Dr. jur. Richard Hofer (1887–1942)

Aberkennungsbescheid
Beschluss zur Titelaberkennung, 30 Juli 1942. (Quelle: Archiv der Universität Innsbruck, Rektoratsakten 1941-1944, Karton 179, R-1823/1 ex 1941/2)

Der am 8. Mai 1914 an der Universität Innsbruck promovierte Jurist Richard Hofer war einer jener vier Männer, denen während der NS-Zeit der Doktortitel aus strafrechtlichen Gründen aberkannt wurde. Die juristische Grundlage stellte in diesem Fall der bis 1972 im Österreichischen Strafrecht bestehende Tatbestand Unzucht wider die Natur dar, weswegen Hofer im April 1940 verurteilt worden war. Die Aberkennung seines Doktorgrades erfolgte 1942, nachdem die Universität Innsbruck durch ein Schreiben des Innsbrucker Landgerichtes auf die Verurteilung aufmerksam gemacht worden war. Auch die Urteilsschrift wurde dem Rektorat übermittelt, die Aufschluss über die konkreten Beschuldigungen gibt. Diese umfassten den Vorwurf einer Vielzahl von gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten, darunter auch mit Minderjährigen im Alter von 15 bis 18 Jahren.

Als Beamter am Finanzamt Innsbruck seit 1925 tätig, war Hofer während des Austrofaschismus zunächst 1934, als die NSDAP in Österreich mit Parteiverbot belegt war, als illegaler Nationalsozialist aufgrund der Abfassung eines Adolf Hitler verherrlichenden Gedichtes disziplinarisch gemaßregelt worden. Im August 1938 musste er sich wegen des Vorwurfs der „Geschenkannahme“ vor Gericht verantworten. Nachdem der als Jude verfolgte Geschäftsmann Hugo Schindler Anfang Mai 1938 von der Gestapo verhaftet worden war, wurde Hofer zwei Wochen später aufgrund einer in der Wohnung Schindlers gefundenen Liste über Firmengeschenke der Jahre 1930 bis 1937 festgenommen. Aus der Urteilsschrift vom August 1938 geht hervor, dass Hofer die Brüder Hugo und Erich Schindler seit seiner Jugend kannte und ihnen gelegentlich in Steuerfragen Auskünfte erteilt hatte, es sich bei den fraglichen Geschenken aber um Weihnachtsgeschenke gehandelt habe. Die Annahme dieser wurde als „grobe Ungehörigkeit“ und „schärfstens zu missbilligen“ angesehen, habe aber keinen Straftatbestand dargestellt, sondern wäre allenfalls dienstrechtlich auf dem Disziplinarweg zu ahnden. Es kam daraufhin auch zu einer disziplinarischen Untersuchung des Falles, bei der Hofer die Maßregelung 1934 im nationalsozialistischen Sinn zugutegehalten wurde, weswegen es nicht zu seiner Entlassung kam. Weitere Vorwürfe der Gestapo, die allerdings letztlich nicht gerichtlich verhandelt wurden, beinhalteten Geschenkannahmen von den Innsbrucker jüdischen Geschäftsmännern Richard Graubart und Wilhelm Bauer. Darüber hinaus habe Hofer von den Beiden zinslose Darlehen in Anspruch genommen – eines davon offenbar zur Drucklegung eines selbst komponierten Marsches – und einen Teil davon nach dem „Anschluss“ zurückbezahlt. Diese finanzielle „Unterstützung“ einer als Jude verfolgten Person wurde ihm ebenso zur Last gelegt wie das ursprüngliche Darlehen. Trotz des Freispruchs vom Landgericht Innsbruck wurde Hofer daraufhin von seiner Dienststelle unangemessenes Verhalten attestiert und ihm die Rückkehr an seinen Arbeitsplatz verweigert. Er wurde nach der disziplinarischen Untersuchung im November 1938 an das Finanzamt Salzburg versetzt, das im Jänner 1939 an den Innsbrucker Oberfinanzpräsidenten über Hofers „Verhalten und Führung“ berichten sowie darauf achten sollte, dass er sich „nicht dem übermäßigen Alkoholgenuss“ hingebe.

Unklar bleibt, wie es wenige Monate später zur erneuten polizeilichen Erfassung Hofers kam, diesmal wegen gleichgeschlechtlicher Sexualhandlungen. Seine Verhaftung an seinem Salzburger Arbeitsplatz im Juli 1939 ging von der Gestapo Innsbruck aus, die ihn zurück nach Innsbruck brachte und in Untersuchungshaft nahm. Wenig ist über die weiteren Vorgänge bekannt, doch wird in der Urteilsschrift der Gerichtsverhandlung vom April 1940 als strafmildernd die „freiwillige Entmannung“ Hofers angeführt, der er sich während der gerichtlichen Voruntersuchungen unterzogen hatte. Diese Zwangsmaßnahme, die in der Realität keineswegs freiwillig war, da die Betroffenen entweder mit Drohungen oder mit der Alternative der Todesstrafe oder der Deportation in ein Konzentrationslager konfrontiert waren, war erst ab 1. Jänner 1940 durch die Einführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses in Österreich gesetzlich legitimiert worden – also nur wenige Monate vor der Hauptverhandlung gegen Richard Hofer. Während dieser chirurgische Eingriff strafmildernd berücksichtigt wurde, blieb bei der Urteilsbemessung unberücksichtigt, dass Hofer das erste Mal in diesem Zusammenhang gerichtlich angeklagt war: denn dies wurde lediglich darauf zurückgeführt, dass er bisher nicht „erwischt“ worden war. Nach dem Schuldspruch war Hofer im Gefängnis in Bernau am Chiemsee interniert worden, wo er eine 18-monatige Haftstrafe verbüßen sollte, die jedoch – vermutlich unter Anrechnung der Untersuchungshaft – kürzer ausfiel. Er kehrte anschließend nach Innsbruck zurück, sein ehemaliger Arbeitgeber, das Finanzamt, lehnte die Wiedereinstellung Hofers jedoch kategorisch ab. Hofer fand schließlich als „Lagerkarteiführer“ Arbeit bei einer Innsbrucker Firma. Bereits am 25. September 1942 verstarb er im Alter von 55 Jahren, die Todesursache ist allerdings am Totenschein nicht angegeben und daher unbekannt.

Titelaberkennungen aufgrund strafrechtlicher Verurteilungen waren seit dem 19. Jahrhundert gesetzlich verankert und wurden erst im Zuge der Strafrechtsreform 1971/73 abgeschafft. Bis zum Inkrafttreten 1975 konnten sie praktiziert werden. Die Wiederverleihung von nach den Bestimmungen des Strafgesetzes verlorenen akademischen Graden wurde durch das Allgemeine Hochschul-Studiengesetz von 1966 geregelt (BGBl. Nr. 177/1966): Zuständig war jene akademische Behörde, die den akademischen Grad verliehen hatte. Eine Wiederverleihung war möglich, „wenn a) ihr die Bestimmungen des Strafgesetzes nicht mehr entgegenstehen und b) durch die Wiederverleihung eine Schädigung des akademischen Ansehens mit Rücksicht auf die Art und Schwere der für den Verlust maßgebenden Verfehlung, die seither verstrichene Zeit und die seitherige Lebensführung des Bewerbers nicht zu befürchten ist.“ 1979 wurde zunächst lit. b als verfassungswidrig gestrichen, 1981 der ganze Absatz. Wiederverleihungen waren nun generell nicht mehr vorgesehen.

Für den Fall von Richard Hofer bedeutet das, dass auch aufgrund der zuletzt gültigen gesetzlichen Regelung eine Wiederverleihung seines aberkannten Doktorgrades dem Gesetz entsprochen hätte. Durch die Entkriminalisierung von Homosexualität 1972 war der zugrundeliegende Straftatbestand nicht mehr gegeben, auch das mittlerweile für gleichgeschlechtliche Sexualhandlungen gesenkte Schutzalter auf 14 Jahre entspräche diesen Bestimmungen. Diese Angleichung des Schutzalters für gleichgeschlechtliche Sexualhandlungen an jenes für gegengeschlechtliche Sexualkontakte stellte 2003 einen wichtigen Schritt in der Gleichstellung homosexueller Personen dar.

Quellen:
  • Die Matrikel der Universität Innsbruck. Abteilung: Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Erster Band (1849-1918), bearbeitet v. Peter Goller, hg. v. Archiv der Universität Innsbruck, Innsbruck 1998, 537.
  • Tiroler Landesarchiv, FLD Innsbruck, PA 2233, Hofer Richard
  • Archiv der Universität Innsbruck, Rektoratsakten 1941-1944, Karton 179, R-1823/1 ex 1941/2
Literatur:
  • Thomas Albrich (Hg.), Die Täter des Judenpogroms 1938 in Innsbruck. Innsbruck/Wien 2016.
  • Roman Birke, „Freiwillige Entmannung“ als Instrument gegen homosexuelle Männer im Nationalsozialismus, ungedr. Diplomarbeit, Wien 2013.
  • Claudia Andrea Spring, „… völlig unter dem Eindruck der Todesstrafe“: „Freiwillige Entmannung“ nach dem nationalsozialistischen Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, in: Zeitgeschichte 34 (2007) 5: NS-Herrschaft in Österreich, 251-269.
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