Panel 8: Verhandlungen von Intimität, Begehren, Freundschaft

Elisa Eisendle, Marlena Grutsch, Stefanie Haid, Viktoria Klotz, Maria Untersulzner
Panel 8

Panel 8: Online Verhandlungen von Intimität, Begehren, Freundschaft. Sexualitäts- und beziehungsgeschichtliche Perspektiven zum 20. Jahrhundert

Donnerstag, 16. April 2020, 15.30 bis 17.00 Uhr, Virtueller Konferenzraum 2
Chair: Heidrun Zettelbauer (Graz)

Elisa Heinrich (Wien): Praktiken des Intimen. Zur Historisierung und Theoretisierung von Frauenbewegungsnetzwerken um 1900

Anna Leyrer (Basel): Mütterlichkeit der Erotik, Erotik der Mütterlichkeit. Lou Andreas-Salomé und Ellen Key

Abstracts

 

Kommentare

Im Rahmen des 13. bzw. 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetags 2020 fand das Panel 8 mit dem Thema „Verhandlungen von Intimität, Begehren, Freundschaft. Sexualitäts- und beziehungsgeschichtliche Perspektiven zum 20. Jahrhundert“ unter der Moderation von Heidrun Zettelbauer statt. Die zwei Referentinnen Elisa Heinrich und Anna Leyrer fokussierten sich in ihren Vorträgen auf die historische Thematik der Frau.

Elisa Heinrich sprach über Frauenbewegungsnetzwerke um 1900 und wie diese in sich strukturiert waren. Die sozialen Beziehungen in Frauenbewegungen enthielten eine Multidimensionalität, die für Paare innerhalb von Frauenbewegungen durchaus strategische Vorteile brachte. Der Begriff der Intimität innerhalb von Frauenbewegungen zeigt, dass dieser nicht primär von sexuellem Kontakt differenziert wurde. „Intimität“ war terminologisch vom jeweiligen Kontext abhängig, konnte innerhalb der Frauenbewegungen sowohl körperlich als auch emotional verstanden werden und wurde durchaus mit Nähe assoziiert.

Anna Leyrer stellte im Rahmen ihres Vortrages die Mütterlichkeit der Erotik vor. Hierbei griff sie auf den Kontakt von Lou Andreas-Salomé und Ellen Key zurück. Andreas-Salomé und Key stellten Überlegungen an, inwiefern die Begrifflichkeit der Erotik zu verstehen sei. Hierbei kamen sie zu dem Schluss, dass die Erotik eine totale Ergriffenheit sei und sowohl sexuelle als auch geistliche Aspekte umfasse. Die Erotik sei die Struktur, die Beziehungen ausbilde, und sie könne von Freundschaft bis hin zur Familie und Ehe reichen. Für Andreas-Salomé und Key war der Endpunkt der Erotik die Mutterschaft, denn diese sei die einzige Art der Beziehung, die sich vollkommen verwirklichen könne. Somit kann gesagt werden, dass sich Frauen immer in einer archaischen Beziehung zur Homosexualität befanden, nämlich die der mütterlichen Liebe.

Abschließend möchte ich hervorheben, wie informativ diese Vorträge waren. Die Thematik der Homosexualität und Beziehungen unter Frauen bleibt leider häufig unbeachtet; somit fand ich es sehr hilfreich, dass ich durch den österreichischen Zeitgeschichtetag mehr in dieses Themenfeld eintauchen konnte. Die Vorträge brachten mir nicht nur einen großen Nutzen für mein Studium, sondern auch für meine zukünftige Laufbahn als Lehrperson. Ich möchte mein neu dazu gewonnenes Wissen nutzen, um auch diese Aspekte im Unterricht zu behandeln und Schüler und Schülerinnen in dieser Hinsicht weiter aufzuklären und ihnen diese aufzeigen.

(Elisa Eisendle)

 

Das 19. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Umbrüche. Durch Industrialisierung, Urbanisierung und Bildung von Nationalstaaten wurde die Gesellschaft mit neuen ökonomischen und sozialen Faktoren konfrontiert. Die Frauenwelt wurde von diesen Veränderungen genauso geformt. Die beginnenden Frauenbewegungen prangerten die ungleiche Bewertung der Geschlechter in der Gesellschaft an.
Im Rahmen des 13. bzw. 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetages 2020 fand Panel 8 mit dem Titel „Verhandlungen von Intimität, Begehren, Freundschaft. Sexualitäts- und beziehungsgeschichtliche Perspektiven zum 20. Jahrhundert“ statt, das von Heidrun Zettelbauer von der Universität Graz moderiert wurde. Die geschichtswissenschaftlichen Forschungsprojekte der Frauenbewegungen und Homosexualität wurden in den letzten Jahren quantitativ wie thematisch intensiviert. Dazu beigetragen haben zeitgeschichtliche Ereignisse, wie zum Beispiel die Strafrechtsreform von 1971, in der homosexuelle Beziehungen strafrechtlich nicht mehr verfolgt wurden, oder die Stonewall Riots von 1969. Die beiden Vortragenden Elisa Heinrich von der Universität Wien und Anna Leyrer von der Universität Basel erforschen diese Themen mit neuen methodischen und theoretischen Zugängen.

Meine Erwartungen an dieses Panel waren, dass vor allem intime Lebensumstände oder Liebesbeziehungen besprochen werden würden. Nach den ersten Minuten stellte ich fest, dass die Vortragenden unter intimen Beziehungen vor allem emotionale Bindungen jeglicher Art verstanden. Durch diese emotionalen Bindungen von Frauen unter- und miteinander vermischten sich private und politische Interessen, und es kam zu engen Verstrickungen im Freundeskreis, in dem auch die politischen Ambitionen einen wichtigen Stellenwert innehatten. Diese eigene Beziehungskultur drückte sich durch kollektive Teestuben, Urlaube, Versammlungen und das gemeinsame Leben in einer Wohnung aus. Zwei oder mehrere Frauen wohnten zusammen und boten damit eine Alternative zu den vorherrschenden Konventionen, die das gemeinsame Leben mit einem Ehemann beinhalteten. Dieses alternative Leben war multidimensional, es war die Verschmelzungen von Privatem und Politischem; es war geprägt von emotionalen und sexuellen Aspekten aber auch von ökonomischen Aspekten und vorherrschenden Machtkonzeptionen. Die größte Herausforderung bei diesem Thema ist – wie es bei so vielen historischen Themen der Fall ist – die historischen und heutigen Geschlechtervorstellungen zu vermitteln und in Einklang zu bringen. Der Begriff „Intimität“ kann unterschiedlich interpretiert werden, und deshalb muss dieser Begriff zuerst im Kontext der Vergangenheit heruntergebrochen und dann in gegenwärtige Zusammenhänge gesetzt werden.

Dass Geschichte vielfältig und reich an Nuancen ist, wäre meiner Meinung nach eine Untertreibung angesichts dieses Panels. Dieser Facettenreichtum ist mir bei diesem Panel erneut bewusst geworden und hat mich dazu angeregt, meine Bachelorarbeit, die sich mit Prostitution im Spätmittelalter beschäftigt, weiter auszubauen. Dabei will ich vor allem die Freundschaften der Frauen untereinander und die Intimität, die sie mit ihren Freiern teilten, näher beleuchten. Die unterschiedlichen Blickwinkel, die man als GeschichtswissenschaftlerIn oder Lehrperson auf ein Thema haben kann, sind faszinierend, und genau dieses Panel regt dazu an, in die historische Thematik der Weiblichkeiten und Intimität einzutauchen und weiter zu forschen.

(Marlena Grutsch)

 

In Panel 8 „Verhandlungen von Intimität, Begehren, Freundschaft. Sexualitäts- und beziehungsgeschichtliche Perspektiven zum 20. Jahrhundert“ des 13. bzw. 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetages 2020 wurden von Elisa Heinrich und Anna Leyrer spannende und informative Aspekte über intime Frauenfreundschaften und die Mutterschaft als Höhepunkt der Erotik thematisiert. Zwischen Frauen konnten so enge Bindungen entstehen, dass diese sich entschieden, in Wohngemeinschaften zu ziehen. Aufgrund der im Proletariat verankerten Rollenverteilung wurden offiziell aber hauptsächlich heterogene Beziehungen ausgelebt. Anna Leyrer sprach von der Mütterlichkeit als höchstes weibliches Liebessymbol, was mit Beispielen von Lou Andreas-Salomé veranschaulicht wurde.

In der an die Vorträge anschließende Diskussion kam Elisa Heinrich nach Ausführungen über verschiedene Arten intimer Frauenfreundschaften auf in ihrer Arbeit verwendete Materialien zu sprechen. Dabei hob sie besonders den Stellenwert und die Möglichkeiten hervor, die Zeitschriften eröffnen. Vorhersehbar war, dass in den Zeitschriften nicht explizit auf ihren Untersuchungsgegenstand der sexualwissenschaftlichen Konzepte eingegangen wird. Umso mehr überraschte sie die Feststellung, dass sich in den Zeitschriften das Leben unter Frauen und die sozialen Praktiken als omnipräsent herausgestellt hatten. Anzeigen für Frauenheime, Berichte über Zusammenkünfte und Kongresse und viele weitere Aspekte konnten in den Artikeln unerwarteter Weise entdeckt werden.

Da ich mich zurzeit eingehend mit Zeitungen und Zeitschriften als Informationsquelle über historische gesellschaftliche Themen beschäftige, erscheint mir dieser Aspekt besonders informativ. Häufig frustrieren Suchen, in welchen das bearbeitete Thema nicht wie gewünscht oder erwartet angesprochen wird und man beginnt zu zweifeln, ob es der Gegenstand Wert ist, sich auf eine so aufwändige Recherche einzulassen. Doch auch in Beiträgen, die auf den ersten Blick irrelevant erscheinen, können interessante Aspekte und Ansichten entdeckt werden. Dabei habe ich in wenig vielversprechenden Texten doch noch relevante Ansichten entdecken können und bin in Folge dessen auf weiterführende Schlagwörter gestoßen. Der Input von Elisa Heinrich hat mich dazu ermutigt, bei Zeitungs- und Zeitschriftenrecherchen in verschiedene Richtungen zu denken und zu suchen sowie bei einem anfänglich als aussichtslos erscheinenden Thema nicht gleich klein beizugeben, sondern zu versuchen, über Umwege an Wissenswertes zu gelangen. Besonders Thematiken, welche sich auf gesellschaftliche Bereiche beziehen, können auf irgendeine Art und Weise in Zeitschriften gefunden werden. Wichtig bei der Arbeit mit Zeitungen ist, dass an die Nachforschungen mit viel Weitblick herangegangen wird, um verschiedene Ansichten zu gewinnen und die Möglichkeiten dieses öffentlichen Mediums bestmöglich zu nutzen.

(Stefanie Haid)

 

Am 16. April 2020 fand das Panel 8 des 13. bzw. 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetages 2020 mit dem Thema „Verhandlungen von Intimität, Begehren, Freundschaft. Sexualitäts- und beziehungsgeschichtliche Perspektiven zum 20. Jahrhundert“ statt. Die beiden Vortragenden Elisa Heinrich und Anna Leyrer befassten sich dabei zum einen mit „Praktiken des Intimen. Zur Historisierung und Theoretisierung von Frauenbewegungsnetzwerken um 1900“ und zum anderen mit „Mütterlichkeit der Erotik, Erotik der Mütterlichkeit. Lou Andreas-Salomé und Ellen Key“.

Ein Aspekt, den beide Vortragenden angesprochen haben, sind Beziehungen zwischen Frauen, sei es freundschaftlich oder auch erotisch. Für die Frauenbewegungen besaßen diese Beziehungen, welche in diesem Fall eher freundschaftlich und platonisch waren, einen höheren Stellenwert innerhalb der Frauengruppe. Anderenfalls gab es aber auch Freundschaften zwischen Frauen, wie im Beispiel von Lou Andreas-Salomé und Ellen Key, welche sich durch Briefkontakt gegenseitig in der Schaffung von literarischen Werken unterstützten. Diese literarischen Werke befassten sich thematisch passend mit der Frauenbewegung und dem erotischen Affekt. Beide begleitete eine fiktive Figur namens Fortunata in ihrer Korrespondenz, welche einen intellektuellen Faktor darstellte und einen alternativen Denkprozess verkörperte.

Diese Perspektive auf die Frauenbewegung und die Rezeption dieser wird in der Schule häufig vernachlässigt, da es meist als Randthema gesehen wird. Aber genau anhand dieser Thematik können die Veränderungen der Gesellschaft wahrgenommen werden, da Frauenbewegungen als Inbegriff für den Kampf der Frauen um mehr Rechte stehen. Die gegenwärtigen Gegebenheiten verdeutlichen, dass wir zwar immer noch nicht bei einer nahezu gerechten Gleichstellung zwischen Frau und Mann angelangt sind und sollten auch nicht als selbstverständlich angesehen werden, was auch Schülerinnen und Schülern bewusst gemacht werden sollte. Denn genau die heutige Generation von Schülerinnen und Schülern werden morgen diejenigen sein, welche diese Gleichstellung (oder auch nicht) spüren und beeinflussen werden. Ein vermeintlich wichtiges Ziel wäre es demnach, ein Bewusstsein zu schaffen, dass es in der Vergangenheit, aber auch noch heute Frauen gab und gibt, welche aufgrund ihres Geschlechts in einen Käfig voller Verpflichtungen gesteckt werden und somit das Gefühl von Gleichstellung kaum zu spüren bekommen. Sensibilisierung könnte den zukünftigen Erwachsenen zunächst die Augen öffnen und daraufhin im besten Fall für eine gerechtere Zukunft zwischen den Geschlechtern führen. Es sei denn, dieses Thema würde vom Randthema zu einem Hauptthema werden. 

(Viktoria Klotz)

 

Im Rahmen des 13. bzw. 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetags 2020, der vom 16. bis 18. April auf der Plattform Adobe Connect stattfand, referierten in Panel 8 Elisa Heinrich und Anna Theresa Leyrer unter der Moderation von Heidrun Zettelbauer zum Thema „Verhandlungen von Intimität, Begehren, Freundschaft. Sexualitäts- und beziehungs-geschichtliche Perspektiven zum 20. Jahrhundert“, ein Panel, das sehr stark aus der Masse herausstach und auf großes Interesse stieß, besonders seitens der Studierenden.

Elisa Heinrich ging in ihrem Vortrag „Praktiken des Intimen. Zur Historisierung und Theoretisierung von Frauenbewegungsnetzwerken um 1900“ auf den Aspekt des Wohnens und Zusammenlebens unter Frauen und auf das Konzept „Intimität“ ein.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Lebensgemeinschaften unter Frauenbewegungsaktivistinnen keine Seltenheit. Anstelle von heterosexuellen Beziehungen lebten einige Frauen in eheähnlichen Verhältnissen mit anderen Frauen zusammen und führten eine intime Beziehung. Diese Frauen entschieden sich gegen die Ehe und lebten in alternativen Wohngemeinschaften, um sich „völlig einer Sache hinzugeben“. Bürgerliche und unverheiratete Frauen über 30 Jahre galten oft als verdächtig, da sie womöglich zu hohe Ansprüche hatten. Die Tatsache, dass sie mit diesem Alter nicht mehr zum Heiratsmarkt gehörten, stimmte sie beruhigt und erleichtert. Ein wichtiger Faktor des Frauenbewegungsnetzwerkes war die Frauenbewegungspresse, welche eine Plattform zu Frauenwohnungen bot und sich als wichtige Quelle für Heinrichs Arbeit herausstellte. Die prominentesten Beispiele dieses Lebensentwurfes waren Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, aber auch Käthe Schirmacher und Klara Schleker. Letztere führten eine jahrelange Wohngemeinschaft. Sie lebten nicht nur zusammen, sondern verreisten und arbeiteten auch gemeinsam. Jedoch gibt es wenige Belege für Erotik und sexuelle Intimität in diesen Beziehungen und doch interpretieren einige Historikerinnen und Historiker sie als das erste lesbische Paar in der Geschichte.

Es ist fundamental sich vor Augen zu halten, dass emotionale Beziehungen, hohe Bedeutung für das Funktionieren von Frauenbewegungen um 1900 hatten. Dies wäre auch in Zukunft wichtig, meinen Schülerinnen und Schülern zu vermitteln. Besonders der Aspekt des multidimensionalen Charakters der Beziehungen zwischen Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts war für mich interessant und könnte es auch für die Lernenden sein: Ein Part erfüllte die Rolle der Sekretärin, der Haushälterin, der engen Freundin und/oder der Gesellschafterin. In diesem Zusammenhang würde es sich auch anbieten in meinem Geschichtsunterricht auch auf die leider noch immer bestehenden Geschlechterrollen zu verweisen. Der Mehrwert dieses Vortrags liegt meines Erachtens auch in der Erkenntnis, welch große Rolle der ökonomische Zusammenhang in diesen intimen Verbindungen spielte.

Zu guter Letzt möchte ich noch betonen, dass ich durch Elisa Heinrichs spannenden Vortrag neue Perspektiven auf die Frauenbewegung werfen konnte und einige Inputs für die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts bekommen habe.

(Maria Untersulzner)

 

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