Kosaken in Tirol. Ein belastendes Erbe

(Karl Berger, Harald Stadler)


Ausgangslage

Die Bezeichnung „Kosaken“ mag in manchen Ohren fremdartig, mystisch, von weit her oder geheimnisvoll klingen. Vielleicht gerade deshalb dauerte es eine geraume Weile, bis die wissenschaftliche Aufarbeitung der Ereignisse von Mai und Juni 1945 im Raum Lienz auf tragfähige Beine gestellt werden konnte. Schließlich rufen die Ereignisse noch heute große Emotionen bei allen Beteiligten hervor. Viele lehnen bis heute ab, darüber zu sprechen. Der Umgang war vor allem durch Schuldzuweisungen, Rechtfertigungen sowie befangene Sichtweisen bestimmt.

 

Die „Tragödie an der Drau“

Die bedingungslose Kapitulation Deutschlands bedrohte etwa 25.000 mit der Deutschen Wehrmacht verbündete Kosaken mit dem Tod oder zumindest der Verbannung nach Sibirien. Um dieser Gefahr zu entrinnen, flohen sie – und mit ihnen ca. 5.000 Kaukasier bzw. Ukrainer – in den Maitagen des Jahres 1945 in den Raum Oberkärnten und Osttirol. Dort wähnte man sich in Sicherheit, wurde das Gebiet doch von britischen Truppen kontrolliert. Einheimische reagierten zunächst mit Neugierde, sehr bald aber mit Furcht und Ablehnung auf die angekommene Masse, die aus einer militärischen Einheit, vor allem aus dem zivilen Tross bestand bei dem auch ca. 6.000 gefräßige Pferde mitgeführt wurden. Tauschhandel, die verschiedensten Kulturkontakte aber auch gegenseitiges Misstrauen und Diebstahl bestimmten das Nebeneinander. Ende Mai 1945 wurden, nachdem man die Führungsoffiziere verhaftet hatte, fast alle Kosaken – auch Frauen, Kinder und Alte – gegen ihren Willen interniert und in Judenburg sowjetischen Truppen übergeben. Aufgrund der dramatischen Ereignisse in den Lagern um Lienz und Oberdrauburg sprach man in Anlehnung an einen 1957 erschienenen Roman auch von der „Tragödie an der Drau“.

 

Das Projekt

Die heute noch teilweise tabuisierten und verdrängten Ereignisse geben Beispiel, wie belastend Kulturelles Erbe empfunden werden kann. So wurde beispielsweise die „Tragödie an der Drau“ als Weg entdeckt, die NS-Vergangenheit nicht weiter zu reflektieren (vgl. „Pannwitz-Stein“). Gerade deshalb sollten diese Geschehnisse der unmittelbaren Nachkriegszeit auf Initiative von Harald Stadler durch das interdisziplinäre Zusammenspiel dreier Disziplinen (Mittelalter- und Neuzeitarchäologie, Europäische Ethnologie/Volkskunde und Zeitgeschichte) endlich aufgearbeitet werden. Dieses Ziel wurde durch mehrsemestrige Lehrveranstaltungen, bei denen durch ein praxisbetontes „forschendes Lernen“ eine Vertiefung in archäologischer und empirischer Methodik vermittelt wurde und die von der Inform-Akademie Osttirol in der Tammerburg unterstützt wurde, verfolgt.

 

Fragen

Erinnern und Erinnerung(en) können als eine kulturell und gesellschaftlich vermittelte Selektion des Geschehenen angesehen werden und sind damit zwangsläufig mit allen Formen des Vergessens untrennbar verbunden. Solange Erinnerungen nicht in irgendeiner Weise fixiert sind, verändern sie sich zwangsläufig im Laufe eines Lebens. Nicht jedes Ereignis bleibt gleich gut im Gedächtnis, vieles fällt dem Vergessen anheim oder wird verdrängt. Vordergründiges Ziel war es vorerst nicht, die politische und militärische Geschichte zu recherchieren, sondern den Alltag der Kosaken in den Lagern nachzuzeichnen; im Mittelpunkt standen Prozesse der Erinnerungskultur und Fremdwahrnehmung, Fragen über Kulturkontakte und Migration, zu Funktions- und Bedeutungswandel kosakischer Objekte sowie Probleme einer Archäologie der Kosaken bzw. deren Alltagsleben im Lager. Insbesondere dient das Projekt auch der Fragestellung, welchen Beitrag die Archäologie zu Problemen der Zeitgeschichte leisten könnte: Was bleibt neben Bilddokumenten, Zeitungsberichten etc. an materiellen Objekten im Gebiet? Welche Gegenstände überdauerten in Dachböden oder was gelangte aus Zufall oder bewusster Absicht in die Erde?

 

Veranstaltungen

2005 wurde durch die medial viel beachtete Ausstellung „Flucht in die Hoffnungslosigkeit“ ein erstes Zwischenergebnis präsentiert. Die gleichnamige Begleitpublikation skizzierte den zeithistorischen Zusammenhang, die volkskundliche Spurensuche zu Fragen der Erinnerungskultur sowie erste archäologische Funde und Befunde. Speziellere Fragestellungen wurden im gleichen Jahr auf dem Österreichischen Historikertag vorgestellt. Schließlich organisierte Harald Stadler gemeinsam mit Rolf Steininger 2007 den international besetzten Kongress „Kosaken im Ersten und Zweiten Weltkrieg“, durch welchen die Ereignisse in einen größeren Kontext gerückt wurden.

 

Publikationen:

Stadler, Harald; Kofler, Martin; Berger, Karl C.: Flucht in die Hoffnungslosigkeit, Innsbruck 2005.

Darin u.a.

Berger, Karl C.: Schwieriges Erinnern. Eine volkskundliche Skizze, in: Harald Stadler/ Martin Kofler/ Karl C. Berger (Hgg.): Flucht in die Hoffnungslosigkeit. Die Kosaken in Osttirol, Innsbruck u. Bozen 2005, 28-38.

Stadler, Harald, Zur Archäologie der Kosaken in Osttirol. In: Flucht in die Hoffnungslosigkeit. Die Kosaken in Osttirol, 2005, 39-54.

 

Berger, Karl C.: Fremde Opfer. Volkskundliche Überlegungen zu Erzählungen über Kosaken in Osttirol, in: Haidacher, Christoph (Hg.): Von Stadtstaaten und Imperien. Tagungsbericht über den 24. Österreichischen Historikertag in Innsbruck, Innsbruck 2006, 411-424.

Stadler, Harald: Suchschnitte in die Zeitgeschichte. Aktuelle Forschungen zur Neuestneuzeitarchäologie in Tirol, in: Haidacher, Christoph (Hg.): Von Stadtstaaten und Imperien.Tagungsbericht über den 24. Österreichischen Historikertag in Innsbruck, Innsbruck 2006, 625-636.

 

In Vorbereitung: Stadler, Harald; Steininger, Rolf (Hg.): Kosaken im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Innsbruck 2008.

 

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