Tschernobyl
Die Slawistin Andrea Zink beschäftigt sich mit der Frage nach den Vorzügen und Grenzen dokumentarischer Texte und Bilder. Sie untersucht, wie tatsächliche Ereignisse repräsentiert werden. Dazu gehört auch die nukleare Katastrophe von Tschernobyl.

Eine literarische Annäherung an Tschernobyl

Am 26. April 1986 ereignete sich im Reaktor vier des Kernkraftwerks Tschernobyl eine nukleare Katastrophe mit weitreichenden Folgen. Andrea Zink, Professorin für slawische Literatur- und Kulturwissenschaft, beschäftigt sich u. a. mit der Frage nach den Vorzügen und Grenzen dokumentarischer Texte und Bilder, die sich mit der Katastrophe auseinandersetzen.

Nach wie vor ist diese Katastrophe dem Großteil der Bevölkerung in der Ukraine, in Russland, Weißrussland und vielen europäischen Ländern ein Begriff. Das liegt zum einen daran, dass viele Menschen unmittelbar betroffen waren und zum anderen existieren zahlreiche Dokumente, die an den GAU erinnern. Andrea Zink, Professorin für slawische Literatur- und Kulturwissenschaft, beschäftigt sich u. a. mit der Frage nach den Vorzügen und Grenzen dokumentarischer Texte und Bilder. Sie untersucht, wie tatsächliche Ereignisse repräsentiert werden. Dazu gehört auch die nukleare Katastrophe von Tschernobyl, worüber sie sogar in ihrem Bewerbungsvortrag an der Universität Innsbruck sprach. „Besonders interessiert hat mich dabei die Aufarbeitung des Themas in verschiedenen Medien wie etwa Fotobänden, Literatur und Dokumentarfilmen. Über die dokumentarische Kunst nähere ich mich dieser Katastrophe an“, so Andrea Zink vom Institut für Slawistik. Dass Tschernobyl ein sehr emotionales Thema ist, das auch nach 32 Jahren viele Menschen bewegt, ja sogar fasziniert, zeigen die Anfragen, die Andrea Zink immer wieder an Jahrestagen der Katastrophe erhält. Auch kürzlich verfasste sie einen Beitrag für die Sonderausgabe des Magazins „Osteuropa“ zum 70. Geburtstag der Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch. „In Tschernobyl: Eine Chronik der Zukunft erfasst Swetlana Alexijewitsch auf einzigartige Weise die sowjetische Mentalität. Damals sind viele Menschen heldenhaft nach Tschernobyl gezogen, haben als Liquidatoren aufgeräumt und sind dort gestorben“, erzählt Andrea Zink. „Gerade meine Forschungsfrage, nämlich wie Kriege oder Katastrophen in der Literatur repräsentiert werden, kann ich durch einen Blick auf Swetlana Alexijewitschs Texte sehr gut beantworten. In den Interviews, die Alexijewitsch mit Zeitzeugen geführt hat, setzt sie auf Emotionen und transportiert damit das Gefühl der Zeit“, so Andrea Zink weiter.

Die Auseinandersetzung mit traumatischen Ereignissen setzt sich auch im zweiten Forschungsschwerpunkt von Andrea Zink, der bosnisch-kroatisch-serbischen Literatur, fort. Hier liegt der Fokus auf dem 20. Jahrhundert und der Gegenwart. Geschichtlich bedingt geht es in dieser postjugoslawischen Literatur häufig um die Verarbeitung von Kriegserlebnissen. Gerade in diesem zweiten größeren Bereich der Forschung arbeitet Andrea Zink immer wieder auch interdisziplinär, zu ihren engsten Kooperationspartnern gehört der Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Innsbruck, Kurt Scharr. „Diese Professur fokussiert insbesondere die Habsburger Monarchie, zu der auch viele slawische Länder zählten. Die politisch-kulturellen Verflechtungen des 19. Jahrhunderts spielen ihrerseits eine Rolle in der Kriegs- und Gegenwartsliteratur, die ich untersuche, beispielsweise in der Form von Familiengeschichten“, erklärt die Slawistin.

Persönliche Erlebnisse

Zur nuklearen Katastrophe in Tschernobyl hat Andrea Zink auch einen ganz persönlichen Bezug. Zum Zeitpunkt der Katastrophe war sie als Studentin im Rahmen eines Austauschprogramms für vier Monate in St. Petersburg. Von der Katastrophe erfahren hat sie von ihrem damaligen Freund aus Berlin. „Aus Kiew hat man nichts gehört. Auch in der Presse war das kein Thema. Erst Tage später gab es einen kurzen Hinweis auf Seite drei der Tageszeitung Prawda“, berichtet Andrea Zink. Sie und andere Austauschstudierende waren sich der Gefahren durch die nukleare Katastrophe durchaus bewusst. Die grüne Bewegung hatte damals viele Anhänger und es gehörte gewissermaßen zum guten Ton, Atomkraft zumindest kritisch zu hinterfragen. Durch die Zentralisierung und Kontrolle der Medien in der Sowjetunion wurden die Menschen in der Gefahrenzone zu spät evakuiert und die Bevölkerung nicht über die Gefahren aufgeklärt. „Ich weiß nicht, wie das zum damaligen Zeitpunkt in Europa gehandhabt worden wäre, aber zumindest wären die Medien auf der Matte gestanden“, resümiert Andrea Zink. Die Katastrophe von Tschernobyl zeigte deutliche Unterschiede zwischen der politischen Organisation der Sowjetunion mitsamt ihrer Kontrolle der Medien und den westlichen Staaten auf. Für den Osten Europas hat Andrea Zink sich bereits vor der Katastrophe von Tschernobyl und auch ihrem Auslandsaufenthalt in St. Petersburg interessiert. „Gerade das Mysteriöse und Unbekannte, das die slawischen Länder für mich schon immer umgeben hat, hat mich rückblickend zu meiner Disziplin, der Slawistik, gebracht“, sagt die Wissenschaftlerin.

Institut für Slawistik

Das Institut für Slawistik, an dem elf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten, ist an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät angesiedelt und wird von ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Helmut Weinberger geleitet. Die Forschungsschwerpunkte des Instituts liegen u. a. auf den slawischen Gegenwartssprachen, der Soziolinguistik, der russischen Literatur und Kultur vom 18. bis zum 21. Jahrhundert, dem russischen Film und auf den Südslawischen Literaturen und Kulturen.

 

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