedsstaaten liefern oder in solche Lieferungen durch die Vesorgungsagentur einwilligen zu müssen.

3. Probleme, die sich im Rahmen der künftigen Außen- und Sicherheitspolitik stellen könnten

Wie es in den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Luxemburg vom 28. und 29. Juni diesen Jahres zum Thema "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" heißt, besteht "der einhellige Wunsch, das Profil und die Rolle der Union als politisches Gebilde auf der internationalen Bühne zu stärken, sowie das Bestreben, ihr gesamtes Handeln nach außen kohärent zu gestalten".
Es wird anerkannt, daß der dem Europäischen Rat vorgelegte Vertragsentwurf "eine Grundlage für die Fortführung der Verhandlungen" bildet. In diesem Entwurf ist unter anderem vorgesehen, daß die Stärkung der Sicherheit der Union und ihrer Mitgliedsstaaten in allen ihren Formen einschließlich der Festlegung einer Verteidigungspolitik zu den Zielen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gehört.
Damit stellt sich die Frage, ob Österreich in der Lage wäre, derartige Verpflichtungen zu übernehmen, wenn es, wie es in dem Beitrittsantrag ausdrücklich heißt, seinen Status immerwährender Neutralität behalten und seiner Neutralitätspolitik fortsetzen will.
Selbst gesetzt den Fall, daß die Beschlußfassungsverfahren für die Umsetzung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik auf der Ebene der Grundsatzbeschlüsse einen Konsens verlangen, müßten den derzeitigen Mitgliederstaaten hinsichtlich der Fähigkeit Österreichs, sich an einem derartigen Konsens zu beteiligen, ohne mit der eigenen Verfassung in Konflikt zu geraten, ein Minimum an Rechtssicherheit geboten werden. A fortiori könnten sich Schwierigkeiten ergeben, wenn Durchführungsbeschlüsse mit qualifizierter Mehrheit erlassen würden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß ein Beitrittsbewerber dafür sorgen muß, darauf seine inländischen Rechtsvorschriften einschließlich des Verfassungsrechts mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.
Wie bereits gesagt wurde, ist Österreich der Meinung, daß seine Neutralität als solche einen Beitrag zur "Aufrechterhaltung der des Friedens und der internationalen Sicherheit" (Wortlaut des Artikels 224 EWGV) leistet und daß es unter den weltweit veränderten Umständen keine Schwierigkeit darin sieht, an einer von der UNO beschlossenen Aktion zur Aufrechterhaltung des Friedens teilzunehmen. Zu klären bleibt, ob Österreich auch in der Lage wäre, an einer von der Gemeinschaft (Politische Union) beschlossenen Aktion zur Aufrechterhaltung des Friedens ohne rechtliches Mandat der UNO teilzunehmen, wobei man ihm bezüglich der Form dieses Beitrags einen gewissen Ermessungsspielraum einräumen würde, solange es grundsätzlich mit dem Beschluß der anderen Mitgliedstaaten solidarisch ist.

4. Mögliche Lösungen für die aus der Neutralität Österreichs resultierenden Probleme

Die Lösungen für die oben aufgezeigten rechtlichen Probleme müssen in den Beitrittsverhandlungen erarbeitet werden, und zwar entweder durch eine Neudefinierung des Neutralitätsstatuts durch Österreich (die den Partnern notifiziert werden müßte) oder durch eine in der Beitrittsakte verankerte Ausnahme vom Vertrag.
Artikel 224 EWGV gestattet es den Mitgliedstaaten, unter zwei spezifischen Bedingungen - im Kriegsfall oder "in Erfüllung der Verpflichtungen [...], die [sie] im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Friedens oder der internationalen Sicherheit" übernommen haben, eine allgemeine Ausnahme von den Vertragsvorschriften in Anspruch zu nehmen. In Anbetracht der engen Auslegung der Ausnahmen nach Artikel 224 durch den Gerichtshof1 ist die von der österreichischen Regierung entwickelte These, daß die österreichische Neutralität zur Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit beiträgt und damit Österreich von gewissen Vertragsverpflichtungen freistellen würde, nicht haltbar.
Dagegen muß man sich im Rahmen der eigentlichen Beitrittsverhandlungen über eine zulässige Auslegung der allgemeinen Ausnahmeregel des Artikels 224 EWGV einigen. Ferner bliebe zu prüfen, ob eine solche vereinbarte Auslegung des Artikels 224 EWGV mutatis mutandis auch für den EGKS- und den EAG-Vertrag gelten könnte. Falls Artikel 224, wie von der Kommission auf der Regierungskonferenz vorgeschlagen, aus dem Vertrag gestrichen würde, müßte eine entsprechende Auslegung auf andere Weise gefunden werden.
Angesichts des Verlaufs der Verhandlungen der Regierungskonferenz über die Politische Union müßte sich die Gemeinschaft darum bemühen, von österreichischer Seite die klare Zusicherung zu erhalten, daß die österreichische Regierung in der Lage ist, die mit der künftigen gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einhergehenden Verpflichtungen zu übernehmen.
Aus dem Vorgesagten ergibt sich, daß die immerwährende Neutralität Österreichs für die Gemeinschaft wie für Österreich Probleme aufwirft. Vorbehaltlich der späteren Ergebnisse der Verhandlungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik im Rahmen der Regierungskonferenzen über die Politische Union dürften diese Probleme jedoch in den Beitrittsverhandlungen vom rechtlichen Standpunkt aus nicht unüberwindlich sein.

Schlußfolgerungen

Politisch wie wirtschaftlich unterscheidet sich der Beitrittsantrag Österreichs sehr deutlich von den bisher behandelten Beitrittsersuchen.
Aus wirtschaftlicher Sicht ist der Fall einmalig, da es bisher noch keinen Beitrittsbewerber gegeben hat, der aufgrund zahlreicher Abkommen auf eine vollständige Liberalisierung seines Handels mit der Gemeinschaft im Bereich der gewerblichen Waren hätte verweisen können und der sich von vornherein dazu verpflichtet hätte, einen erheblichen Teil des gemeinschaftlichen Besitzstandes zu übernehmen; ebenso einmalig ist der Umstand, daß die wirtschaftliche Integration Österreichs in die Gemeinschaft bereits sehr fortgeschritten ist. Überdies kann Österreich auf eine lange Tradition der Währungsstabilität und auf eine privilegierte Bindung des Schillings an die D-Mark und damit die übrigen EWR-Währungen verweisen.
Der Beitritt dürfte keinen grundlegenden wirtschaftspolitischen Kurswechsel in Österreich erfordern. Von dem gemeinschaftlichen Besitzstand, den Österreich zu übernehmen haben wird, sobald der Beitritt vollzogen ist, wird es - wie angedeutet - aufgrund des erwarteten EWR-Abkommens einen Großteil bereits vorher übernommen haben. Der Rest wird kaum mehr erfordern als technische Anpassungen - ausgenommen die Bereiche Landwirtschaft und Transitverkehr. In der Landwirtschaft werden wesentliche Änderungen erforderlich sein. Die von den österreichischen Behörden in der Angelegenheit des Transitverkehrs eingenommene Haltung wirft eine wichtige Grundsatzfrage auf, über die in den Beitrittsverhandlungen ausführlich zu reden sein wird. Für diese wenigen Probleme dürften jedoch in den Beitrittsverhandlungen Lösungen gefunden werden können.
Der Beitritt Österreichs wäre für die Gemeinschaft global ein Gewinn, denn damit würde sich der Kreis jener Länder erweitern, die über genügende Leistungskraft in den Bereichen Wirtschaft, Währung und Haushalt verfügen, um die Wirtschafts- und Währungsunion rasch voranzubringen. Der Gemeinschaft werden ferner die Erfahrungen eines Landes zum Vorteil gereichen, das wie Österreich aufgrund seiner geographischen Lage, seiner Vergangenheit und der ererbten und neu hinzugewonnenen Verbindungen genau im Mittelpunkt des Geschehens liegt, aus dem das neue Europa entsteht.
Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus ist die Kommission daher der Auffassung, daß die Gemeinschaft den Beitrittsantrag Österreichs annehmen sollte.
Unter politischen Gesichtspunkten ist das Beitrittsersuchen Österreichs, wie im Vorwort zu dieser Stellungnahme dargelegt wurde, im allgemeinen Kontext der künftigen Entwicklung der Gemeinschaft und Europas insgesamt zu beurteilen.
In dieser Hinsicht wird die immerwährende Neutralität Österreichs für die Gemeinschaft wie für Österreich Probleme aufwerfen. Zum einen stellt sich die Frage der Vereinbarkeit der immerwährenden Neutralität mit den Vertragsbestimmungen in ihrer derzeitigen Form. Zum anderen müßte sich die Gemeinschaft angesichts des Verlaufs der Verhandlungen der Regierungskonferenz über die Politische Union darum bemühen, von österreichischer Seite die klare Zusicherung zu erhalten, daß die österreichische Regierung rechtlich in der Lage ist, mit der künftigen gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einhergehende Verpflichtungen zu übernehmen.
Vorbehaltlich der späteren Ergebnisse der Verhandlungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik im Rahmen der Regierungskonferenz über die Politische Union dürften diese Probleme jedoch in den Beitrittsverhandlungen nicht unüberwindlich sein.

1 Rechtssache 222/84 (Marguerite Johnston), EuGH 1986 S.1651, Randziff. 26, 27, 60/. Eine enge Auslegung der zweiten Bedingung würde diesen Fall auf Aktionen der Sicherheitsrats gemäß Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen beschränken.

Quelle: Andreas Khol, Fragen & Antworten zu Europa. Mit aktuellen Informationen zum EWR, Wien 1991, S. 271-275; Wiener Zeitung, 14.8.1991.


Dokument 8

BMA Dr. Alois Mock begrüßt die bevorstehende Unterzeichnung des Vertrages über die Europäische Union, 6.2.1992

ÖVP- Pressedienst

MOCK: VERTRAG ÜBER EUROPÄISCHE UNION IST BEDEUTENDES EREIGNIS FÜR ÖSTERREICH

Wien (ÖVP-PD) Die Unterzeichnung des Vertrages über die Europäische Union bezeichnete Außenminister Dr. Alois MOCK heute, Freitag, als bedeutendes Ereignis für Österreich. Durch diesen Vertrag werde der Einigungsprozeß um einen wesentlichen qualitativen Schritt weitergebracht. Die dadurch erzielte Stärkung der Gemeinschaft entspreche auch den Interessen des Beitrittskandidaten Österreich. Es werde einer Gemeinschaft beitreten, die einen höheren Grad an Einigkeit und Effektivität erreicht habe.

Durch den Vertrag werden die Zuständigkeiten der Gemeinschaft den gewachsenen Herausforderungen angepaßt. Während neue Bereiche in die Integration einbezogen werden, werde das Subsidiaritätsprinzip verankert und die regionale Dimension der Integration gestärkt. Die Effektivität der Gemeinschaftsinstitutionen werde erhöht, ihre demokratische Legitimität durch den Ausbau der Rechte des Europäischen Parlaments gefestigt, sagte MOCK.

Österreich begrüße die Vereinbarungen über die Wirtschafts- und Währungsunion. Die Einführung einer gemeinsamen Währung noch in diesem Jahrzehnt werde der wirtschaftlichen Integration starke Impulse geben und zu größerem Wohlstand für alle Europäer beitragen. MOCK zeigte sich befriedigt, daß die gemeinsame Währungspolitik von stabilitätspolitischen Grundsätzen geprägt sein wird. Da Österreich zu den Staaten zähle, die schon heute die wirtschaftlichen Kriterien der Währungsunion erfüllen, werde sein Beitritt zur planmäßigen Erreichung des Zieles der Währungsunion beitragen.

Besondere Bedeutung messe Österreich den Bestimmungen des Vertrags über die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bei. Die vorgesehenen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten, die Formulierung gemeinsamer Positionen und die Durchführung gemeinsamer Aktionen werden es der Gemeinschaft erleichtern, ihre Rolle als Stabilitätsanker wahrzunehmen.

Österreich habe vitales Interesse, daß die Gemeinschaft diesen Herausforderungen gerecht wird. Es werde daher aktiv und solidarisch an der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Gemeinschaft teilnehmen.

Österreich sehe die gemeinsame Sicherheitspolitik als wichtiges Element der Bemühungen um die Schaffung eines dauerhaften und stabilen europäischen Sicherheitssystems, beruhend auf gemeinsamen Werten und Verpflichtungen. Es gehe davon aus, daß ein derartiges System, wenn es die Sicherheit gegenüber Bedrohungen unseres Kontinents von innen und von außen glaubhaft gewährleisten soll, auch Vorkehrungen für die Abwehr von Aggressionen und Rechtsbrüchen umfassen muß. Österreich sei bereit, am Aufbau und am Funktionieren dieses Sicherheitssystems im Rahmen der Gemeinschaft und über diese hinaus solidarisch mitzuwirken. "Europas Sicherheit ist auch Österreichs Sicherheit", formulierte MOCK.

Die Gemeinschaft habe den erfolgreichen Abschluß der Regierungskonferenzen über die Politische Union und die Wirtschaftsunion als Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Österreich betrachtet. Mit der Unterzeichnung des Vertrags über die Europäische Union sollte nun der Zeitpunkt gekommen sein, den Verhandlungsprozeß ehest einzuleiten. "Österreich hofft, daß der Rat der EG raschestmöglich die erforderlichen Beschlüsse fassen wird", stellte MOCK abschließend fest.

Quelle: ÖVP-Pressedienst vom 6.2.1992, zit. n. Kunnert, Spurensicherung, S. 316-317.


Dokument 9

Information für den Herrn Bundesminister Österreichs EG-Beitritt; Perspektiven nach dem Europäischen Rat in Lissabon, 26./27.6.1992, 3.7.1992 von Stefan Lehne

Die Erweiterungsthematik stellte einen der wichtigsten Schwerpunkte der Tagung des Europäischen Rats in Lissabon dar. Die Staats- und Regierungschefs trafen erstmals konkrete inhaltliche Aussagen über die erste Erweiterungsphase. Das von Österreich angestrebte klare Signal für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen konnte damit erreicht werden. Angesichts der schwierigen Situation, in der sich die Gemeinschaft infolge des Ausgangs des dänischen Referendums befindet, ist dieses Ergebnis besonders positiv zu bewerten.
Die wichtigsten Elemente des Erweiterungskapitels der Schlußfolgerungen [...] können wie folgt zusammengefaßt werden:

1. Eingrenzung der ersten Erweiterungsphase auf EFTA-Kandidaten:

Der Europäische Rat erklärt, daß "das EWR-Abkommen den Weg für die Aufnahme und den baldigen Abschluß von Verhandlungen" mit den EFTA-Kandidaten geebnet hat. Zypern, Malta und der Türkei wird ein Ausbau der Beziehungen in Aussicht gestellt, es gibt jedoch keine Zusicherung von Beitrittsverhandlungen. Den mittel- und osteuropäischen Staaten werden die Ausweitung des politischen Dialogs und die "Unterstützung ihrer Anstrengungen, sich auf die von ihnen angestrebte Mitgliedschaft in der Union vorzubereiten", zugesagt.

2. Aufnahme der Verhandlungsvorbereitungen: Dieser Auftrag geht über die Fertigstellung der noch ausständigen Avis hinaus. Noch vor dem Edinburgh-Gipfel (11/12. Dezember 1992) soll die allgemeine Verhandlungsgrundlage der Union vorbereitet sein. Dies würde bedeuten, daß in Edinburgh die Verhandlungsmandate zumindest für Österreich, Schweden und Finnland verabschiedet werden könnten.

3. Zeitliche Junktimierung des "offiziellen" Verhandlungsbeginns mit Delors II und Maastricht-Ratifizierung: Von einer Bestätigung der bereits in Maastricht aufgestellten Bedingung der Finalisierung des Delors II Pakets war auszugehen. Obwohl in Lissabon kein entscheidender Durchbruch in dieser Frage erreicht werden konnte, werden die Aussichten, bis Edinburgh zu einem Kompromiß zu gelangen, generell positiv eingeschätzt.

Die Verknüpfung des Beginns von Beitrittsverhandlungen mit der Ratifizierung des Vertrags über die Europäischen Union wurde von der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten unterstützt (Ausnahme Großbritannien). In Hinblick auf die zentrale Bedeutung der Überwindung des dänischen Problems für die Zukunft der Integration ist dieser Haltung eine gewisse Logik nicht abzusprechen. Umso bemerkenswerter ist daher, daß diese Bedingung durch die Einfügung der Wortes "offiziell" (in einer späten Phase der Textverhandlungen) teilweise entschärft wurde. Sollte das Ratifikationsverfahren sich in das Jahr 1992 ausdehnen, könnte demnach durch den Beginn informeller Verhandlungen eine Verzögerung des Beitritts der EFTA-Staaten vermieden werden.

4. EFTA-Erweiterung erfordert keine zusätzlichen institutionellen Reformen: Diese Aussage des Europäischen Rats stellt die wichtigste positive Weichenstellung von Lissabon dar. Noch vor wenigen Wochen erschien die Forderung nach einer neuerlichen Stärkung der EG-Institutionen als Vorbedingung auch für eine erste Erweiterungsphase als der bedrohlichste potentielle Verzögerungsfaktor. Das dänische Referendum änderte die Situation schlagartig. Nicht nur sahen nun alle wesentlichen Akteure ein, daß in der Bevölkerung der EG-Staaten derzeit keine Akzeptanz für eine weitere Stärkung der Brüsseler Institutionen besteht. Schon die Forderung nach solchen Reformen erwies sich darüber hinaus auch als massive zusätzliche Gefährdung der Maastricht-Ratifizierung. Der Europäische Rat hat daher nunmehr der Erweiterung um die EFTA-Staaten einen eindeutigen Vorrang gegenüber zusätzlichen Vertiefungsbemühungen eingeräumt. Er hat damit implizite auch akzeptiert, daß diese Erweiterung vor der im Maastrichter Vertrag vorgesehenen Regierungskonferenz im Jahr 1996 abgeschlossen werden sollte.

Der EG-Gipfel in Lissabon stand im Zeichen der Krise um die Ratifizierung des Maastrichter Vertrags. Wie die Ergebnisse zeigen, hatte der Ausgang des dänischen Referendums keineswegs nur negative Auswirkungen auf die Perspektiven für die Erweiterung der Gemeinschaft. Jene, die hofften, man könne die bevorstehende Erweiterung als Hebel verwenden, um die in Maastricht unerfüllt gebliebenen föderativen Forderungen doch noch zu realisieren, haben eine entscheidende Niederlage erlitten. Der eindeutige Verzicht auf institutionelle Reformen als Voraussetzung für jede Erweiterung hat den Weg der EFTA-Staaten in die Gemeinschaft wesentlich geebnet. Darüber hinaus hat die Ratifizierungskrise offenbar den Wunsch der Staats- und Regierungschefs noch gestärkt, durch eine entschlossene Inangriffnahme der Erweiterungsthematik, Handlungsfähigkeit und Optimismus zu dokumentieren. Sicher sind die Beschlüsse von Lissabon auch als Signal an das (traditionell erweiterungsfreundliche) dänische Volk zu betrachten.

Andererseits stellt die ungewisse Zukunft des Maastrichter Vertrages auch einen Unsicherheitsfaktor für die Erweiterung dar. Priorität der Gemeinschaft ist derzeit das Vorantreiben des Ratifikationsprozesses in den übrigen 11 Staaten, wobei das französische Referendum am 20. September eine besonders wichtige Etappe darstellen wird. Im Laufe des Herbst werden dann von der dänischen Regierung Vorschläge für die Beilegung der Krise erwartet. Die Diskussion der verschiedenen Lösungsansätze sowie allenfalls die Vorbereitung und Durchführung eines neuerlichen Referendums in Dänemark könnten zusätzliche Zeit in Anspruch nehmen. Der genaue Zeitpunkt des Beginns der offiziellen Verhandlungen kann daher derzeit nicht abgeschätzt werden. Aus der eindrucksvoll positiven Behandlung der Erweiterungsthematik in Lissabon läßt sich allerdings schließen, daß die Gemeinschaft bemüht sein wird, schwerwiegende Verzögerungen zu vermeiden und die EFTA-Erweiterung zügig abzuschließen.

Wien, am 3. Juli 1992 Lehne m. p.

Quelle: Archiv des Karl von Vogelsang-Instituts, Wien/Bestand ÖVP-Parlamentsklub, Klubsekretär Dr. Helmut Wohnout, Ordner EU-Beitritt.


Dokument 10

Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Gemeinschaft; Erklärung von Bundesminister Dr. Alois Mock, 1.2.1993

Herr Präsident,

Der heutige Tag stellt ein markantes Datum in der Geschichte der Europapolitik Österreichs dar: Wir eröffnen die Verhandlungen über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union. Dies ist die konsequente Fortsetzung eines politischen Weges, der seit über vierzig Jahren auf wachsende Integration und entschlossene Annäherung unseres Landes an die Europäische Gemeinschaft gerichtet ist.

Österreich hat aus schmerzlichen geschichtlichen Erfahrungen gelernt, jeglichem Nationalismus skeptisch gegenüberzustehen. Durch Jahrhunderte europäischer Geschichte stand der Begriff "Österreich" für die Idee übernationaler europäischer Lösungen.

Sie haben, Herr Präsident, einige der Etappen auf dem Weg Österreichs, Schwedens und Finnlands zur europäischen Integration erwähnt. Dieser Weg wurde von den EFTA-Staaten teilweise gemeinsam, teilweise aber auch von Österreich allein zurückgelegt. Trotz mancher Schwierigkeiten stand Österreich während der letzten Jahrzehnte stets ganz vorne, wenn es darum ging, initiativ und beharrlich an der Intensivierung der Beziehungen der EFTA-Staaten zur Europäischen Gemeinschaft zu arbeiten. Ein wesentlicher Markstein wurde 1972 mit dem Abschluß des Freihandelsabkommen erreicht. Es ermöglichte eine weitgehende Teilnahme Österreichs an der wirtschaftlichen Zusammenarbeit Westeuropas. Auch dank ihm ist Österreich heute mit der Gemeinschaft wirtschaftlich enger verflochten als so mancher Mitgliedstaat.

Mit der seit Mitte der 80er Jahre eintretenden Verstärkung der Dynamik der Europäischen Integration zeigte sich jedoch immer deutlicher, daß der Freihandel als Basis für die Teilnahme Österreichs am Integrationsprozeß nicht mehr ausreichte. Die Einheitliche Europäische Akte des Jahres 1986 und das Binnenmarktprojekt bestätigten, daß die europäische Integration ein historisches Geschehen ist, das die Zukunft des gesamten europäischen Kontinents prägen wird.

Am 17. Juli 1989 habe ich in Brüssel den Antrag auf Mitgliedschaft Österreichs in der Europäischen Gemeinschaft an den damaligen Präsidenten des EG-Rates, Außenminister Roland Dumas, überreicht. Der Zeitpunkt der Antragstellung - vor den fundamentalen Veränderungen der politischen Landschaft Europas - reflektiert das besonders ausgeprägte Bekenntnis Österreichs zu den Ideen und Zielen der Europäischen Integration. Die darauf folgenden Entwicklungen bestätigten die Richtigkeit dieses Schrittes. Die Jahre 1989 und 1990 brachten das Ende der kommunistischen Herrschaft über Osteuropa und die Beendigung des Kalten Krieges, der die europäische Politik durch vier Jahrzehnte hindurch geprägt hatte. Die politische, gesellschaftliche und militärische Teilung des Kontinents wurde aufgehoben. Damit sah sich die Europäische Gemeinschaft aber auch - und zwar plötzlich - vor eine neue historische Herausforderung gestellt. Sie wurde zum politischen Gravitationszentrum Europas und zum Bezugspunkt für alle europäische Staaten, für ganz Europa.

Gerade diese neue Herausforderung erfordert eine entschlossene Fortführung des Integrationsprozesses. Auch deshalb war der Vertrag über die Europäische Union eine notwendige und richtige Antwort.

Die Gemeinschaft spricht heute für Europa. Der Beitritt zur Europäischen Union bietet Österreich die Möglichkeit, jene Entscheidungen mitzugestalten und mitzubestimmen, die die Zukunft Europas und damit auch die Österreichs prägen werden.

Österreich wird in die Europäische Union mit Selbstbewußtsein und Zuversicht eintreten. Denn es bringt viel ein in diese Partnerschaft. Die wirtschaftliche Leistungskraft des Landes wird einen signifikanten Gewinn für die Gemeinschaft darstellen und zur Dynamik der Integration in Richtung Wirtschafts- und Währungsunion beitragen. Die hohe wirtschaftliche und soziale Stabilität, die intellektuellen Ressourcen, der hohe Ausbildungsstand der Arbeitnehmer und die starke Währung machen Österreich zu einem Partner, der die Basis für die Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft in der Weltwirtschaft verbreitern und stärken wird.

Die volle Übereinstimmung in den fundamentalen Werten ist Garant für die harmonische Einfügung Österreichs in die gemeinsame Politik der Europäischen Union. Dank seiner historisch bedingten Beziehungen zu den Ländern Zentral- und Osteuropas wird Österreich einen wichtigen Beitrag zur Politik der Gemeinschaft gegenüber dieser Region leisten können. Schließlich ist Österreichs intellektuelles und kulturelles Erbe ein untrennbarer Bestandteil der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte. Es ermöglicht Österreich, zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Kulturen Europas, die in ihrer Vielfalt die Gemeinsamkeit der europäischen Kultur ausmachen, wirksam beizutragen.

Die Aufnahme Österreichs und der anderen Beitrittswerber unter den EFTA-Staaten in den Kreis der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft entspricht der Logik der europäischen Entwicklung.

Sie verspricht diesen Ländern vielfältige Vorteile und größere Möglichkeiten für die Mitgestaltung der europäischen Zukunft. Und sie wird gleichzeitig die Fähigkeiten der Gemeinschaft stärken, die großen Herausforderungen der 90er Jahre zu meistern.

Auch diese Erweiterungsphase wird - so wie das schon mehrfach in der Geschichte der Gemeinschaft der Fall war - zu einer Quelle neuer Dynamik für den Integrationsprozeß werden. Österreich bekennt sich zur Europäischen Integration als einem in die Zukunft gerichteten, fortschreitenden Prozeß. Es wird sich daran solidarisch beteiligen und seine Weiterentwicklung aktiv unterstützen.

Die Vertiefung der Gemeinschaftsstrukturen muß jedoch - dies haben nicht zuletzt auch die Debatten der letzten Monate bewiesen - von konsequenten Bemühungen um mehr Bürgernähe, Transparenz und Offenheit sowie um eine stärkere Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips begleitet sein.

Europa war und ist keine geschlossene, uniforme Einheit. Vielfalt und Offenheit machen die Kraft dieses Kontinents - ja seine Identität - aus. Gerade darin liegt seine unverwechselbare Besonderheit - sein Reichtum an Sprachen und Lebensformen, an Traditionen und geistig-kulturellen Werten.

Schon nach dem Willen der Gründerväter der Gemeinschaft soll Integration Einigung bringen, aber nicht Vereinheitlichung. Eine neue europäische Identität muß die Geschichte, Kultur und Traditionen der einzelnen Völker beachten und die vielfältigen bestehenden Identitäten ergänzen, aber nicht ersetzen. Als ein nach dem Grundsatz des Föderalismus gestalteter Staat hat Österreich besonderes Interesse an einer Integration, in der das Subsidiaritätsprinzip mit Leben erfüllt ist, und in der die Regionen den ihnen zustehenden Platz einnehmen.

Herr Präsident!

In der Eröffnung der Verhandlungen manifestiert sich der klare politische Wille, diese auch zum Erfolg - das heißt zur Verwirklichung der Mitgliedschaft - zu führen. Der Vertrag über den Europäischen Wirtschaftsraum, von dem wir erwarten, daß er noch im Sommer dieses Jahres in Kraft tritt, umfaßt bereits große Teile des Gemeinschaftsrechts. Dies wird es uns in den kommenden Monaten erleichtern, die Verhandlungen zu einem baldigen Abschluß zu bringen.

Österreich ist bereit, die Prinzipien der Europäischen Union zu akzeptieren und den Rechtsbestand (Acquis) zu übernehmen. Österreich bekennt sich auch vollinhaltlich zum Vertrag über die Europäische Union und wird sich solidarisch an seiner Verwirklichung beteiligen.

Österreich ist sich bewußt, daß seine Sicherheit mit der Sicherheit in Europa und von Europa untrennbar verbunden ist. Die Entwicklung wirksamer Instrumentarien für die Abhaltung und Sanktionierung von Aggressionen und Rechtsverletzungen liegt im vitalen, eigenen Sicherheitsinteresse Österreichs. Österreich bekennt sich daher zu der zwecks Erfüllung der Ziele der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik im Unionsvertrag verankerten Perspektive des Ausbaues der sicherheitspolitischen Strukturen der Union.

Herr Präsident!

Meine heutige Erklärung ist nicht der geeignete Rahmen, um die österreichische Verhandlungsposition im einzelnen darzulegen. Lassen Sie mich daher nur kurz einige Gebiete erwähnen, in denen Österreich Schwerpunkte zu setzen beabsichtigt:

Die Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse der österreichischen Landwirtschaft wird ein ganz wesentliches Anliegen Österreichs in den heute beginnenden Verhandlungen sein.

Der Wahrung der hohen sozialen und umweltpolitischen Standards Österreichs werden wir ebenfalls ein besonderes Augenmerk zuwenden.

Nicht zuletzt im Interesse des Schutzes der alpinen Umwelt gehen wir davon aus, daß der Inhalt des Transitvertrages während der vollen Laufzeit des Vertrages gewahrt wird.

Im Bereich der "vier Freiheiten" werden wir uns für die Übernahme der Österreich im Rahmen des EWR gewährten Übergangsregelungen einsetzen.

In diesem Bereich erscheint es uns jedoch erforderlich, schon während der Dauer der Beitrittsverhandlungen eine vorgezogene Vereinbarung zu treffen, um die - insbesondere auch als Folge des Abschlusses der "Europaverträge" der EG mit Reformstaaten Zentral- und Osteuropas entstandene - mangelnde Verknüpfung der Ursprungssysteme zu beheben und die schwerwiegenden Beeinträchtigungen der europäischen Handelsströme zu beseitigen, von denen Österreich in besonderer Weise betroffen ist.

Was die nun einzuschlagende Vorgangsweise anbelangt, möchte ich nur anmerken, daß ich mit Ihren Vorschlägen einverstanden bin. Unsere Stellvertreter sollen so rasch als möglich die prozeduralen Details klären und die ersten Verhandlungsthemen festlegen. Der Überprüfung des abgeleiteten EG-Rechts kommt ebenfalls hohe Priorität zu.

Herr Präsident!

Lassen Sie mich meine Befriedigung darüber zum Ausdruck bringen, daß die Beitrittsverhandlungen unter Ihrer Präsidentschaft aufgenommen werden. Österreich und Dänemark verbinden enge und freundschaftliche Beziehungen. Ihre Person, Herr Präsident, bürgt für ein starkes Bekenntnis zu den Idealen der Europäischen Integration, für großes diplomatisches Geschick und politische Klugheit. Die Verhandlungen könnten nicht unter besseren Vorzeichen beginnen.

Weiters möchte ich auch ein Wort des Dankes an Außenminister Hurd und die britische Regierung richten, die während ihrer Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 1992 viel für das Zustandekommen und für die Vorbereitung der Beitrittsverhandlungen geleistet hat.

Dem Präsidenten der EG-Kommission gilt unsere Bewunderung für seinen unermüdlichen Einsatz für die europäische Idee und unser Dank für seine freundlichen und inhaltsreichen Worte.

Herr Präsident!

Das Unterfangen, das wir heute beginnen, ist für alle Beteiligten von weitreichender Bedeutung. Trotzdem dürfen wir über diesem Verhandlungsprozeß nicht auf die gemeinsamen Note des größeren Europa vergessen.

Über Europas Zukunft wird heute nämlich an vielen Orten entschieden: in den Ländern Zentral- und Osteuropas, deren schwieriger Reformprozeß unser aller Anliegen sein muß; aber auch im ehemaligen Jugoslawien, wo sich Gewalt und Aggression bisher gegen die elementarsten Grundsätze der Pariser Charta durchgesetzt haben.

Deshalb tun wir gut daran, auch unsere Verhandlungen nicht bloß durch das Brennglas unserer eigenen Interessen zu betrachten.

Heute richten sich viele Blicke nach Brüssel. Geben wir mit diesem Verhandlungsauftakt also auch ein Signal der Hoffnung - der Hoffnung, daß die wachsende Gemeinschaft zu einem Träger der Prosperität und des Friedens für ganz Europa werden kann. Europa braucht heute die Dynamik der werdenden Europäischen Union. Mit seinem Beitritt zu dieser Union kann und will Österreich zu dieser Dynamik beitragen!

Quelle: Archiv des Karl von Vogelsang-Instituts, Wien/Bestand ÖVP-Parlamentsklub, Klubsekretär Dr. Helmut Wohnout, Ordner EU-Beitritt.


Dokument 11

Abschluß der Verhandlungen über den Beitritt von Schweden, Finnland und Österreich, 1.3.1994

Am 1. März endeten in Brüssel die Beitrittsverhandlungen mit Schweden, Finnland und Österreich [...], während die Gespräche mit Norwegen vertagt wurden, da keine Übereinstimmung in der Fischereifrage zu erzielen war.

Am 26. Januar hielt sich der österreichische Bundeskanzler Franz VRANITZKY zu einem Besuch in Athen auf, wo er mit dem Ratspräsidenten Andreas PAPANDREOU über den Beitritt Österreichs zur EU sprach. Von griechischer Seite verlautete, man werde alles tun, um die Verhandlungen termingerecht bis zum 1. März zu Ende zu führen; notfalls werde ein Mini-Gipfel mit dem Kommissionspräsidenten und dem Ratsvorsitzenden abgehalten. Europaminister Theodoros PANGALOS erklärte, die Griechen brächten für die österreichischen Wünsche im Hinblick auf die Unterstützung der Bergbauern und die Beschränkung des Baus von Zweitwohnungen viel Verständnis auf. Sie hätten ähnliche Probleme mit ihrer Landwirtschaft und müßten sich mit der Tatsache auseinandersetzen, daß oft ganze Dörfer von Landesfremden aufgekauft würden, die dann fast das ganze Jahr über leer stünden. EU-Kommissar Hans van den BROEK meinte, selbst wenn die Verhandlungen termingerecht abgeschlossen würden, sei es kaum möglich, die kompletten Vertragstexte bis zum 10. März dem Europa-Parlament (EP) vorzulegen. Die Abgeordneten sollten sich daher mit einer Zusammenfassung des Verhandlungsergebnisses zufriedengeben; bis zur Abstimmung über die Erweiterung im Mai würden die vollständigen Texte nachgereicht. Zuvor hatte sich das EP mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, daß die vier Beitrittsländer ihre strengeren Umweltvorschriften nach dem Beitritt nicht nur für eine Übergangszeit von vier Jahren, wie die Kommission vorgeschlagen hatte, sondern auf Dauer beibehalten dürfen.

Nach Verhandlungen über die Agrarfrage erklärte der österreichische Außenminister MOCK am 3. Februar, die EU müsse sich an der Finanzierung der Einkommensbeihilfen für österreichische Bauern zum Ausgleich für die sofortige Senkung der Agrarpreise nach dem Beitritt beteiligen. Es gehe nicht an, daß die Beitrittskandidaten die Gesamtkosten dieses neuen Systems trügen. Ferner dürften österreichische Bergbauern nicht schlechter gestellt werden als Bauern im nördlichen Skandinavien. Als förderungswürdige Gebiete wurden von Wien u.a. das gesamte Burgenland, weite Teile Niederösterreichs und andere Gebiete in allen Bundesländern (ausgenommen Wien und Vorarlberg) genannt, in denen insgesamt 35% der österreichischen Bevölkerung leben. Österreichs EU-Botschafter schlug als Gegenleistung vor, die Laufzeit des Transitvertrags zu verkürzen, auf die geforderte Beschränkung der Transit-Lkw auf 38 t zu verzichten und die EG-Norm von derzeit 40 t anzunehmen. Eine Verteuerung des Straßenverkehrs dürfe es nicht geben, zumal die Erhaltung der Mobilität eine Voraussetzung für das Wachstum sei. Mit der Schweiz werde die EU kein Abkommen schließen, sofern sie darauf bestehe, daß nur Lkw bis zu 28 t das Land durchfahren könnten. Eine Aufhebung dieser Beschränkung würde auch Österreich zugute kommen, das heute den "Umwegtransit" bewältigen müsse.

Am 14. Februar verlangte Spanien, daß die vier Beitrittskandidaten bei der Festlegung der Kriterien für die Teilnahme an der Währungsunion nicht berücksichtigt werden. Zur Begründung erklärte es, daß nur die zwölf EU-Staaten, die den Vertrag von Maastricht unterzeichnet hätten, den Maßstab für die Qualifikation aufstellen dürften. Madrid befürchtet, daß die finanzstarken Länder Nordeuropas die Kriterien leicht erfüllen, das Stabilitätsniveau nach oben verschieben und es damit den südlichen EU-Staaten unmöglich machen könnten, sich für den Eintritt in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion zu qualifizieren.

Die Meldung, wonach Spanien verlangt habe, die finanziellen Nettoleistungen der Beitrittskandidaten (1,7 bis 2,2 Mrd. ECU je nach Umfang der Regional-, Struktur- und Agrarhilfen aus Brüssel) ausschließlich dem Kohäsionsfonds (d.h. der Förderung der südlichen Entwicklungsgebiete) zuzuführen, wurde in Madrid dementiert. Spanien bestand ferner darauf, daß Norwegen die im EWR vorgesehene Quote von 11 000 t Kabeljau für die EU verdoppelt und spanischen Fischern den Fang von weiteren 7000 t in norwegischen Gewässern gestattet, der ihnen 1981 entzogen worden war. Die SZ schrieb: "Es ist ein offenes Geheimnis, daß die Mittelmeerstaaten die Erweiterung der Gemeinschaft nicht wollen, und zwar weniger aus Abneigung gegen Österreich und die Skandinavier als vielmehr aus dem Interesse heraus, Osteuropa auf Distanz zu halten." Letzteres sei viel ärmer als sie und würde im Fall eines Beitritts Hauptnutznießer der Brüsseler Subventionen sein.

Am 26. Februar begann die Schlußrunde der Beitrittsverhandlungen, das sogenannte Jumbo-Treffen. Zuvor hatte die EU für die arktischen Gebiete der skandinavischen Länder eine eigene Zielzone (die sechste) geschaffen. Damit werden von der EU auch Gebiete unterstützt, deren Pro-Kopf-Einkommen zwischen 75 und 80% des Gemeinschaftsdurchschnitts liegt. Bundesaußenminister KINKEL verlangte von seinen Partnern größere Kompromißbereitschaft gegenüber den vier Bewerbern, deren Beitritt für das innere Gleichgewicht der Gemeinschaft notwendig sei. Ein Scheitern der Verhandlungen würde unabsehbare Folgen auch im Innern der EU haben, zumal die in Edinburgh vereinbarte Finanzierung der Union bis zum Ende des Jahrzehnts [...] auf der Grundlage der Erweiterung gefaßt worden sei. Nach diesem Schritt könne die EU besser als jetzt die Rolle als "Stabilitätsanker" in Europa wahrnehmen. Dem griechischen Ratsvorsitzenden PANGALOS wurde von verschiedenen Seiten mangelnde Sachkenntnis und chaotische Gesprächsführung vorgeworfen.

Die Kommission teilte mit, man werde den Beitrittskandidaten in den ersten vier Jahren 750 Mill. ECU zusätzlich für die arktische und die alpine Landwirtschaft bereitstellen, wodurch sich ihr Nettobeitrag auf 1 Mrd. ECU vermindere. Umstritten waren bis zuletzt die Folgen der Erweiterung auf die Sperrminorität im Ministerrat. Spanien und Großbritannien beharrten darauf, diese bei 23 von 76 Stimmen zu belassen, was das Gewicht der großen Mitgliedstaaten (sie besitzen je zehn Stimmen) erhalten würde, und sie nicht auf 27 von künftig 90 Stimmen anzuheben.

Die Einigung mit Schweden, Finnland und Österreich am 1. März nach 72stündigem Verhandlungsmarathon wurde von PANGALOS als Beweis dafür gewertet, daß die EU keine geschlossene Gesellschaft sei; sie solle ihre Türen für weitere Kandidaten - gemeint waren Zypern und Malta offenhalten. Bundeskanzler KOHL sprach von einem großen Erfolg für Europa und lobte vor allem den Einsatz KINKELs, der den entscheidenden Durchbruch - nach Meinung von Beobachtern das "erste diplomatische Meisterstück" auf europäischer Bühne - erreicht habe. Die Bundesrepublik sei Vorkämpferin der Süderweiterung gewesen und habe sich nun für die Norderweiterung eingesetzt. Die Ostsee sei ebenso wie das Mittelmeer ein europäisches Meer. "Die Anrainerstaaten gehören in die Union." Kommentatoren meinten, der Abschluß der Verhandlungen sei nur erreicht worden, weil KINKEL keine Verschiebung der Entscheidungen akzeptiert und das volle Gewicht Deutschlands geltend gemacht habe. Ein Scheitern hätte den Reformstaaten im Osten, deren Integration die deutsche Außenpolitik anstrebe, den Eindruck vermittelt, daß sie nicht auf einen Beitritt hoffen könnten, wenn schon die reichen Nordeuropäer es nicht schafften.

Im Beitrittsabkommen mit Schweden wurde u.a. festgelegt, daß der schwedische Nettobeitrag an die EU innerhalb von fünf Jahren von 50 Mill. auf 750 Mill. ECU steigt. Die Forderung nach fünf statt vier Stimmen im Ministerrat brachte die schwedische Delegation nicht durch. Dennoch bezeichneten der Regierungschef und der Oppositionsführer in Stockholm den Vertragsentwurf als gute Grundlage für das Referendum und drückten die Hoffnung aus, daß sich ihr Land bei der Volksabstimmung für den Beitritt aussprechen werde. Die Vertragsgegner (Linke, Grüne und Teile der Sozialdemokraten) kritisierten, daß die Interessen der Arbeitnehmer, der Umweltschutz und die schwedische Neutralitäts- und Friedenspolitik geopfert worden seien. Finnland, das u.a. verlangt hatte, das ganze Staatsgebiet als subventionsberechtigtes Agrarland einzustufen, erhielt finanzielle Zusagen an die Landwirtschaft im Umfang von 457 Mill. ECU und weitere 340 Mill. ECU aus dem Strukturfonds, so daß 85% der Bauern Subventionen aus Brüssel erhalten; die restlichen Landwirte dürfen von der Regierung in Helsinki unterstützt werden. Die Gegner des Beitritts bezeichneten diese Lösung als unzureichend, was von Regierungsseite mit der Bemerkung beantwortet wurde, der Vertragstext sei noch nicht endgültig formuliert, sondern könne als Ausgangspunkt für weitere Diskussionen dienen.

Österreich wurde in dem Abkommen zugestanden, den Transitvertrag bis zum 1. Januar 2004 beizubehalten. (Ursprünglich hatte die EU dies nur bis 1998 zugestehen wollen, während Wien auf dem Enddatum 31. Dezember 2004 beharrte.) Bis zum 1. Januar 1998 wird der Vertrag, einschließlich des umstrittenen Öko-Punkt-Systems, nicht verändert; danach wird eine Erfolgskontrolle durchgeführt, wobei Einstimmigkeit nötig ist. Sollte die darin vorgesehene Minderung der Umweltbelastung durch den Lkw-Verkehr um 60% bereits im Jahr 2001 erreicht sein, bleibt das System erhalten. Wenn nicht, wird mit qualifizierter Mehrheit eine Änderung beschlossen. Die österreichischen Bauern erhalten Ausgleichszahlungen von jährlich 2,2 Mrd. S, die zu 25% von der EU finanziert werden; zur Förderung der Umwelt können weitere 5 Mrd. S an sie verteilt werden, und für die Regionalförderung stellt die EU innerhalb von fünf Jahren 20 Mrd. S bereit. Die Milchproduktion wird auf 2,6 Mill. t pro Jahr begrenzt. Im Hinblick auf den Erwerb von Zweitwohnungen setzte die EU die Gleichbehandlung ihrer Bürger durch; den einzelnen Bundesländern wurde jedoch das Recht eingeräumt, den Bau von solchen Objekten aus raumplanerischen Gründen zu beschränken.

Außenminister MOCK sprach von einem großen Ergebnis für sein Land; das Beitrittsabkommen besitze historische Bedeutung, vergleichbar nur mit dem Abschluß des Staatsvertrags von 1955 [...]. Österreich habe jetzt die Chance, am "Friedenswerk der EU" teilzuhaben. "Nehmen wir die Einladung an. Sie ist eine große Chance für unsere Republik und unsere Nation." Bundeskanzler VRANITZKY meinte, der EU-Beitritt werde ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 2% (50 Mrd. S) bewirken und 1% mehr Beschäftigung (30.000 neue Arbeitsplätze) schaffen. Es hieß, der Beitritt koste Österreich anfangs 248 Mill. ECU und schließlich 752 Mill. ECU (rund 10 Mrd. S, während mit 16 Mrd. gerechnet worden war). Experten gingen davon aus, daß die Einkommensverluste der österreichischen Bauern (8 Mrd. S pro Jahr) von der EU nicht gänzlich ausgeglichen werden. Deshalb verlangten die Betroffenen, sensible Produkte wie Obst, Gemüse, Wein und Zucker durch nationale Maßnahmen zu stützen. Umweltschützer und der Regierungschef von Tirol protestierten gegen die ihrer Ansicht nach unzureichende Behandlung des Transitvertrags; daß Österreich im letzten Drittel der Vertragsdauer überstimmt werden könne, sei ein Vertragsbruch. FPÖ-Chef HAIDER behauptete, die österreichische Delegation habe von Anfang an "die weiße Fahne der Kapitulation gehißt" und sich "über den Tisch ziehen lassen". Österreichs Märkte würden einbrechen und rund 60.000 Bauernhöfe zugrunde gehen; außerdem seien in Brüssel geheimgehaltene Zusatzvereinbarungen ausgehandelt worden (dpa, FAZ, SZ, NZZ, DP/ zü).

Quelle: Archiv der Gegenwart, 1.3.1994, S. 38712.


Dokument 12

Erklärung anläßlich der Frühjahrssession der österreichischen Bischofskonferenz 22.-24.3.1994

Mit der Abstimmung über einen Beitritt unseres Landes zur Europäischen Union ist dem österreichischen Volk eine Entscheidung von besonderer Tragweite aufgegeben.

Wir halten es für eine demokratische Selbstverständlichkeit, daß alle Bürgerinnern und Bürger, denen das Wohl Österreichs am Herzen liegt, sich an einer solchen Volksabstimmung beteiligen und sich vorher sorgsam über die Gründe für oder gegen einen Beitritt informieren.

Es steht uns Bischöfen nicht zu, den Katholiken ein Ja oder Nein zur EU zu empfehlen. Wir verweisen aber darauf, daß nach den zwei mörderischen Weltkriegen Staatsmänner aus christlicher Verantwortung das Konzept einer europäischen Integration entworfen und gefördert haben, weil ihnen ein dauerhafter Friede in Europa nur durch wachsende wirtschaftliche, kulturelle und politische Integration als möglich erschien. Diese Sicht ist in der heutigen Situation Europas unvermindert aktuell.

Bei aller gebotenen sorgsamen Abwägung des Für und Wider zur weiteren Integration wird ein bewußter Christ den Auftrag und die Chance ernstnehmen, auf dem Bauplatz Europa mit den Maßstäben des Evangeliums mittätig zu sein.

Quelle: Archiv des Karl von Vogelsang-Instituts, Wien/Bestand ÖVP-Parlamentsklub, Klubsekretär Dr. Helmut Wohnout, Ordner EU-Beitritt.


Dokument 13

"Die wichtigsten EU-Verhandlungsergebnisse". Aufzeichnung [März 1994]

Vorteile eines EU-Beitritts für jeden einzelnen Österreicher

Die Europäische Union spannt ein europaweites Netz der sozialen Sicherheit, der freien Berufs- und Arbeitswahl. Der Beitritt bedeutet die Sicherung der Zukunft.
Der Beitritt sichert die Beibehaltung des österreichischen Lebensstandards.
Es wird keinen Sozialabbau geben. Die österreichischen Sozialstandards bleiben auch in der Europäischen Union gesichert. Dies betrifft insbesondere auch die Pensionen und alle anderen Sozialleistungen.
Mit dem EU-Beitritt tritt Österreich auch der Europäischen Sozialcharta bei, die beim Arbeitnehmerschutz sogar eine Reihe zusätzlicher Verbesserungen bringt. Auch die Gleichbehandlung der Frauen wird in der EU groß geschrieben.
Sozial- und arbeitsrechtlich kommt der Beitritt auch den 125.000 im EU-Ausland lebenden Österreichern zugute. D.h., sie brauchen keine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis mehr und werden in allen Belangen den Angehörigen der Mitgliedsstaaten gleichgestellt.
Österreichische Arbeitnehmer können in ganz Europa Arbeit suchen und studieren.
Zeugnisse und Berufsdiplome werden in allen Mitgliedstaaten anerkannt.
Im Forschungs- und Bildungsbereich wird Österreich an der europäischen Zusammenarbeit gleichberechtigt teilnehmen. Österreicher haben mit dem Beitritt Zugang zu allen Bildungseinrichtungen Europas.
Hinsichtlich des Zutritts von Studierenden zu Österreichischen Hochschulen gilt die Regelung, daß sie einen Studienplatz in dem Land nachweisen müssen, in welchem sie ihre Matura abgelegt haben. Ein unkontrollierter Zuzug aus Staaten mit Numerus Clausus kann somit vermieden werden. Das heißt, es kommt zu keiner Überschwemmung von Österreichs Universitäten durch nicht-österreichische Studenten.

SICHERHEIT

Der Beitritt Österreichs zur EU ist der wichtigste sicherheitspolitische Schritt unseres Landes und kann in seiner Bedeutung nur mit dem Abschluß des Staatsvertrages 1955 verglichen werden. Ja man muß eigentlich sagen, daß der EU-Vertrag der neue österreichische Staatsvertrag ist, der Frieden und Stabilität in unserem Land auch für die Zukunft garantiert.
Österreich wird erstmals in allen Bereichen seines politischen und wirtschaftlichen Lebens voll in den Kreis der großen westeuropäischen Demokratien aufgenommen.
Spätestens seit dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes und den neu aufgebrochenen Nationalismen in den ehemaligen Oststaaten wissen wir, daß Österreich als östlichster Teil des stabilen Europa in unmittelbarer Nähe zu Konfliktzonen am Balkan und in den GUS-Republiken zu betrachten ist. Schon aus diesem Grund ist das Sicherheitsbedürfnis Österreichs immens gestiegen. Österreich ist das einzige Land Europas, das vier Nachbarn aus dem ehemals kommunistischen Bereich hat. Daher sind wir von Entwicklungen und möglichen Krisen in diesem Bereich in besonders starkem Ausmaß betroffen. Es ist deshalb besonders wichtig für uns, Freunde zu haben, die schon im Ansatz einer Krise geschlossen hinter uns stehen, und dies wird durch den Beitritt zur Europäischen Union und die Verwirklichung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU sichergestellt.

Der Beitritt zur EU erhöht aber auch Österreichs innere Sicherheit. Durch die Zusammenarbeit im Bereich innere Sicherheit und Justizwesen erhöht sich unser Schutz vor dem grenzüberschreitenden Verbrechen, insbesondere auch bei organisiertem Verbrechen wie Menschen- und Drogenhandel.

Durch die Zusammenarbeit im Asyl- und Wanderungswesen innerhalb der Europäischen Union wird Österreich aufgrund der Prinzipien der Solidarität und Lastenteilung Flüchtlings- und Migrationsströme künftig besser bewältigen können.

TRANSIT

Das wesentliche ökologische Ziel des Transitvertrages, nämlich die 60%ige Absenkung der Emissionsbelastung durch Schwerverkehr wurde in den Beitrittsverhandlungen ausdrücklich festgeschrieben.
Von besonderer Bedeutung ist aber auch, daß zwei wichtige österreichische Anliegen die über den Transitvertrag hinausgehen, verwirklicht wurden. Und zwar:
Die Bestätigung, daß der mit Ablauf der Senkungsmaßnahmen erreichte Standard dauerhaft sein soll.
Die Möglichkeit, aufgrund eines im Jahre 2001 zu treffenden gemeinsamen Beschlusses, die ökologische Zielsetzung des Transitvertrages zur Grundlage einer zukunftsgerichteten, europaweiten Lösung zu machen.
Österreich wird damit nach erfolgtem Beitritt zur EU das erste Land Europas mit einer - vertraglich festgeschriebenen - umweltbewußten Regelung zum Thema Transit sein.

Der Hartnäckigkeit der österreichischen Verhandler ist es zu verdanken, daß diese Regelung:
- für das gesamte österreichische Bundesgebiet gilt;
- die schon bisher geübte Praxis eines Lkw-Gewichtslimits von 38 Tonnen samt einer Toleranz von 5% bestehen läßt;
- die mengenmäßige Begrenzung der Anzahl von LKW-Fahrten durch das System von Öko-Punkten wurde festgeschrieben;
- die im Transitabkommen vorgenommene Perspektive der 60%igen Schadstoffentlastung in vollem Umfang als Ziel definiert.
Diese 60%ige Senkung der Schadstoffemission durch Transit ist das Kernanliegen für unsere Heimat.
Mit dem Beitritt Österreichs zur EU am 1. Jänner 1995 würde diese Regelung eine Laufzeit von insgesamt elf Jahren bis zum 1. Jänner 2004 (im Vertragstext festgelegtes Ende der Laufzeit des Transitvertrages 31.12.2003) haben.
Der Erfolg der neuen Regelung liegt daher im Bestreben, die 60%ige Senkung der Schadstoffemission - wenn möglich - vor Ablauf dieser Frist sicherzustellen.
Das Verfahren, welches dafür festgeschrieben wurde, sieht im einzelnen vor:
- Drei Jahre nach dem Beitritt Österreichs zur EU wird die Transitregelung überprüft und beurteilt.
- Bei Nichtvorliegen umweltverträglicherer Alternativen zum Transitregime wird die getroffene Regelung automatisch drei Jahre weitergeführt.
- Eine Änderung dieses Ablaufs kann nur durch einen einstimmigen EU-Ratsbeschluß (d.h. mit der Stimme Österreichs erfolgen).
- Im Jahre 2001 wird in einer wissenschaftlichen Studie geprüft, ob die 60%ige Senkung der Schadstoffemission bereits erfüllt ist.
- Ist dies nicht der Fall, so wird die Transitregelung weitergeführt, es sei denn, der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit eine Änderung, welche allerdings die ökologische Zielsetzung der Transitregelung erfüllen muß.
Es liegt nun an uns, die in der EU bestehenden Infrastrukturfinanzierungsprogramme für uns zu nützen.
Das Ziel heißt, ein sauberer Verkehr für ein umweltbewußtes Österreich.

LANDWIRTSCHAFT

Das Verhandlungsergebnis im Bereich Landwirtschaft ist eine gute Grundlage für die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz unserer bäuerlichen Familienbetriebe. Über vier Jahre gibt es Ausgleichszahlungen aus EU-Mitteln an die Bauern zur Bewältigung des Preisabbaues für landwirtschaftliche Produkte auf Niveau. Bergbauernförderung, Umweltprogramm und andere Förderungsmaßnahmen sind langfristig ahgesichert.

Die Ergebnisse im Detail:

Bergbauern:
- Rund 2,4 Milliarden Schilling werden jährlich an die Bergbauern und Bauern in den sonst benachteiligten Gebieten ausbezahlt. Das ist um eine Milliarde Schilling mehr als derzeit.
- Brüssel finanziert diese Summe zu 25%.
- Es ist sichergestellt, daß jeder Bauer, der bisher eine Förderung als Bergbauer oder Bauer in einem benachteiligten Gebiet bekommt, diese Förderung auch in Zukunft in bisheriger Höhe ausbezahlt bekommt.

Umweltprogramm für die Bauern:
- Die EU hat unser Umweltprogramm im Gesamtausmaß von jährlich 4,8 Milliarden Schilling für die Bauern akzeptiert. 50% der Kosten trägt Brüssel. Der ökosoziale Weg, verbunden mit einer Einkommenssicherung für die Bauern, kann damit fortgeführt werden.

Regionalförderung:
Die EU stellt für die nächsten 5 Jahre rund 20 Milliarden Schilling für die Sektorpläne (z.B. Investitionsprogramme für den Verarbeitungsbereich) und strukturschwache ländliche Gebiete (Ziel 5-b-Gebiete) zur Verfügung.

Quoten und Referenzmengen:
- Quote für die Rinderprämie: 423.000 Stück
- Mutterkühe: 325.000 Stück (derzeit rd. 100.000 Stück)
- Mutterschafe: 205.000 Stück (ergibt ebenfalls erheblichen zusätzlichen Produktionsspielraum)
- Getreide: bisherige Ackerfläche als Referenzfläche
- Milch: keine Einschränkung der Richtmengen und der Almlieferung, zusätzliche Quote für Ab-Hof-Verkauf
- Zucker: 390.000 Tonnen (A- und B-Quote; bedeutet Produktionseinschränkung; nationale Ausgleichsmaßnahmen notwendig)

Übergangsregelungen:

Das von Österreich angestrebte Übergangsmodell mit schrittweiser Preisanpassung durch Beitrittsausgleichsbeträge und schrittweiser Marktöffnung konnte nicht durchgesetzt werden. Die Agrarpreise werden sofort auf EU-Niveau abgesenkt. Die Bauern erhalten über vier Jahre einen degressiven Preisausgleich, der im ersten Jahr rund drei Milliarden Schilling aus EU-Mitteln beträgt und schrittweise abgebaut wird. Zusätzliche nationale Begleitmaßnahmen wird es geben. Bei sensiblen Produkten hat die EU im Falle von Marktstörungen eine Schutzklausel über fünf Jahre eingeräumt.

WIRTSCHAFT

Der Beitritt sichert den Wirtschaftsstandort Österreich, der Beitritt bringt mehr Arbeitsplätze und zusätzliches Wirtschaftswachstum.
Das Förderungssystem der Europäischen Union kommt insbesondere der klein- und mittelbetrieblichen Struktur Österreichs entgegen. Nicht die großen Unternehmen, sondern die Klein- und Mittelbetriebe sind im gemeinsamen Europa die Gewinner. Großunternehmen können sich nämlich leichter über die Nachteile der Marktzersplitterung hinweghelfen.
Obwohl Österreich Nettozahler ist, erhöht der Beitritt das Volkseinkommen. Die Erhöhung des Volkseinkommens durch den Beitritt wiegt den Nettobeitrag zum EU-Beitritt weitgehend auf.
Durch den Beitritt fallen die Ursprungsregeln und somit die Benachteiligungen gegenüber den billig produzierenden osteuropäischen Staaten weg. Dies betrifft insbesondere den passiven Veredelungsverkehr und sichert die durch den Nicht-Beitritt zur Zeit gefährdeten Arbeitsplätze in der Textilindustrie und anderen betroffenen Branchen.
Der Beitrittsvertrag enthält auch eine Vereinbarung, die die Arbeitsplätze in der Autozulieferindustrie und deren Exportmöglichkeiten innerhalb Europas und nach Japan sowie Übersee sichert.

Über Regional- und Strukturfonds werden Länder, Bezirke und Gemeinden Projekte zur Verbesserung ihrer Infrastruktur verwirklichen können.

Der Beitrittsvertrag erlaubt Österreich die allmähliche Anpassung an das Mehrwertsteuersystem der EU. Somit bedeutet der Beitritt keine Mehrbelastung des österreichischen Steuerzahlers.
Mit der Teilnahme Österreichs an den Forschungs- und Technologieprogrammen der EU werden wir in die Lage versetzt, die Strukturkrise der österreichischen Industrie zu überwinden, den Zutritt zur Forschungs- und Technologieentwicklung zu sichern und deren Orientierung selbst mitzubestimmen.

ZWEITWOHNSITZE

Mit der Zweitwohnsitzregelung kann Österreich nicht nur einen drohenden Ausverkauf von Grund und Boden verhindern. Die notwendige Siedlungsfläche für die heimische Bevölkerung kann durch geeignete Maßnahmen weiterhin sichergestellt werden.
Bis zum Jahr 2000, das heißt fünf Jahre lang, kann Österreich die derzeit gültigen Regeln zur Kontrolle und Beschränkung des Zweitwohnungsmarktes unverändert aufrecht erhalten. Sämtliche Ländergesetze sind damit vollinhaltlich abgedeckt.
Auch nach diesem Zeitpunkt kann mit Maßnahmen auf dem Gebiet der Raumordnung, des Grundverkehrs, der Flächenwidmung und des Umweltschutzes sichergestellt werden.
- daß der Bedarf der ortsansässigen Bevölkerung an Wohnraum zu angemessenen Preisen vorrangig abgedeckt wird, und
- daß die österreichische Landschaft vor Zersiedlung geschützt wird.
Das heißt,
- in Regionen, in denen das Bauland knapp ist, wird Hauptwohnsitzen der Vorzug vor Zweitwohnsitzen gegeben werden können;
- Österreich kann dort, wo es für notwendig erachtet wird, die Errichtung von Zweitwohnungen eindämmen.

Voraussetzung ist, daß alle Beschlüsse, die Österreich faßt, nicht diskriminierend sind.

UMWELT

Österreich bleibt Vorreiter im Umweltschutz.
Umweltprobleme kennen keine Staatsgrenzen, daher ist Umweltschutz zunehmend ein gemeinsames Anliegen der Europäischen Union.
Nur der Beitritt sichert Österreichs Mitsprache im Umweltbereich.
Österreich wird sich in der Union für eine umweltorientierte, auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit beruhende Wirtschaftspolitik engagieren.
Im Zusammenwirken mit den in Umweltfragen ähnlich gesinnten skandinavischen Staaten kann Österreich in der EU viel bewegen.
Österreich kann seine hohen Umweltstandards beibehalten bzw. diesen gemeinsam mit anderen in der Union zum Durchbruch verhelfen. Wenn wir draußen blieben, müßten wir uns über kurz oder lang an den Umweltstandards der Gemeinschaft orientieren.

UNSERE UMWELTSTANDARDS BLEIBEN ERHALTEN

In strittigen Fragen haben wir uns durchgesetzt. So wird es weiterhin kein verbleites Benzin an Österreichs Zapfsäulen geben - ein wichtiger Beitrag zum Bodenschutz. Unser niedriger Benzolgehalt im Benzin bleibt weiter niedrig. Und unsere Vorbildrolle im Kampf gegen den sauren Regen spielen wir auch in Zukunft, denn der Schwefelanteil in Heizöl und Diesel wird weiter gesenkt. Die EU zieht in den kommenden Jahren nach.

WIR ZIEHEN EUROPA MIT

Die Verhandlungen mit der EU waren hart - aber Österreich hat sich mit seinen Standards durchgesetzt. Noch mehr sogar: Öko-Standards, bei denen die EU uns noch hinterherhinkt, werden jetzt überprüft. Binnen vier Jahren wird die EU wichtige Schritte setzen, um höhere Öko-Niveaus durchzusetzen. Als Mitglied bestimmt Österreich gleichberechtigt mit.

ÖSTERREICH WIRD KEIN ATOMSTAAT

In der EU bestimmt jedes Land selbst, ob es Atomenergie zuläßt. Wir haben 1978 abgestimmt: Kein Atomkraftwerk in Österreich. Das bleibt auch weiter so. Und für fremden Atommüll bleiben unsere Grenzbalken auch weiterhin geschlossen.

FORSCHUNG UND TECHNOLOGIE

Im Bildungs- und Forschungsbereich wird Österreich an der Europäischen Zusammenarbeit gleichberechtigt mitwirken.

Die Teilnahme Österreichs an den Forschungs- und Technologieprogrammen sichert Österreich den Zutritt zum letzten Stand der Entwicklung in Bereichen wie Kommunikations- und Telekommunikationstechnologien, aber auch der industriellen Fertigung, der Materialforschung und Umwelttechnik.
Der Beitritt zur EU bedeutet daher auch durch die Forschungs- und Technologiezusammenarbeit die Sicherung des Industriestandorts Österreichs, daher der Sicherung von Arbeitsplätzen.
Österreich wird nicht nur bei den großen Bildungs- und Ausbildungsprogrammen teilnehmen können, sondern durch Mitgestaltung und Mitentscheidung diese auch für die spezifischen Interessen der österreichischen Wirtschaft und Wissenschaft nutzbar machen.
Die Teilnahme Österreichs an den großen Bildungsprogrammen ERASMUS und COMETT zeigen, daß österreichische Studierende, Unternehmen und Forschungseinrichtungen durchaus Europareife besitzen und dem Wettbewerb mit anderen europäischen Staaten nicht zu scheuen brauchen.
Österreichs Wissenschafter und Experten werden an den bildungs- und forschungspolitischen Ausschüssen der EU gleichberechtigt mitwirken.
In Anpassung an die EU wird in Österreich ein eigenes Zahnarztstudium eingeführt, welches eine praxisorientiertere Ausbildung vorsieht.

VERHANDLUNGSFÜHRUNG

Das BMfaA war für die Führung der Beitrittsverhandlungen zuständig. Auf Ebene der Minister verhandelte Bundesminister Dr. Alois MOCK, auf Ebene der "Stellvertreter" Botschafter Dr. Manfred SCHEICH. Neben der Gesprächsführung mit der EU umfaßte die Rolle der Verhandlungsleitung auch wesentliche Koordinationsfunktionen. Die österreichischen Positionen wurden in einer interministeriellen Arbeitsgruppe ausgearbeitet, die abwechselnd unter dem Vorsitz des BMfaA und des BKA stand. Eine Schlüsselrolle in der Vorbereitung und im Management der Verhandlungen kam auch der dem BMfaA zugeteilten österreichischen Mission bei der EU zu.

GEMEINSAME AUSSEN- UND SICHERHEITSPOLITIK

In diesem Verhandlungskapitel ging es um die Sicherung der vollen Mitwirkung Österreichs an der GASP bei gleichzeitiger Wahrung des Neutralitätsstatuts des Landes. Da anfangs beträchtliche Vorbehalte gegen die EU-Mitgliedschaft eines neutralen Staates bestanden, erforderte die Durchsetzung dieses Anliegens eine intensive und systematische Überzeugungsarbeit in politischen Kontakten mit den EU-Partnern. Das am 21. Dezember 1993 erzielte Verhandlungsergebnis trägt der österreichischen Position voll Rechnung.

INSTITUTIONELLE FRAGEN

Eine seiner Bevölkerungsgröße und seiner wirtschaftlichen Stärke entsprechende Vertretung Österreichs in den EU-Gremien und die Sicherung der Stellung der kleineren und mittleren Länder waren die wichtigsten österreichischen Anliegen in diesem Bereich. Das Verhandlungsergebnis entspricht dieser österreichischen Interessenslage.

Quelle: Archiv des Karl von Vogelsang-Instituts, Wien/Bestand ÖVP-Parlamentsklub, Klubsekretär Dr. Helmut Wohnout, Ordner EU-Beitritt.


Dokument 14

"Die aktive Mitgestaltungsmöglichkeit Österreichs in der EU", Konzept einer Rede von Bundesminister Dr. Alois Mock, 16.5.1994

Am 16. Mai fand die erste Tagung des Ministerrates der EU statt, an der Österreich als Beobachter teilnehmen konnte. Unsere Teilnahme beschränkte sich zwar noch auf einen Tagesordnungspunkt: die Krise im früheren Jugoslawien: ein umfassender Beobachterstatus würde - ein positives Ergebnis der Volksabstimmung vorausgesetzt - nach der Unterzeichnung des Vertrages am 24. Juni gewährt werden. Ich möchte aber dennoch einige Elemente aus der Tagesordnung dieser Sitzung aufzählen. Sie illustrieren konkret, wie Österreich durch einen EU-Beitritt an Mitgestaltungsmöglichkeit gewinnen würde.

- Einen wesentlichen Schwerpunkt bildete die Frage der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Europa. Hier ist die Finanzierung der großen Industrieprojekte zu klären. Diskutiert wurde auch über Maßnahmen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.

- Im Rahmen der Beziehungen zu Rußland ging es um das heikle Thema der Nuklearexporte. Bei der Frage der Hilfe für die Ukraine wurde eingehend erörtert, durch welche Schritte der EU dieses Land in die Lage versetzt werden könnte, seine unsicheren Nuklearreaktoren zu schließen.

- In Hinblick auf die Krise im früheren Jugoslawien stand die Frage der Erneuerung der Verhandlungen zwischen den Streitparteien nach dem kroatisch-muslimischen Föderationsprojekt und dem jüngsten Genfer Außenministertreffen im Mittelpunkt.

- Weiters wurde u.a. die Frage der zukünftigen Beziehungen der Union zur Schweiz diskutiert.

Niemand wird bestreiten. daß alle diese Fragen für Österreich von unmittelbarer Bedeutung sind. Die Ratssitzung vom 16. Mai war in dieser Hinsicht kein Sonderfall. Ähnliche Listen von österreichische Interessen betreffenden Themen ließe sich bei jeder Ratstagung erstellen.
Entscheidet sich die österreichische Bevölkerung am 12. Juni für den EU-Beitritt - und davon bin ich überzeugt - so werden wir in wenigen Monaten mit Sitz und Stimme im Rat dabei sein und die österreichischen Interessen und Vorstellungen in die Meinungsbildung einbringen. Sollte aber die Volksabstimmung ein negatives Ergebnis haben, so werden auch weiterhin ohne unsere Teilnahme und ohne Berücksichtigung unserer Interessen Beschlüsse gefaßt werden, deren Folgen wir mitzutragen haben werden.
Und dies gewiß in einem zunehmenden Ausmaß. Denn wirtschaftliche Verflechtung und hohe Mobilität der Wirtschaftsfaktoren engen den Spielraum für die Politik des einzelnen Staates immer mehr ein. Souveränität kann nur bewahrt werden. wenn sie gemeinsam im Rahmen internationaler Zusammenschlüsse ausgeübt wird. Je stärker, je "integrierter" dieser Zusammenschluß ist, um so eher kann er die Aufgaben der Zukunft bewältigen. Die Europäische Gemeinschaft entspricht diesen Anforderungen am ehesten. Sie ist daher zur gestaltenden Kraft auf unserem Kontinent geworden. Entscheidungen, die die Zukunft des gesamten Kontinents bestimmen, fallen zunehmend im Rahmen der europäischen Integration.
Was bedeutet dies für mittlere und kleinere europäische Staaten, die der Gemeinschaft noch nicht angehören? Bleiben sie der EU fern, verlieren sie an Gewicht auf europäischer Ebene. Sie verlieren aber auch - und dies wiegt wohl noch schwerer - an Einfluß auf die eigene Entwicklung. Als Nachbarn und enge wirtschaftliche Partner der EU sind sie von deren Entscheidungen direkt betroffen. Um ihren Zugang zum europäischen Markt nicht zu gefährden, sind sie vielfach gezwungen, Regelungen der EU ohne Mitbestimmung zu übernehmen. Dies gilt insbesondere für den Bereich der technischen Normen und Standards der EU, ohne deren Einhaltung die Industrie nicht in die Gemeinschaft exportieren könnte. Ein anderes Beispiel sind die Auseinandersetzungen zwischen Österreich und der Gemeinschaft in der Frage der staatlichen Beihilfen für Chrysler, General Motors, Grundig und Steyr, in denen die EU die Einhaltung ihrer Förderungsregelungen auch in einem Nichtmitgliedstaat mit der Androhung der Verhängung von Strafzöllen verbunden hat.
Immer wieder wird vom angeblichen "Demokratiedefizit" der EU gesprochen. Dabei sollte auch das Demokratiedefizit des Nachvollziehens von Beschlüssen anderer nicht übersehen werden. Abseitsbleiben von der europäischen Integration bedeutet daher nicht Wahrung der Selbstbestimmung, sondern tatsächlich mehr Fremdbestimmung.
Dagegen wird oft eingewandt, daß kleinere Staaten in der EU kaum genug Gewicht hätten, um ihre Interessen ins Spiel zu bringen. Dieses Argument geht vollkommen an der Realität vorbei. Dies zeigen nicht zuletzt auch die Beitrittsverhandlungen mit Österreich. So hat sich die Union im Rahmen der Beitrittsverhandlungen vorgenommen, eine für den gesamten EU-Bereich geltende Rahmenregelung zur Lösung der durch den Lastkraftwagenverkehr entstehenden Umweltprobleme auszuarbeiten. Dies zeigt, daß ein mittleres Land in einer für es vitalen Frage die Gesamtpolitik der Union maßgeblich beeinflussen kann. Und dies in diesem Fall sogar doch vor dem Beitritt.
Dazu kommt, daß die kleineren und mittleren Mitglieder über ein im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße und Wirtschaftsmacht überproportionales Gewicht verfügen. Das aktuelle politische Problem in der Union ist nicht die Furcht der kleineren Staaten vor der Übermacht der Großen, sondern im Gegenteil die Sorge einzelner großer Länder, daß ihr Einfluß aufgrund des Beitrittes zusätzlicher mittlerer Staaten zu sehr zurückgehen könnte.
Bei dem letzten Problem der Beitrittsverhandlungen, der Auseinandersetzung über die Anpassung der Sperrminorität im EU-Ministerrat ging es genau um diese Frage. Bisher konnten zwei große Mitgliedstaaten mit Unterstützung eines kleineren oder mittleren Landes einen Beschluß des Rates verhindern. Bei der Anpassung der Sperrminorität von 23 auf 27 Stimmen müssen sie jedoch die Zustimmung zumindest eines zusätzlichen Landes finden.
Die großen Staaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien) mit insgesamt 78% der Bevölkerung der Union verfügen nur über 53% der Stimmrechte im Rat. Dagegen wird etwa Österreich mit 1O% der Bevölkerung Deutschlands 4O% der Stimmstärke seines nördlichen Nachbarn aufweisen. Völlig gleichberechtigt sind größere und kleinere Staaten weiters in der Übernahme der sechsmonatigen Präsidentschaft im Rat.
Auch in den anderen EU-Institutionen ist das Gewicht der kleinen und mittleren Staaten überproportional groß. In der Europäischen Kommission stellen die kleineren und mittleren EU-Länder je ein Mitglied der Kommission, die fünf großen Staaten jeweils zwei. Beim Europäischen Gerichtshof sind alle EU-Staaten durch einen Richter vertreten, wobei ein zusätzlicher Richter abwechselnd von den großen EG-Staaten nominiert wird.
Sogar im Europäischen Parlament, in dem die Bevölkerungsgröße ein wichtigeres Kriterium darstellt, verfügen kleinere und mittlere Staaten über einen relativ höheren Anteil an Sitzen. So sind im kleinsten EU-Land Luxemburg jeweils 64.000 Bürger durch einen (von sechs) Abgeordneten vertreten: in Deutschland dagegen kommen auf einen (von 99) Abgeordneten etwa 810.000 Einwohner.
All dies zeigt: Drinnen sind wir stärker! Außerhalb der Union bestimmt nach wie vor das Gesetz der Macht die politische Wirklichkeit. Im Wechselspiel der Interessen bleibt die Stärke eines Landes der mit Abstand wichtigste Faktor. Im Rahmen der Integration dagegen steht dem Gesetz der Macht die Gemeinschaft des Rechts und die Partnerschaft in den Institutionen entgegen. Natürlich spielen Stärkeverhältnisse auch hier eine Rolle, aber in weit geringerem Maße als außerhalb der Integration.
Als Nichtmitglied der Union hätte Österreich deutlich geringere Möglichkeiten, seine Interessen im internationalen Kräftespiel durchzusetzen. Dies nicht zuletzt auch im Verhältnis zur Europäischen Union, die ja selbst für die kleineren europäischen Nichtmitgliedstaaten einen übermächtigen Partner darstellt.
Als Mitglied der Union könnte Österreich dagegen - vor allem durch Allianzen mit gleichgesinnten Mitgliedstaaten - die gemeinsame Politik aktiv mitgestalten und hätte gegen den Einfluß mächtiger außenstehender Staaten den starken Rückhalt der Europäischen Union. Bei der Entscheidung über die EU-Mitgliedschaft geht es daher in allererster Linie darum, den Österreichern - und vor allem auch künftigen Generationen eine aktive und wirkungsvolle Mitgestaltung der europäischen Zukunft zu ermöglichen. Nur so kann unser Land eine Stellung in Europa einnehmen, die es verdient.
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Thema Regionalismus sagen, jener faszinierenden neueren Dimension des Integrationsgedankens. Der Wunsch nach einer größeren Rolle der Regionen auf europäischer Ebene ist Ausdruck der Vielfalt der Kulturen, Sprachen und Traditionen, die die europäische Identität ausmacht. Je konkretere Gestalt die europäische Einigung annimmt, desto stärker wird auch das Bedürfnis nach Verwurzelung im überschaubaren Raum. Nur im Rahmen der Länder und Regionen ist Heimat konkret erfahrbar. Regionalismus heißt daher verwirklichte Bürgernähe, gelebte Demokratie und konkrete Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips.
Die wirksame Einbindung der Regionen in die europäische Integration, die Verwirklichung des "Europas der Regionen", ist daher der richtige Weg, um die Kluft zwischen dem Bürger und den europäischen Institutionen zu verringern, um Mitbestimmung auf europäischer Ebene erlebbar zu machen.
Neulich war ich allerdings in einer Publikation mit einer gänzlich anderen Interpretation des Regionalismus konfrontiert. Hier war zu lesen, daß Teile unseres Landes mit Teilen von Nachbarstaaten zu Europaregionen verschmolzen würden, und so die gewachsene Identität unseres Landes verloren gehen würde.
Man soll sich gerade als Politiker jeder Polemik enthalten. Manchmal fragt man sich allerdings, woher manche Schöpfer solcher "Euro-Märchen" ihre grenzenlose Fantasie beziehen, und wie sie die Intelligenz ihres Publikums beurteilen. Auch dieser Mythos entbehrt ebenso wie der angebliche Brüsseler Zugriff auf unsere Wasserversorgung bzw. auf unsere Goldreserven jedes Bezugs zur Realität.
Die stärkere Durchsetzung des Regionalismus bedeutet keineswegs eine Bedrohung der Rolle der Mitgliedstaaten, sondern im Gegenteil ein Mehr an Mitbestimmung und Demokratie. Gerade ein Bundesstaat wie Österreich, der auch für den innerstaatlichen Bereich die Prinzipien der Subsidiarität und des Föderalismus akzeptiert, erhält so zusätzliche konkrete Möglichkeiten der Mitgestaltung. Wenn wir die Österreicher davon überzeugen können, daß es im Integrationsprozeß auf sie, auf ihre Gemeinde, auf ihr Bundesland und auf ihren Heimatstaat ankommen wird, dann haben wir gute Chancen, sie für Europa zu gewinnen.

Quelle: Archiv des Karl von Vogelsang-Instituts, Wien/Bestand ÖVP-Parlamentsklub, Klubsekretär Dr. Helmut Wohnout, Ordner EU-Beitritt.