Gruppenfoto Ringvorlesung
Der Vortragende mit VeranstalterInnen der Ringvorlesung (von links): Gunda Barth-Scalmani, Dirk Rupnow, Norbert Christian Wolf, Ingrid Böhler.

Geist vom Gei­ste des Exp­ressio­nismus

Im ersten Vortrag der Ringvorlesung „100 Jahre Republik Österreich“ präsentierte der Literaturhistoriker Norbert Christian Wolf (Universität Salzburg) sein aktuelles Buchprojekt über die Rolle der Literatur in der Revolution von 1918. Diese unterzog er durch Gegenüberstellung ausgewählter Zitate einer genaueren Betrachtung.

Wolf begann mit der Feststellung, dass im Hinblick auf 1918 zwar von einer politischen, nicht aber von einer sozialen Revolution die Rede sein kann. An diesem revolutionären Untergang der Habsburgermonarchie bzw. Übergang zur Republik Deutschösterreich waren – darin vergleichbar etwa mit den Vorgängen in München – auch in Wien Literaten beteiligt. Eine zentrale Figur, die Wolf in den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellte, war dabei der bekannte Journalist Egon Erwin Kisch aus Prag, der am 31. Oktober 1918 gemeinsam mit Korporal Haller (eigentlich: Bernhard Förster) vor dem Deutschmeisterdenkmal in Wien die radikal-linke Wehrformation „Rote Garde" gründete. Aber auch die politische Aktivität Franz Werfels, der kurzzeitig ebenfalls bei den „Roten Garden“ in Erscheinung trat, wurde anhand von ausgewählten Schriftzeugnissen beleuchtet.

Literarischer Diskurs

Die Präsentation der literarischen, journalistischen oder (auto)biographischen Belege und Zeugnisse über die „Wiener Revolution von 1918“ teilte Norbert Christian Wolf in fünf Abschnitte. Er begann mit den Äußerungen Kischs über die Rote Garde in Der freie Arbeiter vom 9./16. November 1918. In diesem legitimatorischen Text beschwerte er sich über den vorherrschenden, mangelnden Sinn zur Wahrheit und verwies dabei auf Viktor Adler, den Begründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, den Prälaten und führenden Christlichsozialen Ignaz Seipel, sowie auf den deutschnationalen Burschenschafter und Spitzenpolitiker Franz Dinghofer. Vor ihnen sei die Republik zu schützen. Zugleich kritisierte er Verleumdungen der Roten Garde durch Bürger, aber auch die Sozialdemokratische Partei.

Dieser Darstellung setzte der Vortragende die Beobachtungen verschiedener Schriftsteller zur Roten Garde entgegen. Egon Dietrichstein, eine literarische Wiener Lokalgröße, verfasste einen beschwichtigenden Bericht über die Rote Garde mit einer stark überzogenen Bewertung ihres Anführers Kisch, welcher dabei als eine Art „österreichischer Robin Hood“ erscheint. Arthur Schnitzler vermerkte in seinem Tagebuch, dass er „die bolschewiskotische Rede im Soldatenrath“ für beunruhigend halte. Der seit März 1918 im Wiener Kriegspressequartier tätige Redakteur der neuen Soldatenzeitung Heimat, Robert Musil, zählte neben Kisch auch Otto Pick, Arne Larin, Franz Werfel sowie seinen Freund und Mentor Franz Blei und den Maler Albert Paris Gütersloh zu seinen Mitarbeitern. Der leidenschaftliche Kaffeehausgänger verfolgte den Zerfall der Habsburgermonarchie bei seinen Mokka-Symposien im Café Central oder Herrenhof in der Gesellschaft seiner Kollegen. Zu diesen stießen gelegentlich auch Alfred Polgar, Gina Kaus, Robert Müller, Oskar Maurus Fontana und Ea von Allesch. Selbst weit von solchem Engagement entfernt, kommentierte Musil höhnisch den kläglichen Versuch seiner Autorenkollegen Kisch und Werfel, als Anführer der Revolution auftreten zu wollen. Über Kisch meinte Musil, dass dieser einen enormen Geltungswillen habe. Er hielt die Revolutionäre allerdings für fähig, nach dem Motto „Der Zweck heiligt die Mittel“, zur Lenkung der politischen Entwicklung auch große Menschenopfer als gerechtfertigt zu betrachten. Über Kisch spottete auch Musils Gattin Martha in Briefen an ihre Tochter; und über Franz Werfel schrieb sie, dass dieser seine eigene Gedichtsammlung nicht mehr leiden könne.

Franz Blei, der gemäß dem Chefredakteur des Wiener Neuen 8 Uhr-Blattes neben Kisch, Werfel und Gütersloh einer der „Prager Kaffeehausliteraten“ war, sah in der Wiener Revolution in erster Linie ein theatralisches Ereignis mit Statisten vor und auf der Tribüne.

In Anspielung auf die Gründung der Roten Garden wertete Richard Bermann die scheinbar spontane Geste Kischs, sich beim Deutschmeisterdenkmal die goldenen Oberleutnantsterne abzureißen und eine Rede vor den zusammengerotteten Soldaten zu halten, als einen wohl kalkulierten Akt. Seine Geltungssucht bestätigte Kisch schließlich selbst in einem Brief an seine spätere Frau, in dem er aber auch die schlimmen Zustände nach dem Krieg beklagte. Von den revolutionären Qualitäten seines Kollegen Franz Werfel schien indessen sogar Kisch nicht viel zu halten, diesen hielt er ihm nicht einmal für verlässlich genug, seinen Mantel nach Prag mitzunehmen.

Mit den chaotischen Ereignissen konfrontiert, offenbarte die erzkonservative Alma Mahler, spätere Frau Franz Werfels, ihre Angst vor dem Proletariat und seinen Vertretern. Über Franz Werfels politische Aktivitäten hielt sie fest, dass er „verführt“ worden und politisches Opfer unglücklicher Verstrickungen sei, eine Perspektive, die später in Werfels „Barbara und die Frömmigkeit“ ebenfalls auftaucht. Auch die treue Anhängerin Werfels und Salonière Berta Zuckerkandl war der Meinung, dass Werfel zwar als Dichter gut sei, als Aktivist man ihm aber verzeihen müsse.

Zusammenfassend hält Norbert Christian Wolf fest, dass 1918 Literaten die Revolution mehr spielten, als dass sie tatsächlich stattfand. Gleichzeitig verweist er aber auf die Tatsache einiger Tausend bewaffneter Rotgardisten. Außer vielleicht 1848, betont Wolf, gab es in Österreich keine Epoche, in der Literaten sich derart intensiv in die Politik einmischten und versuchten, das Land politisch zu gestalten.

Die Rote Garde

Diese Wehrgruppe strebte, in teilweiser Anlehnung an die nahezu zeitgleich am 3. November 1918 gegründete Kommunistische Partei Deutschösterreichs (KPDÖ), aber im Gegensatz zu der von der Sozialdemokratischen, Christlichsozialen und Deutschnationalen Partei gemeinsam vorbereiteten Staatsgründung auf parlamentarischer Basis, eine Rätediktatur nach russischem Vorbild an.

Die Rote Garde bestand zu Beginn aus rund zweihundert Mann, doch schnell schlossen sich der in erster Linie als Bürgerschreck durch Wien ziehenden Bewegung weitere hunderte Revolutionäre, darunter aber auch Kriminelle oder sonst aus der Bahn Geworfene, an. Mit der Absicht ihrer Zähmung konnte Julius Deutsch, sozialdemokratischer Staatssekretär für Heerwesen, schon am 4. November 1918 die Eingliederung der Truppe in die staatliche Volkswehr erreichen. Doch dieses in der Stiftkaserne stationierte „Bataillon 41“ blieb weiterhin ein revolutionärer, schwer zu kontrollierender Unruheherd.

Bei der Ausrufung der Republik am 12. November 1918 demonstrierte die Rote Garde vor dem Parlament und besetzte anschließend die Redaktion der Neuen Freien Presse. Daraufhin setzte Deutsch auf Spaltung und verteilte Mitglieder der Roten Garde auf andere Volkswehrbataillone. Der in der Stiftkaserne verbleibende radikale Kern schrumpfte in den Folgemonaten zusammen und wurde von Deutsch schließlich am 27. August 1919 aufgelöst und entwaffnet. Egon Erwin Kisch war bereits im Mai 1919 aus der Roten Garde ausgetreten.

(Eva-Maria Egger)

Der Vortrag zum Nachsehen


Links

    Nach oben scrollen