Blick ins Lesachtal
Studienobjekt Tetramorium alpestre: Die in Österreich heimische Ameise lebt auf 2000 Metern Seehöhe, wie hier im Kärtner Lesachtal.

Fried­­liches Ver­­halten be­­gün­­stigt Ameisen­­inva­­sion

Ameisenkolonien können sich unter bestimmten Umständen zu riesigen Superkolonien mit tausenden Kilometern Ausdehnung zusammenschließen und heimische Arten verdrängen, wenn sie auf aggressives Verhalten verzichten. Eine Forschungsgruppe um Florian Steiner und Patrick Krapf vom Institut für Ökologie untersucht nun, wie es dazu kommen kann.

Der Feind kam mit dem Schiff: Seit die Argentinische Ameise in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Südeuropa eingeschleppt wurde, breitet sie sich rasant aus und verdrängt dabei die heimischen Spezies. Das Erfolgsrezept dieser invasiven Art besteht in der Bildung sogenannter „Superkolonien“. Das sind zusammenhängende Ameisenstaaten mit unzähligen Königinnen, deren Individuen kooperieren und sich wie eine einzige Kolonie verhalten. Die größte derartige Kolonie erstreckt sich über fünftausend Kilometer entlang der Küste Italiens bis nach Nordspanien.
Die Gründe für dieses außergewöhnliche Phänomen sind bislang ein Rätsel. Theorien, dass Verwandtschaft zwischen den Ameisen innerhalb der Kolonie zu dem Zusammenschluss führt, werden durch neuere Beobachtungen nicht gestützt. Im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projektes untersucht nun ein Team um das Ökologen-Ehepaar Florian Steiner und Birgit Schlick-Steiner eine in den Alpen heimische Ameisenart, die ebenfalls über die Fähigkeit zur Bildung großer Kolonien mit mehreren Königinnen verfügt, wenngleich die Kolonien deutlich kleiner sind als bei der Argentinischen Ameise. Sie kombinieren dabei Feldforschung mit Methoden aus der Genetik.

Evolutionärer Ursprung unklar

„Superkolonien sind aus evolutionstheoretischer Sicht problematisch, weil sie damit nicht erklärbar sind“, erklärt Projektleiter Florian Steiner. „Es müsste einen Mechanismus geben, der dazu führt, dass die genetischen Eigenschaften von Individuen, die besonders kooperativ sind, sich dann auch besonders häufig in der nächsten Generation wiederfinden. Das ist bei Superkolonien aber nicht der Fall.“
Die Langsamkeit von Evolution erschwert die genaue Untersuchung. „Es ist schwierig, die Mechanismen zu finden, die dazu führen, dass Superkolonialität entsteht, wenn man nur den Endpunkt der Entwicklung betrachten kann“, so Steiner. Die Argentinische Ameise hat diesen Endpunkt offensichtlich erreicht, wie Birgit Schlick-Steiner erklärt: „Einzelne Kolonien zeigen kein feindliches Verhalten zueinander. Wenn man Tiere von der Küste Italiens mit Tieren von der Küste Portugals zusammensetzt, gibt es keine Aggression. Das ist erstaunlich, denn normalerweise reagieren Ameisen aggressiv aufeinander, selbst wenn die Nester nur ein paar Meter voneinander entfernt sind.“ Es wäre also wünschenswert, eine Ameisenart zu beobachten, die sich mitten in der evolutionären Entwicklung hin zur Ausbildung von Superkolonien befindet. Und solche Arten scheint es zu geben.

Ameisenart aus den Alpen als Modell

Eine Spezies, die in dieser Hinsicht besonders interessante Eigenschaften hat, ist die in den Alpen heimische Ameise Tetramorium alpestre. „Diese Ameise ist bei uns heimisch, lebt in den Bergen auf 2000 Metern Seehöhe und ist, soweit wir wissen, nirgendwo invasiv“, berichtet Florian Steiner. „Sie weist eine große Bandbreite von Verhaltensweisen und Sozialstrukturen auf, von kleinen Kolonien mit einer Königin, die aggressiv zueinander sind, bis hin zu Kolonien mit mehreren Königinnen, die Eigenschaften einer Superkolonie haben.“ Der Forscher betont, dass es sich dabei um Individuen derselben Art handelt.
Die Arbeit begann mit der Sammlung von Individuen über den gesamten Alpenbogen. Projektmitarbeiter Patrick Krapf hat während seiner Dissertation vier Jahre lang Daten gesammelt, um der Frage auf den Grund zu gehen, welche Faktoren für die Unterschiede im Verhalten ausschlaggebend sein können. Diese Annäherung an das Problem habe allerdings keinen Durchbruch gebracht, sagt Florian Steiner. Weder Standortfaktoren, noch verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Ameisen scheinen einen Unterschied zu machen. „Mit dem neuen Projekt versuchen wir, genauer hinzusehen.“

Verhaltensversuche mit einzelnen Ameisen

Dazu wurden Verhaltensversuche mit mehreren Tausend in den Bergen eingefangenen Ameisen gemacht. Die Tiere wurden einander gegenübergestellt und ihr Verhalten videodokumentiert. Zeigen sie Aggression? Oder sind sie friedlich? „Davon haben wir 72 Tiere ausgewählt, die besonders repräsentativ waren“, erklärt Steiner. „Diese Individuen wurden schockgefroren. Der Kopf wurde für die RNA-Extraktion verwendet, der Rest des Körpers für die DNA-Extraktion.“
Während aus der DNA Informationen über vererbte Verhaltensweisen gewonnen werden können, liefert eine Analyse der RNA, des sogenannten Transkriptoms, Aufschlüsse darüber, welche Teile des Erbguts tatsächlich aktiv sind, was Einblicke in die bisherigen Erfahrungen des Tiers ermöglicht. So soll genauer festgestellt werden, welche Faktoren das Verhalten bestimmen.

Dieser Zugang ist neu, so Steiner: „Zu jedem Individuum gibt es Videoaufnahmen, anhand derer die Verhaltensweise gegenüber einem anderen Ameisenindividuum ausgewertet werden kann. Außerdem wurden in dem betreffenden Nest chemische Analysen durchgeführt.“ Die Analyse umfasst also die gesamte Kette von der Biologie im Feld, in den Alpen auf 2000 Metern, bis hin zur Botenstoffchemie und speziellen Themen der Genetik.
„Mit diesem Zugang, wo wir von jeder Ameise die genaue Herkunft, das genaue Verhalten und dann noch ihr Genom und das Transkriptom kennen, hoffen wir, dass wir einen Schritt weiterkommen.“ Die Auswertung der genetischen Untersuchung wird derzeit vom Bioinformatiker Martin Schilling durchgeführt; erste Ergebnisse zeigen zumindest keine offensichtlichen DNA-Gemeinsamkeiten von Individuen, die sich ähnlich verhalten. – Mit besonderer Spannung wartet das Team somit auf die Auswertung der RNA-Daten. Das Projekt läuft noch bis 2022.

Störeinflüsse ausschließen

Tetramorium alpestre ist kein typischer Modellorganismus der Ameisenforschung, hat aber einige für die Forschung sehr günstige Eigenschaften. „Es gibt ein paar andere Arten, von denen man eine derartige Bandbreite an Verhaltensweisen kennt, aber nicht auf so engem Raum“, sagt Steiner. „So lässt sich eine Beeinflussung der Ergebnisse durch Umweltfaktoren ausschließen.“ Außerdem wurden die Verhaltensversuche im Blind-Verfahren durchgeführt: Nicht einmal das Forscherteam selbst wusste, ob es sich um verwandte Tiere oder solche aus unterschiedlichen Kolonien handelte.

Besseres Verständnis invasiver Organismen

Steiner will letztendlich die Verbreitung von Bioinvasoren wie der Argentinischen Ameise besser verstehen. Ameisen, die Superkolonien bilden, sind eine besondere Gefahr für fremde Ökosysteme. In den USA hat etwa die aus Südamerika stammende Feuerameise Superkolonien gebildet und setzt die heimischen Ameisenarten unter Druck. „Die Einschleppung gebietsfremder Arten passiert weltweit unzählige Male am Tag“, erklärt Steiner, „aber nur wenige Arten sind so gut für den neuen Lebensraum geeignet, dass sie dort Fuß fassen und auch tatsächlich als biologische Invasoren die heimische Fauna verdrängen können.“ Superkolonien sind allerdings besonders gefährlich – und geben immer noch Rätsel auf.

(Scilog/FWF)


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