Zeichnung von Gombrich
Eine Zeichnung von Sybille Moser-Ernst mit seiner Frau.

Revo­lutio­närer Vor­den­ker

Ernst Gombrich, ein britischer Kunsthistoriker mit österreichischen Wurzeln, war Vorbild, väterlicher Freund und Lehrer für Sybille Moser-Ernst, Professorin am Institut für Kunstgeschichte. Die Kunsthistorikerin stellt nun sein Œuvre wieder in das Zentrum der Diskussion und lässt die Erinnerung an ihn lebendig werden.

Ernst H. Gombrich (1909–2001) zählt zu den weltweit bekanntesten Vertretern seines Faches der Kunstgeschichte. In London fand er am Warburg Institut nach seiner rechtzeitigen Flucht aus Österreich im Jahr 1936 eine neue intellektuelle Heim- und Wirkungsstätte. Mit Büchern wie „Geschichte der Kunst“ oder „Kunst und Illusion“ setzte Gombrich Meilensteine in der Kunstgeschichte. Seine Art der Kunstbetrachtung bewegte sich aber nie ausschließlich innerhalb von Fachgrenzen. So dienten ihm Erkenntnisse der Psychologie und Biologie, sowie neue Lesarten der Geschichte und Philosophie als wichtige Grundlagen für seine Überlegungen zu Kunst und Kultur. Diese fächerübergreifende Denkweise wurde von einer seiner Studierenden, Sybille Moser-Ernst, Professorin am Institut für Kunstgeschichte an der Uni Innsbruck, zum Ausgangspunkt für langjährige Forschungen und Projekte, die heuer ihren vorläufigen Abschluss in der umfangreichen Buchpublikation „Art and the MIND – Ernst H. Gombrich mit dem Steckenpferd unterwegs“ fanden. „Mir war es immer wichtig, zuverlässige Instrumente für mein Tun zu finden“, so die Wissenschaftlerin. Von seiner speziellen Denkart fasziniert, reiste sie ab 1985 regelmäßig nach London, wo sie in Ernst H. Gombrich einen wertvollen Lehrmeister fand.

Umwege

Ein Merkmal der Kunstwissenschaftlerin Moser-Ernst ist ihre Neugier und ihr Drang, die Wissenschaft in den Dingen zu suchen. „Dass ich mich für die Kunstgeschichte als Studienfach entschieden habe, ist einer Reihe von Zufällen zu verdanken. Ich habe, seit ich denken kann, karikiert, und dann porträtiert. Meine großen Interessen galten der Mathematik und der angewandten Physik. Das vorandrängende Tun in der Wissenschaft ist eine Umwegleistung“, so die Wissenschaftlerin. Ernst Gombrich, den sie in diesem Sinn zitiert, gab dafür einen erklärenden Vergleich: Seine Liebe galt eigentlich der Musik, daher formulierte er aus ihrem Feld die Metapher „Mir gefällt Mozart. Trotzdem würde ich über Strawinsky arbeiten, damit ich etwas lerne und erkenne.“ Auch die Annäherung an ein interessiertes aber nicht-wissenschaftliches Publikum war für Gombrich wichtig und keine Abwertung des eigentlichen wissenschaftlichen Diskurses. Moser-Ernst betont, dass das scheinbar populärwissenschaftliche Buch von Gombrich zu Unrecht von den Expertinnen und Experten abgelehnt wurde: „Erst wenn man sein Buch ‚Geschichte der Kunst‘ mehrmals liest, erkennt man immer wieder neue Ebenen, die sich nach und nach erschließen, die man vielleicht erst wahrnimmt, wenn man sehr gut in der Wissenschaftsgeschichte und vor allem in der Kunstgeschichte ist“, so die Wissenschaftlerin die verdeutlicht, dass Gombrich scheinbar „einfache“ Texte geschrieben hat, deren Dichte und Gültigkeit möglicherweise erst heute von Expertinnen und Experten adäquat evaluiert werden können.

Das Steckenpferd

Im Kern seines Schaffens beschäftigte sich Gombrich mit dem künstlerischen Schöpfungsvorgang. „Er stellte sich die Frage, wie Linien, Farben und Formen dazu gebracht werden können, für Dinge einzustehen, die wir dann als Betrachtende beispielsweise als eine Landschaft erkennen“, erläutert Moser-Ernst. Das Zusammenspiel von Bild und Einbildungskraft verdeutlicht der Kunstwissenschaftler in seinen „Meditations on a Hobby Horse“. So wird das Steckenpferd zum Sinnbild für das komplexe Zusammenspiel von künstlerischen Fertigkeiten und dem menschlichen Bewusstsein. „Wie kunstvoll der Kopf des Steckenpferdes geformt ist, interessiert ein Kind nur wenig. Es braucht einen Stecken zum Draufsitzen, Griffe zum Festhalten, einen Wollschwanz und eine Mähne. Der Kopf, das Aussehen des Pferdes und noch so vieles mehr entstehen in seiner Vorstellung“, so Moser-Ernst über die Bedeutung des Steckenpferdes für ein Kind. Das Steckenpferd aus der Kinderstube wurde für das kunstwissenschaftliche Denken entdeckt, um zu helfen, die Bedingungen und die Grenzen der Bildkunst zu ergründen. Gombrich will zeigen, was das vom Menschen geschaffene Gebilde leistet, um die Betrachtenden in eine andere Welt zu führen. „Gombrich hat nie einen Kunstbegriff gestützt, der sich an metaphysische Kräfte wendet. War Dante Alighieri noch davon überzeugt, dass der Geist Gottes oder ein anderer Geist in den Künstler hineingefahren ist, war Gombrich hier anderer Meinung. Vor solchen Geistern hat er sich immer in Acht genommen“, verdeutlicht Moser-Ernst, die vertieft, dass es für Gombrich nicht mehr um die Idee des Abbildes, sondern vielmehr um das Staunen über das Erschaffen von Welt geht.

Zum Buch

 „Gombrich wünschte sich, dass das, was er schrieb, gelesen würde – und im besten Fall sogar verstanden und diskutiert. Dies, oder das Finden einer noch besseren Problemlösung, einer über den Lehrer hinausführenden Einsicht, wären sein größter Wunsch gewesen“, erinnert sich die Wissenschaftlerin. Moser-Ernst organisierte 2009, anlässlich des 100. Geburtstags von Ernst Gombrich, mit Unterstützung von Ursula Marinelli eine Tagung, die einige unhintergehbare theoretische Grundlagen Gombrichs für die Kunstwissenschaft zutage förderte, auf die in Zukunft gebaut werden kann. Im Buch „ART and the MIND – Ernst H. Gombrich. Mit dem Steckenpferd unterwegs“ gelang es Moser-Ernst für spezifische Fragen einige der besten gegenwärtigen Forscherinnen und Forscher als Mitautoren zu gewinnen. „Gombrich war ein Vordenker, der verschiedene Naturwissenschaftler weit mehr interessiert hat als Kunsthistoriker. Wir wollten ein Buch herausbringen, das aufweckt. Hätten wir nur ein Buch geschrieben um sein Andenken zu bewahren, so hätten wir ihn geärgert“, so Moser-Ernst, die diese wissenschaftlichen Ansätze auch in ihrer Lehre und Forschung weiterträgt. Buchpräsentationen gab es heuer an der Universität Innsbruck und dem Austrian Cultural Forum in London. Ein „Werkstattgespräch“ über das Buchprojekt wird noch bei einem der Fördergeber des Buches, nämlich dem Österreichischen Zukunftsfonds in Wien stattfinden.

Dieser Beitrag ist auch in der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins „zukunft forschung“ erschienen.

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