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Zeit für Wissenschaft 043: Zeit

Melanie Bartos [00:00:00] Eine neue Ausgabe von Zeit für Wissenschaft, dem Podcast der Universität Innsbruck, ich bin Melanie Bartos und ich freue mich, endlich wieder Gelegenheit zu haben, eine neue Episode aufzuzeichnen und wir haben ein tolles Thema, das passender fast nicht sein könnte für dieses Format. Zunächst einmal freue ich mich aber Herrn Professor Peter Kügler bei mir begrüßen zu dürfen. Herr Kügler, herzlich willkommen bei Zeit für Wissenschaft.

Peter Kügler [00:00:24] Danke für die Einladung.

Melanie Bartos [00:00:25] Sehr gerne. Sie sind hier an der Universität Innsbruck Leiter des Instituts für Philosophie, dort als Professor tätig und aufmerksam geworden bin ich Ende letzten Jahres bzw. Anfang diesen Jahres, weil Sie ein Buch herausgebracht haben, das den Titel trägt "Zeit und zeitliche Existenz". Ich glaube jetzt wird klar, warum das Format Zeit für Wissenschaft passt. Wir haben schon ein kleines Vorgespräch geführt. Natürlich ist dieses Thema insgesamt sehr groß. Wir werden schauen, wo es uns heute hinführt in der Thematik, aber auch ein sehr spannendes, wie man sehen kann, wenn man einen Blick auch in die Aufteilung ihres Buches wirft, wo sie ja von historischen Auffassungen zu Zeit und Aspektenn, die mit Zeit und dem Verständnis davon zu tun haben, bis hin zur Relativitätstheorie und modernen Interpretationen davon so einen Bogen spannen und einen Überblick bieten. Jetzt wäre meine Frage so zum Einstieg vielleicht: Warum haben Sie dieses Buch verfasst und was ist Zeit in Ihrer Arbeit für eine Komponente? Wie kann man sich das vorstellen, wenn man mit Zeit arbeitet so wie Sie.

Peter Kügler [00:01:38] Man versucht neben dem universitären Betrieb Zeit zu finden das Buch überhaupt zu schreiben. Erst einmal möchte ich mich bedanken, dass Sie das Buch gelesen haben, denn es ist typisch für solche philosophische Werke, dass sie nicht viel gelesen werden. Ich mache mir da keine großen Illusionen. Aber es genügt unter Umständen auch vielleicht Auszüge zu lesen oder einzelne Kapitel. Das Buch heißt "Zeit und zeitliche Existenz" und geschrieben habe ich es, weil ich begonnen habe, mich für Zeit aus philosophischer Sicht zu interessieren. Und weil ich festgestellt habe, dass die Dinge, die mich daran interessieren, in der Regel sehr spezialisiert abgehandelt werden, in Zeitschrifte, in Journals oft auf eine so spezialisierte Art und Weise, dass die einen Spezialisten gar nicht mehr verstehen, was die anderen Spezialistinnen zu sagen haben und was natürlich gerade bei diesem Thema, Zeit, sehr unangenehm ist, weil Zeit ein so vielfältiges Thema ist, dem man sich ja von allen Seiten eigentlich nähern könnte. Es gibt ja keinen Bereich der Kultur, der Wissenschaft, der nicht in irgendeiner Form etwas mit Zeit zu tun hat. Und deswegen wollte ich eben ein Buch schreiben, wo man mehrere Perspektiven auf die Zeit irgendwie entfalten kann.

Melanie Bartos [00:03:10] Jetzt könnte man so aus einer Außenperspektive, wenn man so neu hinkommt zu dem Aspekt, dass man sich in philosophischer Weise überhaupt mit Zeit auseinandersetzt, könnte man meinen, was für Fragen stellt man sich da überhaupt. Worum geht es da? Die Zeit ist ja sowas, wo jeder denkt... Jeder weiß was davon.

Peter Kügler [00:03:37] Ja, jeder weiß was davon. Das ist ganz typisch für ein philosophisches Thema, dass Philosophinnen und Philosophien sich ja oft mit Dingen beschäftigen, die ja jeder kennt oder zu kennen glaubt oder irgendein Vorverständnis davon hat. Realität, Wahrheit, das Gute, moralisch Gutes, Schönheit und so weiter. Und das ist ja gerade das Interessante an der Philosophie, dass man es eben schafft, diesen Spagat zu machen zwischen dem Alltagsverständnis andererseits aber auch einem spezialisierten Verständnis, das oft mit verschiedenen Wissenschaften zu tun hat und wie Sie schon richtig gesagt haben, gerade in der Zeit natürlich kommt man nicht an der modernen Physik herum, die natürlich Theorien aufgestellt hat, die relevant sind für unser Verständnis von Zeit. Was die Philosophie im Speziellen angeht, ist Zeit natürlich eines der ältesten philosophischen Themen überhaupt. Und die grundlegende Frage war immer, was Zeit überhaupt ist. Etwas, was man unmittelbar kennt aus eigener Erfahrung in Worte zu kleiden, also zu sagen, was Zeit ist. Eine Definition von Zeit zu geben, das hat die Philosophie eigentlich immer schon beschäftigt. Und da gibt es ein ganz berühmtes Zitat, das sicherlich viele kennen, das sie immer wieder in dem Zusammenhang zitiert wird. Augustinus der Philosoph und Kirchenlehrer, hat geschrieben in seinen Bekenntnissen. "Wenn mich niemand fragt, was Zeit ist, dann weiß ich es. Wenn mich jemand fragt, dann kann ich es nicht sagen." Und das bringt, glaube ich, diesen Spagat ganz gut zum Ausdruck. Wir haben alle ein unmittelbares Verständnis davon, was Zeit ist in unserer eigenen Erfahrung. Aber wenn wir es sagen sollen, ist es unglaublich schwierig, hat Augustinus behauptet. Andererseits hat jetzt einige hundert Jahre vor Augustinus schon Aristoteles eine ziemlich gute Definition von Zeit gegeben, mit der fängt ja auch mein Buch an. Sie erinnern sich vielleicht. Er hat in seiner Physik-Vorlesung gesagt: Zeit ist das Ausmaß der Veränderung hinsichtlich des Früher und Später. Das heißt: Etwas muss sich tun, etwas muss sich verändern, dann vergeht auch Zeit. Würde sich nichts verändern, dann stünde die Zeit still. Ich glaube, das ists auch etwas, was jeder ganz gut nachvollziehen kann. Das kennen wir aus den Märchen, Schneewittchen liegt hundert Jahre im Sarg sagen. Die Zeit bleibt stehen. Es ist an Veränderung gebunden und daran, dass Ereignisse geschehen und so weiter. Es ist aber das Ausmaß. Man kann es irgendwie messen. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Zeit ist messbar. Das allein reicht aber nicht. Man muss noch etwas hinzufügen. Es geht um früher und später. Zeit hat eine bestimmte Richtung, manche Ereignisse finden vor anderen Ereignissen statt. Und das Zeit eine Richtung hat, das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Das unterscheidet die Zeit zum Beispiel vom Raum. Der Raum hat keine ausgezeichnete Richtung, die Zeit aber schon.

Melanie Bartos [00:06:40] Aber wenn ich da jetzt die Begrifflichkeiten früher und später habe, dann verwende ich eigentlich zur Definition von Zeit Begriffe, die eigentlich aus der Zeit kommen, die selber schon zeitliche Begriffe sind.

Peter Kügler [00:06:51] Ja, das ist die Tragik des Ganzen. Andererseits ist es auch zu erwarten. Die grundlegenden Begriffe, mit denen wir unsere Welt und uns selbst beschreiben, das sind die Begriffe, mit denen es die Philosophie zu tun hat. Zum Beispiel Wahrheit, das Sein und so weiter. Die können wahrscheinlich nicht definiert werden mit irgendwelchen anderen Begriffen, die nicht schon diesen Aspekt haben. Deswegen ist es sicherlich, ich glaube, dass es aussichtslos ist, die Zeit zu definieren, ohne Begriffe zu verwenden, in denen die Zeit schon irgendwie vorkommt. Wenn man irgendeinen Verb verwendet, um den Begriff Zeit zu definieren, steckt in dem Verb natürlich schon der zeitliche Aspekt drin.

Melanie Bartos [00:07:37] Das heißt Aristoteles hat es gar nicht so schlecht gemacht damals, finden Sie? Warum hat man nicht einfach gesagt, gut, dann nehmen wir das von Aristoteles?

Peter Kügler [00:07:50] Man hat sich schon auch immer wieder darauf bezogen. Na ja, sagen wir mal so, die aristotelische Sicht der Zeit war auch im Grunde genommen lange Zeit gültig oder autoritativ. Das hat sich mit der neuzeitlichen Wissenschaft geändert, insbesondere natürlich mit der Newtonschen Physik, weil Newton der Meinung war, dass die absolute Zeit zerfließt, vergeht, selbst wenn es nichts gäbe, also auch im leeren Raum vergeht diese metaphysische Zeit in einem absoluten Sinn. Man muss sie auch nicht messen können, sondern sie vergeht einfach. Und das ist das Gegenteil von dem, was Aristoteles gesagt hat. Aristoteles war der Meinung, es muss etwas da sein, das muss sich verändern und so weiter und nur dann vergeht Zeit. In der Newtonschen Physik am Ende des 17. Jahrhunderts, verfließt die Zeit in einem absoluten Sinn, sie ist nicht relativ, sie vergeht nicht in Bezug auf bestimmte Dinge und so weiter. Sondern es muss sich nichts verändern, auch im leeren Raum, selbst wenn es nichts gäbe. Da gibt es den Raum selbst und die Zeit vergeht in diesem Raum. Das war die Auffassung von Newton, die natürlich eine metaphysische Theorie der Zeit ist, aber für die damalige Physik, für seine Physik, Newton war ja natürlich einer der großen Heroen der Physikgeschichte und der Einfluss von Newton war da bestimmend dafür, dass zumindest für einen gewissen Zeitraum die aristotelische Konzeption abgelöst wurde. Und die Relativitätstheorie im 20. Jahrhundert von Einstein ist in gewisser Weise wieder eine Rückkehr zu Aristoteles. Denn bei Einstein ist es dann so, Zeit ist wirklich das, was Uhren messen. Es muss etwas geben, von dem wir sagen, es misst die Zeit. Zeit vergeht an diesem Ding und dann die Entdeckung, dass die Uhren verschieden schnell gehen, je nachdem in welchem Bezugssystem sie sich befinden. Das führt dann zur Relativität der Zeit.

Melanie Bartos [00:10:00] Aber das heißt, das ist dann schon, auch wenn es auf der Hand liegt, aber trotzdem: Das habe ich auch gemerkt, als ich das Buch gelesen habe. An und für sich ist es schon eine sehr, sehr komplexe Thematik ab einem gewissen Punkt. Bei Aristoteles kann man wirklich nur sehr gut, auch aus heutiger Sicht für mich, wenn ich jetzt die Definition von Aristoteles lese, dann denke ich mir: ja, ist plausibel. Es ist dann irgendwann wahnsinnig, teilweise kommt mir vor auch in den Theorien dann, wenn Sie sagen Richtung Relativitätstheorie oder dann vielleicht auch noch die Quantentheorie - vielleicht können wir das dann auch noch versuchen zu umreißen. Aber es wird ja dann teilweise so komplex, dass ich mich frage, ob das mit dem menschlichen Verstand oder den Möglichkeiten, die wir da haben, überhaupt noch fassbar ist oder ob da irgendwo der Punkt erreicht ist, wo es wirklich schwierig wird. Auch schon bei Newton: diese Sache mit es vergeht sowieso in einem Raum. Was ist das für Raum? Wo ist der? Wissen Sie, was ich meine? Daher ist es auch so interessant.

Peter Kügler [00:11:14] Ich glaube, dass Sie da eigentlich zwei Dinge ansprechen: Das eine ist, dass jemand eine metaphysische Konzeption von Zeit hat so wie Newton. Das ist etwas, was man anschaulich schwer nachvollziehen kann, was man auch nicht operational so leicht nachvollziehen kann. Das heißt Metaphysik würde dann heißen, es übersteigt unsere Anschauung, unsere Vorstellungen. Das andere ist aber, dass eben in physikalischen Theorien, die natürlich in erster Linie mathematisch ausgearbeitet sind, dass die so kompliziert sind, dass sich nur Fachleute auskennen und ich als Philosoph... Also selbst wenn ich Physiker wäre, würde ich mich in einem bestimmten Bereich auskennen, weil es natürlich auch Physikerinnen und Physiker jeweils spezialisiert sind auf ihren Bereich. Aber als Philosoph fällt es mir unglaublich schwer, das tatsächlich nachzuvollziehen, was in physikalischen Theorien heute so abgeht. Mein physikalischer Begleiter, der das Buch auch gelesen hat, was die physikalischen Sachen angeht, Gebhard Grübl vom Institut für Theoretische Physik - Schöne Grüße übrigens, wenn er mich jetzt hört - Der war mit der aristotelischen Definition überhaupt nicht zufrieden. Also das ist viel zu ungenau und so weiter. Als Physiker möchte er eine mathematisch formulierte Theorie haben, in der die Zeit in irgendeiner Form vorkommt. Meistens die Variable t - über die wird einiges ausgesagt und diese mathematische Theorie sagt mir da letztlich, was Zeit ist. Das befriedigt mich als Philosoph jetzt aber nicht, weil ich möchte versuchen, es doch irgendwie in eine nicht-mathematische Sprache zu kleiden. Und das ist die Schwierigkeit, in der man als Philosoph ist, wenn man in einem Gebiet arbeitet, das zwischen Philosophie und damit auch dem Alltagsdenken einerseits und den aktuellsten physikalischen Theorien steht. Da fühlt man sich manchmal - das kann ich Ihnen sagen - unglaublich inkompetent. Ja.

Melanie Bartos [00:13:25] Ich bin froh, dass Sie das sagen nicht und dass nur mir so geht. Das kann ich gut nachvollziehen. Eben darum habe ich vorher diese Frage, ob diese wahnsinnig große Komplexität ist ja einerseits genau das, was es so faszinierend macht. Aber andererseits hat es etwas, wo man sich manchmal denkt okay, jetzt ist der Punkt erreicht, jetzt kann ich nicht mehr, jetzt kann ich das für mich nicht mehr weiterdenken in der Form.

Peter Kügler [00:13:50] Ja, es ist die Aufgabe der Philosophie auch diese Vermittlungen zu machen. Man kann jetzt nicht nur Physiker und Physikerinnen sich darüber unterhalten lassen. Sondern es muss ja auch eine Übersetzung stattfinden. Wobei das natürlich Physiker zum Teil selbst machen. Es gibt ja einige Bestseller auf dem Buchmarkt, ich denk da zum Beispiel an Carlo Rovelli ist so jemand, ein Physiker, der über diese Sache schreibt, die für mich auch sehr lehrreich waren. Aber da ist es dann wieder so: Wenn ich das als Philosoph lese, denke mir, das ist furchtbar ungenau. Es fehlt der Naturwissenschaft dann oft bei der Vermittlung die besondere Art von Genauigkeit, die die Philosophie ausmacht. Also die begriffliche Genauigkeit. Es gibt ja verschiedene Arten von Genauigkeit. Wenn jemand mit Mathematik arbeitet in einer naturwissenschaftlichen Theorie, ist klar, was genau heißt nicht, die Mathematik muss genau sein. In der Philosophie heißt Genauigkeit ganz etwas anderes: wenn man Begriffe verwendet, müssen die klar definiert werden, sollten im Idealfall klar definiert werden. Aber man muss sie hinterfragen. Man muss auf Einwände und Argumente und so weiter eingehen. Man muss verschiedene Begrifflichkeiten vergleichen und so weiter, das ist die spezifisch philosophische Kompetenz und die fehlt in der Regel wieder Physikern, die ein Sachbuch über Zeit schreiben. Die haben das selbe Problem wie wir nur von der anderen Seite.

Melanie Bartos [00:15:14] So ist es für niemanden leicht offensichtlich. In dem naturwissenschaftlichen Bereich: Wenn man sagen müsste, was ist da der Bereich, wo Sie sagen würden - wenn es überhaupt geht - den Blick, den man vielleicht für Menschen, die sich nur nicht so viel damit befasst haben, diese Zeit in der Physik. Wenn man sich vor Augen führt: Was sind da die wesentlich wesentlichen Komponenten, die vielleicht jetzt von diesem klassischen linearen Verständnis von Zeit weggehen? Was wären da so Gedanken, Impulse, die man dann mitnehmen könnte Ihrer Meinung nach?

Peter Kügler [00:15:57] Ich glaube, das wissen viele Leute, dass die Relativitätstheorie insbesondere die spezielle Relativitätstheorie von Albert Einstein gezeigt hat, dass Zeit relativ ist. Sie vergeht in verschiedenen Bezugssystemen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Daraus haben dann viele in der Physik, aber auch in der Philosophie den Schluss gezogen - und da muss man sich jetzt festhalten - dass die Zeit überhaupt nicht vergeht. Es gibt sie, es gibt ja früher und danach, aber sie vergeht nicht. Das nenne ich im Buch die statische Zeitauffassung, die der dynamischen Zeiterfassung entgegengesetzt ist. Die dynamische Zeiterfassung besagt: Es gibt die Zeit und sie vergeht und die statische Zeiterfassung sagt: Es gibt die Zeit, aber sie vergeht nicht.

Melanie Bartos [00:16:47] Und das abgeleitet aus der speziellen Relativitätstheorie.

Peter Kügler [00:16:50] Weil das Vergehen der Zeit relativ ist, es hängt vom jeweiligen Bezugssystem ab. Und da haben viele gesagt: Das kann doch nicht sein. Da streichen wir das Zeitvergehen einfach überhaupt. Da gibt's Argumente dahinter, mit denen ich mich auch in dem Buch beschäftige, auf die wir jetzt hier nicht eingehen müssen, aber das ist so eine Schlussfolgerung, die viele aus der Relativitätstheorie ziehen, dass die Zeit überhaupt nicht vergeht. Die haben jetzt natürlich das Problem. Warum kommt es uns so vor, dass die Zeit vergeht? Die einzige Antwort darauf kann eigentlich nur sein: Das ist dann eine Illusion. Zeit vergeht eigentlich gar nicht. Es kommt uns nur so vor - ist ein faszinierender Gedanke.

Melanie Bartos [00:17:31] Aber jetzt noch einmal zum Verständnis: diese statische Zeitauffassung kommt von der naturwissenschaftlichen Seite?

Peter Kügler [00:17:36] Ist eine philosophische Interpretation der Relativitätstheorie, die aber auch von Physikern und Physikerinnen gemacht wurde. Aber wie jede Interpretation ist sie natürlich nicht die einzig mögliche. Sie widerspricht eben einfach unserer Zeit-Erfahrung. Das heißt: natürlich gibt es jetzt Leute, die sagen: Was kümmert mich die Zeit-Erfahrung? Ist doch egal ob das den Leuten so vorkommt, sie täuschen sich halt. Die Physik sagt mir, die Zeit vergeht eigentlich gar nicht. Nur das ist philosophisch unbefriedigend, weil dann haben wir zwei verschiedene Sachen: die Physik, die angeblich sagt, dass die Zeit nicht vergeht. Und andererseits unsere alltägliche Erfahrung und die passen nicht zusammen. Damit kann ich mich als Philosoph nicht zufriedengeben. Ich muss versuchen Kohärenz herzustellen. Und es gibt eine Möglichkeit diese Kohärenz herzustellen und die besagt, dass Zeit Zwar vergeht, aber sie vergeht nicht global, sondern es ist ein Zeitvergehen an einem bestimmten Ort. Zeitvergehen ist etwas so relatives, dass man nur von Zeitvergehen an einem bestimmten Ort sprechen kann. Und jeder Ort hat sozusagen seine eigene Zeit. Sie haben Ihre Zeit und ich habe meine Zeit dort eine andere und dort eine andere. Und das hat auch einen Namen in der Relativitätstheorie, das ist die Eigenzeit. Die Eigenzeit und die kann vergehen meines Erachtens, die vergeht auch. Das ist das, was ich erlebe.

Melanie Bartos [00:18:59] Aber ist in der Hinsicht bei der Eigenzeit des Relative wirklich so banal gesprochen das, was man oft im alltäglichen Leben auch sagt, dass bei gewissen Dingen - keine Ahnung, eine halbe Stunde feine Massage kriegen vergeht wahrscheinlich schneller als wie wenn ich irgendwo in der Kälte stehen und auf den Bus warte. Oder ist das schon eine andere Ebene?

Peter Kügler [00:19:24] Das ist schon eine andere Ebene. Die Eigenzeit ist natürlich trotzdem in dem Sinn objektiv, dass man mit Hilfe einer Uhr sie genau messen kann. Und wenn Sie eine halbe Stunde bei der Massage sind und es kommt Ihnen sehr kurz vor - die Uhr wird trotzdem eine halbe Stunde anzeigen. Und die Eigenzeit, von der ich spreche, die physikalische Eigenzeit, zeigt die Uhr an und nicht Ihr persönliches Empfinden. Das Zeitempfinden betrifft betrifft dann die psychologische Seite eben, wann unter welchen Umständen kommt mir die Zeit langsam, kurz vor und so weiter. Damit habe ich mich jetzt in dem Buch eigentlich nicht ausführlich beschäftigt. Was mich schon interessiert hat, war die Frage, wie wir die Zeit erleben. Jetzt nicht was jetzt diese subjektive Beschleunigung oder Verzögerung angeht, sondern zum Beispiel: Was ist die Gegenwart? Was ist die erlebte Gegenwart eigentlich? Was heißt es überhaupt, die Gegenwart zu erleben? Wir wissen ja, wenn ich Sie jetzt anschaue, das Licht braucht ganz ganz kurzen Zeitraum, um von Ihnen in mein Auge zu gelangen. Dann muss ich es erst im Gehirn verarbeitet werden. Es dauert eine halbe Sekunden, bis mir das bewusst wird. Da gibt es eine Verzögerung. Was ist denn eigentlich dann die erlebte Gegenwart? Was ist das eigentlich? Und sas betrifft dann die Psychologie, da gibt es dann kognitionpsychologische, wahrnehmungspsychologische Studien, Experimente und so weiter.

Melanie Bartos [00:20:53] Aber diese Eigenzeit noch einmal vielleicht versuchen, das ein bisschen zu beschreiben, wenn es eben nicht der Aspekt ist, den ich jetzt vorher angesprochen habe. Wie kann ich mir das vorstellen?

Peter Kügler [00:21:09] Es ist die Zeit, die an dem Gegenstand vergeht, der sich gerade verändert.

Melanie Bartos [00:21:17] Da sind wir dann schon wieder bei der Veränderung?

Peter Kügler [00:21:19] Genau. Weil eine Uhr ist etwas, das sich periodisch verändert, das ist die Zeitmessung nicht. Tick Tick Tick Tick Tick. Wir haben eine periodische Veränderung. Und die Uhr misst sozusagen ihre eigene Zeit. Sie misst eigentlich ihr eigenes Vergehen. Das finde ich einen sehr interessanten Gedanken. Bei Newton war es so: Da vergeht die Zeit objektiv und da kann ich mit einer Uhr kommen und diese objektive Zeit messen. Und die Eigenzeit heißt aber: Die Uhr misst eigentlich ihr eigenes Vergehen. Ich finde das ja einsehr tiefsinniger Gedanke, dass eigentlich Veränderung in gewisser Weise auf sich selbst bezogen ist. Ja, das ist eigentlich die Eigenzeit und das hängt auch damit zusammen, dass das Buch heißt ja "Zeit und zeitliche Existenz". Ein zweiter Punkt war ja, dass ich wissen wollte, was heißt eigentlich Existenz. Was heißt es überhaupt, dass etwas real ist. Und auch das ist ja natürlich ein uraltes philosophisches Thema.

Melanie Bartos [00:22:27] Da haben Sie ja ein ganz schönes Zitat in der Beschreibung, was gut passt an der Stelle: Was existiert, existiert in der Zeit. Umgekehrt setzt Zeit voraus, dass etwas existiert und sich dabei verändert. Wird sie dann wieder interessant, wenn die eigentlich wechselseitig total voneinander abhängen.

Peter Kügler [00:22:50] Das ist aber etwas, was ich in dem Buch überhaupt erst untersucht habe, ob es wirklich so ist. Das ist ein Fazit, das sich ziehen würde. Der zweite Teil des Zitats, darüber haben wir schon gesprochen. Zeit setzt voraus, dass etwas existiert und sich dabei verändert, würde nichts existieren, würde auch keine Zeit vergehen. Weil sich etwas da muss, was sich verändert. Was weniger klar ist, ob wirklich alles, was existiert, in der Zeit existiert oder ob es auch so etwas wie zeitlose Existenz gibt nicht, etwas außerhalb der Zeit Existierendes. Das wurde jedenfalls immer wieder behauptet in der Philosophiegeschichte, dass es irgendwelche Dinge gibt, die außerhalb der Zeit existiert ja. Bei Platon zum Beispiel: Zahlen, geometrische Gebilde. Man nehme zum Beispiel die Zahl Sieben nicht, die Zahl Sieben - es fällt einem schwer zu sagen, dass die Zahl Sieben gestern existiert hat und morgen existieren wird und jetzt existiert. Man hat den Eindruck man kann nicht sagen, dass die zu einem Zeitpunkt existiert. Man kann auch nicht sagen, dass sie immer existiert hat, man hat das Gefühl, man kann zwar sagen, sie existiert, aber sie existiert nicht in der Zeit. Es ist nicht etwas, wie dieses Glas zum Beispiel, das in der Zeit existiert. Jedenfalls ist das, was viele Philosophen und Philosophinnen so behauptet haben, es gibt so etwas wie zeitlose Existenz. Und viele andere Dinge auch, Naturgesetze zum Beispiel. Das berühmteste Beispiel für etwas, was angeblich außerhalb der Zeit existiert, war natürlich Gott. Das heißt, von Gott wurde häufig angenommen Gott existiert außerhalb der Zeit, hat aber irgendwie Raum und Zeit und das Universum geschaffen. Eine meiner Fragen war, ob man das verständlich machen kann, diesen Begriff der zeitlosen Existenz. Da bin ich zu einem negativen Ergebnis gekommen.

Melanie Bartos [00:24:51] Für die Zuhörerinnen und Zuhörer, die es noch nicht gelesen haben, ist das jetzt sozusagen ein Spoiler. Das sollte man heutzutage gar nicht mehr machen. Aber ich glaube, in dem Fall kann man ruhig das schon vorausschicken. Noch einmal um das zusammenzufassen an der Stelle: Zeit setzt voraus, dass etwas existiert, weil sonst kann sie nicht vergehen. Und dann kann man den, wie Sie es gemacht haben, den Umkehrschluss ziehen und die Frage stellen, was existiert, existiert aber nur in einer Zeit also quasi umgekehrt.

Peter Kügler [00:25:28] Umgekehrt ob das, was existiert notwendigerweise auch in der Zeit existiert oder ob es irgendeine Art von zeitloser Existenz gibt. Und gegen die zeitlose Existenz habe ich eigentlich zwei Dinge, zwei Argumente oder zwei Gründe, warum ich nicht an die zeitlose Existenz glaube. Eines betrifft wieder die Frage der Eigenzeit, von der wir vorhin gesprochen haben. Ich glaube, dass die Wurzel unserer Existenzbegriffs das Hier und Jetzt ist. Also wir verstehen, was es heißt, dass etwas existiert, weil es uns jetzt gegenwärtig ist. Das ist ja eine komische Frage, wenn jemand die Frage stellt:Was heißt es, dass dieses Glas hier existiert, also für die Zuhörer: da steht ein Glas. Jetzt könnte man fragen: Was heißt das, dass das Glas existiert, eine typisch philosophische Frage. Ich glaube die meisten Leute würden denken, was fragt mich der, was für eine komische Frage. Aber das ist eben eine philosophische Frage. Was heißt das? Ja, ich habe ein Verständnis davon, was es heißt, dass dieses Glas existiert, weil es mir gegenwärtig ist. Das heißt, ich kann es jetzt wahrnehmen, ich sehe es, ich kann es angreifen, ich kann damit hantieren, ich kann daraus trinken. Das ist sozusagen die Wurzel unserer Existenzbegriffs, die Existenz hier und jetzt und das ist genau diese... Man kann da auch von einem präsentistischen Existenbegriff sprechen: Präsens, das Gegenwärtige, also das, was gegenwärtig existiert, das existiert. Und wenn das die Wurzel unserer Existenzbegriffs ist, dann kann man das zwar ausdehnen auf andere Zeiten im Raum und so weiter. Aber man kann sozusagen nicht aus der Zeit rauskommen, dann wird diese Existenzbegriff unverständlich. Die Wurzel des Begriffs ist ein bestimmtes zeitliches Vorhandensein und wenn man von der Zeit abstrahiert, dann wird der Begriff zu abstrakt und er verliert seinen Inhalt. Das ist eine Überlegung, die ich angestellt habe, aber da bin ich im Laufe des Buches draufgekommen.

Melanie Bartos [00:27:43] Aber das ist ja ein interessanter Punkt, dass Sie sagen: das war das, was ich vorher versucht habe anzudeuten, als ich ganz am Anfang gesagt habe: Ich habe das Gefühl, es wird teilweise so komplex, dass es nicht mehr fassbar wird. Das ist eigentlich das, was Sie jetzt beschreiben, dass es so komplex wird, dass es eigentlich, dass man sagen könnte, es hat den Inhalt verloren.

Peter Kügler [00:28:06] Das ist auch so ein Topos in der Philosophie: Es wurde immer wieder behauptet, dass manche philosophischen Thesen oder Aussagen so abstrakt werden, so den Kontakt zur Erfahrungswelt verlieren, dass sie an Inhalt verlieren. Damit werden diese Aussagen sinnlos. So etwas ähnliches würde ich in Bezug auf den Existenzbegriff, was die Zeit angeht, sagen. Aber das Zweite, was ich auch noch sagen wollte, was diese Idee einer zeitlosen Existenz angeht, wenn man glaubt, dass es irgendwas Zeitloses gibt, also Gott, Naturgesetze, Zahlen und so weiter und so fort oder was es auch immer sein mag, dann hat man immer das Problem der Frage: Wie hängt das Zeitlose mit dem Zeitlichen zusammen? Wie ist da der Kontakt? Das ist ein Problem, das auch schon Platon sich gestellt hat, wie seine platonischen Ideen, die Universalien, denn eigentlich in der Wirklichkeit realisiert sind. Also wenn man über diese Frage des Kontakts zwischen dem Zeitlosen und dem Zeitlichen hat man immer. Und letztlich ist es dann rätselhaft. Bei Bezug auf Gott ist dann die Frage, ja wie hat er denn das Universum geschaffen? Wie macht ein zeitlos existierender Gott, wie macht er plötzlich, wie schafft er es, das Universum mit Zeit und Raum zu schaffen. Darauf gibt es keine Antwort. Immer wenn man eine Erklärung hat, eine Theorie, wo solche Lücken klaffen, spricht das gegen die Theorie.

Melanie Bartos [00:29:35] Aber wenn man von dem ausgeht, was Sie gesagt haben, dass die zeitliche Existenz von etwas ganz stark davon abhängt, dass sich das in meinem persönlichen Jetzt in irgendeiner Form wahrnehme, wenn ich das richtig verstehe, so wie dieses Glas hier. Heißt es dann auch, dass dieses Wahrnehmen von dem Jetzt irgendwann einmal angefangen hat.

Peter Kügler [00:30:00] Das Wahrnehmen?

Melanie Bartos [00:30:01] Ja braucht es das Wahrnehmen, damit es existiert. Hat es dann irgendwann begonnen?

Peter Kügler [00:30:06] Oje. Jetzt habe ich Sie zum Idealismus verführt.

Melanie Bartos [00:30:08] Zum Idealismus? Oje.

Peter Kügler [00:30:13] Jetzt habe ich Sie ungewollt zur Idealistin gemacht.

Melanie Bartos [00:30:16] Was heißt das jetzt? Was ist passiert?

Peter Kügler [00:30:18] Passiert ist ein Missverständnis. Ich wollte nicht sagen, dass die Dinge nur existieren, wenn wir sie wahrnehmen. Ich wollte damit sagen, dass das die Wurzel unseres Existenzbegriffs ist. Das heißt unseres Verständnisses dessen, was es heißt zu existieren.

Melanie Bartos [00:30:36] Also vom Verständnis davon. Das kann ich mir auch vorstellen.

Peter Kügler [00:30:42] Bzw. ich muss überhaupt nicht dran denken. Ich gehe davon aus, dass - wenn ich diesen Raum verlasse - wird das Glas Wasser wahrscheinlich immer noch hier stehen.

Melanie Bartos [00:31:02] Ich glaube, es ist nicht mehr da, wenn wir jetzt hier hinausgehen und Sie können mir jetzt gar nix entgegen halten.

Peter Kügler [00:31:05] Da haben Sie völlig recht. Der Idealismus ist schwer zu widerlegen. Stimmt ja. Aber es gibt so diesen robusten Realismus, von dem Bertrand Russel einmal gesprochen hat: A robust sense of realism - oder so ähnlich. Das wollte ich damit nicht sagen. Ich wollte nicht sagen. Dass die Welt nur existiert, weil wir sie wahrnehmen, aber die Wurzeln unseres Existenzverständnisses. Und ja. Und davon ausgehend, glaube ich aber, ausgehend von diesem unmittelbaren Verständnis der Existenz und auch von diesem unmittelbaren Verständnis von Zeit natürlich, verschiedene Möglichkeiten gibt, zu definieren, was real ist oder was existieren heißt und so weiter. Da gibt es dann verschiedene Möglichkeiten und etwas, was ich in dem Buch zeigen wollte, ein Anliegen war, auch darzustellen, dass bestimmte philosophische Fragen wirklich sinnlose Fragen sind. Und sinnlos in dem starken Sinn, dass man da um Worte streitet. Es gibt in der Philosophie Scheinprobleme, die nenne ich auch so in dem Buch. Es gibt Scheinprobleme, die deshalb Scheinprobleme sind, weil man einfach darüber streitet, ob man ein Wort so oder so verwenden soll. Und die Leute verwenden die Worte unterschiedlich und wundern sich dann, dass sie nicht einer Meinung sind. Das kennen wir auch im Alltag. Ich glaube, das passiert eben auch in der Philosophie. Un dass unter anderem eben der Begriff der Existenz oder der Realität, da gibt es verschiedene Möglichkeiten, den zu erklären. Und so kommt man dann zu verschiedenen Auffassungen. Eine der spektakulärsten, auf den ersten Blick spektakulärsten Auffassungen ist ja das sogenannte Eternalismus. Der Eternalismus sagt, dass nicht nur die Gegenwart existiert, sondern auch die Vergangenheit und die Zukunft, alles existiert.

Melanie Bartos [00:32:59] Gleichzeitig?

Peter Kügler [00:32:59] Nein, nicht gleichzeitig. Nein, nicht ganz. Da muss man aufpassen. Natürlich nicht gleichzeitig. Aber es existiert, es existiert nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern in einem zeitlosen Sinn. Und da glaube, man kann diese Auffassung schon vertreten, aber das ist einfach bestimmter Existenzbegriff sozusagen, es steckt nichts Großartiges dahinter, habe ich versucht zu zeigen. Aber es ist, wenn man wenn man solche Thesen aufstellt, ich weiß, dass man damit oft bei Kollegen und Kolleginnen oft nicht gut ankommt. Es gibt ja Leute, die ihr ganzes Leben der Verteidigung und Begründung des Eternalismus gewidmet haben. Und wenn man dann jetzt herkommt und versucht zu begründen, das ist ein Scheinproblem, du hast dich dein ganzes Leben mit einem Scheinproblem beschäftigt...

Melanie Bartos [00:33:42] Das kann ich mir vorstellen, dass das nicht so gut ankommt.

Peter Kügler [00:33:48] Ja ich habe versucht im Buch zu zeigen. Mir war wichtig zu zeigen, was sind die sinnvollen Fragen und was sind die sinnlosen Fragen. Welche Fragen sind eigentlich Streit um Worte und welche sind die eigentlich interessanten Fragen.

Melanie Bartos [00:34:04] Und was wären die sinnvollen?

Peter Kügler [00:34:06] Also sinnvolle Fragen, wie gesagt, was Zeit ist, wo unser Zeitverständnis eigentlich herkommt. Das halte ich für eine sinnvolle Frage, denn irgendeine Antwort darauf, was Zeit ist oder was wir unter Zeit verstehen, müssen wir geben. Aber dann die Frage, ob auch die Vergangenheit existiert oder nicht. Das scheint mir ein Scheinproblem zu sein, weil es kommt darauf an, wie man das Wort existieren verwenden möchte. Man kann es nicht so einfach sagen, man muss dann das auch sprachphilosophisch begründen, deswegen gibt es ja auch Kapitel über Sprachphilosophie. Und ja, das wird dann oft ziemlich kompliziert. Ich weiß nicht, wie es Ihnen damit gegangen ist. Es ist wahrscheinlich leichter zu verstehen, denke ich mir, als jetzt die physikalischen Teile und so weiter. Aber das macht es auch ein bisschen schwierig, wenn man über die Sachen redet. Man muss natürlich in der Philosophie nie nur über die Sachen reden, sondern man muss immer auch über das Reden über die Sachen reden. Man muss immer auch Sprachphilosophie dazu denken. Man darf nicht nur über Zeit philosophieren und über Existenz, sondern muss auch immer über das Philosophieren darüber philosophieren. Das ist immer so ein selbstbezügliches Projekt philosophieren und deswegen Sprachphilosophie. Man muss eben die Frage stellen: Wie kriegen Wörter wie Zeit und Realität und andere Wörter überhaupt ihren Sinn? Wann wird ein Wort sinnlos und so weiter?

Melanie Bartos [00:35:27] Und was haben Sie jetzt genau noch einmal, wenn man das aus dem jetzt so ableiten würde, in dem Kontext, um den es jetzt hier geht, per se als sinnlos und als sinnvoll definiert?

Peter Kügler [00:35:44] Also eine sinnlose Frage ist immer immer dann vorhanden, wenn wir es mit bloßen Wort- Definitionsfragen zu tun haben. Die verkleiden sich aber in der Regel als unglaublich wichtige Probleme. Das heißt, Philosophinnen und Philosophen kommen oft selbst nicht drauf, dass sie eigentlich, dass sich hinter ihren scheinbaren substanziellen Fragen eigentlich bloße Fragen der Definition von Wörtern verstecken. Und an einem Beispiel: Ich habe es am Beispiel der Willensfreiheit versucht zu demonstrieren in dem Buch. Das hat jetzt eigentlich nichts mit Zeit zu tun.

Melanie Bartos [00:36:24] Aber es ist ein schönes Beispiel.

Peter Kügler [00:36:28] Das heißt: Viele Leute stellen sich die Frage, ob der menschliche Wille frei ist oder nicht. Und die banale Antwort ist, glaube ich, je nachdem wie man es definiert. Es ist so banal. Ja. Ich glaube, es gibt wirklich gute Definitionen, nach denen man, nach dem zwar alles determiniert sein könnte, wir aber trotzdem frei sind. Oder, es gibt Definitionen der Willensfreiheit, die dieses Determiniertsein ausschließen. Aber das ist gar nicht so leicht zu begründen, weil eben die Diskussionen, die Argumente oft sehr verwickelt sind und man muss dann nachweisen, wo verwenden eigentlich da zwei Philosophen ein Wort in unterschiedlichem Sinn. Das ist oft gar nicht so leicht nachzuweisen sozusagen. Wo diese bloße Abweichung im Sprachgebrauch liegt. Das haben Sie gelesen. Haben Sie den Eindruck gehabt, dass das nachvollziehbar war? Das mit der Willensfreiheit.

Melanie Bartos [00:37:32] Ja, ja, das ist nachvollziehbar. Ja durchaus.

Peter Kügler [00:37:38] Sie könnten jetzt auch Nein sagen.

Melanie Bartos [00:37:43] Aber wieso soll ich nein sagen? Ich man es schon nachvollziehen, was Sie meinen, aber man könnte jetzt von außen sagen, es ist auch relativ gewagt zu sagen, also wirklich zu definieren, was ist sinnlos und was ist sinnvoll.

Peter Kügler [00:37:56] Freilich. Das ist richtig.

Melanie Bartos [00:37:57] Deswegen habe ich dann noch einmal nachgefragt. Aber wenn man es argumentieren kann.

Peter Kügler [00:38:05] Man braucht eine Theorie des Sinns. Bekannt in der Philosophie jedenfalls sind ja die Versuche des sogenannten logischen Empirismus des Wiener Kreises der Philosophen-Schule in Wien in der Zwischenkriegszeit des vorigen Jahrhunderts, die mehr oder weniger gesagt haben, dass jeder Begriff, der sich nicht irgendwie empirisch durch Erfahrung, Wahrnehmungen irgendwie begründen und einlösen lässt, jede Frage, die sich auf diese empirische Art und Weise klären lässt, das ist eine sinnlose Frage. Da müsste ich natürlich das Buch verbrennen, nicht. Weil das ist Philosophie und betrifft nicht nur empirische Fragen. Das sogenannte empiristische Sinnkriterium ist sicherlich zu eng. Da sind sich alle einig, das kann es nicht sein. Man muss dann eine sprachphilosophische Theorie des Sinns irgendwie versuchen zu entwicklen. Klar, aber natürlich auch solche Aussagen wie, das ist sinnlos, das nicht, das ist wieder eine theoriebeladene Aussage. Das heißt, setzt wieder eine bestimmte Theorie voraus. Aus dem Zirkel kommt man nie heraus.

Melanie Bartos [00:39:11] Das ist gar nicht so der wesentliche Punkt, wenn man sich mit Zeit befasst. Ich glaube, wenn man das auch noch mit reinnimmt, dann wird es noch komplexer als es ohnehin schon ist. Das heißt, Sie haben, um jetzt noch einmal den Spoiler aufzugreifen, den wir vorher hatten: Vielleicht können wir den an der Stelle noch einmal umreißen, dass Sie die Idee der zeitlosen Existenz und auch diese statische Auffassung von Zeit, die wir schon umrissen haben, lehnen Sie sozusagen ab.

Peter Kügler [00:39:49] Die statische Auffassung lehne ich insofern ab. Ich sage, das ist eine von mehreren Möglichkeiten, die den Nachteil hat, dass wir die menschliche Zeiterfahrung einfach nicht ins Boot holt. Ich glaube, dass die, womit ich wirklich ein Probleme habe, ist diese Idee der zeitlosen Existenz, der ewigen Existenz, das ist eigentlich der Begriff der Ewigkeit, den haben wir, glaube ich, bis jetzt noch nicht.

Melanie Bartos [00:40:12] Ewigkeit ist bis jetzt noch gar nicht gefallen, ja.

Peter Kügler [00:40:15] Ein Verständnis von Ewigkeit ist ja Zeitlosigkeit. Etwas existiert ewig, wenn es außerhalb der Zeit existiert, gar nicht in der Zeit existiert. Ist ein faszinierender Gedanke. Und eben wurde oft gesagt, dass z.B. Gott aus einer solchen Perspektive der Ewigkeit auf das Universum herunter schaut. Na ja, wie soll ich sagen. Ich glaube, ganz am Ende des Buches habe ich darauf verwiesen, dass es für uns vielleicht ganz interessant sein könnte, für Menschen könnte es interessant sein, versuchsweise diesen Standpunkt der Ewigkeit einzunehmen und sozusagen zu versuchen, sich über die Dinge zu erheben und dabei von oben hinab zu schauen, so eine Art metaphysische Vogelperspektive einzunehmen. Was natürlich nicht real geht, ist schon klar.

Melanie Bartos [00:41:13] Aber warum würde das gut tun?

Peter Kügler [00:41:14] Vorgeschlagen hat das schon Platon. Das Problem, das Platon und andere antike Philosophen hatten, war, dass Menschen ein ziemlich angst- und leiderfülltes Leben haben. Die antike Philosophie hat sich bemüht, etwas entgegenzusetzen, sozusagen eine Therapie anzubieten. Und ein Medikament sozusagen von mehreren, um die Angst vor dem Tod zum Beispiel zu verlieren, war der Vorschlag, man müsste sich einmal von sich selbst distanzieren, sein eigenes Leben einordnen in die Gesamtheit und dann erkennen, dass das eigene Leben eigentlich nur ganz etwas ganz Kleines ist. In zeitlicher Hinsicht, ich denke, nur ein Augenaufschlag. In der ganzen Geschichte des Universums. Das heißt, man lernt dann, sich selbst ein wenig zu relativieren, sich selbst nicht mehr so wichtig zu nehmen. Platon jedenfalls hat gedacht, dass einem das die Angst vor dem Tod nehmen könnte, wenn man erkennt: Na ja, das Leben ist nur kurz, vor mir sind schon Millionen Menschen gestorben, nach mir werden Millionen Menschen sterben. Das eigene Leben ist ja eigentlich relativ bedeutungslos. Heute - das wusste Platon natürlich nicht - aber heute wissen wir, dass wir ein kurzes Leben auf einem kleinen Planeten eines Sternes in der Milchstraße, die hundert Milliarden Sterne hat. Das Universum hat hundert Milliarden Galaxien. Was ist da mein eigenes Leben? Ich finde das manchmal ganz erleichternd, wenn man so drinsteckt. Man hat das Gefühl alles ist unglaublich wichtig. Unser Gespräch ist unglaublich wichtig, dass jetzt gut funktioniert, dass nichts Technisches daneben geht und so weiter. Man nimmt das unglaublich wichtig. Und jetzt erheben wir gemeinsam drüber und schauen auf uns beide hier herunter.

Melanie Bartos [00:43:02] Von der Milchstrasse aus.

Peter Kügler [00:43:03] Würmer sind wir.

Melanie Bartos [00:43:07] Braucht man sich überhaupt nicht mehr stressen. Aber das ist ja oft. Dieses Schema geht ja auf ganz viele Bereiche. Ich glaube, dass Religion ja ganz viel über genau solche Dinge funktioniert.

Peter Kügler [00:43:16] Auch ja, hängt von der Religion ab.

Melanie Bartos [00:43:22] Aber da würden Sie auch sagen, dass diese Form der Relativierung dann eigentlich so etwas eher sinnloses ist.

Peter Kügler [00:43:33] Es kann praktisch ja sehr nützlich sein, sich einmal vor Augen zu führen sozusagen, das Universum von oben zu betrachten. Das heißt auch in gewisser Weise genau diese Perspektive des Eternalismus einzunehmen. Wir stellen uns vor, als würden wir alle Zeiten - Vergangenheit Gegenwart usw. - jetzt in einem Blick betrachten. Das ist es ja eigentlich. Wir betrachten, wir wissen jetzt also die Physik sagt, dass das Universum 13,8 Milliarden Jahre alt. Können wir uns eh nicht vorstellen, aber versuchen wir es einmal. Also ist es nicht sinnlos in dem Sinn, dass es, es kann nützlich sein. Dieser Versuch kann nützlich sein. Wir dürfen es nicht übertreiben, sonst kommen wir gar nicht mehr zurück sozusagen auf der Erde. Wir dürfen uns nicht ständig distanzieren. Natürlich müssen wir die Dinge auch wichtig nehmen, die um uns herum sind. Es ist ja klar, es muss immer so ein ein Wechselspiel sein. Es kann Situationen geben, wo diese Distanzierung interessant und nützlich ist, psychisch entlastend sein kann, denke ich. Aber natürlich kann es nicht die Regel sein. Die Regel kann es sein, wenn Sie vorhaben, in ein Kloster zu gehen und ein distanziertes Leben der Heiligkeit zu führen, ja dann vielleicht.

Melanie Bartos [00:44:52] Aber die Ewigkeit ist dann, wenn ich das richtig verstehe, so ein Begriff, den sie im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung des Zeitbegriffs gar nicht so gerne in dem Kontext sehen.

Peter Kügler [00:45:05] Ja, ich glaube nicht an die Ewigkeit in diesem Sinne der Außerzeitlichkeit, was aber nicht heißt, dass man sich nicht einmal versuchsweise auf diesen Standpunkt stellt. Es gelingt ja ohnehin nicht, es ist sozusagen nur eine Leitidee, die einem dabei vielleicht hilft, sich zu distanzieren, sich selbst außerhalb von Raum und Zeit zu stellen, was eh nicht geht. Es gibt da ja einen anderen Begriff der Ewigkeit. Ewigkeit nicht als Außerzeitlichkeit, sondern Ewigkeit als ein unendlich langer Zeitraum. Als etwas, was schon immer existiert hat und in der Zukunft immer existieren wird. Das ist wieder etwas anderes, wo es auch in der Philosophie eine lange Tradition der Auseinandersetzung gibt, weil Philosophen sich häufig die Frage gestellt haben, ob vielleicht die Vergangenheit schon unendlich lange gedauert hat oder ob es irgendwann so einen ersten Zeitpunkt gegeben hat. Und heute schreiben Physiker und Kosmologen oft über solche Sachen Bücher. Weil natürlich da die moderne Kosmologie auch ein Wort mitzureden hat. Das ist etwas, was ich im Buch auch behandelt habe, weil viele Philosophen - einer davon war Immanuel Kant - ja behauptet haben, dass es im Grunde genommen gar nicht sein kann, dass das Universum schon oder die Welt schon unendlich lange gedauert hat. Die haben versucht Argumente zu finden dagegen, dass es eine unendliche Menge oder Folge von Zeitpunkten gegeben haben kann.

Melanie Bartos [00:46:43] Schon in der Vergangenheit?

Peter Kügler [00:46:47] Es gibt philosophische Argumente dagegen, dass die Vergangenheit unendlich lang war.

Melanie Bartos [00:46:54] Das heißt: Es hat irgendwo angefangen?

Peter Kügler [00:46:57] Nach diesen Argumenten. Ich halte diese Argumente nicht für schlüssig. Ich glaube, dass nichts dagegen spricht, dass die Vergangenheit schon unendlich war. Ich kenne kein gutes Argument dagegen. Immanuel Kant zum Beispiel hat das ungefähr so erklärt: Er hat gesagt, vereinfacht gesagt, wenn die Vergangenheit unendlich lange gewesen wäre schon, dann wäre sie sozusagen nie bei uns angekommen. Man stellt sich sozusagen vor, dass man die Zeit, das man es aufzählt, ein Zeitpunkt, der nächste Zeitpunkt, eins zwei drei vier fünf sechs sieben und so weiter. Und wie es mit unendlichen Gesamtheiten so ist, man kommt nie an ein Ende. Und wenn man das jetzt umdreht, sozusagen die Vergangenheit, dann war das Argument, ja es wäre sozusagen dem Universum, der Zeit eigentlich nie gelungen diesen unendlichen Zeitraum zu überbrücken und in der Gegenwart anzukommen. Bertrand Russell hat darauf geantwortet: Doch das geht schon, nämlich in einer unendlichen Zeit, in einer unendlichen Zeit kann man auch unendlich viele Weltzustände aufzählen, um dann bis zur Gegenwart zu kommen. Ich finde, das ist die richtige Antwort darauf.

Melanie Bartos [00:48:09] Das wäre auch der Standpunkt, den Sie da einnehmen.

Peter Kügler [00:48:13] Das wäre mein Standpunkt. Aber es gibt moderne Philosophen, die versuchen trotzdem irgendwie zu zeigen, dass das nicht funktioniert. Dahinter steckt meistens die Idee: Wir widerlegen jetzt die unendliche Vergangenheit weil wir wollen, dass alles irgendwann begonnen hat. Warum wollen wir, dass alles irgendwann einmal begonnen hat? Weil wir jemanden haben wollen, der das geschaffen hat. Meistens stehen irgendwelche theistischen Konzeptionen dahinter. Die Leute wollen beweisen, dass Gott existiert und versuchen dann Argumente zu finden, warum alles irgendwo einmal begonnen haben muss. Dann brauchen wir einen Schöpfer. Wenn aber die Welt schon unendlich lange existiert hat, was die alten Griechen geglaubt haben, brauchen wir keinen Schöpfer.

Melanie Bartos [00:48:51] Aber was meint man jetzt mit Welt? Die Erdkugel?

Peter Kügler [00:48:54] Alles, das Sein.

Melanie Bartos [00:48:54] Das Sein würde ich auch sagen, das hat es schon immer gegeben. Weil die Erde, da gibt es ja...

Peter Kügler [00:49:11] Da gibt es gewisse empirische Daten und auch nicht unser Universum, weil man wenn man ja der modernen Physik glaubt, das kann sich alles als falsch herausstellen. Aber heute geht man davon aus, dass unser Universum vor 13,8 Milliarden Jahren entstanden ist. Aber es hätte ja ein anderes Universum oder mehrere Universen geben können und so immer wieder in die Vergangenheit, unendlich lange hätte. Das wissen wir nicht.

Melanie Bartos [00:49:37] Aber wenn man von diesem Vergangenheitsbegriff in der Form ausgeht, ist es dann derselbe Schluss auch für die Zukunft?

Peter Kügler [00:49:50] Nein, weil sozusagen von jetzt ausgehend, könnte die Zukunft durchaus unendlich lange dauern. Es muss keinen Schlusspunkt geben.

Melanie Bartos [00:49:57] Also wenn ich von einer unendlichen Vergangenheit ausgehe, dann heißt das auch, dass sie von... Ja muss eigentlich. In der anderen Richtung dann trotzdem von einem Schlusspunkt ausgehen, wäre nicht schlüssig.

Peter Kügler [00:50:15] Wobei es ist sehr schwer, sich vorzustellen, was es heißt, dass es irgendwann einmal einen Zeitpunkt geben wird, der sozusagen der letzte Zeitpunkt ist. Das einzige was man sich da vielleicht vorstellen kann, entsprechend der aristotelischen Auffassung, dass Zeit und Veränderung zusammenhängt: Sollte irgendwann einmal ein Zustand eintreten, wo es keine Veränderung mehr gibt, dann würde in gewisser Weise die Zeit stillstehen. Das wäre dann der letzte Zeitpunkt.

Melanie Bartos [00:50:45] Aber da müssten ich davon ausgehen, dass es so etwas wie den leeren Raum gibt oder sowas.

Peter Kügler [00:50:52] Oder: Es gibt etwas, aber da passiert nichts.

Melanie Bartos [00:50:56] Aber dann kommt es darauf an, wie man Zeit definiert, weil wenn es dann nach der - wie war das - Relativitätstheorie geht. Nein, bei Newton.

Peter Kügler [00:51:07] Bei Newton, klar. Aber wenn man Zeit an Veränderung bindet, dann wenn sich nichts mehr verändert. Das wäre dann auch eine andere Physik, denn die Physik, die Quantenphysik, sagt, dass sich ja immer irgendwas tut. Auch der leere Raum ist erfüllt mit Energieschwankungen und so weiter. Aber die philosophische Vorstellung eines nicht mehr Vergehens der Zeit in der Zukunft, das kann man zumindest beschreiben. Die Möglichkeit besteht, philosophisch ist es nicht ausgeschlossen, dass irgendwann sich ab einem bestimmten Zeitpunkt nichts mehr tut. Damit hört auch die Zeit auf. Wir sind da nicht mehr im Leben glücklicherweise.

Melanie Bartos [00:51:53] Wer weiß. Ich glaube, es ist dann banal oder salopp formuliert, relativ wurscht. Ich habe nicht mehr so viel Zeit darüber nachzudenken im wahrsten Sinne des Wortes. Aber ist es jetzt was, wo wir uns auf Dauer auf der philosophischen Ebene bewegen jetzt in den Gedanken oder kann man so einen Zugang auch aus den Naturwissenschaften, weil sie es angesprochen haben, Quantentheorie zum Beispiel herausholen.

Peter Kügler [00:52:29] Da müsste man natürlich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen fragen. So wie ich die derzeitige Situation einschätze, ist es so, dass selbst wenn das Universum irgendwann über den Wärmetod gestorben sein wird. Das heißt, wenn sich alle Unterschiede möglichst ausgeglichen haben und wir nun sozusagen eine homogene Energieverteilung haben im Universum, heißt es noch lange nicht, dass es einen Stillstand gibt, weil sich immer noch etwas tut, weil es eben quantenphysikalische Unschärfen gibt. Teilchen, virtuelle Teilchen poppen aus dem Nichts und verschwinden wieder und so weiter. Das heißt, es gibt so etwas wie diese völlige, diese gedachte Homogenität gibts eigentlich nicht. Es gibt auch keinen leeren Raum nach der heutigen physikalischen Lehre, weil auch der leere Raum mit Energie erfüllt ist. So gesehen wird es, wenn die gegenwärtige Physik stimmt, und es da nicht neue Perspektiven gibt, dann kann es eigentlich diesen letzten Zeitpunkt gar nicht geben. Aber vielleicht, jemand der jetzt zuhört ,ein Physiker oder eine Physikerin, wird vielleicht innerlich gerade protestieren.

Melanie Bartos [00:53:40] Wer weiß. Man kann sich ja vertrauensvoll an mich oder Sie wenden. Bei den vielen Aspekten, die wir jetzt angeschnitten haben, was dieses Thema betrifft, gibt es da etwas an dem ganzen Themenbereich, das Sie besonders fasziniert? Oder wo Sie das Gefühl haben, da denken Sie die meiste Zeit drüber nach?

Peter Kügler [00:54:05] Ja. Das ganze Buch ist für mich ja eigentlich wirklich ein Forschungs- und Denkprozess. Ich schreibe es ja, weil ich mir über bestimmte Dinge klar werden will. Und ich habe dadurch vieles gelernt, was ich dann auch noch weiter, worüber ich weiter nachdenke und worüber ich vielleicht auch in Zukunft schreiben möchte. Was ich da besonders hervorheben möchte, ist, was wir auch kurz angesprochen haben, diese Bedeutung des Augenblicks, der jetzigen gegenwärtigen Existenz, die schon rein begrifflich die Wurzel für vieles ist. Da irgendwie, der Augenblick eigentlich, die Gegenwart ist das eigentlich rätselhafte. Als ich das Buch begonnen habe zu schreiben, habe ich den Eindruck gehabt, Zeit ist rätselhaft. Ich möchte wissen, was Zeit ist. Aber das eigentlich rätselhafte ist der Augenblick. Das Jetzt und Hier. Manche Philosophen haben es so ausgedrückt: Die Gegenwart ist eigentlich deshalb etwas Rätselhaftes, weil sie der übergang von Zukunft zu Vergangenheit ist, eine bloße Grenze. Das stimmt natürlich. Einerseits ist das das Einzige, was wir haben. Ich habe jetzt nur die Gegenwart, die Vergangenheit schon gleich wieder weg und die Gegenwart ist jetzt auch gleich wieder weg. Und darüber möchte ich noch genauer nachdenken, was das eigentlich heißt, dieser paradoxe Charakter der Gegenwart. Zum Beispiel ein Philosoph, der im Buch nicht vorkommt, Kierkegaard, hat gesagt die Gegenwart oder der Augenblick, wie er es genannt hat, ist die Synthese von Zeit und Ewigkeit. Das kann man so verstehen, dass der Augenblick einerseits der Zeit angehört, denn die Zeit setzt sich aus Augenblicken zusammen. Er ist aber auch gleichzeitig etwas Ewiges, weil der Augenblick selbst ja nicht... Da gibt es ja keine, im Augenblick selbst gibt es ja kein Vergehen, der Augenblick selbst ist irgendwie herausgehoben aus der Zeit. Wittgenstein hat das so ausgedrückt denselben Gedanken: Der lebt ewig, der in der Gegenwart lebt. Und das ist weder etwas, wo man dann wieder leichter einen Anknüpfungspunkt zur Alltagserfahrung machen kann. Ohne große philosophische Vorkenntnisse, wenn man jemanden sagt, wenn du in der Gegenwart lebst, dann lebst du eigentlich ewig, weil da verschwindet ja die Zeit, du denkst nicht an die Zeit. Und da sieht man wieder, dass philosophische Spekulationen auf der einen Seite und so alltägliche Zeiterfahrungen eng zusammenhängen. Darüber möchte ich gerne, da würde ich gern in Zukunft genauer nachdenken. Was dieser eigenartige Augenblick, der gleich wieder weg ist und doch der Zeit enthoben. Irgendwie. Paradox.

Melanie Bartos [00:56:53] Ist ja auch kaum... Von was reden wir da, von einer Sekunde, von einer Millisekunde. Was ist der Augenblick? Also rein so auf der Ebene schon.

Peter Kügler [00:57:03] Ja je nachdem. Wenn man es psychologisch betrachtet, das kann man tatsächlich wissenschaftlich untersuchen, indem man feststellt, wie weit müssen irgendwelche Reize auseinanderliegen, damit man sie überhaupt noch als zwei verschiedene Reize trennen kann. Damit man merkt, es sind zwei und nicht einer. Und das Ergebnis lautet, das sind ungefähr 30 Millisekunden, also 30 Millionstelsekunden. Hängt davon ab, was für Reize es sind, wie aufmerksam man ist und so weiter. Aber es liegt irgendwo in diesem Bereich. Das heißt, es ist die erlebte Gegenwart, der erlebte Augenblick ist kein Punkt, sondern nur ein ganz kurzer Zeitraum, also wenige Millisekunden. Das betrifft die Psychologie, also die Frage des Erlebens. Es gibt natürlich noch ein etwas Größeres, was mit unserem Ultrakurzzeitgedächtnis zu tun hat. Wir haben das Gefühl, dass das, was so ein, zwei, drei Sekunden ist, das ist noch unsere Gegenwart irgendwie. Wir haben den Eindruck, dass ist noch jetzt. Und dann gibt es dieses ominöse Jetzt der Physik. Was ist das eigentlich? Ist es ein kurzer Zeitraum? Ist das vielleicht ein Punkt? Es gibt physikalische Theorien, die besagen, dass die Zeit eigentlich gar nicht kontinuierlich verläuft, sondern so sprunghaft, wie eine Uhr tickt sozusagen. Die Zeit wäre keine Analoguhr, sondern eine Digitaluhr. Allerdings die Zeiträume wären nach diesen Auffassungen extrem klein, bei 10 hoch minus 35 Sekunden ungefähr.

Melanie Bartos [00:58:45] Das ist dann eine Aneinanderreihung dieser kleinen kurzen Punkte.

Peter Kügler [00:58:52] Und dazwischen liegt nix. Das ist eine philosophische Frage. Gerade gestern habe ich eine Vorlesung gehalten über Philosophie des Geistes. Da habe ich den Leuten und den Studierenden unter anderem gesagt: Ja, in diesen zehn hoch minus 35 Sekunden - vielleicht steckt da der Geist drin. Vielleicht ist da etwas Geistiges. Vielleicht ist alles geistig, wissen wir ja nicht. Das ist eine philosophische Position, dass die Welt eigentlich geistig ist. Und vielleicht würde man den Geist nur auf dieser kleinen, kleinsten Zeitspanne finden. Aber da sind wir in dem Bereich, wo man nur spekulieren kann und was das dann noch sinnvoll ist. Vielleicht fällt das auch unter die Sinnlosigkeit.

Melanie Bartos [00:59:41] Aber es ist ja interessant, weil ja alle Theorien, über die wir jetzt gesprochen haben, wenn man jetzt mal die weglässt, dass Zeit gar nicht existiert, gehen ja von einer Vergangenheit und Zukunft in irgendeiner Weise aus. Das heißt, dieses Dazwischen muss es ja, diesen Übergang, diesem Punkt dazwischen das wäre ja eigentlich vielleicht das....

Peter Kügler [01:00:09] Aber es könnte eben eine bloße Grenze sein ohne Ausdehnung. In der Analogie einer Linie, wäre die Zeit eine Linie und die Gegenwart wäre ein bloßer ausdehnungsloser Punkt. Ein Punkt ist ja eine Grenze, das, was zwei Linien begrenzt. Allein das ist schon sehr rätselhaft. Und vor allem was ist mit den Leuten, die gesagt haben, eigentlich existiert nur das Gegenwärtige. Das ist etwas, was im Alltag recht plausibel ist. Nur das was gegenwärtig existiert, existiert. Und die Vergangenheit existiert ja gar nicht mehr. Und die Zukunft existiert auch nicht mehr. Ich glaube, dass die meisten Leute das sagen würden, wenn man sie fragen würde: Glaubst du, dass die Vergangenheit existiert? Na, die ist ja weg, die existiert ja nicht mehr.

Melanie Bartos [01:00:57] Ja aber existiert in welchem Sinne?

Peter Kügler [01:00:58] Das ist die Frage. Je nachdem, wie man da existieren auffasst. Aber ich glaube, dass wenn man jetzt eine Umfrage macht. Wir gehen in die Maria-Theresien-Straße, halten den Leuten ein Mikrofon unter die Hand. Das gibt es übrigens, das heißt experimentelle Philosophie. Und man fragt sie: Glauben Sie, dass die Vergangenheit existiert? Was würden da die meisten Leute wohl sagen? Ja oder Nein? Falls Sie Lust haben, könnten Sie so ein Forschungsprojekt beantragen. Ja, Sie haben recht. In welchem Sinn.

Melanie Bartos [01:01:47] Dann würden wahrscheinlich viele sagen, ja, in meiner Erinnerung, existiert es noch.

Peter Kügler [01:01:54] Aber ich sehe, Sie wollen schon wieder zum Idealismus.

Melanie Bartos [01:02:06] Entschuldigung. Bin ich schon wieder abgerutscht. Ja, interessante Frage. Ich weiß nicht, wie die Menschen darauf reagieren würden, aber ich glaube schon eher in so einer Richtung.

Peter Kügler [01:02:12] Man müsste es wirklich einmal ausprobieren. Wenn man so fragen stellt, kommen dann auch so Antworten: Hä! Was ist das für eine Frage. Typisch für die Philosophie, in der Philosophie lernt man überhaupt erst einmal Fragen zu stellen, die anderen vollkommen absurd erscheinen. Man lernt überhaupt erst was laut der Philosophie eine Frage eigentlich ist.

Melanie Bartos [01:02:36] Der Augenblick wärer so etwas, was sich für Sie durch das Buch noch stärker herauskristallisiert hat, was man sich anschauen könnte.

Peter Kügler [01:02:48] Das ist die Erkenntnis, die ich für mich gezogen habe, aus dem Buch ist, dass eigentlich da die Wurzel unseres Zeitverständnis und unseres Verständnisses von Existenz, von Realität ist. Deswegen würde ich mir gerne diesen Augenblick in seiner paradoxen Beschaffenheit irgendwie noch genauer anschauen. Aber er hat eben zwei Seiten. Wenn Sie das Entscheidende oder das Interessante ist ja, dass im Augenblick ich sowohl weiß, dass die Welt, die mir gegeben ist, existiert, also das Glas. Aber natürlich auch ich selbst. Das heißt, im Augenblick stecken schon zwei ganz unterschiedliche Existenzweisen drinnen, nämlich die Welt, die mir gegenübersteht und ich selbst, mein Bewusstsein. Ich als denkendes, wahrnehmes Ding. Also im Augenblick, der spaltet sich sozusagen in zwei Teile, das ist dann die berühmte Subjekt-Objekt-Spaltung. Aber im Augenblick ist es ja eigentlich noch vereint miteinander. Wenn ich aus dem Glas jetzt Wasser trinke und das angreife, berühre, zu meinen Lippen führe, trinke und das Wasser rinnt sogar in meinen Körper hinein. Da gibt es ja diese Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt gar nicht. Das ist ein verkörpertes Subjekt, das hier eigentlich existiert. Dann kann ich aber analytisch trennen zwischen dem objektiven, das von der Physik untersucht wird und dem subjektiven Sein, dem Bewusstsein, das von der Psychologie untersucht wird. Aber im Augenblick ist es noch zusammen. Heidegger hat das als Gegenwärtigkeit bezeichnet, als in der Welt sein. Heute spricht man von oft einer von einem verkörperten Subjekt, von verkörperter Kognition, das heißt, das Subjekt ist selbst eigentlich in der Welt. Ist nicht ein bloßes geistiges Subjekt, sondern untrennbar verbunden mit der Welt. Da fängt ja alles an. Da ist alles noch eins und da trennt man dann erst zwischen dem Subjekt und dem Objekt, zwischen Bewusstsein und Welt, zwischen Psychologie und Physik.

Melanie Bartos [01:05:04] Wenn man von der Gegenwart weggeht oder wo wann trennt man?

Peter Kügler [01:05:08] Ja, das ist schon ein Schritt von der Gegenwart weg, von der erlebten Gegenwart. Der erste Schritt von der erlebten Gegenwart weg, ist diese Trennung zwischen dem Subjekt und dem Objekt. Ist schon der erste Schritt. Und natürlich dann hat man auf der einen Seite das Subjekt und seine Erfahrung des Zeitvergehens und auf der anderen Seite physikalische Theorien, die man so deuten kann, dass die Zeit gar nicht vergeht. Dann klafft dieser Spalt ganz weit auseinander. Aber es fängt etwas an, wo alles noch zusammen ist. Und gerade Physiker, die über Philosophie der Zeit schreiben, wie zum Beispiel der Carlo Rovelli, den ich schon erwähnte, die vergessen oft, dass das auch Naturwissenschaftler und Naturwissenschaftlerinnen natürlich Menschen sind, die die Theorien irgendwie... Auch der greift einen Apparat an und das, was die Theorie, die physikalische Theorie alleine aussagt, das kann nicht die ganze Welt sein, weil ja auch die Anwendung der Theorie dazu gehört. Man macht ja was daraus. Man kann die Menschen nicht streichen, das kann vielleicht ein Physiker machen, den Menschen zu streichen, aber als Philosoph kann ich natürlich den Menschen und die Zeiterfahrung nicht streichen Es muss irgendwie zusammengehören. Und im Augenblick ist es irgendwie noch zusammen und dann fällt es auseinander. Das ist rätselhaft. Irgendwie ist das was Rätselhaftes.

Melanie Bartos [01:06:31] Aber glauben Sie, dass das so ein Rätsel ist, wie Sie vorher angesprochen haben, das nicht lösbar ist?

Peter Kügler [01:06:37] Ich fürchte fast. Ich befürchte, dass es da etwas wirklich so gibt, wie es Augustinus auch über die Zeit gesagt hat: Wir haben da eine Erfahrung, die wir letztlich nicht vollständig in Begriffe kleiden können. Mein Hier und Jetzt, das was ich jetzt erlebe. Natürlich kann ich das in Begriffe bis zu einem gewissen Grad kleiden. Ich kann sagen, was ich wahrnehme, ich kann die Sachen beschreiben, ich kann Sie beschreiben, ich kann das Glas beschreiben. Ich kann mich beschreiben, ich kann mein Inneres beschreiben, ich kann eine Grenze ziehen zwischen der Welt um mich herum und mir durch begriffliche Anwendung. Aber da bleibt immer noch irgendwas übrig. Diese Erfahrung der Gegenwart, die sich letztlich einer vollständigen Verbegrifflichung entzieht. Das ist das eigentliche Rätsel. Oder wie Wittgenstein gesagt hat: Es ist das Mystische. Aber nicht mystisch im Sinne einer höheren Sicht auf irgendwelche transzendenten Wesenheiten, sondern das hier und jetzt, der Augenblick ist das Mystische.

Melanie Bartos [01:07:54] Ich bin jetzt gerade am Überlegen, was ich jetzt an der Stelle tun soll. Weil ich das fast ein wunderschönes Schlusswort finden würde. Ich weiß nicht, ob Sie mit dem jetzt einverstanden sind, wenn die Mystik am Schluss übrig bleibt.

Peter Kügler [01:08:04] Das entspricht ganz meinem Philosophie-Verständnis. Mein Philosophie-Verständnis lautet: Man muss möglichst weit mit Begriffen kommen, so weit es geht, nicht zu früh aufgeben, aber man muss auch wissen, wann es aus ist.

Melanie Bartos [01:08:17] Es wäre jetzt auch im Bereich des Möglichen, dass Sie zu dem Schluss kommen, wenn Sie sich jetzt mehr mit dem Augenblick befassen, dass das eine sinnlose Frage ist?

Peter Kügler [01:08:30] in einem bestimmten Sinn, dass man da eigentlich auf etwas verwiesen wird, was man nicht wirklich begrifflich ausdrücken kann. In diesem Sinn von sinnlos. Die Feststellung, dass man etwas nicht begrifflich ausdrücken kann, dass es in diesem Sinn sinnlos ist. Diese Feststellung ist ja wieder sinnvoll.

Melanie Bartos [01:08:48] Ja, die ist sinnvoll.

Peter Kügler [01:08:49] Danke, dass Sie mir zustimmen.

Melanie Bartos [01:08:51] Finde ich auch, meine bescheidene Meinung. Ja, ich glaube, ich würde an der Stelle sagen, wenn Sie vielleicht Ihre Gedanken zum Augenblick weitergeführt haben, vielleicht wäre es eine Gelegenheit dann wieder mal darüber in dem Kontext zu sprechen. Und für heute möchte ich mich ganz herzlich für das tolle Gespräch bedanken.

Peter Kügler [01:09:17] Danke sehr, war mir ein Vergnügen.

Melanie Bartos [01:09:18] Mir auch. Danke.