- Leseraum
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Datum: | 2008-03-13 |
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Inhalt1
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| Test para 1 | 3
| Woran werden Sie sich - liebe Absolventinnen und Absolventen der
Kath.-Theologischen Fakultät im Jahre 2055 erinnern, wenn sie mit ihren
Kindern und Enkeln oder aber, nachdem auch Priester unter ihnen sind,
mit Menschen, die sie getraut haben, in schwierigen Lebenssituationen
als Seelsorger begleitet haben, woran werden sie sich erinnern, wenn
sie ihr goldenes Jubiläum feiern werden... , ein Fest der Erinnerung an
das vor 50 Jahren abgeschlossene Studium? Werden sie es überhaupt als
einen Anlass sehen, für eine Feier, für ein Glas Wein, einen
dankerfüllten Rückblick? Der Mensch lebt aus der Kraft der Erinnerung.
Doch kann diese Erinnerung zum Inbegriff von höllischen Qualen werden,
wenn man unversöhnt ist: mit sich selber, mit seiner Umgebung, mit Gott
und Welt. Sie kann eben die allgegenwärtige Versuchung des Menschen zu
“incurvatio” zementieren. Als “homo incurvatus in se ipsum” - als in
sich selbst verschlossenes Individuum geht man zwar den Weg des Lebens
weiter, denkt auch zurück, doch nur deswegen um Wunden zu lecken und
mit Steinen zu werfen auf jene, die mich scheinbar um die Lebenschancen
betrogen haben. Die Kraft der Erinnerung kann aber auch zum Inbegriff
von Ostern werden, wenn einem die Augen aufgehen und man erkennt, dass
“mir das Herz schon lange brannte”, weil sich etwas entscheidendes in
meinem Leben verändert hat, weil ein Mensch, weil Menschen in dieses
Leben eingetreten sind, und Sackgassen sprengten. Wie dies bei den
beiden Jüngern aus Emaus der Fall war, deren Herz so verbittert war,
weil ein Abschnitt ihrer Geschichte gewaltsam zu Ende ging und niemand
da war, der sie aus der Resignation herausreißen konnte: “Wir aber
dachten dass...”: dass es da anders wird, dass da ein Aufbruch kommt,
eine Zukunft... auch durch das Studium der Schrift. Ihr verengter Blick
wurde vom hinzukommenden Wanderer geweitet und deswegen konnte dann
kommen: “Herr bleibe bei uns, denn es wird Abend und der Tag hat sich
geneigt”. | 4
| Josef K. wurde eine solche Heilung
nicht zuteil. Immer und immer wieder erinnert er sich bloß daran, dass
er eines Tages abgeholt wurde, dass die Geschichte seines Lebens von
außen unterbrochen wurde, dass er in ausweglose Systemzwänge und
Zusammenhänge verstrickt wurde, dass das Leben an ihm vorbei ging und
er unweigerlich zu Tode kommt. Wie viele Menschen unserer Breitegrade
erleben sich als Reinkarnation von Josef K., der wohl berühmtesten
Figur von Franz Kafka. Ihr Leben lang glauben sie schuldlos schuldig
befunden worden zu sein, machen bei ihren Erinnerungsreisen hin und
wieder Station, vor allem beim Ortsklerus, den sie in die Rolle der
kafkaesken Beamtenschaft rücken, die das Leben zerstören und kommen nie
los von ihren Beichtverletzungen und Beichtneurosen. Woran werden sie
sich erinnern, sollten sie sich überhaupt erinnern? | 5
| Vielleicht wird unsere Kultur in 50
Jahren dermaßen zu einer Kultur des Todes mutieren, dass die Menschen
jegliche Erinnerungskraft verlieren, dass sie ihre Traditionen und ihre
Ahnen vergessen. Die uns heute so faszinierende Aufgabe der
Inkulturation wird sich von selber erledigen, weil die technische und
wirtschaftliche Entwicklung sich so verselbständigt und der Mensch, der
heute auf seine Selbstbestimmung und seine Autonomie so stolz ist,
schon in 50 Jahren längst zu einer minderwertigen Funktion
geschlossener Systeme wird. Werden sie sich erinnern, wenn sie sich
überhaupt erinnern werden, in 50 Jahren? | 6
| Sehr geehrter Herr Rektor, liebe
Frau Promotorin, liebe Angehörige und Freunde unserer Absolventinnen.
Die Durchsicht der Themen unserer Absolventen, ein Blick auf die
Methoden und Ergebnisse hat mich zu diesen einleitenden Gedanken
inspiriert und dies nicht nur deswegen, weil Herr Klaus-Peter Stumpf
seine Arbeit ausdrücklich betitelte “Erinnert euch an das, was er euch
gesagt hat” - eine Arbeit über die Emausgeschichte (bei Univ.-Prof. Dr.
Martin Hasitschka). Dies auch nicht deswegen, weil Frau Doris Juen über
Theresa von Avila, eine Mystikerin und Karmelitin (bei Univ.-Prof. Dr.
Lothar Lies) arbeitete und wir schon heute in einer Welt leben, in der
eine lebende Karmelitin der Jugend fremder ist, als der Mond. Von der
toten schon ganz zu schweigen, wenn diese auch vor 500 Jahren die
abendländische Geschichte nachhaltig verändert hat. Dem großen Ignatius
von Loyola durchaus vergleichbar, dessen Exerzitien Generationen von
Gelehrten prägten. Die Frage der Erinnerung stellte sich mir auch nicht
nur deswegen, weil Frau Eleonora Bösch die Inkulturation dieser
Exerzitien in die alltägliche Welt von heute untersuchte (bei
Univ.-Prov. Dr. Franz Weber) und Herr Mbangi Mukulu die Erinnerung an
die traditionelle schwarzafrikanische Kultur und Religiosität und deren
Inkulturation auch in die globale Kultur Afrikas untersuchte (bei
Univ.-Prof. Dr. Karl-Heinz Neufeld). Schlussendlich stellte sich mir
diese Frage auch nicht nur deswegen, weil Buße und Beichte rapide aus
unserem Alltag verschwunden sind, das Bedürfnis nach Versöhnung aber
nicht - die Arbeit von Herrn Harald Klingler (bei Univ.-Prof. Dr.
Mathias Scharer) über das Sakrament der Versöhnung. Mit der Welt Franz
Kafkas über die Herr Ernst Wageneder (bei Univ.-Prof. Dr. Siegfried
Battisti) arbeitete, leuchtet uns inzwischen etwas von jener
Ausweglosigkeit geschlossener Systemzwänge ein, die in einem
naturalistischen Menschenbild (Herr Gerd Christian Forcher mit seiner
Arbeit bei Univ.-Prof. Dr. Christian Kanzian) bereits rationalisiert
wurde, deswegen auch keinen Grund mehr zu Klage und auch zum Leiden
darstellt. Die Not wird halt zum Programm. | 7
| Die Inspiration zu dieser Ansprache
kam am Freitag vor eine Woche, als in diesem Haus das große goldene
Doktorjubiläum gefeiert wurde und ein Theologe im Namen der Geehrten
die Schlussansprache hielt. Unter Dutzenden von Absolventen anderer
Fakultäten war er allein. Theologie: Schon damals also eine
verschwindende Minderheit? Es verwirrte und verunsicherte ihn, dass er
der einzige Theologe im Namen von vielen anderen reden sollte. Der
emeritierte Weihbischof Max-Georg Freiherr von Twickel aus Münster
sprach ... und er sprach von der Kraft der Erinnerung. Seine Worte
wurden für andere zum Sauerteig für diesen Tag. Selbst dann, oder
gerade dann, weil ihnen Theologie und Kirche fremd waren oder auch
fremd geworden sind, oder auch gleichgültig. Er erinnerte sich an die
damalige Theologische Fakultät und drei Aspekte hob er hervor. Er
sprach von der spezifischen Atmosphäre dieser Zeit und dazu zählte er
die Sachkompetenz der Lehrer, ihre tiefe Menschlichkeit und auch die
Tatsache, dass diese Lehrer selbst das glaubten, worüber sie
arbeiteten. Er erinnerte also an die authentischen Lehrer und an die
Beziehungen, die einmal gestiftet, selbst wenn sie nicht gepflegt
werden, im Gedächtnis bleiben, weil sie heilend waren. Bei allem Wandel
war dies das Bleibende: die Kraft heilender Beziehungen, die Lehrer in
den Studierenden motivieren konnten. Auf diese Atmosphäre unserer
Fakultät sind wir ja besonders stolz. | 8
| Ihre Feier findet im Umkreis des
Festes der heiligsten Dreifaltigkeit statt. Morgen feiert die Kirche
ausdrücklich das Geheimnis des christlichen Gottes. Gott ist Beziehung,
Gott ist Liebe. Das ist keine banale Floskel. Das Bekenntnis können nur
die Christen ablegen, weil Beziehung mehrere Personen voraussetzt. Gott
ist Beziehung, Gott ist Liebe, deswegen kann er auch heilend wirken
durch alle Brüche und alle Sackgassen hindurch. Unsere Jesuitenkirche,
die Universitätskirche feiert morgen ihr Patrozinium. Mitten zwischen
den beiden Flügeln der Theologischen Fakultät steht sie: Der kultische
Ort der Erinnerung daran, dass trotz allen Wandelns etwas bleibt. Was?
Nicht die Schuldverstrickung und auch nicht die Systemzwänge. Nicht die
oberflächliche modisch pseudomystische Vernebelung und auch nicht die
Kirchenfrustration. Es bleiben auch nicht die statistischen Daten. Das
Einzige was bleibt, ist der letzte Grund der Wirklichkeit und das sind
nicht wir. Für viele Menschen klingt das bedrohlich, deswegen
verdrängen oder banalisieren sie diese religiöse Wahrheit. Wir Christen
bekennen sie ausdrücklich, weil wir als den letzten Grund der
Wirklichkeit die Beziehung glauben. Eine heilende Beziehung, eine
Beziehung, die dem Gottesgeheimnis selbst entspringt. Das ist der
christliche Glaube! Diesen christlichen Glauben sollen wir bezeugen,
denn dieses Zeugnis ist heute für unsere Kultur lebenswichtig. Es ist
so etwas wie ein Sauerteig, gerade im global village. Denken sie daran,
erinnern sie sich an die Tatsache, dass sie an einer Fakultät studiert
haben, wo in der Mitte die Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit steht.
Dann werden sie zu einem Sauerteig in dieser Welt von morgen werden und
sie werden auch dankbar sein. Und sich dankbar an die Fakultät und an
die heutige Feier erinnern. | 9
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