Kloster in Meteora
Auf den spitzen Felsnadeln thronen die Klöster von Meteora. Im Bild das Kloster Barlaam, aus dem 14. – 17. Jahrhundert.

Himm­lische Höhen

Auf Bergen wie dem Fujiyama, Kailash, Olymp, Sinai, Athos oder dem Mont Saint Michel verorten Menschen unterschiedlicher Länder, Religionen und Kulturen Heiliges. Noch irdisch aber dem Himmel zugewandt übt die Mächtigkeit der Berge schon seit jeher eine große Faszination aus.

Der Sitz des Göttlichen auf ausgewählten Bergen ist auch Gegenstand der Forschungen in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Thomas Steppan, Leiter des Instituts für Kunstgeschichte und Monika Fink, Professorin am Institut für Musikwissenschaft, haben sich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen im Forschungsschwerpunkt „Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte“ interdisziplinär mit den Heiligen Bergen beschäftigt. „Berge werden aufgrund ihrer markanten morphologischen Beschaffenheit seit jeher als bedeutungsvoll wahrgenommen. Wegen ihrer Unzugänglichkeit und Unwirtlichkeit für uns Menschen, ihrer gewaltmächtigen Natur und nicht zuletzt wegen ihrer Monumentalität waren und sind sie in allen Kulturen Orte der Faszination und des Schreckens. In der Mystifizierung und Mythenbildung haben Menschen versucht sie zu begreifen und haben ihnen eine individuelle Wesenshaftigkeit zuerkannt“, erläutert Steppan die tiefe Faszination, die über unterschiedliche religiöse und kulturelle Kontexte Menschen miteinander verbindet. Von der griechischen Antike, über den Buddhismus, das Christentum, den Islam oder das Judentum werden auf Bergen Theophanie-Geschehen verortet. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschäftigen sich aber nicht nur mit Bergen, die als heilig begriffen werden, sondern gehen auch der Frage nach, warum Heiliges an Bergen lokalisiert wird.

Himmelwärts

Das Kloster Marienberg, San Pietro al Monte oder die Serles, als der Hausalter Tirols – inmitten der alpinen Bergwelt ist das Thema für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler naheliegend. Die in den Himmel ragenden Berge waren und sind in zahlreichen Kulturen die Achse zwischen dem Irdischen und dem Göttlichen. „Berge sind in ihrer Größe zwar kartographisch messbar, übersteigen aber die räumliche als auch zeitliche Vorstellungskraft der einzelnen Menschen“, so der Wissenschaftler, der verdeutlicht, dass auch kosmologische Modelle wie die Vorstellung des Erdenberges, um den Sonne und Mond kreisen, die Bedeutung von Bergen auch in byzantinischen und mittelalterlichen Weltbildern unterstreicht. „Das Spannungsfeld zwischen Bergen, die selbst als heilig verehrt werden, und Bergen, an denen Heiligtümer alles andere als zufällig ihren Sitz nehmen, führt uns nicht nur durch die europäische Kulturgeschichte, sondern in weite transkulturelle Bereiche, die im breit gefassten zeitlichen Rahmen von ur- und frühgeschichtlichen Epochen bis in die Gegenwart reichend aus den Beobachtungen diverser Disziplinen der Geisteswissenschaften, der Theologie und Religionswissenschaften und der Naturwissenschaften beleuchtet werden“, so Steppan. So wird die Vorstellung der Heiligkeit von Bergen in religiösen Texten und Ritualen sowie in künstlerischen Werken, wie der bildenden Kunst, Musik oder Literatur, verarbeitet.

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Nicht nur am Berg, sondern auch im Berg wurden Klöster in Meteora gebaut. Hier das Kloster Hypapante, großteils aus dem 14. Jahrhundert. (Bild: Thomas Steppan)

Klöster in Meteora

Bizarre Felsnadeln ragen im nordgriechischen Thessalien in den Himmel. Auf ihren Spitzen, thronen die berühmten Klöster von Meteora, die den Experten für Kunstgeschichte besonders faszinieren. Wie die imposanten Bauwerke in dieser exponierten Lage überhaupt errichtet werden konnten, ist bis heute ein noch ungeklärtes Rätsel. „Bereits im 10. Jahrhundert haben sich Anachoreten, also Einsiedler, in diese Einsamkeit zurückgezogen, um in der Weltentsagung das Göttliche zu finden“, erläutert der Wissenschaftler. Über Jahrhunderte waren die Klöster nur über ausgesetzte, senkrechte oder überhängende Steigleitern und Kletterseile, oder über Körbe und Netze erreichbar. „Der Topos ‚Meteora‘, der Berge zwischen Himmel und Erde, dient als Metapher, dass die Klöster gleichsam im Transzendenten schweben“, so Steppan. Die Errichtung der Klöster geht zurück auf byzantinische Vorläufer, wie sie etwa am Athos oder am Bithynischen Olymp im orthodoxen Mönchstum gestaltet wurden. Im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts hat sich in den ausgesetzten Einsiedeleien eine Mönchsgemeinschaft etabliert, die sich regelmäßig zur Feier der Messe trafen. Ab dem 14. Jahrhundert entstanden auf und in den Felsen mächtige Klöster. Heute kennt man vor allem das große Meteora Kloster, das der Metamorphosis, der Verklärung Christi am Berg Tabor, geweiht ist. „Das Thema der Metamorphosis spielt im orthodoxen christlichen Mönchstum eine wichtige Rolle. Die Lehre des Hesychasmus besagt, dass mit einer bestimmten Gebetspraxis, den Begnadeten die Schau des Göttlichen Lichtes der Verklärung vom Berg Tabor zuteil wird“, erläutert der Wissenschaftler. Dieses Streben nach Höherem wird von der außergewöhnlichen Lage der Klöster auf den Spitzen der Felsnadeln noch unterstrichen. Paradoxerweise gehören die einst von Einsiedlern bewohnten Berge heute zu den meist besuchten Kulturdenkmälern. Jährlich staunen über zwei Millionen Besucherinnen und Besucher noch heute über die exponierten Bauten. 

Wie ein Berg erklingt

Die Mystifizierung von Bergen spielt auch in der Musikgeschichte eine bedeutende Rolle. Insbesondere im 19. Jahrhundert haben Berge als verbreitete Motive der Romantik zahlreiche Komponisten zu Vokal- und Instrumentalwerken inspiriert. In der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts finden sich Kompositionen, die auf konkrete heilige Berge Bezug nehmen. Der wohl heiligste aller Berge, der in Westtibet gelegene Kailash, wurde erst ab den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts musikalisch reflektiert. Komponisten, Performancekünstler, Tanz- und Musikgruppen verschiedener Genres und Stilrichtungen haben sich von diesem Berg, seinem Mythos und der tibetischen Musik inspirieren lassen. Der Kailash bildet einen spirituell grundierten Bezugspunkt für Komponisten aus unterschiedlichen geografischen wie stilistischen Kontexten und unterschiedlichen ästhetischen Grundausrichtungen. „In meinen Forschungen habe ich mich auf die Musik der unmittelbaren Gegenwart sowie auf die Zeit des beginnenden 21. Jahrhunderts konzentriert und drei Werke untersucht, in welchen die ihre kompositorischen Ideen aus diesem heiligen Berg bezogen haben“, so Monika Fink, Professorin am Institut für Musikwissenschaft. Sie hat die Werke „Higher Ground“ des deutschen Komponisten Andreas Fischer aus dem Jahr 2019, „Kailash“ des indischen Musikers Ramesh Shotham aus dem Jahr 2004 sowie das 2014 entstandene Werk „Circling Kailash“ des amerikanischen Komponisten Terry Riley wissenschaftlich untersucht.

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Der wohl heiligste aller Berge, der in Westtibet gelegene Kailash, wurde erst ab den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts musikalisch reflektiert. (Bild: Monika Fink)

Letztlich stellen sich bei den musikalischen Reflexionen eines Berges dieselben Fragen wie bei einem Komponieren nach Bildern, eines der Hauptforschungsgebiete von Fink, nur dass das Bild in diesem Fall ein reales ist, und im anderen Fall ein artifizielles, gemaltes. „Auch beim Komponieren zu einem realen Bild, nämlich einem Berg, spielen Fragen nach dem Anlass und der persönlichen Nähe zwischen dem Komponisten und dem Gegenstand, den er in Musik setzt, eine Rolle. Der reale Berg, in diesem Fall der Kailash, kann ebenso wie ein Bild, nur auf einer metaphorischen Ebene, oder als Inspirationsquelle für einen Komponisten dienen oder als ästhetisch essenziell zu betrachten sein“, verdeutlicht Fink. Die Kailash-Komposition „Higher Ground“ von Andreas Fischer, der auf seiner Reise nach Westtibet den Kailash auch umrundet, also die sogenannte Kora durchgeführt hat, ist auf der Grundlage tibetischer Mönchsgesänge aufgebaut. Dieser Untertongesang aus einer Aufnahme eines tibetischen Klosters bildet die Basis des Stückes. Darauf legen sich dann die Improvisationen, die sowohl durch den Kailash selbst als auch durch eine Serie von Kailash-Bildern der Künstlerin Minka Hauschild inspiriert wurden. „In der klanglichen Gestaltung zeigt sich in ‚Higher Ground‘ ein starker Einfluss der Minimal Music, insbesondere von La Monte Young, sowie eine klangliche Verwandtschaft mit dem Filmkomponisten Alexandre Desplat“, verdeutlicht die Wissenschaftlerin. Das Kailash-Stück von Ramesh Shotham führt in die indische Musikkultur und somit auch zur Bedeutung und Rezeption des Kailash im Hinduismus. Um diese Inspiration klanglich umzusetzen, verwendet Shotham die in der südindischen Tradition gebräuchliche Rhythmussprache Konnakol. Auch das dritte Beispiel einer Kailash-Komposition weist Bezüge zur indischen Musikkultur auf. „In ‚Circling Kailash‘ für Orgel und Orchester von Terry Riley, der mit seinen aus der asiatischen Trancemusik adaptierten mikropolyphonen Strukturen als Mitbegründer der Minimal Music gilt, erwachsen durch Überlagerungen und Verschiebungen der Phrasen polyphone und polyrhythmische Strukturen, wie sie aus der hinduistischen Musiktradition bekannt sind“, so Fink. Die kreisenden Wellenbewegungen, klangliche Muster und Strukturen, sowohl im unisono als auch in kanonischer Setzweise, ergeben ein auditives Äquivalent zu geometrischen Formationen sowie auch zu einem Bild des umrundenden Wanderns, oder Pilgerns.

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