Presseinformation der Universität InnsbruckLogo Universität Innsbruck

Medieninformation

Corona: Stellungnahme zur Verfassungskonformität einer verpflichtenden Tracking-App

Im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus ist auch der Einsatz sogenannter „Tracking Apps" in Österreich in Diskussion, dabei wird auch eine mögliche verpflichtende Verwendung in Erwägung gezogen. Die VerfassungsexpertInnen Univ.-Prof. Anna Gamper und Univ.-Prof. Peter Bußjäger vom Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre haben dazu eine Stellungnahme verfasst, die wir Ihnen hiermit weiterleiten möchten. Frau Gamper und Herr Bußjäger stehen für Rückfragen gerne zur Verfügung.


Stellungnahme zur Verfassungskonformität einer verpflichtenden Tracking-App
von Peter Bußjäger und Anna Gamper (Institut für Recht, Staats- und Verwaltungslehre der Universität Innsbruck):

Medienberichten zufolge ist an die Einführung einer „professionellen Tracking-App für Österreich“ sowie von „Schlüsselanhängern mit derselben Funktionalität für Österreicher ohne Smartphones“ gedacht, wobei „die App des Roten Kreuzes (…) eine gute Basis (ist)“ (Interview von Bundeskanzler Sebastian Kurz in diversen Regionalzeitungen am 5. April 2020). Dies ist für uns Anlass, die Verfassungsrechtslage klarzustellen:

Verpflichtende Tracking-App?

Unsere Bedenken beziehen sich ausschließlich auf eine verpflichtende Tracking-App (im Folgenden wird darunter sowohl die Verwendung der App über ein Smartphone als auch über einen elektronischen Schlüsselanhänger verstanden). Eine auf vollständiger Freiwilligkeit aller Betroffenen beruhende Weitergabe von Informationen stellt aus unserer Sicht zumindest kein verfassungsrechtliches Problem dar.

 

Eine verpflichtende Tracking-App berührt zahlreiche Grundrechte, darunter das Recht auf Datenschutz (Art. 1 DSG), das Recht auf Privatleben (Art. 8 EMRK), gegebenenfalls auch die persönliche Freiheit (BVG persönliche Freiheit, Art. 5 EMRK) , die Freizügigkeit (Art. 4 StGG), das Recht auf Bewegungsfreiheit im Staatsgebiet (Art. 4 2. ZP EMRK), den Gleichheitssatz (Art. 2 StGG, Art. 7 B-VG) und das Eigentumsgrundrecht (Art. 5 StGG, Art. 1 1. ZP EMRK):

Ausgestaltung der App?

Kernstück der App ist laut https://www.roteskreuz.at/site/faq-app-stopp-corona/ „ein Kontakt-Tagebuch, indem persönliche Begegnungen mittels ‚digitalem Handshake‘ anonymisiert gespeichert werden. Treten bei einer Person dann Symptome einer Corona-Erkrankung auf, wird man als Kontakt automatisch benachrichtigt und gebeten, sich selbst zu isolieren.


Stellt ein Arzt eine Corona-Infektion fest, kann der User einfach eine Meldung über die App abgeben, um seine Kontakte der letzten Begegnungen anonymisiert zu benachrichtigen. Die informierten Kontakte erhalten die Benachrichtigung, dass es einen bestätigten Corona-Fall bei einer ihrer Begegnungen gibt. Anschließend werden User aufgefordert, zu Hause zu bleiben und beim Einsetzen von Symptomen die Hausärztin oder den Hausarzt telefonisch zu kontaktieren. Wenn das nicht möglich ist, soll die Nummer 1450 angerufen werden.“


Die Formulierung wirft bereits die Frage auf, ob der User im Falle einer Infektion tatsächlich eine Meldung abgeben „kann“ oder „muss“. Die Frage ist auch, ob die Person, die die Meldung von der Infektion einer Person, die ihr zuvor begegnet ist, erhält, sich dann verpflichtend in Quarantäne zu begeben hat. Falls ja, muss sich diese Person dann offenbar identifizieren und ihre Anonymität insofern aufgeben.

 

Abgesehen davon, dass bei Personen mit geringen sozialen Kontakten eine Rückführbarkeit für die informierten Außenstehenden ohnehin relativ leicht möglich sein wird: Selbst wenn man die App verwendet, wird damit zunächst ja keine Infektion verhindert, sondern lediglich eine Benachrichtigung veranlasst, dass jemand infiziert sei. Ob die per "Handshake" aufgefundene Person, der eine infizierte Person begegnet ist, sich selbst tatsächlich infiziert hat, ist damit noch nicht gesagt. Eine übervorsichtige oder auch missbräuchliche Aktivierung des "Handshake" könnte vielmehr dazu führen, dass Personen informiert werden und sich in Quarantäne begeben müssen, die nicht nur nicht infiziert sind, sondern die sich, objektiv gesehen, nicht einmal infizieren konnten (zB auf Grund ausreichenden Abstands). Welche Auswirkungen eine großflächige Quarantänisierung in Wahrheit nicht gefährdeter oder gefährdender Personen in Bezug auf deren Beteiligung am Wirtschaftsleben, ihre physische und psychische Gesundheit, aber auch ihre durch eine Quarantäne wiederum betroffenen Grundrechte hätte, ist nicht absehbar. Ähnliches gilt für die laut Medienberichten geplante automatisierte Erkennung ohne Notwendigkeit der „Handshake-Aktivierung“: Werden in diesem Fall sämtliche Daten irgendwelcher Passanten gespeichert, die an jemandem zB mit ausreichendem Abstand vorbeigegangen oder nur kurz bei der infizierten Person verweilt sind?

Unzulässige Einschränkung von Grundrechten

Wenn ein infizierter App-User bekanntgeben muss, dass er sich infiziert hat, stellt dies sowohl einen Eingriff in den Datenschutz als auch das Recht auf Privatleben dar, weil er sich dann identifizieren muss und die Anonymisierung seiner Daten – wo, wann, wie er sich bewegt hat – nicht mehr gewährleistet ist. Wenn in weiterer Folge Personen ausgeforscht werden, die sich dann in Quarantäne begeben müssen, werden beide Grundrechte ebenfalls berührt. Die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahmen ist trotz des zweifellos wichtigen öffentlichen Interesses am Gesundheitsschutz zu bezweifeln: Wenn die Warnung etwa an Personen übermittelt wird, die, wie oben erwähnt, mit weitem Abstand an der infizierten Person vorbeigingen oder -saßen und daher weder infiziert wurden noch sich auch nur infizieren konnten, ist das Instrument unter Umständen nicht einmal geeignet – anders als die Maskenpflicht, die unmittelbar dazu führt, dass Infizierte ihre Viren im Regelfall nicht übertragen können, was den Grundrechtseingriff, der durch die Verpflichtung zum Tragen einer Maske entsteht, eher vertretbar erscheinen lässt. Außerdem gibt es gelindere Maßnahmen, die den Gesundheitsschutz ebenfalls verwirklichen können, darunter zB die Verpflichtung zum Abstandhalten.  

 

Sollte die Verpflichtung daran gekoppelt sein, dass Personen, die die App nicht verwenden wollen oder können, in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden, wäre dies ein massiver Eingriff in die persönliche Freiheit. Art. 2 Abs 1 Z 5 PersFrBVG gestattet dies – im vorliegenden Zusammenhang – nur, wenn Grund zur Annahme besteht, dass eine Person eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten sei.

 

Dies kann von jenen Personen, die sich bloß weigern, die App zu verwenden, oder die kein Smartphone besitzen (sofern kein elektronischer Schlüsselanhänger zur Verfügung gestellt wird), aber nicht grundsätzlich angenommen werden, jedenfalls nicht anders als von allen anderen Personen, die infiziert sein können oder nicht, dann aber – weil App-User – offensichtlich Beschränkungen der persönlichen Freiheit nicht (mehr) unterliegen sollen (was zugleich ein Gleichheitsproblem aufwirft). Nach den derzeitigen Zahlen betrifft die Infektion (einschließlich einer mutmaßlichen Dunkelziffer) ja nur einen sehr geringen Bevölkerungsanteil: Dass es sich dabei just um jene Personen handelt, die die App nicht verwenden können oder wollen, ist nicht anzunehmen. Darüber hinaus wäre die Maßnahme aus den oben angeführten Gründen unverhältnismäßig, was nach Art. 1 leg cit zusätzlich beachtet werden muss.

 

Diese Unverhältnismäßigkeit wäre auch im Hinblick auf die von Art. 4 StGG und Art. 2 4. ZPEMRK gewährleistete Freizügigkeit gegeben, sodass auch ein verfassungswidriger Eingriff in diese Freiheitsrechte vorliegen würde.

 

Sollten – im Fall, dass kein elektronischer Schlüsselanhänger zur Verfügung gestellt wird – nur Personen mit dieser "Sanktion" bedroht werden, die kein Smartphone besitzen, wäre damit auch noch eine Gleichheitswidrigkeit verbunden, da es keinen sachlichen Grund dafür gibt, zwischen Personengruppen im Hinblick auf die persönliche Freiheit danach zu differenzieren, ob sie ein Smartphone besitzen oder nicht. Eine sachliche Rechtfertigung kann auch nicht darin erblickt werden, dass die App mittelbar dazu führen könnte, die Zahl der Neuinfektionen zu begrenzen. Weder führt die verpflichtende Verwendung der App zwingend dazu, dass sich Infizierte auch tatsächlich melden, noch ist aus der App ableitbar, dass Personen, die Infizierten begegnet sind und daher gewarnt werden, infiziert wurden oder sich auch nur infizieren konnten. Damit ist nicht nur die Sachlichkeit einer solchen Verpflichtung an sich bezweifelbar (Art. 2 StGG, Art. 7 B-VG), sondern auch die Sachlichkeit der App-spezifischen Differenzierung nach Personengruppen in Bezug auf deren persönliche Freiheit.

 

Wie der VfGH zudem im Erk G72/2019 ua (G72-74/2019-48, G181-182/2019-18) vom 11.12.2019 (zur Unzulässigkeit diverser digitaler Überwachungsmaßnahmen) ausgeführt hat, kann durch eine „automatische Datenerfassung […] in großen Teilen der Bevölkerung das ‚Gefühl der Überwachung‘ entstehen. Dieses ‚Gefühl der Überwachung‘ kann wiederum Rückwirkungen auf die freie Ausübung anderer Grundrechte – etwa der Versammlungs- oder Meinungsäußerungsfreiheit – haben“.

 

Nicht zuletzt könnte auch die Eigentumsfreiheit im Hinblick auf die verpflichtende Nutzung von Handys oder elektronischen Schlüsselanhängern sowie auch allenfalls verhängte Geldstrafen betroffen sein.

Zeitliche Befristung als Legitimation des Eingriffs?

Die bloße zeitliche Befristung dieser Maßnahme genügt nicht, um sämtliche Grundrechtsverletzungen hintanzuhalten. Abgesehen davon, dass ein fixes Datum, wann eine derartige Verpflichtung außer Kraft treten würde, derzeit noch nicht bekannt ist, ist auch zu berücksichtigen, dass es sich um kumulierte Grundrechtseingriffe handelt, die zu den bisherigen, die bereits mehrere Wochen andauern, noch hinzutreten würden. Manchen der erwähnten Grundrechtseingriffe ist zudem ein derartiger Spielraum gar nicht gegeben (vgl etwa den mangelnden Eingriffsgrund nach dem PersFrBVG). Zudem wird etwa die oben behandelte Frage der Eignung dieser Maßnahme nicht davon berührt, ob der Geltungszeitraum kürzer oder länger ist. Bei der Suche nach einem gelinderen Mittel müssen jedenfalls auch andere Alternativen geprüft werden als nur der Geltungszeitraum der Verpflichtung zur Verwendung der App.

 

Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger
Univ.-Prof. Dr. Anna Gamper