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22./23.11.1969: Auszug der 18-Stunden-Debatte der SVP-Landesversammlung in Meran

Oswald Ellecosta (Ortsobmann Haslach):

Es gibt in Südtirol ein Problem, an dem Rom den guten Willen zu allererst hätte beweisen können, und zwar das Problem des Anschlusses an ein ausländisches deutsches Fernsehen. Es ist keine Kleinigkeit, denn viele Südtiroler Lehrer können bestätigen, daß immer wieder Kinder in der Schule fragen: "Herr Lehrer, was heißt dies und jenes auf deutsch?" Wenn der Lehrer fragt: "Wieso weißt du das nicht, wo hast du das her?" heißt es: "Das hab ich aus der Televisione": Folglich ist es ein Zeichen, daß der Ausschluß des deutschen Fernsehens gezielt ist und indirekt einer Assimilierung sehr entgegenkommt.

Heinrich Lona (Ortsobmann Auer):

Nun ergibt sich aber die Frage: was tun? Aus der Welt schaffen können wir es nicht, so sind wir gezwungen, uns zu entscheiden. Meine rein persönliche Meinung wäre nun, die Abstimmung soll so ausgehen, daß das Paket zwar angenommen, aber nur mit einer ganz geringen Mehrheit angenommen werden soll, so daß man in italienischen Kreisen sehen soll, daß ein starker Block von Südtirolern den Versprechungen des Paketes mißtraut. Die Resolution der Landesversammlung müßte dann diesem Umstand Rechnung tragen, indem immer wieder auf das völlig gleiche Kräfteverhältnis von Annehmern und Ablehnern hingewiesen wird.

Joachim Schwingshackl (Ortsobmann Pichl/Gsies):

Wenn ich vielleicht nicht ein passendes Beispiel vorbringe, man hat uns eine gut melkende Kuh versprochen, und jetzt bekommen wir eine halbe Kuh, eine alte nicht melkende, die wir noch teuer bezahlen müssen. Ich weiß nicht, es sind hier Geschäftsleute, Bauern, Handwerker und Arbeiter. Wenn der einzelne Private einen solchen Handel macht sagt man, er geht vor die Hunde.

Kürzlich hat mich ein Doktor, der mich kennt, mit dem ich immer ein bißchen politisiert habe, gefragt, was ich von der Sache sage. Ich habe ihm geantwortet: "Das Paket ist nicht so schlecht, aber der Geber des Paketes ist ein ..." Mehr sage ich nicht. [...]

Ein Beispiel möchte ich noch bringen, warum soll man es immer erst nehmen, wenn es anders auch geht: Der Tiroler war verheiratet mit der Frau Austria, es sind natürlich viele Kinder gewesen, 1918 wurde er getrennt, oder sie ist gestorben, da wurde er zu einer neuen Ehe mit der Frau Italia gezwungen. Die hat ein paar ledige Kinder mitgebracht, die sind jetzt da, jetzt heißt es Testament machen, und das Testament schaut so aus: die rechtlichen Kinder des Tirolers und der Frau Austria müssen mit den ledigen Kindern, die die Italia mitgebracht hat und die der Tiroler erhalten mußte, bei der Erbschaft gleichberechtigt sein. Wenn wir das Paket annehmen, sind der Herr Mitolo, Berloffa und wie sie alle heißen, unsere Brüder. [...] Man sagt allgemein, auch die Jasager, man könnte schon nein sagen, aber was kommt dann? Wir Tiroler sind noch nicht gefressen worden und werden auch in den nächsten Jahren nicht gefressen werden, wenn wir auch nein sagen. [...] Österreich ist zu müde. Wird sein. Wenn die Österreicher müde sind, sollen sie müde bleiben und sollen schauen, daß sie zu ihrer EWG kommen und so die ewige Glückseligkeit erlangen. Wenn kein vereintes Europa kommt, gehen wir vor die Hunde, mit und auch ohne Paket.

Karl Mitterdorfer (Parteiausschußmitglied):

Eine Lösung eines Minderheitenproblems ist erst dann möglich, wenn die Minderheitensituation nicht mehr vorhanden ist; solange aber diese Minderheitensituation bleibt, wird das Problem bleiben. Wir können es entkräften, wir können es versachlichen und auf eine Ebene bringen, wo es möglich sein wird, Gespräche wirklich zu führen, aber eines ist meine volle Überzeugung, daß man das Problem Südtirol und das Problem nationaler Minderheiten in Europa erst dann wirklich einer Lösung zuführen kann, wenn durch einen übernationalen Zusammenschluß im europäischen Raum die Voraussetzungen geschaffen sind, die Nationalismen endgültig zu begraben. [...] Ich bin der Überzeugung, daß wir auf diesem Wege tatsächlich zur Lösung dieser nationalen Probleme beitragen können, jedenfalls, daß wir hier einen Weg beschreiten, der wie kein anderer in die Zukunft weist und der also für unsere künftige Entwicklung von allergrößter Bedeutung sein kann.

Silvius Magnago (Parteiobmann):

Heute ist gesagt worden, wir müssen schauen, daß das Paket mit geringer Mehrheit genehmigt wird, weil sonst die Italiener den Eindruck bekommen könnten, daß zuviel Begeisterung für dieses Paket da ist. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, meine Herren, daß diese Gefahr nicht besteht. Wenn das Paket genehmigt wird - was ich hoffe -, wird es sicher nur mit geringer Mehrheit genehmigt. Wenn aber einer aus Angst, es könnte mit zu großer Mehrheit genehmigt werden, nicht dafür stimmt, dann muß ich Ihnen sagen, dann wird es nicht genehmigt werden. [...]

Warum so viel Eile, ist heute noch gesagt worden. Ich bin mit Ihnen sehr offen, warum so viel Eile. [...] Wir halten es in der Partei nicht mehr durch! Wenn das so weitergeht - und deswegen bin ich froh, und es ist notwendig, rasch und bald zu entscheiden, dann reißen wir die ganze Partei auseinander! Je früher diese Spannung aufhört, desto besser ist es für uns alle. Es ist nicht mehr auszuhalten zwischen "Paketlern" und "Antipaketlern", jeder schaut den anderen schief an!

Es ist eine Last und ein Druck auf der Partei, und wenn wir noch länger warten und weitere Bezirksversammlungen und weitere Beeinflussung bei den Ortsobmännern machen, dann geht die Partei auseinander. Im Interesse der Partei liegt es, daß wir schnell entscheiden und diese Dinge nicht länger hinausschieben, denn sonst geht uns die Partei vor die Hunde. Es ist gesagt worden, ich soll versuchen, die Verhandlungen weiterzutreiben. Ich habe gemolken und gemolken, was gegangen ist. Sie können sicher sein, daß alles, was herauszupressen war, herausgepreßt worden ist. Weiterverhandeln hat keinen Sinn.

Anton Steiner (Ortsobmann Uttenheim):

Heute haben wir zwei Strömungen, die eine für ja und die andere für nein zum Paket, und in diese Strömung reißt es entweder die einen oder die anderen mit in die Strömung hinein. Die Mehrzahl von diesem Ja oder Nein trägt den Sieg davon, und die anderen reißt es automatisch mit, wollen sie oder wollen sie nicht. Die heutige Entscheidung, ich weiß schon, wie ich entscheide, ist doch ein zweischneidiges Schwert, was wir in die Hand bekommen, eine blutige Hand, wenn man hineingreift, kommt man nicht mehr davon.

Meines Erachtens wird zugunsten Italiens und für die Großkapitalisten die Stimme abgegeben, meinetwegen auch für die Juristen, die nur für sich und für den Geldbeutel arbeiten [...]. Ich will nicht unsere Kinder und Kindeskinder den Italienern ausliefern. Ich möchte mir nicht im Grabe nachsagen lassen müssen, ihr Väter habt unsere Zukunft den Italienern in die Hand gespielt. Das ist meine Meinung und meine Anschauung. [...] Wenn auch ein gewisser Amonn gestern in der Zeitung einen Leserbrief hatte, besser ist der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, kann ich doch nur sagen, ja das stimmt, den Spatzen haben wir in der Hand, aber meines Erachtens, wenn wir den Vogel auffliegen lassen, gehen wir kein Risiko ein, wenn wir Federn rupfen und ihn in der Pfanne braten, noch Zutaten hinzugeben, dann spürt man nicht, daß man etwas gehabt hat, und vielleicht geht uns die Taube doch einmal ins Netz. Das ist meine Meinung, ich sage nicht, daß ich im Recht bin, es kann auch falsch sein.

Franz Spögler (Parteiausschußmitglied, Meran):

Es ist heute schon deutlich gesagt worden, daß leider in dieser politischen Phase der Streit in die SVP hineingetragen worden ist, und ich möchte auch hier die Gelegenheit benützen, um meine Besorgnis zum Ausdruck zu bringen, daß die SVP nicht mehr so geschlossen wie vorgestern dastehen wird. Ich würde sagen, sollte es wirklich kommen, hätten die Italiener den Sieg davongetragen. Dann haben wir als die dümmsten Kälber uns den Metzger selbst gesucht. [...] Ich sage nicht, daß dann wirtschaftlich, sozial und kulturell eine Katastrophe in Südtirol eintreten würde. Ich sage das durchaus nicht, denn es würde nicht der Wahrheit entsprechen, aber ich sage, daß eine Ablehnung einer Bankrotterklärung der Südtirolpolitik gleichkäme. [...].

Friedl Volgger (Parteiausschußmitglied, Bozen):

Gestatten Sie mir, daß ich mich in dieser heutigen Situation an das Jahr 1946 erinnere. Ich war ja in Paris, wie der Vertrag geschlossen wurde. Gruber, der österreichische Außenminister, hatte die Wahl, entweder einen nicht perfekten Vertrag abzuschließen oder unter Protest nach Hause zu gehen, nein zu sagen. Die haben uns gefragt, wir waren zu zweit. Wenn wir so viele gewesen wären, hätten wir nie einen Pariser Vertrag bekommen. Wir haben dann beschlossen, ja zu sagen; auch zu einem nicht ganz perfekten Vertrag. Nachdem der Vertrag geschlossen war, hat man von Verkauf, Verrat und dergleichen gesprochen, wie man auch heute manchmal gehört hat. Wenn wir den Pariser Vertrag nicht hätten, liebe Ortsobmänner, bräuchten wir heute nicht über Paket und Verankerung zu streiten, dann hätten wir weder ein Paket noch eine Verankerung, dann wären wir darauf angewiesen, nach Rom zu pilgern und zu bitten. Das wäre die Lage, wenn wir den nicht vollkommenen Pariser Vertrag nicht geschlossen hätten. Deswegen erschüttern mich Briefe, die zu mir kommen, in denen ich Verzichtspolitiker genannt werde, nicht. Denn damals ist die gleiche Situation gewesen. Man hat von Verrat und Verkauf Südtirols gesprochen, und heute sind wir um den Pariser Vertrag alle heilfroh. [...] Man kann im Leben eben nicht von der Straße in den 2. Stock springen, man kann zwar vom 2. Stock auf die Straße springen; aber nicht von der Straße in den 2. Stock. Deswegen muß man eben schrittweise vorgehen; Schritt für Schritt die Stiege hinauf. [...]

Man spricht so viel von Europa, europäische Lösung, daß uns Europa helfen wird. Meine Herren Ortsobmänner, wenn wir auf die europäischen Staaten angewiesen gewesen wären 1960 vor den Vereinten Nationen, wären wir schon längst beim IGH, denn sämtliche europäische Staaten haben bei den Vereinten Nationen erklärt, nicht wahr, Dr. Benedikter, daß diese Frage keine politische, sondern eine rechtliche sei, und man solle den Streitfall zwischen Österreich und Italien sofort an den Gerichtshof verweisen. Das haben die Franzosen, Engländer, Holländer, Belgier, Norweger, Schweden und Griechen gesagt. Nur ein einziger europäischer Staat ist uns zu Hilfe gekommen: Irland. Mit irischer Hilfe haben wir diese Entschließung erreicht, auf die man heuer stolz ist. Die UNO-Resolution haben wir mit Hilfe der Afro-Asiaten erreicht, nicht mit Hilfe der europäischen Staaten. Das sind Tatsachen, die nicht bestritten werden können, und heute glaube ich, würden wir bei den Vereinten Nationen überhaupt keine Entschließung mehr erreichen. [...] Nun hat uns keiner der Paketgegner, nicht ein einziger von Euch, auch nur irgendeine Zusicherung geben können, daß wir in Rom noch einmal das gleiche, geschweige denn etwas Besseres bekommen. Das sind vage Hoffnungen. "Könnte, müßte, sollte" heißt es drinnen, aber mit "könnte, müßte, sollte" kann man keine Politik machen. Die Politik ist eine sehr nüchterne Sache, wenn auch die Leute sagen "wir haben recht, uns muß Gerechtigkeit werden". [...] Ich war 1946 mit dem Kollegen Guggenberg beim südafrikanischen Ministerpräsidenten, der uns 1946 sehr viel geholfen hat. Wir haben natürlich auch gesagt, "Gerechtigkeit für Südtirol muß werden", und der alte weise Marschall hat uns lächelnd angeschaut und gesagt: "Ihr glaubt noch an Gerechtigkeit?" Er hat uns mitleidig angeschaut. Natürlich ist das schön "Recht und Gerechtigkeit", aber schauen wir uns ein bißchen um in der Welt. Die Macht ist ausschlaggebend, und die Macht haben wir nicht. [...]

Abschließend folgendes: Ich bin mit dem Parteiobmann einer Meinung, das wird er mir bestätigen, ich bin manchmal ganz anderer Meinung, ich kritisiere ihn auch, aber eines glaube ich, daß niemand mehr in Rom ein solches Paket erreichen wird, wie es Dr. Magnago erreicht hat.

Erich Spittaler (Parteiauschußmitglied, Kaltern):

Ich stelle fest, daß dieser Streit um das Los von Trient seit nunmehr 12 Jahren besteht. Das Südtiroler Volk ist also seit 12 Jahren in einer Verteidigungsstellung gegenüber Italien. Wir sind in dieser Defensive in unserer Aktion lahmgelegt, ja wir laufen ständig Gefahr, unsere politische Ausnahmesituation zu einer allgemein gültigen Ausnahmesituation zu machen und hemmen dadurch den Fortschritt unseres Volkes. Ich bin der Meinung, daß wir aber den Kampf um unser Südtirol in weiteren 12 Jahren Verteidigung, in weiteren 12 Jahren Passivität, nicht gewinnen können. Ich habe Angst, daß wirdann den Anfang gemacht haben, einen großen Kampf zu verlieren. Nicht etwa, weil ich an die Lebenskraft unseres Volkes nicht glauben würde, sondern weil wir unseren Volkstumskampf, wie es der heutige ist und erst recht, wie es der morgige ist, nicht in der Verteidigung, sondern im Angriff gewinnen können. Wir müssen also unsere Strategie grundlegend ändern, und wir müssen dazu die Kraft aufbringen. Wir dürfen nicht oben am Berg verharren und alles abwehren, was da auf uns zukommt, wir dürfen nicht ständig jammern, wir sind eine arme Minderheit, welcher immer Unrecht widerfährt. Wir könnten dabei nicht mehr ernst genommen werden von unseren Freunden und vielleicht sogar von unserem Volk. [...] Wir müssen aus diesen Schutzgräben heraus, hinunter ins Tal und an die Front. Dort wird der Lebenskampf, der Überlebenskampf geführt. Hier müssen wir unseren Mann stellen und Politik machen, wirklich Politik machen, nicht nur solche des Streitens und Ringens um ein paar Schutzparagraphen.

Roland Riz (Parteiausschußmitglied, Bozen):

Ich bin ein Unabhängiger der Partei, der hier spricht, und wenn ich zu dem Paket ja gesagt habe, war es aus drei Gründen, heute sind es vier geworden, denn heute bin ich noch bestärkter in meiner Meinung, daß man zum Paket ja sagen muß. Ganz rein als Jurist gehe ich von der Voraussetzung aus, daß wir in dieser ganzen Sachlage unsere Situation international durch ein Jasagen wesentlich verbessern. [...] In den Jahren zwischen 1948 und 1951 ist immer wieder erklärt worden, daß der Pariser Vertrag erfüllt ist, und ihr könnt Euch erinnern, mit welchen Schwierigkeiten wir heute noch damit zu kämpfen haben; denn während wir auf dem Standpunkt stehen. daß diese Erklärung erzwungen worden ist, sind die Italiener immer noch auf dem Standpunkt, daß der Pariser Vertrag erfüllt ist, weil sie die diesbezüglichen Erklärungen in Händen haben.

Nun schauen wir uns die heutige politische Realität an, die politische Realität ist die, daß wir heute mit der Annahme des Paketes von all dem wegkommen. Schauen wir uns die Resolution an, es kommt darauf an, was wir sagen, nicht auf das, was sie uns geben, sie halten uns auch heute nicht vor, das was sie uns gegeben haben, z. B. den Fremdenverkehr, vorhalten tun sie uns das, was wir erklärt haben. [...] Wir erklären, daß die LV die angekündigten Maßnahmen nur als Akte in Durchführung des Pariser Abkommens betrachtet, das weiterhin eine der Grundlagen für die Sicherung unseres Volkes bildet. Dann steht drinnen, die LV bekräftigt den Standpunkt, daß durch die Durchführung der einzelnen Maßnahmen auf allen Gebieten nur eine Besserung der heutigen tatsächlichen und rechtlichen Lage der Südtiroler Volksgruppe eintreten darf. [...] Wir sagen, daß wir auch in Zukunft fordern werden, und dieses Recht, Südtiroler, lassen wir uns nicht nehmen, auch in Zukunft unsere Rechte geltend zu machen. Dann steht drinnen: "Die LV spricht außerdem die Erwartung aus, daß nach Durchführung des Paketes in einem Klima des friedlichen Zusammenlebens und eines neuen Vertrauensverhältnisses zwischen dem Staat und der Volksgruppe es möglich werde, daß Italien auch den bisher unerfüllten Forderungen der Südtiroler Vertreter als weitere Akte der Durchführung des Pariser Vertrages in einem europäischen Geiste gebührend Rechnung trägt." Daher bekräftigen wir noch einmal, daß für uns der Pariser Vertrag nicht erfüllt ist, daß wir auch in Zukunft das Recht haben, Forderungen zu stellen. Dann schließen wir mit einem Satz, wo Ihr sagen könnt, was Ihr wollt, aber der seine Bedeutung hat, daß es für uns selbstverständlich ist, daß Österreich die Streitbeendigungserklärung nur dann abgeben wird, wenn auch nach dem Gutachten der Südtiroler Vertreter das Paket mit all seinen Maßnahmen durchgeführt ist, und daß dabei in klarer Weise feststehen muß, daß damit keinerlei Verrat auf das im Pariser Vertrag verbriefte Recht geleistet wird. Das sagen wir, und ich glaube, daß man dem gegenüber nicht sagen kann, wie heute vormittag vom Spitzenredner Benedikter "Eure Resolution bedeutet ja nichts". Benedikter, dann frage ich Dich etwas: Meinst du, daß dann Eure Resolution mehr bedeutet? Warum soll unsere nichts bedeuten und nur Eure eine Wirksamkeit haben? Es ist doch ganz evident und logisch für jeden Menschen, der hier sitzt. Da sind alles Ortsobmänner, die gescheite Leute sind, die mit eigenem Verstand denken können. [...]

Es genügt nicht, daß ich die Abwanderung unserer Leute feststelle und darüber jammere, es genügt nicht, daß ich nur die Zuwanderung feststelle und darüber klage, ich muß sehen, mit welchen Maßnahmen ich mich dagegen zur Wehr setzen kann als Südtiroler. Da muß ich eben eines sagen, da müssen wir nehmen, was wir nehmen können, weil leider sind wir eine Minderheit, die im Jahre 1918 aus ihrem Mutterschiff Austria - wie heute einer gesagt hat - ins Meer geworfen wurde, und wenn man im Meer ist, muß man mit allen Mitteln versuchen, über Wasser zu bleiben. [...] Das Weinen und Feststellen, daß es uns schlecht geht, führt uns nur nach unten, mit einer absolut negativen Politik locken wir keinen Hund hinter der Ofenbank heraus. Ganz etwas anderes will unser Volk von uns, von uns Parteiführern, von uns Vertretern der Volkspartei, es will eine moderne, eine positive, eine aktive Politik, es will, daß wir mit dem Aufbruch aller unserer Kräfte zusehen, daß es anders wird und nicht nur darüber jammern, daß es uns schlecht geht. [...]

"Riz hat Angst vor Kreisky". Jawohl, ich sage es ehrlich, ich habe Angst vor Neuwahlen in Österreich. Ich bin ganz objektiv und sage, ich habe eine gewisse Besorgnis, nicht aus einer Feigheit heraus, sondern aus einer Überlegung heraus. Ich denke mir eine einzige Sache. Sind wir sicher, und seid Ihr sicher, daß, wenn morgen die Regierung Kreisky kommt, die mehr machen kann? Das ist die große Frage. Dann komme ich zur Situation Italiens, und da ist heute das Wort gefallen, "die italienische Regierung ist eine schwache Regierung". Auf was warten wir denn eigentlich, warten wir auf die starke Regierung, auf Fanfani, der kommen wird? Es ist Euch doch allen klar, daß Fanfani ante portas ist, das weiß jeder Südtiroler, daß er entweder Staatspräsident wird oder Ministerpräsident. Wir hatten schon einmal den Fanfani als Außenminister, dann hat er Österreich über 12 Monate auf seine Antwort warten lassen. Ich glaube, daß wir dann fast kein Gehör mehr in Rom finden könnten, und das ist auch eine Sorge, die jeden von uns beseelt. [...]

Wenn der einzige Grund der Ablehnung der wäre, daß man unbedingt die Bilanzgarantie heraußen haben will, daß man nur deshalb den Weg der totalen Finsternis geht - für mich ist eine Ablehnung ein Weg der totalen Finsternis, weil Ihr mir bis heute nicht sagen konntet, welcher Euer Vorschlag ist und was Ihr uns garantiert und welchen Weg Ihr uns aufzeigt, das habt Ihr bis heute nicht sagen können. Ihr müßtet uns sagen, welchen Weg Ihr dem Südtiroler Volk vorschlagt, nicht nur, daß Ihr nein zum Paket sagt. Ich habe ihn Euch gesagt, vielleicht in einer Interpretation, die Euch nicht paßt - wenn ich Euch frage, ob es wirklich der Mühe wert ist, das alles, was in 14 Jahren gemeinsamer Arbeit - denn bis 1967 haben wir gemeinsam gearbeitet, das meiste stammt entweder aus der Feder der 19er Kommission, von Ass. Benedikter, Dr. Magnago oder von einem von uns von der Parteileitung oder vom Parteiausschuß, wenn wir diese ganzen Opfer gebracht haben, können wir das wirklich wegen der Bilanzgarantie fallen lassen? [...]

Hugo Gamper (Ortsausschußmitglied, Gries):

Eines ist sicher, wir haben bei der Arbeitsvermittlung kein effektives Mitspracherecht und Bestimmungsrecht, wir haben nicht einmal mehr in Zukunft die Möglichkeit, ohne Einverständnis des Staates deutsche Industrie hier anzusiedeln, und was heißt das? Das heißt, daß wir kulturell und wirtschaftlich abgewürgt werden, und dann will ich Sie fragen, wie wollen wir überleben aus eigener Kraft? Ich werde auch darauf eine Antwort geben, aber es ist sicher, und das müßte jedem klar sein, vor allem einem Juristen klar sein, daß alles das, wasin einer Verhandlung gefordert wird und nicht im Vertrag aufgenommen wird, daß darauf verzichtet ist, und wenn auf diese wesentlichen Punkte verzichtet worden ist, haben wir freiwillig verzichtet, und was heißt das? Dann haben wir unser Einverständnis gegeben zur weiteren Überfremdung unserer Heimat, und morgen können sie sagen, "Ihr wart einverstanden. ihr habt in Meran das angenommen". Dann liebe Landsleute, wenn dem so ist, möchte ich Sie wirklich fragen, wenn Sie darauf verzichten, wenn Sie Ihr Einverständnis geben wollen zur Überfremdung unserer Heimat, wie wollen Sie heute abend dem greisen Vater, der vielleicht noch an der Dolomitenfront war, Ihren eigenen Kindern in die Augen schauen, wennSie sich sagen müssen, wir haben aufgegeben, wir haben verzichtet? [...].

Es ist bezeichnend, wenn im "Alto Adige" vom 25.10. kurz nach der Genehmigung dieses Paketes von seiten des Parteiausschusses, zu lesen war, Bozen wird eine Stadt mit 200- bis 400.000 Einwohnern werden, dann ist das Problem gelöst. Und in Bozen haben wir keine Möglichkeit, uns zu verteidigen, wenn wir nicht hinter uns die Mehrheit des Landes haben. Der Landeshauptmann hat selbst in Bozen, in Gries, einmal erklärt, nur die 2/3-Mehrheit des Landes kann die deutsche kleine Minderheit in Bozen schützen, aber wenn die gleichen Italiener von Bozen auch den Griff auf den Landesausschuß erhalten, dann werden wir in Bozen an die Wand gepreßt, aber nicht genug, das ganze Land wird von der Stadt Bozen abhängig, von der erdrückenden, von der überwältigenden Mehrheit der italienischen Einwohner, der zugereisten Italiener in Bozen, denn durch die Bilanzgarantie bestimmen sie wesentlich und entscheidend mit über die Verwaltung, nicht nur, sie werden gleichgestellt mit uns Einheimischen. Und man hat gesagt, ja, aber für Bozen wirkt sich das positiv aus, denn in Bozen sind die meisten Staatsstellen. Meine lieben Landsleute, ich nehme an, daß in 20 Jahren 5.000 Stellen in Bozen von Deutschen besetzt werden, aber rechnen Sie sich aus, wie viele Arbeiter durch die Industrie inzwischen nach Bozen kommen, und dann werden diese 5.000 Arbeiter einen ganz kleinen Prozentsatz zu der überwältigenden Mehrheit der Zugewanderten ausmachen. Da muß ich sagen, wenn man heute dieses Paket akzeptiert, so bedeutet dies im Endeffekt nichts anderes als die Sanktionierung des Faschistenunrechts. [...]

Im Glauben an diese Alternative (Vollautonomie, Selbstbestimmung) sind Hunderte von Südtirolern ins Gefängnis gewandert. Wir wollen hier nicht das unsagbare Leid beschreiben, nicht die Tränen der Häftlinge, der Mütter und der Kinder, die wir alle erlebt haben, aber in diesem Glauben haben sie ihr Opfer gebracht, und heute noch wurde hier ein Brief verlesen, und in Bologna hat es derselbe Angeklagte, der zu 27 Jahren Gefängnis verurteilt worden ist, gesagt: "Wir glauben an unser Recht, und weil wir an unser Recht glauben und an dem guten Glauben Italiens verzweifelt sind, haben wir zu jenen Mitteln gegriffen".[...]

Wenn man schon in einem Rundschreiben den göttlichen Bundesbruder angerufen hat, möchte ich hier an das Vermächtnis des Kanonikus erinnern, der 1956 noch vom Krankenlager von München aus an die Landesversammlung telegrafiert hat: "Ein Volk, das um nichts anderes kämpft als um sein natürliches und verbrieftes Recht, wird den Herrgott zum Bundesgenossen haben." Aber ich möchte, daß seine Stimme sich hier erheben könnte, daß wir sie alle hören würden, aber ich möchte noch mehr, daß Sie alle Opfer, alle Leiden, die wir in 50 Jahren gebracht haben, gegenwärtig haben, wenn Sie Ihren Stimmzettel abgeben. [...] Sicher, es werden uns einige Kompetenzen eingeräumt, aber [...] die Tiroler galten immer als Vorbild, als Vorkämpfer der Freiheit - erinnern wir uns an 1809: Wer hatte damals den Mut, gegen den übermächtigen Korsen sich zu erheben? Die Tiroler allein. Nur wer bereit ist, unsere tausendjährige Geschichte zu vergessen, nur wer bereit ist, alle Opfer der letzten 50 Jahre, die treuen Bekenntnisse von 1959 zu vergessen, dem es gleichgültig ist, welche Sprache seine Kinder morgen sprechen, ob wir endgültig majorisiert werden oder nicht, nur der kann zu diesem Paket ja sagen.

Liebe Landsleute, nie und nimmer soll es heißen, soll man in der Geschichte schreiben oder lesen, wir Südtiroler haben selbst um ein paar Konzessionen auf unser Recht, auf unsere Eigenheit, auf unsere Freiheit freiwillig verzichtet. Und nachdem Rechte und Gerechtigkeit, ohne welche es keine Freiheit und keine Ordnung und demzufolge keinen echten Frieden gibt, in diesem Paket nicht gewährleistet werden, können wir, ja müssen wir, nein sagen. Denn dieses Nein ist gleichzeitig unser feierliches Bekenntnis zur Freiheit unseres Landes, der Beweis dafür, den Italien und die ganze Welt zur Kenntnis nehmen werden müssen, daß wir überleben wollen und daß dieses Land, das unser ist, durch den Schweiß und Fleiß unserer Ahnen, unser bleibt auch in Zukunft, daß dieses Land an der Etsch, auch in Zukunft unsere deutsche Heimat bleibe auch für unsere Kinder.

Silvius Magnago (Parteiobmann):

Was passiert, wenn wir nein sagen? Auf diese Frage hat eigentlich niemand eine Antwort geben können. Ich kann es Ihnen gleich sagen. Es tritt die Resolution der Vereinten Nationen in Kraft, der 2. Absatz, das heißt: "Sucht Euch ein friedliches Mittel", da ist der IGH extra genannt.Dann werden wir wahrscheinlich vor dem IGH enden, aber wie schon gesagt worden ist, ohne Paket; weil wir nein gesagt haben. Wie lange wird es brauchen, bis wir wieder ein Angebot haben? Im Jänner 1965 haben wir nein zum Kreisky-Saragat-Paket gesagt, 5 Jahre sind verstrichen, bis wir wieder ein Angebot bekommen haben. Sicher, das Paket ist besser geworden, aber nach Ansicht vieler ist die Verankerung schlechter geworden. Sagen wir wieder nein, in 5 Jahren wird wieder etwas Besseres kommen, glauben Sie nicht, daß einmal der Strick reißt? Glauben Sie wirklich, das Spiel geht ewig? Geben wir uns doch keinen Illusionen hin. Das ist ja gar nicht möglich. Jetzt ist der Strick beim Reißen, jetzt heißt es schon: Vogel friß oder stirb! Aber wenn der Vogel frißt, dann lebt er, und sonst stirbt er, das ist der Unterschied!

Wenn wir nein sagen, was geschieht danach? Keine Antwort, vage Hoffnungen, kein Programm. Man sagt, in diesem Fall müssen wir uns auf unsere Kraft verlassen, wir sind doch so stark, daß wir noch jahrelang durchhalten. Dann frage ich mich, für was haben wir dann etwas verlangt, wenn wir uns auf unsere Kraft auch ohne dem verlassen können? Aber ich antworte dir, lieber Peter [Brugger], mit ganz was anderem. Wenn du sagst, wir müssen uns auf unsere Kraft verlassen, ich verlasse mich auch auf unsere Kraft, ich bin auch nicht pessimistisch, aber es wird doch jedem klar sein. daß wir unsere Kraft viel besser einsetzen können, wenn wir die Mittel bekommen, die uns das Paket gibt. [...] .

Das ist keine verantwortungsvolle Politik, zu schauen, wie die Zuwanderung weitergeht; weinen, jammern und weinend und jammernd zu Grunde gehen. Jetzt bin ich bei der Zuwanderung, von der heute immer gesprochen wurde. Ja, welche Logik liegt darin? Von der Zuwanderung reden, über die Zuwanderung jammern und zugleich zum Paket nein sagen. Was ist das für eine Logik? Im Paket steht allerdings keine Maßnahme drin; mit der wir morgen eine Grenze ziehen können in Salurn und einen Schlagbaum ziehen können in Salurn, aber in den Paketmaßnahmen sind so viele Dinge drin, mit denen wir, wenn wir davon Gebrauch machen, mit einer gewissen Wirksamkeit, nicht mit einer absoluten Sicherheit, aber mit einer relativen Sicherheit gegen die Zuwanderung antreten können: Sind die ganzen Wirtschaftskompetenzen, die wir bekommen, nicht auch ein Mittel gegen die Zuwanderung, wenn wir selbst Gesetze erlassen können? Ist vielleicht der Passus im Paket, der zum Gesetz erhoben wird, daß der Staat keine Staatsindustrien mehr in Südtirol gründen kann ohne unser Einvernehmen, nicht vielleicht ein Mittel gegen die Zuwanderung? [...]

Und der ethnische Proporz, ist der auch kein Mittel gegen die Zuwanderung? "Es geht so langsam, uns stehen wohl Tausende von Stellen bei den Staatsämtern zu", heißt es. Dr. Benedikter sagt 4.300, ich sage 5.000, streiten wir uns nicht um die Zahl, aber meine Herren, wenn das auch 20 oder 30 Jahre dauert, bis wir diese ganzen Stellen in den Staatsämtern besetzt haben, die uns zur Verfügung stehen, was heißt das? Dort, wo wir drinnen sitzen, kann kein anderer mehr drin sitzen. Je mehr Stellen wir in den Staatsämtern besetzen, und wir können im Laufe der Zeit Tausende besetzen, desto weniger Italiener kommen von unten herauf, und desto mehr wird die Zuwanderung gebremst. 5.000 Stellen bedeuten 20.000 Personen, wenn ich die Familien dazurechne. Es dauert eine Zeitlang, es geht sukzessiv, ist das kein Mittel gegen die Zuwanderung? [...]

Ich möchte noch zwei Gedanken bringen. Glauben Sie wirklich, sehr verehrte Landesversammlung, daß ich Ihnen raten würde und Sie ersuchen würde, zum Paket und zum Operationskalender ja zu sagen, wenn ich irgend eine Hoffnung hätte, daß wir in absehbarer Zeit etwas Besseres bekommen, und zwar soviel Besseres bekommen, als daß der Schaden dadurch aufgewogen werden könnte, den wir inzwischen erleiden, weil wir die Paketmaßnahmen nicht haben. Ich würde mich nicht getrauen, den Rat zu geben, wenn ich nicht voll dieser Überzeugung wäre. [...]

Ich glaube, daß ein Nein verderblich wäre. Wenn wir einmal ja gesagt haben werden, ist ein besseres Klima da. Dann erreichen wir leichter neue Dinge, die heute nicht erfüllt worden sind. Ein Nein, auch wenn es im guten Glauben gegeben wird, ist für mich ein verhängnisvoller Fehler zum Schaden unserer Heimat, davon bin ich felsenfest überzeugt, und von dieser großen und echten Überzeugung werde ich heute getragen, und deswegen ersuche ich Sie, insofern Sie nicht schon gewählt und abgestimmt haben, Ihre Zustimmung zu geben, und ich würde dann weiterhin mit dem Vertrauen des Volkes getragen und mit der Achtung und mit dem Respekt, den ich mir in Rom und in Wien erworben habe, weiter mit Eurer Hilfe, zusammen mit Eurer wertvollen Mitarbeit, die unersetzlich ist, arbeiten können zum Wohle unseres Volkes. Das ist mein heißester Wunsch.

Quelle: Die Schlacht ums Paket, in: FF Dokument, 19. 11. 94, 25 Jahre Paket, S. 39-52; auch abgedruckt in: Rolf Steininger, Die Südtirolfrage 1945-1992, in: Rolf Steininger/Michael Gehler (Hrsg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart (Böhlau-Studienbücher. Grundlagen des Studiums), Wien - Köln - Weimar 1997, S. 498-510.