Ciona intestinalis Kolonie
Die Ciona intestinalis – im Bild eine adulte Kolonie im natürlichen Milieu (Hafenbefestigung, Nördlicher Atlantik) – dient der Wissenschaft als wichtiger Modellorganismus.

Wichtiger entwick­lungs­biologischer Mecha­nismus entdeckt

Die Entwicklungsbiologin Ute Rothbächer beschäftigt sich mit der Embryonalentwicklung des Modell-Organismus Ciona intestinalis, um daraus Rückschlüsse auf die Entstehung von menschlichen Zellen zu ziehen. Gemeinsam mit Kollegen aus Japan veröffentlichte sie ihre jüngsten Ergebnisse im Fachmagazin PLOS Genetics.

Ciona intestinalis oder auch Schlauchascidie (griech. askidion = kleiner Schlauch) – ein Modellorganismus, der den Menschen näher verwandt ist, als gedacht – ist zentraler Forschungsgegenstand, wenn es darum geht, embryonale Entwicklungsprozesse zu verstehen. Ascidien, auch Manteltiere genannt, gehören zur Gruppe der Chordaten, ihre Larven bilden eine Chorda dorsalis aus – die Vorstufe einer Wirbelsäule. Dies haben sie mit dem Menschen oder anderen Wirbeltieren gemein: auch diese bilden im Lauf ihrer Embryonalentwicklung eine Chorda aus, die später allerdings zur Wirbelsäule verknöchert und verknorpelt. „Aufgrund dieser Verwandtschaft und der Einfachheit des Organismus sowohl in der Verfügbarkeit embryonaler Stadien als auch im Hinblick auf das Wissen über ihr kleines und kompaktes Genom eignet sich Ciona optimal, um mehr über embryonale Entwicklungsprozesse zu erfahren, auch auf molekularer Ebene, was möglicherweise evolutiv konserviert ist, auch beim Menschen“, erklärt assoz. Prof. Dr. Ute Rothbächer vom Institut für Zoologie.

Wesentliche Entwicklungsschritte

Auch wenn die Entwicklung von der Befruchtung zum frühen Larvenstadium bei der Ciona nur zehn Stunden dauert, sind diese Prozesse enorm wichtig für das grundlegende Verständnis der Gen-Aktivitäten im embryonalen Entwicklungsprozess. „Nachdem eine Eizelle befruchtet wird, finden im sehr frühen Embryo Zellteilungen statt. In diesem frühen Stadium messen wir mithilfe von sogenannten Reporter-Genen die Genaktivitäten in den Zellen“, beschreibt Ute Rothbächer die Arbeit ihrer Forschungsgruppe. Die Zellentwicklung kann man sich als Folge einer Genkaskade vorstellen, bei der ein Genprodukt ein anderes aktiviert und so weiter, bis im wachsenden Organismus in unreifen Zellen schließlich wichtige Strukturgene (etwa für Kontraktilität in Muskelzellen) angeschaltet werden. „Es war – unter anderem auch durch vorangehende Ergebnisse unserer Forschung – bereits bekannt, dass wenige sogenannte Developmental-toolkit-Gene im Lauf der Evolution sehr stark konserviert wurden und bei vielen Organismen – auch beim Menschen – für diese frühe Gen-Aktivierung in den Zellen verantwortlich sind. Eines dieser Entwicklungs-Gene ist ß-Catenin“, erklärt die Entwicklungsbiologin.

Doppelte Wirkung

Bereits im sehr frühen embryonalen Stadium gibt es zwei Bereiche: den ektodermalen Bereich, der für die Anlage der Bereiche zuständig ist, die den Körper umgeben (also Haut, aber auch Nervengewebe) und den mesendodermalen Bereich, der später in den meso- und endodermalen Bereich ausdifferenziert wird und beispielsweise für die Ausbildung von Herz und Muskulatur oder Verdauungstrakt verantwortlich ist. Was die Arbeitsgruppe von Rothbächer gemeinsam mit japanischen Kollegen nun neu zeigen konnte, ist, wie ß-Catenin neben seiner Gen-aktivierenden Wirkung im mesendodermalen Bereich der embryonalen Zellen gleichzeitig ektodermale Gene reprimiert, sozusagen eine Exklusivität für den mesendodermalen Bereich schafft. „Diesen binären Switch von ß-Catenin haben wir anfänglich in Ciona beobachtet, aber der genaue Mechanismus der Repression blieb ein Rätsel“, betont Ute Rothbächer. „Vor Kurzem haben wir an einer Publikation mitgewirkt, die ß-Catenin blockierte Zielgene in der Nervenzellentwicklung des Fadenwurms C. elegans beschreibt. In dieser neuesten Veröffentlichung zeigen wir nun erstmals in Chordaten, wie eine weitere Gruppe von Zielgenen in der frühen Ciona Entwicklung durch ß-Catenin blockiert wird. In beiden Fällen ‚mischt’ sich ß-Catenin in die Genaktivierung anderer Transkriptionsfaktoren ein (zB. von GATA), indem es direkt an diese bindet.“ Das genaue Wissen um diese Wirkung von ß-Catenin kann auch entscheidend für die Krebsforschung sein. „Die Entstehung von Krebs ähnelt einer fehlgelaufenen Differenzierung, die Krebszellen bekommen plötzlich wieder Eigenschaften wie unreife embryonale Zellen – sie teilen sich und machen dies mit vergleichbaren Mechanismen, wie in Embryonen, auch der Ciona. Es ist daher nicht überraschend, dass Fehlfunktionen von ß-Catenin eine essentielle Rolle in der Entstehung von Krebs – zum Beispiel Kolonkarzinom oder Melanom – spielen. Wir lernen also im Grunde nicht nur etwas darüber, wie es bei den Embryonen des Modellorganismus funktioniert, sondern auch darüber, wie diese für die Zellentwicklung sehr bedeutenden molekularen Switches ablaufen, etwa zwischen unreifen und sich differenzierenden Zellen, was für die weitere Forschung – auch an Krebszellen – entscheidend sein könnte“, ist Ute Rothbächer überzeugt, weshalb sie auch in Zukunft weiter in diesem Bereich forschen will. Unterstützt wird das Forschungsprojekt durch das französische Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und dem Vizerektorat für Forschung der Uni Innsbruck.

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