„Die Zeiten des „Je mehr der EU-Unifizierung, desto besser“ sind vorbei!“

 

Anlässlich seines Tirolbesuchs hielt Dr. Vaclav Klaus, Präsident der Republik Tschechien, Freitagabend an der Theologischen Fakultät einen Vortrag zum Thema „Europa in der Welt“. Dabei ortete er dringenden Handlungsbedarf und forderte Mut zur Veränderung der Europäischen Union.

 

Im bis auf den letzten Platz ausgefüllten Kaiser-Leopold-Saal der Theologischen Fakultät konnte Rektor Manfried Gantner Präsident Dr. Vaclav Klaus begrüßen. Als Verfechter der Marktwirtschaft ohne beschönigende Adjektive sei dieser immer für eine Marktwirtschaft im Sinne des bisher einzigen österreichischen Nobelpreisträgers der Wirtschaftswissenschaften, August Friedrich Hayek, eingetreten. „Die Österreichische Schule der Nationalökonomie wird daher an den tschechischen Hochschulen wiederbelebt“, so Rektor Gantner in seinen Begrüßungsworten.

 

Positive Effekte für die 10 neuen EU-Mitgliedsländer nur marginal

Zu Beginn seiner Ausführungen nahm Präsident Dr. Vaclav Klaus Stellung zur EU-Osterweiterung: „Im Moment des Beitritts – und es war ein Beitritt mit vielen Ausnahmen und Einschränkungen, die für die alten EU-Mitglieder Vorteile darstellen – haben die neuen Mitgliedsländer wichtige politische Anerkennung erhalten. Die Mitgliedschaft war die formale Bestätigung des von ihnen erreichten Niveaus der politischen, wirtschaftlichen und zivilisatorischen Reife oder Maturität, und die Bestätigung ihres heutigen Entwicklungsstandes und ihrer Stabilität. Leider muss ich sagen, dass dies auch der einzige Hauptgewinn war, der sich aus ihrer Mitgliedschaft in der EU ergab. Die Effekte der gegenseitigen intensiven Beziehungen wuchsen schrittweise schon seit dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 und waren schon lange vor dem 1. Mai 2004 ‚verkonsumiert’. Sie sind nicht mit der formalen EU-Mitgliedschaft gekommen“, führte Präsident Dr. Klaus aus.

 

Die EU als Bremse des Wirtschaftswachstums?

Auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung der EU-Mitgliedsländer fand Präsident Dr. Klaus klare Worte: „Ich bin nicht der einzige, der überzeugt ist, dass diese EU-Legislative nicht die ordnungspolitische Rahmenbasis für die freie Marktwirtschaft ist. Meine feste Überzeugung ist, dass die neuen Mitgliedsländer dadurch nicht zu der wirklichen wirtschaftlichen Konvergenz geführt werden. Im Gegenteil. Es droht, dass diese, nur nominale, das heißt institutionale und legislative, Konvergenz die Bremse der realen Konvergenz, der Konvergenz von Wirtschaftsleistung und Lebensniveau, sein wird. Das ist für die mittel- und osteuropäischen Länder keine gute Perspektive.“ Ebenso ortete Präsident Dr. Klaus ein wachsendes Demokratiedefizit innerhalb der Institution EU: „Der heutige europäische Kommunitarismus und/oder Supranationalismus sind für mich – und für viele andere Europäer – mit dem gefährlichen demokratischen Defizit und mit der Postdemokratie verbunden. Ich gehöre zu denen, die diese Gefahr als seriöse Bedrohung für unsere Zukunft betrachten. Die bittere Erfahrung unserer kommunistischen Vergangenheit macht uns in dieser Hinsicht empfindlich, vielleicht sogar überempfindlich. Ich gehöre auch zu denen, die ernsthaft bezweifeln, dass es möglich ist, Freiheit und Demokratie ohne die Einhaltung der Institution des Staates und ohne direkte Bindung der Bürger an diejenigen zu bewahren, die über sie und für sie Tag für Tag Tausende wichtige Entscheidungen fällen. Wenn ich das sage, ist es meinerseits keine apriorische Verteidigung des Staates oder einiger konkreter Staaten gegen maximale Freiheit der Bürger, sondern eine Verteidigung der Bürger gegen ungewählte Politiker, Bürokraten und lauten und für sich selbst engagierte NGO’s, die – zusammen, Hand in Hand – die internationalen und supranationalen Organisationen regieren.“

 

„Staatsübergreifende Strukturen sind für die Demokratie zu groß!“

In mancherlei Hinsicht sei der Staat in seiner normalen europäischen Dimension laut Präsident Dr. Klaus zu groß – deshalb brauche es Gemeinden und Regionen. In anderer Hinsicht sei der Staat wieder zu klein, weshalb es staatsübergreifende Institutionen brauche. „Eine Sache ist aber klar: Für die Demokratie ist der Staat genau entsprechend. Staatsübergreifende Strukturen sind für die Demokratie zu groß.“ Die quasilogischen Argumente im „Kielwasser“ der EU-Erweiterung, nämlich dass die EU-Prozeduren und Entscheidungsmechanismen gerade jetzt pragmatisch und rational vereinfacht werden sollen, „das dürfen wir nie akzeptieren“, so Präsident Dr. Klaus. Die Effekte der Vereinfachungen von Entscheidungsprozeduren und die Kosten der Abwesenheit der demokratischen Repräsentierung bei den Entscheidungen seien nicht vergleichbar.

 

EU-Erweiterung auf Kosten der Demokratie

Mit der Erhöhung der Mitgliederzahl von 15 auf 25 erhöhten sich die Transaktionskosten des EU-Funktionierens, meint Präsident Dr. Klaus. Diese Kosten seien entweder zu tragen oder zu eliminieren: „Die EU-Politiker sind heute bereit und auch persönlich motiviert, eine sehr gefährliche Methode zur Eliminierung dieser Transaktionskosten anzunehmen: Eine weitere Stärkung des demokratischen Defizits, eine weitere Senkung des Ausmaßes von demokratischen Prozeduren zu Gunsten der hierarchischen Prozeduren, eine weitere Erhöhung der Anzahl von Bereichen, in denen innerhalb der EU eine Mehrheitsabstimmung erfolgt. Das dürfen die Europäer nicht akzeptieren. Ich bin überzeugt, dass diese politische Seite des heutigen europäischen Problems so wichtig ist, dass sie der Grundbaustein und das Hauptkriterium beim Weiteraufbau der europäischen Integration sein muss. Man kann Europa nicht mehr und mehr, weiter und weiter, tiefer und tiefer unifizieren und zentralisieren und nur dann, nachträglich, das Grundsätzliche – die Demokratie – suchen. Demokratie geht mit Kommunitarismus und Supranationalismus nicht zusammen!“

 

„Europa braucht eine neue Gesellschaftsordnung!“

Zum Abschluss seiner Ausführungen regte Präsident Dr. Klaus eine neue Gesellschaftsordnung für die EU an. „.Wir brauchen ein anderes sozio-ökonomisches System. Ein Europa der wirtschaftlichen Freiheit, ein Europa des kleinen und sich nicht ausdehnenden Staates, ein Europa ohne staatlichen Paternalismus, ein Europa ohne pseudomoralisierende politische Korrektheit, ein Europa ohne intellektuellen Snobismus und Elitismus, ein Europa ohne supranationale, gesamtkontinentale Ambitionen. Zusammengefasst, wir brauchen ein Europa ohne Ideologie des Europäismus“, so der Präsident der tschechischen Republik.

 

 

 

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