Panel 16: Museen und Gedenken

Shona Millien, Anna Mischi, Maximilian Oberhollenzer, Tanja Stuflesser
Panel 16

Panel 16: Museen und Gedenken

Freitag, 17. April 2020, 13.30 bis 15.00 Uhr, Virtueller Konferenzraum 2
Chair: Margit Reiter (Wien)

Eva Hallama (Wien): Damit es zählt? Die Rolle von Jahreszahlen in Erinnerung, Gedächtnis und Erzählung

Andrea Berger (Wien): Die (Re-)Präsentation NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter in Ausstellungen der Bundesmuseen

Ljiljana Radonić (Wien): Globalized Memorial Museums. Exhibiting Atrocities in the Era of Claims for Moral Universals

Abstracts


Kommentare

Im Rahmen des 13. bzw. 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetags 2020 wurde eine große Bandbreite an Vorträgen zum Thema „Nach den Jubiläen“ gehalten, unter anderem in Panel 16 zu Museen und Gedenken. Dabei stellten Eva Hallama, Andrea Berger und Ljiljana Radonić diverse Projekte bzw. Museen vor, um auf die verschiedenen Arten von Gedenken hinzudeuten.

In ihrem Vortrag präsentierte Eva Hallama eine Ausstellung namens „100 Jahre – 100 Töne“ von der Österreichischen Mediathek, bei der versucht wurde, die letzten hundert Jahre, beginnend ab der Ersten Republik, aus persönlichen Erfahrungen zusammenzustellen. Dabei erhalten die Besucher der Website verschiedene Perspektiven und persönliche Erfahrungen zu Erlebnissen der Personen, die den einzelnen Jahren zugeteilt sind. Zusätzlich werden die Tonausschnitte für die Kontextualisierung von Bildern und Texten zu den jeweiligen Jahren und Thematiken begleitet. Die größte Schwierigkeit beim Erstellen dieses Projektes waren die ungenauen Zeitangaben und öfters auch falsche Jahreszahlen. Daraus entstand ein Dilemma: Zahl und Erzählung. Auf der einen Seite bemühten sich die Projektgestalter, die Erzählung unverändert beizubehalten; auf der anderen Seite konnten sie aber die falschen Angaben nicht stehen lassen. Diesbezüglich erläuterte Hallama eine Möglichkeit, die die Verantwortlichen für das Projekt anwenden hätten können, und zwar eine Chronologie der Erinnerungen. Dabei hätten sie Interviewausschnitte, die falsche Zeitangaben beinhalten, anhand von ebenjenen zusammenstellen können. Wichtig dabei wäre aber, dass diese thematisiert und erklärt werden und die Erinnerungen des Menschen nicht unbedingt mit offiziellen Aufzeichnungen übereinstimmen müssen.

Meiner Meinung nach ist die Idee, Tonausschnitte über Erinnerungen von Zeitzeugen anhand von ihren subjektiven Zeitangaben chronologisch zu ordnen, sehr spannend, da man in der Geschichtswissenschaft einen sehr großen Wert auf korrekte Angaben und Glaubwürdigkeit setzt. Solche Tonausschnitte sind laut derzeitigem Stand der Geschichtswissenschaft eher unbrauchbar, da diese anhand von falschen Jahreszahlen an Glaubwürdigkeit verlieren. Trotzdem können diese Interviews viele Informationen über die damalige Zeit liefern, vor allem über das alltägliche Leben der Menschen, und man sollte sie deshalb nicht beiseiteschieben. Hallama merkte an, dass die Historiographie so auch die Verflüchtigung von Geschichte festigen und dann aus Oral History gültige und nachvollziehbare Quellen erstellen könne.

Hallama hat in ihrem Vortrag alles auf einen ganz wesentlichen Punkt gebracht: Geschichte ist ein Konstrukt. Laut der Geschichtsdidaktik ist es auch wichtig, diesen Konstruktcharakter zu thematisieren und deutlich zu machen. Dies wäre möglich anhand solcher Tonausschnitte, da Schüler auch lernen könnten, wie sie mit solchen Quellen umgehen sollen und könnten auch sehen, dass Geschichte etwas sehr Subjektives ist, obwohl Historiker sich bemühen, so objektiv zu bleiben wie möglich. Aufgrund der Subjektivität sollten Schüler sich bewusstwerden, dass solche Tonausschnitte mit falschen historischen Angaben nicht abgewertet werden sollen und sie trotzdem einen Erkenntnisgewinn daraus schließen können. Dabei kommen vor allem Erkenntnisse über den Alltag weniger wohlhabender Personen hervor, die oft vernachlässigt werden, da es mehr Aufzeichnungen über Personen höherer sozialer Schichten gibt. Zudem können Schüler anhand des Projektes erfahren, wie Österreich vor einhundert Jahren aussah und wie Zeitgenossen während der Nachkriegszeit in den 1920ern und 1950ern lebten.

(Shona Millien)

 

In Panel 16 Museen und Gedenken des 13. und zugleich 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetages 2020 ging es um die Bedeutung von Museen und Gedenkpraktiken für die Darstellung der Zeitgeschichte und darum, wie diese das kollektive Gedächtnis der Menschen beeinflussen. Margit Reiter moderierte die Vortragsreihe, in der zum einen Eva Hallama zum Thema Damit es zählt? Die Rolle von Jahreszahlen in Erinnerung, Gedächtnis und Erzählung und zum anderen Andrea Berger über Die (Re-)Präsentation NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter in Ausstellungen der Bundesmuseen referierten.

Museen sind Stätten der Erinnerung und des Gedenkens an die Vergangenheit. Auf dem ganzen Globus verteilt gibt es viele bekannte Museen, die Träger der Geschichtspolitik des jeweiligen Landes sind. Die Erinnerungskultur und die Gedenkpraktiken in den Museen können jedoch sehr unterschiedlich sein. Darüber sprach auch Ljiljana Radonić, die dritte Referentin des Panels, in ihrem Vortrag Globalized Memorial Museums. Exhibiting Atrocities in the Era of Claims for Moral Universals und erklärte dies am Beispiel von drei Museen in Bosnien und Herzegowina, welche alle in den letzten Jahren eröffnet worden sind und jeweils den Bosnienkrieg thematisieren. Dem Museum of Crime against Humanity and Genocide in Sarajevo liegt das Konzept einer Horrorpädagogik zugrunde; so zeigt es z.B. Fotos von blutenden Kinder- und Babyleichen während der Belagerung der Stadt 1992 bis 1995. Solche Bilder wären in der Lage, Empathie mit den Opfern zu wecken; in Wirklichkeit aber kann man kaum hinschauen, sodass die Horrorbilder die Aufmerksamkeit weg von den individualisierenden Geschichten lenken und alles in ein nationales kollektives Opfernarrativ verschmelzen lassen. Das War Childhood Museum in Sarajevo hingegen beruht auf Geschichten von Kindern, welche die Belagerung von Sarajevo erlebten und im Nachhinein gebeten wurden, eine Geschichte aufzuschreiben und ein Objekt dazuzugeben. Dieses Museum zeigt somit eine individualisierende Geschichte, die gut dazu geeignet ist, Empathie mit den Opfern zu wecken. Das dritte Museum Srebrenica-Potočari Memorial Room in Srebrenica-Potočari ist dem Massenmord in Srebrenica gewidmet. Die dortige Dauerausstellung „Srebrenica Genocide - the Failure of the International Community“ ist ein weiterer Versuch, an den Bosnienkrieg zu erinnern. Die Individualisierung der Opfer wird hier auf eine prominente Spitze getrieben; so begleitet die Geschichte vom Bub Riki und seiner Mutter die Besucher von Raum zu Raum. Bemerkenswert an dieser Ausstellung ist auch das Thematisieren von Leere und Abwesenheit, ohne sinnstiftende Märtyrergeschichten zu nennen.

Es ist sehr interessant, wie unterschiedlich Geschichte in den Museen inszeniert werden kann und wie different Museen ein und demselben Thema begegnen können. Die vielseitigen Zugänge ermöglichen jeweils andere Herangehensweisen an die Vergangenheit und erzeugen unterschiedliche Wirkungen auf die Besucher. Da man sich vor allem als GeschichtsstudentIn öfter in Museen aufhält, ist es wichtig, sich dessen bewusst zu sein und mit diesem Wissen im Hinterkopf durch das Museum zu gehen. Wenn man bewusst auf diesen Aspekt achtet, so kann man mehr von einem Museumsbesuch mitnehmen und die „ausgestellte“ Vergangenheit besser sowie auf einer tieferen Ebene verstehen, was wiederum Vorteile für das Geschichtsstudium hat. Auch als GeschichtelehrerIn wird man immer wieder mit den SchülerInnen Museen besuchen, und man soll auch sie auf die verschiedenen Gedenkpraktiken aufmerksam machen.

 (Anna Mischi)

 

Moderiert von Margit Reiter wurde Panel 16 „Museen und Gedenken“ eingeleitet mit Eva Hallamas Vortrag Damit es zählt? Die Rolle von Jahreszahlen in Erinnerung, Gedächtnis und Erzählung, in welchem sie durch die Betrachtung lebensgeschichtlicher Interviews die Funktion von Jahreszahlen im Gedächtnis und in der Erzählung aufzeigte. Darauf folgte Andrea Bergers Beitrag Die (Re-)Präsentation NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter in Ausstellungen der Bundesmuseen, wo anhand konkreter Beispiele dargelegt wurde, wie in Museumsausstellungen mit jenen Gütern umgegangen wird und inwiefern dies das „nationale Gedächtnis“ mitprägt. Den Panelabschluss bildete Ljiljana Radonić, die ihre Studien zusammenfassend unter dem Titel Globalized Memorial Museums. Exhibiting Atrocities in the Era of Claims for Moral Universals vorstellte und thematisierte, wie globalisierte Erinnerungskultur zu verschiedenen Verbrechen an der Menschlichkeit in Museen aufgearbeitet wurde.

Museen als Identitätsfabriken

Unter diesem Begriff fasste Ljiljana Radonić in ihrem Beitrag die identitätsstiftende Funktion von Museen zusammen. Vor allem zeithistorische Museen sind im Kontext transnationaler politischer Prozesse Aushängeschilder der Geschichtspolitik des jeweiligen Landes und tragen durch die Darstellung dominanter Geschichtsnarrative als die Geschichte aktiv zur Schaffung nationaler Identität bei. Museen vermitteln und verbreiten Informationen zur Vergangenheit keineswegs objektiv und neutral, sondern arbeiten nach kulturellen Mustern, selektieren, präparieren und inszenieren Inhalte, wodurch die in Museen vermittelte Ordnung eine bestimmte Sicht auf das Dargestellte hervorruft. Daneben kann aber auch durch Sprachverwendung, Übersetzungen, Begriffsbildung und -verwendung Identitätsstiftung betrieben werden, und Museen können sich dadurch beispielsweise anderen Episoden der Vergangenheit gleichstellen oder auch abgrenzen.

Als Studierender der Sprachwissenschaft und des Unterrichtsfachs Deutsch bin ich mir der Rolle von Sprache für Identitätsstiftung, Weltanschauung und sogar für unser Denken durchaus bewusst und die Sprachverwendung in Museen weckt mein Interesse. In Museen liegt eine besondere Form der Sprachverwendung vor, da sie meist in Kombination mit bzw. als Ergänzung und Erklärung zu Bildern oder Exponaten zum Einsatz kommt und gleichzeitig liegen dort, an einem Ort internationalen Besuchs, auch zahlreiche Übersetzungen vor. Auch diese Übersetzungen in verschiedenen Sprachen, die auch in ursprünglich befeindeten Ländern mit unterschiedlichen Geschichtsnarrativen gesprochen werden könnten, bergen in ihrer individuellen Begriffsverwendung und möglichen -abwandlung großes Potenzial zur Perspektivierung und Inszenierung von vergangenen Ereignissen.

Als zukünftige Lehrperson ist es meiner Meinung nach außerordentlich wichtig, das Bewusstsein der SchülerInnen für die in Museen vorherrschende Perspektivität zu schärfen, sodass diese auch in außerschulischen Museumsbesuchen erkannt werden kann. Häufig werden diese Institutionen nämlich als ein Ort wahrgenommen, an dem Geschehenes exakt so dargestellt wird, wie es sich tatsächlich abgespielt hat. BesucherInnen vergessen dabei, dass ausgestellte Exponate aus ihrem ursprünglichen Umfeld gerissen worden sind und gezielt auf eine bestimmte Art und Weise dargestellt werden – Museen verzerren also durch Selektion und subjektive Inszenierung von Ausstellungsstücken gewissermaßen die Wirklichkeit und können den Blick der BesucherInnen auf Vergangenes verfälschen. Ein konkretes Beispiel dafür aus eigener Erfahrung wäre die völlig unterschiedliche Darstellung des Vietnamkrieges in Museen Nord- und Südvietnams, in denen man sogar von ein und denselben Ereignissen einen gänzlich verschiedenen Eindruck gewinnt.

(Maximilian Oberhollenzer)

 

Im Rahmen des Panels 16 „Museen und Gedenken“, das im Zuge des 13. bzw. 1. Virtuellen Österreichischen Zeitgeschichtetags 2020 abgehalten wurde, trugen Eva Hallama, Andrea Berger und Ljiljana Radonić ihre Beiträge unter der Moderation von Margit Reiter vor. Eva Hallama hielt einen Vortrag mit dem Titel „Damit es zählt? Die Rolle von Jahreszahlen in Erinnerung, Gedächtnis und Erzählung“. Andrea Berger referierte zum Thema „Die (Re-)Präsentation NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter in Ausstellungen der Bundesmuseen“. Abschließend sprach Ljiljana Radonić über „Globalized Memorial Museums. Exhibiting Atrocities in the Era of Claims for Moral Universals”.

In Eva Hallamas Vortrag wurde unter anderem auf den Umgang mit falschen Angaben von Jahreszahlen in Zeitzeugeninterviews hingewiesen. Es wurde erklärt, wie diese aufbereitet und beispielsweise in Programmen von Museen integriert werden können. Zudem wurde auf die Bedeutung von Jahreszahlen für die Erinnerung und die Geschichtsschreibung eingegangen. In diesem Zusammenhang wurde veranschaulicht, dass eine Orientierung an Jahreszahlen durch Zeitzeugen und Zeitzeuginnen auch als eine Art des Festhalten-Wollens bzw. zur Rechtfertigung und Geltung des Gesagten angesehen werden kann. Zahlen dienen demzufolge als Fundament von Erinnerungen. Allerdings muss bei der Arbeit mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen stets beachtet werden, dass auch Jahreszahlen der Vagheit von mündlichen Erzählungen und Erinnerungen unterworfen sind. Hallama bot einige interessante Ansätze und Möglichkeiten, wie mit fehlerhafter zeitlicher Einordnung von Ereignissen durch Zeitzeugen und Zeitzeuginnen umgegangen werden kann. Beispielsweise warnte sie davor, jene Erzählungen, die mit fehlerhaften Jahreszahlen verknüpft werden, als falsch „abzuwerten“ und im Zuge dessen zu verwerfen. Diese Erinnerungen sollten von Historikerinnen und Historikern trotzdem sehr ernst genommen werden. Das Potential solcher Erzählungen liege laut Hallama unter anderem auch darin, dass anhand dieser fehlerhaften Verknüpfungen zwischen Jahreszahlen und Ereignissen in der Erinnerung von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auf den Prozess des Erinnerns geschlossen werden könne. 

Alle drei Vorträge in diesem Panel boten einen interessanten Einblick in das Thema „Museen und Gedenken“. Für Lehramtsstudierende aus dem Fach Geschichte ist diese Thematik von besonderer Bedeutung, da sie auch in ihrer späteren Berufskarriere damit konfrontiert werden. Es ist sehr sinnvoll für angehende Lehrpersonen, Strategien, die in den Programmen von Museen verfolgt werden, zu verstehen und hinterfragen zu können. Da auch Schülerinnen und Schüler idealerweise innerhalb ihrer Schullaufbahn den Auftrag erhalten sollten, mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen Gespräche zu Vergangenem zu führen, besteht auch für diese die Möglichkeit, dass sie mit fehlerhaften Erinnerungen konfrontiert werden. Aus diesem Grund ist es sehr hilfreich für Lehrpersonen, etwas über die diesbezügliche Handhabung zu erfahren. Auch was den Umgang mit Jahreszahlen im Fach Geschichte und Sozialkunde / Politische Bildung betrifft, konnten aus Eva Hallamas Vortrag einige anregende Gedanken abgeleitet werden.

(Tanja Stuflesser)

 

Zurück zur Übersicht

Nach oben scrollen