Archäologische Forschungen in Nussdorf-Debant

(Florian Martin Müller)

 

Anfang des 18. Jahrhunderts stießen Bauern, als sie einen „Gline“ genannten Acker am linken Ufer der Drau in der Nähe von Unternußdorf auf der Suche nach Schätzen durchwühlten, auf Mauern, einen von Steinplatten eingefassten Kanal sowie einen Mosaik-Fußboden, der sich auf einem darunter liegenden Gewölbe befand.

Die in diesem Bereich gemachten Funde weckten das Interesse der Oberin des Haller Damenstiftes, dem von 1653-1783 die Herrschaft Lienz gehörte. Sie entsandte den später als Vater der Tiroler Archäologie bekannten Anton Roschmann (1694-1760) im Herbst 1746 dorthin, um dies genauer zu erforschen und eine archäologische Ausgrabung durchzuführen. Roschmann entwickelte zu Lebzeiten eine ungeheure Produktivität, die sich in seinem umfangreichen Werk widerspiegelt. Darin finden sich auch zahlreiche Abhandlungen zu archäologischen Themen, die bisher aber nur sporadisch und zumeist auf einzelne Funde und Materialgruppen beschränkt wissenschaftlich ausgewertet wurden.

 Roschmann Auch über seine Ausgrabungen 1746 in Osttirol verfasste Anton Roschmann noch im selben Jahr einen Text mit dem Titel „Reliquiae aedificii Romani ad oppidum Tyrolense Lienz detectae, vulgo das Zwergen-Gebäu“ („Die Überreste eines römischen Gebäudes, das in der Nähe von Lienz entdeckt wurde und im Volksmund das Zwergerlgebäude heißt“), der heute im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum im Autograph erhalten ist. Es handelt sich dabei allerdings um keine Reinschrift, sondern um eine Konzeptfassung mit Korrekturen, Ergänzungen, Streichungen und Einfügungen. Im Zuge eines interdisziplinären Forschungsprojektes des Instituts für Archäologien und des Instituts für Sprachen und Literaturen – Abteilung Latinistik wurde dieser Text kritisch ediert und übersetzt. An die philologische Arbeit schloss sich die Kommentierung an, die v.a. unter archäologisch-grabungsgeschichtlichen Aspekten durchgeführt wurde.

Roschmann beschreibt in seinem Bericht, dass zwischen Mauerresten zahlreiche römische Bodenmosaike sowie ausgedehnte Unterflurheizungen zum Vorschein kamen. Abschließend geht er der Frage nach, warum den dort aufgefundenen römischen Ruinen von der einheimischen Bevölkerung der Name „Zwergerlgebäude“ gegeben worden war. Die kleinen Gewölbe der Hypokaustenanlagen wurden nämlich - aufgrund ihrer Größe - für die Behausungen von Zwergen gehalten und man vermutete, dass die römischen Überreste eine Zwergenstadt gewesen waren. Dies führte auch zum Entstehen einer der bekanntesten Sagen von Osttirol.

Die Ergebnisse Roschmanns ließen Kaiser Franz I., den Gatten Maria Theresias, auf die Ruinen in Osttirol aufmerksam werden, und er sandte seinen Architekten Josef Anton Nagel (* 3.2.1717, + 6.5.1794) 1753 nach Lienz, um die von Roschmann zum Teil untersuchten Gebäudereste vollständig freizulegen und zu vermessen. Seine Fundstücke überließ er der der Universitätsbibliothek in Innsbruck angeschlossene Sammlung antiker Kunst.

Ploner  Die Auswertung eines bisher unedierten archäologischen Textes aus dem 18. Jh. ermöglicht wertvolle Einblicke in die Ansichten, Methoden und Forschungstraditionen dieser Zeit. Dass es sich dabei um den Bericht über eine der frühesten archäologischen Ausgrabungen in ganz Österreich und überhaupt die erste in Osttirol handelt, die unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten durchgeführt wurde, macht diesen Text nur umso bedeutender. Im Zuge der Forschungen sollte auch auf die späteren Ausgrabungen im Gebiet der "Gline" eingegangen werden. So wurden 1912/13 Grabungen durch den Jesuitenpater Innozenz Ploner durchgeführt, und zuletzt  kamen 1933/34 bei Arbeiten im Keller des Hauses Mitterweg 6 römische Mosaiken zum Vorschein.

Neben rein wissenschaftshistorischen Aspekten sollte aber auch der Frage nach dem Wert und der Aussagekraft älterer Quellen für die moderne archäologische Forschung in Tirol nachgegangen werden. Daher wurde im November 2006 versucht, den Platz der älteren Grabungen zu lokalisieren und weitere archäologische Überreste festzustellen. Im Zuge einer kurzen Begehung der Parzelle wurde im östlichen Bereich der ansonsten flach gegen Norden hin ansteigenden Wiese eine leichte Erhebung mit zahlreichen Bodenunebenheiten und rechteckigen Einsenkungen festgestellt. Bei der Untersuchung zahlreicher Maulwurfshügel konnten hier in relativ kurzer Zeit zahlreiche Funde oberflächlich eingesammelt werden. Neben einer Münze Kaiser Hadrians (Prägezeit 191-121 n.Chr.), Keramikfragmenten und Schlackenresten, fanden sich - wie als Bestätigung der älteren Berichte - dutzende weiße und schwarze Tesserae von römischen Bodenmosaiken, vorwiegend einzeln, teilweise aber auch noch in Form kleinerer zusammenhängender Fußbodenstücke. Auch Mörtel- und Estrichbrocken und ein Stück Wandverputz mit roter Bemalung konnten geborgen werden. Diese Funde sowie die älteren Quellen lassen vermuten, dass sich im Bereich der Flur „Gline“ einst eine römische Villenanlage befunden hat und eine erneute archäologische Untersuchung dieses Bereiches sehr ergiebig wäre.  Ziel ist daher die Durchführung einer ausschließlich durch Drittmittel finanzierten Grabungskampagne im Herbst 2007. Die zu erwartenden Ergebnisse sowie die Berichte, Pläne und Zeichnungen älterer Untersuchungen zeigen, dass durch archäologische Ausgrabungen an diesem Platz mit großer Wahrscheinlichkeit mit neuen Erkenntnissen zur römerzeitlichen Besiedelung Osttirols zu rechnen sein wird.

 

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