Ignorieren oder wahrnehmen: Muslime und Christen im alltäglichen Zusammenleben

Die Frage, wie sich das Zusammenleben von Christen und Muslimen in verschiedenen Lebensbereichen gestaltet, ist eine der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft. Im jüngst erschienen Buch „Heilig-Tabu. Christen und Muslime wagen Begegnungen“ haben sich muslimische und christliche ForscherInnen erstmals gemeinsam mit den Chancen und Grenzen des Zusammenlebens in verschiedenen Lebensbereichen auseinander gesetzt.

 

Seit Jahren sind die Mitglieder des Forschungsprogramms „Kommunikative Theologie“ der Universität Innsbruck im interreligiösen Dialog tätig. „Um den konkreten Erfahrungen auf die Spur zu kommen, war es notwendig, das wissenschaftliche Haus zu verlassen und sich mitten unter die Menschen zu begeben“, so Dr. Martina Kraml, eine der Herausgeberinnen des Buchs „Heilig-Tabu“. Dies spiegelt sich auch im Buch wider, in dem AutorInnen beider Kulturen und Religionen konkrete Erfahrungen des Zusammenlebens in Kindergarten, Schule, Seelsorge und politischer Gemeinde zur Sprache bringen.

Dialog auf Augenhöhe

Die Beteiligung und die Präsenz von muslimischen Frauen und Männern im öffentlichen Leben, in Gesundheitsberufen, Kindergärten, Schulen oder lokaler Politik, ist aus der Sicht der ForscherInnen ein wichtiger Schlüssel für ein gleichberechtigtes Miteinander. „Wir begegnen hier großen Ungleichheiten, Ausblendungen und Verdrängungen, die den Dialog auf Augenhöhe erschweren: Muslimische Kinder erleben beispielsweise im Kindergarten kaum muslimische PädagogInnen, die ihre eigene Kultur und Religion verkörpern. Auch Eltern wird es erschwert, Vertrauen zu fassen, wenn die eigene Religion kaum vertreten ist“, erläutert Kraml.

Jugendliche sind im Schulalltag tagtäglich mit verschiedenen Religionen und Kulturen konfrontiert. Die Schule sei daher ein zentraler Lernort für das Zusammenleben der Religionen, so die Theologin.  Anstatt kulturelle Unterschiede zu verwischen und Religion ins Private abzudrängen, gelte es, Kinder und Jugendliche zu einem positiven Umgang mit der Vielfalt an Kulturen und Religionen zu befähigen. „Nur dann, wenn die eigene Identität auf beiden Seiten gelebt werden kann, ist letztlich ein gedeihliches Miteinander möglich. Dies setzt voraus, dass SchülerInnen lernen, mit Verschiedenheiten umzugehen und auftretende Konflikte auszutragen“, beschreibt Martina Kraml.

Bessere Rahmenbedingungen für eine stärkere Beteiligung der islamischen ReligionslehrerInnen am Schulleben wünscht sich Mag. Margret Fessler, Pädagogische Leiterin des Bundesrealgymnasiums in der Au in Innsbruck. „Der große Mangel an muslimischen ReligionslehrerInnen, die mitunter an 11 Schulen gleichzeitig unterrichten müssen, verhindert derzeit, dass sie sich stärker ins Schulgeschehen einbringen können“, bedauert die Schulleiterin.

Geringe Religionstoleranz

Auf die geringe Religionstoleranz der Gesellschaft, vor allem im Bezug auf den Islam, weist Univ.-Prof. Dr. Matthias Scharer,  Leiter des Instituts für Praktische Theologie an der Universität Innsbruck und derzeit Gastprofessor  im Rahmen des Masterstudiums Islamische Religionspädagogik an der Universität Wien, hin. „Schon das Tragen eines Kopftuchs oder gar einer Burka durch muslimische Frauen, der Bau eines kleinen Minaretts bei einer Moschee oder eine Totenwaschung kann die Gemüter erhitzen und die Medien aktivieren“, erklärt Scharer. Als Gastprofessor im Rahmen des Masterstudiums islamischer ReligionspädagogInnen an der Universität Wien werde er mit vielen Beispielen konfrontiert, wie bestens integrierte ReligionspädagogInnen und Imame, die tagtäglich einen wichtigen Dienst in der Vermittlung zwischen Religion, Kultur und säkularer Öffentlichkeit leisten, vom österreichischen Staat beschämend behandelt werden. Auch Scharer sieht einen dringenden Handlungsbedarf hinsichtlich der Ausbildungsmöglichkeiten für Muslime. „Eine dringend notwendige akademische Ausbildung von islamischen TheologInnen und ReligionspädagogInnen im Westen Österreichs, für die die Innsbrucker Universitätsleitung offen wäre, wird vom Wissenschaftsministerium noch immer verweigert“, so der Theologe.

Muslimisch-christliche Begegnungen wagen

Für Dipl.-Päd. Tilmann Schaible, Fachinspektor für islamischen Religionsunterricht,  gehört die Erziehung der Jugendlichen zur Aufgeschlossenheit gegenüber dem religiösen und weltanschaulichen Denken anderer zu den Grundprinzipien der österreichischen Schule. „Da die Wertevermittlung jedoch zum guten Teil im konfessionellen Religionsunterricht stattfindet, liegt es nahe, ausgehend von der eigenen Religion interreligiöse Begegnungen anzubahnen. Diese zu wagen und nachhaltig zu begleiten, bedarf es zwar einiger Sensibilität seitens der Multiplikatoren. Fast immer ergibt sich daraus allerdings ein vielfältiger Gewinn für alle Beteiligten“, so Schaible.

Zahlen und Fakten

In Tirol leben derzeit ca. 27.117 Muslime, das sind rund 4 % der Bevölkerung und 561.680 (83,4%) Katholiken. Seit 1912 ist der Islam in Österreich eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft und hat, so wie die christlichen Kirchen, das Recht,  schulischen Religionsunterricht zu erteilen. Obwohl rund 50% der Muslime in Österreich österreichische Staatsbürger sind, wird der Islam noch immer als Religion der Ausländer wahrgenommen.

 


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v.l.: Martina Kraml, Matthias Scharer, Maria Juen, Margret Fessler und Tilmann Schaible

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Universität Innsbruck

 

 

Rückfragehinweis:

Mag. Maria Juen
Institut für Praktische Theologie
Universität Innsbruck
Tel.: 0512/507- 8664
Maria.Juen@uibk.ac.at

Mag. Susanne Röck
Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice
Universität Innsbruck
Tel.: 0512/32021
Susanne.e.roeck@uibk.ac.at