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Zeit für Wissenschaft 042: Demokratie

Melanie Bartos: Eine neue Ausgabe von Zeit für Wissenschaft, dem Podcast der Universität Innsbruck. Ich bin Melanie Bartos und freue mich sehr, wieder mal eine neue Ausgabe des Podcasts aufzeichnen zu können und zwar mit einem sehr spannenden Gast heute. Bei mir ist heute Frau Dr. Marie-Luisa Frick. Sie ist assoziierte Professorin am Institut für Philosophie an der Uni Innsbruck. Frau Frick, herzlich willkommen bei Zeit für Wissenschaft. Ich freue mich.

Marie-Luisa Frick: Guten Morgen.

Melanie Bartos: Wir waren schon einige Male in Kontakt, Sie haben einige sehr interessante Gebiete, mit denen sie sich als Philosophin beschäftigen. Ein breites Interessengebiet kann man sagen. Es geht um Ethik, sehr stark um politische Ethik, Rechtsphilosophie, politische Philosophie, aber auch immer wieder ein Thema, das bei Ihnen auftaucht, ist auch die Frage der Menschenrechte und da haben Sie auch im Zusammenhang mit Fragen an die Demokratie, wo wir noch ein bisschen reinschauen werden heute hoffentlich, ein interessantes Buch. Ein interessantes Buch ist letztes Jahr im Reclam Verlag erschienen. Das trägt den Titel "Zivilisiert streiten. Zur Ethik der politischen Gegnerschaft". Da haben Sie, wie ich schon gesagt habe, sozusagen einige Aspekte, die für demokratische Gesellschaften eine Rolle spielen können oder sollen auch, herausgearbeitet. Ich würde gern in diese Richtung ein bißchen einsteigen und gleich mit dem Titel anfangen und die Frage stellen: zivilisiert streiten - könnte man ja etwas provokant sagen: schließt sich das nicht aus?

Marie-Luisa Frick: Gute Frage. Vielen Dank für die Einladung und die Gelegenheit auch für mich noch mal die Sachen durchzudenken. Man schreibt ein Buch und bis es erscheint, dauert es etwas, wenn es erschienen ist - jetzt ein Jahr her - dann sind Dinge schon ein bisschen auf Distanz. Auch wenn ich viele Anfragen habe zu diesem Thema zu sprechen. Das war eine Idee, die mir relativ spontan gekommen ist, natürlich mit entsprechender Vorlaufzeit und Erfahrungen und Fragen, die sich hier schon längst vorher aufgebaut haben. Zivilisiert streiten bedeutet, dass man sich durchaus auf Konflikte einlässt. Konflikte politischer Art, wo es auch unterschiedliche Kategorien dieser Konflikte gibt, wo man sich allerdings dann klar wird, es braucht eine Form, innerhalb dieser Form sind diese Konflikte entweder eher zivilisiert, eher erträglich, eher mit Demokratie vereinbar oder schädlich auf das Fundament der Demokratie bezogen. Und zerstören auch zwischenmenschliche Bindungen, Vertrauen. Zivilisiert streiten ist kein Widerspruch, wenn man Streit nicht schon immer als Problem für die Demokratie sieht und das tue ich gerade nicht.

Melanie Bartos: Jetzt könnte man meinen, dass man auch in einer Demokratie oder in vielen Bereichen, die die demokratischen Prozesse, die da oft stattfinden, könnte man ja auch den Eindruck gewinnen, dass es darum geht, immer Konsens zu finden. Man hat oft den Eindruck, man arbeitet eigentlich immer darauf hin, dass alle irgendwie der gleichen Meinung sind. Das würden Sie jetzt, wenn ich Sie aus der Perspektive richtig verstehe, so nicht unbedingt unterschreiben.

Marie-Luisa Frick: Ich würde das überhaupt nicht unterschreiben. Ich glaube, dass Kompromisse für eine Demokratie wichtig sind, zumindest zwischen denen, die dann Entscheidungen treffen. Aber Konsens an sich ist ein antidemokratisches Konzept, wenn ich es auf den Punkt bringen würde. Und auch Strategien zur Herstellung von Konsens in einer Bevölkerung sind durch und durch bedenklich im Hinblick auf die Lebendigkeit einer Demokratie und die Freiheit des politischen Handelns.

Melanie Bartos: Sie würden sagen: Konsens ist antidemokratisch?

Marie-Luisa Frick: Provokant ausgedrückt ja.

Melanie Bartos: Und was ist dann dieser Aspekt, den sie für wichtig halten, diese Aushandlungsprozesse?

Marie-Luisa Frick: Vielleicht nur ganz kurz zu Begründung dieser durchaus provokanten These. Wenn man sich Demokratie vorstellt: Es gibt einen materialen Kern der Demokratie, das ist die Volkssouveränität, die gleiche Souveränität aller Mitglieder eines politischen Gemeinwesens. Und wenn wir in diese abstrakte Idee jetzt noch die Lebensbedingungen einer pluralen Gesellschaft miteinkalkulieren, dann können wir nie davon ausgehen, dass alle Menschen zu allen Punkten übereinstimmen werden. Wir müssen also damit rechnen. Und ich glaube es ist gut, wenn wir auch einen positiven Aspekt darin sehen, dass es unterschiedliche Meinungen gibt, damit wir uns selbst bestimmen können, unsere Position korrigieren können, damit wir auch wissen, welche Meinungen überhaupt vertreten werden können, wenn wir sie sehen in anderen. Das heißt Konsens in modernen pluralen Gesellschaften ist an sich bedenklich. Wir finden Konsens eher dort, wo die Menschen nicht die Freiheit haben, sich Meinungen zu bilden und öffentlich auszutauschen. Und dieser Wettkampf der Meinungen ist ein altes liberales Ideal, das unbedingt aufrechterhalten werden sollte meines Erachtens.

Melanie Bartos: Würden Sie sagen, dass das gut funktioniert oder sind das von Ihrer Seite auch eher zu Denkanstöße, wo man vielleicht an gewissen Stellen schrauben könnte. Auch was das Verhalten einzelner Bürgerinnen und Bürger in in demokratischen Prozessen betrifft, also wenn es darum geht sich überhaupt daran zu beteiligen.

Marie-Luisa Frick: Ein Anstoß für dieses Buch war definitiv der Eindruck, dass es hier hapert. Dass wir hier Defizite haben in vielen europäischen Gesellschaften - aber auch darüber hinaus. Dass wir langsam das Gespür verlieren, was Demokratie ist und dass wir auch das Gespür dafür verlieren, dass Unterschiede legitim und normal sein können, sofern sie einen gewissen Rahmen nicht sprengen, der genau diese Unterschiede auch zulässt und dass wir uns viel grundlegender mit politischer Ethik und überhaupt politischer Theorie befassen müssen, um auch die Krisenhaftigkeit der derzeitigen Situation entsprechend einordnen zu können, verstehen zu können und nicht völlig orientierungslos hier auch hysterisch gewissen Trends nachlaufen in jeder Hinsicht.

Melanie Bartos: Was haben Sie da vor Augen?

Marie-Luisa Frick: Ich habe vor Augen vor allem einen politischen Mainstream, der selbstgefällig, sehr überheblich auch zur Kenntnis nehmen muss, dass gewisses Terrain verloren geht an Gruppen, die man üblicherweise mit Begriffen bezeichnet, die sehr abschätzig sind und dass diese Frustration zugleich mit dieser Überheblichkeit entsteht sehr viel Gewalt, sehr viel sprachliche Gewalt, sehr Denkgewalt. Und ich glaube das Buch ist vor allem gerichtet an Leute aus meiner Gruppe sozusagen, die die sich irgendwo für die Avantgarde. Ich will jetzt nicht sagen für Elite halten, aber doch die Menschen, die glauben ein Bodensatz unter Anführungszeichen der Gesellschaft rebelliert und dann muss man wieder den Zaum bekommen und diese Stimmung finden wir sehr verbreitet und das ist nicht unbegründet, aber die Form, wie oft dieses Unbehagen, diese Frustration sich artikuliert ist durchaus bedenklich. Da muss man sich selbst zurücknehmen und korrigieren.

Melanie Bartos: Was meinen Sie mit korrigieren? Sie meinen also wirklich komplett einen Schritt zurückgehen? Wie Sie vorher schon angedeutet haben - das ist auch in meiner Wahrnehmung ein ganz wesentlicher Punkt - dass Demokratie und diese, wie soll ich sagen, dieser Aspekt, dass Demokratie etwas schützenswertes und schätzenswertes ist und dass man dafür eben nicht nur nicht nur die Rechte einer Demokratie genießen kann, sondern vielleicht auch gewisse Pflichten hat. Das scheint ja doch an manchen Stellen etwas in den Hintergrund gerückt zu sein. Wahrscheinlich meinen Sie auch dass wenn sie von dieser krisenhaften Stimmung eher sprechen? In welche Richtung kann das gehen?

Marie-Luisa Frick: Diese Pflichten die Sie angesprochen haben. Ich habe sehr detailliert versucht zu zeigen, dass es diese Pflichten in ethischer Hinsicht gibt, vorausgesetzt man unterstützt das demokratische Ideal, die sich vor allem auf die Fragen der Meinungsbildung beziehen. Wie bilde ich mir meine Meinung? Und hier, glaube ich, sind wir alle aufgefordert, wenn wir die Demokratie, wie Sie sagen, als Ideal, als nicht ganz perfektes, aber doch relativ klares Ideal vor Augen haben, dass wir uns selbst die Mühe machen, Meinungen zu hören, die unseren eigenen entgegenstehen. Dass wir uns die Mühe machen, uns anderen Meinungen auszusetzen in einer Diskussion und dass wir uns auch die Mühe machen, andere zu verstehen, ohne sie abzuwerten mit Begrifflichkeiten, die eher einer Entlastung gleichkommen, ja mit diesen Menschen muss ich nicht reden, die sind et cetera et cetera. Ich brauche gar nichts einfügen, ich glaube, jeder weiß, was ich meine. Und von dem her ist Demokratie nicht einfach. Sie ist eben dann nicht einfach, wenn man nicht voraussetzen kann und das darf man nicht, dass alle die gleiche Meinung haben. Und es ist leicht die Demokratie zu loben, wenn die eigene Gruppe an Stärke dauerhaft abgesichert ist. Und es ist schwierig die Demokratie zu loben wenn man unterliegt mit seiner Weltanschauung in bestimmten Auseinandersetzungen, Abstimmungen und auch diskursiven Kämpfen. Aber die Demokratie sollte nicht davon abhängen, ob ich gerade obenauf bin oder andere oder mein Commitment zur Demokratie sollte nicht von meiner eigenen Stärke oder Schwäche abhängen im politischen Kampf, Wettkampf, sondern sollte grundsätzlich auf Prinzipien aufgebaut sein und der Einsicht, dass die Demokratie trotz aller Schwächen das überlegene Modell ist, Gewalt zu sublimieren, die ansonsten aufbricht, wenn man eben nicht eine demokratische Gegnerschaft lebt, sondern in Feindschaften denkt und operiert.

Melanie Bartos: Haben Sie das Gefühl, dass das in Gefahr ist grundsätzlich?

Marie-Luisa Frick: Ja. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.

Melanie Bartos: Also tatsächlich in ihren in ihren Grundfesten in Gefahr. Wenn wir jetzt also wahrscheinlich in einer europäischen Perspektive in dem Fall nicht nur ich bin auch regelmäßig in den Vereinigten Staaten da gibt es ähnliche Situationen. Das ist keine schöne Perspektive. Sie haben vorher gesagt, dass diese Ansicht, dass alle Menschen Teil dieser demokratischen Gesellschaft sind und sich dann mit den demokratischen Prinzipien identifizieren und sie nicht nur nutzen, sondern auch etwas dafür tun im Idealfall - so lange der Rahmen nicht gesprengt wird. Was wäre denn der Rahmen? Und was haben Sie denn da vor Augen?

Marie-Luisa Frick: Der Rahmen ist wie gesagt die materielle Souveränität, die Volkssouveränität, die gleiche Souveränität aller Mitglieder dieses Gemeinwesens und immer dort, wo die gleiche Souveränität untergraben, abgesprochen, verletzt wird, durch Taten, durch Sprache. Dann ist die Demokratie grundsätzlich bedroht. Demokratie ist immer bedroht, weil sie so hohe Ansprüche an den Menschen stellt. Und von dem her gibt es nicht: sie funktioniert oder sie funktioniert nicht, es sind Schattierungen. Es sind Grade und wir können uns immer nur an dieses Ideal annähern und da ist jedes einzelne Mitglied eines demokratischen Gemeinwesens gefordert im Sinne dieser Achtung der gleichen Souveränität auch diese Pflichten zu bewahren und selbst Vorbild zu sein für andere. Das heißt, immer wenn Menschen die gleiche Souveränität anderer verletzen, indem sie sie für unbeachtlich erklären, für vielleicht auch Untermenschen im schlimmsten Fall, dann färbt das ab. Das ist etwas Toxisches, was ansteckt. Das heißt ein politischer Diskurs kann auch Vergiftungserscheinungen zeigen. Ich glaube, wir sind in einer Situation, wo jeder - da muss ich gar nicht groß den Menschen etwas erklären - spürt, dass wir hier durchaus auch Probleme zu bewältigen haben.

Melanie Bartos: Wenn wir von einer demokratischen Arena ausgehen, auf der wir uns alle bewegen, wo es für verschiedene Dinge Platz geben kann und muss, wie Sie sagen und verschiedene Aushandlungsprozesse stattfinden, wo das aber trotzdem alles seinen Platz hat: Wie gehe ich dann in einer Demokratie mit jenen Menschen oder Gruppierungen um, die diesen demokratischen Aspekt nicht respektieren oder die sich eben nicht mit der Demokratie identifizieren. Damit bin ich dann trotzdem irgendwo konfrontiert. Gibts da die rote Linie? Kann man die definieren? Oder wie würden Sie sagen, kann man damit umgehen? Weil ich denke, dass das glaube ich, auch etwas ist, was wir durchaus - auch wenn wir in österreich schauen - leider an manchen Stellen beobachten können.

Marie-Luisa Frick: Ich habe das Thema aufgegriffen im Buch unter dem Aspekt: Grenzen der Gegnerschaft, wo die Gegnerschaft vielleicht in Feindschaft übergeht, wenn man nicht dieses demokratische Ideal der gleichen Souveränität teilt, sondern den anderen schon entwertet, in den Abgrund der Feindschaft stößt, ihn nicht als gleichberechtigten Teilhaber dieses Gemeinwesens begreift. Und das sind die ganz schwierigen Fragen der Demokratie, der Demokratietheorie, weil wir einerseits ein Paradox, haben das landläufig als das demokratische Paradox bezeichnet wird: die Selbstabschaffung, die Möglichkeit der Selbstabschaffung von Demokratien. Aber wir haben auch das antidemokratische Paradox auf der anderen Seite, dass wir gewisse Menschen mit nicht demokratischen Maßnahmen daran hindern müssen, ihre volle Souveränität zu entfalten. Wir sind also in einer Dilemma-Situation. Es gibt hier keinen klaren Weg, wie wir zwischen diesen beiden Dilemmata so manövrieren, dass wir nie irgendwo Schwierigkeiten haben uns zu rechtfertigen, zu hinterfragen. Wichtig erscheint mir Folgendes: Eine Demokratie muss insofern wehrhaft sein als sie alle Versuche, mit Gewalt - das ist nämlich die Methode, die Demokratie per Definition auch ausschließt, dadurch, dass sie die gleiche Souveränität aller achtet - also die mit Gewalt versuchen, ihre Meinungen durchzusetzen ganz scharf in die Grenzen weist. Die Frage ist: Was machen wir mit Bewegungen, die nicht zu Gewalt greifen, also Gruppen, die noch keine oder keine paramilitärische Struktur haben, aber dennoch die Demokratie an sich nicht befürworten, sondern ein Gegenkonzept haben, aber mit demokratischen Mitteln für dieses Gegenkonzept werben. Ich glaube hier können wir nicht wirklich vor der eigenen Verantwortung zurückschrecken, die darin besteht, auch diese Gruppen im demokratischen Diskurs ernst zu nehmen, ihnen demokratisch entgegenzutreten und in diesen Wettbewerb einzusteigen. Meine persönliche Meinung wäre: So lange keine Gewalt angewandt wird, gerechtfertigt wird, demokratische Spielregeln eingehalten werden, müssen wir auch mit nicht lupenreinen Demokraten oder sogar Antidemokraten demokratisch umgehen.

Melanie Bartos: Warum?

Marie-Luisa Frick: Weil die Demokratie sonst - wie gesagt - in dieses antidemokratische Paradox fällt, dass wir die souveräne Gleichheit von anderen beschränken auf Verdacht hin. Und dieser Verdacht lässt sich zusätzlich relativ leicht instrumentalisieren. Wir sehen es auch mit vielen Gruppen, wo behauptet wird, sie sind nicht wirklich demokratiereif, sie wollen die Demokratie letztlich unterminieren oder überhaupt überwinden. Solange wir keine Gewalt sehen, keine Vorbereitungen für Gewalt, keine paramilitärischen Strukturen, ist es eine Behauptung, die auf etwas gerichtet ist, was ich nicht substanzivieren lässt, wo wir einfach zu wenige Evidenzen haben und der Missbrauch solche Argumente ist ganz schwerwiegend und kann ebenfalls wie gesagt zur Schädigung der Demokratie führen.

Melanie Bartos: Ist es dann aber auch Teil dieses demokratischen Paradox, also mit dem Paradoxon, mit dem wir offenbar zu kämpfen haben, dass auch dieser Vorwurf oder der Gedanke aufkommen könnte: Wenn wir diese Gruppierungen, die Sie jetzt geschildert haben, dann aber sozusagen in die demokratische Arena hereinholen, wir ihnen ja erst sozusagen die berühmte Bühne bieten, die wir vielleicht gar nicht so gerne wollen würden?

Marie-Luisa Frick: Wir entscheiden nicht als Individuen, wem wir eine Bühne bieten. Volkssouveränität heißt: die Bevölkerung, die Mehrheit eines demokratischen Gemeinwesens entscheidet, welche Gruppen für sie sprechen, für sie handeln, welche Personen diese Bühne betreten. Das heißt, es ist eine Frage, die uns als Individuen nicht zusteht. In der Gemeinschaft wird diese gestellt. Und wenn ich vielleicht ein Beispiel bringen darf, das ein bisschen von Österreich weggeht: Denken wir an Ägypten. Denken wir an den Arabischen Frühling, der die Muslimbrüder stark gemacht hat und das war eine Partei, wo sehr viele gesagt haben, dieser Partei kann man nicht trauen. Sie werden die Demokratie zerstören und man hat sie weggeputscht, nachdem sie sich relativ deutlich positioniert haben für Rechtsstaatlichkeit und auch gewisse Garantien für Minderheiten. Was ist passiert? Jetzt haben wir in Ägypten einen Diktator, der Gesetze erlässt, die man den Muslimbrüder nicht zugetraut hätte. Ein neues Gesetz, das Atheisten unter Strafe stellt nur für ihre Weltanschauung, schwere Strafen androht nur für diese Weltanschauung. Es heißt, dieser Verdacht, dass gewisse Gruppen die Demokratie aushöhlen: Man muss hier sehr, sehr vorsichtig vorsichtig sein und diese Gruppen an ihren Taten messen.

Melanie Bartos: Aber das heißt, die Schwierigkeit liegt dann letzten Endes vor allem auch darin, überhaupt zu beurteilen. Also wir tun uns auch selber schwer, wenn ich Sie richtig verstehe auch aus ihrer philosophischen Sicht überhaupt dann zu definieren, was ist Demokratie und was ist demokratiepolitisch noch vertretbar und was nicht.

Marie-Luisa Frick: Ich habe versucht Demokratie zu definieren über diesen Kern, wie gesagt, gleiche Souveränität und daraus kann man dann gewisse weitere Aspekte der Demokratie ableiten, die sich auf das Formale beziehen. Wenn die Herrschaft bei der Bevölkerung liegt und die Autorität Gesetze zu erlassen und auf Basis dieser Gesetze zu herrschen, dann folgt daraus, wenn man voraussetzt, dass nicht immer alle einer Meinung sind, dass wir Minderheiten haben werden und dass auch diese demokratischen Minderheiten die gleiche Souveränität besitzen selbst dann natürlich, wenn sie unterliegen in bestimmten Entscheidungsfragen. Dass auch wiederholte Abstimmungen nötig sind in einer Demokratie, weil das Volk zu einer bestimmten Zeit nicht das gleiche Volk ist zu einer späteren Zeit. Neue Menschen kommen hinzu andere sterben oder treten aus. Es heißt aus dieser gleichen Souveränität lassen sich weitere wichtige Aspekte der Demokratie ableiten, auch wenn man so will, das Gewaltverbot, weil die gleiche Souveränität verbietet den anderen auszuschalten mit physischer Gewalt. Und ich glaube, man kann Demokratie schon grundsätzlich in diesem sehr abstrakten Sinn verstehen und wir können immer noch darüber unterschiedlicher Meinung sein, wie oft müssen zum Beispiel Abstimmungen stattfinden. Wie geht man damit um, mit der Frage der Gewaltenteilung am besten? Wie macht man das mit den Höchstgerichten, mit den Parlamenten? Das sind sehr viele Fragen, wo man Schrauben drehen kann, wo es auch nicht die Demokratie gibt, die überall eins zu eins funktionieren und vorhanden sein muss. Ich glaube, es gibt eine Bandbreite an legitimen Verständnissen von Demokratie, sofern dieser Kern - wie gesagt - bejaht wird und nicht unterminiert.

Melanie Bartos: Sie haben gesagt, dass der Anreiz zu dem Buch "Zivilisiert Streiten. Zur Ethik der politischen Gegnerschaft" war, dass Sie diese demokratiepolitischen Aspekt, die jetzt geschildert haben, in gewisser Weise in Gefahr sehen. Was ist denn passiert, dass sie in Gefahr sind?

Marie-Luisa Frick: Ich glaube, wir haben eine Situation, wo viele Faktoren eine Rolle spielen. Ein Faktor ist sicher eine gewisse kulturelle Selbstvergessenheit. Wenn Demokratie und Menschenrechte bloße Schlagworte sind, wenn man glaubt, die verstehen sich eh von selbst, dann sind wir in einer ganz gefährlichen Richtung unterwegs. Ich setze den Standard schon relativ niedrig an, was Gefährdung betrifft. Fragen Sie irgendjemanden auf der Straße, fragen Sie einen Maturanten. Es werden Floskeln kommen und Floskeln sind insofern gefährlich, weil sie zeigen, dass wir keine Gründe haben. Wir haben Meinungen, Motive. Wir haben keine Gründe und gleichzeitig sind wir konfrontiert, nicht nur innerstaatlich sondern auch weltweit mit Gruppierungen, die Demokratie begründen können und sie gleichzeitig ablehnen, weil sie ein Gegenkonzept begründen, das sie der Demokratie gegenüberstellen. Wenn wir hier nicht gewappnet sind, dann werden wir einfach weiter so vor uns hinwerkeln, aber im Grunde wird niemand mehr in der Lage sein auch unser System zu durchdenken, zu verbessern und gegenüber anderen zu bewerben.

Melanie Bartos: Das heißt, wenn man es als zu selbstverständlich nimmt, setzt man das ganze System einer gewissen Gefahr aus?

Marie-Luisa Frick: Man erkennt auch den Wert nicht mehr. Vor allem natürlich wenn wir jetzt denken, es sind jetzt schon die Ururenkel der Weltkriegesüberlebenden. Die Zeit, wo wir das letzte Mal eine Diktatur hatten, ist zum Glück weit zurück. Aber für eine demokratiepolitische Sicht ist genau dieser Abstand natürlich auch insofern problematisch als das Bewusstsein dafür, was es heißt, in einer Diktatur zu leben, schwindet.

Könnte man dann ganz provokant formulieren... Ich hänge sehr an diesem Paradoxon der Demokratie, das Sie vorhin gesprochen haben, dass es sozusagen Teil der Demokratie ist, dass sie sich zwischendurch selber abschaffen muss, damit sie nachher wieder besser funktioniert? Wenn sie auch des Weltkriegsbeispiel ansprechen oder is das - ich hoffe nicht so?

Marie-Luisa Frick: Ich habe eine Lösung unter Anführungszeichen - es gibt keine wirklichen Lösungen - vorgeschlagen für dieses Paradox: Einerseits nicht zu vorschnell Gruppen auszuschließen, denen man misstraut. Das wäre eine Regel. Aber meine Lösung wäre zu sagen: Eine Demokratie kann sich nicht auf Dauer selbst abschaffen, weil die gleiche Souveränität auch der Nachkommen zu berücksichtigen ist, die müssten gefragt werden, wollen sie das. Das heißt eine Diktatur müsste sich ebenfalls wiederholt der Legitimitätsfrage stellen. Und das widerspricht sich mit dem Konzept. Das heißt die Selbstabschaffung der Demokratie wäre aus meiner Sicht ein Selbstwiderspruch. Zumindest die dauerhafte Abschaffung.

Melanie Bartos: Aber es kann sozusagen - und vielleicht beobachten wir das jetzt ja an gewissen Stellen - Ich hab da, muss ich schon sagen, teilweise für mich persönlich auch schockierende Werte bei Wahlbeteiligungen vor Augen. Da könnte man ja schon das Gefühl bekommen, dass es zumindest nicht allzu gut läuft im Moment. Wenn sich das, wenn man wenn man eine Perspektive einnehmen würde, aus der heraus man vielleicht davon ausgeht, dass das noch zunimmt, dann wären wir ja wahrscheinlich irgendwann an einem Punkt, wo zumindest andere Konzepte wieder flächendeckender irgendwo Fuß fassen könnten.

Marie-Luisa Frick: Ja zum einen ist das Desinteresse an Wahlen ein Problem, zum anderen ist es ein Symptom für noch tiefer reichende Probleme. Wenn Menschen glauben, sie haben keine Wahl, es gibt keine Alternative, dann werden sie Demokratie auch nicht als das freie Feld des Handelns erleben, das es eigentlich ist. Demokratie heißt Freiheit mit allen Konsequenzen, mit aller Tragik. Er Selbstabschaffungsproblematik. Wenn Menschen glauben, sie haben diese Freiheit nicht und es ist ohnehin egal, wer an der Spitze steht und wer bei Wahlen den Sieg davonträgt, dann ist Demokratie an sich schon beschädigt. Das zeigt ein dysfunktionales demokratisches System hin. Und daher nochmal man Pladoyer für zivilisierten Streit, für unterschiedliche Positionen, die sich grundsätzlich ihre Legitimität nicht absprechen, sondern in diesen demokratischen Wettstreit eintreten, engagiert eintreten.

Melanie Bartos: Da könnte man aber dann aus der Sichtweise heraus durchaus vielleicht auch die Amtsträgerinnen und Amtsträger in ihre Pflicht nehmen, die - wenn man zum Beispiel wir hatten das sozusagen als Einstieg in die Thematik mit dem zivilisierten Streiten, wenn man sich den letzten Wahlkampf in österreich vor Augen hält oder was wir jetzt erlebt haben in Tirol. Wenn man sozusagen die demokratischen Aushandlungsprozesse, die ja teilweise dann vor allem in Wahlkämpfen auf einer Diskussionsebene zumindest stattfinden sollten: Da kann man ja natürlich teilweise den Eindruck gewinnen, die sagen alle das Gleiche, das ist nicht vertrauenswürdig, das ist nicht authentisch. Da geht es nur um Machtpositionen. Dass das auch dazu beiträgt, dass das Vertrauen an Demokratie bei vielen Menschen verloren geht oder wo sind sehen Sie da die Punkte?

Marie-Luisa Frick: Ich glaube, es ist ein Punkt, weil es zeigt, dass Menschen, die sich diesen authentischen Anstrich geben, erfolgreich sind in vielen Ländern. Das zeigt auf ein Bedürfnis hin, das die Menschen haben. Sie wollen politische Verantwortungsträger, die eine klare Sprache üben, die sagen, was sie tun und einfach artikulieren, was sie vorhaben und - wie gesagt - Sie sehen diese Politiker, die das offenbar können, sind derzeit gut im Kurs. Das kann man mögen, kann man nicht mögen, aber es zeigt ein Bedürfnis hin und dieses Bedürfnis ist sicher ernst zu nehmen.

Melanie Bartos: Ein legitimes Bedürfnis.

Marie-Luisa Frick: Alles in der Demokratie ist, fast alles, in der Demokratie ist legitim, weil die Herrschaft legitimerweise bei den Menschen selbst liegt. Es gibt keine Instanz, die den Menschen verordnen kann, was sie wollen. Das ist Freiheit.

Melanie Bartos: Wenn Sie sich so viel beschäftigt haben mit dieser Frage, würde mich interessieren, wo sehen Sie die Perspektive? Was glauben Sie, in was für eine Richtung wir uns bewegen werden in den nächsten Jahren, Jahrzehnten in der Hinsicht? Wird die Demokratie vielleicht wieder Särkung erfahren?

Marie-Luisa Frick: Ich hoffe es. Ich bin keine Schwarzmalerin. Ich glaube, dass es auch mit gewissen Verschiebungen im politischen Spektrum durchaus wieder lebendiger zugehen wird in den Parlamenten, Deutschland ist ein Beispiel, wo wir sehen, dass die Menschen durchaus Anteil nehmen, wenn Debatten wieder ernsthaft, kontrovers, engagiert geführt werden. Auch vormals verpönte Standpunkte ihren Platz haben im demokratischen Wettstreit. Und das könnte der Demokratie langfristig nützen, aber ich bin keine Wahrsagerin, ich bin selbst sehr neugierig. Ich bin gespannt, was ich selbst noch erleben werde. Hier und in anderen Ländern, was Demokratie betrifft. Grundsätzlich haben wir sehr viel zu verlieren und daher sollten uns auch kleine Fortschritte freuen, genauso wie uns kleine Rückschritte durchaus zu denken geben sollten.

Melanie Bartos: Sie haben erwähnt, dass es ja auch ganz viel davon abhängt, dass ich sozusagen auch als einzelne Bürgerin oder Bürger einen Schritt zurückgehen sollten und mir maldie Frage stellen, als Teil einer demokratischen Pflicht sozusagen, wie ich mir eine Meinung bilde und auf was das dann fußt und welche Aspekte da einfließen. Ist das etwas, was man lernen kann oder wo der Bildungssektor in der Verantwortung ist? Wie sehen Sie da die Herangehensweise, dass das vielleicht auch an manchen Stellen besser funktioniert in Zukunft?

Marie-Luisa Frick: Demokratie ist sicher nichts, was wir von Natur aus, von Haus aus mitbringen sls Kompetenz, als Vermögen. Es erfordert sehr viel Selbstüberwindung, sich mit anderen auseinanderzusetzen, nicht zu diktieren, sondern zu überzeugen, Argumente zu gewichten, das eigene Argument auch unterliegen zu sehen, erfordert sehr viel Frustrationstoleranz. Natürlich muss man das lernen. Das kann man im Elternhaus lernen Man sollte es in der Schule lernen sollten. Man sollte es an den Universitäten lernen. Man sollte es von Freunden lernen können. Das heißt überall kann Demokratie gelehrt und gelernt werden, wo es Vorbilder gibt, wo es Personen gibt, die sich dieser Prinzipien, die die Demokratie voraussetzt, bewusst sind und die auch in ihrem Alltag umsetzen.

Melanie Bartos: Und Sie glauben nicht, dass der Mensch per se mit einem - wie soll ich sagen - gewissen demokratischen Gen ausgestattet ist?

Marie-Luisa Frick: Das wäre in der Geschichte nicht evidenzbasiert.

Melanie Bartos: Das stimmt wiederum. Ja. Die richtig guten Dinge muss man sich erarbeiten.

Marie-Luisa Frick: Stimme zu.

Melanie Bartos: Ich habe Sie an einer Stelle einmal bei einem Beitrag, den ich mit Ihnen gestaltet habe, auch mit dem Satz zitiert: Demokratie ist keine Komfortzone. Ich glaube, dass haben wir jetzt recht deutlich herausgearbeitet, warum. Es ist aber so, dass Sie auch in anderen Zusammenhängen, wo Sie sich auch mit anderen Bereichen in Ihrer Arbeit beschäftigen, immer wieder betonen, dass es auch wichtig ist, die Komfortzonen zu verlassen immer wieder. In was für eine Richtung gehen da Ihre Gedanken? Ist das auch anzubinden an demokratische Pflichten, die man vielleicht hat? Zum Beispiel sich auch mit Dingen zu konfrontieren auf dieser Welt, die nicht in gesellschaftlichen Formen leben wie wir. In was für eine Richtung denken Sie da?

Marie-Luisa Frick: Ich würde das nicht als universelle Pflicht allen Menschen aufbürden, nicht einmal in allen demokratischen Gemeinwesen. Aber ich halte es für einen Wert, sagen wir so. Ich würde es jetzt nicht das Pflicht formulieren. Aber es ist ein Wert, dass man sich den Horizont erweitert und Horizonte erweitern sich in der Regel nicht nur durch die angenehmen Einflüsse, sondern oft auch durch Irritationen oder oft durch beschwerliche Prozesse des sich Aneignens von Fremdheit, Aneignen von Orten, von Kulturen und diese Komfortzone, die ich in diesem Fall, glaube ich, angesprochen habe, war, dass man in Mitteleuropa sitzt und glaubt, das ist das Zentrum der Welt. Und ich sehe das bei vielen Menschen, leider auch bei jungen Menschen, dass die Bereitschaft wirklich hinauszugehen auch etwas abenteuerlicher zu leben abnimmt, was verständlich ist, denn wo ich jung war - schon ein bisschen her aber doch nicht so lange - da war das noch gerade kurz vor dem 11. September 2001. Die Welt war eine andere. Die Gefahren waren andere. Und ich nehme das den Menschen nicht übel, dass sie sich dann eher wieder - und man zieht den Trend global - in ihr Schneckenhaus zurückziehen, wo sie diese Vertrautheitsgefühle erleben und wo es überschaubar ist. Aber wer über die Welt etwas wissen will, wer sie verstehen will, der muss sich genau diesen Irritationen und auch Beschwerlichkeiten aussetzen. Denn die Welt ist ist sicher nicht Mitteleuropa, das ist ein Sonderfall. Es ist ein kleiner Teil und das ist niemals repräsentativ für das Ganze, was draußen noch zu entdecken ist, draußen unter Anführungszeichen.

Melanie Bartos: Was ist dann der Normalfall, wenn Europa der Sonderfall ist oder Mitteleuropa zumindest?

Marie-Luisa Frick: Der Normalfall sind sicher nicht funktionierende Staaten und Wohlfahrtszonen. Der Normalfall ist etwas zwischen Apokalypse und diesem Ideal, das wir weitgehend repräsentieren. Der Normalfall ist halb funktionierende Staaten, ethnische Identitäten, die stärker sind als nationale, Gewalt, die präsenter ist, die auch keine großen Folgen nach sich zieht außer man hat starke Verbündete und Familien und Gruppen, die einen dann unterstützen. Armut, mangelnder Zugang zu Ressourcen ist der Standardfall. Das heißt, wir sind die Ausnahme und die Regel - unter Anführungszeichen - ist weitaus unkomfortabler und auch trister.

Melanie Bartos: Wie konnten wir zu dieser Ausnahme werden?

Marie-Luisa Frick: Das ist eine Frage, die ich mir selbst immer stelle, vor allem frage ich mich oft: Wie haben wir es verdient?

Melanie Bartos: Haben Sie den Eindruck, dass wir es vielleicht gar nicht oder zumindest an manchen Stellen nicht ganz verdient haben?

Marie-Luisa Frick: Das hab ich nicht. Ich glaube, wir sind gesegnet mit gewissen Umständen. Unsere Vorfahren haben auch ihren Beitrag geleistet, Stichwort überwindung der Diktatur. Aber wir haben auch Begünstigungen von anderen erlebt, wir haben Hilfe erfahren. Und das sollte uns auch zu denken geben, was unsere eigene Verantwortung in der Welt betrifft. Auch wenn ich davor warnen würde, zu glauben ein paar wenige reiche Staaten in Europa können die Welt retten. Ich glaube, da fallen wir dann sehr schnell wieder in alte Muster zurück, die paternalistisch bis kolonialistisch sein könnten.

Melanie Bartos: Sie würden jetzt auch nicht so weit gehen, auch wenn wir zum Beispiel jetzt grundsätzlich davon ausgehen, dass in Mitteleuropa demokratische Strukturen zumindest in großen Teilen oder in gewissen Abläufen ja trotzdem anerkannt sind und etabliert sind und verfassungsrechtlich etabliert sind, dass wir nicht quasi uns als die globalen Vorbilder sehen sollten, nach denen alle Gesellschaften streben sollten.

Marie-Luisa Frick: Zumindest nicht eins zu eins. Ich glaube, wir sind Vorbilder in vielerlei Hinsicht. Und das bezeugen ja auch Anstrengungen anderer Nationen, sich an uns zu orientieren, was Wohlstand betrifft, was Rechtsstaatlichkeit betrifft und menschenrechtliche Sicherheiten. Aber ich glaube, es gibt mehr als einen Weg für unterschiedliche Länder, unterschiedliche Regionen, sich zur Zivilisation, zur Demokratie, zum Wohlstand aufzuschwingen. Ich glaube, ein bisschen Sensibilität für einen Pluralismus von Herangehensweisen wäre, glaube ich, sehr, sehr wichtig.

Melanie Bartos: Würden Sie sagen, dass die Menschenrechte nur in Gesellschaften gewahrt werden können oder eingehalten werden können, die demokratisch sind?

Marie-Luisa Frick: Das ist eine Frage, die ganz grundsätzlich umstritten ist. Die Mehrheit der Theoretiker sagt, nur in demokratischen Gesellschaften sind Menschenrechte dauerhaft schützenswert. Ich bin tendenziell dieser Meinung, sehe aber auch die Möglichkeit zumindest gewisse Menschenrechte, die wahrscheinlich uns nicht reichen würden, die wahrscheinlich defizitär sind, auch in religiös verfassten Staaten zum Beispiel zu garantieren. Es wird verhandelt unter dem Stichwort religiöser Konstitutionalismus. Und ich glaube, man kann es nicht vorschnell ausschließen, aber ich würde tendenziell sagen, Demokratie und Menschenrechte sind nicht nur gleich ursprünglich historisch, sie sind auch konzeptionell so eng verschränkt, dass man sie nicht trennen sollte.

Melanie Bartos: Und dass sie auch so quasi zusammen am besten funktionieren, wenn man es so einfach formulieren wollen würde.

Marie-Luisa Frick: Das wäre schon meine Sichtweise.

Melanie Bartos: Gut, da hat man dann natürlich an vielen Stellen - und da sind wir dann vielleicht bei den Unterschieden, die es, wenn man es global sieht, gibt, außerhalb Europas, allein schon aus der Hinsicht natürlich gewisse Probleme sozusagen.

Marie-Luisa Frick: Ein Hauptproblem ist nicht nur, dass es unterschiedliche Auffassungen gibt, was Menschenrechte sind, sondern dass viele Staaten auch mit bestem Willen nicht in der Lage sind diese Rechte zu schützen. Entweder weil sie keine voll entwickelten Zentralstaaten sind oder weil ihnen einfach die Ressourcen fehlen. Menschenrechte zu schützen ist immer auch eine Ressourcenfrage. Und das heißt, auch hier sind wir in einer sehr privilegierten Position. Die Frage ist, was folgt daraus auch für unsere Verpflichtungen, für unser Selbstverständnis. Das ist eine Frage, die ich mir selbst auch immer wieder stelle, ich habe keine abschließende Antwort. Aber es muss uns klar sein, dass die Welt außerhalb Europas mit anderen Fragen, Problemen konfrontiert ist, als wir sie hier haben. Denken wir zum Beispiel an Frauenrechte. Wir haben den Luxus über wirklich - ich sags jetzt ganz provokant - Randthemen zu diskutieren, die global betrachtet nicht nur Randthemen sind sondern Nullthemen. Ich habe heute wieder zufällig gelesen, dass viele Mädchen - ist ein bekanntes Phänomen, aber es wird auch in den Medien präsentiert und thematisiert - viele Mädchen in Entwicklungsländern an den Tagen, wo sie menstruieren nicht die Schule besuchen, weil einfach keine Hygiene-Vorrichtungen vorhanden sind, keine Toiletten. Das sind die Probleme, die Frauen haben weltweit, dass sie vielleicht eine Woche im Monat den Schulbesuch verpassen, weil einfach gewisse Standards nicht da sind. Das muss man sich einfach vor Augen halten, klarmachen und das ist nur ein Beispiel von sehr vielen. Global betrachtet sind Menschenrechte wirklich auch praktische Probleme.

Melanie Bartos: Das ist ein interessanter Punkt. Das ist ein Zugang, den viele vielleicht in der Form gar nicht haben, dass die Umsetzung oder die Einhaltung der Menschenrechte, wie Sie sagen, letzten Endes an vielen Stellen nicht unbedingt am Willen, sondern an den vorhandenen Ressourcen scheitert, wo wir dann wieder bei Ungleichheiten sind, die global vorhanden sind. Weil das ist ja schon auch Mitteleuropa: dieser Gedanke, bei uns ist alles in enormen Überfluss vorhanden, während es an anderen Orten in dieser Welt überhaupt nicht der Fall ist. Und das ja vielleicht auch nur deshalb funktionieren kann, weil es dieses Ungleichgewicht gibt.

Marie-Luisa Frick: Das weiß ich nicht, aber es ist jedenfalls zutreffend, dass wir uns oft gar nicht vorstellen können, an welchen banalen Hindernissen oft der Genuss von Menschenrechten scheitern kann. Zusätzlich kommt natürlich noch der ideologische Konflikt über bestimmte Menschenrechte und oft ist die Frage der Ressourcen auch eine Willensfrage: Möchte ich diesen Mädchen den Schulbesuch ermöglichen, indem ich die Schulen entsprechend ausstatte mit Sanitäranlagen? Das kann schon auch eine Willensfrage sein, aber wir müssen, glaube ich, wenn wir auch über Menschenrechte denken, viel globaler denken als wir es derzeit tun.

Melanie Bartos: Was heißt das dann aber für mich, wenn ich das tue. Und wenn wir jetzt bei dem Beispiel der Frauenrechte bleiben und ich hier sozusagen als Melanie in Innsbruck mit Situationen konfrontiert bin als Frau, die ja - also wir sind uns einig, dass es auch bei uns noch Luft nach oben gibt was das betrifft.

Marie-Luisa Frick: Sehr wenig, aber ja.

Melanie Bartos: Und ich versuche dann diese globale Perspektive vor Augen zu haben oder stärker vor Augen zu haben, wo es natürlich, was Frauenrechte betrifft, noch ganz massive Baustellen gibt sozusagen. Wie beeinflusst das mein Handeln hier vor Ort?

Marie-Luisa Frick: Das kann ich Ihnen als Melanie Bartos nicht vorschreiben. Aber wenn Sie mich fragen, würde ich Ihnen sagen, überlegen Sie sich was Ihre Prioritäten sind, wohin sie Ihre Energie, auch ihre Empörungsenergie, auch Ihre finanzielle Unterstützung fließen lassen. Was ist Ihnen wichtig? Ist Ihnen wichtig, dass Europa in Sachen Frauenrechte 120 Prozent der Standards erfüllt oder wollen Sie sich vielleicht eher dafür engagieren, dass andere Gesellschaften vielleicht auf die über 50 Prozent kommen? Das wäre mein persönlicher Zugang. Es schließt sich nicht aus, aber man kann nicht überall gleich präsent sein, man kann sich nicht überall gleich engagieren. Und irgendwann wird diese Entscheidung dann schon relevant sein.

Melanie Bartos: Sie werden eher dafür plädieren, da eigentlich im Grunde - und das könnte man ja dann nicht nur auf den Bereich der Frauenrechte umlegen, Da gibt es verschiedenste Gebiete, die gerade im Vergleich Europa und Rest der Welt und vielen Stellen nicht einmal vergleichbar sind - da sozusagen zu relativieren?

Marie-Luisa Frick: Ich würde sagen, in den Kontext zu setzen und Proportionen zu wahren. Das würde für viele weitere menschenrechtliche Bereiche aus meiner Sicht gelten. Denken wir an das Beispiel der Religionsfreiheit. Wir haben Fragen der Religionsfreiheit mit religiösen Symbolen. Das ist alles wichtig. Das ist alles schön und gut, aber wir müssen doch mal auch einen Blick nach außen werfen und sehen, dass die Frage der Religionsfreiheit für viele Menschen eine Frage von Leben und Tod ist. Und auch wenn wir das nicht bei uns in dieser Deutlichkeit sehen, es gibt aber auch hier Ansätze es zu sehen. Dann sollten wir sehen, dass es ein Spektrum an Problemen gibt, ein Spektrum auch wo Gravität gewichtet werden kann und wo wir sehen, Religionsfreiheit ist eben nicht nur eine Frage, hängt ein Kreuz in einer Klasse. Wichtige Frage. Ich persönlich bin dagegen, dass Kreuze in öffentlichen Gebäuden hängen, aber das ist eine kleine Frage, da kann man ganz unterschiedlicher Meinung sein. Gleichzeitig Religionsfreiheit ernst nehmen als Menschenrecht würde bedeuten sich viel stärker für Minderheiten einzusetzen, die in bestimmten Gesellschaften massiv gefährdet und verfolgt werden.

Melanie Bartos: Aber das sind wir da nicht wieder in einer Position, wo wir als Europäerinnen und Europäer diese Rolle der "Und wir zeigen euch jetzt wie es geht" einnehmen.

Marie-Luisa Frick: Ich würde nicht sagen, wir zeigen euch wie es geht. Jeder, der sich an Menschenrechten orientiert, wird in Europa Beispiele finden, aber vielleicht auch negative. Ich würde eher sagen, es ist eine Wert- Grundhaltung, die sehr oft beschworen wird auch von politischen Funktionsträgern, aber sehr selten wirklich konsistent, eigentlich nie konsistent umgesetzt wird. Es wäre für ein Europa, das sich für Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und für Freiheit engagiert, ausgesprochen wichtig hier einen konsistenten Zugang zu haben und gewisse Themen ganz stark vorne auf die Agenda zu setzen. Das wäre aus meiner Sicht tatsächlich auch der Schutz von religiösen Minderheiten.

Melanie Bartos: Sehen Sie da noch andere Bereiche, wo es viel Bedarf gibt? Was haben Sie da vor Augen? Wenn wir religiösen Aspekt haben einerseits.

Marie-Luisa Frick: Die Frauenrechte wurden angesprochen. Ich glaube,der nächste Schritt wäre im Bereich der praktischen Umsetzung von Menschenrechten auch mit Technologietransfers, mit gewissen Wirtschaftsförderungen und Hilfeleistungen, gewisse Gesellschaften zu befähigen, diese Probleme in ihren jeweiligen Kontexten zu lösen. Und es sind ganz praktische wiederum Überlegungen. Ich komme jetzt nochmal auf die Mädchen zu sprechen, da gibt's noch ein anderes interessantes Beispiel. Viele Mädchen können auch deshalb nicht zur Schule gehen, weil sie familiär dazu bestimmt sind, das Wasser heranzuschaffen und je größer die Distanz vom Dorf zum nächsten Brunnen desto schwieriger ist natürlich ein Schulbesuch damit zu vereinbaren. Das heißt, auch Brunnen-Bauprojekte - so einfach sich das für uns anhört - ist nicht nur der Zugang zu Wasser als Ressource eine ganz wichtige Lebensgrundlage, sondern ermöglicht auch den Mädchen, sich frei zu spielen von dieser Zeit des Wassertragens, um sie vielleicht dann eher in eine Schule zu überführen. Das heißt, das sind praktische Zusammenhänge, die in der Entwicklungszusammenarbeit natürlich schon längst bekannt sind, wo man aber, glaube ich, noch viel stärker weitere solche Zusammenhänge aufschlüsseln, ergründen und entsprechend dann auch für sich einsetzen könnte.

Melanie Bartos: Aber was würden Sie sagen, weil das ist dann vielleicht doch noch einmal ein anderer Bereich, sind wir da auf einem guten Weg? Oder haben Sie das Gefühl, wir konzentrieren uns eigentlich ziemlich, so ziemlich auf die falschen Dinge?

Marie-Luisa Frick: Ich glaube, dass die europäischen Länder sehr viel machen in dieser Hinsicht, ob es genug ist, ist immer eine wichtige Frage. Es ist nie genug, solange die Welt nicht wirklich perfekt ist, aber das wird sie nie sein. Das heißt, wo ziehen wir hier die Maßstäbe ein? Eine schwierige Frage. Viel wichtiger wäre es derzeit, glaube ich, anstatt Ressourcen zu vervielfachen, eine konsistente Politik zu haben, was Menschenrechte betrifft, was Außenpolitik betrifft. Und da scheint mir, ist die Europäische Union einfach, ja, sie schwimmt.

Melanie Bartos: Aber dann haben wir doch wieder eine, um wieder das Wort paradox zu bemühen, wenn wir das ein bisschen Revue passieren lassen, worüber wir gesprochen haben, einerseits die Situation, dass wir an ganz vielen Orten dieser Welt demokratische Prinzipien vor allem im Hinblick auf Menschenrechte noch überhaupt kaum etabliert haben - und wir verspielen sie vielleicht gerade wieder?

Marie-Luisa Frick: Ich weiß nicht, ob wir sie verspielen. Wir nehmen sie nicht ernst genug. Wir schätzen sie vielleicht nicht immer ausreichend, aber ich sehe diesen Widerspruch schon auch. Aber ich würde ihn nicht überbewerten. Die Welt ist nicht perfekt und es ist ganz schwierig, überhaupt so etwas zu etablieren wie relative Zonen der Stabilität. Ich glaube, auch das muss unsere Ansprüche dann etwas - da verwende ich das Wort sehr gerne - relativieren. Wir werden die Welt nicht in ein Paradies verwandeln, das dem Garten Eden entspricht, wo alle in Frieden leben und alle genug zum Leben haben. Dieses Ideal wird sich weder einstellen noch menschlich herstellen lassen. Es geht darum, Defizite möglichst auszugleichen, am Status Quo möglichst viel zu verbessern, aber im Bewusstsein, dass Perfektion nicht zu erreichen ist.

Melanie Bartos: Wenn wir sagen, der Anspruch ist nicht Perfektion, sondern auf das Bestmögliche hinarbeiten. Glauben Sie, dass der Antrieb immer aufrechterhalten bleiben kann?

Marie-Luisa Frick: Schwierig. Ich glaube, Menschen, die Utopien versprochen bekommen und endgültige abgeschlossene Lösungsperspektiven sind leichter zu motivieren, das zeigten auch die Ideologien in ihrer Geschichte und in ihren verheerenden Folgen. Aber dieser pragmatische Aspekt scheint mir doch der vernünftigere zu sein, auch wenn ich mit dem Wort Vernunft sehr sparsam umgehe, wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, aber persönlich würde ich dafür plädieren, für einen gewissen skeptischen Pragmatismus und trotzdem eine gewisse Bejahung des Lebens, wie es ist.

Melanie Bartos: Jetzt muss sich aber nachfragen: Warum gehen Sie mit dem Begriff Vernunft sparsam vor?

Marie-Luisa Frick: Weil ihn jeder zu jedem Zweck verwenden kann. Ganz viele Begriffe zur Vernunft ist ein ganz gutes Beispiel dafür. Und ich kann sie auch ganz schnell delegitimieren, wenn ich sage, das was Sie sagen, ist irrational oder Sie sind grundsätzlich unvernünftig und das passiert zu oft.

Melanie Bartos: Weil Vernunft nicht definierbar ist.

Marie-Luisa Frick: Jeder kann Vernunft definieren, wie er will und es wird keine abschließende einzige Definition von Vernunft geben. Aber jemandem die Vernunft abzusprechen, ist ein ganz beliebtes Mittel auch im politischen Diskurs, um sich mit jemandem gar nicht erst auseinandersetzen zu müssen.

Melanie Bartos: Ach so, das ist auch aus der Perspektive, dieses: die sind so unvernünftig oder nicht vernunftbegabt, dann spreche ich erst gar nicht mit ihnen. Ja, verstehe. Ich habe ganz am Anfang angesprochen, dass Sie sich mit ganz vielen verschiedenen Fragen beschäftigen. Das sieht man auch wenn man so Ihre Aktivitäten ein bisschen verfolgt. Woran arbeiten Sie denn jetzt im Moment? Ich hab zum ersten Mal eine Philosophin bei Zeit für Wissenschaft zu Gast und würde vielleicht auch noch gerne ein bisschen einen Blick darauf werfen, wie Sie arbeiten und wie man sich das vorstellen kann. Haben Sie immer wieder große Fragen, mit denen Sie sich beschäftigen und dann abarbeiten oder passiert ganz viel parallel oder wie kann man sich das vorstellen? Was ist im Moment Ihr Thema, mit dem Sie sich viel beschäftigen?

Marie-Luisa Frick: Ich würde sagen, so wie die meisten Philosophen bin ich eine Getriebene und zwar nicht meiner eigenen Gedanken oder Ideen, sondern einfach des Arbeitsbetriebes. Wir haben zum Beispiel morgen eine Tagung zum Religionsthema mit einer Kollegin. Die Tagungsvorbereitung wird mich heute den ganzen Tag noch beschäftigen und dann die Abarbeitung dieser Tagung, das heißt ich werde Rechnungen einreichen und sehr viel administrative Arbeit machen. Das gehört auch zur Arbeit selbst einer Philosophin und dann kommen Anfragen, wie ihre Vortragsanfragen. Dann kommen Publikationsanfragen und man hat sehr wenig Zeit, selbst Themen zu setzen. Das war eine Möglichkeit dieses Buch und ich freue mich einfach auf lange Pausen wie die Ferien, wo man tatsächlich in Ruhe neue Ideen auf sich zukommen lassen kann. Denn diese Ideen entstehen langsam und irgendwann wird einem klar, das könnte ein Thema sein oder hier könnte ich etwas machen, aber das passiert nicht im Alltag. Und das passiert auch nicht ganz überraschend oder schnell. Das baut sich auf und man muss dann in sich hineinhören. Und neben diesen quasi Themen, die auch für breitere Öffentlichkeiten interessant sein könnten, arbeiten Philosophen, ich eingeschlossen, natürlich auch an Themen, die sehr speziell sind. Fachartikel zu ethischen Spezialthemen, die jetzt für Außenstehende völlig langweilig sind und selbst für andere Philosophen überhaupt nicht aussagend. Das heißt, wir sind alle sehr spezialisiert auch in der Philosophie und in diesen Spezialdiskursen gibt es Menschen, die weltweit sich damit beschäftigen. Aber in jedem Land wahrscheinlich nur ein paar, das ist dann auch wieder ganz interessant, weil zu diesem Thema Demokratie und Menschenrechte hat natürlich jeder eine Meinung. Das macht es schön. Das macht es manchmal schwierig. Aber eigentlich macht es das schön.

Melanie Bartos: Jetzt haben Sie gesagt, dass diese Spezialisierung stattgefunden hat auch bei Ihnen, dass man da trotzdem Themenbereiche hat, auf die man sich letzten Endes fokussieren muss. Die Themen, die Sie schwerpunktmäßig behandeln, was hat Sie dazu geführt, dass Sie sich gerade mit denen beschäftigen?

Marie-Luisa Frick: Ich glaube rückblickend kann man das schon sehr früh in den Interessen meiner frühen Jugend sehen. Politik, Literatur, Kunst und einfach die großen Fragen der Welt. Politik war für mich schon als Teenager wichtig und nach und nach sind diese Themen dann zu mir gekommen. Wie ich gesagt habe, sie entstehen langsam und irgendwann sind sie da. Man sucht sich das auch nicht so intentional aus: Ich mache jetzt etwas zu Menschenrechte, sondern das baut sich auf über bestimmte Fragen kommt dann etwas zusammen. Und am Anfang zum Beispiel bei den Menschenrechten war bei mir die Frage: Was sind das eigentlich? Sind es objektive Normen, sind das einfach subjektive Festsetzungen? Wie gehen wir mit unterschiedlichen Auffassungen über Menschenrechte um? Was sind Menschenrechte? Also diese ganz grundsätzliche Frage. Und aus dieser Frage heraus hat sich dann auch meine Arbeit zu Menschenrechten entwickelt. Nochmal über den Umweg eines Spezialbereichs nämlich des Folterverbots, mit dem ich mich beschäftigt habe damals in meiner Diplomarbeit. Und das hat sich dann alles irgendwie gefügt. Und so entstehen auch Lebensthemen, Arbeitsthemen, sie fügen sich.

Melanie Bartos: Haben Sie große Themenbereiche, die Sie in Zukunft noch gerne angehen wollen, angehen möchten? Haben Sie Themen, wo Sie denken, da muss ich mal dazu arbeiten oder ist es bei Ihnen immer eher so, dass sich dann mehr eines aus dem anderen ergibt?

Marie-Luisa Frick: Eher ergibt sich das eine aus dem anderen. Ich habe jetzt persönlich keine Liste mit Themen, die ich noch bearbeiten möchte in meinem Leben. Ich habe eine Liste mit Büchern, die ich gern schreiben würde, die sind aber nicht nur Fachbücher, sondern auch literarische Bücher zum Beispiel, aber was die großen Themen betrifft: Ich bin immer noch beim Menschenrechtsthema sehr, sehr verhaftet, auch weil ich an einem englischen Buch zu Menschenrechten schreibe, wo ich einfach meine Ideen noch mal in eine größere Audience hinaus bringen möchte. Aber ich lasse es auf mich zukommen. Und ich bin mir sicher, dass gesellschaftliche, politische Entwicklungen mir genügend Anregungen geben werden auch in Zukunft und vielleicht ein bisschen, ja, immer diese Themen, wo man ein bisschen gegen den Strich bürsten kann, das ist etwas, was mich immer interessiert.

Melanie Bartos: Dann würde ich an der Stelle sagen: Ich bin gespannt,wenn Sie wieder in Gegenrichtung bürsten, was dann an Publikationen oder ähnlichem herauskommt. Ich hoffe, wir haben dann vielleicht wieder mal Gelegenheit, wir haben wieder mal Gelegenheit, etwas ausführlicher darüber zu sprechen. Ich glaube es gibt genug zu diskutieren und genug um sich darüber auszutauschen. Für heute danke ich Ihnen ganz herzlich für das interessante Gespräch, Frau Frick.

Marie-Luisa Frick: Danke für die Einladung.

Melanie Bartos: Dankeschön.