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26.6.1961: Kreisparteiaktivtagung Hagenow


26.6.1961: Kreisparteiaktivtagung Hagenow

Werter Genosse Grüneberg!

Nachstehend geben wir Dir eine kurze Einschätzung der Kreisparteiaktivtagung Hagenow am 26.6.1961 zur Kenntnis.
An dieser Kreisparteiaktivtagung nahmen von 450 geladenen Genossen 320 Parteimitglieder, davon 154 Genossen aus der Landwirtschaft, teil.
Tagesordnung:

  1. Verlesung des Beschlusses des Politbüros vom 13.6.1961
  2. Referat des Genossen Schlechtendahl, 1. Kreissekretär:
    "Der Stand in der Verwirklichung der Beschlüsse des 12. Plenums und die Aufgaben der Kreisparteiorganisation im Kampf um den Abschluß des Friedensvertrages und der Lösung der Westberlin-Frage"
  3. Diskussion und Annahme einer Entschließung
  4. Schlußwort, gehalten von dem Genossen Quandt, 1. Sekretär der Bezirksleitung Schwerin.

Einschätzung der Ergebnisse dieser Konferenz:
Im Referat wurde richtig davon ausgegangen, daß der Abschluß eines Friedensvertrages zur Erhaltung des Friedens von entscheidender Bedeutung ist, der Bändigung des Militarismus in Westdeutschland dient und sich deshalb als der einzig mögliche Weg zur Wiedervereinigung, als der erste Schritt dazu, erweist. Bei diesem ganzen Fragenkomplex wurden die Probleme aus dem Memorandum der SU zur Deutschlandfrage und zur Abrüstung sowie der Reden und Interviews des Genossen Chruschtschow und des Genossen Walter Ulbricht angeführt, auf die Verantwortung der Kreisparteiorganisation und Bevölkerung dieses größten Grenzkreises der DDR hingewiesen und versucht, auf unklare Auffassungen unter der Bevölkerung und einem Teil der Parteimitglieder zu antworten.
Unseres Erachtens fehlt die prinzipielle Klarstellung, daß der Friedensvertrag Ende dieses Jahres abgeschlossen wird und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Verbesserung der ideologischen Massenarbeit der Partei.
In diesem Zusammenhang ist es im Referat nicht gelungen, gründlich die Stimmung der einzelnen Bevölkerungsschichten einzuschätzen und dabei polemisch die Fragen des Friedensvertrages darzulegen.
Genosse Schlechtendahl schätzte u.a. ein, daß die Mehrheit der Gruppenorganisationen nur sehr zögernd reagieren und nur in wenigen Fällen konkrete Maßnahmen zur Auswertung der wichtigen Materialien und der Klärung aller auftauchenden Fragen eingeleitet haben.
Ein ernster Mangel besteht darin, daß vielen Parteileitungen die konkrete Kenntnis der Lage und Stimmungen in ihrem Bereich fehlt. So konnten bei einer Beratung in Vorbereitung der Veranstaltungen zum 22.6.61 die Parteisekretäre und Betriebsleiter in Hagenow weder über eingeleitete Maßnahmen noch über die Stimmungen eine konkrete Einschätzung geben.
Die wichtigsten unklaren und falschen Auffassungen im Kreis:

  • Wenn der Friedensvertrag abgeschlossen wird, machen sie Westberlin dicht. Wie wird es dann mit denen, die abhauen wollen?
  • Wenn jemand abhauen will, muß er sich beeilen.
  • Ich werde an Reservistenlehrgängen nicht teilnehmen, so lange kein Gesetz besteht.
  • 1953 – 1956 konnten wir für unser Geld mehr kaufen als jetzt.
  • Warum gibt uns die SU denn keine Butter.
  • Wenn wir den Sozialismus aufbauen, darf es nicht vorkommen, daß es keine Butter gibt.
  • Gebt uns einen besseren Stundenlohn und laßt uns mit den Normen in Ruhe.
  • Die Deutschlandfrage wird von der SU nur so aufgebauscht, die Bevölkerung Westdeutschlands will auch Frieden.
  • Die Lösung der Westberlinfrage wird zum Kriege führen.
  • Wir sehen die Sendungen des Westfernsehens, man muß sich doch nach beiden Seiten orientieren.
  • Man kann doch das Fernsehprogramm sehen, das man will.
  • Ein einseitiger Abschluß der Friedensvertrages mit der DDR und die Regelung der Westberlinfrage führt zum Krieg; oder: vertieft die Spaltung.
  • Wenn beide Teile etwas nachgeben, kommt es zum Abschluß des Friedensvertrages.
  • Das Parteimitglied, welches Sendungen des Westfernsehens sieht, ist ein Parteifeind (Gen. Semps, WPO 3, Wittenburg).
  • Wie steht es beim Friedensvertragsabschluß mit Ostpreußen?

Von einer ganzen Anzahl von Grundorganisationen wird der Auseinandersetzung gegenüber unklaren, falschen und feindlichen Diskussionen vielfach ausgewichen bzw. sich passiv verhalten. Einige Parteimitglieder verbreiten selbst unklare Auffassungen bzw. dulden Erscheinungen des Selbstlaufes. In den Gesamtmitgliederversammlungen zum Memorandum der SU zum Friedensvertrag wurde kaum zu den politischen Fragen diskutiert. Hier standen überwiegend örtliche Belange, wie z.B. Fragen der Versorgung u.a. im Mittelpunkt.
Der Genosse Eggert, Parteisekretär der LPG Körchow-Perdöhl, vertrat z.B. die Auffassung, daß er sich nach langem Sparen endlich ein teures Fernsehgerät gekauft hat und es ihm jetzt nicht gestattet wird, daß er sehen kann was er will. (Westfernsehen)
Hierzu muß bemerkt werden, daß jede 4. Familie im Kreis Hagenow ein Fernsehgerät besitzt und die überwiegende Mehrheit ihren Apparat auf Hamburg eingestellt haben. Der Kreisleitung ist bisher noch kein Durchbruch in der massenpolitischen Arbeit in dieser Hinsicht gelungen.
In der Parteileitung der Elbewerft gab es keine Auseinandersetzung mit der Auffassung: "1950 – 1951 war die Versorgung besser und es wird immer schlechter."
Die Parteiorganisationen der Handelsbetriebe gaben den Verkaufskräften keine Argumentation, so daß diese nicht in der Lage sind, zu antworten und z.T. selbst negativ auftreten.
Der verantwortlichen Handelsfunktionäre der HO zogen aus einer solchen Tatsache, daß in 2 Verkaufsstellen in Lübtkeen 16 kg Bockwurst und 8 kg Butter verdarben, lediglich die Schlußfolgerung, das Verkaufspersonal regreßpflichtig zu machen.
Die Viehverluste sind bis einschließlich Mai 1961 beträchtlich angestiegen. Rinder insgesamt 2.636, davon 628 Kühe; Schweine (mit Ferkel) 3.366 Stück.
Trotzdem gibt es in den Schwerpunkten kaum Beschlüsse der Grundorganisationen dazu.
Im Kreis zeigen sich neben verschiedenen guten Beispielen in Grundorganisationen der LPG und Betriebe in Verwirklichung der Beschlüsse des 12. Plenums auch ernste Rückstände.
So besteht bis heute keine Übersicht im Kreis, welche Materialen und Ersatzteile aus Westdeutschland bezogen werden und welche Schwerpunkte sich daraus im Kampf um die Unabhängigmachung unserer Wirtschaft gegenüber Störversuchen militaristischer Kreise Westdeutschlands ergeben.
Im Abbau von Überplanbeständen konnten in diesem Kreis nach dem 12. Plenum des ZK noch keine wesentlichen Fortschritte erreicht werden. So bestehen in der GHG Lebensmittel 654 TDM und in den Betrieben VEB Thälmann-Werk, VEB Bau, Elbewerft u.a. noch Überplanbestände von einigen 100.000 DM.
In der Landwirtschaft haben eine Reihe von Grundorganisationen den Kampf um den Abschluß eines Friedensvertrages mit der Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion, der Bergung der Heuernte und der Pflege der Hackfrüchte verbunden. Solche Grundorganisationen sind die LPG Goldewitz, Nosdorf, Quassel, Redfin u.a.
Gestützt auf diese Grundorganisationen gelang es der Kreisleitung, die Rückstände, besonders in Milch, weiter abzubauen und die Bergung des Raufutters bis auf 20 % abzuschließen.
Dennoch muß gesagt werden, daß der Abbau der Rückstände langsam, entsprechend den Möglichkeiten, vor sich geht (noch 2.000 t Milchrückstand) und auch der Anbauplan des Kreises in Mais und Kartoffeln nicht erreicht wurde.
In den MTS-Bereichen Waschow und Setzin, wo die größten Rückstände im Kartoffelanbau sind, wird von den Bauern dazu die Auffassung vertreten: "Kartoffeln, die nicht angebaut werden, brauchen wir nicht ernten" – "mit weniger Anbau von Kartoffeln erfüllen wir auch noch den Plan."
Im Kreis wurden 819 ha Silomais nicht angebaut. Der Schwerpunkt liegt dabei im Typ I. Die Ursachen bestehen einerseits darin, daß in einer Reihe von LPG des Typ I die genossenschaftliche Arbeit nicht entwickelt ist und zum anderen gibt es noch offene Ablehnung des Maisanbaus mit dem Argument: "Die Erträge der Futterrüben sind höher und ergiebiger."
Die meisten ländlichen Grundorganisationen reagieren nicht rechtzeitig und selbständig auf solche Argumente und Verhalten sich z.T. neutral.
Die Ursachen für all diese Mängel in der Durchsetzung der Beschlüsse sind in der Führungstätigkeit der Kreisleitung zu suchen.
Das Büro macht in der letzten Zeit Anstrengungen, die Wende zu erreichen, hat auch einige Erfolge, verhält sich aber teilweise noch zu unkritisch zu Mängeln in der eigenen Arbeit und ist insgesamt noch kein festes Kollektiv, das die Durchführung unmittelbar organisiert.
So war das Referat für die Aktivtagung nicht das Ergebnis der kollektiven Arbeit des Büros und deshalb keine gründliche Einschätzung der Lage im Kreis entsprechend dem Brief des Politbüros. Im Referat gab es keine kritische Einschätzung zur Führungstätigkeit des Büros und der Kreisleitung selbst.
Durch die Diskussion, besonders durch das Auftreten des Gen. Kiessler, Abteilungsleiter beim ZK, und einiger Genossen aus den LPG sowie durch das konstruktive Schlußwort des Gen. Quandt, wurden die Mängel im Referat korrigiert und eine recht gute Orientierung der Parteiaktivisten auf die gegenwärtigen Hauptaufgaben gegeben.
In der Entschließung wurde u.a. auf solche Probleme orientiert, wie

  • Gründliche Auswertung des Politbüro-Beschlusses in Mitgliederversammlungen und Einleiten von konkreten Maßnahmen der Partei, des Staatsapparates, der Massenorganisationen usw.
  • alle Parteimitglieder und Kandidaten sollen einen Parteiauftrag erhalten;
  • die Parteiorganisationen zu befähigen, einen energischen Kampf gegen Erscheinungen der Schlamperei und Mißwirtschaft zu führen;
  • in Schwerpunkten der Wirtschaft, wie Elbewerft, Fliesenwerke, Thälmannwerk Lübtheen, Baubetrieb Hagenow, werden Büromitglieder operativ helfen;
  • der Rat des Kreises hilft mit seinen Fachorganen in den Schwerpunkten der Landwirtschaft;
  • Einleitung von Maßnahmen zur Verwirklichung des Aufrufes des ZK zum kurzfristigen Abschluß der Heubergung und der Pflegearbeiten in der Hackfrucht;
  • Aufholung der Rückstände in der Planerfüllung;
  • Gründliche Vorbereitung der Halbjahresanalyse in den LPG;
  • Kampf gegen Tierverluste, Maßnahmen zur weiteren Entwicklung der genossenschaftlichen Arbeit u.a.

Mit sozialistischem Gruß!
Abt. Parteiorgane
Dohlus

(SAPMO-BArch, DY 30/IV/2/5/36)