Sonnendeck

„Wenn ich nicht hier bin, bin ich auf’m Sonnendeck …“

Mittwoch, 24. April 2013: Der letzte Uni-Kurs am Nachmittag hatte gerade geendet und es war strahlend schönes Wetter. Ein paar Getränke und Knabbereien im nahen Supermarkt waren schnell besorgt und ab zum wohlverdienten Chillen auf den Grünflächen, die hinter GeiWi-Turm, Josef-Moeller-Haus und Hauptgebäude der Universität Innsbruck direkt am Inn liegen. Wie an solchen Tagen üblich, hatten es sich schon einige andere Studierende entlang der Franz-Gschnitzer-Promenade (auch Innpromenade genannt) bequem gemacht. In einem Punkt unterschied sich dieses spätnachmittägliche Treiben jedoch von anderen Tagen: Ein unauffälliger Biertisch mit einer Soundanlage stand auf der Wiese. Ein DJ schritt zum Pult und elektronische Musik verbreitete sich hinter der GeiWi – das erste „Sonnendeck“ mit ca. 30 bis 40 Anwesenden begann.

Seit dem Start im April 2013 entwickelten sich diese „Zusammenkünfte“ zu einer Erfolgsgeschichte, die im Sommersemester 2019 bis zu 3.000 Besucher*innen anlockten. Im Wesentlichen lässt sich das „Sonnendeck“ als relativ spontane Gratis-Musikveranstaltung charakterisieren, die ohne Konsumzwang auskommt und die mehrmals im Sommersemester an diesem Ort über die Bühne geht. Organisiert wurde und wird es von Kristian Kienle, Daniel Sailer, Martin Schümberg, Johannes Steinkopff und Erhan Yıldız, dem Kernteam einer Gruppe, die sich selbst als „Kollektiv“ bezeichnet. Die Verbindung der Akteure zur Universität ist unterschiedlich: Der in Hall in Tirol geborene Daniel Sailer etwa studierte Germanistik und Politikwissenschaften, brach das Studium aber ab und arbeitete 2013 im Büro für Öffentlichkeitsarbeit (BfÖ) der Universität Innsbruck; der gebürtige Frankfurter Johannes Steinkopff schloss 2012 sein Wirtschaftsstudium in Innsbruck ab.

Seit wann Studierende hinter dem GeiWi-Turm ihre Freizeit genießen, kann nicht nachvollzogen werden, jedoch dürfte die intensive Nutzung erst einige Jahre vor dem ersten „Sonnendeck“ begonnen haben. Den Umstand, dass hier bei passender Witterung immer junge Leute anzutreffen waren, entdeckte auch ein Pärchen für sich, welches gegen einen kleinen Aufpreis Dosenbier an Studierende zu verkaufen begann. Die Idee, aus diesen Gegebenheiten etwas zu machen, nämlich eine musikalische Veranstaltung zu organisieren, kam von Daniel Sailer, dessen Arbeitsplatz in unmittelbarer Nähe lag. Ihm zur Seite standen Hannes Steinkopff und Martin Schümberg. Mithilfe des Leiters des BfÖ, Uwe Steger, konnte das DJ-Pult mit Strom versorgt und der Plan in die Realität umgesetzt werden: „Musik im Freien, ohne Konsumzwang. Von Freunden für Freunde,“ betont Sailer als die Grundprinzipien seiner damaligen Idee. Gleichzeitig dienten die ersten „Sonnendecks“ aber auch als eine Art Testlauf für das im Juni 2013 aus der Taufe gehobene Bonanza-Festival. Dieses mehrtägige Open-Air-Festival für Elektromusik fand von 2013 bis 2018 jährlich in Innsbruck bzw. Innsbruck-Umgebung statt, nach einer Pause ist 2020 die Fortsetzung geplant. Das „Kollektiv“ organisiert indessen nicht nur Musikevents, sondern ist mittlerweile auch fester Bestandteil der Innsbrucker Lifestyle-Gastronomie. Als Unternehmer gründeten sie das Burrito-Lokal „Machete“ (2014), die Café-Bar „Kater Noster“ (2016) und das Restaurant „Gang & Gebe“ (2018).

Doch zurück an die Innpromenade: Im Interview, das im Februar 2019 geführt wurde, heben sowohl Steinkopff als auch Yıldız die Spontaneität und bescheidene Ausstattung des „Sonnendecks“ hervor. Der Termin für die Veranstaltung wird kurzfristig, mitunter erst am selben Tag über die Sozialen Medien wie Facebook und Instagram bekanntgegeben. Die technische Ausstattung besteht nach wie vor aus einem Biertisch und dem DJ-Equipment. Auch die Bewerbung bleibt weiterhin auf ein Minimum reduziert:

Das seit mehreren Jahren unveränderte Motiv zur Ankündigung des Events ist zugleich auch das Profilbild der Facebook-Seite. Eine größere Werbekampagne scheint nicht nötig, da die geschilderten Mittel ausreichen, um die Promenade bis an die Grenzen ihrer Kapazität mit Gästen zu füllen. Für das „Kollektiv“ ist das „Mini-Open-Air“ nicht lukrativ, da sie Kosten wie die AKM-Abgabe zu tragen haben. Dem stehen einzig Einnahmen aus einem Getränkestand gegenüber, den sie mittlerweile betreiben.

Auch der Name war für die Gründer Programm: „Der Platz am Inn, im Grünen, mit einem Event, welches nur bei Sonne stattfindet. Der Name Sonnendeck kam uns als erstes in den Sinn.“ In einigen Veranstaltungsankündigungen werden über Textzeilen außerdem Bezüge zum im Titel des Beitrags zitierten Indie-Popsong von PeterLicht (2001) hergestellt.

Warum an Sonnendeck-Abenden zuletzt bis zu 3.000 Besucher*innen hinter die Uni strömten, ist schwer zu beurteilen. Schließlich versammeln sich die Partywilligen nicht nur rund um das DJ-Pult, sondern sie verteilen sich entlang der Promenade, von der Unterführung bei der Blasius-Hueber-Straße bis zum Centrum für Chemie und Biomedizin (CCB). Fest steht jedenfalls, dass sich unter die Studierenden zunehmend weitere Bewohner*innen der Stadt mischen, um am Inn nach der Arbeit gemütlich den Sonnenuntergang zu genießen. Das liegt wohl auch an der einzigartigen Konstellation des Ortes: Wo sonst liegt eine Universität mit einer großen Zahl an Studierenden direkt an einem Fluss mit einer Grünfläche und stellt ihre Infrastruktur zur Verfügung?

Mit der zunehmenden Größe der Party kamen jedoch auch Probleme. Die Veranstaltungsmeldung bei der Stadt Innsbruck war 2013 noch einfach, in der Zwischenzeit gibt es mehrere Auflagen und eine festgelegte Anzahl an „Sonndecks“. Im Jahr 2018 wurden maximal fünf Veranstaltungen bewilligt und die Lautstärke blieb auf 75 Dezibel reduziert, da sich Anrainer beschwerten. Des Weiteren ist die Müllentsorgung ein ungelöstes Problem, da Flaschen, Dosen, Becher etc. nicht in den Müllkübeln landen. Dies ist nicht nur den unachtsamen Besucher*innen geschuldet, es liegt auch daran, dass es zu wenige Müllkübel gibt. Inzwischen arbeitet das „Kollektiv“ mit den Innsbrucker Kommunalbetrieben (IKB) zusammen an einer Lösung des Problems.

Das „Sonnendeck“ kann als Ausdruck des jugendkulturellen Zeitgeists in Innsbruck gedeutet werden: Selbst organisiert und minimalistisch; spontan, aber auch mit Intention; günstig, aber vergnüglich und sehr gesellig; urban-kosmopolitisch und gleichzeitig lokal. Mit diesen Schlagwörtern kann die Party umrissen werden. Für Innsbruck sind große „Studentenfeste“ nichts Neues, jedoch gelang dem „Kollektiv“ mit dem Konzept des „Sonnendecks“ zweifellos ein frischer und innovativer Beitrag zur Kulturszene Innsbrucks.

(Simon H. Schöpf)

 

Sonnendeck am 20. 6. 2018

Sonnendeck am 20. 6. 2018, Credit: Kollektiv

 

Zeitraffer Video der Veranstaltung (zur Verfügung gestellt vom BfÖ: https://www.facebook.com/uniinnsbruck/videos/10155230012266268/

Für diesen Beitrag wurden Interviews mit Daniel Sailer (29.11.2018), Johannes Steinkopff und Erhan Yıldız (12.2.2019) durchgeführt. Dank für die Unterstützung bei der Durchführung an Ina Friedmann (Aufnahmen/Transkripte beim Verfasser).

PeterLicht, Sonnendeck (2001), [https://www.youtube.com/watch?v=Ck6BCzMcKiE], eingesehen am 15.7.2019.

Zum Bonanza-Festival: Christian Weittenhiller, Der Herzschlag der Alpen, in: blog.innsbruck.info, 23.6.2018, [https://blog.innsbruck.info/de/events/der-herzschlag-der-alpen/], eingesehen am 15.7.2019.

 

Simon H. Schöpf war von 2017–19 Studentischer Mitarbeiter im Projekt „Geschichte der Universität Innsbruck 1669–2019“ und ist Mitautor der neuen 3-bändigen Universitätsgeschichte (Simon H. Schöpf, Ein Leben für die Chemie? Die chemischen Institute an der Universität Innsbruck von 1931–1956, in: Margaret Friedrich/Dirk Rupnow (Hrsg.), Geschichte der Universität Innsbruck 1669–2019, Bd. II: Aspekte der Universitätsgeschichte, Innsbruck 2019, S. 769–813).

 

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