Suche:

Die Heimatfront: Von der "Ostmark" zu den "Alpen- und Donaugauen" 1939-1945

1. Dokument
Richtlinien des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels für den 10. April 1938, 28. 3. 1938

2. Dokument
Lagebericht der Staatspolizeistelle Innsbruck an den SD-Führer des SS-Oberabschnitts Donau, 29. 6. 1938

3. Dokument
Lagebericht (des SD-Unterabschnittes Tirol an den SD-Führer des SS-Oberabschnittes Donau in Wien), 6. 12. 1939.


Dokument 1

Richtlinien des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels für den 10. April 1938, 28. 3. 1938

1.) Schmückung: Es ist selbstverständlich, daß die Schmückung der Häuser, Verkehrsmittel, Bahnhöfe u. ä. mit Tannengrün sowie die allgemeine Beflaggung auch für den Wahlsonntag gilt.

2.) Der Weckruf: Für den Wahlsonntag wird morgens 7 Uhr großes Wecken angeordnet. Das Wecken wird durchgeführt durch den Einsatz sämtlicher Gliederungen und angeschlossenen Verbände, deren Spielmanns- und Musikzüge zu diesem Zweck durch die Propagandaleiter eingesetzt werden. [...]

3.) Die Frühwahl: Luftschutzbund: Neben der besonderen Verpflichtung für alle Parteigenossen und Mitglieder der Gliederungen und angeschlossenen Verbände, bei der Eröffnung des Wahlaktes um 9 Uhr zugegen und damit bemüht sein, als erste für den Führer zu stimmen, sind die Hauswarte des Reichsluftschutzbundes zu verpflichten, morgens um 10 Uhr alle Einwohner ihres Hauses aufzusuchen und sie zu bitten, möglichst zeitig ihrer Wahlpflicht zu genügen.

Beamte: Über das Hauptamt sind sämtliche Behördenvertreter anzuhalten, am Vortage der Wahl alle Beamten nicht nur auf die Pflicht der Ausübung der Wahl hinzuweisen, sondern auch nachdrücklichst auf die Bedeutung der Frühwahl zu verweisen.

NSKOV: Die Mitglieder der NSKOV werden von dieser angehalten, sich ebenfalls an der Frühwahl zu beteiligen. Es ist dafür Sorge zu tragen, daß diesen, wie allen körperlich Behinderten überhaupt, unter allen Umständen der Vortritt in den Wahllokalen gewährt wird.

4.) Bereitschaftsdienst der Kraftfahrkolonnen: Um allen Kriegsbeschädigten, Invaliden und Kranken und sonst körperlich Behinderten Gelegenheit zu geben, ihrer Wahlpflicht nachzukommen, ist vom Wahldienst der Gaue, Kreise bzw. Ortsgruppen und Stützpunkte ein entsprechender Automobildienst zu organisieren. Diesem sind in entsprechender Anzahl die Mannschaften der Santitätsstürme der SA und die Mitglieder des Roten Kreuzes beizugeben. [...]

5.) Ausgabe der Abstimmungsplakette: Den Kreispropagandaleitungen werden durch die Reichspropagandaleitung Abstimmungsplaketten übersandt, die der Anzahl der Wahlberechtigten entsprechend über alle Ortsgruppen an alle Wahllokale verteilt werden müssen. Die Wahllokale sind von Parteigenossen zu besetzen, die die Aufgabe haben, jedem Volksgenossen, nachdem er seiner Wahlpflicht genügt hat, dieses Abzeichen unentgeltlich auszuhändigen. Es wird besonders darauf hingewiesen, daß es strengstens verboten ist, mit Sammelbüchsen allgemein oder für eine Organisation bzw. das WHW zu sammeln.

Die Abgabe von Abstimmungsplaketten an Nichtwahlberechtigte ist unter allen Umständen verboten und würde auch die später kommenden Volksgenossen schädigen, da die Zeichen nur der Zahl der Wahlberechtigten entsprechend zur Verfügung gestellt werden. [...]

6.) Wahlmahnsdienst: Es stehen für den Wahlmahnsdienst zur Verfügung: SA, SS, NSFK, HJ, BDM, NS-Frauenschaft, Werkscharen.

Die erforderlichen Kraftfahrzeuge stellt das NSKK. Außerdem können Hitlerjungen mit Fahrrädern zusätzlich als Mahner eingesetzt werden.

Mahnzettel: Bei der ersten Mahnung überreicht der Mahner eine schriftliche Mahnung mit folgendem Text, ohne von sich aus noch weitere mündliche Bemerkungen hinzuzufügen: "Sie haben Ihrer Wahlpflicht noch nicht genügt. Auch Ihr Bekenntnis darf am heutigen Tag nicht fehlen. Also auf zur Wahl!"

Vorbereitung: Der Wahlmahndienst muß der außerordentlichen Bedeutung des 10. April entsprechend äußerst sorgfältig organisiert werden. Zweckmäßig werden daher für diese Arbeit die allerbesten Parteigenossen bestimmt, die bewußt der ihnen übertragenen Verantwortung mit äußerster Sorgfalt an die ihnen zugeteilten Aufgaben herangehen.

Nicht mehr wie 5 Mehrfamilienhäuser: Die Schlepper selbst, die zum Dienst herangezogen werden, müssen von vornherein so eingeteilt werden, daß sie in Großstädten jeder nicht mehr als 5 Mehrfamilienhäuser zu überwachen haben.

Einsichtnahme in Wahlliste, zum Heeresdienst eingezogene Volksgenossen, Hilfskolonnen für Kranke: Jeder Schlepper hat durch Einsichtnahme in die Wahllisten oder unter Zuhilfenahme der zuständigen Polizeibehörde sich bereits vor der Wahl eine Liste aller wahlberechtigten Volksgenossen zu verschaffen, die in seinem ihm zugewiesenen Häusern wohnen. Durch Kontrolle dieser eigenen Liste am Vortage der Wahl hat er Gelegenheit, die am nächsten Tage aufgelegte Liste der Wahlberechtigten im Wahllokal durch den Leiter des Schlepperdienstes kontrollieren lassen. Wir verweisen im besonderen auf die Bedeutung dieser Kontrolle, da durch diese alle Nichtwahlberechtigten, soferne sie noch in den Listen stehen sollten, dem Abstimmungsvorstand gemeldet werden müssen. Es sind dies im besonderen die zum Heeresdienst eingezogenen Volksgenossen und die durch die neuen Gesetze nicht mehr Wahlberechtigten. Am Wahlsonntag ist der Wahlmahndienst von morgens 9 Uhr an mit einzusetzen, um zunächst den Hilfskolonnen für Kranke und Gebrechliche zur Verfügung zu stehen.

13 Uhr: Unmittelbar nach 13 Uhr müssen von der Leitung des Schlepperdienstes alle bis dahin nicht erschienenen Volksgenossen festgestellt und zum erstenmal durch Überreichung der schriftlichen Mahnung gemahnt werden, ihrer Wahlpflicht zu genügen.

HJ: Ferner werden die Musikzüge und Singgruppen der HJ mit dem Jungvolk zusammen eingesetzt.

Ab 13 Uhr ziehen HJ und Jungvolkabteilungen singend bzw. unter Einsatz ihrer Musikzüge durch die einzelnen Orte. In Zwischenpausen mahnen ihre Sprechchöre mit folgenden Texten: "Ein Volk - Ein Reich - Ein Führer! Auf zur Wahl!" oder "Geht zur Wahl. Tut Eure Pflicht!" oder "Euer Ja - Unsere Zukunft!"

Die zweite Mahnung erfolgt um 15 Uhr, um dann halbstündig wiederholt zu werden. Bei den letzten Stichkontrollen ist nochmals mit außerordentlicher Sorgfalt festzustellen und jeweils dem Leiter des Schlepperdienstes zu melden, ob nicht etwa säumig scheinende Wähler inzwischen Wehrmachtsangehörige geworden oder durch die neuen Gesetze nicht mehr wahlberechtigt sind.

AVA, Bürckel-Akten, 1300; DÖW E 20.530.


Dokument 2

Lagebericht der Staatspolizeistelle Innsbruck an den SD-Führer des SS-Oberabschnitts Donau, 29. 6. 1938

Weit mehr Gemeinden umfaßt jedoch die zweite Gruppe der kleinen Dorfgemeinden mit weniger als tausend Einwohnern, in denen die Zahl der Parteiangehörigen im März 1938 nur eine wenige Köpfe zählende Minderheit bildete. In all diesen Gemeinden läßt sich einheitlich beobachten, daß über Nacht eine wahre Sturzflut neugebackener <192>Nationalsozialisten<169> auftauchte, welche die alten Parteigenossen vollständig überschwemmten und im weiteren Verlaufe an die Wand drückten. In mehreren Gemeinden ist dieser Vorgang so radikal und umfassend zu beobachten gewesen, daß bei der Abstimmung am 10. April 100prozentige Ergebnisse zu verzeichnen waren, was naturgemäß zu denken geben muß, wenn man weiß, daß es sich um Ortschaften handelt, in welchen einen Monat vorher kaum 5 bis 6 Parteigenossen ein mehr als verborgenes und nichts weniger als beneidenswertes Dasein fristen mußten. Das 100prozentige Abstimmungsergebnis hat außenhin Leuten eine Legitimation erteilt, die nichts weniger denn als Anhänger der Bewegung bezeichnet werden können.

Rot-Weiß-Rot-Buch. Gerechtigkeit für Österreich! Darstellungen, Dokumente und Nachweise zur Vorgeschichte und Geschichte der Okkupation Österreichs (nach amtlichen Quellen), 1. Teil, Wien, 1946, S. 82.


Dokument 3

Lagebericht (des SD-Unterabschnittes Tirol an den SD-Führer des SS-Oberabschnittes Donau in Wien), 6. 12. 1939.

Wie aus verschiedenen Berichten hervorgeht, stützt sich die gegnerische Propaganda vor allem auf die Frauen. Verschiedene Äußerungen lassen darauf schließen, daß unter den Frauen eine gegnerische Organisation besteht, die sich gegen den Staat betätigt. So erzählte die Ortsfrauenführerin in Bruck i. Z. der Gaufrauenschaftsführerin, daß eine Frau ihr gegenüber die Äußerung gemacht habe: "Wenn Du keine Nazi wärest, könntest Du bei uns mittun." Ohne Zweifel steht hinter dieser Äußerung der Pfarrer des Ortes. In der weiblichen Landbevölkerung ist eine ausgesprochen antinationalsozialistische Stimmung festzustellen. Dies läßt sich an zahlreichen Einzelheiten erhärten. Vor allem trägt die Behandlung der religiösen Angelegenheiten die Schuld an dieser Stimmung. Man kann vielfach die Äußerung hören: "Wir lassen unsere Kinder nicht zu Heiden erziehen", "Man hat uns alles versprochen und nichts gehalten; wo bleibt die Freiheit der Religion, die zugesichert wurde", "Ehe wir unsere Kinder ohne Glauben aufziehen lassen, bringen wir gar keine zur Welt."

In dieser Hinsicht ist es im Zillertal besonders arg. Es wird dort direkt als eine Strafe Gottes angesehen, daß jetzt die Männer in den Krieg einrücken müssen, da man seinerzeit für den Anschluß gestimmt habe.

Aus allen hier einlaufenden Meldungen ist klar erkennbar, daß die Geistlichkeit in stärkerem Maße ihre unterirdische Zersetzungstätigkeit fortsetzt.

Rot-Weiß-Rot-Buch. Gerechtigkeit für Österreich! Darstellungen, Dokumente und Nachweise zur Vorgeschichte und Geschichte der Okkupation Österreichs (nach amtlichen Quellen), Wien 1946, S. 96.