Gruppenfoto bei der Ringvorlesung.
Vetreterinnen und Vertreter der Universität mit dem Vortragenden, Peter Ruggenthaler (2. von rechts).

Unter alliier­ter Besat­zung – Österreich 1945-1955

Warum dauerte es zehn Jahre vom Kriegsende 1945 bis zur Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955? Dieser Frage ging Peter Ruggenthaler im Rahmen der Ringvorlesung „100 Jahre Republik: zwei Demokratien, zwei Diktaturen“ nach.

Aufgrund einer kurzfristigen Änderung erklärte sich Peter Ruggenthaler bereit, an Stelle von Barbara Stelzl-Marx aus Graz anzureisen. Er ist seit 1998 am Ludwig-Boltzmann-Forschungsinstitut für Kriegsfolgenforschung in Graz tätig und seit März 2018 dessen stellvertretender Leiter. Der Fokus seiner Arbeit liegt auf dem Kalten Krieg, der Sowjetunion und der Diplomatiegeschichte, aber auch der Geschichte der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. Derzeit arbeitet er vor allem an einem Forschungsprojekt zur deutschen Ostpolitik nach 1945.

Gemäß seiner Forschungsschwerpunkte legte Peter Ruggenthaler den Fokus seines Vortrags auf die diplomatiegeschichtliche Erörterung des Weges zum Staatsvertrag 1955 mit besonderem Augenmerk auf die Sowjetunion und ihre Rolle bei den Verhandlungen. Der Ausgangspunkt lag dabei, wenn auch Aspekte der Vorgeschichte relevant sind, im März 1945, als die Rote Armee die ungarisch-österreichische Grenze überschritt und in Moskau für Stalin erstmals die Frage dringend wurde, wie man denn nun in Österreich vorgehen sollte. Einer Anekdote zufolge soll er gefragt haben, wo denn „dieser Karl Renner“ eigentlich sei – von diesem hatte Stalin bereits in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gehört, als er von Lenin nach Wien geschickt worden war, um sich über die Nationalitätenfrage in der Habsburgermonarchie zu informieren. Renner, ein Kompromisskandidat für Ost und West, tauchte jedenfalls bald auf, bot seine Dienste an und stellte rasch seine provisorische Regierung zusammen, welche Ende April 1945 ihren Dienst antrat.

Die sowjetischen Motive: Nieder mit Deutschland!

Warum Stalin so handelte, lässt sich einerseits auf die Moskauer Deklaration von 1943 zurückführen, in welcher die Wiederherstellung Österreichs in den Grenzen von vor März 1938 vereinbart wurde – andererseits zeigte sich hier aber bereits jenes Ziel, welches bis zum Abschluss des Staatsvertrags der Imperativ der sowjetischen Außenpolitik sein würde: Österreich musste eigenständig bleiben und durfte nicht an Deutschland fallen, denn die besiegte Großmacht sollte möglichst klein und schwach gehalten werden, um nie wieder eine Gefahr für die Sowjets darzustellen (eine Position, die übrigens auch Frankreich aus denselben Motiven teilte).

Bereits 1945 zeigten sich jedoch erste Risse in der Anti-Hitler-Koalition, als Stalin immer wieder mit einseitigem Vorgehen bezüglich Österreich und bewussten Provokationen auffiel, wenngleich etwa – wie wir heute wissen – die chaotischen Ereignisse in Kärnten nicht von ihm provoziert wurden, sondern auf Tito zurückzuführen sind, dessen Gebietsansprüche ebenfalls einen Faktor in der Verzögerung hin zum Staatsvertrag darstellten. Die Hoffnung auf einen raschen Abschluss der Verhandlungen schwanden, als Stalin andere Länder (wie etwa Ungarn oder Rumänien) zur Priorität erklärte. Die USA hatten jedoch vorgeschlagen, zunächst die Frage Österreichs zu klären, und sich erst dann dem „großen Brocken“ Deutschland zu widmen. Warum wollte Stalin dies nicht? Hier konnte Ruggenthaler eine sehr plausible Erklärung liefern: Ohne sowjetische Besatzungszone in Österreich hätte Stalin auch keinen Anspruch auf Truppenstationierungen in Ungarn und Rumänien mehr stellen können.

Diplomatische Entwicklungen und Propaganda beider Seiten

Während die Sowjetunion gezielt antideutsche Propaganda in Österreich betrieb, um auch ideologisch einem möglichen Anschluss entgegenzuwirken, übten auch die USA großen Einfluss auf Österreich aus: Der Marshall-Plan wurde implementiert, und da es sich „nur“ um ein bilaterales Abkommen zwischen Österreich und den USA handelte, konnte die österreichische Regierung ohne Erlaubnis der Sowjetunion zustimmen und in den Genuss der wirtschaftlichen Unterstützung kommen, welcher Ländern des neu entstehenden Ostblocks (wo die Rote Armee stationiert war) verwehrt blieb. Mittlerweile verzögerte Stalin die Verhandlungen immer weiter, unter anderem, um kein erfolgreiches Modell für Deutschland zu liefern, andererseits aber auch aufgrund der Entdeckung von umfangreicher Ölvorkommen in der sowjetischen Besatzungszone von Österreich.

Stalins großer Bluff – und sein Tod

Als Ruggenthaler auf Stalins Neutralitätsangebot an Deutschland 1952 zu sprechen kam, konnte er sich eine Innsbruck-spezifische Anmerkung nicht verkneifen: Er habe viel mit Rolf Steininger darüber gestritten, welcher den Westen beschuldigt hatte, gar nicht auf Stalins Angebot eingegangen zu sein. Ruggenthaler konnte diesbezüglich aber mit sowjetischen Quellen belegen, dass es sich nur um einen großen Bluff gehandelt hatte – und darüber hinaus aufzeigen, dass auch die USA im selben Jahr eine sehr ähnliche Strategie angewendet hatten. Jedenfalls war trotz des Bluffs nun das Thema „Neutralität“ in den Diskurs eingegangen. Nach Stalins Tod 1953 ging es dann bekanntlich schnell. Ruggenthaler beendete seinen Vortrag schließlich mit dem Abschluss des Staatsvertrags 1955 und der Conclusio, dass letztlich die Westalliierten zufriedener sein konnten als die Sowjetunion, wenn auch diese ihr entscheidendes Ziel, das wie ein roter Faden durch die Außenpolitik lief, erreicht hatten: Österreich blieb ein eigenständiger, souveräner Staat ohne Bindung an Deutschland.

Die Fragen des Publikums im Anschluss an den Vortrag zeigten, wo dessen Defizite lagen: Auf die Wahrnehmung der Alliierten in der Besatzungszeit, aber auch auf die detaillierten Aspekte der britischen, französischen und US-amerikanischen Außenpolitik war Ruggenthaler kaum bis gar nicht eingegangen. Alles in allem handelte es sich insgesamt aber doch um einen gelungenen und lehrreichen Vortrag, wenngleich der Titel eher „Der Weg zum Staatsvertrag aus sowjetischer Sicht“ hätte lauten sollen. In diesem Bereich konnte Peter Ruggenthaler seine ganze Kompetenz und Kenntnis der sowjetischen Außenpolitik und Diplomatiegeschichte zeigen und die Zuhörer_innen mit einer gut strukturierten, chronologischen Erzählung überzeugen und in ein kohärentes Narrativ strukturieren.

(Stefan Hechl)

Der Vortrag zum Nachsehen:

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