PANEL 6
Nation und Kultur/Kultur und Nation: die USA und Österreich, ca. 1890–1940

Chair: Maria Wirth (Wien)

13:30–15:00, Virtueller Konferenzraum 2

In der nationalismustheoretischen wie auch in der historischen Forschung zu Nationen wird das Verhältnis von Nation und Kultur als zentrale Frage betrachtet, das Nationen von anderen Gesellschaftsformen unterscheidet: Ernest Gellner hat darauf hingewiesen, dass die Nation die Funktion der Kultur verändere, insoweit sie nicht mehr die Gesellschaft nach innen hinein unterscheide (nach Klassen, Ständen etc.), sondern sie nach außen als Ganzes repräsentiere. Kultur – verstanden als Identitätsmarkierung durch Kunst, Landschaft, Lebensweisen etc. – bekam in der Welt der Nationalstaaten eine territoriale Qualität. In der Praxis stieß ein solches Verständnis von Nationalkultur natürlich dort an Grenzen, wo die Heterogenität des Territorialstaates nicht durch den Rekurs auf eine Kultur überdeckt werden konnte. Die USA und Österreich bieten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dafür prägnante Beispiele – wobei die Lage in beiden Fällen nicht nur durch Heterogenität gekennzeichnet war, sondern auch durch die Referenz auf andere Nationen und Nationalbewegungen und deren Kultur: auf England, auf Deutschland, auf den Panafrikanismus, auf den Panslawismus. Dieses Spannungsverhältnis von Nation und Kultur in den USA und in Österreich soll anhand ausgewählter Fallstudien beleuchtet werden, auch in der Absicht, offene Fragen in der Theoriebildung zum Nationalismus anzusprechen.

Kulturnationalismus und universale Musiksprache: Aaron Copland, Ernst Krenek und American Music in den 1930er-/40er-Jahren

Marcus Gräser (Linz)

Im Kulturnationalismus der 1930er-Jahre, der gleichermaßen demokratische wie autoritäre Regime erfasste, sahen sich in den USA Künstlerinnen und Künstler herausgefordert, genuin amerikanische Kunst zu schaffen und somit zur Emanzipation der USA als Kulturnation beizutragen. Am Beispiel des Komponisten Aaron Copland können die Widersprüche des Kulturnationalismus im Feld der Musik deutlich rekonstruiert werden: Über sein Studium in Paris war Copland eng in die Szenerie der europäischen Moderne verflochten, und jeder Versuch einer Musik mit American content stand in einer Spannung mit dem Ideal einer universalen Musiksprache. Copland reflektierte über diese Probleme in zahlreichen Essays; zum Charakteristikum des Kulturnationalismus gehörte auch die Verwandlung des Künstlers in einen Intellektuellen. Die Spannung zwischen Universalismus und Nationalismus erfasste auch, wenn auch auf andere Weise, die exilierten Komponisten – ein knapper Blick auf den im amerikanischen Exil lebenden Ernst Krenek verschafft zusätzlich Einsicht in die Problematik nationaler Musik in einer internationalen Welt.

“New Negro” Nationalism: Jim Crow, der “New Negro” und die Neujustierung kultureller Rassekonstruktionen in den USA (1890–1930)

Daniel Hanglberger (Linz)

Schwarzer Nationalismus in den USA wurde oft als Protestform gegen exkludierende Tendenzen des ethnischen „Melting Pot“ betrachtet. Dabei werden jedoch nicht nur Bruchlinien innerhalb der Mehrheitsgesellschaft vernachlässigt, in der auch stets umkämpft ist, was Americanness denn auszeichne, sondern auch kulturelle Entwicklungen innerhalb der afroamerikanischen Bevölkerung selbst. Gerade aber weil Nationalbewegungen bereits Ausdruck einer vorhergehenden kulturellen Entwicklung darstellen, erschwert das Verständnis des schwarzen Nationalismus als bloßem Protest, die Erklärung seiner Entstehung als Massenbewegung. So sollte er viel mehr als Ergebnis längerfristiger afroamerikanischer Entwicklungen interpretiert werden, die in Interkation stehen mit Geschehnissen in der Mehrheitsgesellschaft sowie auch auf internationaler Ebene. Im Vortrag soll daher die kulturelle Neujustierung von race-boundaries als Ergebnis gesamtgesellschaftlichen Wandels und als Fundament eines „New Negro“ Nationalism analysiert werden.

Sich der Nation ver|schreiben. Nation, Kultur, Geschlecht und Körper als Modi autobiografischer Kommunikation bei Edith Gräfin Salburg (1868–1943)

Heidrun Zettelbauer (Graz)

In nationalistischen Repräsentationen spielen Bezugnahmen auf Kultur eine zentrale Rolle – so auch im deutschnationalen Milieu der Habsburgermonarchie um 1900, wobei der hier präsente Kulturbegriff meist auf eine ins Nationale gewendete bürgerliche Hochkultur abzielte. Mit dem Konzept Kultur arbeitet auch die jüngere Nationalismusforschung, allerdings im Sinne eines weit gefassten analytischen Kulturbegriffs, der auf Prozesse der Deutung, Aushandlung und Rezeption nationalistischer Ordnungsvorstellungen verweist. Kultur- und geschlechtertheoretisch geankerte Zugänge haben den Blick dabei zuletzt verstärkt auf subjektzentrierte und auto/biographisch konstruierte Nationalismen gerichtet. Anhand von autobiographischen/autofiktionalen Texten von Edith Gräfin Salburg (1868–1943) wird der Frage nachgegangen, auf welche Weise völkische Akteurinnen Kultur als Vehikel der Nationalisierung nutzten bzw. Geschlecht und Körper als Instrumente einer Essentialisierung nationaler Kultur einsetzten. Salburg entwarf die Nation als existentielle Kategorie kultureller Erfahrung, imaginierte kollektive (geschlechtsspezifische) nationale Lebenswelten und schrieb ihre eigene Lebensgeschichte zugleich in diese Rahmung ein. Ihr Fallbeispiel dient als Ausgangspunkt, um das analytische Potential auto/biographischer Kommunikation für eine aktuelle geschlechtersensible Nationalismusforschung auszuloten.


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