Prof. Renate Rathmayr (Mitte) mit Mag. Bernhard Eberharter und Mag. Ester Pöhl.
Prof. Renate Rathmayr (Mitte) mit Mag. Bernhard Eberharter und Mag. Ester Pöhl.

Höf­lich­keit in der Inter­kultu­rellen Kom­muni­kation

Am 10.11. fand am Institut für Translationswissenschaft ein Gastvortrag von em.o.Univ.-Prof. Mag. Dr. phil. Renate Rathmayr zur Interkulturellen Kommunikation statt. Frau Prof. Rathmayr hatte in den 1970er Jahren am damaligen Institut für Übersetzen und Dolmetschen den Grundstein für die heutige Russisch-Abteilung des INTRAWI gelegt und kehrte nun an ihre einstige Wirkungsstätte zurück.

Nachdem Frau Rathmayr die Weichen für eine Verankerung des Russischen am INTRAWI gestellt hatte, baute sie an der Wirtschaftsuniversität Wien das Institut für slawische Sprachen auf und leitet dieses bis zu ihrer Emeritierung im Herbst 2015. Auf Initiative von Mag. Ester Pöhl, die als ehemalige Studentin von Prof. Rathmayr einführende Worte sprach, und Mag. Bernhard Eberharter kehrte Prof. Rathmayr nun an ihre ehemalige Wirkungsstätte zurück und begeisterte mit ihrem Vortrag zur Höflichkeit in der Interkulturellen Kommunikation über 80 Studierende und Lehrende der Universität Innsbruck.

Die Vortragende ging von der Alltagserfahrung aus, dass „Höflichkeit“ intuitiv erfasst wird, aber schwer zu definieren ist – schon in der eigenen Kultur und noch viel mehr in der interkulturellen Kommunikation (IKK). Fest steht, dass es sich dabei nicht um eine generelle „Eigenschaft“ handelt und ohne Kenntnis des soziokulturellen Umfelds, der sozialen Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern und der Interaktionssituation darüber nichts ausgesagt werden kann. Damit interkulturelle Kommunikation gelingen kann, sind die Voraussetzungen Aufgeschlossenheit, Toleranz und eine „explorative Einstellung“ unbedingt nötig. Es geht darum, zu verstehen, wie der andere „funktioniert“.

Über 80 Studierende und Lehrende der Universität Innsbruck besuchten Renate Rathmayrs Vortrag.
Über 80 Studierende und Lehrende der Universität Innsbruck besuchten Renate Rathmayrs Vortrag. (Credit: Mag. Ester Pöhl)

Anhand eines Schemas stellte die Vortragende dar, wie interkulturelle Kompetenz als Wechselwirkung zwischen Wissen, Handeln und Reflexion entstehen kann. Einerseits sei es notwendig, sich allgemeines Wissen über Kulturen und Kommunikation anzueignen, da angesichts der Vielfalt der Begegnungen heute über jede einzelne Kultur konkret Bescheid zu wissen unmöglich geworden sei, andererseits sollten aber auch breite sprach- und kulturspezifische Kenntnisse (im vorliegenden Fall das Russische betreffend) vorhanden sein. Aus dem Wissen ergeben sich Handlungsstrategien: Es ist bekannt, dass die meisten Menschen sich auf die interkulturelle Kommunikation vorbereiten, indem sie etwa erwartetes Verhalten der jeweils anderen Kultur antizipieren („deutsche Pünktlichkeit“ vs. „russische Unpünktlichkeit“ beispielsweise) und sich vermeintlich angepasst verhalten, was manchmal den gegenteiligen Effekt bewirken kann. Auch sprachlich geprägte nationale Klischees (z. B. „russische Gastfreundschaft“ vs. „österreichische Gastfreundschaft“) können unterschiedliches reales Verhalten beschreiben.

Da Kultur sich wesentlich über die Sprache ausdrückt, lässt sich Höflichkeit in der IKK – als erwartbares und angemessenes Verhalten – gut über Sprachstrategien beschreiben. Leech hat 2014 den Versuch unternommen, acht Merkmale der Höflichkeit zu erfassen, u. a. die Grade der (Un-)Höflichkeit – dazu die interessante Frage: Ist zu viel Höflichkeit verdächtig, da unecht? Russen und Österreicher werten hier unterschiedlich, genauso wie in Bezug auf die Regel, wie oft eine Einladung (z. B. beim Essen) abgelehnt werden kann/muss, aber immer noch Zustimmung möglich ist. Hier geht es um „Kommunikationsstile“, die die Gesamtheit der Präferenzen bei der Auswahl verbaler, paraverbaler und nonverbaler Mittel in der zwischenmenschlichen Kommunikation umfassen. Daraus lassen sich nach Kulikova (2009) Stilelemente als Gegensatzpaare in der verbalen Kommunikation ableiten, etwa explizit vs. implizit – bei Sprechern des Deutschen z. B. unterscheiden sich darin Deutsche und Österreicher; oder personenorientiert vs. faktenorientiert – hier besteht ein Gegensatz zwischen Russen und Deutschen. Mit Hilfe dieser Elemente wurden „Gesprächsstile“ für die Sprachen Russisch und Deutsch beschrieben, die auf Gegensätze hindeuten, so Gesprächigkeit, Emotionalität, Erörterung persönlicher Details als Ausdruck des Interesses für den Gesprächspartner im Russischen, im Deutschen hingegen Verbot persönlicher Fragen, inhaltliches Überwiegen von Fakten und Argumenten, also die deutsche Gewohnheit, beruflich und privat in Gesprächen zu trennen. Als Lehrende an der WU hat Prof. Rathmayr naturgemäß besonderes Augenmerk auf die Untersuchung von Gesprächssituationen im Businessbereich gelegt.

Eine weitere Möglichkeit, Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede herauszuarbeiten, bieten die kulturspezifischen Höflichkeitsstrategien an „Hotspots“ der Kommunikation, d.h. Situationen, in denen öfter Probleme auftreten: Kontaktaufnahme, Begrüßung, Zustimmung/Ablehnung, Kritik/Komplimente. In diesen Situationen ist „intercultural awareness“ gefordert. Beispiel: Handschlag ja/nein bei der Begrüßung in Russland. Zum Thema Begrüßungsformen gegenüber unbekannten Personen entspann sich eine Diskussion mit  im Publikum anwesenden russischen Muttersprachlerinnen, inwieweit die Anrede: мужчина (= Mann) oder женщина (= Frau) dabei von den Generationen unterschiedlich verwendet wird; weiters wurde die Frage diskutiert, bis zu welchem Alter eine unbekannte Frau mit девушка (= Mädchen) angesprochen werden kann.

Die Vortragende empfahl einige „kulturübergreifende“ Strategien der höflichen interkulturellen Interaktion und Kommunikation – zunächst auf der Ebene der Einstellungen: Empathie und explorative Einstellung; aber auch für die nonverbale Ebene: sich im Hinblick auf Kleidung, Geschenke usw. zu informieren, was üblich ist. Auf der sprachlichen Ebene der Äußerungen wiederum lautete die Empfehlung, Fragen zu stellen und Strategien der Verständnissicherung anzuwenden, durch zusätzliche Informationen über den soziokulturellen Hintergrund oder Hinweise über das Funktionieren der Institutionen im eigenen Land sowie zwischenzeitliche Zusammenfassungen. Anhand eines konkreten Beispiels wurde auf die Wichtigkeit der Vermeidung indirekter Sprechakte hingewiesen. Statt „Hier ist es heiß“ sage man besser: „Würden Sie bitte das Fenster öffnen?“, wenn diese Handlung tatsächlich bewirkt werden soll. Auf der lexikalischen Ebene kommt der Formulierung konkreter Angaben  eine verständnissichernde Funktion zu, da relative Adjektive und Adverbien wie groß, weit, billig, nah, entfernt angesichts der unterschiedlichen Größen- und Wirtschaftsverhältnisse z.B. zwischen Österreich und Russland zu Missverständnissen führen können.

Die vorgetragenen Überlegungen wurden durch zahlreiche konkrete Beispiele aus der empirischen Forschung von Prof. Rathmayr im Rahmen ihrer themenbezogenen Beobachtungen und Befragungen sowie durch ihre persönlichen Erfahrungen in der praktischen interkulturellen Kommunikation mit russischen Gesprächspartnern illustriert und auch aufgelockert. Auch die Fragen aus dem Publikum hatten konkrete Situationen und das „richtige“ Verhalten zum Thema. Den zahlreich erschienenen Studierenden wurde zudem ein Handout samt umfangreicher Literaturliste übergeben, die zur Vertiefung einzelner Punkte in Eigeninitiative einlädt.

Abschließend betonte die Vortragende die Bedeutung des metakommunikativen Aspekts in der interkulturellen Kommunikation: eine empathische Einstellung zum Gegenüber als Voraussetzung für erfolgreiche IKK, der immer auch ein Nachdenken über das eigene und das fremde sowohl verbale als auch nichtverbale Verhalten folgen soll, um die eingangs genannte Wechselwirkung zwischen Wissen, Handeln und Reflexion zur Entfaltung zu bringen.

Der Institutsleiter Univ.-Prof. Dr. Pius ten Hacken sprach die abschließenden Dankesworte – sie seien an dieser Stelle wiederholt!

(Mag. Christine Hetzenauer, Mag. Ester Pöhl, Mag. Bernhard Eberharter)

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