Blick über die isländische Landschaft
Langfristige Prognosen über den Effekt der Klimaerwärmung auf komplexe Ökosysteme sind aus kurzfristigen Experimenten nur schlecht ableitbar.

Klima­erwärm­ung: Mehr­jährige Über­reaktion im Öko­system

Seit mehr als 50 Jahren beobachten Forscher in Island die Erwärmung von Böden aufgrund geothermischer Aktivität. Ein internationales Team unter Beteiligung von Michael Bahn berichtet im Fachblatt Nature Ecology and Evolution, dass sich nach einer anfänglichen Überreaktion des Ökosystems auf Erwärmung nach mehreren Jahrzehnten ein neues Gleichgewicht einstellt.

Auf der Insel im Nordatlantik wird beobachtet, wie subarktisches Grasland auf die Erwärmung der Erde reagiert. Die über viele Jahre hinweg gesammelten Datensätze zum dortigen Ökosystem, die sich aus mehr als 120 Messgrößen zu Pflanzen, Bodenorganismen und Ökosystemprozessen zusammensetzen, hat das Forschungsteam unter der Leitung von Tom Walker von der ETH Zürich nun ausgewertet. Beteiligt war auch der Innsbrucker Ökologe Michael Bahn.

Veränderungen über Jahre beobachtet

Durch die besonderen Umstände vor Ort, bei der geothermische Prozesse zu erstaunlich konstanter kleinräumiger Bodenerwärmung führen, lassen sich Veränderungen über mehrere Jahrzehnte hinweg nachvollziehen. Im Gegensatz dazu laufen Erwärmungsexperimente üblicherweise lediglich über fünf bis 15 Jahre, was auch daran liegt, dass es kaum Forschungsförderung für längerfristige Studien gibt.
Das Team mit Michael Bahn ging in der aktuellen Arbeit der Frage nach, ob sich Erwärmung über einen kürzeren Zeitraum von fünf bis acht Jahren anders auswirkt als über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren. „Es zeigte sich, dass 5-8-jährige Erwärmung zu einer Überreaktion des Ökosystems führte und sich nach mehreren Jahrzehnten ein neues Gleichgewicht einstellte“, erklärt Michael Bahn.  „Verringerter Artenreichtum, geänderte Artenzusammensetzung, eine deutlich geringere Biomasse und drastisch weniger Kohlenstoffspeicherung im Boden waren die Folge", ergänzt Andreas Richter von der Uni Wien. Hier werde klar, so die Forscher, dass sich natürliche Ökosysteme mit langfristiger Erwärmung nachhaltig verändern.

Reaktionen unterschiedlich

Darüber hinaus wurde greifbar wie unterschiedlich die Effekte auf den verschiedenen Zeitebenen ausfielen. „Etwa drei Viertel der von uns untersuchten Prozesse zeigten eine deutlich andere Reaktion nach fünf bis acht Jahren Erwärmung als nach mehr als 50 Jahren“, sagte Projektleiter Walker. Auf Modellrechnungen zur Klimaentwicklung umgelegt bedeute dies, dass die Auswirkungen der langfristigen Bodenerwärmung mit den unterschiedlichen Daten auch sehr unterschiedliche Ergebnisse mit sich brächten, so die Wissenschaftler. „Überdies wird vor allem über den langen Messzeitraum klar, welche gravierenden Umwälzungen schon eine Zunahme der Temperatur von nur einem Grad Celsius mit sich bringen kann““, resümiert Michael Bahn.

In dem in diesem Jahr angelaufenen EU-Marie Curie Innovative Training Networks „Future Arctic“, das von der Universität Antwerpen koordiniert wird und an dem neben Michael Bahn über 25 internationale Forscher beteiligt sind, sollen diese Erkenntnisse nun vertieft werden. 

(Red/APA Science)

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