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Exkursion Liechtenstein

 

Am 2. April 2005 fand die diesjährige Exkursion des Universitäts-Clubs gemeinsam mit dem Institut für Europäische Ethnologie/Volkskunde statt. Von den 50 Personen stellte der Universitäts-Club sieben Teilnehmer.

Oliver Haid gab während der Busfahrt eine geschichtliche Einführung zur Entwicklung des heutigen Fürstentum Liechtenstein: Seit dem Interregnum waren die Länder um das heutige Baden-Würtemberg staufischer Besitz, die sich nach deren Aussterben in zahlreiche reichsunmittelbare Herrschaften teilten. Aus der Herrschaft Schellenberg und der Grafschaft Vaduz konnte letztlich das Fürstentum Liechtenstein entstehen.

Am Grenzübergang Tisis wurde die Reisegesellschaft vom liechtensteinischen Regionalforscher Rudolf Goop begrüßt und während der gesamten Weiterfahrt liebenswürdig betreut, mit umfassenden Informationen und reichhaltigem Schrifttum über das Land versorgt.

Nach dem Besuch der Pfarrkirche zum Unbefleckten Herzen Mariae in Schellenberg (erbaut 1961 – 1963) besichtigten wir das  Schellenberger Holzwohnhaus Nr.12. Ursprünglich im Jahre 1518 in Blockbauweise erstellt, wurde es 1993 an den heutigen Platz transloziert, um es vor dem Abriss und der Zerstörung zu bewahren. Ersichtlich aus verschiedenen Abbundzeichen an den Holzelementen hatte man das Haus bereits mehrere Male transloziert. Das mittelalterliche und frühneuzeitliche Lehensrecht besagte für „Schublehensnehmer“ (Pächter), dass dieser wohl den Grund gepachtet hatte, aber das Wohnhaus zu dessen „Fahrhabe“ gehörte und nach Auflösung des Pachtverhältnisses abgebaut werden musste. Die Inneneinrichtung zeigt eindrucksvoll die Wohnverhältnisse der ländlichen Bevölkerung über die Jahrhunderte bis zur letzten Adaptierung (Herd und Ofen) 1923.

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Auf der oberen Burgruine von Schellenberg referierte Rudolf Goop zur Geschichte der Burg: Wegen der sicheren Höhenlage über dem Rheintal war die Burg strategisch sehr wichtig. Die Herren von Schellenberg wurden während der Stauferzeit vom Deutschen König aus dem oberbayrischen Raum hierher gerufen, um die Reichsstrasse vom Deutschen Reich nach Italien zu sichern. Sie gaben dem Dorf und der Herrschaft, die weitgehend mit dem heutigen Liechtensteiner Unterland identisch ist, den Namen und standen bei Volk und Obrigkeit in hohem Ansehen. Anfang des 14.Jh. verließen die Schellenberger das Land. Es folgten mehrere Herren, wie die Grafen von Werdenberg, die Freiherren von Brandis, die Grafen von Sulz, die Grafen von Hohenems und im Jahre 1699 gelangte die Herrschaft Schellenberg durch Kauf an den Fürsten von Liechtenstein, der sich im Kaufvertrag ein Vorkaufsrecht für die Grafschaft Vaduz eintragen ließ. Die Burg war seit dem 16.Jh. nicht mehr bewohnt, diente im 19.Jh. den Schellenbergern als Steinbruch und 1956 schenkte Fürst Franz Josef II. die Ruinen dem Historischen Verein, der diese erforschen und konservieren ließ.

Vor dem Gedenkstein in Erinnerung an den russischen Einmarsch in Schellenberg im Jahre 1945 erzählte Herr Goop die Geschichte und das Schicksal der 1. Russischen Nationalarmee im Dienste der Deutschen Wehrmacht. Diese Armee setzte sich aus freiwilligen Emigranten, Kriegsgefangenen und Überläufern aus dem kommunistischen Russland zusammen. Die Gesamtstärke dieser Armee, geführt von General Holmston-Smyslowsky, betrug 6000 Mann. Nach der deutschen Niederlage trat diese Armee von Schlesien aus den verlustreichen Rückzug an. Eine Gefangennahme durch die Allierten hätte die sichere Auslieferung an die Sowjetunion und die Liquidierung bedeutet. Mit dem Ziel, das neutrale Liechtenstein zu erreichen und dort um Asyl anzusuchen kamen nur mehr 600 Mann in das Land. Fürst und Volk nahmen die Soldaten auf, verpflegten sie und ermöglichten ihnen die Auswanderung nach Argentinien.

Beim Gasthaus zum „Löwen“ in Schellenberg lud die Gemeinde alle Teilnehmer der Exkursion zum Mittagessen ein und ließ durch Frau Vizebürgermeister Goop jedem Teilnehmer das Buch „Menschen am Schellenberg“ von Rudolf Goop überreichen. Der Autor hat seit 1984 Interviews mit alten Schellenbergern aufgezeichnet und entsprechendes Bildmaterial gesammelt. Das Ergebnis liegt in einer volkskundlich- sozialgeschichtlichen Dokumentation über den Zeitraum von 1800 bis zur Mitte des 20.Jh. vor.

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©Herlinde Molling

Auf Schloss Vaduz führte Herr Wanger und gab eine umfassende Darstellung der Geschichte des Schlosses und des Fürstentums: Das Schloss wird erst seit 1938, nach Hitlers Einmarsch in Österreich, als ständiger Wohnsitz von der Fürstenfamilie benützt. Das Schloss zeigt immer noch das festungsartige Erscheinungsbild und es wird dieses wohl auch nach der derzeit durchgeführten Renovierung beibehalten. Im Schwaben-krieg von 1499 wurde das Schloss niedergebrannt und heute noch lassen die tief in die mächtigen Mauern der vorgesetzten Rondelle eingeschnittenen Schießscharten den unbedingten Verteidigungswillen erkennen.

Während die Gruppe den Worten des Führers an der Außenmauer der Burganlage lauschte spazierte Fürst Franz-Adam II. freundlich grüßend an uns vorüber. Im sonst der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Gebäudekomplex wurden wir bis in den Innenhof und die Kapelle des Schlosses vorgelassen.

Als letzte Station stand ein Besuch im Liechtensteinischen Landesmuseum auf dem Programm. In vier Gruppen wurden die Teilnehmer durch das renovierte und 2003 wiedereröffnete Haus geführt. Dem Museum des Landes entspricht die Ausstellungskonzeption, die als Leitbegriffe die zentralen Tätigkeiten aus dem Leben der Menschen von der Frühzeit bis zur Gegenwart einschließt: Siedeln (Ur –und frühgeschichtliche Relikte, und Funde aus der römischen Besiedelung bis zu neuzeitlichen Wirtschaftsstrukturen), Schützen (Sicherheit und Geborgenheit durch Schirmherren und religiöse Segensbringer von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart), Herrschen (Entwicklung von Aristokratenwillkür zu Gesetz und Ordnung, Verfassungen von 1862 und 1921 – konstitutionelle Monarchie auf Basis parlamentarischer Demokratie), Feiern (Ausgeprägtes Vereinswesen, Fest -und Feierkultur aus weltlichen und religiösen Traditionen), Schaffen (Vom armen Landstrich, von dem Arbeitskräfte ins benachbarte Ausland pendeln mussten zu einem Land mit der höchsten Industriequote Europas), Nutzen (Überdenken der Haltung zur Natur, mit Respekt die natürlichen Ressourcen nützen).

 

Dankbar für die vielfältigen Informationen und für die außerordentliche Gastfreundschaft, die   in Liechtenstein geboten wurde, kehrten die Exkursionsteilnehmer nach Innsbruck zurück. 

 

 

Literatur:

 

- Goop, Rudolf: Menschen am Schellenberg. Bd.1. Hrsg. Gemeinde Schellenberg. Wien-Köln-Weimar: Böhlau, 2005. http://www.boehlau.at

 

- Liechtenstein in Zahlen. Hrsg. Amt für Volkswirtschaft. Vaduz 2004.

 

- Translozierung des Schellenberger Wohnhauses Nr.12, Haus Biedermann, Red. Michael Pattyn, Hrsg, Hochbauamt Vaduz, o.J.      

 

- Vogelsang, Henning Freiherr von: Nach Liechtenstein – in die Freiheit. Schaan 1980.

 

 

 

 

Dr. Herlinde Molling,                                                                                     Innsbruck, am 05.04.05

Riedgasse 37, Tel. u.Fax (0512) 272906

6020  Innsbruck

 

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