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11.06.1946, Errichtung eines neuen Landes, das das Ruhrgebiet mit einschließt, und Beschlagnahme der Ruhrindustrie. Memorandum von Außenminister Ernest Bevin

 

11.06.1946, "Errichtung eines neuen Landes, das das Ruhrgebiet mit einschließt, und Beschlagnahme der Ruhrindustrie". Memorandum von Außenminister Ernest Bevin

 

Kabinett. Overseas Reconstruction Committee. „Errichtung eines neuen Landes, das das Ruhrgebiet mit einschließt, und Beschlagnahme der Ruhrindustrie". Memorandum des Außenministers. Streng geheim.

Es ist wünschenswert, in Westdeutschland sofort ein neues Land zu errichten, das das Ruhrgebiet mit einschließt, auch wenn noch keine Entscheidung über die künftige wirtschaftliche oder politische Kontrolle des Ruhrgebietes oder der Ruhrindustrie getroffen worden ist. Das Land sollte so aussehen, daß es entweder Teil eines föderalistisch aufgebauten Deutschland sein oder politisch von Deutschland abgetrennt werden kann.

2. Das Land soll aus den beiden bestehenden Provinzen Westfalen und Nordrhein gebildet werden, vorbehaltlich kleinerer Korrekturen, die möglicherweise von britischen Vertretern vor Ort für wünschenswert gehalten werden.

3. Innerhalb dieses Landes soll ein Gebiet ausgewiesen werden, in dem die zu kontrollierenden Schlüsselindustrien liegen. Die internationale Kontrolle wird normalerweise nur in diesem Gebiet ausgeübt, und normalerweise ist dies das einzige Gebiet östlich des Rheins, in dem eine internationale Truppe stationiert wird (nach dem Ende der allgemeinen Besetzung Deutschlands). In Krisenzeiten können aber die internationale Kontrolle und die Operationen der internationalen Truppe auf das ganze Land ausgedehnt werden.

4. Die Landesregierung wird ihren Sitz innerhalb dieses unter Punkt 3. genannten Gebietes haben, wahrscheinlich in Düsseldorf.
5. Die Ruhrindustrie wird genauso wie die Bergwerke vom britischen Oberbefehls-haber übernommen, bis endgültig entschieden wird, was mit ihnen geschieht. Mit Hilfe von Betriebsräten sollen die deutschen Arbeiter an der Führung der Unternehmen beteiligt werden.
6. In erster Linie gibt es drei Pläne für die Zukunft des Ruhrgebietes:
(a) Die Franzosen wollen das Gebiet von Deutschland abtrennen und daraus einen Staat unter internationaler Verwaltung machen.
(b) Das Gebiet bleibt bei Deutschland, die Schlüsselindustrien werden internationales Eigentum.
(c) Das Gebiet bleibt bei Deutschland, die Industrien gehen in deutsches öffentliches Eigentum über und werden unter internationalb.Kontrolle gestellt.
7. Alle diese Pläne sehen die Besetzung dieses Gebietes durch eine internationale Truppe vor. Die endgültige Entscheidung für einen dieser Pläne erfordert ausführliche Beratungen, wahrscheinlich im Ausschuß der stellvertretenden Außenminister, der die [fünf] Fragen betr. Deutschland untersuchen soll und dessen Bildung hoffentlich als ein Ergebnis am Ende der nächsten Runde [der Außenministerkonferenz] in Paris stehen wird. In der Zwischenzeit aber, und ohne die Sache zu präjudizieren, ist es von Vorteil, ein neues Land zu errichten, das das gesamte Ruhrgebiet und die Schlüsselindustrien mit einschließt (z. Zt. ist es so, daß die Grenze zwischen den Provinzen Westfalen und Nordrhein durch das Industriegebiet hindurchläuft). Wenn die Grundsatzentscheidung über die Zukunft der Ruhr getroffen worden ist, wird aus diesem neuen Land entweder der internationale Ruhrstaat oder es bleibt ein Teil des föderalistisch strukturierten Deutschland. Es ist notwendig, dieses Land jetzt zu bilden, damit die territoriale Neugliederung Westdeutschlands zu Ende ge-führt und die Vorbereitungen für die Landtagswahlen getroffen werden können. Die Franzosen würden im übrigen eine solche Entscheidung sehr begrüßen, da in ih-ren Augen ein Land, das erhebliche autonome Rechte besitzt und in dem sich der Sitz einer internationalen Kontrollbehörde befindet, ihren Vorstellungen von einer politischen Abtrennung am nächsten kommt. Die Bildung dieses Landes ist ein Schritt, den wir ohne Viermächte-Zustimmung tun können. Alle mit dieser Frage beschäftigten britischen Stellen sind sich völlig einig darin, daß ein Land zum frü-hest möglichen Zeitpunkt gebildet werden soll, und ich empfehle daher, daß die Mi-nister jetzt die entsprechende Zustimmung geben sollten.
8. Eine der wichtigsten Entscheidungen ist die, wie groß das neue Land sein soll. Dazu sind sehr unterschiedliche Meinungen geäußert worden. Die Franzosen haben vorgeschlagen, daß das von Deutschland abzutrennende Gebiet an der Ruhr mög-lichst klein sein und die wichtigsten Bergwerke und Industrien enthalten sollte. Das Gebiet, das sie auf der Karte eingezeichnet haben, umfaßt nur das eigentliche Ruhrgebiet östlich des Rheins, ohne landwirtschaftliches Hinterland.6 In einem der Plä-ne, den die Regierung seiner Majestät versuchsweise Franzosen und Amerikanern in informellen Gesprächen vorgelegt hat, ist ein Gebiet vorgeschlagen worden, das aus dem von Frankreich genannten Gebiet, ergänzt um ein Gebiet bis hin zur holländi-schen Grenze, bestand. Über die Frage nach der Größe des Landes haben ausführli-che Beratungen zwischen Vertretern des Foreign Office, des Kontrollamtes für Deutschland und Österreich und der Kontrollkommission in Deutschland stattge-funden, wobei die Ratschläge der Stabschefs und anderer Abteilungen sowie des Fi-nanzministeriums bei den sie betreffenden Fragen von Vorteil waren.
9. Die Argumente für die Bildung eines kleinen Landes lauten kurzgefaßt folgender-maßen:
(a) (... ] (g) f... ]7
10. Die Argumente für ein großes Land aus dem Zusammenschluß der beiden vor-handenen Provinzen Westfalen und Nordrhein lauten folgendermaßen:
(a) f... ] (k) [ ... ]s
11. Die Militärs gehen bei ihren Überlegungen zu dieser Frage in beiden Fällen von der Annahme aus, daß deutsches Territorium westlich des Rheins nicht von Deutschland abgetrennt, allerdings auf unbestimmte Zeit von französischen, belgi-schen und holländischen Truppen besetzt wird. Falls gewünscht, können auch briti-sche Truppen an der Besetzung dieses Gebietes teilnehmen; das wird allerdings kaum nötig sein, wenn sich britische Truppen an der im Ruhrgebiet stationierten in-ternationalen Streitmacht beteiligen.
12. Nach sorgfältiger Prüfung dieser Argumente meinen wir, daß jene Argumente überwiegen, die für die Bildung eines großen Landes durch Zusammenschluß der beiden Provinzen Westfalen und Nordrhein sprechen, insbesondere deshalb, weil sie von Vertretern der britischen Behörden in Deutschland vorgetragen worden sind, die die Situation vor Ort kennen und zumindest noch für etliche Jahre die Ver-antwortung dort zu tragen haben, egal,. welcher Plan letztlich zur Durchführung ge-langt. Es sieht so aus., als ob wir noch einen Schritt weitergehen und mit der Bildung des großen Landes einige der Vorteile des kleinen Landes verbinden könnten, indem innerhälb des großen Landes ein Gebiet ausgewiesen wird, in dem sich die Schlüssel-industrien befinden. Hier würde keine gesonderte deutsche Verwaltung eingerich-tet, aber dies wäre jenes Gebiet, auf das normalerweise die Tätigkeit der internatio-nalen Kontrollbehörde beschränkt bliebe. Im Fall von Sanktionen wäre es Aufgabe der Besatzungstruppen, dieses Industriegebiet zu übernehmen und so abzuriegeln, daß keine Waren von hier aus in einen anderen Teil des Landes oder ins übrige Deutschland gelangen können. Die Truppe würde dabei wahrscheinlich nur in die-sem Gebiet operieren, sollte aber berechtigt sein, ihre Operationen notfalls auf das ganze Land auszudehnen. Sie würde da stationiert, wo es für die Erfüllung dieser Aufgabe am zweckmäßigsten wäre. Wahrscheinlich könnte die Besatzung auf dieses Industriegebiet beschränkt bleiben, insbesondere, wenn das Territorium westlich des Rheins unter der im vorhergehenden Paragraphen genannten Prämisse für Ma-növer und Verbindungswege genützt werden kann. Die Landesregierung würde ih-ren Sitz in diesem Industriegebiet haben, ebenso die Landeshauptstadt; wahrschein-lich würde dies Düsseldorf sein. Das würde die Durchführung einer anderen Sankti-on erleichtern, nämlich die Übernahme der Verwaltung des Landes. Dieses besonde-re Industriegebiet würde wahrscheinlich das Gebiet östlich des Rheins umfassen, das in etwa dem von den Franzosen vorgeschlagenen Gebiet entspricht, aber mit Er-weiterungen im Norden und Süden und ergänzt um ein Gebiet westlich des Rheins, das die Kohlenreviere von Aachen und Köln mit einschließt.
13. Wichtig ist, daß der Eindruck vermieden wird, dieses innere Gebiet sei eine be-sondere deutsche Verwaltungseinheit. Für die Arbeit der internationalen Kontroll-behörde genügt es nicht, als Gesprächspartner lediglich eine Bezirksregierung zu ha-ben. Es muß die Landesregierung sein, weil dies das kleinste Gremium ist, das wich-tige Regierungsbefugnisse hat und einigermaßen unabhängig ist. Wenn in normalen Zeiten die internationale Kontrolle und die militärische Besetzung auf diesen inne-ren Bereich beschränkt bleiben, dann hat das auch den Vorteil, daß der übrigen Be-völkerung des Landes keine besonderen Lasten auferlegt werden und gleichzeitig die wirtschaftlich und politisch ausgewogene Struktur des Landes erhalten bleibt.
14. Es könnte noch ein weiterer, außerordentlich nützlicher Schritt getan werden, ohne daß damit die endgültige Entscheidung über die Zukunft der Ruhr präjudiziert würde: der britische Oberbefehlshaber sollte sofort die Schlüsselindustrien an der Ruhr beschlagnahmen, genauso, wie er bereits die Bergwerke beschlagnahmt hat. Dies würde eine wohltuende psychologische Wirkung innerhalb und außerhalb Deutschlands haben und mit zur Widerlegung der Propaganda beitragen, daß wir in unserer Zone keine Fortschritte machen, während die Russen alle reaktionären Ele-mente beseitigen und tiefgreifende gesellschaftspolitische Reformen durchführen. Mit der Übernahme der Unternehmen würden wir ankündigen, daß noch nicht ent-schieden sei, was letztlich mit ihnen geschehen werde, daß sie aber auf gar keinen Fall ihren ehemaligen Besitzern zurückgegeben würden. Wir könnten dann später entscheiden, ob sie internationalisiert oder öffentliches deutsches Eigentum werden sollten. Dieser Schritt würde auch insofern von Vorteil sein, als man auf diese Weise die deutschen Arbeiter mit der Führung der Unternehmen vertraut machen könnte. Dies geschieht bereits bei den Bergwerken mit Hilfe der Betriebsräte, und das glei-che könnte jetzt in den Unternehmen gemacht werden, die beschlagnahmt werden sollen.

(PRO, CAB 134/596. O.R.C. (46) 41.)