Die vielfältige Romania. Dialekt - Sprache - Überdachungssprache
Gedenkschrift für Prof. Dr. Heinrich Schmid (1921-1999)



Zeit: Freitag, 30. November 2001, 14.30 Uhr s.t.
Ort: Sitzungssaal 3 der Universität Innsbruck (Sitzungssaal der Naturwissenschaftlichen Fakultät), Univ.-Hauptgebäude,
Christoph-Probst-Platz, Innrain 52, 1. Stock

Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir beehren uns, Sie zur Vorstellung der Gedenkschrift für Prof. Heinrich Schmid am Freitag, 30. November, um 14.30 Uhr s.t. im Sitzungssaal 3 der Universität Innsbruck (Sitzungssaal der Naturwissenschaftlichen Fakultät, Raum 1032, 1. Stock Hauptgebäude), Innrain 52, einzuladen.

PROGRAMM
Begrüßung
Würdigung von Prof. Heinrich Schmid (Prof. G. Plangg)
Musikalische Einlage
Vorstellung der Gedenkschrift für Prof. Heinrich Schmid (Prof. Maria Iliescu)
Musikalische Einlage
Vorstellung der Ladin Dolomitan-Grammatik
Anschließend laden wir Sie zu einem kleinen Buffet ein.

Inhaltsverzeichnis

Die vielfältige Romania. Dialekt - Sprache - Überdachungssprache
Gedenkschrift für Prof. Dr. Heinrich Schmid (1921-1999)

Vorwort
Heinrich Schmid (VERONICA SCHMID-BRUPPACHER)
Schriftenverzeichnis von Heinrich Schmid
Dachsprachen
BERRUTO, GAETANO: Dialetti, tetti, coperture. Alcune annotazioni in margine a una metafora sociolinguistica.
WÜEST, JAKOB: Sprachnormierung und Sprachausbau
Rumantsch Grischun und Bündnerromanisch
DAZZI GROSS, ANNA-ALICE; GROSS MANFRED: Erfahrungen mit der gesamtbündnerromanischen Schriftsprache Rumantsch Grischun
HILTY, GEROLD: Lat. ADUNATUS
ILIESCU, MARIA: Die "logisch-semantische" Präposition mit im Surselvischen und im Rumänischen
KATTENBUSCH, DIETER: Abtönung im (Unter-)Engadinischen
LIVER, RICARDA: Extravagante Neologismen im Bündnerromanischen
Ladin Dolomitan und Dolomitenladinisch
BERNARDI, RUT: Ladin Dolomitan als Sprache der Literatur. Kann man auf Ladin Dolomitan Literatur schreiben?
CHIOCCHETTI, FABIO: Tendenze evolutive nella morfologia nominale ladino-fassana: il plurale maschile in –es.
GOEBL, HANS: Der ¾ am Ziel. Ein Rückblick auf die zweite Halbzeit
VERRA, ROLAND: Das Ladin Dolomitan: Probleme und Perspektiven
VIDESOTT, PAUL: Die Adaptierung des Lehnwortschatzes im Ladin Dolomitan

Toponomastik
KUHN, JULIA: Reflexe des Ortsnamen -s in Toponymen der Gemeinden Walenstadt und Quarten / St. Gallen / Schweiz
PLANGG, GUNTRAM A.: Romanische Namen um Marul und Raggal (Großwalsertal, Vorarlberg)
Varia
LOPORCARO, MICHELE: L’etimo del possessivo sardo logudorese issOro, campidanese insOru ‘loro’
LURATI, OTTAVIO: Cinque "schede" in s- sulla prelatinità e l’onomatopea
POPOVICI, VICTORIA: Die italienischen Partikelverben als sprachimmanentes Phänomen: zur Diachronie der Verbfügungen mit fuori
ROVERE, GIOVANNI: Sociolinguistica dei pronomi soggetto di terza persona in italiano
SPIESS, FEDERICO: Pleonasmus und Expressivität bei Ortsadverbien in den Dialekten der italienischen Schweiz
ZÖRNER, LOTTE: Das Frankoprovenzalische des Orco-Tals, ein "français retardé"?



Heinrich Schmid (1921-1999)

Heinrich Schmid wurde am 6. April 1921 in Zürich geboren. Hier verlebte er eine glückliche Jugendzeit in dem Haus, das er bis zu seiner letzten Stunde bewohnte und das ihm während des ganzen Lebens Ruhe und Geborgenheit gab. Trotz einer angeborenen Schwerhörigkeit konnte er die Schulen ohne Schwierigkeiten durchlaufen. Im Gymnasium erwachte seine grosse Liebe zu den Sprachen. Neben den im Unterricht gebotenen (Latein, Französisch, Griechisch, Italienisch) lernte er damals autodidaktisch (und etwas chaotisch, wie er selber sagte) Spanisch und die einzelnen rätoromanischen Idiome.
Trotz fachärztlicher schwerer Bedenken wegen des defizitären Gehörs liess sich Heinrich Schmid nicht davon abbringen, nach der Maturität an der Universität Zürich Romanistik zu studieren. Die sprachhistorische und sprachgeographische Ausrichtung der Zürcher Schule (Jakob Jud und Arnald Steiger waren seine Lehrer) kam seinen Neigungen in hohem Masse entgegen. Im Jahre 1946 schloss er das Studium summa cum laude ab in den Fächern "Vergleichende Geschichte der romanischen Sprachen" - "Italienische Sprache (mit dem Schwerpunkt Dialektologie)" und - typischerweise bereits über den als zu eng empfundenen Rahmen der Romania hinausweisend - "Slawistik" (bei E. Dickenmann).
Nach Abschluss des Studiums und nach einem längeren Aufenthalt 1947 in Florenz kam eine Reihe magerer Jahre; der Brotberuf des Gymnasiallehrers fiel wegen des schlechten Gehörs ausser Betracht (die Qualität der technischen Hörhilfen war meilenweit vom heutigen Standard entfernt); auch eine akademische Laufbahn erschien problematisch. So wurde Heinrich Schmid Mitarbeiter am Rätischen Namenbuch und dann, während fast 15 Jahren, Teilzeitredaktor am Dicziunari Rumantsch Grischun (dem er sich später wieder zur Verfügung stellte, während vierzig Jahren als Mitglied der Philologischen Kommission und von 1969 bis 1984 als deren Präsident).
Es ist bezeichnend für Heinrich Schmid, dass er in diesen Jahren der linguistischen Detailarbeit, der Beschränkung auf den kleinen Raum, die grossen Perspektiven nicht aus den Augen verlor. Er lernte vertieft Rumänisch, nachdem er sich schon früher mit Sanskrit (bei M. Leumann) und Keltisch (bei J. Pokorny) befasst hatte. So entstand in dieser Zeit z.B. die Studie "Über Randgebiete und Sprachgrenzen" (Vox Rom. 15), die der Verfasser noch in späten Jahren als seine "vermutlich beste Arbeit" bezeichnete.
Im Jahre 1962 erhielt Heinrich Schmid aufgrund seiner - leider unveröffentlichten - Habilitationsschrift "Europäische Sprachräume" die venia legendi für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität Zürich. Im Jahre darauf erfolgte die Wahl zum Assistenzprofessor und drei Jahre später die Beförderung zum Extraordinarius. Auch in seiner universitären Tätigkeit bleib Heinrich Schmid seiner doppelten Ausrichtung treu: einzelsprachliche Lehrveranstaltungen (Altfranzösisch, Altprovenzalisch, italienische Dialekte, Sardisch, Rätoromansich, Rumänisch) wechselten ab mit sprachübergreifenden, grenzübergreifenden gesamtromanischen und auch balkanlinguistischen Vorlesungen.
Eigentlich hatte Heinrich Schmid im Sinne gehabt, nach dem 1983 erfolgten Rücktritt vom akademischen Lehramt sein Leben etwas ruhiger zu gestalten. Es lockten alte, nie verwirklichte Pläne; die Arbeit in der Stille lag ihm mehr als öffentliches Auftreten. An Kongressen, Symposien war er ohnehin kaum je zu sehen.
Eine Anfrage von aussen, von der Lia Rumantscha in Chur, führte den scheidenden Universitätslehrer jedoch in eine ganz neue Verantwortung hinein: Es ging darum, die Grundlagen für eine gemeinsame bündnerromanische Schriftsprache zu schaffen und damit der geliebten zerstückelten Kleinsprache das Überleben zu erleichtern. Nach anfänglichem Zögern stellte er sich dieser faszinierenden Herausforderung, wie er es selbst einmal genannt hat, und legte im April 1982, nach sechswöchiger intensivster Tag- und Nachtarbeit seine Richtlinien vor. Der Entwurf, der auch aufgrund von zahlreichen Gesprächen mit Vertretern aller Idiome entstanden war, fand breite, wenn auch nicht ungeteilte Zustimmung in Graubünden und führte wirklich schon bald zu grösserer Präsenz des Rätoromanischen in der Öffentlichkeit. Der Verfasser stellte sich auch selbst in zahlreichen Orientierungsversammlungen den Befürwortern und Kritikern in den fünf Idiomregionen; er wurde im weiteren eingeladen zu Referaten bei Behördevertretern, in Gruppen und Vereinen, u.a. in Genf, Bern, Basel, Solothurn, Zürich - plötzlich schien sich die ganze Schweiz für das Schicksal der vierten Landessprache zu interessieren. Als im Herbst 1988 Vertreter der Dolomitenladiner ihrerseits mit der Bitte an Heinrich Schmid herantraten, auch für ihre in fünf bis acht Schriftvarianten zersplitterte Sprachgemeinschaft eine vergleichbare Lösung zu suchen, lockte ihn diese neue Aufgabe, etwas zur Stärkung einer weiteren bedrohten Kleinsprache beitragen zu können. Die Ausarbeitung des Ladin Dolomitan stellte dann allerdings seine mit grosser persönlicher Bescheidenheit gepaarten kommunikativen Fähigkeiten auf eine harte Probe und die dort auftretenden Probleme linguistischer, sprachpolitischer und kultureller Art bescherten dem uneigennützigen Vermittler manch schlaflose Nacht. Ungemein schön und bereichernd waren anderseits unsere zahlreichen Aufenthalte in den ladinischen Tälern und die wertvollen und interessanten Begegnungen mit native speakers der verschiedenen Idiome. Im Sommer 1998 freute sich Heinrich Schmid an der längst erwarteten Publikation der "Wegleitung für den Aufbau einer gemeinsamen Schriftsprache der Dolomitenladiner"; er war froh und erleichtert, die weitere Ausarbeitung nun endgültig jüngeren Kräften übergeben zu können.
Das Erscheinen der italienischen Übersetzung der Wegleitung hat Heinrich Schmid nicht mehr erlebt. Er erlag am 23. Februar 1999 völlig unerwartet einem schweren Herzinfarkt.
So ist der Verstorebene in seinem siebten und achten Lebensjahrzehnt viel mehr an die Öffentlichkeit getreten als in seinem ganzen Leben zuvor, viel mehr als er selbst es je geahnt hätte. Und der Ausgleich zu diesen zum Teil aufreibenden Verpflichtungen? Heinrich Schmid war bis am Ende seines Lebens ein leidenschaftlicher Reisender, in einsame Täler wie auch in grosse Städte, am liebsten als stiller Beobachter. In den Mussestunden zu Hause, da lebte er immer wieder mit den Klängen von Bach, Mozart und Schubert.

Veronica Schmid-Bruppacher