Skitour beim Taschachhaus
Winter wie Sommer beliebt: Umfassende Konzepte für die Bewirtschaftung von Berghütten werden immer wichtiger. Aktuell sind die meisten Hütten aufgrund der Corona-Situation geschlossen, touristische oder geplante Übernachtungen in Winterräumen sind momentan untersagt.

Nach­haltig am Berg

Der Klimawandel stellt das Hochgebirge vor große Herausforderungen. Wie kann heute noch ein nachhaltiger Hüttenbetrieb funktionieren? Das Institut für Geografie der Uni Innsbruck und die Sektion München des Deutschen Alpenvereins e.V. erarbeiten gemeinsam zukunftsweisende Konzepte für mehrere Alpenvereinshütten.

„Hier oben gibt es keine Müllabfuhr. Deshalb nimmt jeder Gast seine Abfälle wieder mit ins Tal. Bitte: Müll mitnehmen. Danke!“, ist auf einem Schild beim Eingang der Alpenvereinshütte Taschachhaus im Tiroler Pitztal zu lesen, darunter können kleine Müllsäcke entnommen werden. Diese Gästeinformation steht stellvertretend für die zahlreichen Herausforderungen, mit denen sich Berghütten konfrontiert sehen. „Die Veränderungen sind im alpinen Raum allgegenwärtig und bringen für die Bewirtschaftung von Berghütten neue Probleme und Aufgaben mit sich“, sagt Jutta Kister vom Institut für Geographie der Uni Innsbruck. Bereits seit mehreren Jahren beschäftigt sich die Wissenschaftlerin mit verschiedenen Aspekten der Nachhaltigkeit – von globalen Fair-Trade-Wirtschaftszweigen bis hin zu regionalen Wertschöpfungsketten in Alpentälern. In den vergangenen zwei Jahren nahm Kister zunächst gemeinsam mit Studierenden sowie Expertinnen und Experten der Sektion München des Deutschen Alpenvereins in einem Pilotprojekt mit dem Titel „HIGHT: Nachhaltiger Hüttenbetrieb – Pilotprojekt: Taschachhaus“ die Alpenvereinshütte auf 2147 Metern im Pitztal genau unter die Lupe. Neuartig war hier vor allem der Projektansatz: Das Team konzentrierte sich nicht nur auf eine isolierte Betrachtung der Hütte, sondern rückte den Faktor Mensch und sein Verhalten in den Mittelpunkt: „Berghütten befinden sich im Spannungsfeld zwischen Bergsport und Naturraum. Uns war es daher wichtig, die wichtigsten Stakeholder in Berg und Tal zu identifizieren und ihre Netzwerke herausarbeiten. Dabei ging es um Fragen der Infrastruktur, die Art der An- und Abreise von Gästen, welche Produkte auf der Hütte verwendet werden und generell um die Beziehung zur umgebenden Natur“, so Kister.

Veggie-Bergsteiger-Essen

Mit einem breit angelegten Monitoring wurde der Ist-Zustand des Taschachhauses erfasst. Die daraus gewonnen Erkenntnisse sollen nun dazu dienen, den nachhaltigen Betrieb der Alpenvereins-Hütte noch weiter zu optimieren. „Wir haben stets gut und eng mit den Hüttenpächter*innen zusammengearbeitet. Sie versuchen bereits seit Jahren, die Infrastruktur nachhaltig zu bewirtschaften und ihren Betrieb zu optimieren. Sie legen viel Wert auf die Sensibilisierung der Gäste, indem sie beispielsweise umfassend informieren, bewusst einkaufen oder zum Beispiel einen fixen, rein vegetarischen Tag anbieten“, verdeutlicht Jutta Kister. Das Team verwendete verschiedene qualitative und quantitative Methoden: Im Zeitraum von Mai 2019 bis März 2020 wurden mehr als 800 Fragebögen und Interviews durchgeführt, Literatur- und Dokumentenauswertungen vorgenommen und Beobachtungskartierungen sowie Geo-Tracking-Methoden verwendet, um entlang speziell entwickelter Nachhaltigkeitsindikatoren Hütteninfrastruktur und -betrieb zu erfassen. Das Projekt lässt sich in drei große Bereiche einteilen: „In der ersten Phase werden die Hütte selbst und das Umfeld untersucht. Daneben wurden die Stoffströme, die zur Versorgung und auch Entsorgung mit allen Lebensmitteln, Geräten sowie handwerklicher Arbeit und Serviceleistungen erforderlich sind, betrachtet. Und in der dritten Phase standen schließlich die Gäste und ihr Mobilitätsverhalten als Bergsportler*innen im Fokus“, erklärt Kister. Die Ergebnisse zeigen, dass das Taschachhaus in vielen Bereichen bereits nachhaltig wirtschaftet: „Diese Hütte hat hier durchaus ein Vorbildfunktion, etwa bei der Vermeidung von Lebensmittelverschwendung. Daraus haben wir Handlungsfelder erarbeitet: Beispielweise kann im Laufe eines Aufenthalts für den Gast auch deutlich werden, dass auch weniger Komfort eine gute Qualität mit sich bringen kann. Weitere Aspekte wären außerdem die klimafreundliche Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln und ein guter Ausrüstungsverleih vor Ort“, ergänzt die Geographin.

Fünf weitere Hütten

Nach dem erfolgreichen Abschluss des Pilotprojekts im Pitztal beschlossen die Sektion München des DAV und das Institut für Geographie der Uni Innsbruck die Zusammenarbeit fortzusetzen – und auszubauen. Ab dem Beginn der Wintersaison 2020/21 – bzw. sobald es die aktuelle Situation zulässt – werden nun weitere fünf Alpenvereinshütten analysiert. Unter dem Titel „Alpine Nachhaltigkeit auf Hütten (ANAH)“ werden die Münchner Sektionshütten Albert-Link-Hütte (Mangfallgebirge/Spitzingsee), Höllentalangerhütte, Reintalangerhütte (beide Wettersteingebirge) und Watzmannhaus (Nationalpark Berchtesgaden) sowie die Franz-Senn-Hütte der ÖAV-Sektion Innsbruck (Stubaital) bis Mitte 2022 entsprechend der Erfahrungswerte vom Taschachhaus untersucht. „Im Zentrum steht ein umfassendes Nachhaltigkeitsverständnis, das ökologische, ökonomische und soziale Dimensionen einbezieht“, sagt Roman Ossner, ANAH-Projektleiter bei der Sektion München, der diesem Aspekt große Bedeutung zumisst: „Wir müssen auch innerhalb des Alpenvereins ein neues Denken anstoßen. Unsere Hütten sind nicht nur ein Kernelement unseres Vereins, sondern auch wesentliche Akteure eines nachhaltigen Wirtschaftsdenkens. Von diesem Wissen müssen wir zum Handeln kommen“. Dabei gehe es um die Kompetenz, bestehende Initiativen zu vernetzen, und daraus Neues und Innovatives zu entwickeln, um auf die global-lokalen Herausforderungen zu reagieren, ist Jutta Kister überzeugt: „Von Alpenverein, Universität und regionalen Stakeholdern wie Tourismusverbände oder Gebietsbetreuer genauso wie Zuliefer- und Dienstleistungsunternehmen: Wenn alle positiv zusammenwirken, können nachhaltige betriebliche Strukturen und grenzüberschreitende Netzwerke mit großem Potenzial entstehen.“

Das Projekt

Im Interreg-Förderprojekt „Alpine Nachhaltigkeit auf Hütten“ (ANAH) wird der Zustand unterschiedlicher Alpenvereinshütten im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit ermittelt. Zur Beurteilung wird ein Verfahren verwendet, das im Rahmen einer Pilotstudie der Uni Innsbruck und der Sektion München bereits auf dem Taschachhaus im Pitztal erarbeitet wurde. Die Arbeitsgruppe besteht aus Jutta Kister, Jessica Balling, David Segat und Martin Coy aus der Arbeitsgruppe Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsforschung (AGEF) am Institut für Geographie der Uni Innsbruck und Roman Ossner, Thomas Gesell sowie Evi Gesell von der Sektion München des DAV e.V.. Das Projekt dauert bis Juni 2022 und wird vom Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), Interreg Österreich-Bayern 2014-2020 (AB305) und der Universität Innsbruck finanziert.

Dieser Artikel ist in der Dezember-2020-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).

Links

Nach oben scrollen