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Zeit für Wissenschaft 041: Alternsforschung

Melanie Bartos: Eine neue Ausgabe von Zeit für Wissenschaft, dem Podcast der Universität Innsbruck. Ich bin Melanie Bartos und heute freue ich mich - wie immer - wieder auf ein spannendes Thema aus den vielen wissenschaftlichen Themen, die wir hier an der Uni Innsbruck haben. Und ein Thema, wo ich mir sicher bin, dass jeder und jede irgendeinen Zugang dazu hat. Positiv, negativ oder sagen wir es so: früher oder später trifft es auf jeden Fall jeden Menschen zwangsläufig. Wir begeben uns in das Forschungsfeld der Alternsforschung und dazu darf ich hier Frau Dr. Hildegard Mack begrüßen. Frau Mack, herzlich willkommen bei Zeit für Wissenschaft. Sie arbeiten am Forschungsinstitut für biomedizinische Alternsforschung an der Uni Innsbruck und sind dort auch Arbeitsgruppenleiterin. Und Sie beschäftigen sich mit diesem genannten Thema Altern, Alternsforschung. Wir haben in Beiträgen, die wir mit ihnen schon gestaltet haben immer wieder so Stichworte wie Jungbrunnen, die Suche nach dem Jungbrunnen, das Geheimnis des Alterns. Das sind jetzt Wörter die man halt immer wieder mal in der medialen Berichterstattung auch gerne verwendet. Aber lassen Sie uns einmal in diese wissenschaftliche Herangehensweise blicken. Womit beschäftigen Sie sich da?

Hildegard Mack: Also mit der Suche nach dem Jungbrunnen. Das ist natürlich eine Metapher für unsere Arbeit die wir oder die ich halt sehr gerne verwende, weil sie relativ bekannt ist. Man muss allerdings dazu sagen, dass sie eigentlich in zweierlei Hinsicht leicht irreführend ist. Die Suche nach dem Jungbrunnen beschreibt ja den Traum oder die Hoffnung der Menschheit auf ewige Jugend oder letzten Endes ewiges Leben. Aber das ist nicht das Ziel unserer Arbeit. Wir wollen nicht unbedingt ewig jung bleiben oder ewig leben, sondern eher erreichen, dass wir länger gesund leben. Und dazu komme ich später noch einmal. Und der zweite Aspekt des Jungbrunnes ist ja, dass das Altern umgekehrt wird: aus alt mach jung und das ist auch nicht das, womit sich die meisten Alternsforscher beschäftigen. Es gibt durchaus Arbeitsgruppen, die sich mit Phänomenen befassen, die Züge von Verjüngung - also Umkehren des Alterns - haben, aber die meisten - darunter auch wir - befassen sich eher mit der Frage, wie können wir das Altern verzögern oder aufhalten. Und wir in der biomedizinischen Alternsforschung betrachten das Altern aus biologischer Sicht. Es hat natürlich noch andere Aspekte, psychologische und soziale. Und um die sollte es nicht gehen. Unsere Forschung geht es rein um die biologischen Grundlagen. Und dazu sollten wir uns vielleicht, bevor ich beschreibe, was wir uns genau anschauen, erst mal klären was Altern überhaupt ist.

Melanie Bartos: Ja, gerne. Das ist ein guter Einstieg.

Hildegard Mack: Wir in der Biologie verstehen darunter einen Prozess bzw. seine Folgen der Abnutzung von lebender Materie im Zeitverlauf, der letzten Endes zu einer verringerten Anpassungsfähigkeit und schließlich der Unfähigkeit zu überleben also zum Tod führt. Aus biologischer Sicht ist Altern also ein degenerativer Prozess, wie es in dieser Definition auch betont wird. Und damit wird auch klar, in welche lebensabschnitte wir überwiegend schauen. Es sind also nicht Abschnitte des Heranwachsens vom Kind zum Jugendlichen zum Erwachsenen, die ja mit einem Reifeprozessund letzten Endes mit einem Fitneßgewinn verbunden sind, auf den gesamten Organismus bezogen, sondern wir schauen auf die späteren Abschnitte des Erwachsenen-Alters, wo eben diese degenerativen Prozesse einsetzen. Und die Alternsforschung befasst sich nun damit, die Veränderungen, die eben in einem Organismus bzw. seinen Organen, seinen Geweben, seinen Zellen auftreten, wenn dieser altert, also im Laufe der Zeit seine Anpassungsfähigkeit, seine Überlebensfähigkeit also seine Fitness verliert. Das ist natürlich jetzt hauptsächlich ein negativer Prozess, da sollten wir noch mal ganz kurz in Erinnerung rufen, dass es durchaus positive Seiten, die dem Altern immer wieder zugeschrieben wurden, gibt: z.B. Weisheit und Erfahrung. Also es ist nicht alles schlimm, zumindest bis zu einem gewissen Grad und in der Alternsforschung beschreiben nun halt jetzt die biologischen Phänomene, die damit zusammenhängen. Das heißt wir müssen erstmal beschreiben, was verändert sich überhaupt wenn wir alt. Wenn wir diese Veränderungen beschrieben haben, ist die nächste Frage, was ist eine Folge und was ist eine Ursache. Und wie hängen Ursachen und Folgen zusammen. Und wenn wir das verstehen, dann können wir uns in einem dritten Schritt überlegen, ob es vielleicht Möglichkeiten gibt, in diese Prozesse einzugreifen in dem Sinne, dass wir dann das Altern modulieren können, verzögern, aufhalten, eventuell auch umkehren. Und jetzt stellt sich natürlich die Frage, warum ist es wichtig. Warum wollen wir das überhaupt? Ich habe es schon angedeutet, Ziel unserer Forschung ist es nicht so sehr, ewig zu leben. Es ist nicht einmal so sehr das Ziel länger zu leben. Das Wichtigste wäre, dass wir länger gesund leben, weil wir stellen fest: Wir werden hierzulande vielleicht zirka achtzig Jahre alt, Frauen etwas älter, 84, Männer etwas weniger alt 79,2, glaube ich. Aber da stellt man fest, dass wir ja nur so zirka die ersten 58 Jahre davon - und das ist jetzt für Männer und Frauen gleich - bei guter Gesundheit sind. Und unser Ziel ist es nun, wenn wir 80 Jahre alt werden, nicht von 58 bis 80 also 22 Jahre, sondern vielleicht nur von 78 bis 80, die letzten zwei Jahre unseres Lebens verstärkt mit chronischer Krankheit zu kämpfen. Was wir auf keinen Fall wollen, ist, dass wir statt 80 plötzlich 100 Jahre alt werden, aber trotzdem schon mit 58 krank. Aber es ist so, dass wir in der Natur beobachten, dass die gesunde Lebensspanne und eine lange absolute Lebensspanne im Normalfall gekoppelt sind, das heißt, dass es so weit kommt, ist nach heutiger Datenlage eher unwahrscheinlich.

Melanie Bartos: Sie haben jetzt beschrieben, dass es da gewisse Schritte gibt sozusagen, was man sich da alles ansehen muss. Und Sie haben immer wieder dazu ergänzt: Das muss man erst einmal verstehen. Wo stehen Sie denn da? Oder was ist denn den entschlüsset schon, von diesen Fragen, die Sie da aufgeworfen haben?

Hildegard Mack: Also überall ein bisschen was und noch nirgends alles. Es gibt Forschungsgruppen, die sich auch noch damit befassen, zu beschreiben, welche Veränderungen im Altern überhaupt auftreten. Das geht so in Richtung Suche nach Biomarkern, sodass wir eben auch objektiv feststellen können, wie alt ein Mensch ist und dann eventuell - wenn wir das wollen - Prognosen abzuleiten, wie lang lebt er denn noch. Die meisten Leute, darunter auch wir, beschäftigen uns quasi mit Stufe II. Wir versuchen die mechanistischen Zusammenhänge zwischen Ursachen und Folgen aufzuklären. Und natürlich gibt es auch schon Gruppen, die an Stufe drei, das heißt nach Möglichkeiten suchen, das Altern zu beeinflussen. Und dazu müsste man jetzt erst einmal überlegen, was stellen wir uns denn überhaupt darunter vor. Weil streng genommen wissen wir ja schon einige Möglichkeiten, die zumindest im Tiermodell effizient den Alterungsprozess beeinflussen. Das sind hauptsächlich Lebensstil-Faktoren, Ernährung oder auch Sport. Aber es gibt auch schon einige Medikamente, das sind Medikamente, die werden für bestimmte Krankheiten verwendet, die im Tiermodell den Alterungsprozess verzögern. Allerdings ist zumindest das wirkungsvollste Mittel bisher praktisch nicht anwendbar, es unterdrückt nämlich das Immunsystem des Menschen und wenn wir im Alltag unterwegs sind und plötzlich ein Immunsuppressiva nehmen würden, wäre das eher kontraproduktiv. Woran wir wahrscheinlich denken, ist, wenn wir ein Anti-Aging Mittel haben wollen, dass es wirklich nur eine Tablette ist, die wir schlucken müssen, ohne dass wir uns einschränken müssen zum Beispiel weniger essen, caloric restriction, wie es im englischen Fachjargon heißt, ist ja eine Möglichkeit das Altern zu verzögern. Ist vielleicht nicht so populär oder uns anzustrengen das mögen wir auch nicht, also an den bequemen Möglichkeiten arbeiten Leute auch, durchaus ernst zu nehmende Forscher in verschiedenen Arbeitsgruppen rund um den Globus.

Melanie Bartos: Sie schauen jetzt also auf die Ursachen für Alterung und auf die Folgen für den Körper.

Hildegard Mack: Den Zusammenhang zwischen den Ursachen und Folgen.

Melanie Bartos: Und jetzt haben Sie dieses komplexe Feld um umrissen und haben auch immer wieder betont, dass es international viele Forscherinnen und Forscher beschäftigt. Welchen Aspekt genau nehmen Sie sich da raus? Weil ich denke, man muss sich durchaus auf einen Bereich fokussieren.

Hildegard Mack: Also Altern ist definitiv ein sehr sehr komplexes Phänomen. Und was natürlich dazu kommt, der Mensch ist ja auch ein komplexer Organismus. Dadurch wird es doppelt schwierig. Wir reduzieren das Problem dadurch, dass wir uns das komplexe Phänomen in einem weitaus weniger komplexen Organismus als den Menschen anschauen. Es ist in unserem Fall der Fadenwurm C. elegans. Und warum geht das? Warum können wir uns ein so komplexes Phänomen wie das Altern im Fadenwurm anschauen? Ganz einfach: Er altert auch. Wenn wir den Fadenwurm anschauen, der lebt zirka drei Wochen, dann hat er durchaus Veränderungen, die uns ans Altern von uns selbst erinnern. Er kriegt Falten, er wird blass, er hört auf sich zu bewegen, er hört auf zu fressen, er hört auf Eier zu legen, also eindeutig Alterserscheinungen. Und wenn wir einen Organismus haben, der dieses Phänomen zeigt, dann können wir ihn im Prinzip stellvertretend für andere Organismen im Labor untersuchen. Und das ist deshalb möglich, weil ja alle Vorgänge des Lebens im Grunde in allen Zellen gleich oder zumindest sehr ähnlich ablaufen. Wir sprechen da in der Biologie von evolutionärer Konservierung. Die Zellen haben sehr sehr ähnliche bzw. gleiche Bausteine. Natürlich läuft es im Fadenwurm genau so wie im Menschen. Wir müssen uns halt nur immer bewusst sein, nicht nur was unser Organismus kann, sondern auch was unser Organismus nicht kann, dass wir halt unsere Daten nicht überinterpretieren und nicht auf den Holzweg geraten. Der Fadenwurm eignet sich sehr sehr gut, um genetische Einflüsse des Alterungsprozesses zu verstehen, war auch der erste Organismus, der es experimentell erlaubt hat, eindeutig zu zeigen, dass Gene den Alterungsprozess beeinflussen, also für die Historie unseres Forschungsgebietes sehr sehr bedeutend. Und daran arbeiten wir jetzt auch, um jetzt mal ganz kurz zu umreißen, womit wir uns im Speziellen beschäftigen: Wir beschäftigen uns mit Signalübertragungswegen, die die Lebensspanne des repräsentativen Organismus Fadenwurms an Signale seines Reproduktionssystems koppeln. Das ist ein ganz interessanter Zusammenhang, weil aus biologischer Sicht ist Reproduktion ja das Schlüsselereignis im Leben. Wenn man das Genom weitergegeben hat, könnte man sich im Prinzip von diesem Planeten verabschieden, weil es lebt ja weiter in den Nachkommen und man beobachtet eben in der Natur, dass eben Vorgänge wie Reproduktion die Lebensspanne des Organismus sehr sehr stark beeinflussen. Und wir schauen uns jetzt an, wie das beim Fadenwurm ist. Es gibt natürlich schon ein paar Signalüberträger, identifiziert sind, von denen wir wissen, dass im Menschen auch vorkommen. Aber wie ist jetzt eigentlich der Zusammenhang? Wie stellt denn der Organismus fest, ob er noch Keimbahn-Stammzellen hat oder nicht, ob er sich schone fortgepflanzt hat oder nicht. Das sind so Fragen, die uns beschäftigen, die wir im Fadenwurm untersuchen, in der Hoffnung, dass sie dann Einstiegsmöglichkeiten in Studien liefern in höheren Organismen.

Melanie Bartos: Das heißt also, dass diese Prozesse, die irgendwo zu irgendeinem Zeitpunkt angestoßen werden, die dann diese Alterung einleiten, in den Zellen sozusagen, wenn man einmal auf die Ebene runtergeht, dass man da noch schauen muss, was ist der Auslöser dafür? Oder wie kann man sich das vorstellen?

Hildegard Mack: Also das ist natürlich eine Möglichkeit, den Auslöser zu suchen. Wir haben jetzt den Vorteil in unserer speziellen Frage kennen wir den Auslöser schon. Aber das auslösende Signal muss ja in eine Antwort umgesetzt werden. Die Antwort wäre: Ein verlängertes Leben zum Beispiel. Und wie wird das jetzt erreicht? Es muss sich die Zelle generell umstellen, sehr viele Prozesse in ihr müssen anders ablaufen. Und ja wie wird dieser Schalter - wir kennen auch in unserem speziellen Fall sogar den Schalter, den man umlegen muss - aber was verbindet jetzt das Signal mit dem Schalter? Das ist eine Frage, die uns beschäftigt, weil natürlich dazwischen - zwischen Signal und Schalter - noch sehr sehr viele Möglichkeiten sind, die Signalübertragung zu beeinflussen, zu ändern. Oder vielleicht kann man das Signal auch unabhängig von dem Empfänger auf der Zelle quasi anschalten. Das sind lauter Überlegungen, die uns interessieren.

Melanie Bartos: Vielleicht gehen wir noch einen kleinen Schritt zurück. Dieser Fadenwurm, den Sie beschrieben haben, wie kann man sich denn den vorstellen. Ich nehme an, der ist relativ klein.

Hildegard Mack: Ja, er ist wesentlich kleiner als die Würmer, die wir so aus dem Alltag kennen, Regenwürmer oder bestimmte Arten von Süßwaren, Gummibärchenwürmer. Nein. Unser fadenwurm ist nur circa einen Millimeter groß also, um einen Vergleich zu verwenden, den meine Chefin gerne verwendet hat: Like a comma in a sentence. Times New Roman, 12 Punkt, ein Komma. Das wäre die Größe des Fadenwurms. Und das ist natürlich für die Arbeit im Labor schon mal eine erste wichtige Sache, die praktisch gut ist. Wir können nämlich hunderte oder tausende Individuen, also ein Millimeter große Fadenwürmer auf engstem Raum halten. Dadurch wird es entsprechend günstig. Das Zweite ist, dass er auch nur Bakterien frisst, also sein Futter kostet auch nicht viel und er kann innerhalb von sehr kurzer Zeit sehr sehr viele Nachkommen erzeugen. Wir haben dann auch ausreichend Individuen für unsere Experimente. Für so ein Fadenwurm dauert es nur zu zirka drei Tage vom Ei bis zum erwachsenen Wurm, der wieder Eier legen kann und dann legt er im Laufe der nächsten vier Tage circa 300 Eier also produziert 300 Nachkommen, mit denen wir dann wieder Experimente machen können. Ja und was wir praktisch im Labor machen, ist in erster Linie auch beobachten. Also wir machen klassische Genetik. Und da versucht man die Zusammenhänge zwischen Genotyp, also der genetischen Zusammensetzung des Organismus sozusagen und dem Phänotyp, also seinem Aussehen zu beschreiben und die Geschwindigkeit, mit der ein Organismus altert, ist so ein Phänotyp, also ein äußeres Merkmal. Dazu muss man natürlich in erster Linie beobachten. Das heißt, wir sitzen sehr viel am Mikroskop, schauen, wie sich die Würmer bewegen, schauen ob sie sterben. Entweder jetzt im Verlauf ihres natürlichen Lebens oder wenn wir sie gewissen Stresssituationen aussetzen. Und natürlich machen wir das nicht nur mit normalen Würmern, sondern wir machen das auch mit Würmern, die genetische Mutationen haben. Wir kombinieren die Mutationen, indem wir verschiedene Stämme miteinander kreuzen. Dann kriegen wir eine neue genetische Kombination. Und dann können wir schauen, wie das den Alterungsprozess beeinflusst oder eben andere Aspekte, die damit zusammenhängen, wie eben seine Reaktion auf Stress oder seine Bewegungsfähigkeit. Andere Leute schauen auch im Fadenwurm Dinge wie Lernfähigkeit an. Das geht, weil der Fadenwurm nämlich eines der einfachsten Tiere ist, die schon ein Nervensystem haben. So kann man dann auch nehmen, um Aspekte des Lernens zu untersuchen. Ja aber wir beschäftigen uns eben mit dem Altern an sich, losgelöst von irgendwelchen Einzelaspekten.

Melanie Bartos: Wenn Sie sagen, Sie kreuzen sie dann weiter. Kann man sich das vorstellen, so in eine Richtung die besonders Junggebliebenen oder die die genetisch gut Ausgestatteten, sofern man das überhaupt sagen kann im Atersprozess, dass manche gute manche schlechte Gene haben in der Hinsicht das wir vielleicht noch klären. Aber dass sie die speziell herausgreifen, um mit denen weiterzuarbeiten und schauen eben diese phänotypischen Vergleiche dann dort vor allem anzulegen, so im Sinne eines Ausschlussprinzipes oder wie läuft das ab?

Hildegard Mack: Also die erste Stufe, wenn man ein Altersregulator identifizieren möchte ist ein oder kann ein sogenannter genetischer Screen sein. Das heißt, man führt gezielt oder zufällig Veränderungen ins Erbmaterial des Fadenwurms ein und schaut dann, welche möglichst lange leben. Und das ist wichtig: Wir schauen nach Individuen, die länger leben als das normale und nicht kürzer. Weil Erklärungen für ein verkürztes Leben sind oft trivial. Der Organismus könnte einfach krank sein oder es könnte ein Gen betroffen sein, das essenziell ist für die Entwicklung. Dann wird der Organismus niemals geboren. Also solche Sachen interessieren uns nicht. Wir schauen deswegen auf Gene, die das Leben verändern, also Altersregulatoren, die wir uns im Labor anschauen, sind in erster Linie solche, die das Leben verlängern und dann nachgeschaltet Faktoren, die das lange Leben des genetisch veränderten Fadenwurms wieder verkürzen. Das wären dann auch Altersregulatoren, weil der langlebige Fadenwurm diesen zweiten Faktor, den wir uns anschauen unbedingt braucht, damit er lange leben kann. Und was wir uns dann anschauen, ist die Möglichkeit, ob wir diesen zweiten Faktor, sen der langlebige Fadenwurm unbedingt braucht, auch im normalen Wurm anschalten können oder abschalten - je nachdem wie es halz ist und sich dadurch die Lebensspanne des normalen Wurms auch verändert. Das ist eine Ansatzmöglichkeit wie wir uns im Fadenwurm der Altersforschung nähern.

Melanie Bartos: Ich nehme an, das haben Sie auch schon gemacht. Hat das funktioniert?

Hildegard Mack: Wir beschäftigen uns speziell mit zwei verschiedenen genetisch veränderten Würmern,die sehr sehr lange leben. Ich musste Gott sei Dank so einen genetischen Screen noch nicht selber machen. Meine Fragestellung kann, wie gesagt, auf vorherige Ergebnisse zurückgehen wo eben das auslösende Signal bekannt ist und wir setzen weiter unten an. Aber man muss sich auch die Frage stellen, muss man das Rad wirklich zweimal erfinden, wenn ein vielversprechender Ansatz schon da ist. Warum denn nicht weiterverfolgen.

Melanie Bartos: Klar. Das ist ja auch die Forschungszusammenarbeit. Es soll ja nicht jeder nur für sich in seiner Gruppe arbeiten, sondern das ist ja doch ein komplexes, gerade bei so komplexen Themen, sinnvoll das in Zusammenarbeit anzugehen. Wenn wir da noch einmal so einen kleinen Blick, soweit das für Laien möglich ist, darauf werfen, was sie konkret mit diesen Mitteln C. elegangs Würmern bei Ihnen im Labor machen. Ich finde es immer so spannend, auch so ein möglichst nachvollziehbares Bild davon zu bekommen, wie man sich Ihre Arbeit konkret vorstellen kann. Sie haben schon einige Dinge angedeutet. Was läuft aber sozusagen ab, wenn Sie mit den Würmern arbeiten. Sind Sie mit den Würmern arbeiten?

Hildegard Mack: Also an einem ganz normalen Arbeitstag sitzen wir, wie schon angedeutet, hauptsãchlich am Mikroskop. Und die zweite große Komponente ist natürlich dadurch, dass wir verschiedene Gene miteinander kombinieren wollen, müssen wir natürlich auch rausfinden, wann jetzt ein Wurm die genetische Kombination hat, die uns interessiert. Das heißt wir machen auch sehr sehr viel Standard-Methoden von der Molekularbiologie, wir genotypisieren unsere Würmer, wir extrahieren DNA aus ihnen. Machen dann die Standard-Methoden, um eben die Veränderungen, die uns interessieren gezielt auszulesen, ob die auch vorhanden sind. Dann wenden wir auch sehr sehr viele Standard-biochemische Methoden an, um eben die Wechselwirkungen, die uns interessieren, nicht nur auf Ebene der Gene, sondern auch auf Ebene der Proteine anzuschauen. Das ist mir persönlich auch sehr sehr wichtig, weil nämlich auf Ebene der Proteine die Wechselwirkungen stattfinden, die man nach heutigem Stand leichter medikamentös, also medikamentös jetzt wieder in Anführungszeichen, weil Altern ist ja an sich keine Krankheit angehen kann. Ja, deswegen schauen wir uns das auch an. Und was immer sehr viel Spaß macht, auch wenn wir uns man nicht mehr im Licht Mikroskop anschauen, sondern im Floureszenz-Mikroskop. Also wenn wir dann das grün-fluoreszierende Protein in unsere Würmer einführen und dann schauen: Wo ist der Wurm grün? Wie stark ist er grün? In welchem Abschnitt seines Lebens ist er grün? Weil man dadurch nämlich Hinweise auf die Aktivität der Altersregulatoren, die uns interessieren, ziehen kann.Also in erster Linie ist es beobachten und dann in zweiter Linied die klassischen molekularbiologischen und biochemischen Methoden, um die regulatorischen Zusammenhänge gezielt zu überprüfen.

Melanie Bartos: Das heißt aber, Sie können diese Altersegulatoren quasi sichtbar machen, das kann man sehen, wie die arbeiten?

Hildegard Mack: Dazu muss man natürlich wieder auf unser Vorwissen zurückgreifen. Das geht natürlich nur, wenn wir schon einige Kandidaten, die in dem Signalweg eine Rolle spielen, kennen. Idealerweise das, was ganz unten ist, dann an den Effektor, das ist der Hauptschalter, den man umlegen muss, ein grün flouriszierndes Protein dranbasteln, also mit molekularbiologischen Methoden. Aber das kann man sich wirklich so vorstellen, ja, also ein so genanntes Fusionsprotein herstellen und dann schauen, wo sitzt es in der Zelle. Dadurch dass der Fadenwurm transparent ist, müssen wir den dazu nicht mal irgendwie speziell behandeln, wir können den lebend, so wie er ist, unter das Mikroskop legen und dann schauen, wo er überhaupt aktiv ist, wo sich in der Zelle dieser Altersregulator befindet. Und natürlich müssen wir dann auch schon aus der Literatur wissen, wie wir ein bestimmtes Lokalisierungsmuster zu interpretieren haben. Wir greifen in unserer Arbeit natürlich sehr auf publizierte Daten zurück. Wie gesagt, das Unbekannte bei uns ist, was passiert stromaufwärts von diesem Altersregulator. Und wenn wir dann eben diese Faktoren suchen ist dann der Readout, was wir anschauen, zum Beispiel die Lokalisierung dieses Regulatorrs in der Zelle. So können wir dann experimentell einen Zusammenhang zwischen unserem neuen Kandidaten und dem existierenden Regulator herstellen.

Melanie Bartos: Was hat die Lokalisierung in einer Zelle für eine Aussagekraft?

Hildegard Mack: Dazu müsste man erst mal genauer beschreiben, was dieser Regulator, mit dem wir uns befassen, eigentlich ist. Das ist ein so genannte Transkriptionsfaktor, das heißt, es ist ein Protein, das die Expression anderer Gene steuert. Und wo findet Genexpression statt? Die Erbinformation ist im Zellkern gelagert. Das heißt, wenn der Transkriptionsfaktor in den Zellkern geht, dann kann er veranlassen, dass ein bestimmter Teil der Erbinformation abgelesen wird. Das heißt, wir schauen, ist dieser Transkriptionsfaktor im Zellkern - ja oder nein - wenn er im Zellkern sitzt, dann haben wir einen guten Grund anzunehmen, dass er das Ablesen bestimmter Abschnitte der Erbinformation veranlasst hat. Das ist so einfach ausgedrückt eines der Experimente, das wir routinemäßig bei uns machen.

Melanie Bartos: Und wenn Sie das sehen, dann heißt das, der ist jetzt sozusagen gerade dabei, zum Beispiel gewisse Alterungsprozesse anzuschalten?

Hildegard Mack: In dem Fall aufzuhalten.Ja, das verkürzt natürlich unser Experiment, dann haben wir Grund, die Hypothese aufzustellen, dass ein Wurm bei dem dieser Transkriptionsfaktor aktiv ist, also im Zellkern sitzt, auch länger lebt. Natürlich müssen wir das Experiment trotzdem machen. Wie gesagt, es erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass er länger lebt. Es ist kein zwangsläufiger Zusammenhang. Deswegen müssen wir das lange Experiment - die Lebensspanne messen - trotzdem noch machen.

Melanie Bartos: Dieser Altersregulator, der sich dann in den Zellkern begibt, wo die erbinformation gelagert ist: Der kommt dann irgendwann dorthin? Oder ist der schon da und wird aktiv, oder wie kann man sich das vorstellen?

Hildegard Mack: Es ist im Prinzip so: Es ist ein Protein, das in der Zelle vorhanden ist, und er muss ein aktivierendes Signal bekommen bzw. sein Inhibitor muss weggenommen werden. Und ja wie kann das jetzt passieren? Die Zelle empfängt Signale von außen. In dem Fall ist es jetzt so, das ist ein inhibitorisches Signal, im Normalzustand ist dieser Faktor nicht aktiv, wird halt über weitere Signalübertragungswege zu diesem Transkriptionsfaktor übertragen. Wenn das Signal weg ist, wird die Unterdrückung dieses Transkriptionsfaktors aufgehoben und er geht in den Zellkern und schaltet eben seine Zielgene, die dann Einfluss auf die Lebensspanne haben, an. Man kann sich ein zellulären Signalübertragungprozess fast wie einen Staffellauf vorstellen: Also ganz oben kriegt irgendjemanden ein Signal, gibt es an mehrere weitere Läufer weiter, bis dann irgendwann einmal der Empfänger da ist und dann daraus etwas macht.

Melanie Bartos: Diese Signale, von denen Sie sprechen, wer gibt die?

Hildegard Mack: Als altersregulierende Signale oder Signalwege reagieren auf Umweltfaktoren: Stress, Nährstoffe und so kann man sich dann auch erklären, warum Umweltfaktoren so einen großen Einfluss haben. Eben weil sie gezielt Signalwege ansprechen, über die die Zelle oder der Organismus die Vorgänge in seiner Umgebung überwacht. So kann man sich das dann eben erklären. Stress sensitive Signalwege, die Signalewege, die auf Nährstoffe reagieren, das sind diejenigen, die den Alterungsprozess beeinflussen.

Melanie Bartos: Das kann man aber schon eigentlich sagen, dass letztlich unser Lebensstil einen großen Teil davon ausmacht?

Hildegard Mack: Ja. Man geht davon aus, dass zirka 70 Prozent der Variabilität des Alterungsprozesses auf Umweltfaktoren zurückzuführen sind und so zirka 30 Prozent auf Gene. Also das kann man zum Beispiel aus Zwillingsstudien abgeleitet. Und ja, das heißt natürlich umgekehrt: Wenn man gute Gene hat, hat man einen Vorteil, weil man es sich erlauben kann, etwas entspannter zu leben. Aber umgekehrt, wenn man jetzt eben keine vorteilhafte Genkombination hat, kann man noch sehr viel für sich herausholen, indem man seine Gewohnheiten entsprechend anpasst. Wir haben natürlich beides hat gute Gene und einen entsprechenden Lebensstil, dann ist natürlich das Maximum drin.

Melanie Bartos: Würden Sie dann eingreifen bei den 30% oder bei den 70% und die irgendwie abschwächen versuchen oder ist das gar nicht da der Punkt? Wo greifen Sie dann unter Anführungszeichen ein bei dieser Aufteilung?

Hildegard Mack: Das muss man vielleicht ein bissel anders ausdrücken. Also wenn wir an den Genen etwas verändern, dann ist es ja letzten Endes so, dass sie die Umwelteinflüsse nachahmen. Das heißt, diese klare Trennung kann man nicht mehr machen. Schalte ich jetzt einen Anti-Aging-Faktor dadurch an, dass ich meine Umwelt entsprechend anpasse oder schalte ich ihn dadurch an, dass ich im Signalweg in der Zelle stromabwärts von diesem Faktor was verändere. Das ist quasi ghupft wie gsprunga. Aber natürlich ist es so, dass wir uns in unserer Arbeit auf die Vorgänge in der Zelle konzentrieren. Und natürlich auch versuchen, eventuell diese Signale unabhängig von äußeren Signalen anzuschalten. Wie gesagt, weil es letzten Endes dazu führen könnte, dass wir uns nicht einschränken, nicht umstellen müssten, um einen Langlebigkeitseffekt zu erzielen.

Melanie Bartos: Wir könnten also so, wie soll ich sagen, in Saus und Braus leben ohne, dass es Auswirkungen hätte oder...

Hildegard Mack: ...ohne dass es unsere Lebensspanne verkürzt. Was soll man sagen? Dieses Experiment müsste man mal machen. Ob es nicht zu viel ist. Aber theoretisch ist das denkbar, also dass man Alterungsprozesse entkoppeln kann von den Umwelteinflüssen. Wie ich es sagt: auf heutiger Basis der heutigen Datenlage können wir nichts ausschließen. Wir können aber auch nichts bestätigen.

Melanie Bartos: Mir geht es bei Umweltfaktoren oder äußeren Einflüssen auch um Krankheiten? Ich denke da zum Beispiel an Krebserkrankungen, die ja auch auf dieser zellulären Ebene oder zu Zelkmutationen führen oder dort davon ausgehen. Ist das auch etwas, wo man in der Hinsicht... Weil die treten ja auch im Alter quasi zumindest vermehrt auf oder haben vielleicht sogar überhaupt diese Ursachen dann. Ist das auch ein Punkt?

Hildegard Mack: Also Krebserkrankungen und auch Herz-Kreislauf-erkrankungen oder neurodegenerative Erkrankungen, nur um ein paar Beispiele zu nennen, treten gehäuft auf, wenn die Menschen älter werden. Also umgekehrt: Altern ist einer der größten Risikofaktoren für diese Krankheiten. Natürlich ist das theoretische Konzept folgendes, dass man all diese Krankheiten im Prinzip zeitgleich und effizient bekämpfen könnte, wenn man den Risikofaktor, sprich das Altern, an sich angeht. Und es ist eventuell eine Strategie, wie man ein Anti-Aging-Medikamente quasi in der Anwendung zum Menschen bringen könnte, weil Altern an sich ist keine Krankheit und damit auch keine Indikation, dass man sie eben zuerst mal dazu einsetzt, gezielt eine klar als solche definierte Krankheit wie zum Beispiel eine Tumorerkrankung zu behandeln. Aber es ist so, wir können, ja, es ist fast so eine Frage Henne oder Ei? Ist Krankheit ein Zeichen des Alterns oder wird der Mensch erst krank, weil er alt wird. Wir gehen davon aus, dass Altern die Ursache und die Krankheit die Folge ist. Es gibt hier sehr viele Überschneidungen zwischen Krebsforschung und Altersforschung, also die Signalewege, mit denen wir uns befassen, die sind in Krebserkrankungen sehr sehr oft dereguliert, es sind fast die gleichen umweltabhängigen Signalwege, die dazu führen, dass eine Zelle zur Krebszelle wird und als Krebszelle überleben kann. Also die Zusammenhänge lassen sich nicht klar trennen. Und natürlich sind die Erkenntnisse des Feldes für das andere Feld extrem relevant. Wir werden aber wirklich davon ausgehen, dass Altern die Grundlage der Krebserkrankung ist. Und wenn wir das einschränken, wir dann auch diese Krankheiten einschränken können, wobei es natürlich so ist, dass wenn man eine Krankheit hat, dadurch dass der Mensch ein sehr komplexes System ist, das natürlich dann auch wieder andere Aspekte, also Tumorrkrankungen betrifft ja zunächst wahrscheinlich nur ein Organ, aber das es dann eben systemische Auswirkungen hat und dann eben das Altern an anderer Stelle auch noch fördert.

Melanie Bartos: Sind da die Ansätze einer Altersforschung, die sich decken mit Interessensbereichen auch in der Krebsforschung, geht es um Prävention oder Behandlung?

Hildegard Mack: Altern wäre ja ein Risikofaktor, das heißt in diesem Kontext ist es eher als eine Prävention zu sehen. Also behandeln wir das Altern, also wirklich alles in Anführungszeichen, um andere Krankheiten zu verhindern.

Melanie Bartos: Weil das finde ich einen interessanten Aspekt. Sozusagen das Altern hinauszuzögern geht direkt einher mit Krankheiten hinauszuzögern.

Hildegard Mack: Das wäre die Erwartung. Wir wissen nicht, ob es im Menschen funktioniert, weil es diese Beobachtungen, diese Versuche haben wir noch nicht in großem Umfang durchführen können. Aber im Tiermodell in tiermodell ist es schon so, dass Individuen, die gut erfolgreich altern auch weniger von diesen typischen altersassoziierten Erkrankungen zeigen. Es könnte funktionieren.

Melanie Bartos: Sie sagen, es könnte funktionieren. Ihre persönliche Einschätzung. Wo geht da die Reise hin? Was hat das für Perspektiven? Ich denke, das hat ja auch zum Beispiel viel mit Forschungsinfrastruktur zu tun, im Sinne von Ausbau von Möglichkeiten, was angeschaut werden kann, welche Methoden es gibt dazu, immer mehr Erkenntnisse, die zusammenkommen. Was haben Sie denn da für ein Gefühl oder wo wird sich das hin entwickeln Ihrer Meinung nach?

Hildegard Mack: Also ich glaube, dass wir noch einige Zeit brauchen und zwar einige Zeit, wo wir weiterhin mit kleinen Organismen wie zum Beispiel dem Fadenwurm forschen. Aber dass wir eben durch die Weiterentwicklung der Methoden auch verstärkt im Menschen selber schauen können und eben dann Ideen oder Hinweise darauf kriegen, ob das, was wir im Fadenwurm gefunden haben, auch zutrifft. Ich denke da zum Beispiel an großangelegte Sequenzierstudien, wo man dann auch gezielt Leute, die sehr sehr erfolgreich altern, also 100 Jahre oder noch älter werden, und trotzdem sehr sehr gesund sind anschaut. Schaut, was ist denn bei denen anders in der Erbinformation oder in ihren Genexpressionsmustern oder beidem im Vergleich zur Normalbevölkerung. Das erfordert als Ansatz zum Beispiel eben Sequenziertechnologien, die bis vor kurzem noch nicht in großem Umfang und kostengünstig, das ist auch wichtig, zur Verfügung gestanden sind. Ich glaube, dass da in Zukunft noch mehr gemacht wird. Eben das Hin und Her zwischen einfachen Modellorganismen und Menschen wird sich verstärken. Und dann natürlich, was man jetzt auch schon ansatzweise beobachtet, ist, dass man sich verstärkt darum kümmert, wie können wir denn das Wissen, das wir über den Prozess schon haben, praktisch umsetzen, sodass wir es eben einsetzen können, dass wir erfolgreich altern. Wie gesagt nur die letzten zwei anstatt die letzten 20 Jahre vor dem Tod mit Krankheit zu kämpfen haben. Solche Ansätze werden sicherlich in Zukunft verstärkt verfolgt werden, aber solange diese Ansätze noch keine wirklich praktisch anwendbare Lösung haben, können wir uns natürlich auch nicht zurücklehnen, was unsere Forschung an Modellorganismen angeht, weil wir wissen es nicht, ob das, was wir schon wissen, ausreicht und sicherheitshalber dann mal zeitgleich noch weiter suchen.

Melanie Bartos: Es gibt also, wenn ich Sie richtig verstehe und das alles noch ein bißchen Revue passieren lasse, was Sie erwähnt haben, in den letzten Minuten einige Dinge, die da ganz grundsätzlich noch nicht ganz verstanden oder entschlüsselt sind, so gewisse Geheimnisse. Gibt es da einen Aspekt oder Teilaspekte, der Ihnen Besonders unter den Nägeln brennt im Moment?

Hildegard Mack: Natürlich die Fragen, mit denen ich mich konkret beschäftige, die sind noch ganz schlecht verstanden und es bezieht sich im Prinzip auf die Frage, wie koordiniert denn der Körper den Alterungsprozess. Es ist ja so, dass wir nicht nur Falten kriegen oder nicht nur graue Haare. Nein. Gleichzeitig nimmt unsere körperliche und geistige Leistungsfähigkeit ab. Es ist ein systemischer Prozess der sehr sehr viele Zell- und Organsysteme des Menschen betrifft. Wie reden die denn miteinander? Wie koordinieren sie ihren Alterungsprozess? Das ist was, was noch sehr sehr schlecht verstanden ist und natürlich: Das ist eine Frage, mit der wir uns nicht beschäftigen, ist natürlich weiterhin die Anwendbarkeit. Wie kann man die altersregulatorischen Signalwege anschalten, ohne Nebenwirkungen zu erzielen. Weil die Signalwege, die den Alterungsprozess beeinflussen, eben so zentral sind, so viele Dinge in der Zelle im Körper regulieren, dass es durchaus sein kann, dass, wenn man irgendwo einen Schalter umlegt, es nicht nur positive Auswirkungen hat. Das heißt positive von negativen Wirkungen eines Altersregulators zu entkoppeln, das sind alles Herausforderungen, die noch nicht gelöst sind.

Melanie Bartos: Sind da bei der Frage in Richtung komplexes Zusammenspiel oder - wie Sie beschrieben haben - die Kommunikation quasi im Körper in den Alterungsprozessen, die sich ja dann überall auch ein bisschen anders äußern können, sind da die Grenzen von C. elegans erreicht oder kann man das dort auch ansehen?

Hildegard Mack: Da sind die Grenzen von C. elegans wahrscheinlich erreicht. Man muss nicht nur die Vorteile seines Organismus kennen, man muss auch ganz klar wissen, wo seine Grenzen sind. C. elegans kommt relativ schnell an seine Grenzen im Alterungsprozess, wenn man jetzt mal den Menschen betrachtet, denn was ihm fehlt, sind somatische Stammzellen, also Stammzellen des Körpers, die dazu beitragen, dass sich gewisse Zellen, Gewebe, Organe auch zumindest innerhalb einer gewissen Zeit auch regenerieren können. Also die Abnutzung quasi etwas abmildern, indem sie erst mal wieder ersetzt werden. Das fehlt im Fadenwurm, können wir nicht anschauen. Auch hat ein Fadenwurm Kein Herz-Kreislaufsystem, keine Zirkulationssystem. Das heißt Signalübertragungswege zwischen Organen: Da müssten wir dann davon ausgehen, dass sie im Fadenwurm definitiv anders ablaufen, weil eben der Mediator, der es übertragen kann, fehlt. Was wir uns allerdings anschauen können, ist der Empfänger direkt auf der Zelle und der Sender auf der Ausgangszelle. Das geht. Und wir können uns auch isoliert z.B. keine Krebserkrankungen anschauen, weil sich nämlich die Körperzellen des Fadenwurms nicht mehr teilen. Nur eine Zelle, die sich teilt, kann entarten und eine Krebszelle werden. Das sind die Beschränkungen. Wir können imm Fadenwurm also nur die Aspekte anschauen, die sich nicht mehr teilende Körperzellen betreffen. Aber das ist ja nicht so schlimm. Nein.

Melanie Bartos: Man muss das ja auch dieser Ebene zunächst verstehen.

Hildegard Mack: Es gibt andere Systeme, wo man das dann anschauen kann. Wie gesagt, komplexere Systeme. Der Fadenwurm ist sehr sehr gut, um uns Hinweise darauf zu geben, wo wir denn suchen sollen. Dadurch dass er ebenso klein und überschaubar ist. Es gibt sehr sehr wenige Gene, die im Menschen wiederholt und auch robust mit der Lebensspanne assoziiert wurden. Und eines davon konnte man nur finden, weil uns der Fadenwurm gesagt hat, wo wir suchen sollen und das gilt natürlich weiterhin. Aber Sie haben natürlich schon recht: Man muss ganz genau wissen, was kann der Organismus leisten, was kann er nicht leisten. Und wenn mich jetzt interessiert, wie Stammzellen den Alterungsprozess beeinflussen, dann müsste ich mindestens in die Fruchtfliege gehen, dass ich mir das anschauen kann. Aber dafür gibt es andere Experten.

Melanie Bartos: Sie bleiben beim Fadenwurm. Auch weil Sie da noch viele Fragestellungen haben, die Sie anhand dieses Wurms noch in Zukunft auch beantworten wollen.

Hildegard Mack: Also ich möchte diese Fragen zuerst den Fadenwurm klären, aber dann ist es schon so, dass ich langfristig betrachtet, gerne sehen würde, wie es in anderen Organismen abläuft. Natürlich weil ich dann diejenige Person sein werde, die die größten Einblicke in diese Zusammenhänge hat. Und ich finde es durchaus spannend zu sehen, wie es denn in anderen Organismen abläuft. Und ich hoffe, dass ich dann zum gegebenen Zeitpunkt die nötige Expertise haben werde, dass ich meine Versuche auch in anderen Organismen durchführen kann, weil mein Interesse wäre es schon, die Entwicklungsgeschichte etwas weiter dann selbst nach oben quasi aufzusteigen. Also vom Fadenwurm zur Maus und dann noch einmal ein paar Schritte weiter. Und das ist ja das Konzept auch, das dahinter steckt, wenn man in Modellorganismen forscht. Erstmal die grundlegenden Zusammenhänge in einem möglichst einfachen System zu definieren und dann schrittweise nach oben zu gehen. Wenn der direkte Sprung nicht gelingt, manchmal kann man auch direkt vom Wurm in den Menschen gehen, aber eben um dann bessere Hinweise darauf zu kriegen, wie man denn im Menschen vorgehen müsste.

Melanie Bartos: Spannend ist vielleicht das richtige Stichwort für meine Frage, für meine nächste Frage, die ich im Rahmen von „Zeit für Wissenschaft“ immer ganz gerne Stelle und die ich für ganz wesentlich halte. Sie sie haben, wenn man einen Blick auf Ihren Lebenslauf wirft, schon einige beeindruckende Stationen in Ihrer Forschungskarriere gemacht, waren im Ausland tätig, waren in einer sehr renommierten Alternsforscherin im Labor mit dabei sozusagen. Jetzt haben Sie da ein sehr komplexes Feld, wie man glaub ich aus dem Gespräch bisher ableiten kann: Was motiviert Sie dazu? Ist es viel Neugier?

Hildegard Mack: Natürlich. Neugier spielt glaube ich bei jedem Wissenschaftler eine Rolle. Ich will es wissen. Aber nicht nur, weil es irgendwie schön ist, es zu wissen oder weil es irgendwie so eine Art Triumphgefühl vermittelt, wenn man ein Rätsel gelöst hat, sondern auch, weil ich absolut davon überzeugt bin, dass es wichtig ist, die Antworten auf die Fragen, die ich stelle, zu kennen. Ja geradezu essenziell für den Fortschritt der Grundlagenforschung und eventuell sogar eine Steilvorlage für angewandte Forschung. Also die Sinnfrage mit Ja zu beantworten, ist für mich persönlich auch sehr sehr wichtig. Und was mich an dem Ganzen fasziniert, ist auch der Gedanke, dass ich Dinge sehen kann durch meine Arbeit, die noch nie jemand vor mir gesehen hat. Aber die hoffentlich noch viele Leute nach mir sehen wollen und sehen werden und mir dadurch quasi bestätigen, dass das, was ich arbeite, wirklich interessant und wirklich wichtig ist. Und ja externe Bestätigung hin und wieder tut auch mal ganz gut, wo wir wieder beim Stichwort Motivation wären. Aber das ist eigentlich so das, was jetzt bei meiner täglichen Arbeit auch dazu führt, dass ich sehr sehr oft im Labor bin.

Melanie Bartos: Dass Sie sehr viel Zeit investieren auch.

Hildegard Mack: Aber von nichts kommt nichts.

Melanie Bartos: Ist die Altersforschung etwas, was sich in Ihrer Ausbildung als besonderes Interessengebiet schon bald herauskristallisiert hat oder gab es da ein Ereignis, wo Sie gesagt haben: ok, da möchte ich jetzt aber weiter dranbleiben.

Hildegard Mack: Also das gab es wirklich. Ich kann es wirklich - ich müsste im Internet das genaue Datum recherchieren - an einem konkreten Ereignis festmachen. Das war im Juni 2008. Damals war ich in Boston im ersten Jahr als Doktorandin tätig und da gabs halt mal zehn Stockwerke tiefer - also unser Labor war im zehnten Stock des Gebäudes mit Blick über die Stadt - Da gab's halt mal das Paul F. Glenn Symposium on Aging at Harvard. Das sind auch ein paar sehr bekannte Krebsforscher gekommen. Ich habe mich in meiner Doktorarbeit mit Aspekten der Krebszellbiologie beschäftigt. Naja, dann hab ich mir gedacht, die möchte ich mir anhören, bin mal hingegangen. Und da waren eben nicht nur die wissenschaftlichen Vorträge, sondern eben auch panel discussion. Und eben eine Motivations- bzw. Dankensrede des großzügigen Sponsors des Symposiums, wie wichtig denn Altersforschung ist. Der hat sich für den Einsatz der Forscher bedankt, dass die halt eben versuchen, die Grundlagen aufzuklären und da ist es mir eigentlich zum ersten Mal so richtig bewusst geworden, was denn der größte Risikofaktor für die Krankheit, mit der ich mich beschäftige sprich Krebs, ist. Ich habe es natürlich gewusst, aber zwischen Wissen und sich das wirklich bewusst machen ist immer noch ein Unterschied. Und da bin ich dann eben auch erstmals mit dem Konzept in Berührung gekommen, das ich für sehr effizient halte, nämlich dass alle Krankheiten gleichzeitig behandelt werden könnten, wenn man den gemeinsamen Risikofaktor ausschaltet. Und dann habe ich mir überlegt: Wenn ich mit meiner Doktorarbeit fertig bin, dann mache ich Altersforschung, wenn ich mal Postdoc bin. Irgendwann war es dann auch soweit, dass sich die Doktorarbeit dem Ende zugeneigt hat, dann konnte ich mir überlegen, wo ich mich bewerbe. Da habe ich mir ein paar renommierte Altersforscher herausgesucht, vorzugsweise nicht in Boston, sondern eben in einem anderen Teil des Landes. Und ja dann hat es da auch geklappt. Dann habe ich eine Stelle in einem Labor in San Francisko gekriegt, bin dann dahin gezogen und habe dort die Fragen gefunden, mit denen ich mich jetzt in meiner Arbeit in Innsbruck beschäftige. Und ja das sind Fragen, die mich nicht nur interessieren. Ich bin auch absolut davon überzeugt, dass ich von meiner vorherigen Ausbildung her - ich bin von der Ausbildung her Biochemikerin - dass ich eben auch das Handwerkszeug, das Know-how, die Expertise habe, um diese Fragen zu beantworten. Deswegen musste ich es ja quasi machen, weil es eben so wichtig ist, um die Wissenschaft voran zu bringen. Und so bin ich zu meiner Forschung gekommen und - wie gesagt - man kann es an einem Schlüsselereignis festmachen. Aber es ist nicht so, dass ich mit dem im Studium schon in Berührung gekommen wäre, es war eigentlich mehr so: Es hängt schon mit meinem ursprünglichen Interesse bei meiner Doktorarbeit sprich Krebsforschung zusammen. Und natürlich interessiert mich Krebsforschung auch immer noch. Also ich lese auch sehr sehr viel dazu. Ich kann natürlich auch mit meiner Schwester, die macht Innere Medizin und hat Biologie studiert, mich sehr sehr gut über alles unterhalten. Wenn sie mal wieder davon erzählt. Ja aber sie verstehen natürlich auch umgekehrt, was ich mache. Also das ist schon ganz gut. Interessiert mich weiterhin. Und es ist auch definitiv wichtig. Wirklich. Aber wie gesagt: ich glaube, dass ich meine Nische bei der Altersforschung momentan im Fadenwurm gefunden habe. Schauen wir mal, wie es dann weitergeht.

Ja, schauen wir mal wie es weitergeht. Frau Mack, vielen Dank für die interessanten Einblicke in Ihre Arbeit. Wir werden Sie weiterhin im Auge haben und sind schon gespannt, was da noch alles kommen wird. Vielen herzlichen Dank für das tolle Gespräch.

Vielen Dank für die Einladung, hat mich sehr gefreut.