Suche:

23.01.1945, Memorandum des Foreign Office betr. Rhenania

 

23.01.1945, Memorandum des Foreign Office betr. "Rhenania"

1. Die Idee einer Sonderregelung für das Rheinland und das Ruhrgebiet wird seit einiger Zeit ventiliert. Die Franzosen haben in den letzten Wochen starkes Interesse an dieser Frage gezeigt und in Gesprächen verschiedene Vorschläge gemacht. Obwohl diese noch keinesfalls präzise ausformuliert sind und noch nichts Schriftliches vorliegt, sieht es so aus, als ließen sich die Franzosen in ihren Überlegungen von zwei Prinzipien leiten:
(a) Dieses Gebiet – möglicherweise ergänzt um einige angrenzende Gebiete – soll auf Dauer militärisch besetzt werden.
(b) Die Industrie in diesem Gebiet soll auf Dauer kontrolliert werden.

2. Die Haltung der verschiedenen an diesem Problem interessierten Mächte bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann folgendermaßen zusammengefaßt werden: Die Regierung Seiner Majestät hat ihre Zustimmung zu dieser Idee signalisiert, unter der Voraussetzung, daß die Methoden, wie die Kontrolle ausgeübt werden soll, überprüft werden. Zur Haltung der amerikanischen Regierung läßt sich nur schwer etwas sagen, aber auf der Konferenz von Teheran hat Präsident Roosevelt für eine internationale Verwaltung von Ruhrgebiet und Saar plädiert. Die sowjetische Regierung soll nach Aussage der Franzosen den französischen Vorschlägen zugestimmt haben. Die Haltung der holländischen Regierung ist nicht bekannt, jene der belgischen ist möglicherweise nicht ablehnend, obwohl sie die Vorstellung einer französischen Vorherrschaft in diesem Gebiet beunruhigt.

3. Die Frage ist vom Planungsausschuß für Wirtschaft und Industrie und vom Planungsausschuß für Nachkriegsfragen untersucht worden. Auch die Stabschefs prüfen die Sache, haben aber noch keinen Schlußbericht vorgelegt.

4. Die Ergebnisse, soweit sie vorliegen, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
(a) Eine dauernde militärische Besetzung Rhenanias ohne Errichtung eines besonderen politischen Regimes dort würde ein erhebliches Maß an Sicherheit bringen, sowohl in strategischer Hinsicht wie auch als ein Mittel, Druck auf die deutsche Regierung auszuüben. Obwohl damit für die beteiligten Mächte eine andauernde und möglicherweise erhebliche militärische Verpflichtung verbunden wäre, könnte andererseits die Besetzung im übrigen Deutschland eventuell früher als vorgesehen beendet werden.
(b) Die Errichtung eines besonderen wirtschaftlichen Kontrollsystems in Ergänzung zur militärischen Besatzung könnte militärisch erhebliche Vorteile bringen und im Hinblick auf die Wirtschaft mehr Sicherheit bieten als dies bei jedem anderen bislang diskutierten Vorschlag der Fall ist - immer vorausgesetzt, daß die Kontrollen aufrechterhalten werden. Im Zusammenhang mit der Besatzung wäre damit anfangs wahrscheinlich eine noch größere Verpflichtung verbunden, d. h. erhebliche Vermehrung des alliierten Verwaltungspersonals und möglicherweise zusätzliche Leute für die Leitung der Industrien in Rhenania. Aber das würde langfristig ausgeglichen, falls die Besatzung im übrigen Deutschland früher als geplant beendet werden könnte.
(c) Damit das besondere wirtschaftliche Kontrollsystem mehr als nur eine geringe Erfolgschance hat, müßte Rhenania vollständig und auf Dauer vom übrigen Deutschland abgetrennt werden.
(d) Eine eigene Regierung für Rhenania unter alliierter Kontrolle wäre besser, als wenn das Land dauernd von einer alliierten Kommission regiert würde. Beide Lösungen würden erhebliche politische Verpflichtungen mit sich bringen. Die Besatzungsmächte müßten möglicherweise mit einer andauernden Agitation für die Wiedervereinigung mit Deutschland rechnen. Die Forderungen nach Hilfe und Unterstützung könnten groß sein. Die Verantwortung für den Wiederaufbau des Landes, die man nicht so ohne weiteres von sich weisen könnte, wäre groß. Schließlich könnte es auch noch zu Problemen zwischen den verschiedenen Besatzungsmächten kommen, die im schlimmsten Fall zu einer frühzeitigen Beendigung des Besatzungsregimes führen könnten.
(e) Sollten aus irgendeinem Grund das wirtschaftliche Kontrollsystem und die militärische Besatzung frühzeitig beendet werden, würde Deutschland ein gefährliches Kriegspotential zur Verfügung stehen. Durch die Abtrennung der Industrie Rhenanias vom übrigen Deutschland in der Zeit der alliierten Kontrolle hätten die Alliierten allerdings etwas Zeit gewonnen, bis Deutschland wieder eine funktionierende Kriegsindustrie aufgebaut hat.
(f) Neben Frankreich würden Großbritannien, die Sowjetunion, die Niederlande und Belgien zu jenen Mächten gehören, die an einer dauernden Besatzung und/oder Kontrolle des Gebietes teilnehmen würden. Die Vereinigten Staaten würden zweifelsohne auch eingeladen, aber es ist nicht möglich zu sagen, ob sie diese Einladung auch annehmen würden.

5. Es ist offensichtlich, daß der militärische Teil des französischen Vorschlages mehr Sicherheit bietet als jener im Hinblick auf Abtrennung und wirtschaftliche Kontrolle des Gebietes. Zum letzten Punkt ließe sich zusammenfassend sagen, daß damit, falls die Sache funktionierte, ein größeres Maß an Sicherheit im Hinblick auf eine zukünftige deutsche Aggression gewonnen würde als bei jedem anderen bislang diskutierten Vorschlag; ein Erfolg würde allerdings davon abhängen, daß
(a) die Besatzungsmächte, deren Interessen an diesem Kontrollsystem unterschiedlich gelagert sind, auf Dauer eng zusammenarbeiten müßten, und
(b) sie an dieser Politik auch angesichts eines möglicherweise wachsenden Widerstandes von seiten der Bevölkerung Rhenanias festhalten müßten.
Es wäre daher verfrüht, uns auf irgendeinen Plan dauernder wirtschaftlicher Kontrolle festzulegen, bevor nicht die ganze Frage weiter untersucht worden ist und bevor nicht bekannt ist, was genau die Franzosen wollen. [... ]