Arbeitswelt im Wandel

subject_01: Arbeit | Digitalisierung, Marginalisierung, Differenzierung: Wir arbeiten heute anders als vor fünfzig Jahren. Wie sich die Arbeitswelt verändert, haben wir Forscherinnen und Forscher der Uni Innsbruck gefragt.

News-Redaktion der Uni Innsbruck
März 2017

Zwei große gesellschaftliche Entwicklungen sind im Moment sehr virulent: der technologische Wandel sowie die Globalisierung und die damit verbundenen Migrationsströme. „Neue Technologien und die Mobilität von Kapital und Arbeit verändern die Produktionsfunktion der Unternehmen und damit Preise und Löhne“, sagt der Innsbrucker Ökonom Martin Halla. „Konkreter gesprochen, wenn jemand eine Tätigkeit ausführt, die auch von Maschinen erledigt werden kann, dann sinkt die Nachfrage nach diesem Beruf. Das gilt auch für Migration: Kommen neue Arbeitskräfte ins Land, die eine bestimmte Tätigkeit ausüben können, steigt der Druck auf diese Berufsgruppe.“ Umgekehrt kann es aber auch sein, dass andere Berufe von diesen Entwicklungen profitieren. „Zum Beispiel kann ich mit einem schnelleren Computer produktiver werden, für mich ist das von Vorteil. Oder auch die Zuwanderung eines ausländischen Forschers, mit dem ich eine gute Kooperation aufbaue, kann mich produktiver machen“, sagt Martin Halla, der am Institut für Finanzwissenschaft der Universität Innsbruck forscht. Die Folgen des Wandels können für verschiedene Berufsgruppen sehr unterschiedlich sein.

Druck auf die Mittelschicht

In der Ökonomie viel diskutiert wird in diesem Zusammenhang die Polarisierungshypothese, wonach durch die Digitalisierung viele Routinetätigkeiten von Computern übernommen werden und davon vor allem das mittlere Segment der Berufstätigen betroffen ist. Martin Halla verdeutlicht das an einem Beispiel: „Bevor es Tabellenkalkulationen gegeben hat, wurden noch mehr Buchhalter benötigt. Diese Tätigkeiten werden heute zum Teil durch Software erledigt.“ Ein Staubsaugerroboter allein hingegen kann eine Reinigungskraft noch nicht ersetzen. Auch höhere Berufe sind von der Automatisierung nicht so stark gefährdet. Der technologische Wandel setzt also vor allem Menschen unter Druck, die eine mittlere Qualifikation haben und Routinetätigkeiten ausüben. In den USA lässt sich dieser Trend in den vergangenen Jahrzehnten sehr deutlich nachweisen. „Hochqualifizierte Berufe haben dagegen von der technologischen Innovation enorm profitiert. Bei den Niedrigausgebildeten gab es keine große Veränderung. Ein ähnlicher Trend lässt sich auch in anderen Ländern nachweisen“, schildert Martin Halla.

Qualifikation nach dem durchschnittlichen Gehalt zwischen 1979 und 2007

Justus Piater mit seinem Forschungsobjekt „Robin“, dem Roboter

Justus Piater mit seinem Forschungsobjekt „Robin“, dem Roboter.

Ersetzt der Roboter den Chirurgen?

Technologische Innovationen verdrängen zwar gewisse Tätigkeiten, sie schaffen aber auch ständig neue Berufsfelder. Als Autos die Pferdefuhrwerke ersetzten, verloren viele Kutscher ihre Arbeit. Für den Autoverkehr mussten aber neue Straßen gebaut werden, entlang der Verkehrswege entstand eine neue Fastfood-Industrie. „Es gibt also immer Gewinner und Verlierer“, resümiert Halla. Manche Experten gehen davon aus, dass zukünftige technologische Entwicklungen auch Höherqualifizierte unter Druck setzen könnten. „Selbst in der Medizin wäre es denkbar, dass in 50 Jahren bestimmte Operationen nur noch von einem Computer durchgeführt werden“, sagt Martin Halla. „Je mehr Fähigkeiten ein Job erfordert, die von einer Maschine nur schwer umzusetzen sind, desto leichter wird man nicht ersetzt. Und unabhängig davon: Je höher die eigenen Fähigkeiten sind, desto leichter kann man sich auch neu orientieren.“

Ähnlich sieht das der Informatiker Justus Piater, der an selbstlernenden Robotern baut. Automatisierung führt dazu, dass andere Qualifizierungen benötigt werden:

Justus Piater über Automatisierung der Arbeitswelt. 

Bei der Migration stellt es sich etwas anders dar: Die Gastarbeiter, die in den 1960er- und 1970er-Jahren nach Österreich gekommen und deren Familien teilweise nachgezogen sind, haben eher Druck auf Schlechtausgebildete ausgeübt. „Man kennt das aus sehr vielen Studien: Neuankömmlinge setzen vor allem Migranten unter Druck, die schon früher eingewandert sind“, sagt Ökonom Halla.

Geschlechterrollen in Bewegung

„In der Ökonomie denken wir über Familien so nach, dass es innerhalb von Familien Verhandlungsprozesse gibt. Die Verhandlungsmacht, die man hat, ist dadurch beeinflusst, wie gut es einem gehen würde, wenn die Ehe aufgelöst wird“, erklärt Martin Halla. In den 1950er- und 60er-Jahren, als viele Frauen noch nicht auf dem Arbeitsmarkt waren, lag die Verhandlungsmacht eher beim Mann. Die Emanzipation der Frau ist mit der verstärkten Arbeitsmarktbeteiligung einhergegangen. „Wenn der technologische Wandel verstärkt ein Geschlecht betrifft, dann kann das über die Verhandlungsmacht auch die Rolle in der Familie beeinflussen“, resümiert Halla.

Wie Unternehmen selbst Gleichstellung organisieren können, daran arbeitet die Organisationsforscherin Heike Welte. Warum reines Köpfezählen nicht sinnvoll ist und auch die Quote am Arbeitsplatz zwar hilft, aber Begleitmaßnahmen braucht, erklärt sie hier:

 Heike Welte zur Organisation von Gleichstellung. 

Für den sozialen Frieden umverteilen

Wenn die Maschinen immer mehr Tätigkeiten übernehmen, bleibt dann am Ende weniger Arbeit für den Menschen übrig? Martin Halla glaubt nicht so recht daran und erinnert an die industrielle Revolution: „Alle die früher in der Landwirtschaft tätig waren, haben auch eine andere Tätigkeit gefunden.“ Der Ökonom mahnt allerdings einen anderen Aspekt an: Wenn technologischer Wandel Gewinner und Verlierer produziert, muss die Gesellschaft dann ausgleichend wirken? „Wir Ökonomen sagen immer, technologischer Wandel und Freihandel sind effizient“, erzählt Halla. „Wenn man aber genau hinhört, sagen wir nicht, dass jeder einzelne davon profitiert, sondern wir in Summe profitieren. Und es ist eine politische Aufgabe, für einen Ausgleich zwischen Gewinnern und Verlierern zu sorgen und Produktivitätsgewinne teilweise zu den Verlierern umzuverteilen.“

Porträt von Heike Welte

Heike Welte ist Organisationsforscherin an der Uni Innsbruck.

Druck auf gut Ausgebildete

Insbesondere für gut Ausgebildete verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zusehends: Sonntags noch schnell ein paar Mails beantworten, am Abend an einem Online-Meeting teilnehmen oder vor dem Einschlafen den Tag auf Twitter, Facebook oder Instagram Revue passieren lassen: Smartphone, Tablet und Co. sind unsere ständigen Begleiter. Der Wirtschaftsinformatiker Ulrich Remus interessiert sich für den Einsatz von IT in Kommunikationsprozessen innerhalb von und zwischen Unternehmen. „Ich muss zugeben, dass ich den Auswirkungen der Digitalisierung vor allem im Zusammenhang mit Social Media ursprünglich eher negativ gegenübergestanden bin. Mittlerweile habe ich aber festgestellt, dass ein Schwarz-Weiß-Denken hier wenig Sinn macht. Die Individualität der Menschen bezieht sich gleichermaßen auch auf ihr Stressempfinden: Wir befinden uns mittlerweile in einer Situation, in der wir eigentlich nie ganz offline sind. Vergleichbar mit einem Lautstärkeregler wird Konnektivität höchstens runtergeregelt, aber nicht komplett ausgeschaltet.“ Im Rahmen eines Projektes mit einer Unternehmensberatung in München konnte das Team um Remus feststellen, dass es für viele der dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wesentlich belastender war, nicht auf ihre gewohnten Online-Verbindungen zugreifen zu können als ständig erreichbar zu sein. „Wichtig ist hier aber, zu betonen, dass dies eine kurzfristige Perspektive darstellt. Diese eher positive Einstellung zu konstanter Konnektivität lässt sich auch durch das Rollenverständnis und den damit verbundenen Erwartungen an die Konnektivität in der Unternehmensberatung erklären. Natürlich müssen langfristig auch Aspekte der Überlastung wie Burnout, Sucht oder Depression berücksichtigt werden.“ Dabei verstärkt die ständig hohe Konnektivität Erwartungen an die Verfügbarkeit solcher Verbindungen und kann durchaus auch starke Abhängigkeiten erzeugen, die negativ wirken.

„Wenn heutzutage während einer Zugfahrt kein Internet verfügbar ist, löst das bei vielen Menschen schon nach wenigen Minuten großes Unbehagen aus.“

Ulrich Remus

Der Umgang mit digitalen Technologien beruht stark auf individuellen Faktoren. Aus der jahrelangen Forschungsarbeit kristallisierten sich vier verschiedene Konnektivitätstypen heraus. Alle Typen bewegen sich im Spektrum zwischen ständiger Verfügbarkeit bzw. Reaktionsbereitschaft und dem Grad von Autonomie, den Personen in Bezug auf Konnektivität empfinden. Der „Passenger“ beispielsweise geht in der virtuellen Kommunikation sehr überlegt und behutsam vor, möchte Missverständnisse unbedingt vermeiden und fühlt sich insgesamt im Umgang mit seiner Konnektivität eher unsicher. Dem gegenüber steht der so genannte „Bricoleur“, der dazu in der Lage ist, seine Kommunikationsform flexibel je nach Situation zu adaptieren. Er empfindet Konnektivität als Normalität, passt sie aber zum Beispiel an Wochenenden dementsprechend an. Der Konnektivitätstyp „Maniac“ umfasst Menschen, die ständig verfügbar sind: Sie kontrollieren ihre Mails, Nachrichten oder Social-Media-Kanäle sehr regelmäßig und reagieren rasch. Die Virtualität der Kommunikation ist bei diesem Typ nicht nur Normalität, sondern auch valider Ersatz für Face-to-Face-Kommunikation. Der vierte Konnektivitätstyp, der „Pragmatist“, nutzt virtuelle Kommunikation vorrangig, um Aufgaben zu erfüllen und bearbeitet Mails beispielsweise nur in gewissen Zeitfenstern. Was Ulrich Remus für alle genannten Typen wichtig hält, ist die Sensibilisierung für den persönlichen Umgang mit digitalen Informationssystemen. „Das Selbstmanagement im Hinblick auf den Grad der Konnektivität wird meiner Ansicht nach immer mehr zu einer sozialen Fähigkeit: Wir müssen lernen, situativ an- und abzuschalten, Informationen zu filtern und unser Konnektivitätsverhalten auch selbstkritisch zu überdenken.“

Bunte, unscharfe Lichter

Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in der Arbeitswelt liegen sehr nahe beieinander.

Geister der Wissensgesellschaft

Der Philosoph Andreas Oberprantacher, Professor am Institut für Philosophie, richtet seinen Blick auf die Verwerfungen der Wissensgesellschaft: Von der zunehmenden Flexibilisierung und Individualisierung profitieren nicht alle. Er kritisiert die neu entstandene Kluft: Die einen wandern am Grat zwischen Forderung und Überforderung, während die anderen in ein Schattendasein am Arbeitsmarkt gedrängt werden.

„Die Wissensgesellschaft erzeugt unterschiedliche Sichtbarkeiten. Manche Tätigkeiten werden zelebriert und anerkannt, während andere stärker marginalisiert und verdunkelt werden“, sagt Oberprantacher. Nur wenige denken an die Frauen und Männer, die früh am Morgen oder spätabends die Büroräume putzen, die unsere Häuser bauen oder die ältere Menschen pflegen. Diverse Formen des kreativen Denkens werden in der Wissensgesellschaft über die ideell abgewerteten körperlichen Tätigkeiten gestellt. Leicht hat es niemand von ihnen: Die einen hadern in einer ständigen Neuerfindung ihres Selbst und stellen sich den Herausforderungen der ökonomischen Kreativität – denn jede Idee soll vor dem Hintergrund ihrer potentiellen Vermarktbarkeit geboren werden. Andere kämpfen täglich damit, überhaupt in der arbeitenden Gesellschaft wahrgenommen zu werden. „Die gegenwärtige Gesellschaft erzeugt ihre eigenen Gespenster“, meint der Philosoph.

(Un-)Sichtbares

In dem Moment, in dem die Wissensgesellschaft als Vorbild stilisiert wird, werden etwa körperlich arbeitende Menschen unsichtbar und Diskriminierung sowie Marginalisierung am Arbeitsmarkt werden allgegenwärtig. „In Europa wurde eine Schattenwirtschaft zugelassen. Offiziell zwar negiert, werden auch Bedingungen gefördert, die Menschen zu extrem prekären Arbeiten drängen. Bedingungen, wo sie sich körperlich verausgaben müssen, ohne darauf vertrauen zu können, dass dies in einer Form wie Pensions- oder Sozialversicherung anerkannt wird“, kritisiert der Philosoph. Stellt sich die Frage, wer unter den aktuellen Vorzeichen einer Wissensgesellschaft tatsächlich „arm“ ist. Sind es jene, die sich in ständiger Arbeit und nicht möglicher Abgrenzbarkeit in Burnout und Depression verlieren, oder sind es jene, die um Sichtbarkeit am Arbeitsmarkt kämpfen müssen? Oberprantacher plädiert dafür, eine kritische Sensibilität für die eigene Tätigkeit, das Arbeitsumfeld und vor allem die unsichtbaren Arbeiten zu entwickeln.

Dass die „unsichtbaren“ Arbeiten vielfach von Migrantinnen und Migranten erledigt werden, ist nicht zuletzt dem Lohnniveau geschuldet. Der Zeithistoriker Dirk Rupnow beschäftigt sich mit sogenannten „Gastarbeitern“, die seit den 1960-ern nach Österreich und Europa geholt wurden:

Wand mit Schatten von drei Personen

Viele Menschen arbeiten im Schatten der Wissensgesellschaft und werden kaum wahrgenommen.

Mit Druck ins Burnout

Der Psychologe Jürgen Glaser beschäftigt sich unter anderem mit dem psychischen Druck, dem Menschen auch im Arbeitsumfeld ausgesetzt sind. „Studien zeigen, dass durch Arbeitsintensivierung und immer stärker erlebten Zeitdruck und Stress vor allem im Dienstleistungsbereich psychische Phänomene wie das Burnout-Syndrom zunehmen. Allerdings ist flexibles Arbeiten nicht grundsätzlich dafür verantwortlich zu machen. Flexible Arbeitszeiten, Gleitzeit oder auch die völlig freie Vertrauensarbeitszeit können das Leben auch erleichtern, da sie sich gut mit privaten Verpflichtungen vereinbaren lassen. Zum Problem wird es, wenn die Fähigkeiten zur Selbstorganisation fehlen oder auch, wenn vom Arbeitgeber unrealistische Zielvorgaben erwartet werden“, sagt der Psychologe. „Bei der Arbeit ist es nötig, Grenzen zu ziehen, seien es physische Grenzen – durch ein Arbeitszimmer beispielsweise –, zeitliche Grenzen oder auch psychologische Grenzen, damit sich Arbeit und Privatleben nicht miteinander vermischen. Das fällt natürlich manchen Menschen schwer.“

Es ist wichtig, Grenzen zu ziehen.

Jürgen Glaser

Das Auseinanderdriften zwischen hoch und niedrig qualifizierten Arbeitskräften ist belegt. Auch bei der Gefahr der psychischen Überlastung sieht der Psychologe Unterschiede, auch vor dem Hintergrund ökonomischen Drucks: „Was die einen an Autonomie zu wenig haben, selbst nicht regulieren können, wann sie arbeiten oder auch nicht arbeiten ist bei den anderen fast schon zu viel Freiheit – hier wird das Regulieren der Arbeitsmenge selbst schon zur Überforderung. In der Produktion gäbe es beispielsweise die Möglichkeit, durch Job-Rotation oder selbst organisierte Dienstpläne mehr Autonomie zu bekommen. Im hochqualifizierten Bereich muss darauf geachtet werden, dass ein Zuviel an Autonomie nicht zur Überforderung führt.“

Im Umgang mit beruflichen Belastungen empfiehlt der Experte, auf Balance zu achten: „Zum einen ist es sicherlich gut im Gespräch mit Kollegen und Vorgesetzten zu bleiben und Probleme anzusprechen und auf eine gesunde Balance zwischen Be- und Entlastung zu achten. Wenn man schon körperliche Symptome bemerkt, sollte man sich zum einen Unterstützung bei einem Facharzt suchen, zum anderen aber auch die Probleme beim Arbeitgeber ansprechen. Wenn sich dadurch an der Situation nichts ändert, muss man manchmal auch den Schritt gehen und einen Job verlassen. Getreu dem Motto: Change it, love it or leave it.“

© News-Redaktion der Universität Innsbruck 2017

Mit Beiträgen von:
Melanie Bartos, Christian Flatz, Stefan Hohenwarter, Daniela Pümpel, Susanne Röck

Zusatzmaterial:
Podcast mit Justus Piater: 
https://www.uibk.ac.at/podcast/zeit/sendungen/zfw006.html

Dirk Rupnow zeigt seine Forschung zu „Gastarbeitern“: 
https://www.youtube.com/watch?v=3e-4QcxKUo4

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