PANEL 27
75 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs: das „Jubiläum“ im Spannungsfeld von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur

Chair: Anna Steiner (Graz)

Freitag, 17. April 2020, 14:10–15:40, U 3

2020 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal. Publikationen, Fernsehdokumentationen, Ausstellungen werden dieses „Jubiläum“ aus unterschiedlichen Perspektiven aufgreifen. Doch wie wurde dem Jahr 1945 in der Vergangenheit gedacht? Wie wurde es in den jeweiligen Medien und Formaten thematisiert, strukturiert und mit welchen Bildern und Materialien repräsentiert? Welche Zugänge wurden gewählt, welche Fragestellungen blieben ausgespart? Wie stand und steht dieses Jubiläum im Spannungsfeld von wissenschaftlicher Forschung, Geschichtspolitik und Erinnerungskultur? Das Panel nimmt diesbezüglich lebensgeschichtliche Erinnerungen, Film- und TV-Arbeiten sowie Ausstellungen und museale Zugänge in den Fokus und beleuchtet die Rolle von Public History.

Was bleibt von 1945? Das Kriegsende im Spiegel von Erinnerungen

Barbara Stelzl-Marx (Graz)

Über Jahrzehnte wurde die Erinnerung an das Kriegsende 1945 in den verschiedensten Ausdrucksformen wachgehalten und immer wieder neu aktiviert, wodurch sie sich zu einem tief verinnerlichten kulturellen Handlungsrahmen entwickelte. Gerade in Russland wurde der „Tag des Sieges“ zum Höhepunkt in der offiziellen Chronotopie des Erinnerns, zu einem Hauptpfeiler der nationalen Identität. Emotional und moralisch bedient die postsowjetische Erinnerungskultur den Stolz auf eine ruhmreiche Vergangenheit, welche in die als weniger glorreich empfundene Gegenwart hineinreicht. Dies entspricht dem Grundtenor vieler schriftlicher und mündlicher Erinnerungen, die negative Aspekte weitestgehend aussparen. Im Vergleich von Russland und Österreich soll gezeigt werden, in welchem geschichtspolitischen Spannungsfeld lebensgeschichtliche Erinnerungen an 1945 stehen.

1945 im österreichischen Film- und Fernsehschaffen. Befreit oder besiegt? Täter oder Opfer?

Karin Moser (Wien)

Fiktionale und nicht-fiktionale Filmquellen geben Auskunft über gesellschaftliche, kulturelle, soziale und politische Parameter ihrer Entstehungszeit. Deutungen von historischen Ereignissen, Momenten und Stimmungen korrelieren mit zeitgenössischen Tendenzen des politischen und gesellschaftlichen Diskurses. Wie wurde nun aber das Jahr 1945 im österreichischen Film- und TV-Schaffen aufgegriffen und inszeniert? Steht die Befreiung im Fokus oder schwingt die Idee der Niederlage mit? Wird das Kriegsende mit der „Stunde Null“ gleichgesetzt und steht damit für einen „Neubeginn“, der ein „Umdenken“ einleitet? Wird der Opfermythos verhandelt und mit einem „neuen“ nationalen Selbstverständnis in Verbindung gebracht? Wird der Holocaust thematisiert? Welche zentralen Identifikationsfiguren werden offeriert und in welcher „Rolle“ finden sich die Alliierten wieder? Im Vortrag werden Schwerpunkte der und Verschiebungen in der inhaltlichen Gestaltung und der filmischen Narration ermittelt.

Radikaler Bruch oder disruptive Prozesse? Das Jahr 1945 in ausgewählten österreichischen Ausstellungsprojekten

Christian Rapp (St. Pölten)

1945 wurde in zeitgeschichtlichen Ausstellungen und Museumsprojekten lange Zeit ausschließlich als Zäsur thematisiert, als „Stunde Null“, als Neuanfang mit Kohäsionskraft und logischer Auftakt jeder Nachkriegserzählung. Auf Kontinuitäten und Übergänge, auf unterschiedliche Erfahrungshorizonte und geteilte Erinnerungen wurde selten hingewiesen. Vielmehr galt es, die konsensuale Deutung eines radikalen Bruchs durchzusetzen. Zuletzt ist das Jahr 1945 in Ausstellungen unter neuen Perspektiven betrachtet worden, wobei sich zwei Tendenzen abzeichnen: Zum einen die Schwerpunktsetzung auf ungleichzeitige Entwicklungen und Verdichtungen der Gewalt im Frühjahr 1945, zum anderen eine Regionalisierung zeithistorischer Dokumentation. Vor diesem Hintergrund gilt es danach zu fragen, in welchen Ausstellungsdispositiven neue Forschungsperspektiven und -erkenntnisse organisiert werden und ob sich damit neue übergeordnete „nationale“ Darstellungsoptionen des Jahres 1945 erkennen lassen.

 

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