PANEL 23
Provenienzforschung im Spannungsfeld zwischen angewandter Forschung und Grundlagenarbeit

Chair: Pia Schölnberger (Wien)

Freitag, 17. April 2020, 10:50–12:20, U 3

„Wir sind mehr als Kunstdetektive!“, titelte im Jänner 2019 Meike Hopp, Vorsitzende des internationalen Arbeitskreises Provenienzforschung e. V. ihren Apell im Kunstmagazin KMN. Im Fall Österreichs beforschen seit nunmehr 22 Jahren die Mitglieder der Kommission für Provenienzforschung und andere wissenschaftliche Institutionen systematisch die Herkunft jener Kunst- und Kulturgegenstände, die seit der NS-Zeit in die österreichischen Bundesmuseen und -sammlungen gelangten. Die gesetzliche Grundlage dafür lieferte das im Dezember 1998 verabschiedete Kunstrückgabegesetz. Die geleistete Arbeit der Provenienzforscher_innen lässt sich dabei nicht auf das Image von Detektiv_innen oder einer interessengeleiteten Hilfswissenschaft reduzieren. Vielmehr liefert diese einen wichtigen Beitrag zu einem noch jungen Wissenschaftsdiskurs, der auf der Kombination aus multidisziplinären Zugängen und angewandter Forschung basiert. Die systematische Provenienzforschung leistet dabei vielfach Grundlagenarbeit sowohl auf methodischer wie empirischer Ebene, die eine einfache Darstellung von „Objektgeschichten“ weit übersteigt.

Provenienzforschung an Bibliotheken als Grundlagenforschung

Jutta Fuchshuber (Wien)

Provenienzforschung an Bibliotheken ist nicht nur bibliothekarische Praxis und angewandte Wissenschaft, sondern Grundlagenforschung. Für die Restitution muss im ersten Schritt die Entstehungsgeschichte der Institution und Fachbereichsbibliotheken sowie die Erwerbung der Bücher erforscht werden. Auch ist ein regelmäßiger Austausch mit anderen ProvenienzforscherInnen immanent, was anhand der „Sammlung Münz“ verdeutlicht werden soll, die 1938 in Wien beschlagnahmt wurde. Einige dieser Bücher konnten mittlerweile in der Universitätsbibliothek Wien und in der Zentralbibliothek Berlin identifiziert werden. Ein weiteres Beispiel ist die „Sammlung Tanzenberg“, welche geraubte Bücher der „Zentralbibliothek der Hohen Schule“ enthielt. Ein Großteil wurde zwar an die jeweiligen Herkunftsländer der ehemaligen EigentümerInnen restituiert, der Restbestand jedoch zwischen der UB Wien und der Jewish National and University Library aufgeteilt.

„Arisierung“ als Form sozialer Praxis am Beispiel der Wiener Uhren- und Juwelenbranche

Konstantin Ferihumer (Wien)

Das Projekt zur „Arisierung“ der Wiener Uhren- und Juwelenbranche nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich im März 1938 stellt die mikrosoziologische Analyse des Prozesses der „Arisierung“ sowie des darin aktiven Akteur_innen-Netzwerkes in den Fokus des Forschungsinteresses. Dieses folgt dabei den zentralen Fragen nach der Genese und Transformation des Netzwerkes, zur Zusammensetzung bzw. Motivation des Akteur_innensamples sowie den angewandten Entzugspraxen. Aus dem erhobenen Akteur_innen-Sample exemplarisch aufgegriffene Biografien ermöglichen es zudem die historische Rekonstruktion um eine vergangenheitspolitische Perspektive auf die justizielle Aufarbeitung des Themenkomplexes nach 1945 zu erweitern. Die Fallstudie setzt sich dabei eine vertiefende Beforschung der Funktionsmechanismen einer sich formierenden „Volksgemeinschaft“ zum Ziel, um so grundlegende Aspekte der sozialen Praxis des „Arisierens“ zu beforschen und daraus resultierende Ergebnisse vor dem breiteren Feld der Provenienzforschung zur Diskussion zu stellen.

Das Archiv des Bundesdenkmalamts als Quelle für die Provenienzforschung

Anneliese Schallmeiner (Wien)

Der Bestand der Restitutionsmaterialien im Archiv des Bundesdenkmalamts bildet gemeinsam mit den Ausfuhrmaterialien eine essentielle Grundlage für die Provenienzforschung zum NS-Kunstraub, zu Bergungsorten, Bergungsmaßnahmen, Restitution und Ausfuhrgebarungen. Das sogenannte Ausfuhrverbotsgesetz wurde Mittel zum Zweck, den inländischen Kunstmarkt und die Museen mit zur Ausfuhr gesperrten Objekten zu bereichern, wovon in etwa 18.000 Ansuchen um Ausfuhrbewilligung von 1938–1945 zeugen. Teilbestände wie zum Beispiel „Salzburg Residenz“ und „Mauerbach“ verweisen auf die Rolle der Denkmalbehörde als treuhänderische Verwahrerin bis weit in die 1990er-Jahre. Mehr als 1.700 Personenmappen dokumentieren Beschlagnahmen, Sicherstellungen, Rückgabeforderungen und Restitutionen. Mehrere Karteien zeigen die Systematik der Enteignung von Kunst- und Kulturgütern während der NS-Zeit und bildeten nach 1945 gleichzeitig eine Grundlage für Restitutionen.

 

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